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Der König der Löwen

Wir sind Eins
von

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Ein denkwürdiger Jagdabend

Die Leitlöwin

Der frische Abendwind wehte ihr entgegen, als Tama an der Spitze der Steinbrücke stand, die erhaben in die östliche Landschaft stach, und beobachtete, wie der Schatten des Königsfelsens allmählich länger wurde.

Sie schloss die Augen, nahm den Kopf ein wenig zurück und ließ die Luft ihr Kinn und die Unterseiten ihrer Ohren streicheln. Dabei freute sie sich nicht nur über die Erfrischung, die der Wind brachte, denn wenn er nicht drehte, dann waren das optimale Bedingungen für die Jagd.

Heute Mittag hatte Sarabi sie damit völlig überrumpelt. »Geh zu Tama, es ist ihre Jagd heute«, hatte sie zu der Löwin gesagt, die mit der Erkundungstour an der Reihe gewesen war und ihr hatte Bericht erstatten wollen. Auf diesen Ausführungen basierend hatte Tama sich dann für eine Herde Gnus nördlich des Wasserlochs entschieden.

Ebendies prüfte sie nun aus reiner Nervosität nach und versuchte, links in der Landschaft etwas zu erkennen. In der Ferne zeichnete sich tatsächlich eine Bewegung ab, aber die Schatten huschten viel zu schnell über die sanften Hügel. Es war nur das im Wind wogende Savannengras. Obwohl sie damit die Aussage ihrer Späherin nicht hatte bestätigen können, freute sie sich ungemein über ihre Entdeckung, denn die Bewegung war von Ost nach West erfolgt. Wenn der Wind seine Richtung beibehielt, müssten sie keinen großen Umweg machen.

Mittlerweile warf der Königsfelsen seinen Schatten schon fast bis zum Wasserloch. Tama hatte es bereits bemerkt und atmete tief durch. Jetzt gab es kein Zurück mehr. In nächsten Moment verkündete ihr Gebrüll, dass den Schwestern eine weitere Jagd bevorstand.

Sie beobachtete begeistert das Treiben, das sie ausgelöst hatte, dann schaute sie zurück zum Höhleneingang, vor dem sich die Löwinnen sammelten. Sarabi war auch dabei und sie war es auch, die Tama sogleich ansprach, als jene hinzutrat:

»Na, wie fühlst du dich?«

»Das ist viel schlimmer als die Jagd selbst.«

Die kurzen Ansagen waren für Tama zur Routine geworden, aber gleich selbst vor den Löwinnen zu sprechen, schon allein der Gedanke daran, machte sie ganz nervös. Sarabi hatte dabei immer so sicher und selbstbewusst gewirkt. An regnerischen Tagen hatte sie Ruhe ausgestrahlt und wenn sie mal an einem Abend keinen Erfolg gehabt hatten, dann hatte sie am Tag darauf neue Begeisterung geweckt.

Nun kamen auch Chumvi und Kula auf die Felsterasse und brachten die Löwenkinder mit. Vitani wurde getragen und sah ziemlich erschöpft aus.

»Puh, geschafft. Und sogar noch vor Nala«, stieß Mheetu erleichtert hervor.

»Gut gemacht«, antwortete Chumvi. »Jetzt aber rein mit euch.«

Kula setzte Vitani ab und gab ihr einen kleinen Schubser, als sie sich einfach an Ort und Stelle hinlegen wollte. Während ihr Bruder mit der Kleinen in der Höhle verschwand, kam sie hinüber zu den Jägerinnen.

»Sarabi?« Die Leitlöwin schaute auf.

»Tojo ist schon unterwegs.« Keine Antwort. »Wie gewöhnlich«, fügte Kula mit einem nervösen Lächeln hinzu.

»Wo patrouilliert er denn heute?« Auf Tamas Frage hin verschwand das Lächeln augenblicklich aus ihrem Gesicht und sie sah mit großen Augen zwischen den beiden Löwinnen hin und her.

»Es ist Tamas Jagd heute, von Anfang bis Ende«, erklärte Sarabi, worauf sich Kulas Miene verstehend aufhellte.

»Ach so ... Glückwunsch!«

»Noch ist die Beute nicht erlegt«, erwiderte Tama.

