Zum Inhalt der Seite

Ich sehe was, was Du nicht siehst

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Neun

Willkommen zum vorletzten Kapitel von unserer Geschichte. Wir nähern uns dem Showdown und wieder mal möchte ich mich für Eure treuen Kommentare bedanken! Jeder einzelne bedeutet mir sehr viel :)

Habt viel Spaß!

P.S. Das nächste Kapitel werde ich erst nach meinem Kurzurlaub hochladen, also so um den 18. Oktober herum. So bleibt's noch ein bisschen länger spannend XP
 

●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●○●
 

Renate tat so, als hätte ich etwas Anstößiges gesagt.

„Das ist ein hässliches Wort,“ behauptete sie empört, „Sagen wir, ich wollte dem Offensichtlichen auf die Sprünge helfen.“

„Dem Offensichtlichen…,“ japste ich.

„Ich mag nicht mehr die Jüngste sein, doch mein Gehör funktioniert noch immer tadellos. Und meine Augen ebenfalls, junger Mann,“ fügte sie nachdrücklich hinzu.
 

Mir schoss die Hitze ins Gesicht. In meinem Kopf herrschte ein lähmendes Durcheinander. Ich konnte kaum glauben, was ich da gehört hatte. Die Vorstellung, dass die homophobe Renate ihren Enkel und mich mit ihrem Geister-Theater hatte zusammen bringen wollen, war so haarsträubend, dass sich mir tatsächlich die Haare sträubten.
 

„Ich glaub’s nicht…,“ krächzte ich.

„Dafür haben wir keine Zeit,“ erwiderte Renate brüsk, „Ich schlage vor, dass du alles unter Dach und Fach bringst, sobald er von seiner Vorlesung zurück ist.“

Mir sackte das Kinn auf die Brust.

„Und mach den Mund zu, wenn du vor ihm stehst. Sonst geht es das zweite Mal wieder schief.“
 

Wie ein Stein fiel mein Kopf in meine Hände. Ich wimmerte, meine Verzweiflung kannte keine Grenzen.
 

„Oh Gott. Oh Gott, oh Gott – meine Fresse! Du… Du hast uns gesehen?“
 

„Natürlich habe ich das. Und es war ein trauriger Anblick. Doch noch ist nicht alles verloren, denke ich. Sobald er anruft, wirst du hinüber gehen und ihm bei der Aufräumarbeit helfen. Wie du es ihm angeboten hast. Dann werde ich mich zu euch gesellen und wir werden die letzten…die letzten Ungereimtheiten klären. Und anschließend, sobald ich…mich verabschiedet habe, verlasse ich mich darauf, dass du dich zusammen reißt und zu Ende bringst, was ihr begonnen habt. Damit ist meine…meine Schuldigkeit getan.“
 

Trübäugig musterte ich sie. Mir gingen so viele Gedanken im Kopf herum, dass ich kein Wort heraus brachte. Waren Jasper und ich die ganze Zeit nur Schachfiguren gewesen? Was für Dinge hatte er denn nun über mich erzählt? Bestand wirklich und wahrhaftig die Chance, dass es solche Dinge gewesen waren? Und hatte Renate daraufhin tatsächlich alles geplant, die gemeinsame Nacht, den gemeinsamen Vormittag? Ihre Schuldigkeit? Hieß das, dass sie sich wegen ihrer anfänglichen Rücksichtslosigkeit Jaspers Outing gegenüber schuldig fühlte? War ich wirklich so schlecht darin, meine Gefühle zu verstecken? Und wollte sie mir überdies sagen, dass sie ins Jenseits gehen würde, sobald sie sich endgültig mit Jasper ausgesprochen hatte?
 

Was für ein herrlicher Hoffnungsschimmer.
 

„Äh… Mhm…,“ machte ich und entschied mich dann endlich für eine der Fragen, „Glaubst du wirklich, dass er jetzt noch anruft? Nachdem…wir es beim ersten… Nachdem wir es so verbockt haben?“

„Falls nicht, werde ich dir mitteilen, sobald er zu Hause ist. Dann wirst du eigenständig hinüber gehen.“

„Welchen Grund sollte ich dafür haben?“

„Sei nicht albern, junger Mann. Du willst ihn doch sehen. Außerdem hast du ihm versprochen, dich zu melden, sobald du wieder Kontakt zu mir hattest. Und er hat seine Zahnbürste hier vergessen.“
 

Erneut war ich sprachlos. Und sehr, sehr müde. Renate seufzte.
 

