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Evenfall

[Itachi x Sakura | non-massacre AU | dorks to lovers]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leserinnen und Leser - lang, lang ist es her, seit ich diese fanfic geschrieben habe, und es freut mich, dass sich nach all der Zeit immer noch Leute hierher verirren. Seit Evenfall abgeschlossen ist, hat sich viel getan, in der Welt, bei mir privat, und bei mir als Autorin. Darum habe ich 2019 begonnen, diese Geschichte zu überarbeiten. Doch leider - oder vielleicht sogar zum Glück - hat die Motivation dazu nicht für alle Kapitel gereicht, und Evenfall ist für etliche Monate zu einem Zombi geworden, zusammengeflickt aus alten und neuen Kapiteln.

Darum habe ich 2021 entschieden, Evenfall in seinen Urzustand zurückzuversetzen, und präsentiere euch mit nostalgischem Stolz die originale Version von 2013 - ein wenig trashig, ein wenig chaotisch, aber mit sehr viel Liebe gemacht, und definitiv eine wertvolle Station auf meinem Autorenweg.

Vielen Dank für die wunderbare Zeit, die tollen Kommentare und die grandiose Community, in der ich damals unterwegs sein durfte.

Viel Spaß beim Lesen!
Eure 4FIVE Komplett anzeigen

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Clouded Skies


 

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Haruno Sakura hatte lange und hart gearbeitet, um dorthin zu gelangen, wo sie heute war. Nun ja, nicht wortwörtlich, betrachtete man ihren derzeitigen Marsch durch Matsch und Regen nach Kumogakure no Sato. Sie war eine Kunoichi geworden, weil ihre Eltern Shinobi waren und Kinder von Shinobi nun eben auch Shinobi wurden. Eine Wahl hatte sie nie gehabt. Umso überraschender war es, dass sie sich nach all den Jahren endlich etwas gefunden hatte, für das sie Leidenschaft empfand.

Als junges Mädchen hatte sie nie verstanden, weswegen Naruto und Sasuke bis spät in die Nacht hinein quälten und prügelten und in stumme Tränen der Frustration ausbrachen, wenn sie heute nicht einmal mehr die Mitte der Übungspuppe trafen als gestern. Vielleicht war das der Grund dafür gewesen, dass sich Team Sieben aufgelöst hatte und Sakura sich verzweifelt und verlassen winselnd vor Tsunade wiedergefunden hatte. Naruto war irgendwann zurückgekommen, stärker und motivierter denn je. Sasuke nicht.

Also war Sakura nun hier, eine ausgebildete Iryōnin auf Chūnin-Level an der Seite ihrer beiden Jōnin-Kameraden. Mit Sais Rang hatte sie sich lange abgefunden, Narutos Ernennung vor zwei Monaten nagte an ihr. Schweiß und Tränen und einsame Nächte in der Bibliothek oder auf dem Trainingsfeld hatten sie gut gemacht, sehr gut sogar, und dennoch hinkte sie nach wie vor hinterher.

Unglücklich darüber, in welche Richtung ihre Gedanken gedriftet waren, seufzte Sakura und holte zu ihrem Team auf. Wie sie Kumogakure hasste. Schrille, schrullige Leute wohnten dort und überhaupt konnte sie schwören, nicht ein einziges Mal im Trockenen hier gewesen zu sein.

Tsunade wusste genau, wem sie diesen Auftrag anvertraute – Sakura bezweifelte allerdings die Umsichtigkeit dieser Entscheidung. Im Normalfall schickte sie ihren berüchtigten Chaostrupp nicht außer Landes. Sai und Sakura konnten sich wohl für ein paar Tage zusammenreißen, wenn es um eine Auslandsmission ging. Naruto stand auf einem anderen Blatt. Seine offenkundige Tendenz zur mutwilligen Zerstörung hatte ihr neu formiertes Team Sieben erst berüchtigt gemacht.

»Kumogakure no Sato müsste hinter dieser Biegung endlich zu sehen sein«, informierte Sai sie. Sie waren zu früh, viel zu früh. Und niemand wollte mehr Zeit in Kumogakure verbringen als unbedingt nötig. Als hätte Sai es beschworen, begann das Dorf und seine zugehörigen Plateaus sich langsam in ihr Sichtfeld zu erheben.

Sai hielt den Blick starr auf das in Sicht kommende Dorf gerichtet. »Wie lange hat sie Nara-kun eigentlich schon dort hin verbannt?«

»Drei Wochen«, antwortete Sakura, die sich an Shikamarus eingefallenen Gesichtsausdruck erinnern konnte, als Tsunade ihn zum Hauptrichter ernannt hatte – abgestellt, wenn man seinen Worten Glauben schenken wollte. Seit aufgefallen war, dass überproportional viele Genin des Austragungslandes die Prüfung bestanden, hatten die großen Shinobinationen entschieden, dass jedes teilnehmende Land einen Hauptrichter vor Ort haben musste, um die faire Beurteilung zu gewährleisten. Niemand war besser dafür geeignet, Unregelmäßigkeiten zu erkennen als Shikamaru. Selbst schuld, wenn er so klug war.

Nach einer weiteren Stunde kam das Dorf in Sicht. Sie waren nach wie vor zu früh, also vertrödelten sie einen halben Vormittag abseits der Stadttore unter einem großen Baum und wiesen pünktlich eine halbe Stunde vor Mittag ihren Missionsbescheid am Kontrollpunkt vor. Die dort stationierten Shinobi kontrollierten das Formular mit einem kurzen Blick, ehe sie den Weg ins Dorf freigaben.

Trotz rarem Regen herrschte einiges an Trubel auf der Marktstraße, über die Planen und Tücher gespannt waren, um die Einkäufe trotz Wetterlage nicht allzu sehr zu stören. Kinder spielten in kleinen Pfützen, Marktschreier priesen ihre Waren an, Hunde liefen herum und Erwachsene drängten sich an die dicht aneinandergereihten Stände.

»Wir sollen auf direktem Weg in das Verwaltungsgebäude des Dorfes gehen«, sagte Sakura und wollte einen vorbeilaufenden Passanten nach dem Weg fragen, ehe sie sich die Frage selbst beantworten konnte. Es gab eine Beschilderung, die ankommenden Chūnin den Weg wies.

Shikamaru erwartete sie in einem Raum, den die Richter als Pausenzimmer benutzten. Er war mit Polstergarnituren, spartanischer Dekoration und gedeckten Tischen möbliert, die Naruto verheißungsvoll anvisierte.

»Frühstück«, hauchte er, gänzlich im Bann der duftenden Speisen. Sie hatten erst vor wenigen Stunden ein Picknick gemacht, auf dessen Gedeck Naruto sich unabsichtlich gesetzt hatte, ehe sie etwas davon gegessen hatten. Ihre Mägen knurrten im Kanon, was Shikamaru von einem Dokument aufsehen ließ, über das er mit seinem Assistenten gebeugt war. Tsunade hatte also einen weiteren armen Tropf ins Exil abkommandiert.

»Da seid ihr ja. Können wir gleich loslegen?«

Sakura verdrehte die Augen. In der Tat hatte sie damit gerechnet, auf mehr Widerstand zu stoßen. Vor allem, da die Wachen die Missionsbeschreibung eingehend begutachtet hatten. Kein Kage würde zwei Jōnin und einen Chūnin zum Einkaufen in ein ausländisches Dorf schicken; durch den vielen Regen waren die Pilze hier äußerst schmackhaft, dennoch wäre ein solches Aufgebot maßlos übertrieben. Entweder, Tsunade hatte einen äußerst speziellen Ruf, oder –

»Die Shinobi hier sind völlig mit der Prüfung beschäftigt. Sie haben Aushilfen an das Tor gestellt«, erklärte Shikamaru. Er reichte ihnen das Dokument, über dem er gebrütet hatte. »Das ist der Lageplan des Testgeländes für die zweite Runde. Der Ablauf wurde seit den letzten Jahren kaum verändert, allerdings gibt es im zweiten Durchlauf eine Sonderregelung. Das Trainingsareal wurde komplett verriegelt. Als Versicherung wurden im Vorfeld siebzehn Chūnin und zwei Jōnin damit beauftragt, das Gelände zu säubern. Sie werden es während der Prüfung durchstreifen, um Störfälle vorzeitig auszumerzen.«

»Welche Art von Störfällen?«

»Akatsuki«, sagte eine weibliche Stimme. Sie betrat den Raum, dicht gefolgt von zwei Sunanin.

