Gin trifft Boss ~ Klappe #1
"Herzlichen Glückwunsch, Gin!"
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„Sag mal, warum schleppen wir noch gleich diesen zehn Kilo schweren Beutel mit uns herum, Aniki?“
„Weil er es befohlen hat. Heute ist ein besonderer Tag. Uns gebührt die Ehre...“
„Ja, Vermouth hat auch etwas in diese Richtung angedeutet, aber sie klang nicht sonderlich glücklich dabei.“
„Ha.“, ein hämisches Lachen entwich dem Leitwolf und er leckte sich grimmig über die blanken Zähne. Dass es diesem Weib missfiel, geschah ihr recht. Irgendwann krallte sich das Karma um die Kehle von Verrätern und diesmal schien es sich das richtige Biest ausgesucht zu haben. Nach diversen Niederlagen hatte der blonde Jäger diesen Moment förmlich herbei gesehnt. Auch wenn er es etwas bereute, dass nicht er den Richtschlag ausführen durfte. Aber wer weiß? Vielleicht hielt Anokata noch eine Überraschung für ihn bereit.
„Aber seltsam ist es schon. Warum dürfen wir uns nicht einmal den Inhalt dieses Beutels ansehen. Ist es denn nötig so ein Geheimnis daraus zu machen?“
„Er will es so, dem haben wir nichts entgegen zu setzen. Akzeptier es. Du wirst die Gründe schon früh genug erfahren.“ Obwohl diese Worte sehr entschieden über seine Lippen kamen, gab seine Körpersprache ein ganz anderes Empfinden preis.
Seine weißen, langgliedrigen Finger krallten sich fester in das feine Polyesterlenkrad. Bisher hatte er dem geradezu nach Beachtung schreienden Plastikbeutel kein bisschen von jener Aufmerksamkeit gewidmet. Obwohl er es ungern zugab, hinterließen die pink schillernden Palietten nicht nur eine Brandspur in seinen Augen, sondern auch seinem Gehirn. Niemand konnte erahnen, was Anokata damit bezweckte, doch innerlich beunruhigte es ihn ein wenig, dass selbst Vermouth die Verfassung verlor.
Eine gewisse Wegstrecke und diverse Zigarettenzüge später, bog der schwarze Porsche in die unasphaltierte Seitenstraße eines Gebirgsforst. Die Wegweisung des Bosses führte sie geradewegs in die nebligste Ecke von Gunma.
„Es entspricht aber seinem Stil, abgeschottet, anonym, nebulös...unheimlich.“, meinte Vodka und konnte das Schaudern in seiner Stimme nicht unterdrücken. Stocksteif gefroren versuchte er indes den Straßenverlauf im Auge zu behalten. Dieser schlängelte sich mühselig einen Weg zwischen den Nadelbäumen. Gin ließ daraufhin nur ein entnervtes Schnauben ertönen. Trotz der aufbrodelnden Spannung, die sich in seinem Inneren breit machte, hasste er jegliche Art von Geheimniskrämerei. Selbst wenn diese Wesensart von ihrem erlauchten Syndikat-Oberhaupt wach gerufen wurde.
Nachdem sie nun gefühlte Stunden durch das Nebelmeer geschwommen waren, erreichte das schwarze Duo endlich eine einsame Waldhütte. Spärlich trat Licht durch die rustikal und verschmiert wirkenden Scheiben. Immerhin ein Zeichen für menschliche Anwesenheit. Das perfekte Versteck, dachte sich Gin und bleckte die Zähne wie ein Bluthund.
Sein wundervoller Porsche verschwand sofort im Dunstschwaden und er schenkte dem treuen Fahrzeug noch einen Abschiedsblick, bevor er Vodka ins Haus folgte. Die Dielen knarrten, aber der Weg zum betreffenden Raum war durch glühende Kerzen Kandelaber gekennzeichnet. Sehr stilvoll, in der Tat.
Kurz vor der Tür zog nicht nur Gin scharf die Luft ein. Seine Handgelenke schraubten sich förmlich um die Griffe der glitzernden Tragetaschen.
„Sir?“, knurrte er ins dünne Licht des Raumes, als er zusammen mit Vodka eben jenen betrat. Vor ihm breitete sich ein majestätischer Schreibtisch aus, vor dem ein hoher Sessel thronte, dessen Lehne ihnen beiden zugekehrt war.
„Ah. Ihr seid pünktlich! Sehr schön!“, pfiff es aus einer völlig anderen Ecke und Gin zuckte ein wenig zusammen. Aus dieser Richtung hatte er keine Stimme erwartet, allein als der Schreck kurz durch seine Glieder fuhr, hatte er die Finger bereits an den Abzug seiner Beretta gelegt.
