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GAME OVER

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
SOOOO! Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich es jetzt endlich geschafft. Kapitel "Ricco" ist fertig!!!

Ich habe schon über 100 Seiten und die Vorgeschichte ist immer noch nicht fertig... xD Aber ich habe mir vorgenommen, spätestens in einem oder zwei Kapiteln ENDLICH in die Story vom RPG zu driften, worauf es eigentlich alles hinauslaufen sollte. *sigh* aber ich lass mich manchmal so verleiten, dass ich praktisch 20 Seiten volltippe ohne aufs Wesentliche zu kommen xD Aber... es ist so humorvoll.

Btw es sind mir womöglich wieder einige Fehler reingerutscht, die ich aber durch meine liebe Betaleserin demnächst entfernen werde, sozusagen in einem Update ^^ Komplett anzeigen

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Ricco

„Ricco?!“, eine laute verzweifelte Stimme erfüllte die engen Gassen der Stadt, jedoch wurde sie vom lauten Prasseln des Regens übertönt, welcher unabdingbar auf den kalten, nassen Asphalt einschlug und jede arme Seele, die sich draußen aufhalten musste, bis auf die Knochen durchnässte.

Eine im Mantel gehüllte Gestalt lief durch die Straßen, sie hatte ihn sich bloß übereilt übergeworfen, weshalb er umhangartig im Wind wehte und keinen sonderlichen Schutz vor den Wassermassen darbot. Doch es interessierte sie nicht, unbeirrt lief sie weiter, immer diesen Namen rufend, „Ricco bitte!“.

Ein seltsamer Anblick, dachte sich Ricco, der an eine Mauer gelehnt das seltsame Schauspiel von oben beobachtete. Er saß irgendwo in einem verlassenen Gebäude, eine Ruine, und sah von oben hinab auf die verlassenen Straßen.

Dort unten war sie, die Gestalt, welche immer noch verzweifelt seinen Namen in die Nacht hinaus rief, wohl in der Hoffnung er würde in irgendeiner Weise reagieren.

Doch er tat es nicht.

Seine kalten Augen, schlossen sich langsam und er lehnte sich zurück, der Regen beruhigte ihn. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und nahm sich seinen Musikplayer aus der Tasche.

„Soll sie doch machen was sie will“, hörte er sich leise Flüstern, wobei er sich in eine bequeme Lage brachte. Er fror, jedoch ließ er sich nichts anmerken, selbst wenn es in diesem verlassenen Gebäude niemanden gab, dem er irgendwas hätte beweisen müssen… niemanden außer sich selbst.

Sein Name war Ricco Snow.
 


 


 


 


 


 

***
 

Ruhig träumte er vor sich hin. Er träumte von besseren Zeiten, von einem besseren Ort, von einem besseren… Leben.

Egal was es war, alles war besser als das, was er jetzt hatte, dessen war er sich bewusst. Träume sind nichts anderes als versteckte Wünsche, die dir dein Unterbewusstsein zeigt. Darum liebte Ricco es zu träumen. Es war die einzige Möglichkeit für ihn, sich selbst zu finden und zu klaren Gedanken zu kommen, er war ein viel zu nachdenklicher und verschlossener Junge. Manchmal war es gut, doch meistens… wurde ihm das zum Verhängnis.

Langsam öffneten sich seine Augen, das Licht der Mittagssonne blendete ihn und ließ sie lila aufblitzen.

Vom grellen Licht geweckt hielt er sich den Arm schützend vors Gesicht, wobei er sich mit einem leichten Söhnen zur Seite rollte, um der störenden Sonne zu entkommen.

Sein ganzer Körper tat ihm weh und ihm war kalt.

„Haaa…“, nach Luft schnappend hielt er sich die Hand vor den Mund, „ …tschhuuu!!!“, er musste sich durch den Regen wohl erkältet haben, seine Kleidung war immer noch klitschnass und er fühlte sich fast noch schlimmer als er aussah.

Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Haut kreidebleich.

Seine Haare hingen ihm wirr im Gesicht herum, auch sie waren vom Wetter nicht verschont geblieben.

Leicht zitternd stand er auf, seine Nase lief und er fragte sich für einen Moment, ob es diesmal wirklich nötig gewesen war.

Aber egal, ob ja oder nein, die Erkältung würde er wohl oder übel aushalten müssen. Das war nichts Schlimmes für ihn.

Die Streitereien jedoch, die er sich Zuhause immer antun musste brachten ein viel schlimmeres Leid mit sich. Es beginnt mit so kleinen Dingen, bis es letzten Endes vollkommen eskaliert.

Gestern war ebenfalls solch ein Tag gewesen, weshalb Ricco sich kurzerhand einfach dazu entschloss von seiner Mutter wegzulaufen. Es war einfach zu viel für ihn gewesen, er konnte den Druck nicht mehr aushalten.

Er hatte nicht einmal mehr Zeit gehabt, sich seine Sachen zu packen, sondern er griff sich einfach kurzerhand die Weste seines Bruders und verschwand in die Nacht.

Ja… Ricco hatte einen Bruder. Oder besser, er hatte einen gehabt.

Er war überall beliebt gewesen, in der Schule… in der Stadt… einfach überall. Man kannte ihn. Man liebte ihn. Auch Ricco tat es, sein Bruder war einfach immer für ihn da gewesen, egal was war. Egal, ob Ricco Probleme in der Schule hatte, oder mit Mädchen, er konnte immer auf ihn zählen, doch dann… verschwand er plötzlich. Es passierte von einer Nacht zur anderen, es musste inzwischen knapp 3 Jahre her sein. Die Erinnerung kam wieder in ihm hoch, wobei er spürte, wie sie sich grausam und kalt, einer eisigen Hand gleich, um sein Herz schloss.

Seine Mutter hatte es nie verarbeiten können, ihr ältester Sohn war fort gegangen. Ohne auch nur eine Nachricht zu hinterlassen, ohne Vorwarnung, nicht einmal Anzeichen hatte er gemacht.

Er war verschwunden und ließ sie und seine zwei kleinen Geschwister einsam zurück, er ließ…Ricco zurück.

Ihr Vater war früh gestorben, weshalb es immer die Aufgabe seines Bruders war sich um alles zu kümmern. Er war mehr als bloß ein Bruder, mehr als ein Vater, mehr als nur ein Freund, er war… der Mensch, der Ricco immer sein wollte. Doch dann war er weg. Er war weg und das Leben eines kleinen 13 jährigen Jungen änderte sich schlagartig.

Die Nachricht traf sie alle wie ein Blitz, seine Mutter hatte sich an die Polizei gewand, doch die Beamten spielten alles runter. Es war als würden sie sich nicht einmal dafür interessieren, als hätten sie besseres zutun als sich um eines von unzähligen verschwundenen Kindern zu kümmern.

Sie hatten versucht Ricco’s Mutter zu beruhigen, sie sagten, dass er einfach ein junger 19 jähriger Teenie wäre, der womöglich einfach nur etwas Spaß im Leben haben will und seine Freiheiten genießen würde. So was solle öfters vorkommen haben sie gesagt und sich einfach abgewandt. Irgendwann würde er schon wieder auftauchen hieß es, in wenigen Tagen. Sie hatten Ricco versprochen, dass sie ihr Bestes geben würden, doch irgendetwas hatte Ricco damals schon gezeigt, dass es nichts mehr als leere Worte gewesen waren um ein weinendes Kind zu trösten. So kam es wie es kommen musste und aus Tagen wurden Wochen…

aus Wochen Monate und aus Monaten letztendlich Jahre. Mit jedem einzelnen Tag, verloren sie immer mehr die Hoffnung, der Fall war inzwischen längst in die Akten gelegt worden. Sein Bruder war für die Polizei inzwischen nichts weiter als ein unbedeutendes Foto an einer Wand. Seine Mutter verlor ihren Job, die Trauer hatte sie krank gemacht. Sie verfiel dem Alkohol, dass war die einzige Möglichkeit für sie, mit diesem Verlust fertig zu werden, sie hatte alles verloren, alles was ihr jemals irgendetwas bedeutet hatte. Ihren Mann, ihren Sohn, ihren Job, ihren Stolz. Egal wie sehr Ricco sich bemühte wie sein Bruder zu sein, er konnte es nicht schaffen. Er wurde weggestoßen… geschlagen. Und irgendwann vereiste sein Lächeln und er zerbrach. Seine Augen verloren den Glanz und er stand schon oft kurz davor… einfach den kürzesten Weg nach unten zu nehmen.

Doch er konnte es nicht tun.

Er konnte nicht auch noch seine Familie verlassen, seine kleine Schwester. Sie war inzwischen fast so alt wie er damals, es würde nicht mehr lange dauern und sie könnte ganze 13 Kerzen auf ihrem Kuchen auspusten… doch leider fehlte ihnen das Geld.

Dies war der Grund gewesen, weshalb sie sich überhaupt erst so gestritten haben, Ricco bat seine Mutter um ein wenig Geld für einen Kuchen. Doch sie hatte wieder getrunken und war vollkommen ausgeflippt. Er wollte sich nicht streiten, doch ehe er sich versah waren sie schon längst in einem lauten Gefecht. Er wollte nicht schreien, doch sie hörte ihm nie zu. Egal wie sehr er es versuchte, sie hörte ihm einfach nicht mehr zu.

Diese Zeiten waren vorbei.

Mit leicht gesenktem Kopf lief Ricco über die Straße, die Hände in den Taschen der ärmellosen schwarzen Weste.

Ein Polizei Auto fuhr langsam an ihm vorbei, es handelte sich wohl um eine simple Streife, jedoch spürte er, wie sich die Blicke der Polizisten in seinen Nacken bohrten.

Begründet, dachte er sich, denn er wusste genau wie er aussah.

Ein klitschnasser, verdreckter Junge mit schwarzer Mütze, einer schwarzen Weste und einer schwarzen Hose lief mit gesenktem Kopf durch die dunklen Gassen einer Großstadt, während seine bleiche Haut sich im Spiegelbild der Pfützen wie ein weißes Blatt Papier spiegelte. Seine lila farblichen und blutunterlaufenen Augen machten das Gesamte nicht besser. Er sah womöglich aus, wie der schlimmste und verdreckteste Drogendealer überhaupt.

