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DayFail

Ein Versprecher kommt selten allein
von

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Willkommen in Eton – oder ist das wirklich England?

Gleich eines riesigen eisernen Lindwurms, entsprungen aus der Anderwelt, schlängelte sich der Zug an den schroffen Felsen der Highlands, dem saftige Grün der schottischen Landschaft und gelangweilt dreinblickenden Kühe entlang, wie auf unsichtbarer Spur scheinbar dem eigenen Willen folgend. Vereinzelte Häuser luden zu romantischen Träumereien und sehnsuchtsvollen Gedanken ein, doch der junge Mann mit den rotblonden störrischen Locken schenkte diesem Schauspiel keinerlei Beachtung. Nur gelegentlich lösten sich die blassgrünen Augen von dem Buch und suchten nervös in der Ferne nach unbeweglichen Dingen, welche sich dem Betrachter trotz rascher Reise niemals dem Blick entzogen.

»D… der Puls liegt weit über 120. Die Pupillen verengen sich. Kalter Schweiß…«, murmelte Naoise und schluckte schwer.

Es waren nur wenige Augenblicke, ehe alles Blut aus den Wangen wich, kalter Schweiß auf seiner Stirn ausbrach und die Schläfen hinabrann. Binnen von fünf Minuten stieg Übelkeit in ihm auf, so dass er rasch wieder seiner Lektüre zuwandte.

Naoise O’Reilly, geboren und aufgewachsen in Irland, 25 Jahre alt, Medizinstudent im 8 Semester, hatte nach dem psychischen Zusammenbruch und folgenden Amoklaufes des Dekans auf seiner Universität beschlossen in Eton sein Studium fortzuführen, wenngleich noch einige andere Dingen hinzu kamen, welche seinen Entschluss noch bestärkt hatten. Sicherlich hasste es der Ire zu reisen, besonders mit Bus, Auto oder Bahn. Auf ein Boot wagte sich für gewöhnlich nicht einmal, wenn es im Hafen lag, allein schon der Gedanke an das Schaukeln, das ständige Hoch und Runter, ewige Hin und Her, drehte ihm völlig den Magen um. Und dennoch, lieber die Fähre, als ein Flugzeug. Er hätte auch fliegen können, aber seine noch größere und verständliche Abneigung ein Flugzeug, ja geschweige denn eine Flughafen zu betreten, hatte ihm nur die Möglichkeit einer recht ungemütlichen Fähr- und Zugfahrt gelassen. Der Kapitän hatte sich nicht wirklich über den sich ständig übergebenen Passagier gefreut, der kaum dass er an Deck war, schon über der Reling hing und sich zuerst sein ganzes Mittagessen, gefolgt von seinem Frühstück und eventuell sogar noch etwas von dem vorabendlichen Abendbrot noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Im Gegensatz hatte sich der seit mindestens 100 Jahren dort befindende Schiffsarzt endlich über einen derartig schlimmen Fall von See-, bzw. Reisekrankheit gefreut und begann, kaum dass Naoise zu ihm gebracht worden war, an diesem allerlei Rezepturen auszuprobieren – geholfen hatten diese zu aller Bedauern gerade einmal zehn Minuten, woraufhin der Arzt von Neuem begann. Im Zug bat Naoise um ein Einzelabteil, schließlich wollte er sich wenn nötig selbst kurieren, was normalerweise auf dem Rücken liegend und mit hochgelegten Füßen geschah. Der Schaffner hatte den von der Fährfahrt noch völlig schweißüberströmten und schneeweißen Iren mit einem süffigen Grinsen in die Mitte des Zuges geführt und behauptete dass dort der ruhigste und sicherste Platz sei. Dem jungen Mann war es völlig gleich, Hauptsache er war dort ungestört und musste sich nicht vielleicht auch noch mit einem Mitreisenden unterhalten.