»Fehlschläge gehören dazu, auch mit ihnen musst du umgehen können«, wand Sarabi ein. »Solange wir alle unverletzt zurückkehren, bin ich zufrieden.«

»Heißt das –«

»Ja. Wenn alles glatt läuft, wird es meine letzte Jagd sein.«

Tama neigte in Ehrerbietung den Kopf. Sie hatte lange mit Sarabi gejagt und fast alles von ihr gelernt. Jetzt ihren Platz einzunehmen, vor allem mit ihrer Zustimmung, erfüllte sie mit Stolz, andererseits überfiel sie auch eine gewisse Unsicherheit. Danach würde sie niemand mehr anleiten, denn genau das wäre von da an ihre Aufgabe.

Als sie wieder aufblickte, sah sie Simba aus der Höhle treten. Ohne ein Wort zu sagen, stellte er sich zu ihnen und stillschweigend beobachteten sie alle, wie die letzten Jägerinnen vereinzelt zu ihnen stießen. Als der Strom schließlich abriss, trat er vor die Versammlung und verkündete mit majestätischer Autorität:

»Sikuyo indlela yelizwi lobomi. Jägerinnen, wisset, dass, solange ihr diesem Weg folgt, der Geist Aiheus mit euch sein wird. Er wird bei euch sein und eure Klauen und Zähne leiten, auf dass ihr gesund und erfolgreich wiederkehrt.«

»Aiheu abamami!«

Noch während die allseitige Antwort von der Felswand widerhallte, nickte Simba Tama zu. Sie stellte die Frage, woher gerade er wusste, dass sie heute Sarabis Platz einnehmen würde, zurück und trat einen Schritt vor. Nach den Blicken, die ihr entgegengeworfen wurden, zu urteilen, war ansonsten keine der Löwinnen informiert gewesen und es herrschte eine erdrückende Stille auf dem Königsfelsen.

Tama zwang sich, an Sarabis Ansprachen zu denken und begann, mit wackliger Stimme zu sprechen:

»Schwestern, eine weitere Jagd steht uns bevor.«

Überraschenderweise beruhigte sie das Echo ihrer eigenen Worte, verlieh ihnen trotz ihrer Unsicherheit Tiefe und Kraft. Von dieser unerwarteten Unterstützung beflügelt fuhr sie fort:

»Man hat mir zugetragen, dass sich heute Nachmittag eine Herde Gnus nördlich des Wasserlochs niedergelassen hat. Diese Tiere sind zwar für ihre Aufmerksamkeit bekannt, aber der Wind stand schon den ganzen Tag zu günstig, um diese Gelegenheit verstreichen zu lassen. Sie werden uns nicht bemerkten, ehe es zu spät ist. Habt Vertrauen in die Schwesterschaft und wir werden erfolgreich sein.«

Einen Moment lang hörte Tama nur den Widerhell ihrer letzten Worte verklingen, doch dann setzten die Löwinnen nach und nach zu ihrem vertrauten Jagdlied an. Während der Klang der altbekannten Verse die Luft erfüllte, wandte sie sich, auf einmal am ganzen Körper zitternd, an Sarabi, brachte aber keinen Laut hervor.

Die alte Leitlöwin lächelte nur, ging zu ihr und schmiegte den Kopf kurz unter ihr rechtes Ohr. »Ich werde dir folgen, wohin auch immer du uns führst. Keine der Schwestern denkt anders.«

Daraufhin übertrug sich das Lächeln auch auf Tamas Gesicht und bei der nächsten Wiederholung stimmte sie mit ins Jagdlied ein, während sie, die Jägerinnen im Gefolge, von der Felsterasse trabte.
 

Zingela Siyo

Der anschließende Marsch war nach dieser aufreibenden Situation das Entspannendste, was Tama bis dahin erlebt hatte. Erst jetzt verstand sie wirklich, warum das Jagdlied immer und immer wieder angestimmt wurde. Als der Mond schon baumhoch über dem Horizont stand, kam schließlich die Gnuherde in Sicht.

Das Ausmaß des Zusammenschlusses vor ihr erschrak sie jedoch. Tama schätzte, dass es nicht weniger als fünfzig Tiere sein mussten, womit ihre gewohnte Strategie hinfällig war. Sobald sie die Herde aufschreckten, würden die Gnus in geschlossener Formation bleiben und damit den Löwinnen zahlenmäßig weit überlegen sein. Sie brauchte einen neuen Plan und ließ den Blick über die umliegende Landschaft wandern. Da kam ihr eine Idee und sie drehte sich zu ihren Jägerinnen um.

