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The Poetry of Light and Shadow

Loki x OC
von

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Eine einmalige Chance

Ungefähr zwei Jahre später...
 


 

»Frigga…Frigga…« Ein seichtes Säuseln, gleich einem Windhauch, der durch raschelndes Astwerk fuhr.

Irgendjemand wisperte da ihren Namen.

Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie diese gesichtslose Stimme zaghaft wahr, welche in ihren Schlaf drang und sanft um Aufmerksamkeit buhlte.

»Frigga…«

Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers. Die Vorhänge des Balkons blähten sich im milden Nachtwind und ließen silbernes Mondlicht in den Raum fluten.

Neben ihr lag Odin in den tiefsten Träumen; sein Atem war gleichmäßig und ruhig zu vernehmen.

»Frigga…« Die unbekannte Stimme hauchte erneut ihren Namen, lockend, leicht wie ein Nebelfetzen über Frühlingswiesen. Und doch lag auch Dringlichkeit darin; eine flehende Bitte, die Frigga die Bettdecke leise zurückschlagen und die nackten Füße auf den kühlen Boden setzen ließ.

Langsam trugen sie ihre Schritte zu den geöffneten Flügeltüren des Balkons hin, auf welchen die wehenden Vorhänge die Sicht verbargen.

Kurz hielt die Königin der Asen inne, schickte einen Blick zurück zu ihrem schlafenden Mann, bevor sie einen Arm hob und die Vorhänge beiseite zog.

Ihr stockte der Atem.

Vor ihrem Balkon in der lauen Luft der Sommernacht schwebte eine überirdische schöne Frau; ein Antlitz so strahlend wie die Sterne am Nachthimmel und so weise wie das Universum selbst. Ihr Gesicht war gütig, ihre Augen alt wie die Zeit; in ihnen spiegelten sich das Entstehen und der Fall von Königreichen.

Sie trug ein einfaches Gewand, welches ihre schlanke Gestalt umhüllte, kaum zu trennen von dem langen, weißen Haar, welches die unwirkliche Erscheinung einrahmte, als würde sie schwerelos im Wasser schweben.

Die Frau streckte Frigga die Hand entgegen. »Komm, Herrin der Asen. Erfahre meine Weissagung. Lausche den Worten, die von kommenden Tagen künden.« Ihre Stimme ging durch Mark und Bein, war Alt und Jung zugleich, tot und lebhaft, kalt und doch voller Wärme.

Skuld. Die Norne der Zukunft.

Frigga trat langsam auf die Schicksalsfrau zu; ihre Füße bewegten sich wie von selbst, als wäre sie an einen unsichtbaren Faden gebunden, dessen Ende die andere Frau in den Händen hielt.

Ohne zu zögern legte Frigga ihre Hand in jene der Norne. Deren Fingers waren kühl und von unglaublicher Kraft beseelt, welche in den schlanken Gliedern steckte. Und doch war der Griff Skulds weich und tröstend, als sich ihre Finger um die Friggas schlossen.

»Frigga. Tapfere, gütige Frigga. Dunkel waren deine Nächte und voller Tränen. Tränen, die für deinen Sohn fielen. Und der Hoffnung bist du immer ferner. Entschwindest ihr gar fast.« Das ätherische Gesicht der Norne zeigte wahres Mitgefühl und Frigga spürte erneut Feuchte in ihren Augen, die nagende, bittere Verzweiflung im Leib.

Loki.

Skuld sprach von Loki.

Die Lippen der Norne verzogen sich zu einem warmen Lächeln, ein Lächeln voller Hoffnung und Zuversicht, als sie weiter sprach. »Doch verzage nicht, Frigga. Gib niemals deinen Glauben auf. Gib deinen Sohn nicht auf. Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Er kann der Dunkelheit entkommen, muss nur dem Licht folgen. Lasse das Licht niemals von seiner Seite weichen.«

Skuld drückte Friggas Hand ein letztes Mal, bevor sie deren Finger losließ und in die Nacht zu entschwinden begann; sich auflösend wie eine Wolke, die vom Wind zerrissen wird. »Er muss dem Licht folgen, Frigga. Sonst wird es das Ende sein…für ihn…für euch alle…«

Die letzten Worte Skulds verhallten unheilvoll in der Nacht. Die Norne war verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

Frigga schlang die Arme um sich, ein Frösteln überzog ihre Haut. Ihr Nachtgewand umwehte ihre nackten Füße.

