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Ich sehe was, was Du nicht siehst

von

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Zwei

Hallo und Willkommen zum zweiten Kapitel :)! Ich hoffe, Ihr habt ein wunderschönes Wochenende und fühlt ordentlich mit Tonda mit^^.

Liebste Grüße,

Lung
 

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Erst hörte ich Schritte, dann war Stille. Vermutlich schaute er durch den Spion, also gab ich mir Mühe, harmlos auszusehen. Vorsichtig öffnete sich die Tür. Jasper stand im Türrahmen, ganz verschreckt sah er aus. Die Tür blieb halb geschlossen, als wolle er sie möglichst schnell zuschlagen können, falls ich ein großes Messer hinter dem Rücken versteckte. Meine Fresse, was für schöne, ausdrucksstarke Augen.
 

„Hi…,“ sagte ich idiotisch lächelnd.

„Hallo,“ erwiderte Jasper ungläubig und öffnete die Tür ein Stück weiter, „Ich… Ich kenne dich. Ich glaub, ich…ich hab dich schon mal gesehen. Kann das…sein?“

„Ähm, ja. Ja. Ich wohne schräg gegenüber. Nummer dreiundsechzig. Ich heiße Tonda. Tonda Lipkina.“

Er lächelte scheu und ganz besonders zauberhaft.

„Was für ein schöner Name,“ sagte er zu meiner Verlegenheit, „Was kann ich für dich tun?“
 

Ich atmete tief ein, Atmen half gegen die Unruhe.

„Ich würde gerne mit dir über was reden. Es ist etwas Persönliches und vielleicht…ein bisschen, ähm, heikel. Könnte ich kurz reinkommen?“

Er schwieg verblüfft. War das Misstrauen? Ich könnte es ihm nicht verübeln.

„Ich schwöre, ich komme unbewaffnet und habe keinerlei Interesse an deinem Bargeld. Aber, äh… Also, es geht um deine Großmutter. Renate Geiger.“

„Du kanntest meine Oma? Ehrlich? Woher?“

„Wir…haben uns vor kurzem kennen gelernt,“ erwiderte ich ausweichend, „Darf ich reinkommen?“
 

Jasper dachte noch einen Augenblick nach, ging in Gedanken vermutlich alle Waffen durch, die er im Falle eines Falles schnell erreichen konnte. Aber dann trat er zur Seite und ließ mich hinein. Kaum stand ich im Flur, hörte ich Renates Stimme von links. Jasper hörte sie nicht.
 

„Diese Küche ist eine Zumutung!“
 

„Ich…ich bin grad am Kochen,“ sagte Jasper, „Wollen wir uns in die Küche setzen?“

„Ähm, klar. Gern.“

Ich folgte ihm in den ersten Raum auf der linken Seite. Die Küche war absolut keine Zumutung. Grasgrüne Wände und bunte Postkarten an den Einbauschränken. Vielleicht ein wenig unordentlich, aber auf eine sehr gemütliche Art. Außerdem roch es herrlich nach Spaghetti und mir lief prompt das Wasser im Mund zusammen. Meine letzte Mahlzeit war schon wieder eine Weile her.
 

Renate stand rechts vom Fenster und funkelte uns mit verschränkten Armen an. Jasper sah sie nicht. Aber er rieb sich die Arme, als würde er frösteln.

„Bitte,“ sagte er und deutete auf einen der Küchenstühle.

Dankbar lächelnd nahm ich Platz. Er entschuldigte sich für das Küchenchaos, während er in dem Topf auf dem Herd rührte, und ich winkte ab. Dies war das berühmte Vorgeplänkel, ein bisschen Smalltalk, bevor der Bigtalk anfing. Verdammte Scheiße, wie ich diese Gespräche hasste. Renate räusperte in regelmäßigen Abständen mahnend in sich hinein.
 