»Okay, wir werden sie aufscheuchen. Das Gelände auf der anderen Seite ist weiträumig und flach. Es sollte uns genügend Platz bieten.«

»Was hast du vor? Wir können aus dieser Masse kein Tier herauspicken. Das ist zu gefährlich.«

»Das müssen wir auch nicht.« Tama ließ sich von dem Einwand nicht irritieren, vielmehr weckte er den Eifer, ihren Plan tatsächlich umzusetzen. »Wir teilen uns auf. Vier gehen mit Sarabi auf die linke Seite, Sarafina geht mit vier von uns auf die andere.« Die Jägerinnen bildeten wortlos die beiden Gruppen, während Kula bei Tama stehen blieb.

»Sehr gut. Konzentriert euch auf das hintere Ende der Stampede und engt die Tiere ein. Das wird sie verlangsamen und vom Rest trennen.« Ein verstehendes Raunen ging durch die Löwinnen. »Das Gleiche machen wir mit der neuen Gruppe wieder, bis sie klein genug ist, um anzugreifen. Falls ein Tier zurückbleibt, gehört es uns.« Tama deute auf sich selbst und Kula.

Sie wartete einen Moment auf Widerrede, sah aber nur erwartungsvolle Gesichter. »Gut, dann los.«

Die beiden Gruppen verschwanden lautlos im hohen Savannengras. Tama wusste, dass Sarabi und Sarafina mittlerweile ein eingespieltes Team waren, denn es war wichtig, dass sie die Herde von beiden Seiten gleichzeitig aufschreckten, um den Tieren von Anfang an möglichst viel Raum zu nehmen.

Kurz darauf ertönte in perfektem Einklang von links und rechts Löwengebrüll und es ging los. Tama behielt bei der Verfolgung immer einen Blick auf die beiden Flankengruppen. Die jeweils fünf Löwinnen liefen in einer Reihe hintereinander und fauchten immer wieder die äußeren Gnus an.

Kurz nachdem sich die Herde zum zweiten Mal geteilt hatte, riss eins der Tiere aus und verlangsamte seinen Schritt. Tama holte es schnell ein und schnitt ihm den Weg zurück zur Herde ab. Der Schock über die verlorene Fluchtmöglichkeit machte das Gnu blind für die zweite Löwin, die es verfolgte. Kula überfiel es von hinten und hatte es binnen Sekunden erlegt.

Der Todesschrei des verendenden Tiers löste unter den Restlichen, die noch von den anderen Löwinnen verfolgt wurden, Panik aus. Sie verloren die Formation und gaben den Jägerinnen damit ein weiteres Opfer preis.

Während Kula, hocherfreut über ihre geschlagene Beute, zum Rudel hinüberging, bemerkte Tama, wie etwas im Savannengras lauerte. Sie ging neben dem Kadaver in Stellung, sowohl bereit, darum kämpfen, als auch zu fliehen. Aber sie richtete sich schneller wieder auf, als der Löwe ins Mondlicht trat.
 

Sternschauer

Schon kurz nach dem Abschied der Löwinnen herrschte wieder eine gewisse Betriebsamkeit am Königsfelsen. Während Chumvi bei den Kindern in der Höhle blieb, hatte Simba seinen gewohnten Posten an der Spitze des steinernen Monuments bezogen. Allnächtliche Stille umfing ihn, während er in sämtliche Richtungen nach allem spähte, was sich bewegte.

Was man von Chumvi nicht sagen konnte. Unter dem Vorwand, nachzusehen, ob in der Futterkammer genügend Platz für ihre Beute war, hatte er die vier Sprösslinge in der Haupthöhle allein gelassen.

»Ich gehe dann mal zu meinem Papa und frage ihn nach dieser Schlucht«, verabschiedete sich Kopa. »Bis später!«

»Jaja, geh nur zu deinem Papi«, amüsierte sich Nuka.

»Ich denke, das tue ich auch«, entgegnete Vitani.

»Was willst du denn von Kopas Vater?«

»Nicht zu seinem Vater, zu meinem!«

»Er ist nicht –« Nuka stockte, als Mheetu zu ihnen stieß.

»Gibt es hier Probleme?«

»Nein, Vitani und ich wollten gerade gehen«, antwortete Kopa.