„Wollen wir hoffen, dass du bis dahin wieder einigermaßen auf dem Damm bist. Ich werde dich benachrichtigen, wenn er zurück ist. Halte dich bereit.“
 

Und sie verschwand, als hätte ich einen Schalter betätigt.
 

Keine Ahnung, wie lange ich noch auf dem Fußboden hockte und durch das Wirrwarr in meinem Kopf watete. Mir war schummrig zumute, als hätte ich die letzten Stunden auf einem Kinderkarussell verbracht. Es war ja schön und beruhigend, dass Jasper und ich Renates Segen hatten – zugleich war es aber auch sehr beunruhigend. Diese Frau nervte mich ungeheuerlich und es ärgerte mich maßlos, dass sie all die Lorbeeren für unsere Verbundenheit für sich beanspruchte. Andererseits wollte ich diese offenbar reelle Chance, Jasper ganz und gar für mich zu gewinnen, nicht aus Stolz vorbei ziehen lassen. Schließlich hatte sie ja Recht: Ich wollte ihn sehen. Denn ich fand ihn hinreißend. Und ich wollte unbedingt mit ihm zusammen sein. Auch, wenn unsere Geschichte so verrückt war, dass wir sie niemandem würden erzählen können.
 

Endlich zwang ich mich zum Aufstehen. Nach wie vor in Grübeleien versunken, schleppte ich mich ins Bad und duschte die Benommenheit von mir ab. Anschließend betrachtete ich fünf Minuten lang Jaspers Zahnbürste, die auf dem Rand des Waschbeckens lag. Sie war gelb und ihr Anblick machte mich übertrieben glücklich. Nachdem ich mich davon losgerissen hatte, putzte ich mir selbst die Zähne, rasierte mich gründlich und ging ins Schlafzimmer, um mich anzuziehen. Dort fand ich Cleo auf meinem Bett und stellte erleichtert fest, dass sie mir meinen Wutausbruch nicht nachtrug. Ich checkte meine Mails und stellte fest, dass Ralphs Verlobte mir geantwortet hatte. Ich erschauderte und verschob diese Unannehmlichkeit auf später. Dafür hatte ich jetzt weiß Gott keinen Nerv.
 

Damit ich vor lauter Nervosität nicht wunderlich wurde, stürzte ich mich in die Arbeit. Ich wusch meine Wäsche, putzte die Küche und das Badezimmer, saugte zu Cleos Missfallen die ganze Wohnung und wartete. Ich wartete auf Renates Erscheinen oder das Klingeln des Telefons. Nach Stunden geschah dies schließlich auch. Mir blieb fast das Herz stehen. Wie jemand, der eine Lösegeldforderung erwartete, hechtete ich zum Telefon.

Es war meine Mutter.

Zähneknirschend zwang ich mich, eine Weile mit ihr zu sprechen, bevor ich sie abwürgen musste, damit die Leitung frei blieb. Doch es vergingen nur drei Minuten, da tauchte jemand in der Küche auf. Vor Überraschung blieb mir die Spucke weg.
 

Es war eine junge, attraktive Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid und ihr Haar wallte ihr dicht und brünett über die Schultern.
 

„Was ist los?“, fragte meine Mutter.

„Es ist soweit,“ sagte die Frau rätselhaft.

Mein Mund klappte auf und zu wie der eines Fisches.

„Mama? Hör… Hör zu. Können wir wann anders weiter reden? Ich…ich muss dringend noch was erledigen.“

„In Ordnung,“ antwortete sie verwundert, „Geht’s dir gut?“

„Jaja, keine Sorge. Ich ruf dich an. Bis dann.“
 

Mit bebenden Fingern legte ich auf und wandte mich der Frau zu. Fassungslos starrte ich sie an. Ich wollte sie fragen, wer sie war, doch irgendwas hielt mich zurück. Dieser Blick, diese Haltung. Dann fiel der Groschen.
 

„Renate?“, hauchte ich wie vom Donner gerührt.

Sie schnalzte mit der Zunge.

„Wer sonst?“

„Du… Du bist verändert…,“

Sie lächelte. Als hätte sie nicht erwartet, dass es mir tatsächlich auffiel, wenn sie seit unserer letzten Begegnung um mindestens fünfzig Jahre jünger geworden war. Und dieses Lächeln erhellte ihre Züge so sehr, dass ich ohne Weiteres ihren Enkel in ihr erkennen konnte.
 

„In diesem Alter habe ich meinen Mann kennen gelernt,“ erzählte sie leise und betrachtete ihre Hände, als könnte sie es selbst nicht glauben, „Jaspers Großvater. Es war ganz einfach. Ich habe an diese Zeit zurück gedacht und plötzlich…,“

Ihre freudige Verlegenheit brachte mich zum Lächeln.