»Gaara hat also auch davon gehört«, folgerte Sakura. Je mehr sie erfuhr, desto besorgter wurde sie.

Shikamaru nickte. »Zeitgleich mit meiner Nachricht an Tsunade-sama, schickte ich Suna eine Taube.« Zuvorkommend bat er Temari samt ihren beiden männlichen Begleitern einen Platz im Kreis der Konohanin an. Sie nahm ihm die Karte aus der Hand und markierte mit den Spitzen ihres Zeige- und kleinen Fingers zwei Punkte, um die sie je einen Radius bildete.

»Selbst wenn nicht, hätten wir davon erfahren. Unser Vertreter hat die Lage ebenfalls als schwierig eingeschätzt. Die Angriffe auf die Grenzposten zu Yuki no Kuni tragen eindeutige Anzeichen von Akatsuki. Den Spuren nach zu urteilen, bewegen sie sich Richtung Norden direkt auf Kumogakure zu. Sie wollen etwas hier. Zwischen diesen beiden Koordinatenpunkten verläuft ihre Route, sollten sie ihre Richtung nicht ändern.«

Sakura rief sich die Missionsbeschreibung in Erinnerung. »Akatsuki plant etwas, das mit den Bijū zu tun hat, so viel steht fest. Schon bei Gaaras Entführung waren sie in Wahrheit nur hinter Shukaku her. Sie haben seitdem nie wieder einen Versuch unternommen, an ihn heranzukommen, nicht wahr?«

Temari streifte ihren Kampffächer von ihren Schultern. »Nein. Sie hatten es wohl tatsächlich auf den Bijū abgesehen. Gaara ist sehr besorgt über die Entwicklungen im Problem Akatsuki. Obwohl wir längst wissen, dass sie es auf diese Monster abgesehen haben, ist unklar, nach welchem Schema sie vorgehen, oder ob sie überhaupt eines verfolgen. Die Dörfer hüten das Geheimnis um ihre Jinchūriki sehr gut, also können wir nur spekulieren, dass sich einer von ihnen hier aufhält.«

Mit einem Räuspern machte Shikamaru wieder auf sich aufmerksam. Er war der Leiter dieser geheimen Mission, diesem Recht hatte man zu folgen. »Die Möglichkeiten sind unendlich. Es könnte ein Shinobi von hier sein, einer der Richter, ein Prüfer oder eines der ausländischen Geninteams. Bezieht man den Zeitpunkt mit ein, stehen die Chancen hoch, dass er oder sie etwas mit der Prüfung zu tun hat. Wir werden uns deshalb darauf konzentrieren. Die erste Runde findet in einem bewachten Saal voller Shinobi statt. Akatsuki würde hier nicht eingreifen. Die zweite Runde ist problematischer. Das Testgelände ist groß. Sein Durchmesser beträgt etwa zwölf Kilometer, was flächendeckende Überwachung nahezu unmöglich macht.«

»Was schlägst du vor?«, hakte Sakura nach. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten. Diese Nacht- und Nebelaktion machte sie nervös. Man hatte ihnen einen gefälschten Missionsbogen ausgehändigt, der ihre wahren Intentionen verschleierte. ›Um Unruhe zu vermeiden‹, war Tsunades Statement gewesen. Indem man Kumogakure ausschloss, wurde die Mission zu einer heiklen Angelegenheit, die nicht auffliegen durfte.

Er räusperte sich. »Dass mindestens ein Zweierteam Akatsukis Geschäfte in Kumo zu erledigen hat, ist mehreren Nationen aufgefallen. Suna und Konoha sind nicht die einzigen, die geheime Verstärkung schickten. Heute Morgen kamen zwei Jōnin aus Iwagakure an, gestern Abend ein Quartett aus Kirigakure. Außerdem wird ein Trio aus Takigakure erwartet. Das bedeutet, alle Nationen, die einen Jinchūriki besitzen, sind versammelt. Mit den Shinobi der anderen Nationen können wir ein nahezu lückenloses Netzwerk bilden, das unser Areal überschaubarer macht. Offiziell wissen wir nichts von prüfungsfremden Ninjas hier. Auch Kumo weiß offiziell nichts von uns. Ein Konsortium zu bilden würde durch das strenge Reglement der Friedensverträge unnötig Zeit kosten.«

»Deshalb sind wir also so einfach hereingekommen«, stellte Sai fest. Er besah sich eine weitere Karte, die ausgebreitet auf dem Tisch lag. »Diese Mission ist inoffiziell, habe ich das richtig verstanden? Wir sollen dafür sorgen, dass die Prüfung reibungslos abläuft, indem wir das Trainingsgelände zusammen mit allen anderen ausländischen Shinobi sichern und im Notfall einschreiten. Wäre es nicht sehr viel einfacher, Kumogakure zu fragen, wer der Jinchūriki ist, um diesen zu beschützen?«

Verächtliches Schnauben schallte durch den Raum, dicht gefolgt von Temaris wegwerfender Geste. »Suna hat eine Anfrage gestellt, einem ausgewählten Kreis seine oder ihre Identität zu offenbaren, doch der Raikage weigert sich entschieden –«

»Womit er nicht unrecht hat«, unterbrach Shikamaru sie mit erhobener Hand. »Der Frieden zwischen den Nationen gründet vor allem darauf, dass niemand eine Übermacht des anderen erkennt. Alleine die Anzahl von Jinchūriki pro Land würde Zwistigkeiten hervorrufen, geschweige denn konkrete Namen. Die Jinchūriki würden überschwemmt von Angeboten, Anfragen und Aufträgen. Hinzu kommt, dass keine Grenzen völlig dicht sind. Es gibt immer irgendwo Maulwürfe, durch die diese Namen zu Akatsuki gelangen könnten. Man muss sich nur ansehen, wie zielstrebig sie sich fortbewegen. Diese Lecks dürfen unter keinen Umständen vergrößert werden. Kumogakure sträubt sich aus ethischen Gründen, die wir nicht anfechten dürfen. Wir werden also ohne seine Hilfe operieren.«

Naruto hob seine Hand. »Wie wollen wir dieses Netzwerk aufstellen? Die Kommunikation zwischen vier Nationen unter einen Hut zu bekommen, ist sehr schwierig.«

Eine kleine Rauchwolke verpuffte über Shikamarus Händen, die das Fingerzeichen des Widders geformt hielten. »Optische Signale. Einige der Ninjas aus Taki und Kiri können über die Schwingungen des Bodens und der Luftfeuchtigkeit kodierte Nachrichten weiterleiten. Der Rest von uns beruft sich auf die klassische Methode. Wir werden keine Kaffeekränzchen oder Abgleiche halten. Diese Rauchschwaden dienen bloß einem Zweck: Zwischenfälle zu melden. Die Gebietsaufteilung haben wir bereits gestern Nachmittag beschlossen. Konoha wird die Südseite des Areals übernehmen, Suna den Nordosten.« Er fuhr mit einem Finger eine Linie auf der Karte nach. »Jedes Gebiet reicht vom Mittelpunkt des Geländes in einem größer werdenden Durchmesser bis zu seinem Rand, von dem jeweils drei Kilometer pro Team abgedeckt werden. Je näher ihr der Mitte kommt, desto enger wird euer Radius, behaltet also die Mitte im Auge. Wir können es uns nicht leisten, einander zu überschneiden, wenn dadurch die Hauptlinie unbewacht bleibt. Auf jeden Fall ist es wichtig, die Geninteams innerhalb eurer zugewiesenen Kimmung im Auge zu behalten. Dabei bekommt ihr Unterstützung der jeweiligen Senseis, die sich speziell auf ihre Schützlinge fokussieren. Es gilt, einen Vorfall wie damals in Konoha zu vermeiden. Akatsuki ist ein hinterlistigerer Gegner als Orochimaru. Wir können nicht sagen, hinter wem sie her sind. Dass wir in Kumogakure sind, bedeutet nicht, dass sie einen Jinchūriki von hier ins Auge gefasst haben.«