»Na dann viel Spaß bei was auch immer ihr vorhabt. Aber vergesst nicht, dass es Essen gibt, sobald die Löwinnen rufen.«

Dann wandte er sich an Nuka: »Hey, das in der Schlucht heute. Was auch immer dir damals passiert ist –«

»Lass mich in Ruhe!«

»Okay ...«

Kopa wusste genau, wo er seinen Vater um diese Zeit finden würde. Er meldete sich bei Chumvi ab und wanderte vorsichtig den Pfad entlang, der in einer Spirale um das steinerne Monument von der Felsterasse hinauf zur Spitze des Königsfelsens führte. Als er auf die kleine Aussichtsplattform trat, saß Simba mit dem Rücken zu ihm und sah gerade in die Richtung, in die die Löwinnen davongezogen waren.

»Papa?«

»Kopa, warum bist du nicht mit den anderen in der Höhle?« Sein Ton war überrascht aber freundlich. Trotzdem ließ er nicht aus den Augen, was auch immer er gerade beobachtete.

»Ich wollte mit dir reden.« Kopa wartete, bis sein Vater sich zu ihm umgedreht hatte, dann fuhr er fort: »Wir waren heute bei dieser Schlucht und da hatte ich dann auf einmal so einen komischen Traum.«

»Von welcher Schlucht redest du? Es gibt mehrere hier.« Simba schien seine Bemerkung über den Traum gar nicht wahrgenommen zu haben.

»Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich glaube, ich kann sie immer noch spüren«, erklärte er besorgt. »Schon den ganzen Abend kann ich an nichts anderes mehr denken.«

»Ach so, ihr wart bei der Schlucht.« Die Reaktion seines Vaters erschrak ihn – er wirkte fast erleichtert. »Ich hatte schon überlegt, wann ich es dir selbst zeigen sollte. Jetzt muss ich es aber, wie es aussieht, gleich erklären.«

»Was ist passiert? Was habe ich gesehen? Woher weiß Nuka so viel darüber? Warum hilft Aiheu mir, aus deinem Fehler zu lernen?«

Simba nutzte die erste Atempause seines Sohnes, um selbst zu Wort zu kommen: »Ich habe keine Ahnung, was du gesehen hast, aber ich denke, ich kann –«

»War das der Beginn von Scars Herrschaft?«

Ein dunkler Schatten huschte über Simbas Gesicht. »Ja. Woher weißt du das?«

»Mheetu«, sagte Kopa nur und legte die Ohren an. »Tut mir Leid.« Er sah zu seinem Vater auf und fragte noch einmal in wesentlich sanfterem Tonfall: »Was ist da passiert?«

»Wie du bereits gesagt hast – Scar hat damals die Herrschaft erlangt, aber er hat dazu ein schreckliches Verbrechen begangen. Er hat seinen Bruder, deinen Großvater, getötet.«

Kopa kannte zwar die Namen seiner Vorgänger bis zu seinem Ururgroßvater, aber er war nie auf die Idee gekommen, nach Einzelheiten zu fragen. Jetzt schien es ihm fast schon fahrlässig, dass er so wenig über Mufasas Leben wusste.

Um wieder etwas zum Gespräch beitragen zu können, versuchte er, sich an genaue Details seiner Vision zu erinnern. Zu seiner eigenen Überraschung fiel es ihm ausgesprochen leicht, er musste nur an die Schlucht denken und sich vorstellen, erneut hindurchzuwandern, schon trat wieder dasselbe Bild vor sein Inneres Auge:
 

Er sah, wie er jetzt wusste, Mufasa, der versuchte, einen steilen Hang hinaufzugelangen. Knapp über ihm erkannte er Scar, der gerade hektisch hin und her schaute. Er schien Kopas Anwesenheit nicht zu bemerken und wartete mit teilnahmsloser Miene, bis sein Bruder den Vorsprung fast erreicht hatte.

»Scar, Bruder! Hilf mir!«

Der tat so, als hätte er Mufasa just in diesem Moment entdeckt. Scar beugte sich herunter und ein verhohlenes Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er seinem Bruder die Klauen in die Vorderläufe jagte. Allein der Anblick verursachte ein seltsames Kribbeln an Kopas Pfoten.

»Lang lebe der König!«

Mit einem einzigen Ruck riss Scar Mufasas haltgebende Krallen aus dem Gestein und ließ ihn in die Tiefe stürzen. Kopa sah den Löwen wie in Zeitlupe herabfallen und auf einmal packte ihn eine Angst wie nicht von dieser Welt, während eine Stimme hinter ihm in Mufasas Geschrei mit einstimmte:

»Neeeiiiinnn!«

Kopa riss den Kopf herum, aber die Konturen verfestigten sich nicht wieder, so als würde er sich weiter im Kreis drehen. Mit dem Verklingen des Wehklagens kehrte er wieder in die Realität zurück.
 