Sie sah zu den funkelnden Sternen auf und schöpfte tief Atem.

Seit Äonen hatten die Schicksalsfrauen keine Weissagungen mehr getätigt. Gerade Skuld war die Zurückgezogene unter ihnen. Und nun besuchte sie jene hier in Asgard.

Konnte es wirklich sein…gab es noch Hoffnung? Hoffnung für ihren Sohn?

Und von welchem Ende hatte die Norne gesprochen?

Was stand ihnen allen bevor?
 


 


 

New York
 

»Gweny, Liebes, wir freuen uns schon unheimlich auf dich. Deine Mutter will extra deinen Lieblingskuchen backen und hat dein altes Kinderzimmer wieder für dich hergerichtet. Es wird schön sein, unsere Kleine wieder im Haus zu haben.«

»Dad…bitte nicht „Gweny“ oder „Kleine“, okay? Ich bin jetzt fünfundzwanzig und spiele inzwischen mit den großen Jungs, weißt du?!« Gwen konnte den tiefen Atemzug ihres Vaters hören und sich dazu den bestürzten Gesichtsausdruck bildlich vorstellen, sodass sie unweigerlich schmunzeln musste, als sie den Hörer des Telefons zwischen Schulter und Ohr klemmte, um ihre Hände für die Tastatur des PCs frei zu haben.

»Erinnere mich bloß nicht daran…« stöhnte er resigniert. »Lieber wäre es mir, du wärst das kleine, brave Mädchen mit den süßen Zöpfen geblieben, das so unschuldig mit seinen Puppen spielte-«

»Daaaad…« Gwen rollte mit den Augen, doch das Schmunzeln blieb auf ihren Lippen.

Ihr Vater am anderen Ende der Leitung lachte herzlich. »Schon gut. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern, meine Liebe.« Er wurde wieder ernster. »Sag, wie geht es dir in der großen Stadt, Kind? Behandelt man dich auch gut?«

Die Sorge ihres Vaters rührte sie und ließ sie für einen Augenblick Heimweh verspüren; ein Sehnen nach der Geborgenheit ihres Elternhauses, nach gemütlichen Stunden am Kamin bei den Geschichten ihres Vaters und den leckeren Keksen ihrer Mutter.

Seit einem Jahr lebte sie nun in New York, nachdem sie hier ein verlockendes Jobangebot in einem der größten Pressehäuser der Stadt angenommen hatte. Dieses auszuschlagen wäre keine Option gewesen, wenn sie ihre Karriere als Journalistin vorantreiben wollte. In ihrem Heimatort waren die Möglichkeiten wesentlich begrenzter und die Karriereleiter bedeutend kürzer als hier in der Metropole.

Natürlich vermisste sie ihre Heimat manchmal noch; die Ruhe dort, die Nähe zur Natur, die Einfachheit und Urtümlichkeit. Ebenso wie ihre Eltern.

Obwohl Harry und Marian Lewis nicht ihre leiblichen Eltern waren, so fühlte sie sich doch wie deren eigene Tochter. Sie hatten sie nie spüren lassen, dass sie adoptiert war, sondern sie stets mit der Liebe behandelt, die einem Kind von seinen Eltern zustand. Und dafür war sie den beiden unendlich dankbar.

Anfänglich hatte sie Neugier auf ihre eigentlichen Wurzeln verspürt, doch das hatte sich rasch gelegt. Wer ein Kind sang- und klanglos bei Nacht und Nebel vor einer Polizeiwache liegen ließ wie gemeinen Unrat konnte es nicht wert sein, dass sie überhaupt einen Gedanken an diese unbekannte Person verschwendete.

Ihre Eltern hatten ihr die genauen Umstände ihrer Adoption vorenthalten, um sie wohl zu schützen und nicht zu verletzen. Doch Neugier war stets Gwens größte treibende Kraft gewesen und so hatte sie sich eigenständig auf die Suche begeben, um mehr über die Nacht zu erfahren, in welcher ihr Leben begonnen hatte.

