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Tal der Tränen

Wenn Träume wahr werden
von

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Tala

Von meinem Gemach aus beobachte ich den jungen Mann, der langsam über den Innenhof läuft, sich alles genau ansieht und zögernd zu einer Bank geht, wo er sich hinsetzt und die Hände in den Schoß legt.

Den Unterarm auf das Fensterbrett gestützt, lehne ich meinen Kopf an die Handinnenfläche und mustere ihn. Er ist wirklich hübsch, viel schöner als so manche Männer hier, die als gutaussehend gelten.

Der junge Stallbursche geht neugierig auf den Jungen zu, doch als er näher kommt, steht der Blondschopf auf und geht hastig ein paar Schritte rückwärts, stolpert und fällt auf den Hintern. Besorgt läuft der Stallbursche zu ihm und hilft dem Jungen auf.

Lächelnd beobachte ich die beiden.

Die letzte Nacht war schon seltsam. Es war ein komisches Gefühl mein Bett mit einem Fremden zu teilen.

Mein Blick gleitet hinauf zum Himmel. Egal zu welcher Zeit, er verändert sich niemals, bleibt dunkel und mit Sternen übersät. Heute ist noch keiner gefallen, was nicht bedeutet, dass das etwas Gutes ist.

Ich stehe vom Sitzkissen auf und verlasse mein Zimmer. Durch die vielen Gänge laufe ich direkt zu einem kleinen Gang, durch den man den Innenhof betreten kann. Kurz vor dem Ausgang bleibe ich stehen und beobachte den Jungen und den Stallburschen. Wie es scheint, hat er einen neuen Freund gefunden.

Ich gehe nach draußen und laufe direkt zu ihnen. Der Stallbursche erblickt mich und macht sich schleunigst aus dem Staub, versteckt sich hinter der Bank und scheint sich zu denken, ich würde ihn da nicht sehen. Den Gefallen tue ich ihm.

„Komm mit! Du brauchst ein Bad!“, meine ich und strecke dem Jungen die Hand entgegen. Seine blauen Augen gucken erst auf meine Hand, dann in mein Gesicht, ehe er sie zögernd ergreift und sich von der Bank erhebt. Ich gehe mit ihm hinter die Stallungen und spüre, wie uns jemand folgt. Der kleine Stallbursche hat wohl ein Auge auf ihn. Keine Sorge Kleiner, deinen Spielgefährten nehme ich dir nicht weg.

Hinter den Stallungen befindet sich das Badehaus. Dank des Wassermangels wird es kaum noch benutzt und sieht inzwischen entsprechend heruntergekommen aus. Ich schiebe einen blass roten Vorhang zur Seite und lasse den Jungen neben mir eintreten. Er sieht sich neugierig um, auch wenn alles ein wenig zerfallen und verwildert aussieht und das große Bad leer ist. Ich führe ihn in einen Raum weiter hinten, wo sich einige Bänke an den Wänden befinden. In der Mitte ist ein alter brüchiger Brunnen. Ich schaue hinein und sehe dann nach oben, zu dem Loch an der Decke. Ich hoffe es regnet bald wieder.

Ich ziehe mich ungeniert aus und sehe ihn abwartend an, ehe der Junge es mir gleichtut, nachdem ich ihm die Fußketten entfernt habe und die nun in einer Ecke vergammeln dürfen. Nackt stehen wir einander gegenüber. Ich greife nach dem Seil und ziehe einen vollen Wassereimer hoch. Ich zerre ihn auf den Rand des Brunnens, ehe ich den schweren Eimer zu Boden stelle.

„Das muss reichen. Wir müssen sparsam sein!“, erkläre ich ihm. „Benutze und trinke niemals das Wasser außerhalb! Es würde dich innerhalb von Minuten töten!“, warne ich ihn und zeige mit dem Finger nach oben. „Das Regenwasser ist das einzige, was wir noch benutzen können.“

Der Junge geht vor mir in die Hocke und schaut in den Eimer. Ich gehe zu einer Ecke und hole eine kleine Flasche hervor. Es ist nicht mehr viel drin.

Ich greife nach seiner Hand und flöße die Flüssigkeit darauf, gebe ein paar Tropfen auf meine Handinnenfläche und reibe mich damit ein. Langsam beginnt auch er die wenige Flüssigkeit über seinen Körper und die Haare zu verteilen.