„Also…?“, fragte Jasper, als sich das beklommene Schweigen auszubreiten begann, „Du sagtest, es ginge um meine Oma?“

„Ja… Richtig. Sie bat mich, mit dir über etwas zu reden, das ihr sehr auf dem Herzen liegt.“

„Echt? Ich…ich hatte keine Ahnung, dass ihr euch so nahe steht.“

„Naja…,“

„Ich… Ich weiß nicht… Offenbar hat es dir noch keiner gesagt, aber meine…meine Oma ist vor drei Wochen gestorben.“

„Oh, äh. Doch. Doch, das habe ich erfahren. Mein Beileid.“

„Danke…,“
 

Jasper senkte den Blick und wandte sich ab. Er schaltete er den Herd aus und schüttete die Spaghetti durch ein Sieb in der Spüle. Heißer Wasserdampf stieg auf wie ein Atompilz. Seine verstorbene Oma wedelte mit ungeduldiger Miene den Dampf fort, sodass ein anmutiger Wirbel entstand. Jasper achtete nicht darauf.

Ich wollte etwas Tröstendes sagen, aber mir fiel nichts ein. Außerdem lenkte mich die Tatsache ab, dass er ganz sicher schwul war. Das konnte ich genau sehen. Oder nein, eigentlich war es eher ein Gefühl. Wie er sich bewegte, wie er redete. Wir erkennen einander, hatte Marius mal gesagt. Es wunderte mich, dass Renate es nie bemerkt hatte. Oder vielleicht hatte sie es einfach nie bemerken wollen.
 

„Ich… Ich meine, ich habe dich nicht auf ihrer Beerdigung gesehen,“ fuhr Jasper fort.

„Ähm, nein. Nein, das ist richtig,“ antwortete ich.

Ich brauchte noch einen Augenblick, um mich zu sammeln. Ich wollte eigentlich nicht sehen, wie sich in Jaspers hübschem Gesicht ein Fragezeichen in ein Ausrufezeichen verwandelte. Doch ich war schon so weit gekommen. Und Renate würde mich bestimmt für alle Zeiten heimsuchen, wenn ich jetzt einen Rückzieher machte. Also räusperte ich mich ein letztes Mal und spuckte es aus.
 

„Offen gestanden…habe ich sie erst nach ihrer Beerdigung kennen gelernt. Gestern Nacht, um genau zu sein.“
 

Die Stille war sehr still. Jasper schwieg. Ich vermied so lang es ging, ihn anzusehen, und als ich es schließlich doch tun musste, fand ich es sofort – das Fragezeichen. Jasper starrte er mich an, als wären mir soeben Flügel gewachsen. Er lächelte halbherzig.

„W…Wie bitte?“

„Er ist manchmal ein bisschen schwer von Begriff,“ mischte sich Renate jetzt laut ein, „Ähnlich wie du übrigens, junger Mann.“

Ich überging sie. Jaspers Augen waren geweitet und auch sein Mund stand halb offen. Er sah immer noch sehr hübsch aus, schöne Lippen hatte er. Das machte alles noch viel schwieriger. Doch ich riss mich am Riemen.
 

„Okay,“ sagte ich, „Hör zu. Ich weiß, dass sich das vollkommen verrückt anhört. Du wirst dich vielleicht fragen, was für einen Irren du in deine Wohnung gelassen hast und das könnte ich total verstehen. Trotzdem wäre es nett, wenn du mich einfach ausreden lässt. In Ordnung? Das würde mir die Sache enorm erleichtern.“

Jasper starrte mich noch immer an. Aber er zuckte die Schultern und nickte. Ich fand uns beide ungemein tapfer. Vielleicht bestand ja sogar die minimale Chance, dass wir uns eines Tages grüßen konnten, wenn wir uns auf der Straße begegneten. Immer vorausgesetzt, das weitere Gespräch verlief gut.
 

„Gut, äh, danke. Okay. Ich…ich erzähle dir jetzt zwei Geheimnisse und es wäre nett, wenn du beide für dich behalten würdest. Wobei das beim ersten nicht ganz so wichtig ist. Gut. Also. Geheimnis Nummer eins, ich stehe auf Männer.“
 

Dieses Outing war eine spontane Eingebung gewesen. Und sie hatte eine interessante Wirkung. Jaspers Gesicht blühte geradezu auf. Es brachte mich ganz durcheinander.
 