Das erste, was er wahrnahm, waren seine Vorderpfoten, beide unversehrt. Dann sah er auf und erkannte seinen Vater, der noch immer ruhig vor ihm saß, wobei seine Neugierde den jungen Prinzen ein weiteres Mal erschrak. Kopa musste sich erst zur Besinnung zwingen, bevor er seine Frage stellen konnte:

»Wer hat da gerade geschrien?«

Simbas Vermutung schien sich damit bestätigt zu haben. »Du hast es also noch einmal erlebt?«

»Ist denn etwas falsch daran?«

»Ich bezweifle, dass man es einfach als gut oder schlecht bezeichnen kann.« Damit war Kopa nun überfordert, was seinen Vater aber nicht im Geringsten beunruhigte. »Es ist Zeit für die letzte und wichtigste Stufe deines Unterrichts. Auf dieser Ebene werde ich dir vieles nicht erklären können, sowie es auch nicht immer eine klare Antwort gibt.«

»Jetzt?«, fragte Kopa ungläubig.

»Ja«, entgegnete Simba. »Du hast mich darauf angesprochen, hier ist deine Antwort. Das, worauf du gestoßen bist, ist zu wichtig, als dass ich dich blind darauf loslassen möchte. Aber lass uns dazu woanders hinsehen, mir behagt der Anblick der Schlucht nicht.«

Zwar konnte Kopa weder die Schlucht erkennen und er bezweifelte, dass sein Vater dazu in der Lage war, noch konnte er sich vorstellen, dass sie irgendeine Auswirkung auf seinen Unterricht haben sollte. Aber wie so oft gehorchte er einfach in der Hoffnung, doch noch aufgeklärt zu werden. Simba drehte sich wieder zurück in die Richtung, in die er schon zu Anfang gesehen hatte und wartete, bis sein Sohn an seiner Seite saß.

»Kopa ... sieh hinauf zu den Sternen. Die großen Könige der Vergangenheit sehen von dort auf uns herab. Sie sind verantwortlich für deinen Traum.«

»Was hast du eigentlich von deinem Vater gesehen?«, brach es aus Kopa hervor. »Was war sein größter Fehler?«

»Das habe ich noch nicht herausgefunden. Wo auch immer es geschehen ist, der Ort ist mir wohl bisweilen noch unbekannt.«

»Aber dann können sie dir doch gar nicht helfen.«

»Natürlich können sie! Es war dein Großvater, der mich vor langer Zeit wieder nach Hause zurückgeführt hat.«

»Aber Nuka hat gesagt, dass es nur einmal passiert.«

»Ja, sie zeigen dir von sich aus genau einen Fehler deines Vorgängers, aber sie werden immer da sein, wenn du Hilfe brauchst – sowie es dein Großvater damals für mich war. Und genauso wirst du auch immer mit mir reden können, wenn ich einmal nicht mehr hier bin.«

»Ich rede aber viel lieber so mit dir.«

»Ich weiß.«

»Aber Papa?«

»Ja?«

»Warum habe ich dann deine Erinnerung gesehen? Immerhin ... lebst du ja noch.«

»Das war nicht meine Erinnerung.«

»Ach so, dann habe ich eine Erinnerung meines Großvaters gesehen!« Kopa klang so erstaunt, man könnte meinen, dass ihn nichts auf der Welt mehr überraschen könnte. Doch er Schein trog: »Aber warum? Warum sehe ich etwas von Großvater?«

»Ich weiß es nicht, das Schicksal beschreitet manchmal seltsame Wege. Rafiki ist das beste Beispiel dafür, dass nicht alles vorhersehbar ist.«

Der junge Prinz blickte auf in den Nachthimmel, als eine Sternschnuppe darüber huschte und für einen Augenblick einen hellen Schweif hinterließ. Er folgte der Linie und versuchte auszumachen, wie viele Sterne er sehen konnte. Vergebens. Immer wieder verschwanden einzelne und an anderer Stelle schimmerten Neue auf.

»Das waren alles Könige?«

»Nein, das habe ich nicht gesagt.«

»Also kommen wir alle in den Himmel?«

»Ich weiß es nicht. Viele der Sterne kenne ich gar nicht.«

»Verstehe, es sind einfach so viele ...« Kopa dachte an das, was Simba ihm erklärt hatte, dass es nicht immer eine klare Antwort gebe. Dann erinnerte er sich an die Narbe, die sie heute Mittag entdeckt hatten und da verstand er ihn. Es gab einfach Dinge, die größer waren, Dinge, die ihr Verstand nicht zu erfassen vermochte.

