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Blue Liberty

von

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Blue Liberty

Staubiges Sonnenlicht erhellte den Dachboden und gab den Blick auf das Sammelsurium eines langen Lebens frei. Toni seufzte. Vergangenen Monat waren die Großeltern in eine Wohnanlage für Senioren gezogen und hatten es der Familie überlassen, das alte Haus für den Verkauf zu entrümpeln. Eine Aufgabe, die prompt an die Archäologie-Koryphäe der Familie weitergereicht worden war – Toni. „Schatz, es sind doch Semesterferien, da hast du doch jede Menge Zeit.“Aber ja doch, schließlich machte niemand Pläne für die vorlesungsfreie Zeit... Aber es war nun mal Familie, und so hatte Toni nachgegeben. Und irgendwie hatte es ja auch einen gewissen Reiz so einen Dachboden zu durchforsten. Wer wusste schon zu sagen, ob sich nicht ein Schatz darunter verbarg? Zumal die Großeltern in den ersten Ehejahren viel gereist waren. Gut, die obligatorischen altmodischen Kleider, von denen Oma gehofft hatte, sie noch mal tragen zu können – schließlich wiederholte sich die Mode ständig –, und die dreibeinigen Stühle, die Opa trotz mangelnder, handwerklicher Fähigkeiten immer mal hatte reparieren wollen, waren wohl kaum als Schatz zu bezeichnen. Aber Toni wusste schon lange, dass sich Schätze wenn in alten Schuhkartons mit Fotos, Papierkram und ähnlichem versteckten. Oder, wie in diesem Fall, in einer alten, schon etwas brüchigen Ledermappe, die etwa ein Dutzend Manuskriptseiten enthielt.

Beim Anblick der kalligrafierten Zeichen hielt Toni unwillkürlich den Atem an. War das nicht...? Nein, Toni korrigierte sich, dies war kein Tolkien-Elbisch, keine verschollenen Erstentwurfsseiten zum ‚Herrn der Ringe’. Dies hier war etwas viel Bedeutenderes. Die Zeichen, das waren die gleichen Schriftzeichen wie die im Voynich-Manuskript! Und das Papier... unmöglich, dass es sich bloß um eine Abschrift handelte.

Benommen von der Tragweite dieser Entdeckung, taumelte Toni in Richtung der Treppe, als plötzlich ein Schatten in der Tür zum Dachboden auftauchte.

„Hast du es gefunden?“, fragte eine Toni unbekannte Stimme und er wirbelte herum.

„Wer sind Sie?“, fuhr er den Mann in dem hautengen silbernen Anzug an, der dort stand, als wenn es das selbstverständlichste von der Welt wäre, auf einem fremden Dachboden herumzulungern.

„Keine Zeit für Erklärungen. Hast du es gefunden?“

Toni musterte den Fremden und drückte die Mappe mit den beschriebenen Bögen fest an seine Brust. Er war groß, hatte schwarzes Haar, das in einen komischen asymmetrischen Schnitt in seine Stirn fiel, große leuchtendgrüne Augen und über seiner linken Schläfe blinkte ein blaues Licht.

„Wer sind Sie?“, wiederholte Toni angriffslustig.

„Dein Ururururur – füg hier bitte noch ganz viel Urs ein – Großneffe. Davis ist mein Name. Hast du das Manuskript?“

„Das geht Sie gar nichts an! Verschwinden Sie!“

„Ah, du hast es.“ Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Fremden. „Wunderbar.“ Dann streckte er die Hand aus und tippte sich auf das blaue Licht an seiner Schläfe.

„Sucher an Basis. Ich habe es gefunden. Und Toni auch. Wir kommen zurück.“

„Hey... Was...?“, brachte Toni hervor, ehe sich die Welt in Luft auflöste.
 

Der Ort, an dem er landete, hatte mit dem Dachboden wirklich nichts mehr gemein. Außer Dachböden waren seit neustem aus dunkelblauem Metall mit schwarzblauem Teppich und vielen blinkenden Konsolen ausgestattet.

Tonis Mund klappte auf. Staunend sah er sich um, während der Fremde, der sich Davis genannt hatte, erleichtert lächelte.

„Mission erfüllt!“, rief er strahlend.