Mit einer knappen halben Stunde Verspätung kam der Zug in Eton an, als Naoise vollkommen verschlafen, verkatert und wankenden Beinen mit seinen zwei Koffern, welche all seine gesamten Habseligkeiten enthielten, ausstieg. Nur mit viel Mühe und allerlei Überredungskunst, war es dem Iren gelungen, seine Tante Maddy zu dem Kauf der Karten zu bewegen. Sein wohl stärkstes Argument war, dass sie ihren verhassten Neffen für die nächsten Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen würde, wenn denn überhaupt noch. Auch wenn Maddy eine alte und verschrobene Hexe in den Augen von Naoise war, so konnte sie doch recht spendabel sein, wenn es darum ging, das einzige männliche Wesen in ihrem Haus aus diesem fernzuhalten. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf die Lippen des jungen Mannes, wenn er nur an ihr Gekreische dachte, sobald er in den langen Ferien für einige Wochen zurück kam und seinem Vater immer ähnlicher zu sehen begann. Es war nicht so, dass sie ihren Zwillingsbruder gehasst hatte, nein ganz im Gegenteil. Bis zu ihrer Ehe mit einem gewissen Herold McFarlley waren sie unzertrennlich und verstanden sich außerordentlich prächtig. Vermutlich war es einfach die Art und Weise, wie McFarlley die arme Tante Maddy nach zehn Jahren weniger glücklicher Ehejahre mit leerem Konto und immensen Schulden einfach über Nacht „verließ“, in dem er sich vor ihren Augen splitternackt auszog und im gemeinsamen Schlafzimmer am Deckenbalken erhängte. Seine letzten Worte waren wohl, dass Maddy ihn nicht glücklich gemacht habe und sie nur eine frigide Vettel sei – wobei der genaue Wortlaut wohl wesentlich unflätiger und mit etlichen Spott- sowie Fluchworten gespickt war. Nachdem die Muskeln des Kerls erschlafft waren, gleich wohl seine letzte doch recht langanhaltende Erektion erst nach acht Stunden nachließ, sein Darm und Blase auf dem Ehebett entleert hatten, fand die Tante ihre Fassung wieder und stieß wohl ihren ersten Angstschrei beim Anblick eines Mannes aus. Seither hegte sie eine regelrechte Panik vor allen Männern, selbst vor ihrem eigenen Bruder. Als dann eine Sozialarbeiterin mit dem dreijährigen Naoise vor ihrer Tür stand, ihr erklärte, dass dessen Eltern bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Lebens gekommen waren und sie laut dem Testament der Eltern nun das Sorgerecht und die Vormundschaft inne hatte, war die liebe Tante Maddy nach einem halberstickten Schrei ohnmächtig zusammen gesunken und konnte erst nach einer halben Stunde wieder ins Bewusstsein zurück geholt werden. Das war genau drei Jahre nach McFarlleys Tod.