Er wusste nicht, wie lange er neben seinem Vater dagesessen und in die Dunkelheit gestarrt hatte, denn es gab nichts, woran sich sein Zeitgefühl hätte orientieren können. Irgendwann ertönte aus der Ferne das Gebrüll der Jägerinnen.

Simba schreckte hoch und Kopa wusste auch genau warum. Für gewöhnlich war es das Privileg der Löwin, die die Beute geschlagen hatte, dies auch zu verkünden, aber eben hatten sie fast die ganze Schwesterschaft gehört. Auch wenn sein Vater schnell versuchte, es zu verbergen, als sie hinunter zur Höhle gingen – er wusste, dass etwas nicht stimmte.
 

Auf Streife

Es war der letzte Rundgang, den Tojo vor der Großen Regenzeit in den westlichen Landen absolvieren würde, danach wollte er sich näher an der Jagdgruppe halten.

Auf seiner Streife nordwärts ließ er den Königsfelsen immer weiter rechts hinter sich. Der Horizont, der dann folgte, war ständig in Bewegung; es war die Graswand, die sachte im Wind wogte. Irgendwo dahinter waren jetzt die Schwestern unterwegs, denen er Rückendeckung gab. Zumindest redete er sich das ein, weil es beruhigend war, zu denken, dass sein Platz genauso wichtig war wie er eines jeden anderen.

Ein Geräusch zu seiner linken ließ Tojo herumfahren. Vom ersten Augenblick an wusste er, mit wem er es zu tun hatte – es waren dieselben schweren Schritte, wie er sie schon das letzte Mal gehört hatte, bevor ...

Ein weiteres Mal raschelte es, als eine unachtsame Pfote einen kleinen Stein traf und ihn ein Stück durch die Asche zog, diesmal etwas näher. Tojo wusste nicht, ob er entdeckt worden war, aber sowie Tama es ihn gelehrt hatte, ging er dessen ungeachtet in Deckung, allerdings nur so weit, dass er noch seine Umgebung im Überblick behielt.

Nein, er war nicht aufgeflogen. Der Eindringling wanderte vor ihm vorbei, ohne etwas zu bemerken. Tojo wartete, bis er den Fremden fast aus den Augen verlor, dann machte er sich an die Verfolgung.

›Gut. Sobald wir in der Savanne sind, bin ich im Vorteil.‹

Und tatsächlich hielt sein Opfer direkt auf die Graswand zu – jetzt hieß es alles oder nichts. Sobald der Eindringling zwischen den Halmen verschwunden war, spurtete Tojo los, wirbelte Asche und Steine auf und erreichte kurz darauf ebenfalls den Grenzwall.

Selbstverständlich war das aufgefallen - und zwar mit Absicht. Der Fremde lugte wieder aus dem Savannengras hervor, sah aber nur eine Staubwolke und trat wieder ins Freie, um ihrer Ursache auf den Grund zu gehen.

»Du bist hier nicht erwünscht, Siri.« Tojo stand direkt hinter ihm.

Der Arme hatte natürlich nicht damit gerechnet, jetzt gerade aus dieser Richtung angesprochen zu werden, und machte einen kleinen Satz vorwärts. Dann erst drangen die Worte bis in seinen Kopf vor.

»Soso, du kennst meinen Namen? Dann bin ich hier ja doch richtig.«

›Verdammt! Wie kann man nur so blöd sein.‹ »Wie kommst du denn darauf?«

Siri zuckte kurz zusammen, als er merkte, dass auch er mehr als gewollt preisgegeben hatte. Doch seine Augen verengten sich schnell wieder zu schmalen Schlitzen, deren Gelb nur vom rötlichen Leuchten der Pupillen unterbrochen wurde.

»Anscheinend kennt mich jemand hier. Als ich gefragt habe, ob ihr in letzter Zeit jemanden aufgenommen habt, habe ich mich nach den Maßstäben meines Alters gerichtet. Deshalb wohl das Missverständnis.«

»Sie möchte dich ohnehin nicht mehr sehen.«

»Sie? ... hat nichts zu befürchten, ich möchte nur mit ihr reden.«

Tojo sah seinen Kontrahenten angewidert an. Er wollte kein Wort glauben, aber vielleicht war ja gerade das die Lösung.