Eine Doppeltür, die Toni gar nicht bemerkt hatte, öffnete sich zischend und herein kam die seltsamste Gruppe Leute, die er je gesehen hat. Sie alle trugen diese hautengen Silberanzüge. Voran ging eine etwa einen Meter neunzig große Frau, auf deren Stirn die Zahl fünf prangte. Sie war schlank und hatte schulterlanges hellblaues Haar. Neben ihr humpelte ein alter Mann mit einer Brille aus himmelblauen Gläsern und blassgrünen Flecken auf der Haut. Dahinter wiederum kam ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen mit weißblonden Locken und einem mürrischen Gesichtsausdruck. Doch wer Toni wirklich den Atem raubte, war der gewaltige Gorilla, der den anderen elegant folgte und ihn aus klaren, blauen Augen musterte. Toni schluckte und presste die Mappe mit den Papieren nur noch fester an sich.

„Willkommen im 28. Jahrhundert, Onkelchen!“, rief Davis in dem Moment und breitete die Arme aus.

„Du hast sie doch nicht mehr alle!“, keuchte Toni.

„Ich hätte auf einen anderen ersten Satz getippt“, kam es von der großen Frau.

„Wenn du denn gewettet hättest.“ Das Mädchen verdrehte die Augen. „Du wettest ja nie, also halt dich da raus.“ Missmutig drückte sie dem Alten etwas in die Hand und dieser kicherte zufrieden.

„Wo bin ich und wer sind die?“, fragte Toni und bemühte sich, seine Fassung zurückzugewinnen.

„Hättest du das nicht eher sagen können???“, entfuhr es dem Mädchen, während der Alte nur noch lauter kicherte.

„Entschuldige meine Manieren.“ Davis neigte entschuldigend den Kopf. „Wie ich vorhin schon sagte: Mein Name ist Davis. Davis Fabrizio. Ich bin dein x-facher Urgroßneffe. Die Dame ist Fünf. Sie ist ein Cyborg. Der Alte ist Fraggitz. Unser technisches Genie und durch einen dummen Unfall vorzeitig gealtert. Eigentlich ist er erst 35, sieht er aber nicht mehr danach aus. Wir sind stets auf der Suche nach dem Gegenmittel. Die kleine misslaunige Nervensäge ist Saturn. Ihre Mutter hielt es für witzig, sie nach dem bedeutendsten Raumhafen des Quadranten zu nennen.“ Saturn streckte Davis die Zunge raus.

„Ja, und unser Boss... ist schwer zu übersehen.“ Davis lächelte und deutete auf den Gorilla, der sich nun gemächlich auf die Hinterbeine aufrichtete, dabei jedoch erstaunlicherweise nicht bedrohlich wirkte. Stattdessen richtete er den intelligenten Blick aus diesen ungewöhnlichen blauen Augen direkt auf Toni und sah ihn an, als wenn er prüfen wollte, ob für irgendetwas würdig war.

„Meine Name ist Matthew. Du darfst mich Captain Matthew nennen.“ Seine Stimme war dunkel und grollte etwas, sodass Toni niemals auf die Idee gekommen wäre, Captain Matthew jemals anders zu nennen.

Und während Toni noch damit beschäftigt war, zu begreifen, dass gerade ein Gorilla mit ihm sprach, erschien aus dem Nichts eine wunderschöne Frau mit hellblauen Haaren, dunkelblauer Haut und in einem dieser silbernen Anzüge, die mehr enthüllten als sie verbargen.

„Sir, die Zeitpatrouille hat uns nicht entdeckt. Ich setze Kurs auf Ganymed.“

„Aye. Danke, Liberty.“ Captain Matthew nickte und die Frau verschwand wieder.

Das war der Moment, in dem es für Toni zuviel wurde und sein Gehirn das einzig vernünftige tat: Es schaltete ab.
 

Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer futuristischen Liege, hatte die Mappe mit den Pergamenten immer noch sich gepresst und fühlte sich, als wenn er fliegen könnte.

Fünf sah auf ihn herunter.

„Wieder unter den Lebenden?“ Ihr Blick war kühl.

„Was haben Sie mir gegeben?“, fragte Toni, während er sich aufsetzte. „Ich fühle mich fantastisch.“

„Kennst du nicht.“ Fünfs Miene machte mehr als deutlich, dass sie keine hohe Meinung von ihm hatte.

„Nee, wie auch. Bin ja auch nicht aus der Zeit“, knurrte dieser zurück.

Der winzige Hauch eines Lächelns huschte über Fünfs eisiges Gesicht. „Du wirst dich hier sicher schnell zurechtfinden.“

„Äh... Moment. Wer sagt denn, dass ich bleiben werde???“, entfuhr es Toni. Blankes Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Die Tatsache, dass wir dich nicht in deine Zeit zurückbringen können, ohne dass uns die Zeitpatrouille erwischt. Und die Strafe, die uns dann droht, steht in keinem Verhältnis zu dem, was du davon hast.“

„Äh... Moment... Ihr entführt mich und findet es dann zu gefährlich und zu aufwändig, mich wieder nach Hause zu bringen? Wie krank ist das denn bitte?“ Toni sprang auf.