Diese Aktion war am Ende wohl der Grundstein für ihre Berufswahl neben der Leidenschaft, Dingen auf den Grund zu gehen und sie ans Licht zu bringen.

Natürlich hatte sie es als „Mädchen vom Land“ oft nicht einfach sich gegen die Männer und Frauen in ihrem Job durchzusetzen, doch Gwen hatte schon frühzeitig gelernt, sich durchzubeißen und zu behaupten - gegenüber beiden Geschlechtern.

»Es geht mir gut, Dad.« sprach sie sanft ins Telefon. »Wirklich. Es ist zwar nicht immer einfach hier, aber die Arbeit macht mir Spaß. Hier kann ich mich endlich frei entfalten und mich verwirklichen. Und das macht mich glücklich.«

»Das freut mich. Das freut mich wirklich sehr.« Sie konnte die Rührung in seiner Stimme hören und verspürte tiefe Zuneigung zu ihrem Vater.

Ihre Eltern wussten, dass Gwen sich nie wirklich wohl gefühlt hatte in ihrer Heimatstadt. Schlussendlich war es wohl doch nur ein größeres Dorf und die Leute redeten eben gern. Und eine Adoption war stets ein Grund für Spekulationen und wilde Geschichten, gerade wenn ein Kind unter so mysteriösen Umständen auftauchte wie sie.

Ihr Vater räusperte sich und holte sie damit ins Hier und Jetzt zurück. »Wann kommst du eigentlich an, Liebes? Damit wir wissen, wann wir dich vom Bahnhof abholen müssen.«

Gwens Blick flog zu ihrem Kalender auf dem Tisch, auf dem das folgende Wochenende dick rot eingekreist war - die goldene Hochzeit ihrer Eltern. Dafür hatte sie sich extra ein verlängertes Wochenende freigenommen.

Sie musste lächeln.

Die beiden hatten sehr frühzeitig geheiratet und waren selbst jetzt noch verliebt wie am ersten Tag. Das perfekte Traumpaar. Reine, wahre Liebe.

Gwen fragte sich oft, ob sie auch einmal dieses Glück haben würde; ob sie jemals diesen einen, diesen einzigartigen Mann finden könnte, mit dem sie ebenso bedingungslose, tiefe Liebe verbinden würde.

Bisher hatte sie mit dem anderen Geschlecht eher weniger Erfolg gehabt. Und der Glaube an die wahre Liebe war ihr auf diesem Weg wohl irgendwann verloren gegangen.

Ihr Bahnticket war bereits besorgt und mit einer Büroklammer an ihren Kalender geheftet. »Gegen sechs morgen Abend sollte der Zug ankommen.« Sie setzte einen Punkt hinter dem Satz, den sie nebenher auf ihrem offenen Worddokument getippt hatte, nahm das Telefon wieder in die Hand und lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück.

Das eigene Büro war der erste Erfolg, den sie hier zu verbuchen hatte. Der Raum war zwar mehr als klein, eher ein begehbarer Kleiderschrank als ein Büro, doch es war ihr Reich. Ihr Rückzugsort, wo sie ungestört arbeiten konnte. »Ich freue mich wirklich, euch mal wieder zu sehen, Dad. Der letzte Besuch ist wirklich schon zu lang her und langsam hab ich ein paar Tage Urlaub echt mal nötig. Und natürlich Moms köstlichen Apfelkuchen.«

Beide mussten lachen; selbst über Meilen hinweg waren sie sich in einigen Dingen immer einig und verstanden sich ohne große Worte.

Ein Klopfen an der Tür ließ Gwen aufblicken. »Moment kurz, Dad.«

Ashlyn steckte den Kopf zur Tür herein. »Gwen, der Boss will dich sehen.« Sie blickte flüchtig auf die Papiere in ihrer Hand, bevor sie sich eine Strähne hinters Ohr schob, die sich aus ihrer perfekten Frisur gelöst hatte. »Er sagt, es sei dringend.« Die Brünette hob bedeutsam die Augenbrauen und schürzte die Lippen, bevor sie die Augen entnervt verdrehte.