Ich greife nach dem Eimer und halte ihn über den Jungen, der überrascht aufsieht und hastig den Kopf senkt, als ich die Hälfte über ihm ausschütte. Den Rest gieße ich mir selber über den Körper.

Ich greife in einem Regal nach ein paar Handtüchern und reiche ihm eines davon. Beim Abtrocknen lassen wir uns Zeit und ich beobachte ihn dabei.

„Du brauchst einen Namen!“, meine ich nach einigen Minuten. Was für ein Name würde zu ihm passen?

„Gefällt dir Tala?“, frage ich ihn nachdenklich. Er zuckt mit den Schultern und rubbelt sich die Haare trocken. „Klingt gut. Ich werde dich Tala nennen.“

Ich stehe auf, werfe das Handtuch in eine Ecke und ziehe mich wieder an.

„Tala?“, frage ich beim Hinausgehen. Der Junge schaut neugierig zu mir. „Das ging ja schnell.“ Lachend verlasse ich den Raum, während Tala sich hastig die Kleidung überstreift und mir folgt.

Gemächlich gehe ich über den Innenhof zu den Stallungen. Ich kann die struppigen Haare von dem Stallburschen sehen, der sich in einer der Boxen versteckt und uns heimlich beobachtet. Neugieriges Kind...

Ich kann nur hoffen, dass er uns keinen Ärger machen wird.

Ich laufe zielstrebig zu Olo's Box und erschaudere. Mein einst schwarzes Pferd ist beinahe am ganzen Körper feuerrot geworden, zittert vom Fieber und schaut mich mit glasigen Augen an. Nur mit Mühe kann Olo sich auf den Beinen halten und schlägt immer wieder mit den Hufen nach seinem Bauch.

Tala greift nach meinem Ärmel und zeigt besorgt auf das Pferd. „Das ist der Fluch. Er frisst ihn von innen heraus auf. Nicht mehr lange und Olo wird zu Staub zerfallen...“, erkläre ich mit leiser Stimme. Ich greife mit der Hand nach Olo's Gesicht, gleite über die Nüstern und ziehe sie hastig zurück, als der untere Teil des Gesichts sich plötzlich verzieht und abbricht, zu Boden fällt und zu Staub zerbröselt. Mit entsetztem Gesicht schaut Tala zu dem Pferd, dem die Hälfte des Mauls fehlt. Es blutet stark und man sieht das helle Fleisch, die verzogenen Zähne und die Zunge, welche halb heraushängt. Olo wiehert laut und bereitet mir eine Gänsehaut.

Ich schiebe Tala unsanft von der Box weg, raus aus den Stallungen und lasse ihn erst wenige Meter dahinter los.

„Der Fluch wird uns alle umbringen...“, murmele ich leise. „Wir können nichts dagegen tun.“

Ich lasse ihn stehen und gehe zurück in den Stall. Als Tala mir folgen will, schiebe ich ihn zurück. „Bleib draußen!“ Brüsk schubse ich ihn zurück und gehe zu Olo's Verschlag. Ich bleibe davor stehen und kralle meine Finger in die Kette.

„Keine Sorge, ich lasse dich nicht länger leiden.“ Ich halte meine Hand hoch und lasse die Flamme in meiner Hand erscheinen. Sie flackert leicht, durch den Wind und wird immer größer. Olo's Augen sind weit aufgerissen. Er geht einen Schritt zurück, tänzelt nervös in der Box und schlägt aufgeregt mit dem Schweif um sich.

Ich gehe ein paar Schritte zurück und puste die gewaltige Flamme in Olo's Richtung. Das Feuer wird größer und umschlingt das Pferd wie eine Schlange. Sie schmiegt sich heiß um seinen kranken Leib und entreißt ihm einen letzten qualvollen Laut, ehe das Flammenmeer mein Pferd verschlingt und kurz darauf nichts mehr zu sehen ist, als schwarzer Ruß auf dem Stroh.

Ein paar Minuten bleibe ich reglos vor dem Verschlag stehen und atme tief durch. Als ich wieder hinaus gehe, hockt Tala vor dem Eingang und schaut zu mir auf. Ich gehe neben ihm in die Hocke und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Ich spüre seine Finger in meinen Haaren und für einen Moment sind die Kopfschmerzen, die mich sonst stundenlang quälen, wie weggeblasen.

Wenn ich mir vorstelle, dass uns allen dasselbe Schicksal blüht wie Olo, fühle ich mich nur noch hilfloser.