„Beruhige dich. Du hast dadurch gewonnen, dass du aus deiner rückständigen Zeit geholt wurdest.“

„So? Diese rückständige Zeit war aber mein Zuhause! Was würdest du denn davon halten, wenn man dich verschleppen und dort sitzen lassen würde, hm?“ Toni funkelte Fünf zornig an. Die Tatsache, dass sie einen vollen Kopf größer war als er, machte es irgendwie schwierig, sie anzuschreien. „Und sowieso geht mir eurer Blautick tierisch auf den Keks! Wer hat denn bitte schön schon blaue Haare?“

Toni war versucht, einfach zornig davonzustürmen, hatte aber das Problem, dass er keine Ahnung hatte, wo er dann landen würde. Er wusste ja noch nicht einmal, wo genau er hier war. Offenbar an Bord eines Raumschiffes, wie er aus den Worten von dieser seltsamen plötzlich-auftauchenden-und-wieder-verschwindenden Liberty und seiner Science-Fiction-Fernsehserien-Erfahrung geschlossen hatte. Aber wie sollte er dann hier verschwinden? Er war quasi auf seine Entführer angewiesen. Und was zum Teufel wollten sie eigentlich von ihm?

Das Manuskript! Toni drückte die Mappe auf einmal noch enger an seine Brust. Darauf hatte es sein angeblicher Urururusw-Neffe Davis doch abgesehen gehabt!

Er starrte Fünf herausfordernd an.

„Was wollt ihr eigentlich von mir?“, fragte er gefährlich leise.

„Das Pergament“, antwortete Fünf offen.

„Warum?“

„Wegen seines Inhaltes.“

„Aber man kann es doch nicht entschlüsseln!“

„In deiner rückständigen Zeit vielleicht nicht.“ Fünf sah ihn verächtlich an. „Bei uns ist das kein Problem.“

„Dann lass es entschlüsseln. Jetzt. Ich will schließlich wissen, warum ich hier bin.“

Fünf sah ihn einen Augenblick lang an, dann trat sie an eine blinkende Konsole heran und drückte einen Knopf. „Krankenstation an Captain Matthew.“

„Fünf?“

„Sir, unser Gast ist aufgewacht und wünscht die Entschlüsselung des Manuskripts.“ Fünf warf Toni einen langen Blick zu, den dieser nicht recht deuten konnte.

„In Ordnung.“

„Na, der Captain macht ja nicht viele Worte“, brummte Toni.

„Muss er auch nicht.“ Fünf zog eine Augenbraue hoch. Sie drückte eine weitere Taste. „Liberty, wir brauchen deine Unterstützung.“

Die schöne Frau erschien aus der Luft und Toni wich überrascht einen Schritt zurück.

„Verdammt, wie machst du das?“

Fünf sah ihn erneut herablassend an. So langsam war er der Überzeugung, dass sie gar nicht anders gucken konnte.

„Liberty ist das Raumschiff, auf dem wir uns befinden. Was du siehst, ist ihr Avatar, der ihr die Interaktion mit uns erleichtert. Sie ist...“

„Ich bin das Herz und die Seele des Raumschiffes – ihr Computer.“ Liberty schenkte Toni ein Lächeln, das ihm die Knie weich werden ließ.

„Gibst du mir bitte das Manuskript, damit ich mit der Entschlüsselung beginnen kann?“

Toni nickte mit trockenen Mund und reichte ihr die Mappe mit den Pergamentseiten.

Liberty öffnete die Mappe und betrachtete eine Seite nach der anderen.

„Beginne mit der Entschlüsselung.“

Aus dem Lautsprecher war die dunkle Stimme von Captain Matthew zu hören: „Leg sie uns auf den Hauptschirm und auf den Monitor in der Krankenstation.“

Sofort begann einer der Monitore das Manuskript auf der einen Hälfte und deren Übersetzung auf der anderen Seite anzuzeigen. Toni eilte gemeinsam mit Fünf vor den Bildschirm und blickte ehrfürchtig darauf.

„Das ist unglaublich“, flüsterte er und fuhr unwillkürlich mit den Fingern über den Bildschirm.

„Das ist das Rezept“, murmelte Fünf und lenkte Tonis Aufmerksamkeit damit ab.

„Was für ein Rezept?“

„Für ein sehr besonderes Mittel.“ Fünf zeigte ein dünnes Lächeln.

„Was für ein Mittel?“

Sie warf ihm wieder diesen Du-hast-doch-keine-Ahnung-Blick zu, der ihn in die Luft gehen ließ.