»Dann helfe ich dir, sie zu finden!« Er hatte genau das erreicht, was er wollte – Siri starrte ihn völlig perplex an. »Glaubst du mir nicht?«

»Kein einziges Wort.«

Tojo konnte nicht anders. Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht, als er einen Schritt vortrat und sich querstellte, sodass sein eigener Körper den Pfad, den Siri ins Savannengras getreten hatte, versperrte. Dieser verstand die Botschaft und setzte zum Sprung an, war aber bei weitem zu langsam.

Noch während sein Gegner in der Luft hing, hechtete Tojo zwischen die Deckung bietenden Grashalme. Siri seinerseits segelte weiter und landete ebenfalls knapp hinter dem Grenzwall, hatte jedoch den Sichtkontakt verloren.

Was dann folgte, war das reinste Kinderspiel. Tojo behielt Siri ständig im Auge und lockte ihn immer tiefer in die Savanne hinein. Nach und nach erkannte er sogar einen gewissen Reiz darin, sich immer wieder kurz sehen zu lassen, nur um dann aufs Neue zu verschwinden. Nach einer Weile – Siri musste, seinen Flüchen zu urteilen, schon völlig die Orientierung verloren haben – hörte er massives Hufgetrappel. Tojo erklomm eine kleine Anhöhe, sah zuerst hinter sich nach seinem Verfolger und machte dann vor sich die Jägerinnen aus, die eine Herde Gnus quer durch die Savanne trieben.

›Wenn sich unsere Beute doch nur genauso verhalten würde.‹ Nach einem weiteren Blick zu Siri machte Tojo sich auf den Weg. Er sah, wie eines der Tiere ausriss und fast augenblicklich von zwei nachfolgenden Löwinnen zur Strecke gebracht wurde. Sein Herz schlug noch etwas höher, als er die beiden erkannte. Er lief zunächst auf die restliche Jagdgruppe zu, schüttelte Siri dann ab und schlich hinüber zu seinen beiden Freundinnen.

Kula war schon gegangen, aber Tama hatte ihn wohl bemerkt: »Was machst du hier?«

»Ich habe nicht viel Zeit, Siri ist mir auf den Fersen.«

Sie hatte ja keine Ahnung. »Alles in Ordnung?«

»Ich habe ihn hergebracht«, antwortete Tojo mit einem schiefen Grinsen.

Tamas Blick wurde auf einmal merkwürdig klar. »Dann verliere ihn nicht! Ich rufe die Schwestern zusammen.«
 

Lala kahle

Siri war sich schon fast sicher, diesen frechen jungen Löwen verloren zu haben, als er ein Stück vor sich eine Bewegung ausmachte. Sofort duckte er sich vollends unter das Savannengras und schlich vorwärts, diesmal würde er unbemerkt bleiben.

Mit bereits ausgefahrenen Krallen bewältigte er das letzte Stück, das ihn noch von seiner vermeintlichen, ahnungslosen Beute trennte. Ab und zu raschelte es links und rechts hinter ihm, aber er kannte jetzt nur ein Ziel.

Dann trat er ins Freie, wo er seine Beute vermutete. Die Gnustampede hatte eine breite Schneise durch das Savannengras gezogen und in deren Mitte stand eine Löwin, die er nicht kannte.

»Du bist also Siri«, stellte sie fest.

Er ließ sich nicht beeindrucken und schritt weiter voran, worauf sie langsam zurückwich. Doch gerade als er selbst die Mitte des Freilands erreicht hatte, traten aus dem Gras hinter der Löwin noch weitere hervor und ehe er sich's versah, war er von fast einem Dutzend von ihnen umringt. Dann erschien zu allem Überfluss auch noch der Löwe, den er verfolgt hatte, und stellte sich ebenfalls dazu.

»Was soll das?«, rief er und sah sich hektisch nach einem Fluchtweg um, doch es gab keinen. Zudem musste er feststellen, dass er keine der anwesenden Löwinnen kannte. Dann fiel sein Blick wieder auf den Löwen. »Du hast gesagt, du bringst mich zu ihr.«

»Das habe ich«, entgegnete Tojo erhobenen Hauptes, »aber sie möchte dich nicht sehen, und diesen Wunsch respektiere ich ebenso.«

»Eine Lüge! Habe ich dich etwa angelogen?«

»Als du sagtest, du wolltest nur mit ihr reden. Allein deshalb ist man nicht so hinter jemandem her.« Tojo trat näher und die Löwinnen taten es ihm nach. Ganz langsam schloss sich der Kreis. »Also nochmal von vorne:« Er betonte jedes einzelne Wort. »Was willst du hier?«