Shikamaru erhielt einverstandenes Nicken. Es war seltsam, eine Mission derart auszuführen. Sakura arbeitete nicht gerne mit anderen Ländern zusammen, und zwar aus gutem Grund. Der heikle Frieden der Nationen war durch Bündnisse gesichert, aber genau diese Bündnisse konnten Probleme aufwerfen. Am Ende ging es für jeden Shinobi um Loyalität. Und die lag in erster Linie bei seinem Dorf. Suna bildete keine Ausnahme, selbst wenn der Kazekage ein enges Verhältnis zu Hi no Kuni pflegte. Sie schleppte diese Bedenken an die frische Morgenluft, die vom wolkenverhangenen Himmel kühlt gehalten wurde. Obwohl das Dorf unter den Wolken lag, regnete es so gut wie nie. Insgeheim fragte sie sich, wie deprimierend es sein musste, selten den klaren Himmel zu sehen.
 

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»Träumst du?«

Es hatte eine Stunde gedauert, die Umgebung einzuschätzen. Obwohl Sai und Sakura sich gewehrt hatten, bloß die Ränder ihres eigenen Teilbereichs abzulaufen, hatte Shikamaru zwecks Ressourcensparung verboten, den Auskundschaftungsradius auszudehnen. Niemand war sonderlich erpicht darauf, sich mit den Shinobi der anderen Dörfer zu bereden, weswegen es nicht zu mehr als einer kurzen, skizzenhaften Lagebesprechung gekommen war. Andere Zeichen auf den Hitai-ate riefen in jeder Situation vorsichtige Zurückhaltung hervor. Das Dorf auszukundschaften war eine minder gute Idee; Kumo könnte leicht auf den Gedanken kommen, Konoha spioniere. Die einzige Möglichkeit, die Zeit bis zum Einlass der Genin ins Trainingsgelände totzuschlagen, war, vor einem der Tore zu sitzen.

»Nein.«

Naruto tauchte nahe vor ihrem Gesicht auf und zog die Nase kraus. »Du siehst aus, als beschäftige dich etwas, Sakura-chan.«

»Rück nicht so nah auf!« Fluchend schubste sie ihn von sich, sodass er mit dem Hintern auf den erdigen Boden fiel. Sie überschlug die Beine und stützte das Kinn auf die abgewinkelte Handfläche. »Ich frage mich, ob wir einem Akatsuki begegnen werden.«

»Das hoffe ich doch!« Naruto rappelte sich, seine Hose vom Dreck befreiend, auf. »Du hast vor einigen Monaten doch einen plattgemacht, wieso sorgst du dich?«

»Tue ich nicht.«

Er tippte mit der Spitze seines Zeigefingers auf die Stelle zwischen ihren Augen. »Ich kann sie sehen. Die Falte über deiner Nase, wenn du bedrückt bist.«

Sie löste die Verschränkung, um seinen Finger zu packen. »Ich habe keine Falte. Hör auf, mir Besorgnis, Bedrückung oder eine andere beliebige Missstimmung einzureden. Mir gefällt diese Mission nicht, das ist alles.«

Sai stieß sich von der hohen Erle ab, in deren schwachem Schatten er ein Bild skizziert hatte. Es zeigte Naruto, der auf einem Felsen ein Picknick machte. »Wieso? Es gibt keinen Grund, unseren Verbündeten zu misstrauen. Wenn wir Glück haben, irren sich alle und wir werden für eine Woche Sightseeing auf der Nordroute bezahlt.« Er reichte ihr das Bild zur Aufheiterung, doch sie streckte zwei Finger in die Luft.

»Zwei Denkfehler. Erstens, das Nara-Axiom: Shikamaru irrt nie. Zweitens, das Team Sieben-Axiom: wann – und ich möchte ein konkretes Datum hören – gab es jemals keine Komplikation während einer Mission, an der wir drei gemeinsam beteiligt waren? Etwas an unserer Konstellation scheint Unruhen heraufzubeschwören. Rechnen wir lieber nicht damit, dass es diesmal anders sein könnte.«

Naruto legte lachend einen Arm um sie. »Immer so negativ, Sakura-chan! Ich mache mir eher Sorgen um Hayama-senpai. Er sah nicht sonderlich glücklich darüber aus, mit seinem Team anzutreten.«

»Wer kann es ihm verdenken?«, seufzte Sakura. Sie ließ entmutigt von der Vorstellung die Schultern sinken. »Keinem Geninteam, das bei der ersten möglichen Prüfung antrat, ist Gutes widerfahren. Shikamaru war der einzige, der es damals ohne nennenswerte Blessuren zum Chūnin geschafft hat. Was wiederum ein Beweis für das Nara-Axiom ist.«

»Zweifelsohne«, stimmte Sai zu. »Ich habe eher Mitleid mit Tekuno-senpai. Er ist viel zu nachgiebig mit seinem Team. Es wird nicht einmal die erste Runde überstehen, ohne in Tränen auszubrechen. Mit zwei Mädchen in einem Team wäre das zumindest sehr –« Er brach ab, als eine Faust auf ihn zeigte.

»Suchst du Streit?«, fragte Sakura zähnebleckend. »Seit wann bist zu zum Sexisten mutiert?«

Er hob abwehrend die Hände. »So war das nicht gemeint. Mitsuki-chan und Asuka-chan sind zu sehr Mädchen, um gute Kunoichis zu sein. Sie weinen doch bei jedem toten Hasen –« Sai setzte sein unschuldigstes Lächeln auf, als er merkte, dass seine Präzisierung auf wenig positiven Widerhall stieß. »Du weißt, was ich damit sagen will!«

»Gnade vor Recht«, murmelte sie und streckte sich. Sollten ihre beiden tollen Jōnin-Freunde doch ihre Senpais bemitleiden, wo sie als Chūnin eine sehr viel formellere Anrede zu wählen hatte. Narutos Berufung wollte ihr immer noch nicht in den Kram passen, doch sie wusste sich zu beherrschen. Erst, wenn er Herr eines Geninteams würde, würde sie auf die Barrikaden steigen. Das konnte man Konohas Jugend wahrhaftig nicht antun! Tekuno war zwar viel zu lasch und Hayama konnte niemanden unter eins sechzig leiden – Glück für Sakura, dass sie einen Zentimeter darüber maß –, nichtsdestoweniger waren sie zumindest kompetent. Nicht, dass Naruto nicht gut war. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als zu behaupten, Uzumaki Naruto gehöre nicht zu den besten Shinobi des Landes, aber seine didaktischen Fähigkeiten konvergierten in einer gepflegt spöttischen Kurve gegen Null.

»Sie beginnen.« Sai richtete sich zu seiner vollen Größe auf, während Naruto und Sakura sich mit verschränkten Armen neben ihn stellten. Aus der Ferne konnten sie eine Gruppe kleiner Menschen sehen, die einem bärigen Kumonin folgten. Hinter ihnen trotteten die fünf nationalen Hauptrichter. Die Senseis der Teams waren längst in den Wald entschwunden.