„Hey!“, rief einer der Polizisten, als Ricco gerade um die Ecke biegen wollte. Ihm schien das wohl auch aufgefallen zu sein, dachte Ricco, der sich mit genervtem Gesicht umdrehte und dabei seine Zähne zusammenbiss.

Ein dicklicher Polizist stieg aus dem Wagen und nahm seine Sonnenbrille ab, wobei er langsam auf Ricco zuging.

Sein Kollege stieg ebenfalls aus, blieb jedoch am Wagen stehen und musterte Ricco mit scharfem Blick.

„Ja?“, meinte Ricco knapp und sah dem Mann in die Augen, der nur noch weniger Meter von ihm entfernt war. Seine Uniform war leicht beschmutzt und Ricco bemerkte, dass er wohl beabsichtigt versuchte bedrohlicher zu wirken, indem er seine Hüfte hervor schob und somit den Blick auf seine Dienstwaffen darbot.

Er hatte einen Schlagstock.

Keine schöne Waffe, dass wusste Ricco nur all zu gut.

Er hatte schon einige Male kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei gehabt, dass lag aber hauptsächlich daran, dass er sie meist als zu unfähig und dämlich einstufte. Meistens hat er Glück und kann abhauen, einmal jedoch…

Er rieb sich kaum merkbar die Rippen, als würde er den Schmerz immer noch spüren, obwohl die Wunde längst nicht mehr zu sehen war. Ein Polizist hatte ihm einst mehrmals die Rippen gebrochen, nachdem dieser in einem Wutausbruch auf Ricco losgegangen war.

Nun, Ricco war auch wirklich provokant gewesen, aber das rechtfertigt doch noch lange nicht, wie ein Irrer auf einen 15 Jährigen einzuschlagen. Wie es aber üblich ist für die Polizei in dieser Stadt, gab es niemanden der zur Rechenschaft gezogen wurde und somit galt es im Krankenhaus als „Unfall“ durch einen „Sturz von einem Baum“. Natürlich war es seine Mutter, die für die Kosten aufkommen musste, was die Familie nur noch mehr kaputt machte.

Ricco hatte also mehr als genug Gründe die Polizei einfach zu verabscheuen, weshalb er auch nahezu jeden Moment nutzte um ihnen so viel Ärger zu machen wie möglich. Doch nicht im Sinne von Kriminalität, sondern einfache Kleinigkeiten, etwas Anderes würde Ricco niemals tun. Drogen gehören zum Beispiel zu diesen Dingen. Er hatte noch nie in seinem Leben irgendwelche genommen, nicht einmal normale Medizin bekam er, da diese einfach zu teuer war. Er verabscheute so etwas von Herzen, jedoch musste er es sich schon oft genug anhören, dass man ihn für den größten Kiffer der Gegend hielt; all diese Beleidigungen wegen einer dämlichen Unterstellung. Überraschenderweise kümmerte es ihn aber nicht sonderlich, sollten die Menschen doch denken, was sie wollen, solange sie ihn einfach in Ruhe ließen. Doch sie konnten es anscheinend einfach nicht, was ihm schon mehr als genug Nerven raubte. All diese verschwendete Zeit für unwichtige Unterhaltungen.

„Wie alt bist’n du?“, der Polizist riss ihn aus seinen Gedanken, als er den Schwarzhaarigen mit unfreundlichem und patzigen Ton anschnauzte, „He?“.

„Sechzehn“, antwortete Ricco knapp und musterte den Polizisten von oben bis unten, „und Sie?“. Er lächelte Schmal, jedoch zeigten seine Augen keinerlei Emotionen, wodurch man merkte, dass Ricco den Polizisten nicht ernst nahm.

„Was geht dich das an“, kam die unfreundliche Antwort.

Langsam kam er näher, seine Hand hatte er auf seinen Schlagstock gelegt, sein widerlicher Gestank stieg in Ricco’s Nase und er spürte, wie das Adrenalin in ihm aufstieg. Er konnte sehr schnell aggressiv werden, jedoch versuchte er es so gut wie es ging zu vermeiden. Leider klappte es nicht immer.

„Was machst n’ du hier?“, fuhr der Polizist fort, man konnte deutlich die Anwiderung in seiner Stimme hören, er schien Ricco also wirklich für genau das zu halten wie er aussah.

„Zur Arbeit gehen“, sagte dieser, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Er konnte einfach nicht anders, die Gelegenheit war einfach zu gut um sich über diesen fetten möchtegern Gesetzeshüter lustig zu machen, „im Gegensatz zu ihnen“.

„Hahaha, sieh mal einer an“, die laute Lache des Polizisten ließ Ricco kurz zusammen zucken, es klang eher wie das Bellen eines zu fett gefressenen Hundes. Mit einem kurzen Blick zu seinem Kollegen kam er näher an Ricco ran, bis ihre Gesichter beinahe direkt voreinander waren.

„Hier haben wir ja einen ganz schlauen“, Ricco roch den widerlichen Atem des Mannes, welcher wie eine Mischung aus Kaffee, Qualm und Bier stank.

Noch bevor Ricco seinen Mund öffnen konnte, packte der Mann ihn am Kragen und hob ihn plötzlich brutal in die Luft.

Ricco hatte ja schon vieles erlebt, aber, dass ein Polizist gleich SO handgreiflich wurde überraschte ihn dann doch, vor allem, weil es wirklich keinen anständigen Grund dazu gab.

„Lassen Sie mich los“, zischte der Junge, wobei er kläglich versuchte, mit seinen Zehnspitzen halt zu finden, doch er rutschte immer wieder ab. Sein Herz schlug schnell und er fühlte wie sein ganzer Körper bebte. Er wollte diesen Scheißkerl auf dem Boden sehen, blutend.

„Oooh, schau mal wie er zittert“, grinsend wand er sich an seinen Kollegen, welcher mit dümmlichem Lächeln an den Wagen gelehnt das Geschehen beobachtete.

Ihm schien die Show zu gefallen.

„Na, wird wohl nichts mit deinen scheiß Drogen, hm?“, er hob Ricco etwas höher, seine Augen waren wild, er war wütend, er spürte langsam wie er die Kontrolle über sich verlor.

„Welche… Drogen?“, seine Stimme war kaum mehr als ein leises Knurren, er hatte unglaubliche Schmerzen, doch er wollte es sich nicht anmerken lassen. Ricco spürte, wie sich langsam Striemen auf seiner Haut bildeten, man würde sie wohl auch noch in einigen Tagen sehen können.

„Die du hier verticken willst du scheiß Junkie!“, mit einen Ruck warf er Ricco gegen eine Wand.

Sein Hinterkopf knallte brutal gegen die dort aufgeklebten Plakate und wirbelten diese auf, woraufhin sie im hohen Bogen durch die Luft flogen. Mit einem unterdrückten Schmerzensschrei sank er zu Boden, das einzige was er sehen konnte waren Sterne , er schmeckte Blut auf seinen Lippen, er hatte wohl darauf gebissen, was war nur in diesen Typen gefahren?!

Langsam fielen die Blätter zu Boden, Ricco’s Augen waren auf seine behandschuhten Hände gerichtet. Sein Kopf schmerzte und er musste erneut niesen. Er spürte wieder die Kälte um sich herum, seine Haare sträubten sich.

„Dir werde ich schon Manieren einprügeln“, meinte der Polizist, welcher sich bedrohlich vor dem auf dem Boden liegenden Jugendlichen aufbaute, die Linke zur Faust geballt, die Rechte den Schlagstock herumwirbelnd.

Langsam spürte Ricco wie es immer schwärzer um ihn herum wurde, die Erkältung war wohl schlimmer als er erwartet hatte und besonders solch eine Stresssituation machte ihm nun zu schaffen.

Der Tatsache mal ungeachtet, dass er von einem ausgewachsenem Polizisten mit dem Kopf voran gegen eine Wand geworfen wurde.

Vom dreckigen Lachen seines Kollegen begleitet trat der Polizist plötzlich mit aller Kraft in Ricco’s Magen.

Ein zweites Mal.

Drei.

Vier.

Ricco’s Augen rollten nach hinten und es war, als würden sich seine Innereien nach außen drehen.

Dann hörte der Mann plötzlich auf.

„Dreck wie dich braucht diese Stadt hier nicht, merk dir das“.

Riccos Augen waren nur noch halb geöffnet, doch er konnte einfach nicht anders. Schwer Atmend und mit unglaublichen Schmerzen rappelte er sich auf und sah den Polizisten direkt an. Er hatte genau das selbe freche Lächeln auf den Lippen, wie auch zu beginn ihrer „Konversation“, nur war Ricco jetzt nicht mehr wirklich dazu in der Lage irgendwas zu sagen, da er spürte wie sich das Blut in seinem Mund ansammelte und sich mit seiner Spucke vermischte.

„Oh Schau mal, er will wohl noch etwas sagen“, grinsend drehte der Polizist sich zu seinem Kollegen um, welcher ihn belustigt ansah. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass so etwas geschieht, sie dachten wohl, Ricco sei einfach ein Obdachloser, der in die Stadt gekommen war um hier seine dreckigen Geschäfte zu erledigen.

Dabei war Ricco wirklich auf dem Weg zur Arbeit gewesen.

Neben der Schule arbeitete er in einem kleinen Kiosk als Aushilfe, doch… dass würde heute wohl ausfallen müssen.

Langsam fand er wieder genug Kraft um zu sprechen: „Abschaum… wie Sie…“, er musste husten, Blut und Speichel flossen ihm aus den Mundwinkeln und jedes Wort schmerzte ihm, „braucht kein… Mensch“, mit letzter Kraft warf er sich herum und spuckte dem Polizisten eine Mischung aus Blut, Speichel und Dreck auf die sauber geputzten Schuhe.

Das war es ihm wert gewesen, es war die größte Respektlosigkeit, die er diesem Dreckskerl noch entgegenbringen konnte.

Die nächsten Schläge waren für ihn fast gar nicht mehr zu spüren, er lag einfach da und ließ auf sich eintreten.

Er war ohnehin nicht mehr dazu in der Lage sich zu wehren, da er langsam fühlte, wie sein Körper taub wurde.

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in die der Polizist voller Beleidigungen und abwertender Fäkalsprache auf ihn einschlug, doch dann irgendwann… war es vorbei.