Gwen schmunzelte. »Ist okay. Danke, Ash.« wisperte sie zu ihrer Kollegin. Die deutete kurz auf ihre Armbanduhr, bevor sie die freie Hand zum Mund hob und eine Trinkbewegung imitierte - ihre Frage nach einem späteren Kaffee bei ihr zuhause. Gwen nickte sogleich, daraufhin warf Ashlyn ihr schmunzelnd eine Kusshand zu und schloss mit einem Winken die Tür wieder.

Die große Brünette war hier eine echte Freundin geworden, obwohl sie beide eigentlich kaum unterschiedlicher sein konnten. Ashlyn war das typische Großstadtmädchen; immer perfekt gekleidet, immer perfekt gestylt, immer perfekt in Auftreten und Gestik, immer auf dem aktuellsten Stand was Partys, Mode oder Promis betraf.

Neben ihr kam sich Gwen oft klein, plump und unscheinbar vor, obwohl sie nicht gerade hässlich und auch nicht auf den Kopf gefallen war. Aber man musste Ashlyn einfach mögen, denn obwohl sie manches Mal den Anschein erwecken wollte, oberflächlich zu sein, so war sie doch ein herzlicher und lieber Mensch, auf den man sich verlassen konnte.

»Dad, ich muss Schluss machen. Mein Chef will mich sehen. Bis morgen Abend, okay?« Gwen startete den Druckvorgang für das eben aufgerufene Dokument. Garantiert wollte ihr Boss den in Auftrag gegebenen Artikel heute noch haben, da sie ab morgen frei hatte. Deshalb rief er sie wohl noch zu sich, obwohl ihr Feierabend beinahe schon greifbar vor der Tür stand.

»Alles klar, Liebes. Dann bis morgen. Pass auf dich auf.«

»Mach ich, Dad. Sag Mom einen schönen Gruß. Ich hab euch lieb.« Sie legte auf und sah dem Drucker beim Ausspucken des Papiers zu, während sie kurz auf ihre Uhr schielte. Hoffentlich dauerte die Unterredung mit Bill nicht allzu lang, immerhin musste sie heute noch packen und Winston zu Ashlyn bringen.

Winston war ihr Kater; der einzig männliche Anteil zurzeit in ihrem Leben, mit dem sie freiwillig ihre Wohnung und ihr Bett teilte.

Hoffentlich würde der Gute es ihr nicht zu sehr übel nehmen, dass sie ihn für ein paar Tage versetzte.

Der Drucker hatte sein Werk beendet und Gwen schnappte sich das Papier rasch, dann verließ sie ihr Arbeitszimmer und eilte den Gang hinunter zum Büro ihres Chefs.

Von allen Seiten stürmten jetzt Geräusche auf sie ein; das Klingeln von Telefonen, das Klappern von Tastaturen, die Stimmen ihrer Kollegen, das Quietschen von Bürostühlen, das Rascheln von Papier, das Piepen von Faxgeräten, klappernde Kaffeetassen.

Beinahe wäre sie mit einem jungen Mann zusammengestoßen, der hoch konzentriert auf ein Papier in seiner Hand starrte, während er durch die Gänge lief, hektisch dabei in das Handy an seinem Ohr sprechend.

Gwen bremste gerade noch vor ihm und drückte sich die Mappe mit ihrem Artikel an die Brust, dann schob sie die randlose Brille auf ihrer Nase wieder gerade und klopfte an die Tür von Bill Freeman, Chefredakteur des Daily View.

Bill war wohl genau das, was man sich unter einem Chefredakteur vorstellte - knallhart, launisch, direkt. Er führte seine Mitarbeiter mit eiserner Hand und forderte stets einwandfreie Leistungen, ganz nach dem Motto: „Das Beste ist uns nicht gut genug.“

Diese Verbissenheit hatte ihn und seine Zeitung in der gesamten Stadt höchst bekannt gemacht; der Daily View genoss tagtäglich die besten Auflagenzahlen und Bill Freeman konnte sich in den gehobenen Kreisen New Yorks aufhalten.

Allerdings musste man ihm zugute heißen, dass er sich auch für seine Leute einsetzte und außergewöhnliche Leistungen eben auch honorierte.