Naoise wurde in dem ehemaligen Schlafzimmer untergebracht, auch wenn dies eins der größeren Räume war und besonders zu Protesten der beiden wesentlich älteren Töchter kam. Aber Maddy war nach dem Tod ihres Gatten aus diesem Zimmer gezogen und hatte es leer stehen lassen. Warum also nicht das verhasste Männerding – wie sie den Jungen manchmal zu nennen begann - dort einziehen lassen, wo der ganze Schrecken begonnen hatte? Außerdem gab es keine schöne Erinnerung in diesem Raum, war doch alles nur eine Pflichtübung gewesen. Tante Maddy konnte dieses Zimmer auch nach Belieben einfach abschließen und da es im zweiten Stock lag, gab es für Naoise auch keine Möglichkeit aus dem Fenster zu klettern. Sobald der Junge im schulfähigen Alter war, schickte Maddy ihn in die möglich entfernteste Schule mit einem Internat, wobei sie keine Kosten scheute. Anfangs fiel es dem Kleinen schwer, einerseits war schließlich sein letzter Umzug in die Hölle gewesen und nun sollte er doch im Himmel gelandet sein? Andererseits wurde in der Schule wie in Irland seit vielen Jahren üblich nur englisch gesprochen, Tante Maddy aber sowohl mit ihren Kindern, als auch mit Naoise nur gälisch, gar englisch in ihrem Haus unter härtesten Sanktionen verboten hatte und so kannte er keine andere Sprache als das gälische Irisch. Aber nach einigen Wochen und nachdem er dort viele Freunde gefunden hatte, sich selbst sogar einige Kinder fanden, die nebenher etwas gälisch sprachen und er sogar von den Lehrern aufgrund seines gut gesitteten und ruhigen Charakters gelobt wurde, lebte er sich gut ein und genoss von da an jeden Tag fern ab von Tante Maddy und den zwei gemeinen Cousinen, welche ihn doch nur immer wieder triezten und quälten. Nach der Grundschule, wechselte er auf eine weiterführende Schule, welche Maddy für ihn in Belfast ausgesucht hatte, da im dortigen Internat sogar die Unterbringung über die Ferien möglich war. Hier wurde der Grundstein für seinen weiteren Lebensweg endgültig gelegt und sein Wunsch Arzt zu werden erwachte beim ersten wilden Herzklopfen für den Schularzt. Ein hochgewachsener stämmiger Mann, die eisblauen Augen hinter den Brillengläsern blickten stets ernst und mit festem Willen auf die Schüler. Naoise mochte den Geruch, welcher an den Sachen des Arztes haftete, liebte dieses leichte sanfte Lächeln und besonders aber hatten es ihm diese großen starken Hände angetan. Vielleicht war es der frühe Verlust des Vaters oder aber doch nur jene flatterhafte jugendliche Liebelei, für beinahe anderthalb Jahre verbrachte der Bursche mehr Zeit beim Schularzt, als im Klassenraum was sich besonders auf seine Leistungen niederschlug. Tante Maddy war es gleich, solange sie ihren Neffen nicht zu Gesicht bekam, konnte dieser tun und lassen was er wollte und so ignorierte sie die Briefe von der Schule, schrieb nur einmal zurück, dass man sie nur im Falle eines Schulabganges informieren solle, damit sie sich rechtzeitig um eine andere Schule bemühen würde. Also sprach der Lehrer, der Direktor, ein Sozialpädagoge, ein Psychologe, der Internatsleiter, der Vertrauenslehrer und letztlich sogar der Schularzt Naoise in dessen Gewissen. Besonders Letzterer hatte auf den Jugendlichen den meisten Einfluss, vielleicht aber war es auch das Argument, dass er beim weiteren Fernbleiben des Unterrichtes von der Schule verwiesen werde würde. Es dauerte einige Zeit, ehe die Leistungen des Burschen sich wieder besserten, denn Liebeskummer ist die unheilbare Krankheit der jungen Leute, welche allerdings bald schon vergessen ist. Naoise fand einen Weg für sich, dem Schularzt dennoch immer lange nah sein zu können, so begann er vorerst das stärkere Interesse an Medizin statt an dem Mann vorzuheucheln und wurde zum Hilfssanitäter. Je älter er aber wurde, umso mehr vergaß sein Herz jene törichte knabenhafte Schwärmerei, ernste große Bewunderung ließ sein Blut kochen - aus der ersten großen Liebe wurde jenes Idol, welchem er sein ganzes weitere Leben nach eifern würde.

Eton – nein England – war wesentlich anders, als es sich der Ire gedacht hatte. Sein Bild war stets von nebelverhangenen und feuchten Tagen, wo das Licht kaum mehr als eine Armlänge hindurch drang geprägt. Vermutlich war es auch Maddys Einfluss, dass er sich die Engländer als schlechtgelaunte, hochnäsige Frackträger vorstellte und er eine vorbei eilende junge Frau im Sommerkleid anhielt.