Der frische Regen prasselte in Ricco’s Gesicht und er lag einfach nur da. Mitten auf dem Bürgersteig, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Er lag in seinem eigenem Blut, doch… er Lächelte. Er hatte erreicht was er wollte. Der Regen wusch ihm den Dreck vom Gesicht und spülte das Blut fort. Der Regen konnte alles reinwaschen. Ricco’s Knochen schmerzten und ihm war kalt, doch er war nicht mehr dazu in der Lage aufzustehen. Sein Atem war schwer, dieser Polizist muss es wirklich genossen haben, ihn so grundlos zu verprügeln. Irgendwann würde er es ihm zeigen. Irgendwann. Er war mehr als entschlossen.

Seine Kleidung war inzwischen wieder komplett durchnässt, diesmal würde es wohl mehr als nur eine einfache Erkältung werden. Wäre er doch einfach nur zuhause geblieben, es war doch bloß so eine Kleinigkeit. Es ging um den Geburtstag seiner kleinen Schwester. Was würde nur aus ihr werden, wenn er irgendwann nicht mehr da wäre? Er kann ihr nicht das gleiche antun wie sein Vater, wie… sein Bruder. Er kann sie nicht auch noch verlassen.

Alle Spuren des Drecks waren inzwischen wieder rein gewaschen, es waren beinahe kaum noch Anzeichen von der Brutalität des Polizisten übrig geblieben. Ricco genoss förmlich den prasselnden Regen auf seiner Haut. Auch wenn ihm kalt war, war es dennoch… angenehm.

Nur Schnee war schöner, sein Lächeln wurde breiter, er streckte seine Hand aus und dachte wieder einmal an seinen Bruder, „Wo bist du nur… Snow?“. Dann fiel er in einen tiefen Schlaf.
 

***
 

Ruhige Musik spielte in einem von einer Heizung gewärmten Zimmer. Das erste was Ricco auffiel als er langsam wieder zu Bewusstsein kam war der merkwürdige Geruch von… Zimt.

„Na, riecht gut oder?“, eine sanfte Stimme hinter ihm ließ Ricco zusammenzucken, instinktiv wich er zurück.

„Haha, keine Angst, ich bin’s doch nur“, mit breitem Lächeln kam eine ältere Frau zum Vorschein, sie war relativ klein, dafür aber umso dicker und erinnerte auf dem ersten Blick dadurch stark an einen… Ball. Ricco kniff die Augen zusammen, dieses Gesicht kam ihm bekannt vor.

„Es hat dich wohl härter erwischt als erwartet hm?“, leicht besorgt kam sie näher und endlich wurde Ricco klar, wen er dort vor sich hatte. Mrs. Lake, die Mutter seines besten Freundes.

„Mrs. Lake!“, überrascht sprang Ricco auf, woraufhin er sofort den fremden Pyjama bemerkte, der ihm wohl angezogen wurde.

Man war ihm das peinlich.

Leise kicherte die Frau, wobei sie ihm freundlich einen Teller Kekse hinhielt.

Zögernd nahm Ricco sich einen.

Er hatte keine Ahnung wie er hierher gekommen war und vor allem wieso, sobald er aber jedoch diesen wunderbar zimtigen Geschmack des Kekses auf seiner Zunge spürte war alles Andere vergessen. Er liebte diese Frau einfach für ihre Kochkünste, sie war in der ganzen Stadt dafür bekannt. Sie hatte sogar eine eigene Konditorei, selbst außerhalb der Stadt begehrte man ihre Kreationen. „Rainbow Biscuit“, hieß ihr kleiner Laden.

Ricco war als Kind oft dort gewesen, jetzt jedoch hatte er recht wenig Zeit für seine Freunde. „Ist Zack da?“, fragte er, nachdem er sich einen weiteren Keks gegönnt hatte. Man sah es ihm vielleicht nicht an, aber er liebte nahezu jede Art von Naschzeug, er und Zack hatten früher oft tagelang nur zusammen rumgehangen und neue Rezepte der Mutter probiert.

Eines köstlicher als das Andere.

„Er war es sogar, der dich gefunden hat“, sie schien leicht bedrückt zu sein, ihr fiel es anscheinend schwer über Zack zu reden. Also gab es immer noch… diese Sache.

Zack war schon immer ein Rätsel für sich, er hat sich in all den Jahren sehr stark verändert. „Wie könnt ihr beide nur immer in so viele Schwierigkeiten geraten“, leicht seufzend patschte sie Ricco auf den Kopf, es war ungewohnt für ihn keine Mütze zu tragen. Er mochte es nicht so, wenn man seine Haare anfasste. Er hielt seine Frisur recht simpel, meistens fuhr er sich einfach schnell mit der Hand hindurch und fertig war er. Dann noch die Mütze und Ende. Außerdem braucht er dann nicht immer fünf Stunden im Bad zu hocken um sich irgendeine aufgestylte Frisur zu machen. Am Besten noch irgend so einen Quatsch wo der Scheitel das ganze Auge verdeckt.

Er lächelte Mrs. Lake an, sie war wirklich eine liebevolle und fürsorgliche Frau, besonders in den letzten drei Jahren war sie viel für ihn da gewesen, damit er besser den Verlust von Snow verarbeiten konnte, seinem Bruder.

Nun… seine Freunde hatten ihn Snow genannt. Sogar die Lehrer. Wirklich jeder mochte ihn, seine ganze Ausstrahlung war einzigartig, er war einfach die Sympathie in Person. Ganz anders als Ricco. Er hatte nicht einmal die Chance bekommen so zu werden wie sein Bruder, denn sie wurde ihm genommen, von all diesen Menschen. Er konnte so viele nicht leiden, doch das beruhte auf Gegenseitigkeit. Ricco konnte nie verstehen, wie Snow es schaffte sich bei allen Menschen beliebt zu machen.

Snow war ein Held für ihn, jemand der alles schaffen könnte.

Er selbst hingegen war aber einfach nur Ricco Snow… nicht mehr, nicht weniger. Anders als sein Bruder, war Ricco kalt und eisig. Er hatte nicht diese „Schönheit“ und „Grazie“ die sein Bruder ausstrahlte, nein, er war anders.

Ganz anders.

Er hatte nie wirklich in die Gesellschaft gepasst, immer wurde er ausgeschlossen, jedoch… gab es immer jemanden auf den er zählen konnte. Snow war einfach immer da gewesen, überall.

Zack hatte dasselbe Schicksal zu ertragen wie Ricco, auch mit ihm wollte niemand irgendwas zu tun haben. Jedoch bestand der Unterschied zu ihnen darin, dass er immer dazu gehören wollte, ganz anders als Ricco. Irgendwann haben sie sich einfach auseinander gelebt, die Treffen wurden immer seltener, die Gespräche immer kürzer und irgendwann… kam gar nichts mehr.

Doch es war letzten Endes immer noch Ricco’s „bester“ Freund, denn wo es keine Konkurrenz gibt, ist das Einzige immer das Beste. Zumindest aus Ricco’s Sicht.

„Geht es ihm gut?“, fragte er, als er ihren leicht besorgten Blick bemerkte. Als sie sah, wie er sie musterte setzte sie wieder ihr herzlichstes Lachen auf und hielt ihm erneut die Kekse hin.

„Ach, er hat jetzt so eine neue Freundin… Biscotte glaube ich“, sie selbst nahm sich auch einen und legte deshalb eine kurze Sprechpause ein, „sie ist etwas… merkwürdig, leicht verpeilt, aber sonst ganz nett, sie macht ein Praktikum bei uns in der Konditorei, aber mal ganz unter uns, hihi, ich glaube sie ist eher mit naschen als mit arbeiten beschäftigt“.

Ihr zwinkern sagte mehr als tausend Worte, denn erneut erinnerte Ricco sich daran, wie es war, als Zack und er noch kleiner waren. Sie haben nahezu alles mitgehen lassen, was unbeaufsichtigt in der Konditorei herumlag, zum Ärger von Mrs. Lake natürlich, doch sie konnte nie lange böse sein und belohnte sie letzten Endes sogar immer mit Keksen und Kuchen.

„Ich habe ihn länger nicht mehr gesehen“, meinte Ricco mit einem Lächeln. Doch innerlich war ihm nicht wirklich danach, Zack wollte wie gesagt immer in die Gesellschaft hinein… nun, er hatte es irgendwann geschafft. Wenn auch auf eine andere Art und Weise. Eine, die Ricco nahezu verabscheute.

„Vielen Dank für die Kekse, ich denke, ich sollte-“

„Mutter?“, eine scharfe, direkte Stimme, schnitt Ricco das Wort ab. Beide Köpfe drehten sich zur Tür, wo plötzlich ein großer gut aussehender Junge ins Licht trat. Seine Augen waren ernst, doch er grinste beim Anblick seines alten Freundes.

„Ich lass euch beide mal alleine, ihr habt sicherlich… einiges zu besprechen“, mit einem leicht verkrampften Lachen, stellte sie den Teller auf den Tisch und tippelte an ihrem Sohn vorbei in Richtung Küche.

„Ricco“, mit offenen Armen kam der blonde Junge auf Ricco zu. Seine Arme waren mit Verbänden eingewickelt und ein weißes Tribal prägte sein knallrotes T-Shirt. Es war das Zeichen einer Gang. Aber dies war eine andere Geschichte.

„Zack“, antwortete er und ließ sich von seinem Freund umarmen. Es fühlte sich merkwürdig an. Vor allem, weil sie so lange nicht mehr miteinander gesprochen hatte. Zack war viel zu sehr damit beschäftigt seiner… Arbeit nachzugehen.

„Du hast ganzschön was abbekommen“, meinte dieser und inspizierte das Gesicht von Ricco, „wer war das? ...etwa eine rivalisierende Gang? Fuck. Die sollten sich doch aus unserem Gebiet raus halten“, er sah ihm ernst in die Augen. Ricco kannte diesen Blick, es war typisch für ihn, alles drehte sich nur noch um Macht und Revierkämpfe. Ricco war froh, dass er damals nicht auf dieses schwachsinnige Internat gegangen war, sonst wäre er jetzt vermutlich auch in dieser albernen „Gangszene“ drin.

„Nein, es waren die Cops“, er wischte demonstrativ Zacks Hand weg, als Zeichen, dass es schon okay wäre.

„Die Cops? Wer sind die Cops?! Sind die neu?“, mit gerunzelter Stirn griff er sich an seinen Gürtel um sein Handy zu zücken.