Außerdem war er für einen solchen Posten noch recht jung mit seinen Ende dreißig und er sah recht passabel aus, was ihm natürlich einen guten Stand bei der weiblichen Belegschaft einbrachte; die rissen sich ja nur zu gern ein Bein aus, um vor ihm glänzen zu können.

Gwen natürlich nicht; zumindest bemühte sie sich nicht aus diesem Grund um stets ausgezeichnete Leistungen. Wahrscheinlich war sie eh nicht sein Typ. Er stand sicher auf Frauen wie Ashlyn. Da machte sich Gwen gar nichts vor.

Davon mal abgesehen war Bill Freeman ganz sicher kein Mann, bei dem sie schwach wurde.

Ihr Chef begrüßte sie mit einem knappen Nicken, bevor er - noch sein Telefon ans Ohr geklemmt - einen dicken Briefumschlag aus einem Schubfach seines Schreibtisches zog und diesen ungeöffnet mit einem Blick in Gwens Richtung auf die Tischplatte warf. Ein aufforderndes Winken folgte, während er noch angeregt mit irgendjemanden zu diskutieren schien.

Gwen fühlte sich sogleich ein wenig unwohl, immerhin wollte sie nicht lauschen, doch er hatte sie ja hereingebeten. Und was sollte das eigentlich mit dem Umschlag? War der für sie?

Etwas unsicher trat sie die wenigen Schritte zu dem Schreibtisch ihres Chefs heran. Der war wieder völlig mit seinem Laptop beschäftigt und schien mit dem ominösen Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung über irgendetwas zu verhandeln.

Sie beäugte den Umschlag erneut skeptisch und blickte unschlüssig zu ihrem Boss in der Hoffnung, er möge ihr doch einen Wink geben, was das zu bedeuten hätte. Sollte sie ihn öffnen?

Bill schielte kurz zu ihr herauf, verdrehte die Augen in einer ungeduldigen Geste, die man gern unverständigen Kleinkindern gegenüber zeigte, bevor er ihr den Umschlag mit einem fast befehlenden Nicken schon quasi unter die Nase schob. Nun, zumindest fast vom Tisch.

Gwen fing den Umschlag gerade noch auf und ertastete etwas Eckiges darin. Sie legte die Mappe mit ihrem Artikel auf dem Tisch ab und öffnete den Umschlag vorsichtig.

Zum Vorschein kam eine Art Ausweis; eine ID Karte an einem Schlüsselband mit ihrem Foto darauf. Allerdings kannte sie den Namen daneben ganz und gar nicht.

Mit fragend gehobener Braue hob sie die Karte an ihrem Bändchen hoch und blickte so zu ihrem Chef, die Schultern ratlos gehoben. »Mary-Ann Morris? Geophysikerin? Was…?«

Bill hatte sein Telefonat gerade beendet und wandte sich ihr nun endlich zu, entspannt und lässig in seinem Bürosessel zurückgelehnt. »Das, meine Liebe, ist dein Ticket zum Erfolg. Quasi die Eintrittskarte zur ganz großen Story.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht…«

»Es gibt eine Handvoll auserlesener Menschen, die eine einmalige Chance erhalten werden. Bei S.H.I.E.L.D läuft wieder irgendeine große Sache. Natürlich alles streng geheim. Doch meine Quellen hegen die Vermutung, dass es etwas mit diesen ominösen Asen zu tun hat. S.H.I.E.L.D karrt haufenweise Wissenschaftler zusammen. Und du gehörst ab heute dazu. Du wirst mit einer ausgewählten Delegation von Forschern höchstwahrscheinlich nach Asgard reisen. Offensichtlich steckt doch etwas hinter den Gerüchten einer recht praktischen Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der neu entdeckten Götterwelt.«

Gwen entgleisten die Gesichtszüge. »Moment? Das ist dein Ernst? Du meinst…ich reise nach Asgard?! DAS Asgard? Aber wie…?«

Sie konnte es gar nicht glauben. Ihr Boss musste sie eindeutig auf den Arm nehmen. Sollte es dieses Vorhaben tatsächlich geben, über das bisher nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde?!

Asgard. Heimstatt der… „Götter“.