»Hat jemand von uns bestanden?«, fragte Naruto. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, als würde er damit die Distanz verringern können. »Ich sehe Hamaki-senpais Team ganz hinten. Weiter vorne ist – echt jetzt? Tekuno-senpais Team! Asuka-chan hat wohl den ersten Teil bestanden! Sechs von neun Teilnehmern ist nicht schlecht.«

Sakura schüttelte hoffnungslos den Kopf. Uchiha Asuka war talentiert, fürwahr. Sie war immerhin eine Uchiha. Andererseits fand Sakura ihr Temperament ähnlich zu dem, das sie damals an den Tag gelegt hatte. Der Wille war vielleicht oberflächlich vorhanden gewesen, doch ihr hatte es an so vielen anderen Dingen gemangelt, die auch durch einen Nachnamen nicht auszumerzen waren. Sie selbst hatte damals die Prüfung nur durch Kabutos Hilfe und Sasukes und Narutos Stärke überlebt. Asuka mochte ein wenig mehr Talent haben, doch sie hatte eine weinerliche kleine Göre und einen schwerknochigen Legastheniker, der Fingerzeichen prinzipiell seitenverkehrt machte, als Lebensversicherung. Dies war einer der Gründe, wieso Sakura die Mission nicht mochte. Sie fing bereits an, schwierig zu werden.

»Wir müssen achtsam sein«, murmelte sie leise, sodass keine fremden Ohren sie hören konnten. Die Fläche um sie herum war zwar leer, doch man konnte nie sicher genug gehen. »Bei unserer Prüfung galt der Zwischenfall Sasuke. Diesmal haben wir erneut einen Uchiha an Bord. Selbst wenn sie kein Jinchūriki ist, dürfen wir nicht nachlässig mit ihr sein. Wenn ihr etwas zustößt –« Die drei schauderten synchron. »– häutet Fugaku-san uns bei lebendigem Leib.«

Naruto quiekte jämmerlich bei der Erinnerung an die Drohung, die Uchiha Fugaku vor zwei Jahren über sämtliche Konohanin ausgesprochen hatte, als seine Nichte Genin geworden war: ›Wenn Asuka etwas im Beisein irgendeines anderen halbwegs fähigen Shinobi zustößt, ziehe ich ihm die Haut mit meinen bloßen Fingernägeln ab und koche seine Eingeweide anschließend in einer versalzenen Konsommee‹. Das war salbungsvoll, markierte seinen Standpunkt aber überdeutlich. Der Himmel wusste, wieso er dieses Mädchen derart protegierte.

Schweigend beobachteten sie unter dem dunkler werdenden Wolkenhimmel, wie die Genin ihre Instruktionen bekamen. Während kalter Wind aufzog, der die Blätter rascheln ließ, wurden jedem Team Boxen ausgeteilt. Team Sieben gab nach dem ersten Fehlversuch auf zu eruieren, wie das diesjährige System funktionierte. Wenn Shikamaru es für wissenswert befunden hätte, hätte er es ihnen gesagt. Für die Mission schien es unerheblich, also ließen sie Boxen Boxen sein. Es gab Relevanteres, das zu beachten war. Zum Beispiel die Anzahl der Teilnehmer. Es waren elf Teams, was für die Maßstäbe der letzten Jahre eine äußerst niedrige Zahl war. Kumos Prüfer waren dabei als nicht sonderlich streng bekannt. Auf dreiunddreißig Genin in einem dreißig Quadratkilometer großem Areal aufzupassen, war ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man alle zusätzlichen Faktoren mit einberechnete. Wahrlich, Sakura mochte diese Mission nicht. Der Aspekt der ›Unmöglichkeit‹ kam ihr zu häufig vor.

Die Prüflinge waren fertig instruiert und wurden von jeweils einem Prüfer an ein ihnen zugewiesenes Tor gelotst. Team Sieben hatte sich in den Wald verabschiedet, ehe Tekunos Team sich zu seinem Eingang begab. Sie wollten ihre Landsleute nicht unnötig nervös machen; denn, wenn Sakura ehrlich war, hätte es sie maßlos beunruhigt, wenn sie bei ihrer ersten Prüfung ein derartiges Aufgebot erlebt hätte.

Sie liefen lautlos in den Wald, blindlings einer vagen Linie folgend, die Shikamaru auf der Karte gezeichnet hatte. Sais Orientierung war in solchen Situationen Gold wert. Er führte das Trio einige hundert Meter in den Wald, wo sie sich dreiecksförmig auffächerten, um einige hundert Meter weiter wie eine Raute wieder zusammenzukommen. Dieses System behielten sie bei, bis sie den Turm in der Mitte erreichten, der im Normalfall als Erholungsraum während des Trainings diente. Von dort aus führten sie ihre Formation zurück an den Rand. Das Zeitlimit der Prüfung betrug drei Tage. Insgeheim hofften alle, dass, wenn schon etwas geschehen würde, es am Anfang passierte. Von zweiundsiebzigstündigem Auf- und Ablaufen konnte ein Shinobi schnell einen Drehwurm bekommen.
 

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Sakura bereute diesen zynischen Wunsch am Morgen des zweiten Tages. Das Morgenlicht drang vereinzelt durch die dichten Baumkronen, die den Blick auf den morgens meist heiteren Himmel verdeckten. Sie streckte ihre Handfläche aus während Sai eine Spur am Boden überprüfte. Binnen weniger Minuten war der Himmel komplett zugezogen.

»Es beginnt zu regnen«, meinte sie verheißungsvoll und trat an Naruto heran, der mit einem seiner Kunai spielte.

»Sämtliche Spuren werden bald verwischt sein«, vermutete Sai. Er ließ die feuchte Erde durch seine Finger fallen. »Sie sind hier. Das Profil der Fußabdrücke passt nicht zu unseren handelsüblichen Shinobistiefeln. Wenn wir davon ausgehen, dass jeder der Prüflinge Chakrasignaturen hinterlassen würde, und jene ausländischen Kameraden, die sie perfekt unterdrücken können, sich nicht in diesem Teil des Waldes aufhalten, müssen die Abdrücke einer dritten Partei entstammen.«

»Es ist merkwürdig.« Sakura ging in die Knie, um mit den Fingern über die Rillen zu streichen. »Die Fußabdrücke beginnen und enden im Nichts. Sie stellen keine durchgehende Spur dar, der wir folgen könnten. Sollen wir die anderen verständigen?«

»Zu spät«, entschied Naruto, der sie an der Schulter aufzog. Seine blauen Augen waren auf einen Punkt zwischen den Bäumen gerichtet. Seine Teamkameraden standen reglos neben ihm, schweigend, als es zu regnen begann. »Der Regen verwischt ihren Geruch, aber ich kann die vage Richtung erahnen.«

»Wo?« Es war Sai, der angespannt sprach, eine seiner unzähligen Schriftrollen zur Vollführung einer Jutsu gezückt.

Zur Antwort lief Naruto in eine scheinbar willkürliche Richtung davon. Seine Kameraden folgten ihm lautlos, ihr Chakra mit aller aufzuwendenden Präzision unterdrückend. Sakura hielt ihr Schaudern zurück, als der niederprasselnde Regen ihre Chūninkleidung durchweichte und ihre Haut erkalten ließ. Sie entschied sich dagegen, sie mittels Chakra auf konstanter Temperatur zu halten. Wenn es um Akatsuki ging, brauchte sie jeden Tropfen Kraft, den sie aufbringen konnte.

Es dauerte vierhundert Meter, die sie gen Nordosten liefen, als Naruto schlagartig auf einem Ast an der unteren Baumkrone einer Eibe stoppte. Ein paar Blätter raschelten, doch ihr sanftes Wispern wurde von einem Horrorschrei übertönt.