„Hey nein, ich rede von den Polizisten. Meine Fresse, pack’ dein Handy weg, du bist jetzt nicht in deiner Gang Zack“, genervt verdrehte Ricco die Augen. Das war es was sich an Zack so verändert hatte. Es gab nicht mehr IHN, sondern nur noch seine Gruppe. Es war beinahe unmöglich ihn jemals alleine zu erleben. Doch eines musste man ihm lassen… er hatte sich wirklich einen Namen gemacht. Wenn auch eher im negativem Sinne, doch Ricco hoffte, dass Zack irgendwann wieder einmal zu Verstand kommen würde. Damit sie wieder Freunde sein konnten…wie früher. Doch das würde voraussichtlich noch eine Weile dauern.

„Du wurdest von Polizisten verprügelt??“, Zack fing an zu lachen, „zu schade, dass ich das verpasst habe, hahaha, hoffe du hast es ihnen richtig gezeigt“. Egal was Ricco gesagt hätte, Zack hätte es ohnehin nicht richtig verstanden, weshalb er einfach nur nickte.

„Du solltest dich nicht alleine in diesen Bereichen der Stadt aufhalten, du weißt wie das Spiel läuft“.

In Wahrheit hatte er nicht einmal den Hauch einer Ahnung.

„Und naja… auch diese Farben sind nicht sonderlich klug. Aber… wie auch immer. Wie geht es dir? Gibt es etwas Neues? Wie geht es Alice?“, der Schwarzhaarige wunderte sich, dass Zack seine kleine Schwester ansprach. Sie hatten nie sonderlich viel miteinander zutun gehabt. Dies war das erste Mal gewesen, dass er überhaupt nach Ricco’s Familie fragte. Merkwürdig.

„Naja… ein Paar Probleme zuhause, aber ansonsten ist alles okay. Ich denke ich verliere jetzt meinen Job wegen dieser Scheiße mit der Polizei, aber das ist okay, er war sowieso beschissen bezahlt. Alice geht es ziemlich gut… sie wird nächste Woche dreizehn“, während er sprach hatte er sich erneut ein Paar Kekse genommen, sie waren wirklich köstlich. Der Duft von warmen Kuchen strömte ihm in die Nase, Zack’s Mutter war wohl erneut dabei zu backen, wie eigentlich immer.

„Wow… schon dreizehn?“, Zack sah mit einem nachdenklichem Blick an die Decke, „weißt du Ricco… es ist echt schön dich zu sehen. Alles ist so voller Stress und dann noch dieser ganze andere Scheiß… es ist echt eine Abwechslung mal ein Gesicht zu sehen von Jemanden, der dir nicht sofort eine reinhauen will“.

Ricco antwortete nicht, sondern beobachtete Zack einfach schweigend vom Bett aus. Sein blick fuhr herum, auf der Suche nach seiner Kleidung, jedoch konnte er sie in all dem Chaos nicht finden. Es war ihm einwenig unangenehm bloß im Schlafanzug im Bett seines ehemals besten Freundes zu sitzen, während dieser nachdenklich Löcher in die Luft starrte.

Aber auch wenn er woanders hingestarrt hätte, wäre ihm das unangenehm gewesen, Ricco mochte einfach keine Schlafanzüge.

Von ihm aus, könnte Zack hinstarren wo er wollte.

„Ich habe gehört du hast eine neue Freundin, stimmt das?“, sie hatten so lange nicht mehr miteinander gesprochen und schon fiel ihnen nichts mehr Gescheites ein worüber sie sprechen könnten.

Ricco führte Smalltalk.

Mit seinem besten Freund.

Nach etlichen Jahren.

Das nennt man doch mal wahre Freundschaft.

„Ja, Biscotte, ein wenig dümmlich aber eigentlich ganz süß“, antwortete Zack knapp. Erwartungsvoll sah Ricco ihn an, doch nach einer gefühlten Ewigkeit merkten beide, dass es wohl nicht mehr viel zu erzählen gab.

„Nun ehm… danke für’s von der Straße kratzen“, fing Ricco dann zögernd an, wobei er Zack versuchte klar zu machen, dass es wohl langsam für ihn an der Zeit war zu gehen.

„Hey, ich wollte dich eigentlich ausrauben, doch dann habe ich bemerkt, dass mir dieses Gesicht irgendwie bekannt vorkam“, antwortete er mit einem verschmitzen Lächeln. Ricco wusste, dass seine Worte in Wahrheit kein Spaß waren. Zack ist leider echt so ein… Arschloch geworden. Das ist auch einer der Hauptgründe wieso die „Freundschaft“ so zerbröckelt ist. Ricco hatte sich früher geprügelt um sich zu verteidigen, oft mit Zack an seiner Seite, doch irgendwann hat Zack angefangen sich aus Spaß zu schlagen und Schüler fertig zu machen, nachdem diese vor ihm zurückwichen. Das war kein Respekt, den sie ihm brachten, es war Angst. Es stieg ihm zu Kopf und ließ ihn denken, nur mit Gewalt könne man etwas im Leben erreichen. Zack war brutal und hinterhältig, selbst wenn man es ihm nicht ansah, doch… es war nicht Ricco’s Aufgabe sich darum zu kümmern.

Zack sollte sein eigenes Leben haben, sich seine eigene Geschichte schreiben. Snow hätte nie gewollt, dass Ricco so wird, weshalb dieser sich letzten Endes komplett von Zack abgewandt hatte. Doch er war in eben solchen Momenten wirklich froh, ihn zumindest nicht als Feind zu haben, denn letzten Endes war seine Mutter immer noch die begnadete Konditorin, deren Kuchenduft einen nahezu verrückt machte. Niemals könnte er darauf verzichten, besonders der Apfelkuchen hatte es ihm angetan.

Während Ricco so ans Essen dachte, nahm Zack ein Bündel von seinem Tisch und warf es ihm zu, „Hier“.

Ricco fing es auf und merkte sogleich, dass es sich dabei um seine schon vermisste Kleidung handelte.

„Danke“, meinte er und wickelte sie aus. Sie war frisch gewaschen und noch warm er roch das Waschmittel, es duftete einfach wundervoll. Am liebsten hätte er darin geschlafen. Plötzlich musste er wieder Niesen. Er hatte ganz vergessen, wie erkältet er war doch… da war sie plötzlich wieder. Die Erkältung.

„Oh man Ricco“, überrascht sah Zack ihn an, „du steckst hier noch Jemanden an! Wenn meine Mutter sich ansteckt sieht’s schlecht aus für die Konditorei…warte mal…“, er nahm sich einen Schlüssel aus der Hosentasche und ging zu einem Schrank am anderem Ende des Raumes.

Er schloss ihn auf und kramte darin herum, wobei er leise eine Melodie vor sich hin summte.

Manchmal wusste Ricco echt nicht was er von Zack halten sollte, es gab immer wieder Momente, wo er in ihm einfach nur… seinen besten Freund sah. Doch dann… war er wieder das kalte und herzlose Gangmitglied. Nach kurzer Suche wurde Zack anscheinend fündig, was man an seinem kleinen triumphierenden Ausruf bemerkte, den er ausstieß, „Ha!“.

„Was… hast du?“, Ricco schniefte, seine Augen tränten leicht, diese Erkältung war echt die Hölle.

Ohne irgendwas zu sagen warf Zack ihm erneut etwas zu, diesmal war es jedoch kleiner und weit aus leichter, als zuvor die Kleidung. Jedoch konnte er diesmal nicht sofort erkennen was es war. „Was ist…das?“, Ricco sah sich den Gegenstand an, welcher sich in seiner Hand entfaltete.

Es war eine Halbmaske, sie war weiß, mit einem Atemfilter.

„Das ist eine spezial Maske, sie reinigt die Luft von Außen für dich und sorgt gleichzeitig auch dafür, dass von innen nichts raus kommt. Es bringt also einen doppelten Nutzen für sich, wenn du zum Beispiel eine Stauballergie oder so was hast“, Zack hielt einen zweiten Gegenstand in der Hand, jedoch war Ricco nicht dazu in der Lage ihn eindeutig zu identifizieren.

„Ich habe aber keine Stauballergie“, meinte er mit gerunzelter Stirn. Zack hielt die Hand hinter seinem Rücken versteckt, sodass es Ricco nun vollkommen unmöglich war einen Blick auf den seltsamen Gegenstand zu erhaschen. Was war das bloß?

„Dennoch kannst du jemanden anstecken“

„Aber ich gehe nicht unter Menschen“

„Setz die verdammte Maske auf!“, leicht genervt sah Zack ihn an.

„Okay, okay“, mit einem Seufzen tat Ricco, was Zack ihm sagte und… seine Erkältung war kaum noch zu bemerken.

Es war ein nahezu erschreckender Unterschied.

Die Maske deckte sowohl Nase als auch Mund ab, jedoch war es der Filter, der besonders außergewöhnlich hervorstach. Kaum hatte Ricco die Maske aufgesetzt spürte er, wie seine Atemwege frei wurden und jeglicher Drang zum Niesen war verschwunden.

„Beeindruckend nicht wahr?“, Zack schien genau zu wissen, was Ricco dachte, „das sind spezielle Filter, Gerüchten zufolge sind sie sogar so sensibel, dass sie es schaffen nahezu jegliche Schadstoffe aus der Luft zu Filtern. Beinahe so gut wie eine Gasmaske!“.

Beeindruckend war es tatsächlich, dass musste Ricco zugeben. „Wow…ehm… danke“, seine Stimme klang etwas gedämpfter, jedoch war es kein größerer Unterschied als zuvor.

Diese Maske war wirklich bemerkenswert.

„Kein Problem, war ein Geschenk einer Firma… ich glaube das war dieses komische ‚Vales’ Unternehmen… aber wie auch immer, das hier… habe ich auch noch für dich“, nach kurzem Zögern hielt er ihm die Hand entgegen. Verwundert nahm Ricco den Gegenstand an sich und er spürte sogleich, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Fassungslos sah er in Zack’s hellblaue Augen.

Es war ein Taschenmesser, jedoch nicht irgendeines… es war schwarz-silbern verziert, genau wie die Klinge selbst. Ricco ließ sie herausspringen und betrachtete sie von oben bis unten.

Er kannte dieses Messer nur zu gut.