Noch immer war es seltsam, diesen Begriff in den Mund zu nehmen oder ihn auch nur zu denken. Doch vor nun fast zwei Jahren wurde bewiesen, dass es sie durchaus gab. Und das die Menschen weder allein im Universum noch die höchst entwickelte Lebensform waren.

Noch bevor Gwen nach New York gekommen war, hatte es hier einen Angriff gigantischen Ausmaßes gegeben; die Invasion einer fremden Spezies, die mit einer Armee einmarschieren und die Menschheit unterjochen wollte. Diesen Angriff schlug eine kleine Gruppe von außergewöhnlichen Helden zurück, bekannt als die Avengers; Superhelden, die von der Bevölkerung seitdem gefeiert und förmlich verehrt wurden.

Sämtliche Zeitungen rissen sich um eine Story mit den Helden, die die Stadt gerettet hatten; nur ein Interview mit Tony Stark, Captain America und Co. konnte schon den großen Durchbruch für einen Journalisten bedeuten.

Natürlich waren die Menschen nun auch neugierig auf diese anderen Welten geworden, auf die sie einen kurzen Blick erhascht hatten. Mythen und Legenden schienen plötzlich gar nicht mehr so unglaubwürdig; die ganze Geschichte, alles was die Menschheit zu wissen geglaubt hatte, wurde förmlich auf den Kopf gestellt - von einem Tag auf den anderen musste man neue Wahrheiten akzeptieren.

Es gab fremde Völker. Es gab fremde Welten. Und es gab Superhelden.

In den Reihen der Avengers hatte der Donnergott Thor gekämpft, dessen Heimat das sagenumwobene Asgard war. Seit dem Vorfall in New York unterhielt eine geheime Regierungsorganisation namens S.H.I.E.L.D wahrscheinlich weiterhin Kontakt mit Asgard und stand in Austausch von Informationen mit dem Göttergeschlecht der Asen.

Allerdings war das natürlich nur durch ein paar undichte Stellen gesickert und offiziell drang davon wenig an die Öffentlichkeit. Aber nach dem Angriff auf die Stadt ließ sich auch kaum mehr alles verschleiern, auch wenn sich S.H.I.E.L.D. in der Hinsicht natürlich noch immer große Mühe gab.

Doch jedes Quäntchen an Information reichte natürlich schon aus, dass sämtliche Wissenschaftler, Historiker und Mythologen davon träumten nur einmal einen Fuß in diese mystische Welt setzen zu können. Und natürlich nicht nur die; für einen Journalisten wäre diese Möglichkeit der schiere Wahnsinn, quasi die Erfüllung eines Traumes.

Und Gwen sollte jetzt wirklich diese einzigartige Möglichkeit bekommen? Womöglich als erste Reporterin?!

»Genau DAS Asgard. Heimat von Odin, Thor und wie sie alle heißen.« Bill schob ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch umher, bevor er wohl das fand, was er suchte; tief vergraben unter Akten zog er ein ältlich wirkendes Buch hervor und schob es Gwen hinüber - nordische Göttersagen und Heldenlieder. »Deine Lektüre für den Abend. Du solltest dich etwas vorbereiten.«

Sie nahm das Buch völlig überrumpelt an sich, während sie sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken ließ. Ihre Knie waren plötzlich wie Wachs. Sie musste sich definitiv erst einmal setzen. »Äh, danke…«

Das konnte doch wirklich nur ein Scherz sein. Sie sollte wirklich nach Asgard reisen?! Das war einfach unglaublich. In ihrem Magen kribbelte es bereits vor Tatendrang und Vorfreude, allerdings auch vor Nervosität. Das war keine einfache Story, die man ebenso nebenher schrieb. Das war DIE Story; die Möglichkeit, sich zu beweisen und sich einen Namen zu machen. Völliger Wahnsinn.

Gwen musste erst mal ihre Gedanken ordnen und plötzlich wurde sie sich wieder der Karte in ihrer Hand bewusst. »Aber…ähm, was hat es jetzt damit auf sich?«

Bill tippte sich mit einem Kugelschreiber nachdenklich an die Lippen, während er in seinem Stuhl leicht vor und zurückwippte, sie dabei nicht aus den Augen lassend. »Na, was denkst du denn, was es damit auf sich hat?«

Etwas hilflos hob Gwen erneut die Schultern und kam sich unwohl unter dem prüfenden Blick ihres Chefs vor. Die ganze Sache hatte offensichtlich einen Haken…

Und langsam dämmerte ihr auch, welcher das wohl war.