Es war offensichtlich, dass er Recht hatte, denn Siri verengte die Augen wieder zu Schlitzen. Anscheinend tat er das immer, wenn er scharf nachdachte. »Das weiß ich, wenn ich mit ihr geredet habe.« Dann schloss Siri die Augen komplett. »Aber ihr lasst mir keine Wahl.«

Ohne Vorwarnung hechtete er vorwärts. Sein Ziel war die Löwin zwei Plätze rechts von Tojo – Nala, doch er wurde noch in der Luft gebremst, als ihm eine andere der Jägerinnen von der Seite dazwischen sprang.

Die beiden landeten direkt zu Tamas Füßen und Siri schaute auf. Seine Schnauze war bereits voller Blut. Sie wollte sich schon auf ihn stürzen, ungeachtet dessen, wie unterlegen sie ihm gewesen wäre, als sie die Löwin erkannte. Sarabi keuchte schwer, während Blut, das aus mehreren Halswunden quoll, das zertretene Gras vor ihr im Mondlicht schimmern ließ.

Der Schock hatte alle Schwestern auf der Stelle gelähmt. Siri nutzte die Gelegenheit und spurtete durch die Lücke, die Sarabi gelassen hatte. Eine der Löwinnen erwischte ihn noch am rechten Hinterlauf und kratzte Fell und Haut herunter, dann war er entwischt.

Keine der Jägerinnen rührte sich und außer Sarabis leisem Stöhnen war es ruhig. Alle Blicke waren auf Tama gerichtet, die sich zu der alten Leitlöwin hinunter beugte. Es bedurfte keiner Worte, zu sagen, dass sie die Nacht nicht überleben würde.

»Ich habe wieder versagt.«

»Nein ... diesmal war ich ... zu langsam.«

»Nicht sprechen, das macht es nur schlimmer!« Ihr sonst so gefasster Gesichtsausdruck wich nun blanker Hilflosigkeit. In Verzweiflung sah sie auf und wandte sich an die Löwin, die Siri am nächsten gewesen war: »Hast du ihn schwer verwundet?«

Doch die sah nur auf ihre blutbefleckten Krallen und schüttelte dann den gesenkten Kopf.

Danach fiel es Tama ungeheuer schwer, wieder hinabzusehen. »Sarabi, soll ich Simba holen?«

»Nein ... hör mir zu. Die Schwestern ... sie vertrauen dir ... so wie ich. Du und Tojo ... vergesst nie ... was heute Nacht passiert ist.«

»Bitte, du darfst nicht sterben.« Tränen, getrieben von Wut, Verzweiflung und Schmerz, rannen an ihrer Schnauze herab. »Nicht so!«

»Spielt es denn eine Rolle? Ich war schon lange bereit dafür. Aiheu abamami!« Ihre Flanke hob und senkte sich noch ein letztes Mal, dann rührte sie sich nicht mehr.

Nun konnte Tama sich nicht mehr zusammenhalten, ihre Beine schienen nachzugeben und am liebsten wäre sie einfach eingeknickt und liegen geblieben. Aber dann spürte sie eine Berührung. Wenn auch zögerlich, legte Tojo sanft seine Vorderpfote auf eine der ihren. Erst wollte sie sie zurückziehen, doch dann vergrub sie fast schon ruckartig den Kopf in seiner Mähne und ließ allen Kummer heraus.

Währenddessen traten die Schwestern der Reihe nach vor, wobei eine jede von ihnen ihre alte Leitlöwin mit den Worten »Lala kahle.« sachte mit der Schnauze anstupste.

Als letztes wiederholte Tama persönlich die Prozedur und sah dann durch die Reihen der Löwinnen. Trauer, Wut und Unsicherheit erfüllten ihre Gesichter, aber darüber hinaus erkannte sie, dass sie alle zu ihr aufsahen. Sie hatten sie akzeptiert.

Dann reckte sie den Kopf zum Himmel und stieß ein wehklagendes Gebrüll aus, in das die Schwestern schnell einstimmten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Übersetzungen
Aiheu: Angebeteter Gott
Aiheu abamami!: Herr, gib mir Kraft!
Lala kahle.: Auf Wiedersehen, Schlaf gut, Ruhe in Frieden
Sikuyo indlela yelizwi lobomi.: Wir befinden uns auf dem Weg der gerechten Stimme.
Zingela siyo: Wir gehen jagen Komplett anzeigen

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