»Haut ab!«

Es war Mitsuki, die verzweifelt schrie. Sie und Asuka hatten sich vor ihrem bewusstlosen Teamkameraden aufgebaut, um eine Kohorte Iwanin von ihm fernzuhalten. Ihre zittrigen Finger umklammerten eine kleine Urne. Die Box, die den Genin am Anfang anvertraut worden war, lag geöffnet abseits der Szene.

»Ich warne euch!« Mitsukis Stimme zitterte nicht weniger als Asukas Finger, die das kleine Gefäß beinahe zerdrückten. Es sah fragil aus, hielt dem Druck jedoch einwandfrei stand.

Sakura warf ein flüchtiges Auge auf das Szenario, das sie schmerzlich an jene Prüfung erinnerte, in der Orochimaru aufgetaucht war. Mit Iwanin war nicht zu spaßen. Sie waren mindestens so hart wie der steinerne Boden, von dem sie kamen.

»Was ist los, Naruto? Wir haben keine Zeit, Babysitter zu spielen. Selbst wenn, es ist nicht erlaubt, ohne abgefeuertes Notsignal in die Prüfung einzugreifen.«

»Ja, ja«, machte er abwesend, die Augen fest zusammengepresst, um ja keinen Sonnenstrahl durchzulassen. »Es muss hier in der Nähe sein.«

»Die arme Asuka wird ganz schön zugerichtet.« Ungerührt deutete Sai auf den Kampf, der zwischen den zwei weiblichen Genin und den sechs Iwanin ausgebrochen war. Ein nettes Geplänkel nach Sakuras heutigen Standards; mit zwölf hätte sie nichtsdestotrotz eine sehr viel schlechtere Figur als Asuka gemacht. Sie hielt sich wacker in der Prügelei, die aus Waffenwerfen – ohne zu treffen – ein wenig Taijutsu und Kawarimi bestand. Die Iwanin waren gut, aber Asuka war eine Uchiha. Selbst wenn ihre Sharingan noch nicht erwacht waren, sie bewegte sich beherrscht durch den Regen, wie nur ein Talent es konnte.

»Naruto«, murmelte Sakura ungeduldig. Die dicken Tropfen schlugen gegen ihren Kopf und durchnässten ihr Haar bis auf die Wurzel. Es war unangenehm, wie ihre Kleidung an ihrem Körper klebte, dem die sonnige Wärme Hi no Kunis fehlte.

»Sie kommen!«

Naruto schlug die Augen auf. Noch ehe er ausgesprochen hatte, hatten Sakura und Sai die näherkommenden Präsenzen endlich erspürt, die auf einen Schlag schwallartig losgelassen wurden. Die Chakraflut glich einer Druckwelle, die die Schwende, auf der die Genin ihren Disput ausfochten, unheilvoll überschwemmte. Donnergrollen fegte hinter ihr darüber hinweg, und wo zuvor noch Asuka eine Attacke eines Iwanin geblockt hatte, standen nun breitbeinig vier Shinobi in einer Parade verschränkt. Es war alles so reflexartig passiert, dass Sakura im Nachhinein nicht mehr wusste, wie genau sie Asuka an der Taille umfasst und sie und den Genin aus Iwa mit sich aus der Linie gezogen hatte. Sai hatte es ihr mit dem reglosen männlichen Teammitglied gleichgetan. Bloß Naruto, dieser Poser, hatte sich zusammen mit einer blonden Kunoichi in die Blockade gegen die beiden Akatsuki verkeilt. Sein Kunai war nur knapp unter ihrem Wakizashi gegen eine überdimensionierte Sense geprallt, die von dem jüngeren der beiden Akatsuki geführt wurde. Der ältere war von Narutos Kagebunshin zwischen seinem Schaffer und der Kunoichi pariert worden.

Sakura raffte sich auf und formte die Fingerzeichen, die Shikamaru ihr gezeigt hatte. Die dicken Rauchschwaden, die aufstiegen, wurden vom herabkommenden Regen niedergeschlagen. Hoffentlich sah jemand das Signal.

»Ist alles in Ordnung, Asuka-chan?«, fragte sie das Mädchen, das seine dunkelblauen Augen geschockt geweitet hatte. »Asuka-chan, hör mir zu«, sprach sie weiter, als diese nicht reagierte, »Ihr müsst von hier verschwinden. Nehmt euren Freund und lauft, hast du verstanden?«

»J-ja«, wimmerte sie. Ihre Lippen waren blutig gebissen, ihr blasser Teint aschfahl. Die schwarzen Stirnfransen klebten nass und verschwitzt an ihren Schläfen, und obwohl sie gesprochen hatte, bewegte sie sich kein Stück.

Während Sakura versuchte, Asuka zum Reagieren zu bewegen, hatte Sai sich bereits aus Mitsukis hilfesuchenden Klammergriff befreit und war in das Handgemenge gestürzt, das sich zwischen den drei Parteien gebildet hatte. Er ließ die Fronten mit einem Tintenlöwen auseinanderstieben, sodass die beiden Akatsuki nach rückwärts taumelten.

»Sind sie hinter dir her?«, rief er der Kunoichi zu, deren Hitai-ate sie als Kumonin auswies.

Sie griff ihr Wakizashi um, während sie ihren Stand festigte. »Ja. Ich konnte sie auf halber Höhe abhängen, doch sie müssen mich wieder aufgespürt haben!«

»Yugito-san!«, drang plötzlich ein Männerchor durch die Bäume. Vier Kumonin hechteten auf die Lichtung; sie wurden mit einer flüssigen Sensenbewegung aus dem Weg gewischt. Wie leblose Fliegen klatschten sie an umstehende Baumstämme, die verheißungsvoll im Kanon mit ihren Knochen knackten. Der grauhaarige Akatsuki hatte jedenfalls Kraft.

»Kakuzu«, sagte er mit einem verstörenden Lächeln auf den Lippen. »Lass sie uns töten.«

Seine Worte waren wenig überraschend. Furchteinflößender war sein verzerrtes Grinsen. Sakura hatte diese Art Grinsen zuvor gesehen. Es war das Lächeln der eiskalten Mörder. Wenn sein Partner Kakuzu hieß, war er selbst Hidan. Sarutobi Asumas Mörder. Naruto schien es im selben Moment realisiert zu haben, denn er sprengte nach vorne und rammte ihm mithilfe zweier Kagebunshin ein provisorisches Rasengan in den Magen. Zumindest versuchte er es; Hidan wich mit einem Seitenschritt aus, dann ging alles ganz schnell.

Die Bewegungen, die jeder einzelne anwesende Shinobi in dem blutigen Reigen vollführte, waren mit ungeübtem Auge kaum zu erkennen. Sakura, die am Rand der Lichtung Asuka im Arm hielt, erfasste nur einen Bruchteil dessen, was geschah, bis ein gellender Schrei die angespannte Atmosphäre zerriss. Sai lag ohnmächtig am Boden, Yugito war ausweichend zurückgesprungen und die beiden Akatsuki hatten blitzschnell eine Verteidigung gegen Narutos Rasen Shuriken aufgezogen, die ihn fluchend zurückwarf. Sakura sah sich hektisch um. Woher war der weibliche Schrei gekommen, wenn nicht von Yugito und ihr selbst? Ihre Augen suchten mit wachsender Ungeduld die Umgebung ab, bis sie auf ein zusammengekauertes Bündel fielen.

»Mitsuki-chan!«

Asuka hinter einen Baum in Deckung schleifend, sprang sie auf und hastete zu der jungen Kunoichi, die blutüberströmt auf dem nassen Erdboden zusammengebrochen war. Die charakteristischen Verletzungen ihrer Haut, die vom strömenden Regen reingewaschen wurde, ließen nur auf eines schließen. Und es war schlecht. Während Naruto und Yugito mit geballter Schlagkraft nach vorne stürmten, zerrte sie Mitsukis schlaffen Körper an den Rand des Schlachtfeldes, wo sie neben ihm auf die Knie fiel.