»Gwen, Süße, diese S.H.I.E.L.D-Typen lassen bei dieser Mission keine Presse anwesend sein. Das kann ich dir zu hundert Prozent bestätigen, denn ich habe es bereits versucht und alle Hebel in Bewegung gesetzt. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die wollen nur hochrangige Wissenschaftler bei diesem Trip dabei haben. Also bist du eben genau das - Wissenschaftlerin. Mary-Ann Morris, Geophysikerin.« Bill zeigte ihr ein selbstzufriedenes Grinsen, wohl ganz überzeugt von seiner genialen Idee.

»Bill, bei allem Respekt, aber das klappt doch nie.« Sofort legte sie den Ausweis auf den Tisch und schob ihn demonstrativ ein Stück von sich. »Ich bin keine Wissenschaftlerin. Garantiert werden die mich auch überprüfen und dann fliegt alles auf. Diese Typen sind doch nicht blöd. Dann bin ich geliefert.«

Ihr Chef tat diese Zweifel mit einer müden Handbewegung ab. »Ich habe ein paar Beziehungen spielen lassen. Gewisse hochrangige Personen schuldeten mir noch den ein oder anderen Gefallen. Deine Biographie ist wasserdicht, dein Lebenslauf lückenlos, deine Referenzen lupenrein und erstklassig. Mach dir keine Sorgen, das wird nicht auffallen, wenn du dich entsprechend verhältst.«

»Eben. Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich habe überhaupt keine Ahnung von Geophysik.« Anklagend deutete sie auf das Kärtchen. »Jeder echte Physiker wird mich durchschauen.«

Bill quittierte ihre Worte mit einem langgezogenen, müden Seufzen. »Ach Schwachsinn.« Erneut tat er ihre Bedenken mit einem Winken ab. »Verhalte dich einfach wie alle anderen. Kratze ein bisschen an Steinen, sammle Staub auf - so schwer kann das doch nicht sein. Und rede einfach nicht zu viel, halte dich im Hintergrund. Dann merkt das überhaupt niemand.«

Er lehnte sich in seinem Stuhl wieder nach vorn und sah sie eindringlich an. »Beschaff mir ein paar gute Informationen, Schätzchen. Wie ist das Wetter da oben? Wie lebt ein Gott? Müssen sie essen, werden sie krank? Was läuft zwischen Asgard und S.H.I.E.L.D? Kommen neue Bedrohungen auf uns zu? Wie ticken diese sogenannten Götter überhaupt? Wollen die uns womöglich selbst übernehmen und wiegen uns nur in Sicherheit?«

Bill wandte sich wieder seinem PC zu und griff nach seinem Handy. »Wühl ein bisschen in der schmutzigen Unterwäsche dieser Götter. Und in der von S.H.I.E.L.D. Das packst du schon, meine Liebe.« Für ihn war damit das Gespräch offensichtlich beendet, denn er tippte bereits eine Nummer auf dem Telefon ein. »Alle weiteren Informationen findest du im Umschlag. Viel Spaß.«

Gwen blickte kurz in den Umschlag; darin konnte sie flüchtig ein Flugticket erspähen und einige andere Dokumente sowie eine offizielle Einladung. »Wann soll es eigentlich losgehen?«

Bill starrte bereits schon wieder völlig konzentriert auf den Bildschirm seines Computers, das Handy am Ohr. »Morgen.«

Morgen schon?! Das war verdammt kurzfristig und….vor allem völlig unmöglich! Sie wollte morgen zu ihren Eltern fahren. Dafür hatte sie extra Urlaub genommen. Das konnte sie unmöglich sausen lassen. Die beiden wären furchtbar enttäuscht.

Oh nein, was für eine verdammte Zwickmühle. Dieser Auftrag lockte sie, mehr als alles sonst. Das wäre womöglich ihre große Chance, wenn auch mit unkalkulierbaren Risiken verbunden.

