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Ich sehe was, was Du nicht siehst

von

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Vier

Hier kommt eines meiner oder vielleicht sogar mein Lieblingskapitel :)!

Ich hoffe, Ihr habt ebenfalls Spaß!

Liebe Grüße von Lung
 

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Als ich aus Jaspers Haustür trat, war das Wetter umgeschlagen. Nun zeigte sich der April von seiner regnerischen, windigen Seite. Ich beeilte mich, über die Straße und in meine Wohnung zu gelangen. Dort angekommen, lehnte ich mich an die Wand und atmete tief durch. Ich fühlte mich ausgelaugt. Und schwach vor Hunger.

Ich warf meine Klamotten von mir als wären es Fremdkörper und stieg endlich unter die Dusche. Lange stand ich dort und schrubbte mich blitzeblank. Und dabei versuchte ich nicht an Marius zu denken, was mir erstaunlich leicht fiel. Doch ich versuchte ebenfalls nicht an Jasper zu denken, was mir dagegen erstaunlich schwer fiel.
 

„Du Trottel,“ sagte ich anschließend zu meinem Spiegelbild und musterte es grimmig, „Hast du dir jetzt einen Crush eingefangen oder was? Na, super. Von einer aussichtslosen Beziehung in die nächste. Das sieht dir ähnlich.“

Nachdem ich mich dürftig abgetrocknet hatte, wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüfte und verließ das warme Badezimmer. In der Küche kam mir Cleo entgegen. Sie schnurrte bei meinem Anblick und machte einen Buckel. Sie zu sehen heiterte mich auf.
 

„Hey…,“ seufzte ich zärtlich und nahm sie auf den Arm, „Na du? Hallo, mein Schatz. Du bist bestimmt hungrig, mhm? Tut mir leid, dass ich erst jetzt komme. Aber wenn du wüsstest, was ich erlebt habe, würdest du es verstehen.“

Ich kraulte ihren Nacken und obwohl sie eigentlich nicht gerne auf den Arm genommen wurde, schnurrte sie mir heute liebevoll ins Gesicht, als wüsste sie, dass ich ein bisschen Liebe brauchte. Nachdem ich sie wieder abgesetzt hatte, fütterte ich sie. Während sie ihr Abendessen verschlang, erzählte ich ihr von Renate und ihrem Problem. Und auch von Jasper. Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
 

„Aber es ist völlig blöd,“ schloss ich, als Cleo sich nach dem Fressen genüsslich streckte, „Die Wahrscheinlichkeit, dass er nach einer Nacht Bedenkzeit immer noch mit mir ausgehen würde, stehen wohl grad mal bei zehn Prozent. Und selbst wenn ich ihn bald wieder auf der Straße treffe, was sollte ich sagen? Hey, mal wieder was von deiner Oma gehört? Pfff, wohl kaum.“

Ich schüttelte entschieden den Kopf: „Das muss aufhören. Sofort.“

Dann folgte ich Cleo ins Schlafzimmer, um mir was Bequemes anzuziehen und mich anschließend mit irgendwas Essbarem vor die Glotze zu hauen. Es wurden Spaghetti.
 

Auch in dieser Nacht wurde ich geweckt. Diesmal allerdings vom Telefon.
 

Es schrillte mitten durch meinen Tiefschlaf hindurch. Ich schreckte hoch und brauchte einige Sekunden, um mich zu orientieren. Das konnte doch nur ein Albtraum sein. Doch dann hörte ich es wieder, unverkennbar und unverschämt. Ich stöhnte wie ein verletzter Hirsch, schaltete gequält die Nachttischlampe an und blinzelte geblendet auf die Anzeige meines Weckers. Es war kurz nach halb eins.

„Verdammte Scheiße…!“, knurrte ich, „Das kann doch nicht wahr sein!“

Wutentbrannt und benommen schlug ich die Decke zurück und lief barfuß in den finsteren Flur, zum schreienden Telefon hin. Beinahe wäre ich gegen einen der Küchenstühle gerannt. Fluchend hob ich ab.
 

„Ja?“, grollte ich, „Was zur Hölle–,“

„Hier ist Jasper!“, schluchzte es am anderen Ende.

Mir blieb fast das Herz stehen.

„Jasper?!“

„Es tut mir leid, dass ich dich wecke, aber–,“

Er schrie auf und im Hintergrund hörte ich es poltern. Als er wieder sprach, überschlug sich seine Stimme in Panik. Ich presste den Telefonhörer gegen das Ohr, um ihn verstehen zu können.
 