»Halte durch, Mitsuki-chan«, wisperte sie in geschäftiger Hast, in der sie sich an die Arbeit machte, die Wunden des abgelenkten Rasen Shuriken zu heilen. Die Verletzungen waren nicht so tief wie bei einem direkten Treffer, doch die Ausläufer der Jutsu hatten lebensbedrohliche Spuren hinterlassen. Sakura hatte nicht gesehen, wie einer der Akatsuki Narutos Angriff ihres umgeleitet hatte; das tröstete schwerlich über Mitsukis Zustand hinweg. Hoffentlich kam Naruto alleine klar.

»S-Sakura-sensei …« Mitsukis schwaches Säuseln war Musik in Sakuras Ohren. Ihre leeren braunen Augen tasteten die Umgebung ab, ohne etwas zu fokussieren. Sie war an der Kippe zur Bewusstlosigkeit.

»Du hast sehr viel Blut verloren, Mitsuki-chan«, erklärte Sakura. Sie musste sie um jeden Preis wachhalten.

»Wieso rauscht es dann so in meinen Ohren?«

Ihr Wimmern war herzzerreißend, hätte Sakura nicht Übung darin gehabt, Störvariablen auszublenden. Mehr als einmal war ein Mensch unter ihren Händen gestorben. Sie hatte den Tod abonniert; heute würde es keine neue Ausgabe geben. Zumindest nicht mit Mitsuki-chan. »Du bist sehr tapfer, hörst du? Willst du Chūnin werden? Deshalb bist du doch hier. Wenn du deine Augen offenhältst, bist du einen Schritt näher an deinem Ziel. Asuka-chan ist dort hinten, sie macht sich Sorgen, und dein Freund – wie heißt er? Kannst du mit den Namen deines Teamkameraden sagen?«

Der Name, den sie wisperte, war im erbarmungslosen Strömen des Regens unverständlich. Er begann mit T, mehr konnte Sakura nicht in Erfahrung bringen. Als sie mit ihrer Shōsen no Jutsu die gröbste Erstversorgung leistete, ehe sie zu dem akuten Teil übergehen konnte, begannen Mitsukis Lider über den nach innen verdrehten Iriden zu beben. Sie war drauf und dran, ihr Bewusstsein zu verlieren. Sakura durfte es nicht zulassen.

»Mitsuki-chan, sieh mich an!«, blaffte sie ihre Patientin in harschem Ton an. Sie gebrauchte diesen Ton in der Regel bei Behandlungsverweigerern. Normalerweise war sie effektiv damit, doch Mitsukis leerer Blick verflüchtigte sich in eine andere Realität.

»Scheiße!« Der Fluch kam laut und rau und Sakura beugte sich weit über sie, um ihre Reichweite zu vergrößern. Sie kappte ihre Shōsen no Jutsu zugunsten einer riskanteren Behandlung, die sie noch nicht ausreichend geübt hatte. So oder so, Mitsuki hatte nur eine geringe Chance zu überleben.

Gerade als sie das Chakra in ihren Handflächen neu formierte, durchschnitt ein weiterer Schrei ihre Konzentration. In der Peripherie ihres Sichtfeldes sah sie die Kunoichi aus Kumogakure auf dem Boden aufschlagen; sie blieb regungslos mit von sich gestreckten Gliedmaßen liegen. Das bedeutete Naruto gegen Kakuzu und Hidan. Ein kürzlich zum Jōnin ernannter Konohashinobi gegen zwei S-Klasse Nukenin. Naruto war stark, aber er konnte nicht gewinnen. Für einige Sekundenbruchteile befand Sakura sich in einem Dilemma: sollte sie Mitsuki helfen und Naruto sterben lassen, oder Naruto helfen und Mitsuki und sich selbst umbringen? Für alle drei von ihnen gab es keine Garantie, mit einer der Möglichkeiten lebend von der Lichtung zu entkommen. Bruchteile einer Sekunde, nicht einmal ein Blinzeln verging.

Dann tauchten sie auf.

Ihre Präsenz explodierte auf der Lichtung wie ein strahlender Knall grellster Hoffnung, die Sakura metaphorisch blendete. Sie hatten ihre Chakrasignaturen so perfekt unter jeder merkbaren Schwelle gehalten, dass sie sie nicht hatte kommen spüren. Eine Woge der Erleichterung schwappte über sie hinweg. Jemand hatte ihr Signal gesehen! Nein, nicht jemand –

Sie.

Unter allen elitären ANBU Teams, die Konoha zu bieten hatte, hatte es ausgerechnet diesen Kader nach Kumogakure verschlagen. Sakura hatte nicht gewusst, dass sie auch hier waren, sonst hätte sie sie verständigt.

»Teme!«

Naruto raffte sich auf, blutüberströmt, und wischte sich ein rotes Rinnsal vom Kinn. Noch vor einer Minute hatte er gewirkt, als sei er fertig mit der Welt. Uchiha Sasukes Auftauchen gab ihm neue Energie; wütende, rivalisierende Energie, die Sasuke völlig kalt ließ. Keiner der Konohanin brauchte die Gesichter hinter den Masken der ANBU zu sehen, um zu wissen, wer sie retten würde. Asukas erleichtertes Japsen war Zeugnis genug, hätte ihre aufdringliche Gegenwart einen einzigen Zweifel gelassen. Naruto schien sich nichts aus dem eindrucksvollen Auftreten des berühmten Quartetts zu machen, denn er preschte mitsamt neuem Kampfgeist nach vorne, direkt auf Hidan zu, dicht gefolgt von Sasuke, der hinter seiner Waschbärenmaske deutlich herausfordernd grinste. Sogar Sakura konnte es durch das maßgeschneiderte Porzellan sehen. Auf ein Handzeichen ihres Captains hin setzten die anderen zwei Mitglieder des Teams samt ihm selbst nach.

All das war in nicht einmal zwanzig Sekunden geschehen, in denen Sakura instinktiv das Chakralevel in ihren Händen an Mitsukis körperliche Konstitution und den Schweregrad ihrer Verletzungen angepasst hatte. Sie sah nicht, wie Naruto an der Seite der vier ANBU gegen Kakuzu und Hidan kämpfte, doch sie konnte pulsierende Wellen ihres Chakras spüren, die bei jedem physischen Aufeinandertreffen freigesetzt wurden. Kein Zweifel, dieser ANBU Kader hatte nicht umsonst seinen Ruf.

Es waren bange Augenblicke, in denen sie begann, ihr eigenes Chakra mit dem Mitsukis zu verweben. Dies war der Anfang einer Prozedur, die sie kein einziges Mal an noch lebenden Subjekten geübt hatte. Sie versuchte, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, ihr Chakra mit Mitsukis System zu harmonisieren, dennoch hörte sie mit halbem Ohr die scharfen Kommandos, die sein Captain dem Team gab.

»Sasuke, Naruto, folgt Hidan! Yūgao, Shisui, übernehmt Kakuzu! Ich kümmere mich um Yugito-san«, fegte Uchiha Itachis Stimme über die schlagartig still gewordene Lichtung, die inzwischen mehr einem Kahlschlag ähnelte. Plötzlich stand er mit gezücktem Kunai neben ihr.

Sakura hatte das vibrierende Chakra in ihrem Stresslevel nicht einmal ansatzweise bemerkt. Es waren zu viele Präsenzen, als dass sie sie hätte ausdifferenzieren können. Die Überraschung, mit der sie Nii Yugitos chakraumhüllten Körper sah, hätte tödlich sein können. Unprofessionelle Panik schlug ihr ins von Emotionen leergefegte Gesicht; sie brachten es einem bei, keine Emotionen zu zeigen. Es war schwach. Sie war nicht schwach. Doch sie war überfordert. Es waren zu viele Verletzte. Wenn sie Mitsukis Behandlung unterbrach, würde sie neu anfangen müssen. Sai würde schon durchkommen, er war hart im Nehmen, trotz allem blieben noch die schwerverletzten Kumonin und Asuka, die während ihres Kampfes mit den Iwanin erheblich schwerere Wunden davongetragen zu haben schien als angenommen und von dem Ableger von Narutos Rasen Shuriken ebenfalls schwer getroffen worden zu sein schien.