Ich sehe zu Tala, spüre seinen warmen Atem an meinem Gesicht und lehne meine Stirn an seine. „Ich hoffe, du bleibst von dem Fluch verschont, kleiner Stern.“

Abrupt stehe ich auf und sehe wie der Stallbursche schnell das Weite sucht. Er rennt quer über den Hof und verschwindet in einem der vielen Eingänge. Ich sehe auf Tala herunter, der nun ebenfalls aufsteht.

„Acavi!“

Ich drehe mich um und erkenne von Weitem Mareit, die auf uns zukommt. Sie winkt mir zu und kommt eilig näher. Erstaunt bleibt sie stehen und mustert Tala. „Ist er das? Ist das der Junge, von dem alle reden?“, fragt sie mich neugierig.

„Ja, ich nenne ihn Tala, bis er wieder sprechen und mir seinen richtigen Namen nennen kann.“

Mareit nickt und greift ehrfurchtsvoll in Talas helles Haar. „Es ist so weich!“, ruft sie erstaunt aus. „Ich wünschte mein Haar wäre so schön!“

Tala zieht ruppig seinen Kopf weg und geht auf Abstand. „Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht?“, will sie verwirrt wissen.

„Er wird sich schon noch dran gewöhnen.“

Mareit grinst breit, stemmt die Hände in die Hüften und wendet sich an mich. „Kommst du heute zum Fest?“, fragt sie mich grinsend. „Bring ihn mit!“

„Einen Gefangenen? Der fällt doch sofort auf!“, murre ich und zeige auf sein Äußeres.

„Dann verkleide ihn! Wehe, ihr kommt nicht! Meine Mutter verkauft wieder wunderbares Fleisch!“, meint sie und dreht sich auf dem Absatz um, um zu gehen. Sie bleibt stehen und sieht mich an. „Man riecht das Feuer. Hat er sehr gelitten?“

Ich schüttele den Kopf und höre einen lauten dumpfen Knall. Erschrocken sehen wir zum Horizont und hastig drücke ich Tala heftig gegen die Stallwand. Mareit tut es uns gleich, drückt sich eng an die Wand und mit großen Augen sehen wir zu, wie die Scherben eines Sternes mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft zischen. Einer fällt in den Innenhof, reißt den Boden auf und vergräbt sich tief in den lehmigen Grund. Eine Staubschicht wirbelt auf und versperrt uns für kurze Zeit die Sicht.

„I-ich muss nach Hause! Meine Familie!“, ruft Mareit panisch, greift in den Stoff ihres bunten Kleides und zieht es hoch. So schnell sie kann, rennt das Mädchen vom Hof und hinaus auf die Straße, von der aus man die Schreie der Stadtbewohner hört.

Ich sehe zu Tala, der seine Finger in meiner Kleidung vergräbt und verängstigt auf die Scherbe sieht, die doppelt so groß ist wie wir.

Wir warten noch einen Moment, ehe ich von ihm ablasse. Staunend läuft Tala zu der Scherbe, die im Boden feststeckt und berührt sie vorsichtig. Erschrocken zieht er seine Hand zurück, sieht wie sie sich blutrot färbt und tritt hastig einige Schritte rückwärts. Ich gehe schnell zu ihm und sehe mir die verwundete Hand an. Die Haut ist aufgerissen.

„Fass sie nicht noch einmal an!“, murre ich. Als ich eine Regung neben mir wahrnehme, steht auf einmal der Stallbursche neben mir und hält mir ein Tuch entgegen. Ich nehme es und wickele den weißen Stoff um Talas Hand, woraufhin es sich sofort rot färbt.

„Mein Vater sollte es sich besser noch mal ansehen...“, murmele ich besorgt. Tala besieht sich wieder fasziniert die Scherbe.

Ich sehe über den Innenhof und gehe eilig hinaus auf die Straße. Hoffentlich geht es Mareit's Familie gut?!

Ich sehe auf das Desaster. Ein paar Scherben haben die Häuser regelrecht zerfetzt, die Wände eingerissen und stecken noch immer halb in den Hauswänden.

Ratlos stehen die Stadtbewohner davor und wissen nicht weiter. Einige Männer bluten. Scheinbar haben auch sie die Scherben berührt.

Ich renne zurück in den Innenhof, hinein ins Haus und suche das Zimmer meines Vaters auf. Ich höre Schritte hinter mir, blicke kurz zurück und sehe wie Tala mir folgt. Vor dem braunen Vorhang halte ich an und warte auf ihn, um mit Tala ins Zimmer zu gehen.