„Wo hast du das her?“, seine Augen wurden kalt und seine Stimmung änderte sich schlagartig in Misstrauen. Es war das Messer seines Bruders. Snow hatte es immer bei sich gehabt, egal wo er hinging, es war seine größte Kostbarkeit gewesen.

„Woah, hey, nicht sauer werden“, erschreckt über Ricco’s plötzlichen Sinneswandel wich er einen Schritt zurück, „ich habe es gefunden, es ist schon eine Weile her, es lag an einem Fluss, einer meiner Leute hat es mir gegeben. Ich habe es sofort erkannt… so etwas vergisst man einfach nicht“.

Skeptisch sah Ricco seinen ehemaligen besten Freund an, wieso zur Hölle sollte urplötzlich das Messer seines Bruders auftauchen; nach all dieser Zeit; und wie kann es sein, dass es zufällig Zack in die Finger fällt? Er glaubte der ganzen Sache nicht so ganz.

„Wirklich Ricco, du weißt, dass ich dir so was niemals vorenthalten hätte“, einwenig nervös betrachtete Zack die scharfe Klinge des Messers. Es war schon mal so gewesen, dass Zack einige Dinge von Snow und Ricco gestohlen hatte, jedoch war er sich diesmal wirklich bewusst, wie viel Ricco dieses Messer bedeutete, „du weißt das!“. Man konnte leichte Anspannung in seiner Stimme heraushören, war es richtig gewesen Ricco das Messer zu geben? Nach kurzem Überlegen, ließ Ricco die Klinge wieder rein schnellen. Es war nicht ein Rostfleck darauf zu sehen gewesen, sie war blitzblank. Ricco nickte Zack zu, was ihm deutete, dass er ihm glaubte. Auch wenn er es nicht wirklich tat.

„Okay, du solltest dich dann mal umziehen, wenn du magst kannst du gerne noch mit uns essen… du warst ewig nicht mehr hier“, zögernd ging Zack Richtung Tür, er wusste, dass er Ricco’s Gefühle mit diesem einen Gegenstand komplett aufgewühlt hatte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen schloss er die Tür hinter sich und ließ Ricco alleine im Raum zurück.

Mit einem Seufzen, ließ sich Ricco zurück aufs Bett fallen.

Er zog sich das Oberteil aus, und entblößte seinen Oberkörper.

Er war nicht sonderlich begeistert vom Sport, doch dennoch waren gewisse Ansätze von Muskeln zu erkennen, er tastete an seine Rippe und fühlte eine unsichtbare Narbe. Hier waren sie gebrochen worden. Nun war es nichts weiter als ein Phantom, doch für ihn war sie nach wie vor existent. Seine Hand strich weiter über seinen Bauch, er war hart, doch die Berührung schmerzte. Es würden wohl einige blaue Flecken zurückbleiben. Er stand auf und stellte sich vor den Spiegel, welcher am anderen Ende des Zimmers stand. Er sah besser aus, als er es erwartet hatte. Seine schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, jedoch wirkten sie nicht mehr so nass und eklig wie vorher, auch sein Gesicht war gewaschen. Seufzend nahm er die Maske ab und warf sie neben sich auf den Boden. Sofort fühlte er wie es schlimmer wurde mit seiner Atmung, doch es kümmerte ihn wenig. Er hob seine bleiche Hand und legte sie auf den Spiegel, wobei sein reflektiertes Antlitz genau das Selbe tat.

Er kam mit dem Gesicht näher heran und sah sich einfach nur tief in seine lilafarbenen Augen.

Die Zeit verstrich, doch es machte ihm nichts aus.

Ricco hätte ewig dort stehen können, es war ein Moment der inneren Ruhe, in der er zum ersten Mal seit langem all seine Gedanken fassen konnte. Das Messer hielt er fest in seiner linken Hand, wobei er die Stirn an den Spiegel presste und sich somit direkt in die Augen sah. Er hörte eine Uhr hinter sich ticken, doch sie wurde vom lauten klopfen seines pochenden Herzens übertönt.

Alles war unbedeutend geworden, es gab nichts Wichtiges mehr auf dieser Welt. Es gab nur ihn und dieses Messer. Es gab nur diesen Moment. Es war das einzige Zeichen von seinem Bruder seit 3 Jahren. War er etwa doch noch am Leben? Krampfhaft umklammerte er den Griff des Messers, beinahe so stark, dass sich seine Fingerknöchel hervorhebten. „Wo bist du nur Snow?“, mit gesenktem, an den Spiegel gedrücktem Kopf, sah er sich das Messer erneut an. Es war ohne Zweifel das von seinem Bruder.

Ein weiteres Mal ließ er die Klinge hervor schnellen und betrachtete sie. Er wusste noch genau, wie er und sein Bruder einmal Zelten gewesen waren und er kläglich daran gescheitert war eine Spitze in einen Stock zu schnitzen. Snow hatte es ihm gezeigt, Snow hatte ihm so vieles gezeigt. Er teilte beinahe all sein Wissen mit seinem kleinen Bruder, doch… eines konnte er ihm nie zeigen, nämlich, wie man sich gut in die Gesellschaft hinein lebte. Zärtlich fuhr er mit seinem Finger über die Klinge, sie war scharf. Es war kein einziger Kratzer darauf zu spüren, doch… irgendwas wirkte komisch. Er ging einen Schritt zurück und sah sich die Rückseite der Klinge noch einmal an. Irgendetwas war dort, jedoch konnte er nicht genau erkennen was genau es war.

Es war nicht mehr als ein einfacher Lichtblitz, jedoch hätte dies nicht sein dürfen. Die schwarze Klinge bestand aus einem extra matten Metall, welches speziell dafür diente, das Licht so wenig wie möglich zu reflektieren, weshalb es eigentlich unmöglich sein sollte, dass sie einen Lichtblitz zurückwarf. Doch sie tat es. Doch nur an einer kleinen Stelle. Suchend sah Ricco sich im Raum um, irgendwo musste doch eine Lampe sein, oder irgendeine andere Lichtquelle! Er fuhr herum und sein blick schweifte durchs Zimmer, irgendetwas stand auf dem Messer, er wusste es genau. War es eine Nachricht? Von seinem Bruder? Hektisch durchsuchte er die Schubladen, ihm war es momentan vollkommen egal, was Zack davon halten würde, es ging um wichtigeres. Plötzlich fand er wonach er gesucht hatte. Er hielt eine kleine Taschenlampe in der Hand, kurz vergewissernd, dass sie funktionierte, schaltete er sie an und steckte sie sich in die Hosentasche. Wenn er die Rollos schließen würde und das Deckenlicht ausschaltete, würde es dunkel genug im Raum sein müssen, dass er sie benutzen konnte. Ohne weitere Gedanken zu verschwenden, verdunkelte er das Zimmer seines besten Freundes, bis er letzten Endes fast in vollkommener Dunkelheit dar stand. Seine Kleidung hatte er inzwischen vollkommen vergessen, sie lag immer noch auf dem Bett. Seichtes Licht leuchtete unter dem Türspalt hervor, jedoch war es so knapp, dass es Ricco nicht bei seinem vorhaben stören würde. Er schaltete die Lampe an und richtete den Strahl des Lichtes auf die Klinge.

Nichts geschah.

Verwundert versuchte er es aus anderen Winkeln, doch es geschah einfach nichts. Hatte er es sich etwa nur eingebildet?

Wurde Ricco etwa schon paranoid? Wie konnte er auch nur daran denken, dass er rein zufällig das Messer seines Bruders findet und darauf dann auch noch eine Nachricht versteckt sein sollte?

So was geschah doch bloß in billigen Fanfictions.

Seufzend wollte er die Klinge gerade wieder rein springen lassen, als er erneut das Blitzen bemerkte, wenn auch nur aus dem Augenwinkel. Er hatte es sich doch nicht eingebildet!

Hastig versuchte er wieder den Strahl in die richtige Position zu bringen, damit er endlich lesen konnte, was auf dem Messer stand.

Die Neugierde ließ ihn nahezu durchdrehen, sein Herz fühlte sich schwerer an und ihm war, als würde er jeden Moment umkippen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er immer noch ohne Maske dar stand, was womöglich ebenfalls einen beachtlichen Anteil an seinem schlechten Zustand hatte.

Doch dann sah er es plötzlich. Etwas wurde von der Klinge reflektiert. Er hatte die Stelle endlich gefunden.

Ein Lächeln flog über seine Lippen, er nahm die Lampe und hielt sie näher an die schwarze Klinge heran. Das Blitzen war nun einem einfachem Leuchten gewichen, da er es geschafft hatte, das Licht im richtigen Winkel auf die Eingravierungen strahlen zu lassen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wieso Snow eine Nachricht auf seinen kostbarsten Besitz ritzte und ihn somit vollkommen entstellte. Aber noch merkwürdiger war es… dass die Nachricht so versteckt gewesen war. Es war mehr ein Rätsel, als wirklich eine Mitteilung. Hätte Ricco es nicht zufällig so im Licht gehalten, hätte er es wohl nie gemerkt. Zudem hätte es für Unwissende gar keine Bedeutung gehabt, ob die Klinge nun blitzt oder nicht, da sie sich nicht der Besonderheit des Messers bewusst waren.

Es musste also eine tiefere Bedeutung haben als ein einfacher „Gruß“. Langsam versuchte Ricco die Nachricht zu entziffern, er konnte es jedoch nur sehr schwer erkennen. Anscheinend war es mit irgendeinem kleinen spitzen Gegenstand übereilt in das Metall geritzt worden, jedoch so schwach, dass man es mit dem bloßen Finger nicht hätte erfühlen können.

„Sechs…null…zwei“, las er langsam vor, als ob er sich damit vergewissern wollte, dass es wirklich echt war und nicht einfach nur ein Hirngespinst. Doch es stand wirklich dort.

Es waren einfach nur drei Zahlen.

602.

Alles andere war unleserlich oder zerkratzt.

Er wiederholte diese Zahlen in seinem Kopf.

602… 602… 6…0…2

Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Snow sie jemals zuvor erwähnt hatte. Enttäuscht ließ er das Messer sinken und schaltete die Lampe aus. War das echt eine Nachricht von Snow? Langsam hegten ihn leichte Zweifel. Sicherlich hatte sich irgendein Obdachloser an dem Messer zu schaffen gemacht und spaßeshalber irgendeine scheiß Nummer darauf geritzt.