Doch sie hatte es ihren Eltern versprochen, dass sie zur Feier vorbei kommen würde. Sie hatte die beiden nun schon so lange nicht besucht…

Gwen seufzte leise. »Bill…« Sie musste diesen Auftrag ablehnen. Es ging nicht.

Ihr Chef hatte seinen Gesprächspartner wohl endlich in der Leitung, denn er begrüßte einen Tom recht energisch, Gwen schon völlig vergessen.

Diese saß etwas hilflos noch immer vor dem Schreibtisch und versuchte so dezent wie möglich die Aufmerksamkeit ihres Bosses zurückzugewinnen, indem sie den Umschlag am Rande seines Gesichtsfeldes schwenkte. »Bill…«

Der Angesprochene schloss kurz die Augen und holte tief Luft. »Moment, Tom.« Dann deckte er das Mikro mit der Hand ab und drehte den Kopf zu Gwen. »Was gibt es denn noch?«

»Ich kann das nicht machen. Ich kann den Auftrag nicht annehmen. Du musst dir jemand anders suchen.« Sie legte den Umschlag zurück auf seinen Tisch, auch wenn ihr dies recht schwer fiel.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie diese Reise unternehmen. Unbedingt. Und das nicht nur wegen ihres Jobs.

Der Gedanke an Asgard zog sie beinahe magisch an, als wäre es ein Frevel, diese Möglichkeit verstreichen zu lassen. »Ich habe ab morgen Urlaub eingereicht. Ich wollte wegfahren.«

»Ja und? Wo ist das Problem? Das ist doch hervorragend. Dann hast du ja bereits gepackt.« Bill zog die Brauen zusammen und fixierte sie mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß.

Manches Mal verstand Gwen die Kollegen, die sich über die Skrupellosigkeit von Bill Freeman beschwerten. Eben in diesem Augenblick verstand sie das nur zu gut. »Ich-«

»Hör mal, Gwen…« begann er langsam, beinahe beschwörend und auffällig ruhig; schnitt ihr damit das Wort ab. »Ich glaube, du verstehst da gerade etwas nicht. Das hier ist keine Bitte. Dieser Auftrag ist einzigartig. Diese Möglichkeit selten und unendlich kostbar. Ich habe viele Telefonate geführt und unzählige Kontakte gepflegt, um diese Reise für dich möglich zu machen. Ich werde jetzt nicht dabei zusehen, wie diese einzigartige Gelegenheit an uns vorüber zieht ohne dass wir sie nutzen. Das ist deine Chance, zu den ganz Großen zu gehören.«

Die Botschaft hinter den Worten war klar. Entweder, sie nahm den Job an oder aber das wäre vermutlich ihr letzter Tag hier beim Daily View.

Scheiße.

»Habe ich mich diesmal verständlich ausgedrückt?« Ihr Boss sah sie nun recht ungeduldig an, sein Telefonat wartete noch immer.

»Ja, Bill.« Gwen erhob sich von ihrem Stuhl und nahm den Umschlag und den Ausweis wieder an sich, bevor sie das Büro verließ und die Tür leise hinter sich schloss.

Soviel also zum Urlaub.

Allerdings konnte sie nicht leugnen, dass sich ein kleiner, schäbiger Teil in ihr doch freute, dass sie diese Aufgabe nun quasi übernehmen musste. Sie fühlte sich schlecht bei dieser Freude, immerhin warteten ihre Eltern bereits eine ganze Weile darauf sie einmal wieder zu sehen. Und so wie es aussah würden sie noch etwas länger warten müssen…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Obsidios
2014-01-29T18:58:28+00:00 29.01.2014 19:58
Auch das zweite Kapitel ist gut gelungen. Die Journalistin wirkt glaubwürdig und ich bin auch auf ihre Entwicklung im Laufe der Story sehr gespannt. Weiter so!
Antwort von:  Ceydrael
30.01.2014 17:41
Awwww...danke schön! *-*
Freut mich, dass dir mein OC offensichtlich zusagt; ich bin selbst auf ihre weitere Entwicklung gespannt! ;D
Bin schon gespannt auf deine Meinung zum weiteren Verlauf!


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