»Das Chakra von Nibi drückt durch ihr eigenes«, riss Itachi sie aus ihrem kurzen Schock. »Bist du verletzt, Sakura-san?«

Sie schüttelte mit dumpfem Gesichtsausdruck den Kopf. »Aber alle anderen. Selbst wenn ich noch all meine Chakrareserven hätte, könnte ich sie nicht alle auf einmal heilen!«

Sie sah durch einen Schleier der Ratlosigkeit, wie Itachi seinen Stand festigte, einen Kunai zückte und sich bereit machte, sie und Mitsuki gegen Yugito zu verteidigen, die zwar das Bewusstsein wiedererlangt, dafür aber langsam die Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben schien. Sakura gab es nicht gerne zu, aber sie hatte Angst. Es war wie damals, als rotes Chakra Naruto umwabert hatte; todbringend und giftig für ihn selbst. Bei Yugito sah es anders aus, aber letztendlich war auch sie ein Jinchūriki.

»Jinchūriki!«, japste sie. Itachi drehte sich nicht um.

»Wenn du ihren Körper heilst, geht das Chakra des Bijū zurück, ist das korrekt?«

»Ja, aber wie soll ich an sie herankommen? Selbst im beginnenden Stadium einer Übernahme durch den Bijū ist sie schneller und stärker als normal!«

»Wenn ich sie festhalte, könntest du es schaffen?«

Es war keine Frage, sondern ein Befehl den er ihr erteilte. Sie würde sich später stumm über den vermessenen Tonfall brüskieren, in dem er jemanden herumkommandierte, der keiner seiner Untergebenen war. Für den Moment war sie froh, Uchiha Itachi als Frontmann zu haben. Als dieser schnellte er vor, wich einer willkürlichen Attacke Yugitos aus, umrundete sie und schlug sie zu Boden. Die formlose Andeutung eines Schwanzes war immer noch da; natürlich, ihr Körper war nach wie vor verletzt. Durch Itachis rüden Angriff sogar noch schlimmer.

Es war riskant, Mitsuki ihrem Schicksal zu überlassen, wenn auch nur für kurz, und Sakura spürte im Aufstehen, dass es für sie selbst ebenfalls keine gute Idee war. Ihre Beine waren wackelig, trotzdem sie nicht aktiv mitgekämpft hatte. Die vorangegangenen Stunden auf dem Übungsgelände, gepaart mit Mitsukis Heilung, hatten ihr genügend abverlangt.

Reiß dich zusammen!, schalt sie sich. Ihr Gang wurde schneller und fester; vor Uchiha Itachi Schwäche zu zeigen war keine Option. Vor keinem anderen Shinobi war es das. Sie war die Schülerin der Hokage höchstpersönlich, dieses Recht würde sie behaupten!

Froh, angekommen zu sein, ließ sie sich neben Yugito nieder, die flach, aber schwer atmete. Itachis Blick auf ihr nahm Sakura nicht unbedingt die Nervosität. Sie versuchte ihn so gut als möglich auszublenden. Eine Überdosis Shōsen no Jutsu reichte für die oberflächlichen Wunden der Jinchūriki und als das Nibichakra zurückgegangen war, unterstand sie sich, sich erschöpft nach hinten sinken zu lassen. Es gab viel zu tun. Wenn sie sich keine Blöße vor dem älteren Uchihabruder geben mochte, würde sie es vor dem gerade zurückgekehrten jüngeren noch weniger.
 

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Odd Brother


 

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Gleich hinter Sasuke betrat Naruto die Lichtung. Er war verschwitzt und verstimmt und funkelte seinen ewigen Rivalen von der Seite an. Sasuke löste davon unbeeindruckt die Maske von seinem Gesicht. »Wir haben ihn verloren, etwa zwei Kilometer südlich von hier. Er hat das Trainingsgelände wohl längst verlassen.«

»Ich verstehe«, sagte Itachi.

Sakura versuchte, seinen Tonfall zu deuten. Es war unmöglich. Zumindest wenn man, so wie sie, um Mitsukis Leben kämpfte. Oder besser gesagt, sein Chakra für sich die Arbeit machen ließ. Jishukonji no Jutsu hatte den Vorteil, dass das Chakra des Anwenders selbstständig im Körper des Rezipienten arbeitete. Es war keine Patentheilung, aber zumindest hielt es den Patienten einige Zeit lang am Leben. Sie war dabei, die letzte Verknüpfung einzuspeisen, und wandte sich anschließend Sai zu, der von Naruto missmutig wachgetreten worden war. Beide hatten Verletzungen, die keineswegs lebensgefährlich waren. Sakura wandte eine rudimentäre Schnellheilung an, die weiteren Schaden verhinderte, ehe sie sich um Asuka kümmerte, die von der inzwischen ebenfalls zurückgekehrten Yūgao in die Mitte ihres kleinen Kreises geführt worden war. Das Mädchen hatte einige Blessuren davongetragen, die an empfindlichen Stellen anzuschwellen begannen. Sakura korrigierte sie beiläufig, während sie Asukas Körper nach inneren Verletzungen abtastete. Zwei Knochen waren gebrochen, drei oder vier Rippen geprellt und ihr Chakralevel war niedrig, ansonsten stand sie unter Schock. Es dauerte, bis Tränen ihren Weg nach draußen fanden, sie sich aus Sakuras Heilung losriss und ihre Arme um die Hüfte ihres älteren Cousins schlang, der mit Shisui und Yūgao die Lage besprach.

»Er ist uns entwischt«, berichtete Yūgao mit verschränkten Armen. Sie hatte, wie auch alle anderen, ihre Maske abgesetzt. »Asuka-chan, deine Wunden sind noch nicht richtig behandelt.«

Asuka schniefte aus Protest an Itachis Seite. Er hatte einen Arm um sie gelegt, beachtete sie jedoch nicht weiter. Es hätte in ihrem jetzigen Zustand keinen Unterschied gemacht. »Es war abzusehen, dass wir die Fährte verlieren. Immerhin konnten wir sie daran hindern, Nibi in die Hände zu bekommen. Wie steht es um Yugito-sans Gesundheit, Sakura-san?«

Sie schreckte unwillkürlich auf, als sie sich direkt angesprochen fand. Ihre Aufmerksamkeit von ihrem derzeitigen Patienten abwendend, nickte sie in seine Richtung. »Sie ist bald wieder fit. Ein, zwei Tage vielleicht. Jinchūriki sind zäh. Nicht wahr, Naruto?« Zum Beweis klopfte sie ihm auf den Rücken. Etwas zu fest, denn er kippte japsend ein Stück nach vorne, von wo aus er auf die westliche Grenze der Lichtung sah, an der ein Dutzend Shinobi auftauchte.

»Wir sahen das Signal«, erklärte der Vorderste, ein Sunanin, hinter dem Temari zum Vorschein kam, die angesichts des Aufgebots an Konohanin die Stirn krauszog. Sie zog es vor, zu schweigen. Jedes Wort war überflüssig. Der Zwischenfall war allem Anschein nach mit einer Mission zusammengefallen, sonst wäre dieses ANBU-Team nicht hier. Er fiel demzufolge unter Konohas Anspruch. Sakura wusste das und Temari musste es auch wissen. Sie rümpfte unzufrieden die Nase, ehe sie ihren Männern den Abmarsch befahl.