„Hey, ich habe ein Recht drauf, das zu erfahren. Denn wie du gesagt hast, kann ich nicht wieder nach Hause. Das bedeutet, dass ich ab sofort dazugehöre, auch wenn ich keine Ahnung habe zu was! Also sag mir gefälligst, was hier Sache ist!“

Fünf sah ihn, als wenn sie ihn am liebsten unter ihrem Absatz zerquetschen würde.

„Entschlüsselung abgeschlossen. Das Rezept für die Mariposa-Tinktur wurde gefunden.“ Liberty schenkte ihnen beiden ein strahlendes Lächeln.

„Mariposa-Tinktur?“, fragte Toni sie sofort, ehe Fünf irgendetwas sagen konnte.

Er hatte alles mögliche erwartet, aber nicht, dass Liberty ihm einen kurzen Vortrag über die Pflanze Mariposa, die ihren Namen aufgrund ihrer schmetterlingsähnlichen Blüten besaß und bereits zu seiner Zeit ausgestorben war, im 28. Jahrhundert jedoch aufgrund von Genmanipulation, Rückzüchtung aus Pflanzenfragmenten und vertrockneten Samen und so weiter und so fort, wieder existierte und ein absolutes Luxusnahrungsmittel war. Das Problem war nur, dass diese Pflanze selbst für die Gaumen dieses Zeitalters, die alle möglichen Geschmacksrichtungen gewöhnt waren, extrem fremdartig schmeckte. Gelinde gesagt. Man könnte auch sagen, dass die Pflanze teuer und beliebt war – aber absolut scheußlich schmeckte. Und die Mariposa-Tinktur, die letztlich nichts anderes war, als eine spezielle Art diese Pflanze zu würzen, sollte nun Abhilfe schaffen.

Toni starrte Liberty und Fünf mit offenem Mund an. „Ihr habt mich für ein Rezept entführt?“

„Du hast keine Ahnung, was dieses Rezept bedeutet.“

„Vor allem Geld, was?“ Toni schnitt eine Grimasse. „Wie immer geht es nur um Geld?“

„Hast du etwa erwartet, dass sich die Menschheit ändert? So eine Star-Trek-Friede-Freude-Eierkuchen-Welt?“

Tonis Miene zeigte erst akute Verwirrung, dann hellte sie sich auf. „Du kennst Star Trek?“

„Captain Matthew ist ein großer Fan.“ Fünf verdrehte die Augen.

„Aber wir weichen vom Thema ab“, rief Toni sich selbst zur Ordnung.

„Bring ihn auf die Brücke“, erklang in diesem Augenblick die Stimme von Captain Matthew aus dem Off.

Toni schreckte zusammen. Fünf dagegen schien gewusst zu haben, dass ihr Gespräch von der Brücke aus verfolgt wurde.

„Komm mit.“

Sie ging voraus, Toni folgte ihr und hinter ihnen verschwand Liberty einmal mehr.
 

Die Brücke sah wirklich aus wie einem Science-Fiction-Film entsprungen. Toni sah sich mit offenem Mund um. Der Greis Fraggitz hockte hinter einer Konsole und brabbelte vor sich hin. Das Mädchen Saturn lag auf einem einem seltsamen Sessel, hatte eine silberne Kugel über dem Kopf und war, wie Fünf ihm leise und hochnäsig erklärte, die Pilotin. Captain Matthew saß in der Mitte der Brücke auf einem Captain-Kirk-Gedächtnissessel.

Davis kam strahlend zu ihnen herübergeeilt und Toni war versucht, ihm die Faust in das lächelnde Gesicht zu schlagen. Für die Entführung, für dieses Abenteuer, für den Verlust seines alten Lebens, seiner Familie – einfach für alles.

Toni fühlte sich auf einmal einem Nervenzusammenbruch nahe.

„Warum bin ich hier?“, fragte er und seine Stimme überschlug sich beinahe. „Warum hättet ihr das Manuskript nicht einfach holen können ohne mich mitzunehmen?“

Davis wich seinem Blick aus und selbst die so emotionslose Fünf schaute ihn nicht an.

Der einzige, der ihm aufrecht entgegensah, war Captain Matthew.

„Dieser Zeitpunkt war der einzige, zu dem wir das Manuskript lokalisieren konnten“, sagte er und seine dumpfe Stimme klang dabei sehr sanft. Er winkte Toni näherzutreten und dieser kam der Aufforderung zögernd nach.