„Bitte! Bittekannstdurüberkommen?! Hierhier…espassierenkomischeDinge! MeineSachen, siesiefliegen, allesbewegtsichund–,“

Er schrie erneut auf und irgendwo schepperte etwas. Obwohl ich nur die Hälfte begriffen hatte, stand meine Entscheidung schon fest.

„Ich bin gleich bei dir!“, rief ich, „Hab keine Angst, ich bin gleich da!“
 

Kopflos schmiss ich den Hörer aufs Telefon und drehte mich einmal im Kreis, bevor mir wieder einfiel, wo meine Schuhe standen. Ich schlüpfte hinein, dachte gerade noch an meine Schlüssel auf dem Küchentisch und stürmte aus der Wohnung. Die Treppen nahm ich ihm Galopp und schon stand ich in T-Shirt und Boxershorts auf der nächtlichen Straße.

Der Regen hatte zum Glück aufgehört, aber es war scheißkalt und windig und im Licht der Straßenlaternen schimmerten riesige Pfützen auf dem Asphalt. Ich achtete nicht auf die unmenschlichen Bedingungen, rannte blindlings zu Jaspers Haustür und warf mich dagegen. Es krachte – sie war zu. Knurrend und keuchend suchte ich Jaspers Klingel. Ich fand sie und klingelte Sturm. Keine zwei Sekunden später ertönte der Summer. Ich stürzte ins Treppenhaus und nahm immer drei Stufen auf einmal, wobei ich höllisch aufpassen musste, dass ich mit meinen nassen Schuhen nicht ausrutschte.
 

Mit hämmerndem Herzen erreichte ich schließlich Jaspers Treppenabsatz. Er wartete in der sperrangelweit geöffneten Tür auf mich und kam mir sofort entgegen, sein Gesicht ein einziger Schrecken. Ohne zu zögern sprang er mir in die Arme. In meinem Kopf wurde es für einen Augenblick ganz still.
 

Es war unpassend, aber es fühlte sich verdammt schön an. Sein Körper war so warm und fest, so schön lebendig. Ich drückte ihn enger an mich, als es unbedingt nötig gewesen wäre. Und er klammerte sich um meinen Hals, sodass seine Füße ein Stück über dem Boden schwebten.
 

„Danke!“, schluchzte er erstickt über meine Schulter, „Es tut mir so leid, aber ich…ich wusste einfach nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte…,“

„Schon gut…,“ wisperte ich und streichelte mit einer Hand sein Haar, „Schon gut…,“

Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Außerdem war er mir ganz nah und ich konnte sein Herz gegen meine Brust pochen spüren und den Duft wahrnehmen, den sein Haar, seine Haut und sein grünkarierter Schlafanzug verströmten. Irgendwie süß und weich wie der eines Babys. Und ich fühlte seine Nase, die meinen Hals berührte. Ich wagte kaum zu atmen.
 

Irgendwann musste ich ihn aber doch loslassen. Das tat ich, als das automatische Licht im Treppenhaus ausging. Vorsichtig ließ ich ihn zurück auf den Boden gleiten und schlug gegen den Lichtschalter. Im grellen Licht schaute ich ihn mir genauer an. Sein Haar stand zu Berge und er war immer noch sehr blass. Er schniefte und atmete schwer und grub seine Finger in mein T-Shirt, als könne er noch nicht ganz auf den Körperkontakt zu mir verzichten. Das machte mich ziemlich an, also beeilte ich mich, zur Sache zu kommen.

„Okay. Was ist passiert?“
 

„Ich… Also, ich bin aufgewacht… Wegen der Geräusche. Es rauschte und… Also hab ich das Licht angemacht und da hab ich gesehen, wie alles durchs Zimmer flog!“

Fassungslos verfiel er ins Quieken. Er musste sich einmal räuspern, bevor er weiterreden konnte.

„Meine Bücher und das Alpenveilchen und meine Schuhe! Ich…ich hab gedacht, ich spinne. Ich bin aus dem Bett gesprungen und dann ist das Licht einfach wieder ausgegangen – von ganz allein! – und ich…ich bin in den Flur und aus der Küche kam mir ein Stuhl entgegen und da... Da hab ich einfach die Nerven verloren und dich angerufen. Weil, weil…,“
 

Er rang nach Worten.

„Weil… Du weißt schon. Du bist der Einzige, der… Tut mir leid…,“

„Schon gut,“ sagte ich erneut.

Gleichzeitig drehten wir die Köpfe und starrten in das schwarze Loch, das Jaspers Wohnung war. Kein Laut kam von dort.