Bestimmt hieß der Rest der Nachricht so was wie „Hahaha, du Idiot“. Ein wenig niedergeschlagen schaltete er wieder die Lichter an und fing endlich damit an sich umzuziehen. Nach kurzer Zeit war er fertig, woraufhin er sich die Maske vom Boden nahm und sie sich neben seinen, vollkommen kaputten, Musikplayer in die Tasche steckte. Glücklicherweise hatte er noch einen Zweiten, weshalb ihn der Jetzige nicht all zu große Sorgen bereitete. Er würde das Teil schon irgendwie loswerden.

Das Messer hatte er sich ebenfalls eingesteckt.

Langsam ging er in die Küche, wo ihn erneut der schmackhafte Kuchenduft überwältigte. Leider war seine Nase verstopft, weswegen er bedauerlicherweise nicht mehr dazu in der Lage war, den Duft in vollen Zügen zu genießen. Doch selbst diese Kleinigkeit an Geruch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass er bis auf die wenigen Kekse den ganzen Tag nichts gegessen hatte.

Vom Trinken wollte er gar nicht erst anfangen. Kein Wunder, dass er bei jeder Bewegung beinahe zusammenbrach und ihm schwarz vor Augen wurde.

„Oh, da bist du ja“, freundlich begrüßte ihn Mrs. Lake, die grade dabei war ein Tablett aus dem Ofen zu heben. Durch ihre kleine, aber rundliche Körperstatur war es einfach ein niedlicher Anblick, wie sie sich da so über den Ofen beugte.

„Sekunde ich helfe ihnen“, bot Ricco ihr an und war schon dabei sich Topfhandschuhe anzuziehen, als Zack erneut wie aus dem Nichts im Türrahmen erschien und ihn mit scharfen Augen beobachtete. „Ach, ich komm hier schon klar“, winkte Zack’s Mutter ab, die die Anwesenheit ihres Sohnes anscheinend nicht bemerkt hatte. Irgendetwas in Zack’s Blick war merkwürdig, doch Ricco vermochte nicht zu sagen was der Grund dafür war. Eventuell gab es erneut Probleme in seiner Gang, eine Sache also, die Ricco selbst nicht im Geringsten kümmerte.

Dennoch konnte Ricco ihn nicht einfach so stehen lassen, nicht nachdem er ihm doch in einer Art und Weise wirklich geholfen hatte. Wer weiß was passiert wäre, wenn Zack nicht gekommen wäre? Vermutlich würde er dann immer noch dort liegen, im Nassen, blutend. Zudem hätte er niemals irgendwas von dem Messer mitbekommen, es gab also genug Gründe Zack trotz all der Probleme die er immer verursacht hatte in irgendeiner Art und Weise… sympathisch zu finden. Immerhin war er so ziemlich die einzige Person, die Ricco aus freien Stücken geholfen hatte.

„Kann ich irgendwas für dich tun Zack?“, fing er also an, auch wenn er sich sogleich unsicher war, ob er überhaupt helfen wollte.

„Könntest du mir einen gefallen tun Ricco? Es ist nicht viel“.

„Kommt drauf an was es ist“, der Schwarzhaarige runzelte die Stirn, er wollte sich nicht wirklich in die Angelegenheiten von Zack einmischen, da sie teilweise wirklich arg an der Legalität kratzten doch… es war das mindeste was er für seinen alten Freund tun konnte.

Als hätte er Ricco’s Antwort bereits vorausgesehen holte er plötzlich ein kleines Päckchen hinter seinem Rücken hervor, es war rund und kaum größer als eine Faust. Das war es also.

Ricco sollte Postbote spielen. Zögernd nahm er das Päckchen an sich und steckte es sich in die Westentasche, „Ich schätze mal, du sagst mir nicht was es ist, von daher überspringe ich diesen Part einfach mal und frage gleich wo es denn hingehen soll“.

Zu seiner Verwunderung musste Zack lachen, „Nein, es ist nicht so wie du denkst. Es ist ein Geschenk an Biscotte. Es wäre nett, wenn du es ihr in der Konditorei vorbeibringen könntest, sobald du nachhause gehst. Du weißt ja wo sie ist, du wirst Biscotte schon erkennen“.

„Oh… klar kann ich machen“, Ricco hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit solch einer… zuvorkommenden Sache, „naja, ich erledige es am Besten sofort, ich muss ja auch noch irgendwann einmal nachhause“.

„Oh willst du etwa schon gehen?“, meldete sich plötzlich wieder Mrs. Lake zu Wort, die inzwischen eine neue Ladung Plätzchen in den Ofen schob, „es war schön dich mal wieder zu sehen Ricco. Du kannst gerne öfters vorbei kommen“.

Ricco lächelte und nickte, jedoch zweifelte er stark daran, irgendwie bekam er das Gefühl, dass er Zack für eine ganze Weile nicht mehr wieder sehen wird.

Im vorbeigehen nickte er ihm zu, er kannte den Weg zur Tür noch von selbst. Er öffnete sie und spürte Zack’s Blick im Nacken. War das Paket wirklich nur ein Geschenk an Biscotte? Er war sich nicht sicher. Ricco hatte es nicht so mit Vertrauen, besonders wenn die Menschen einen schon mehrmals hintergangen hatten. In der Türschwelle blieb er dann aber plötzlich stehen.

„Danke… Zack“.

Ohne eine Antwort abzuwarten oder sich auch nur ein letztes Mal umzudrehen fiel die Tür ins Schloss und Ricco ließ seinen alten Freund hinter sich.
 


 


 

***
 

Die Sonne war schon langsam dabei am Horizont zu verschwinden, als ein schwarzhaariger Junge mit halbverdecktem Gesicht durch die rot leuchtenden Straßen ging. Mehrmals schaute er sich um, auch wenn ihm selbst nicht klar war, was er zu befürchten hätte. Der Asphalt war noch feucht, weswegen der raue Stein glitzerte, sobald ein Lichtstrahl hinauf fiel. Es war fast wie ein Kristall, der in der schönsten Farbenpracht erstrahle sobald man ihn beleuchtete. Doch diese Stadt war alles andere als schön. Nunja, es lag nicht an ihr selbst, sondern an den Bewohnern. Schritt für Schritt lief Ricco voran, in seiner Westentasche konnte er das Paket spüren, welches Zack ihm gegeben hatte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was genau er da mit sich herumtrug, denn das einzige was er fühlte war die Zeitung, die anscheinend um den Gegenstand herum gewickelt worden war. Nach längerem Überlegen kam Ricco jedoch zu dem Schluss, dass es ihn nichts anging was er dort transportierte. Jedoch sollte er vorsichtshalber trotzdem aufpassen, da die Chance, dass es sich dabei um eine nicht ganz so legale Sache handelte stand… erschreckend hoch.

Das Quietschen eines Reifens ließ ihn zusammenzucken.

Hastig warf er seinen Kopf herum, konnte jedoch mit Erleichterung feststellen, dass es sich dabei um einen einfachen Wagen handelte. Keine Spur von der Polizei.

Seufzend wand er sich wieder dem Weg zu, an der Ecke konnte er ein Straßenschild erkennen. Er war bald dort.

Eigentlich war der Weg von Zack’s Haus bis zur Konditorei gar nicht so lang, allerhöchstens 10 Minuten, wenn man trödelte. Ricco jedoch brauchte beinahe das Doppelte, da eher lieber den Weg durch die Gassen benutzte und sich so gut wie es ging versuchte von der Hauptstraße fernzuhalten.

Er fühlte sich wie ein Krimineller, besonders wegen seiner Maske, das einzige was man sehen konnte waren seine blitzenden lila Augen. Die Mütze und die Maske verdeckten den Rest. Seine Haare lagen Strähnchen weise in seinem Gesicht, doch ansonsten war nichts zu erkennen, da alles, was sich unter seinen Augen befand, versteckt war. Nun, er würde sich wohl oder übel daran gewöhnen müssen. In der Ferne konnte er schon die Konditorei erkennen, es waren nur noch wenige Minuten bis zum Ladenschluss, er konnte als damit rechnen, dass nicht sonderlich viele Menschen in der Konditorei sein würden. Besonders an so einem Tag nicht, wo nahezu jeden Moment der Himmel über ihnen zusammenbrechen könnte und einen Schwall Wasser über sie ergießt, dem nicht einmal der fähigste Schirm auf Erden würde standhalten können.

Leise klimperte ein Glöckchen beim öffnen der Tür, und sofort umgab ihn der schwache, aber dennoch liebliche Duft von frischem Gebäck und zuckersüßen Torten. Bedauerlicherweise war es ihm durch die Maske nicht möglich den vollen Duft zu genießen, jedoch ließ selbst diese geringe Menge warme Erinnerungen in seinem Herzen wach werden. Er war ewig nicht mehr hier gewesen, jedoch sah alles genau so aus, wie er es in Erinnerung hatte. Sogar der kleine Behälter für die Bonbons, aus dem er sich als Kind immer welche geklaut hatte stand immer noch an derselben Stelle. Nicht ein Staubkorn war zu sehen.

Beim genauen betrachten, war eigentlich so gut wie gar nichts zu sehen, nicht einmal eine Bedienung. „Biscotte…?“, fragte er langsam, nachdem er sich umsah. Nichts geschah.

Die Kasse lag offen dar, sie war leer.

Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Brust breit, was war, wenn jemand sich kurzerhand eigenständig bedient hatte und das arme, hilflose Mädchen mit ins Hinterzimmer geschliffen hatte?

Leise schob er sich an der Theke vorbei, es gab keinerlei Anzeichen eines Kampfes, alles war einfach… leer.

„Hallo?“, fragte er erneut, diesmal etwas lauter. Das war eindeutig nicht normal. Mrs. Lake hätte niemals jemanden eingestellt, der die Kasse so fahrlässig unbeaufsichtigt stehen lassen würde, es musste also etwas anderes sein. Nur was? Vorsichtig drückte er sich gegen die Wand, sein Atem wurde flacher, er versuchte so gut es ging jegliches Geräusch zu vermeiden, ehe er sich nicht sicher sein konnte, wie er mit dieser Situation umzugehen hatte.

KLIRR!!!

Das laute Scheppern ließ ihn zusammenzucken und er fühlte wie eine Gänsehaut ihn überkam. Seit wann war er so schreckhaft?