„D… Du stehst auf Männer?“

„Äh, ja. Ja, das tue ich.“

„Wow, das…das hätte ich gar nicht gedacht…,“

„Ach nein?“

„Nee, du… Also, dir geht irgendwie dieses…dieses Getue total ab…,“
 

Er plinkerte mit den Wimpern und bewegte die Hände auf eine klischeehafte und doch irgendwie treffende Art hin und her. Darüber mussten wir beide lachen. Es tat unendlich gut. Ich entspannte mich. Erst jetzt bemerkte ich, wie angespannt ich tatsächlich gewesen war. Für kurze Zeit war ich ziemlich zufrieden. Bis sich Renate wieder einschaltete und unsere kichernde Zweisamkeit geräuschvoll störte. Sie schien alles andere als angetan vom Inhalt unserer Unterhaltung. Jasper hörte sie zwar nicht, aber ich tat es und ich warf Renate einen grantigen Blick zu, den er verdutzt zur Kenntnis nahm. Ich kam zum Thema zurück.
 

„Okay, gut. Jetzt, wo wir das geklärt haben, Geheimnis Nummer zwei.“

Ich atmete ein letztes Mal tief ein. Jasper hob die Augenbrauen.

„Ich bin in der Lage, verstorbene Menschen zu sehen. Und zu hören. Ihre Seelen, wenn du so willst. Ich kann mit ihnen kommunizieren und manchmal…kommen sie zu mir, damit ich für sie ein paar letzte Angelegenheiten regle oder so. Okay?“
 

Warum ich das letzte Wort gesagt hatte, wusste ich selbst nicht. Okay? Natürlich war es nicht okay, es war völlig irre. Jasper schien das ähnlich zu sehen und mein Herz rutschte mir tiefer in die Hose als je zuvor. Er war praktisch zu Stein erstarrt. Eine Ewigkeit bewegte oder sprach er gar nicht. Schließlich blinzelte er endlich und seine Lippen bewegten sich, zuerst nur lautlos. Dann gluckste er. Dieses Lachen kannte ich gut. Es war das Bitte sag mir, dass das nur ein Scherz war-Lachen.
 

„D… Du… Du verarschst mich…,“ brachte er hoffnungsvoll hervor.

Zu meinem Leidwesen musste ich den Kopf schütteln.

„Nein. Tut mir leid. Es ist die Wahrheit.“

„A… Aber…,“

„Ich weiß, wie das klingt, glaub mir. Vielleicht bin ich ja verrückt. Aber es ist trotzdem die Wahrheit. Ich kann sie sehen und manchmal…sind sie nicht gerade höflich.“

Bei diesem Seitenhieb schaute ich stirnrunzelnd zu Renate hinüber, die beleidigt mit der Zunge schnalzte. Doch sie zickte nicht zurück. Vielleicht machte sie sich Sorgen um ihren Enkel. Der war ein wenig blass geworden. Und stammelte.
 

„Du… Du… Meinst du das Ernst?!“

Ich nickte.

„Aber das… Du meinst Geister? Etwa so wie in Ghost Whisperer?“

Ich brummte und wiegte den Kopf.

„Naja. Bei mir wird nicht so viel geheult. Aber ja, so ähnlich.“

Jasper schnappte nach Luft. Er betastete sein Gesicht, als fürchtete er, es würde jeden Moment auseinander fallen. Seine Augen zuckten blicklos durch die Küche und seine Mimik zeigte eine sehr abwechslungsreiche Reihe an Emotionen. Gesichtskirmes, hatte Marius das genannt. Wieso musste ich eigentlich schon wieder an den denken?
 

„Und du willst mir sagen, dass meine Oma Reni…,“

„Ja. Sie ist gestern Nacht zu mir in meine Wohnung gekommen und hat mich gebeten, mit dir zu reden.“

„Ich glaub’s nicht…,“ wisperte er, „Das ist das Krasseste, was ich jemals gehört habe. Wenn…wenn das eine Anmache ist, dann ist es die kreativste, die ich je erlebt habe. Und allein deswegen würde ich schon mit dir ausgehen.“
 

Renate riss die Augen auf und protestierte.