„Es hat aufgehört, kaum dass ich aufgelegt hab,“ flüsterte Jasper.

Ich atmete tief durch.

„Gut. Dann schauen wir uns das doch mal an.“
 

Jasper schluckte. Aber dann nickte er entschlossen. Ich fand ihn so mutig, dass ich ihm einfach die Hand auf die Schulter legen musste. Zu meiner Verblüffung nahm er dies zum Anlass, sich nah an mich zu drängen und mir beide Arme um die Taille zu schlingen.
 

„Sorry…,“ hauchte er und schaute beschämt zu mir hoch, während ich mit der inneren Hitze kämpfte, „Ich fürchte, sonst trau ich mich nicht…,“

„Schon gut…,“ brummte der Trottel in mir zum vierten Mal.
 

So begannen wir unsere Wanderung durch das Niemandsland. Im langsamen Gleichschritt schoben wir uns durch den Türrahmen in Jaspers Wohnung hinein, seine Arme um meine Taille und sein Kopf an meiner Brust, mein linker Arm um seine Schultern. Mit dem Fuß schloss ich die Wohnungstür. Dröhnende Stille und Dunkelheit umgab uns.

„Der Lichtschalter ist rechts,“ hauchte Jasper.

Ich tastete an der Wand entlang. Licht flammte auf.

„Meine Fresse…,“ entfuhr es mir.
 

Mitten im Flur lagen drei der Küchenstühle. Und ein paar Töpfe. In der Ferne erkannte ich heruntergerissene Poster, einen umgekippten Wäscheständer und mehrere Schuhe.

„Zum Glück ist Paula grad nicht da…,“ wisperte Jasper, „Wie hätte ich ihr das sonst erklären sollen?“

„Ist Paula deine Mitbewohnerin?“, fragte ich, während wir uns zur Küche vorarbeiteten.

„Ja.“

Auch die Küche sah schick aus. Sämtliche Schränke standen offen. Sogar der Backofen. Und jede Menge Besteck bedeckte den Esstisch. Und diese Tomaten hatten gestern Abend sicher noch nicht auf dem Fußboden gelegen.
 

Trotzdem. Es war überschaubar, es hatte System. Ein Chaos, ja. Aber keine Verwüstung.
 

Langsam bahnten wir uns einen Weg durch die ganze Wohnung, schalteten überall die Lichter an und bestaunten das Maß des Durcheinanders.

„Siehst du irgendwas?“, wollte Jasper wissen, „Irgendwas…Ungewöhnliches?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, nichts.“

Aufmerksam schaute und lauschte ich. Aber da war nix Ungewöhnliches. Nur eine chaotische Wohnung.
 

„Oh nein…,“ machte Jasper, als wir in seinem Zimmer angekommen waren, dem Raum, der mit Abstand am meisten abbekommen hatte, „Und erst vorgestern hab ich so gründlich aufgeräumt…,“

Er löste sich von mir, was ich mit großem Bedauern zur Kenntnis nahm, und stieg über seinen umgeworfenen Schreibtischstuhl, um eine Topfpflanze aufzuheben. Er stellte sie auf den Schreibtisch und sah sich hilflos um, ließ seine Augen über das zerwühlte Bett und die verstreuten Unmengen an Büchern, Papieren, Stiften, Schuhen, CDs, Kissen, Klamotten, Postkarten und allgemeinem Schnickschnack wandern. Ich folgte seinem Blick und überlegte, ob ich ihm vielleicht meine Hilfe beim Aufräumen anbieten sollte.
 

„Hast du so etwas schon mal erlebt?“, fragte er mich.

„Äh, nein, nie,“ antwortete ich zerstreut, „Dass Geister solche Saiten aufziehen, ist selten. Meistens haben sie nur relativ kleine Problemchen. Kannst du sicher gehen, dass meine Schwester den Hund kriegt und nicht mein Ex-Mann? So etwas. Aber wenn ein Geist so ein Chaos anrichten kann, dann muss er ziemlich mächtig sein.“

„Und wie wird er so mächtig?“

„Große Gefühle.“

„Wut?“

„Ja, unter anderem. Aber auch Eifersucht, Angst, Liebe. Alles, was uns über alle Maßen bewegen kann, kann auch Geister bewegen. Schließlich sind das auch Menschen. Halt nur tote.“
 

Jasper schluckte. Ich sah mich um.

„Hallo?“, sagte ich laut, „Wenn hier jemand ist, wär es toll, wenn er sich zeigen würde.“

Nichts geschah.