Egal was diesen Lärm verursacht hatte, es war kein gutes Zeichen, er musste unbedingt eingreifen. Er vernahm ein leises Wimmern durch die geschlossene Tür und eine ruckartige Bewegung.

Ohne zu zögern sprang Ricco in den Raum, in der Hoffnung nicht zu spät zu kommen und die Taten des Einbrechers zu verhindern.

Zu seiner Verwunderung gab es jedoch keinen Einbrecher.

Das einzige, was er sah, war ein junges Mädchen, welche über eine zerbrochene Tasse gebeugt war und mit erschrockenem Gesicht zur Tür sah, die kurz zuvor von einem großen, maskierten Jungen aufgetreten worden war.

„KYAAAAH!!!“, ihr lauter Schrei, ließ Ricco erneut zusammenfahren, er brauchte eine Weile um zu registrieren was hier ablief. Anscheinend war Biscotte gerade dabei gewesen den Laden zu schließen und hatte bloß vergessen die Eingangstür abzusperren. Dementsprechend war es Ricco, der ohne Erlaubnis eingedrungen war.

„Halt! Warte! Nein! Biscotte ich-“, noch ehe Ricco den Satz beenden konnte, spürte er, wie etwas ihn an seiner Stirn traf. Ein dumpfes Geräusch ertönte und Ricco ging zu Boden.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis Ricco wieder zu Besinnung kam. Heute war echt nicht sein Tag.

Mit einem Nudelholz bewaffnet hatte Biscotte sich vor ihm aufgebaut, ihre Hand zitterte, doch sie versuchte wütend zu wirken, was ihr durch ihre leicht angefeuchteten, ängstlichen Augen jedoch nicht so ganz gelang.

„Wer bist du?“, fragte sie mit einem Zischen, ihre Waffe zum Angriff bereithaltend.

„Mein Name ist Ricco Snow“, fing der Schwarzhaarige langsam an, wobei er fühlte wie der Schmerz langsam verschwand, „Ich bin ein Freund von Zack. Er… bat mich dir das hier zu geben“.

Während er sich aufrappelte kramte er in seiner Tasche um schließlich das kleine Päckchen herauszuholen und es Biscotte zu überreichen. Misstrauisch sah Biscotte ihn an, sie schien etwas mit der Situation überfordert zu sein, jedoch griff sie letzten Endes nach Zack’s Geschenk und fing an es zu öffnen.

Wäre Ricco ein echter Einbrecher gewesen, wäre es eine Leichtigkeit gewesen Biscotte zu überwältigen, da die erste Sache, mit der sie ihn beworfen hatte lediglich ihr Schuh war, wie Ricco bei genauerem betrachten der Umgebung feststellte. Zu seinem Glück, denn unmittelbar neben dem Scherbenhaufen lag etwas, was ihm wohl etwas mehr Schmerzen zugefügt hätte. Es handelte sich dabei um… einen Ziegelstein. Ricco hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was der hier zu suchen hatte, er war bloß heilfroh darüber, dass dieser nun nicht in seinem Gesicht lag.

Die Schuhlose hatte es anscheinend geschafft das Päckchen zu öffnen, wie sie durch ein kleines erfreutes quieken verriet.

Ricco’s Augen wanderten zu dem brünetten Mädchen mit den langen, lockigen Haaren und erspähten sogleich eine kleine Kette, die es strahlend in ihren kleinen Händen hielt. Es war ein Anhänger darauf, ein kleiner, lächelnder Muffin, welcher mit rosigen Wängchen den Betrachter direkt ansah.

„Aaaaw“, fing sie wieder an, es schien so, als hätte sie Ricco vollkommen vergessen, „er ist ja so süß!“.

Das war es also, worum Zack ihn gebeten hatte. Eine einfache… Kette. Wieso konnte Zack ihr das nicht selbst geben?!

„Ich wollte dich nicht erschrecken, entschuldige bitte“, ergriff er nun langsam das Wort, um Biscotte nicht erneut zu erschrecken.

„Oh!“, leicht errötet sah sie zu ihm, es schien, als wäre sie soeben zurück aus ihrer eigenen kleinen Welt geholt worden.

„Schon okay“, sagte sie leicht schüchtern,

„Tut mir Leid wegen dem Schuh“.

„Ach, mach dir keinen Kopf darum, ich hätte hier nicht einfach so reinplatzen sollen“, erwiderte Ricco mit einem unsichtbaren Lächeln. Biscotte wirkte tatsächlich sympathisch, jedoch auch ziemlich unauffällig, wie eine kleine graue Maus. „Individuell“ scheint keine Eigenschaft zu sein, die man ihr zuschreiben könnte, jedoch war sie dennoch irgendwie ganz nett anzusehen.

„Wie bist du überhaupt hier rein gekommen?“, fragte sie, schwer damit beschäftigt in den Schuh zu schlüpfen, was ihr nicht so recht gelingen wollte.

„Die Tür stand offen“.

„Stand sie nicht!“

„Ehm… doch sie war eindeutig offen“.

„Aber ich habe sie doch zugemacht“

„Wie soll ich sonst herein gekommen sein?“, stirnrunzelnd sah Ricco das empörte Mädchen an. Es hatte den Anschein, als wollte sie noch etwas sagen, jedoch entschloss sie sich eher dazu den Mund zu halten und beschämend wegzusehen.

„Danke für das Päckchen“, nuschelte sie, wobei sie durch die Tür verschwand und Richtung Eingang tapste.

„Gerne“, erwiderte Ricco, der sich noch einmal umsah und ihr folgte, wobei er das Licht ausschaltete und die Tür hinter sich schloss. Die Scherben lagen immer noch auf dem Boden verstreut, jetzt wusste er auch, was Mrs.Lake mit „leicht verpeilt“ gemeint hatte.

„Solltest du nicht erst in 20 Minuten schließen?“.

„Ach was, um diese Uhrzeit kommt doch sowieso kein Kunde mehr“, erwiderte Biscotte mit einem Grinsen und ließ den Schlüssel in ihre Tasche gleiten. Ricco wusste genau, dass Biscotte wahrscheinlich die meisten Sachen einfach selbst gegessen hatte. Eigentlich war es eine ziemlich nette Idee, doch auf Dauer würde es wohl unübersehbare Spuren hinterlassen. Dennoch war es Biscotte nicht anzusehen, sie hatte einen ziemlich schlanken Körper, was Ricco doch etwas überraschte, nachdem er schon von Mrs.Lake gehört hatte, wie viel Biscotte zu naschen scheint. Eines musste man Zack lassen. Er hatte wirklich eine hübsche Freundin. Nunja… zumindest nicht hässlich. Ziemlich normal eigentlich. Sie wirkte einfach etwas langweilig. Zumindest auf Ricco.

Als Ricco aus dem Ladenfenster sah, konnte er gerade noch sehen, wie ein verärgert aussehender Passant an der Konditorei vorbeiging und dabei auf die Öffnungszeiten starrte.

„So viel zum Thema ‚um diese Uhrzeit kommt doch sowieso kein Kunde mehr’ “, murmelte Ricco kaum hörbar durch seine Maske.

„Ich bin übrigens Biscotte“, begann sie sich nun stark verzögert vorzustellen, „Das weißt du ja anscheinend schon, aber trotzdem: Ich bin Zack’s Freundin. Ich habe noch nie irgendetwas von einem Ricco gehört, aber Zacks Freunde sind auch meine Freunde!“

„Genau genommen bin ich sein bester Freund“.

„Dann verstehen wir uns noch umso besser!“, strahlend sah sie ihn an. Die Kette trug sie um den Hals gebunden, sie stand ihr ziemlich gut. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schob sie sich jedoch an ihm vorbei in Richtung Hintereingang.

Irgendwie fühlte Ricco sich ziemlich überflüssig, er wusste nicht wieso. „Nun… es war ganz nett deine Bekanntschaft zu machen Biscotte, jedoch müsste ich jetzt auch langsam gehen“, er verstand nicht, wieso sie ihn nicht einfach durch den Haupteingang hätte gehen lassen können, jetzt musste er mit ihr den ganzen Weg durch das Lager zum Ausgang. „Wieso trägst du eigentlich diese Maske“, fragte sie, wobei sie in sein Gesicht deutete.

„Eh… lange Geschichte“

„Cosplayst du?“

„Was ist Cosplay?“

„Da verkleidest du dich als dein Lieblings Anime Charakter“

„Wer macht so ein Schwachsinn?“.

Plötzlich blieb Biscotte ruckartig stehen, sodass Ricco beinahe in sie hineingelaufen wäre. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. „Ich zum Beispiel“, empört drehte sie sich um und stapfte weiter, „aber stimmt schon. Wer würde bitte einen Charakter mit Mütze und so einer doofen Maske cosplayen“.

„Weiß nicht…“, antwortete Ricco, er sollte wohl etwas darauf aufpassen, was er sagt bei diesem Mädchen.

Draußen angekommen schloss Biscotte auch hier die Tür hinter sich ab. Die Rückseite des Gebäudes war alles andere als… delikat, es war schmutzig und die Müllcontainer waren teilweise bis zum Rand gefüllt, mit allen nur denkbaren ehemaligen Köstlichkeiten. All jene Dinge, die niemand mehr kaufen wollte und zu alt waren, oder die nicht mehr in Biscotte’s alles verschlingenden Magen gepasst haben. Es war eine pure Verschwendung, Ricco sollte öfter vorbei kommen.

„War schön dich kennen zu lernen, danke noch mal wegen der Kette“, Biscotte riss Ricco aus seinen Gedanken und er bemerkte, dass sie sich eine Jacke über die Uniform gezogen hatte. Ein Windstoß blies ihr durchs lockige Haar und ließ sie im Wind tanzen, „ich hoffe wir sehen uns mal wieder“. Sie zwinkerte fröhlich und lief in eine Richtung davon, noch bevor Ricco etwas antworten konnte. „Sicher“, rief er ihr hinterher, „bis dann!“, doch sie war schon hinter der Ecke verschwunden.