„Ich muss doch sehr bitten!“

Doch ich ignorierte sie. Ich war perplex und entzückt.

„Das würdest du?“, fragte ich.

Jasper lächelte peinlich berührt und knibbelte mit den Fingern an seinem Mund herum.

„Naja… Ja. Wieso nicht?“

„Weil…es keine Anmache ist, fürchte ich. Es ist die Wahrheit.“

Jasper blinzelte und blinzelte und schüttelte den Kopf.

„Ich… Ehrlich, ich versuche, dir zu glauben, aber…,“
 

Er verstummte, aber ich wusste trotzdem, was er meinte. Das mit dem Glauben war so eine Sache. In einer Welt der Wissenschaft, in der wir gelernt hatten, fast jedes Phänomen rational zu erklären, glaubten die meisten Menschen nur das, was sie selbst sahen. Und ich hatte mehr als fünfundzwanzig Jahre gehabt, um mich an meine ausgedehnte und möglicherweise krankhafte Perspektive zu gewöhnen – und Gott weiß, dass es Zeiten gab, in denen ich mir selbst nicht glauben konnte. Ich hatte nie eine tiefe Überzeugung aufgeben müssen, so wie ich es jetzt von Jasper erwartete. Und für solch einen Kraftakt waren fünf Minuten ziemlich knapp bemessen. Also nickte ich Jasper verständnisvoll zu.
 

„Ich verstehe schon. Ich weiß, es ist unglaublich. An deiner Stelle hätte ich mich wahrscheinlich schon rausgeworfen. Mit dem Rat, mir schleunigst einen guten Therapeuten zu suchen,“ fügte ich mit einem Anflug von Galgenhumor hinzu.

Jasper lächelte. Inzwischen hatte er wieder mehr Farbe auf den Wangen. Renate räusperte sich zum hundertsten Mal. Sie war es wohl leid zu warten. Ich leckte mir über die Lippen. So weit, so gut. Es war Zeit für den nächsten Schrecken.

„Jasper…,“ sagte ich und war erstaunt, wie viel Befriedigung es mir verschaffte, seinen Namen auszusprechen, „Deine Oma…,“

„Sie hat dich gebeten, mir etwas zu sagen.“
 

„Richtig. Aber nicht nur das. Sie…ist hier, weißt du. Hier in der Küche. Sie steht dort neben dem Fenster.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kaoru
2013-08-19T07:38:26+00:00 19.08.2013 09:38
*g* Ich mag Jasper^^ Bisher verkraftet er das Ganze ja noch recht gut, hm? Schön, wie die beiden auch gleich die Gelegenheit nutzen, sich einander anzunähern. Renate is not amused*kicher*
Hm, wie wird der arme Kerl aber nun auf die Eröffnung reagieren, seine tote Oma stehe neben ihm in der Küche. Das ist schon... freaky?!
Nya, abwarten.

Gesetzt den Fall, Tonda und Gabriel werden ein Paar, wie wird das dann mit Renates Besuchen? Wird sie die beiden bis an ihr Lebensende heimsuchen? Stell ich mir weniger witzig vor, immerhin gibt es Momente, in denen man keine Geister gebrauchen kann, hm?!

In diesem Sinne~
Von:  gila-lala
2013-08-16T15:00:57+00:00 16.08.2013 17:00
ehehehe :D Geister, Bingo!
ich frage mich jetzt, wie es wirklich wäre, wenn theoretisch überall und immer Leute einfach so aufploppen... Tonda muss Nerven haben wie extradicke Stahlseile nicht dauernd rumzu-"iieeeeeck!"-en...
Lieblingssatz: "Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker um halb sieben. Ich schlug ihn, damit er schwieg, und gab eine Menge mitleiderregender Geräusche von mir, die niemand hörte." <3


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