„Du… Also, du…du sahst sehr gut aus,“ sagte ich ungeschickt.

Wohlwollend lächelte sie mich an.

„Danke,“ und bevor wir noch mehr Freundlichkeiten austauschen konnten, „Du solltest dich beeilen. Er ist jetzt da.“
 

Ich blinzelte, als mich die Realität einholte. Jasper. Mit einem Mal musste ich wieder die Zähne zusammen beißen, damit sie in meiner Aufregung nicht klapperten. Tapfer lief ich ins blitzsaubere Bad, um Jaspers Zahnbürste zu holen. Durch meine überreizten Nerven hindurch fühlte ich das Herz in mir schlagen. Es schien gewandert zu sein und jetzt in meiner Kehle zu sitzen. Es war unruhig, aber auch auf eine ganz bestimmte Art und Weise hoffnungsvoll, die ich schon fast vergessen hatte.
 

Keine fünf Minuten später war ich auf der Straße.
 

Zum dritten Mal innerhalb von zwei Tagen überquerte ich sie, auf dem Weg zu einem rotbraunen Haus schräg gegenüber. Und zum dritten Mal war ich nervös und angespannt, als ich vorm Hauseingang stand und gegen die Tür drückte. Wie auch gestern Nachmittag war sie unverschlossen. Abwechselnd schleichend und rennend erklomm ich die Treppe, bis ich die dritte Etage erreichte. Ich atmete und sammelte meine Gedanken, obwohl ich mir sicher war, dass sich mein Kopf bei Jaspers Anblick sowieso wieder entleeren würde.
 

Ich straffte die Gestalt und klingelte.
 

Es war wie gestern. Ich hörte Schritte, dann trat sekundenlang Stille ein. Verlegen musterte ich die gelbe Zahnbürste in meiner Hand, während Jasper sicherlich durch den Spion spähte. Ich wartete. Dann öffnete sich die Tür.
 

„Hey…,“ sagte ich.

„Hallo…,“ sagte Jasper.
 

Stumm lächelten wir uns an. Inzwischen trug er keinen Schlafanzug mehr, sondern Jeans und ein graues T-Shirt. Er sah mindestens so verlegen und aufgekratzt aus, wie ich mich fühlte. Das Klima war ein bisschen komisch, der verkorkste Kuss stand sichtbar zwischen uns. Er machte den Mund auf, aber ich kam ihm zuvor.
 

„Ich…ich habe deine Zahnbürste mitgebracht,“ erklärte ich dümmlich und zeigte sie ihm, „Du hast sie bei mir vergessen.“

„Oh, ja…,“ er lachte beschämt und nahm sie entgegen, „Danke. Ähm. Komm doch rein…,“

„Danke.“

Ich folgte ihm in die Wohnung, im Flur blieben wir stehen. Ich wollte ihn an den Schultern packen und rufen: Ist es wahr? Stehst du vielleicht auf mich? Willst du mein Freund sein? Wollen wir das Küssen nochmal üben?
 

Aber ich fragte nichts dergleichen. Stattdessen schaute ich mich in der Wohnung um.
 

„Ich sehe, du hast schon mit dem Aufräumen begonnen,“ meinte ich beiläufig.

„Ja, ich…ich fand es komisch, es so unordentlich zu lassen…,“ er verstummte, dann holte er Luft, „Hör zu, ich hätte dich ganz sicher noch angerufen! Ganz ehrlich. Ich…ich war nur noch mit Freunden was essen und dann…,“

Ich winkte ab.

„Ist schon gut. Kein Problem.“

„Nein, ehrlich. Nicht, dass du denkst, ich hätte es mir anders überlegt. Ich wollte dich auf jeden Fall noch anrufen.“

„Okay. Gut. Jetzt bin ich ja da.“

„Ja.“

„Ja.“
 

Verdammte Axt, das war doch fürchterlich! Und es lief irgendwie überhaupt nicht nach Plan. Fast erwartete ich, dass die junge Renate sich jeden Moment mit einem verächtlichen Räuspern in meinem Sichtfeld materialisierte und mich als nutzlosen Dummkopf bezeichnete. Und dieses Mal hätte ich ihr sogar beipflichten müssen. Ich beschloss, diesem grässlichen Geplapper ein Ende zu bereiten.
 

„Ähm, Jasper…,“ begann ich und er zuckte beim Klang seines Namens aus meinem Mund leicht zusammen und erwiderte meinen Blick so atemlos, dass ich kurz nach den nächsten Worten suchen musste, „Äh… Also… Ja, es…ist so. Deine Oma war vorhin wieder bei mir.“

Jasper schnappte nach Luft.