„Meine Herren, vielen Dank für Ihre Mühe.“
Ein dürrer Mann bewegte sich fröhlich lächelnd auf die Beiden zu. Seine Statur konnte man getrost als Witz bezeichnen – er unterragte Gin um fast zwei Köpfe. Auch sein Auftreten wirkte mindestens genauso einschüchternd wie das eines Labradorwelpen. Beim Anblick seiner leicht vorstehenden Oberlippe und dem breiten dümmlich wirkenden Grinsen, zuckte Gin’s rechtes Auge so stark, dass es ihn beinahe schmerzte.
Misao Yamamura schaute hinauf zu seinen Untergebenen, wie ein aufgeregter Schuljunge, der zum ersten Mal vom Tafeldienst befreit worden war.
„Setzt euch! Ah, und meine Großmutter hat uns freundlicherweise Tee gekocht sowie Plätzchen gebacken. Ja ja, im Gegensatz zu mir hat die alte Dame mitgedacht. Natürlich würdet ihr nach dieser langen Autotour durch die Nebelberge von Gunma, völlig außer Atem sein.“
Er schob Gin und Vodka ohne große Umschweife in die bereit gestellten Stühle vor dem Pult und ließ sich seinerseits in den Sessel fallen.
„Kommen wir gleich zur Sache...“, fing Yamamura an und betrachtete die Beiden scharf.
Vodka schlurfte bedächtig an seinem Tee und ließ den Boss in keiner Sekunde aus den Augen, traute sich nicht einmal zu blinzeln.
Gin nippte nicht einmal an seinem Tee, sondern drückte die dampfende Tasse in seiner Hand so fest, dass sie fast zerbrach.
„Das Problem, welches mir seit geraumer Zeit Sorgen bereitet und weswegen ich euch, meine treusten Kompagnions, in aller Eile hierher bestellt habe, ist folgendes: Unsere Girlband besteht derzeit nur aus vier Sängerinnen und Sängern. Eine Zahl von der jeder weiß, dass sie Unglück bringt. Akemi ist draufgegangen, bevor ich diesen Fehler registriert habe. Alle Rekrutierungsversuche in Bezug auf Sherry haben fehlgeschlagen. Da Girlbands normalerweise aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Haarfarben bestehen, dachte ich zunächst daran Rye dazu zu bewege, einzusteigen. Mit seinen langen Haaren geht er locker als weibliche Asia-Schönheit durch. Zudem lässt es sich damit fabelhaft Head-Bangen, und sie sind schwarz. Das ist vorteilhaft sollten wir aufgrund des Mainstream-Drucks einmal gezwungen sein, das Genre zu wechseln. Aber dann hat sich dieser Verräter seine Mähne abgeschnitten und jetzt sitze ich wieder mit vier dunkelhaarlosen Weibsen da."
Yamamura trommelte entzürnt mit den Finger auf seinen Schreibpult. Vodka zog die linke Braue hoch, verkniff sich aber ein Kommentar und Gin hob die rechte Braue.
"Bis mir dann DIE Idee kam!", fuhr der Boss fort. "Wir nennen unsere Band schlicht und einfach die ‚Blonder Babes’. Damit werte ich die allgemein entwürdigenden Klischees auf, stelle mich aber trotzdem nicht so quer, dass sich unser Neueinstieg in die Charts als Risikoakt darstellt."
Die Pupillen von Ano Kata sprühten Funken der Vorfreude und er griff nach dem paliettenbesetzten Beutel.
Dessen mirakulöser Inhalt entpuppte sich als ein Quartett von Bühnenkostümen, deren Stoffgehalt besonders an Bauch und Beinen sehr knapp bemessen war. An einem Ende baumelte ein Zettelchen, auf dem Vermouth ein kesses 'I told you so' begleitet von einem kitschigen Herzchen gekritzelt hat. Das klein geschriebene 'Willkommen bei den Blonder Babes', wusste Gin zunächst nicht zu interpretieren und hätte sich am liebsten gleich zehn Zigaretten in den Mund gestopft, gleichzeitig angezündet und in einem Zug durchgezogen.
Ano Kata beobachtete Gin's Reaktion mit außerordentlicher Entzückung.
"Und endlich, endlich die Ankündigung, auf die ich heute hingefiebert habe:
Gin, da du eine so wunderbar prachtvolle blonde Löwenmähne besitzt, die auf gewisser Entfernung wie ein Sakrileg wirkt...bist du ab heute der Frontsänger unserer Band!
Herzlichen Glückwunsch!“
Gin’s Kinnlade rutschte hinunter und fiel Hades auf den Kopf.