Auf einem kleinen Monitor zeigte Captain Matthew Toni einige Daten. „Hier haben wir dich aus deiner Zeit geholt. Das ist der alte Zeitstrom, das der neue. Siehst du einen Unterschied?“

Toni starrte auf das Bild, sah vollkommen identische Zahlenketten und schüttelte stumm den Kopf. „Genau. Du hast keinen Unterschied für deine Zeit und die Entwicklung unserer Zeitlinie gemacht. Ich vermute, dass – sofern Davis dich nicht abgeholt hätte – du eventuell von deinem Vater zu Tode erschreckt worden, die Treppe heruntergefallen oder bei einem Brand ums Leben gekommen wärst. Das Manuskript verschwindet nach diesem Zeitpunkt in den Wirren der Zeit. Und somit konnten wir es nur dort finden. Und dich haben wir mitgefunden. Du hast keine Kinder bekommen und somit hast du keine genetischen Spuren hinterlassen. Du bist für deine Zeit kein Verlust – aber für unsere kannst du ein Gewinn sein.“

Toni starrte den Gorilla wortlos an und versuchte, dessen Worte zu verarbeiten. Es gefiel ihm nicht, was er sagte. Aber er wusste auch nicht, was er entgegnen sollte. Das war alles einfach zuviel.

„Und was soll hier tun?“, fragte er schließlich mühsam. „Ich kann kein Raumschiff fliegen, ich kenne eure Technologie nicht. Ich kenne hier gar nichts. Mein Wissen ist nichts wert.“

„Doch.“ Fraggiz hob den Kopf von seiner Konsole und sprach mit papierner Stimme. „Es gibt einen großen Hype für das 21. Jahrhundert. Und es gibt viele Artefakte deiner Zeit, die wir nicht verstehen und die du uns leicht erklären kannst.“

Toni hob die Schultern. „Na ja, aber...“

„Und du bist doch Archäologe, oder?“, fragte Davis und seine Überdrehtheit ging Toni sofort wieder auf den Keks.

„Jaaaaa...“, antwortete dieser langsam.

„Und damit hast du wiederum Wissen, das wir verloren haben.“ Fraggiz lachte keckernd.

„Wieso verloren?“

„Im vierten Weltkrieg wurden nahezu alle Computerdatenbanken der Erde beschädigt. Im lunar-terranischen Krieg ein halbes Jahrtausend später haben die Datenbanken weiter gelitten und so weiter. Es ist viel Zeit vergangen und dazu kommt, dass deine Zeit viel zu viele Daten hinterlassen hat, um darin ein vernünftiges Muster zu erkennen und die interessanten Daten problemlos aussortieren zu können“, dozierte Fünf.

Toni zog skeptisch die Augenbrauen hoch.

„Das Angebot steht“, sagte Captain Matthew.

„Und wer macht mir dieses Angebot eigentlich? Ein Haufen Piraten?“ Toni verschränkte die Arme vor der Brust.

„Piraten klingt so hart...“ Davis dehnte die Worte und tat betont harmlos. „Die Bezeichnungen Abenteurer, Händler, Forscher treffen es doch eher.“

Jetzt war es Captain Matthew, der grollend lachte. „Sagen wir es so: Wenn du deine moralischen Vorstellungen gefährdet siehst, wirst du die Möglichkeit erhalten, jederzeit auszusteigen. Und bis dahin sind wir für dich verantwortlich und werden dafür sorgen, dass du dich hier so gut wie möglich einlebst. Immerhin möchten wir ja nicht, dass die Zeitpatrouille auf dich aufmerksam wird und uns auf die Schliche kommt, nicht wahr?“ Er zwinkerte Toni zu. Dieser hatte bis dato gar nicht gewusst, dass Gorillas so zwinkern konnten. Aber er lernte gerade eh, dass er bisher so gar nichts über Gorillas wusste.

Toni seufzte tief. „Was habe ich denn für eine Wahl?“

„Realistisch gesehen? Gar keine“, kommentierte Fünf süffisant.

„Na dann... Wer macht die erste Geschichtsstunde mit mir? Und bekomme ich dabei etwas zu Essen?“, gab Toni nach. Es stimmte schon: Er hatte doch eh keine Wahl.

„Liberty“, lautete Captain Matthews Antwort und Toni unterdrückte mit Mühe ein strahlendes Lächeln. Avatar hin oder her: Liberty war zumindest sehr attraktiv...

„Ach ja...“ Captain Matthew lächelte. „Willkommen im 28. Jahrhundert.“

Toni erwiderte das Lächeln. Vielleicht würde das hier ja doch nicht so schlecht werden. Nur an das ganze Blau musste er sich wirklich erst einmal gewöhnen.



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