»Verzeihung, Mum, aber Eton ist das wirklich sein? England? «, fragte Naoise sie mit dem wohl schlechtesten Englisch, zu dem er nur in unsicheren Situationen fähig war.

Sie hob eine Augenbraue, blickte auf den attraktiven, wenngleich auch verwirrten jungen Mann vor sich und stellte vorerst die Reisetasche neben sich ab. Den Kopf leicht auf die Seite gelegt, die Hüften leicht nach vorne geschoben, die rotgeschminkten Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen und mit den langen schwarzen Locken spielend, begann sie etwas zu flirten.

»Ja, das ist Eton. Das einzig wahre Eton in England. Wo wollen Sie denn hin? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen?«, flötete sie süßlich.

Naoise, welcher kaum große Erfahrungen im Umgang mit jungen Frauen hatte, errötete leicht und blickte sich dann erneut etwas orientierungslos um.

»Hm, ich sehe nicht Nebel. Keine Engländer auch. Das ist sehr seltsam.«, murmelte er, ehe sein Blick wieder auf sein Gegenüber richtete.

Diese begann leise zu lachen, obgleich der recht merkwürdigen Äußerungen des Iren. Schließlich lachte sie immer lauter, bis ihr die Tränen in die Augen schossen.

»Nebel? Herrje, aus welchem weltvergessenen Dörfchen kommen Sie? Na, dass Sie aus dem Ausland kommen, hört man ja, aber das? Nein, wie köstlich. Nebel und Engländer? Glauben Sie etwa, dass wir hochgeschlossen mit Schirm und Melone herum laufen? Oh je, na da muss ich Sie wohl enttäuschen, wir sind auch nur gewöhnliche Menschen und das Wetter ist durch aus besser, als sein Ruf. «, amüsierte sich die junge Frau und strich sich einigte Strähnen aus dem Gesicht.

Naoise errötete etwas, räusperte sich etwas und versuchte zu lächeln, doch allzu leicht gelang es ihm nicht.

» Klireekill, ich komme aus Klireekill. Aber aufgewachsen in Dublin und Belfast auch eher.«, sprach er letztlich recht zerknirscht und umschlang fester den Griff an seinem Koffer, dass die Fingerknöchel leicht hervor traten.

»Oh, Sie sind Ire? Das… das… nun das hätte ich jetzt nicht wirklich vermutet. Bei dem Englisch, aber die Iren sind wirklich ein eigenständiges Völkchen nicht? Und dann noch aus den großen Städten. Da hat Ihnen aber jemand einen ziemlich großen Bären mit uns aufgebunden, wie? «, noch immer versuchte sie dem jungen Mann vor sich ein noch so kleines Lächeln abzugewinnen. Doch Naoise zog die Augenbrauen leicht zusammen, schnaubte leise und senkte dann leicht den Kopf.

»Sie finden das also komisch? Lachhaft? Hm? Nun ich hoffe, Sie hatten Ihren Spaß.«, knurrte der Ire, ehe er sich zum Gehen abwandte.

»Eines trifft zu, hochnäsig und unfreundlich sind die Engländer allemal.«

Die junge Frau begriff, dass sie da in ein ziemliches Fettnäpfchen getreten war, denn sofort verschwand das Lächeln und Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen wieder. Sofort sprang sie Naoise in den Weg, verschränkte mit einem leicht verzückten sanften Lächeln die Hände vor ihrem Schoss und verneigte sich leicht.

»Bitte entschuldigen Sie, ich meinte es doch nicht böse. Aber Ihre Ausdrucksweise und dann noch diese Ansichten. Verzeihen Sie, ich hätte das nicht so deutlich werden lassen sollen. Aber wenn Sie mir sagen, wo genau Sie hin müssen, dann zeige ich Ihnen gerne, dass wir Engländer ein sehr hilfsbereites Völkchen sind und vor allem zu unseren Nachbarn.«, lächelte die junge Frau.



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