„Echt? Wie… Was hat sie gesagt?“

„Sie hat mir gesagt, dass sie es akzeptiert. Dass du schwul bist.“
 

Die Explosion, die auf Jaspers Gesicht stattfand, war wahnsinnig entzückend und brachte mein Organe zum Hüpfen. Er jauchzte und schlug sich die Hände vor den Mund. Die Freude färbte sein Gesicht rosarot und als er mich anlachte, musste ich einfach zurück lachen. Obwohl ich wusste, dass dies erst der Anfang war.
 

„Ehrlich?“, piepste er und strahlte über das ganze Gesicht, „Ehrlich? Das ist wunderbar! Wo…wo ist sie? Ist sie jetzt hier?“

„Nein, im Augenblick nicht. Aber ich wette, sie ist nicht weit weg. Willst du mit ihr reden? Denn es… Naja, da gibt es noch ein paar Dinge, die sie gern mit dir besprechen würde.“

Mit weit aufgerissenen Augen nickte er.

„Ja. Ja, okay. Auf jeden Fall.“
 

Zappelig verdrehte und umklammerte er seine Hände unterm Kinn. Ich nickte und wandte mich an die schweigende Wohnung.
 

„Renate? Ich weiß, dass du hier bist. Es geht los.“
 

Und sie erschien. Direkt hinter Jasper. Ihr ungewohnt junger Anblick brachte mich einen Moment lang aus dem Konzept.

„Hallo Renate,“ sagte ich.

Jasper folgte meinem Blick und wirbelte herum.

„Ich habe dir gesagt, ihr sollt erst zusammen aufräumen,“ schimpfte sie mich über seine schüchterne Begrüßung hinweg an, woraus ich schloss, dass auch sie nervös war.

„Scheiß auf’s Aufräumen,“ erwiderte ich schroff, weil sie mir schon wieder Vorhaltungen machen wollte, „Es gibt wichtigere Dinge im Leben.“
 

Von denen mir sofort einige einfielen, die alle mit viel Körperkontakt zu tun hatten. Mein Herz schien zu pulsieren. Es war egoistisch, aber ich wollte diese Aussprache so schnell wie möglich hinter mich bringen, damit Jasper und ich endlich ganz allein und garantiert unbeobachtet sein konnten.
 

Wir mussten da auch noch ein paar Dinge miteinander klären…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kaoru
2013-10-13T15:06:46+00:00 13.10.2013 17:06
Liebe Lung,

kaum zu glauben, dass auch diese FF so langsam ihr Ende ansteuert. Ich hab sie echt genossen ;)
Renate hat offensichtlich noch die Kurve bekommen - musste je echt lachen, als sie zugab, die Wohnung verwüstet zu haben, um die beiden Turteltauben zusammen zu kriegen. Hat man so was schon erlebt? Nya, schön, dass sie letztlich doch das Glück ihres Enkels über ihre Vorbehalte stellt (und niedlich iwie^//^).

Tonda scheint tatsächlich den niedlichen Nachbarn für sich gewinnen zu können - endlich mal jemand, der ihn nicht für verrückt erklärt, sondern die ganze Sache noch spannend zu finden scheint. Wenn das nicht der Richtige ist... ^.~

Und Jasper (alias Gabriel*kicher*) ist einfach nur Zucker. Gerade seinetwegen hätte ich es schon noch ne Weile mit den Jungs ausgehalten^^;; Muss ihn ganz schön Überwindung gekostet haben, den ersten Schritt zu machen. Das arme Häschen... dass das aber auch so schief gehen musste. Gut, dass er ihm keinen Zahn ausgeschlagen hat*schwitz* Aber selbst wenn, ich nehme an, Tonda hätte dem Schnuckel auch das verziehen^^

Hach, niedlich!

Und nun freu ich mich schon aufs letzte Kapitel^^

Bis dahin~
Von:  Deedochan
2013-10-08T19:48:44+00:00 08.10.2013 21:48
Hallo liebste Lung!!!
Also *kicher* " Ich wollte ihn an den Schultern packen und rufen: Ist es wahr? Stehst du vielleicht auf mich? Willst du mein Freund sein? Wollen wir das Küssen nochmal üben?" --> HERRLICH :D ich LIEBE es! Na, ich bin gespannt auf das nächste Kapitel (und eine junge Renate kann ich mir so gar nicht vorstellen XD Für mich sind alte Leute immer schon alt gewesen, haha :D).
Viel Spaß bei deinem Kurzurlaub!

glg und Bussis
Deedo


Zurück