„Es ist nicht sehr nett, fremdes Eigentum in der Gegend herum zu schmeißen, ohne wenigstens den Grund dafür zu nennen.“

Immer noch nichts.

Jasper schaute mich fragend an. Ich zuckte die Schultern.
 

„Keiner da,“ antwortete ich, „Oder es ist jemand da und er will sich nicht zeigen. Ich fürchte, da können wir jetzt nichts machen.“

„Oh Gott…,“

Jasper fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und ließ sich auf sein Bett sinken.

„Aber warum überhaupt? Wer ist es? Was habe ich ihm getan?“

Ich schwieg. Wir musterten einander und dachten wohl das gleiche. Aber wir sprachen es beide nicht aus.
 

„Wie lange wohnst du schon hier?“, fragte ich, „Ist das seit dem schon einmal passiert?“

Mit bekümmerter Miene schüttelte Jasper den Kopf.

„Niemals. Und ich wohne bald zwei Jahre hier.“

„Okay. Dann liegt es nicht an der Wohnung.“

„Heißt das… Liegt es dann an mir? Werde ich… Werde ich heimgesucht?“

Er fürchtete sich. Ich konnte es daran sehen, wie seine Augen sich weiteten. Und erneut sickerte die Farbe aus seinem Gesicht. Kein Wunder. Heimsuchungen waren nichts für schwache Nerven.
 

„Kann sein…,“ sagte ich abwägend, „Ist in deinem Umfeld in letzter Zeit jemand gestorben? Ich meine, außer…,“

Jasper schüttelte den Kopf.

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Okay. Dann müssen wir wohl einfach abwarten. Vielleicht ist es ein alter Bekannter von dir, an den du lange nicht mehr gedacht hast. Es ist aber auch möglich, dass dich jemand verwechselt. Manchmal sind Geister etwas…verwirrt. Besonders wenn sie grad erst gestorben sind und noch nicht ganz geschnallt haben, was mit ihnen passiert ist. Oder es ist halt…,“

Ich verstummte, als Jasper trübselig den Blick abwandte.
 

„So oder so,“ sagte ich, „Du bist nicht allein, okay? Ich wohne direkt nebenan und ich werde dir selbstverständlich dabei helfen, das hier zu überstehen. Okay? Mach dir keine Sorgen.“

Er drehte den Kopf und schaute mich erneut an. Und lächelte dankbar.

„Danke.“

„Kein Problem…,“ ich räusperte mich, um meine Verlegenheit zu überspielen, „Okay. Heute Nacht richten wir hier nichts mehr aus. Ich schlage vor, dass wir morgen–,“
 

Jasper unterbrach mich. Auf seiner Miene war wieder der Schrecken erschienen.

„Soll ich… Soll ich jetzt etwa einfach wieder ins Bett gehen? Das kann ich nicht! Heute Nacht mach ich hier kein Auge mehr zu. Was, wenn es wieder losgeht, sobald du gegangen bist?“

Mir kam eine wahnwitzige Idee.

„Naja, ich…ich würde dir ja anbieten, bei mir zu schlafen, aber das–,“

„Ja!“

„ –wäre vielleicht ein bisschen…seltsam… Ja?
 

Ich war völlig verdutzt. Jasper lächelte peinlich berührt. Mein Herz machte einen komischen kleinen Hüpfer.

„Also… Also, wenn es dir nix ausmacht…,“

„N… Nein…,“ stammelte ich, „Natürlich nicht. Wenn du willst.“

„Ja,“ sagte er entschlossen, „Kann ich?“

„Äh, klar. Okay.“

Sekundenlang lächelten wir uns auf die gleiche Weise an, nervös und verlegen. Aber auch irgendwie zufrieden. Dann ging Jasper los, um seine Zahnbürste zu holen.
 

Er meinte es wirklich ernst. Meine Fresse.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Deedochan
2013-09-01T11:07:42+00:00 01.09.2013 13:07
Hallo liebste Lung!
Da komme ich ausgeruht, frisch gebräunt und gut gelaunt aus dem Urlaub und was sehe ich? MILLIONEN neue Kapitel von dir! YAY :D Alle brav gelesen - und jetzt bin ich noch besserererererer gelaunt als vorher, hehe ^^ die beiden sind so putzig :D

glg
bis bald!
Bussls,
Deedo
Von:  emina
2013-08-31T08:14:20+00:00 31.08.2013 10:14
man sind die beiden süß ^__^
wehr wohl der Geist ist, seine Oma oder jemand anderes?
die Geschichte ist toll, ok alle deine Geschichten sind Super ^^
freue mich auf mehr ^__^


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