Zum ersten Mal war Ricco froh, dass er nicht dazu in der Lage war zu riechen, da er mit einem Mal den schwachen Geruch von Müll in seiner Nase spürte. Durch seine Maske hindurch. Dementsprechend müsste der Geruch unerträglich sein da draußen. Es ist immer wieder überraschend zu sehen, wie schnell eine wunderschöne, schmackhafte, wohlriechende Sache zu einem widerlichen, vergammelten, stinkenden Etwas werden kann… es ist alles bloß eine Frage der Zeit. Mit einem letzten Blick in die Richtung in der Biscotte verschwunden war, wand er sich um und lief langsam zu sich nachhause, wo er nun endlich wieder hin konnte. Seine Gedanken waren dabei die ganze Zeit bei den Scherben, welche immer noch verstreut im dunkeln Raum lagen.
 


 


 

***
 

„Ricco! Wo warst du?!“, hörte er eine zittrige Stimme rufen, kaum hatte er die Schwelle betreten. Alice stürmte zu ihm und sah ihn mit weinerlichen Augen an.

„Du Idiot! Ich habe mir Sorgen gemacht! Mama macht sich auch Sorgen!“, er hörte etwas Bedrücktes aus ihrer Stimme heraus.

Seufzend strich er seiner kleinen Schwester durchs Haar, er wusste wie schwer es für sie sein musste das alles auszuhalten, aber manchmal konnte er es selbst einfach nicht. Er war verzweifelt. Irgendetwas musste unbedingt getan werden, sonst würde einer von ihnen die Situation noch zum eskalieren bringen.

Seine Schwester würde bald 13 werden, keinesfalls wollte er ihr diesen Tag irgendwie versauen. Auf seinen Ferienjob konnte er nun pfeifen, sein Chef hatte gesagt, wenn er noch einmal zu spät kommen würde, würde er ihn rausschmeißen. Nun… diesmal war er gar nicht erst erschienen. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen von Polizisten zusammengeschlagen in einer Gasse zu liegen und sich eine überaus starke Erkältung zu holen.

„Schon okay, mir geht es gut“, meinte Ricco und zwinkerte Alice zu, welche ihn misstrauisch betrachtete.

„Was soll diese komische Maske?“

„Ich ehm… ich cosplaye“

„Du cosplayst?“

„Ja“

„Wen sollst du denn bitte darstellen?“.

Es war schwer Alice anzulügen, sie war wirklich gut darin, einen so lange zu nerven bis man ihr von selbst die Wahrheit erzählte. Doch Ricco schwor sich ihr in diesem Fall unter keinen Umständen zu erzählen was wirklich passiert war, da sie nicht auch noch die letzte Hoffnung seiner Schwester zerstören wollte. Sie hing praktisch an dem Gedanken daran, dass die Polizei ihren älteren Bruder Snow irgendwann sicher zurück bringen würde.

Egal wie alt sie sich benahm, sie war im Herzen immer noch ein kleines naives Kind, welches man nicht aus seiner, längst angekratzten, eigenen Welt werfen sollte. Ricco wünscht sich für sie eine bessere Kindheit als er es hatte, da die letzten drei Jahre für ihn praktisch ein tiefes Loch voller Schmerzen und Einsamkeit waren. Doch Alice sollte nicht so enden. Ricco würde alles dafür tun, damit seine Familie wieder eins wird.

„Wo ist Mama?“, lenkte er vom Thema ab, und ging dabei ins Wohnzimmer.

„Sie schläft“, antwortete die kleine Schwarzhaarige, während sie sich gegen den Türrahmen lehnte, „sie hat sich gestern ziemlich erkältet, als sie dir durch den Regen nachgerannt ist. Man du bist ja so eine Drama-Queen!“. Frech streckte sie ihm die Zunge raus.

„Meinst du nicht, dass du die Maske langsam abnehmen könntest?“, fuhr sie fort, als sie sich auf das kleine graue Sofa setzte, welches neben einer einzelnen Topfpflanze an der linken Wand stand. Das Wohnzimmer war nicht sonderlich groß. Das einzige was dort stand war eben genanntes Sofa, ein kleiner Tisch mit Sitzecke, zwei Stühle, ein CD Regal welches gleichzeitig als Tisch für einen mittelgroßen Röhrenfernseher diente und eine Zimmerpflanze namens Freddy.

Letztere wurde im Übrigen von Alice so genannt. Die Gründe sind unbekannt.

„Ich behalte sie denke ich noch eine Weile auf“, erwiderte Ricco, während er zur Küche ging, welche unmittelbar neben dem Wohnzimmer lag. Ein Teller mit Nuggets und Reis stand dort.

Kalt.

„Lass es dir schmecken“, eine Hand legte sich auf seine Schulter und seine Schwester lächelte ihn neckisch an, „Ooooh… aber ob das mit der Maske so gut klappt?“.

„Ich werde es schon hinkriegen“, er nahm sich den Teller und lief an seiner Schwester vorbei um zu seinem Zimmer zu gelangen.

„AH! Ich weiß wieso du die Maske trägst!“

„Ach ja? Wieso denn?“

„Du hast bestimmt Herpes! Gib’s zu“

„Oh… ja…hast mich erwischt“

„HA! Ric-co hat Her-pes! Ric-co hat Her-pes~“, mit seiner freien Hand schloss er die Tür hinter sich, woraufhin der alberne Gesang seiner Schwester verstummte. Er hoffte sie verstand den Sarkasmus. Er mochte diese Unterhaltungen, auch wenn es meist darauf hinaus lief, dass seine Schwester irgendwelche kindischen Dinge tat um ihn zu ärgern, aber das war im großen und ganzen einfach bloß süß, zumal sie das nicht ernst meinte. Es lenkte ihn ab und ließ ihn beinahe vergessen, welche Probleme er sonst so alles hatte. Sein Zimmer war, wie auch der Rest der Wohnung nicht außerordentlich groß, doch sie erfüllte ihren Zweck.

Es war komplett in schwarz und weiß gehalten, gelegentlich konnte man jedoch auch andere Farben entdecken, dabei handelte es sich meist um Orange. Sein Bett bestand aus einer mit einem Laken überzogenen Matratze. Die Bettwäsche war unordentlich darauf geworfen. Die Gardine war vor die Fenster gezogen, sodass das Mondlicht, welches inzwischen die Nacht erhellte, nur schwach in sein Zimmer drang. Er schaltete das Licht an worauf eine einzelne Glühbirne an der Decke anfing zu leuchten. Einst hatte er eine richtige Lampe gehabt, jedoch war sie durch einen kleinen…Unfall kaputt gegangen. Bisher hatte er keine Möglichkeit gehabt sich eine neue zuzulegen, doch das kümmerte ihn nicht besonders. Sein Zimmer war unaufgeräumt, jedoch nicht dreckig. Auf seinem Schreibtisch lagen all seine Zeichensachen verstreut, neben seinem Bett lag eine offene Packung Chips und einige Bonbons und ein aufgeschlagenes Buch. In der Ecke sah er seinen C-Cube, eine Spielkonsole, für die bedauerlicherweise kaum noch Spiele hergestellt wurden, und einen alten Fernseher, der deutlich kleiner war, als der im Wohnzimmer. Doch leider ohne Antenne oder Kabel, weswegen es ihm unmöglich war auch nur einen einzigen Kanal zu sehen. Allerhöchstens Videokassetten oder DVD’s. An den Wänden hingen verschiedene Poster von Metalbands, sein Liebstes war eines von einer Band namens Korpiklaani, auch wenn er keine wirkliche Ahnung von deren Musik hatte. Das Bild sah einfach cool aus. Einer der liebsten Dinge in seinem Zimmer, waren jedoch eindeutig sein orange-schwarzer E-Bass und seine Spielkarten Verzierung an der Wand, welche im Allgemeinen so aussieht wie eine gigantische Tribal-Spielkarte. Sie zeigte das Pik Ass. Seine Lieblingskarte. Allgemein war Ricco ein absoluter Fan von Spielkarten, wie man eventuell auch an seiner, inzwischen an die 20 Set großen, Sammlung erkennen konnte, wovon an die drei jedoch überall im Zimmer verstreut lagen. Ricco liebte es sie durch die Gegend zu werfen, wenn er gerade nichts zu tun hatte. Er war wirklich gut darin. Er konnte ein Ziel von bis zu 20 Meter Entfernung perfekt mit einer Karte treffen. Jedoch war das keine sonderlich effektive Waffe… dennoch ein tolles Hobby. Kartentricks stellten für Ricco einen unglaublich nützlichen Zeitvertreib dar.

Das Einzige was Ricco beinahe noch mehr liebte als Spielkarten war… Essen. Hauptsächlich Süßkram, wie man an dem Bonbonpapier neben seinem Bett und in seinem Mülleimer durchaus erkennen konnte. Aber auch Kuchen hatte es ihm angetan. Hungrig fing er an das kalte Essen in sich rein zustopfen. Seine Schwester scheint es gekocht zu haben, denn der Reis war versalzen und die Nuggets waren verbrannt, jedoch interessierte Ricco sich nicht sonderlich dafür. Hauptsache er konnte endlich seinen Hunger stillen. Die Maske hatte er neben sich auf den Tisch gelegt, er fühlte ein leichtes Unwohlsein, jedoch schien es so, als könnte er durchaus auch einige Zeit ohne diese Maske leben. Das erleichterte seine Sorgen ungemein, da er sonst unglaubliche Probleme gehabt hätte. Unter anderem beim Zähneputzen… Essen und… nunja wofür man halt den Mund alles so braucht. Den Zahnarzt vielleicht.

Er hatte das Essen praktisch inhaliert.

Seine Mütze lag neben seinem Bett, genauso wie seine Weste.

Langsam zog er sich das Hemd aus, wobei er immer noch die Stellen spürte, an denen der Polizist ihn getreten hatte. Der Schmerz war inzwischen erträglich geworden. Er streifte sich seine Hose ab und ließ sich erschöpft, einzig und allein in schwarz-weiß gestreifter Boxershorts aufs Bett fallen. Die Maske hatte er sich vorsichtshalber neben sein Bett gelegt, falls er sie noch mal benötigte. Doch es hatte den Anschein, als wenn er, sofern er sich nicht sonderlich anstrengte, keine all zu große Beschränkung durch die Erkältung einbüßen musste. Er sah zu seiner Digitaluhr und las die Uhrzeit. 0:02Uhr. Langsam begannen sich seine lila Augen immer schwerer anzufühlen… mit einem unguten Gefühl im Magen schlief er dann letzten Endes ein.



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