Der Raum ist verlassen.

„Dann wird er im Untergrund sein.“ Ich greife nach einem spitzen Stab am Eingang und öffne eine Luke in der Mitte des Zimmers, die sich unauffällig unter dem Teppich befindet. „Bleib hier! Da unten kann ich dich nicht beschützen.“ Ich steige die Treppe herunter. „Mach die Luke zu und bleib hier oben, wenn dir dein Leben lieb ist!“

Ich gehe die Treppe herunter und höre das Knarzen der Luke über mir. Vorsichtig und leise laufe ich herunter, spähe nach links und rechts und lausche angestrengt in die Dunkelheit.

Ich spüre wie sich etwas um meinen Knöchel schlingt. Es ist schleimig und nass. Hastig schüttele ich den Fuß und was auch immer das eben war, es verschwindet.

Langsam, den Stab griffbereit in meiner Hand, schleiche ich dicht an der Wand entlang, durch die Katakomben der Stadt.

Ich höre ein schabendes Geräusch und bleibe angespannt stehen, halte die Luft an und lausche erneut. Das Geräusch nähert sich mir. Verdammt!

Ich ziele mit dem Stab in die Richtung und lehne mich eng an die Wand. Ich höre einen ohrenbetäubenden Lärm. Ein Kreischen, das in den Ohren schmerzt und mir durch Mark und Bein fährt. Ein schleimiges Wesen erscheint in dem Gang vor mir von rechts. Der Kopf ist rund und das Maul ist riesig. Der Speichel tropft heraus, als es noch einmal diesen schrillen Ton von sich gibt. Seine Augen huschen in alle Richtungen, sehen sich aufmerksam um und ertasten begierig die Wände. Seine lange Zunge hängt aus dem Maul. Mit trägen Schritten zieht es sich durch den Gang, hinterlässt eine Schleimschicht hinter sich auf dem matschigen Boden und zieht seinen schweren Körper hinter sich her. Die Hinterläufe sind abgetrennt worden. Die Wunden sind zugewachsen, aber schlecht verheilt. Auf dem Wesen lastet der Fluch. Rote Male zieren die glatte, schmierige Haut, die im spärlichen Licht grünlich leuchtet.

Es kommt direkt auf mich zu. Ob es mich bemerkt hat?

Fahrig sehe ich mich um. Der schrille Schrei lässt mich zu der Bestie sehen. Es hat meine Bewegung gesehen und krabbelt mir schnell und geschmeidig entgegen. Ich stolpere ängstlich ein paar Schritte zurück, drehe mich um und renne, pralle gegen etwas und sehe auf. Ein starker Arm schlingt sich um mich und zieht mich an die Wand. Ich sehe zu dem Monster und bemerke wie lauter kleine Lichter auf das Vieh zufliegen. Irritiert bleibt das Monster stehen, wirft den Kopf hin und her, doch die kleinen Lichter lassen nicht von ihm ab. Sie umschwirren es, wie lästige Fliegen und setzen sich auf seine Haut, nagen daran und qualvoll brüllt das Wesen. Es schmeißt sich gegen die Wände, so dass einige Lichter matt zu Boden fallen und erlöschen.

Es dauert nur wenige Sekunden, dann ist kaum noch etwas von dem Monster übrig. Die Hälfte der Haut ist weggefressen und nur die Augen flackern unruhig umher. Polternd fällt es zu Boden und bleibt schwach atmend auf dem Boden liegen.

Mir wird der Stab grob aus der Hand gerissen. Der Fremde drängt sich an mir vorbei und geht ruhig auf die Bestie zu. Er flüstert leise in einer fremden Sprache, einem Singsang und jagt dem Tier den Stab zielsicher ins Herz. Das Auge, das ihn eben noch beobachtet hat, wird trübe. Der Mann reißt den blutigen Stab wieder heraus und kommt zu mir. Misstrauisch weiche ich ein paar Schritte zurück.

„Was machst du hier, Egra?“, frage ich lauernd und blicke auf seine Kleidung. Sein ganzer Körper ist mit bräunlichen Stoffen verhüllt, die ziemlich dreckig sind. An seiner Tasche am Rücken, sind lauter verschiedene Dinge befestigt, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Federn stecken an der ledernen Tasche und aus Egras Kopf ragen zwei Hörner hervor.

Ruhig steht er vor mir.

„Du darfst nicht hier sein! Du bist ein Verstoßener!“, entfährt es mir mit zitternder Stimme.



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