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Asche und Staub

Marys Vermächtnis
von

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Jacks Erkenntnis

Einst gab es eine Welt, an die sie glauben konnten, ein Gefühl, das sie verband und einen Traum, den sie miteinander teilten, doch das, was seit Jahren an Jacks Verstand nagte, ließ diese Erinnerungen seltsam fern erscheinen.
 


 

Es war nicht mehr als ein Flüstern in den kahlen Mauerwänden, das nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder den Gedanken an Freiheit in ihm weckte. Er spürte ein Vibrieren unter seiner Haut, den Widerhall einer Stimme in seinem Kopf, die ihn immer wieder rief und seine Schritte durch die schmalen Gänge der Anstalt hinaus in den Hof dirigierte. Die Stimme war vertraut und fremd zugleich, der Schatten eines Bildes, das er nicht klar sehen konnte, das Echo längst vergangener Tage, die fast vergessen waren. Es erinnerte ihn an kühles Bier und endlose Nächte, an den Geschmack von Whiskey auf glühenden Lippen, an betrunkenes Lachen und dröhnende Musik, an den Geruch von Leder und Zigaretten – an alte, verstaubte Bücher, noch ältere Schriften und an die verhängnisvollen Geheimnisse, die ihnen innewohnten.

Jack glaubte, dass die abendliche Kühle seinem unruhigen Geist dabei helfen würde, die Unordnung zu beseitigen, doch als er das Gebäude verließ, schlug ihm stickig-trockene, viel zu heiße Abendluft entgegen. Das Atmen fiel ihm plötzlich schwer, das Chaos in seinem Kopf machte ihn schwindelig. Für einen Augenblick verlor er die Orientierung, tastete mit den Händen nach dem Gitter des metallenen Zauns und konzentrierte sich auf den Boden unter seinen Füßen. Er spürte das Vibrieren nun nicht mehr nur unter seiner Haut, sondern in der Erde. Es krabbelte seinen Körper hinauf und lenkte seinen Blick gen Westen: Glutrot stand dort die Sonne tief am Horizont und schien ihren Untergang hinauszögern zu wollen. Sie war umgeben von dichten, dunklen Wolken, die sich am Himmel auftürmten, als wollten sie das Licht mit aller Gewalt verdrängen. Schwarze Schwingen, dachte Jack, und sein zielloses Umherirren hatte endlich ein Ende.

Klare Bilder formten sich nun hinter seinen Augen und Prophezeiungen machten endlich den Anschein, als näherten sie sich ihrer Erfüllung. Er bemerkte nicht einmal, wie er sich mit schnellen Schritten zurück in sein Zimmer bewegte und die verstaubten Bücher mit den ausgeblichenen Notizen aus der hintersten Ecke seines Schrankes hervorkramte. Er ließ sie allesamt auf die harte Matratze seines Bettes fallen und sank selbst davor auf die Knie. Seine Finger strichen über die ledernen Einbände und erinnerten sich an die feine Textur der Seiten. Er musste nicht lange blättern, um das zu finden, was er suchte. Seine Augen glitten wie in Trance über die Zeilen, während er gedanklich Bibelstellen und sumerische, babylonische, kanaanitische, nordische und asiatische Mythen rezitierte. Tiamat, die Hydra, Nidhögg und die Midgardschlange, bedrohliche Figuren starrten ihm aus skizzenhaften Zeichnungen entgegen und ihr Blick war für Jack schon immer mehr als Fiktion gewesen: Aus seinem Maul fahren brennende Fackeln, feurige Funken schießen hervor. Rauch dampft aus seinen Nüstern wie aus kochendem, heißem Topf. Sein Atem entflammt glühende Kohlen, eine Flamme schlägt aus seinem Maul hervor… Auf Erden gibt es seinesgleichen nicht, dazu geschaffen, um sich nie zu fürchten, Hiob 41, er schlug die Bücher zu, fuhr sich durch das zerzauste Haar, sprang wieder auf und suchte nach seinem Rucksack. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg machte.



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