Zurück blieb ein beklemmendes Gefühl auf Seiten Konohas, geschürt von einer einzigen Frage. Sakura war froh, gerettet worden zu sein. Bloß, wie war es dazu gekommen?

Da die von Uchihas übervölkerte ANBU-Einheit statusmäßig weit über einer Chūnin und zwei Jōnin auf illegaler Mission stand, mussten diese sich damit zufriedengeben, sauber zu machen. Sakura brauchte nicht lange, um das alarmierte – viel zu spät kommende – Sanitätskollektiv Kumogakures einzuweisen. Bis sie ihre Utensilien ausgepackt hatten, wären mindestens vier Kumonin ohne Sakuras exzellenter Erstversorgung ihren Verletzungen erlegen, aber sie wollte nicht kleinlich sein. Itachi und sein Trupp waren abgezogen, bevor Kaminari no Kunis Shinobidelegation angerückt war, um lästigen Fragen vorzubeugen. Sakura vermutete, dass sie nicht einmal eine Genehmigung zum Betreten des Landes gehabt hatten. Sie wollte nicht meckern. Stattdessen durfte sie nach ihrer Heimreise Tsunades Missstimmung ausbaden. Naruto und Sai hatten sie mit dem Argument, sie seien zu müde dafür, zur Berichterstattung abkommandiert. Als ob sie keine Augenränder vorzuweisen gehabt hätte!

»Wieso können diese selbstsüchtigen Tölpel nicht einmal kollegial denken? Man sagt unserer Kultur doch eine holistische Denkweise nach«, beschwerte die ehrenwerte Hokage sich. Sie nippte ärgerlich an einer Teetasse, deren Pendant ihre Schülerin aus Höflichkeit in den Händen hielt. Das Heißgetränk spendete angenehme Wärme. Immerhin.

»Holistisch bedeutet nicht unbedingt altruistisch. Solange ihre Geninteams nicht davon gefährdet waren, war es ihnen vermutlich egal.« Um den Schein zu wahren, tätigte sie nun doch einen Schluck. Auf leeren Magen schmeckte der Tee irgendwie schal. Richtiggehend unbefriedigend. Vielleicht war es aber auch nur der dumpfe Nachgeschmack ihrer Begegnung mit dem herausragenden ANBU-Team, das ihr aufs Gemüt schlug.

»Ja, ja, Fugaku war bereits hier. Er bekam einen regelrechten Tobsuchtsanfall, als er erfuhr, dass seine Nichte im Krankenhaus liegt.«

»Wie geht es Asuka-chan?«

Tsunade zuckte die Schultern. »Den Umständen entsprechend. Sie hat zwar eine sehr robuste Natur, der Schock verlangsamt den Genesungsprozess aber dennoch. Er ließ sie gegen ärztlichen Rat aus dem Krankenhaus entlassen, was ich für nicht empfehlenswert halte. Dass sie die Prüfung abbrechen musste, setzt ihr schwer zu. Zuhause wird sie wohl eine ziemliche Schelte über sich ergehen lassen müssen. Der Klan ist äußerst streng mit seinen Talenten. Um Mitsuki-chan steht es weniger gut.«

Sakura war zu müde, um die Augen aufzureißen. Ihre Lehrerin jedenfalls bemerkte ihre Zweifel.

»Du hast nichts falsch gemacht«, beschwichtigte sie. »Die Jishukonji no Jutsu war fehlerfrei. Leider konnten wir die Notoperation erst durchführen, als sie in Konoha ankam. In ganz Kaminari no Kuni gibt es kein Krankenhaus, das Fachpersonal für solche Fälle stellen könnte. Der Transport hat ihren Zustand auf ein kritisches Level gepusht. Noch ist sie stabil, aber das kann sich schnell ändern. Du weißt, wie empfindlich die Physis Heranreifender ist. Ihre körperliche Konstitution ist nicht die allerbeste. Ich habe Tekuno gesagt, er soll sie noch nicht anmelden, aber nein, wer hört denn schon auf mich? Es ist ja nicht so, als wäre ich Hokage oder etwas anderes Tonangebendes!«

Ein verhaltenes Kichern entwich Sakura. »Das sind die Uchiha-Gene. Asuka-chan drängte ihn regelrecht zur Teilnahme. Er hatte keine Chance.«

»Natürlich will der Klan schnellstmögliche Erfolge sehen«, brummte Tsunade, brach jedoch ab. »Ich werde damit nicht anfangen.«

Ihre Schülerin senkte den Blick. Es war lange her, viel zu lange. »Was geschehen ist, ist geschehen. Daran kann man nichts ändern. Letzten Endes ist es gut, wie es ist.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht, dass ich nicht froh wäre über eine derart dramatische Rettung, aber was hatten die ANBU in diesem Teil des Kontinents zu suchen? Tsunade-sama, es sah nicht aus, als seien sie zufällig vorbeigekommen, um uns zu grüßen.«

Tsunade zischte. »Dafür würde ich sie auch nicht bezahlen, weißt du?« Der Ton in ihrer Stimme schlug auf Ernst um. »Bei dem Zwischenfall in Sunagakure vor einigen Monaten, traten, wie du weißt, zwei wichtige Ereignisse auf. Erstens, Sasori starb durch deine Hand.«

»Wortwörtlich«, warf Sakura ein. Noch heute war es ein befriedigendes Gefühl, wenn sie daran zurückdachte, wie sie diesem Akatsuki die Lebensgeister ausgetrieben hatte. Nicht im Alleingang, aber das tat ihrer Gloria keinen Abbruch.

»Zweitens, Shukaku fiel ihnen in die Hände. Wobei ›fallen‹ einen Zufall impliziert, der nicht stimmen kann. Seitdem nehmen die Aktivitäten ihrerseits allerorten zu. Akatsukis Mitglieder werden immer häufiger gesichtet, Spuren, die sich im Nichts verlieren, tauchen auf, Hinweise erreichen uns. Sie haben etwas vor, das mit den Bijū zu tun hat. Itachis Einheit sollte einer Fährte nachgehen, die sie scheinbar im richtigen Moment direkt zu euch führte. Sie waren keine Stunde hinter ihren Zielen. Wir können von Glück reden, dass sie einschreiten konnten.«

Glück. Ja. Sakura hatte sich während ihrer Heimreise wiederholt gefragt, wie es ohne Hilfe geendet hätte. Sie und Naruto gegen zwei Akatsuki? Naruto hätte die Kontrolle über Kyūbi verlieren können, Hidan und Kakuzu hätten sie lange davor töten können – sie zumindest, wenn schon ihr Freund nicht so leicht kleinzukriegen war. Es war kein schönes Gefühl, derart hilflos zu sein. Die Nachwehen dieser Ohnmacht zehrten an ihr. Vielleicht wegen der Übermüdung.

 »In diesen Zeiten ist äußerste Vorsicht geboten, Sakura«, unterbrach Tsunade ihren inneren Monolog. »Nicht nur wegen Akatsuki. Kaze no Kuni ist um einen Bijū ärmer. Wer weiß, ob sie noch mehr haben. Falls nicht, sind sie für andere Nationen leichte Beute. Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen. Dennoch müssen wir die Spannungen berücksichtigen, die in letzter Zeit auftreten. Die Verträge mit Tsuchi no Kuni waren noch nie sonderlich gut formuliert und der Tsuchikage ist ein dummer Narr, wenn du mich fragst.« Sie legte den Kopf in den verspannten Nacken, den sie wohltuend mit einer flüchtigen Shōsen no Jutsu kurierte. »Was ich damit sagen will, Sakura: Sei vorsichtig, wem du welche Information entnimmst und vor allem, wem du welche preisgibst. Innerhalb Hi no Kunis sind wir ein felsenfestes Kollektiv. Die Friedensverträge mit anderen Nationen jedoch, und ich sage dies inoffiziell und nur einmal, sind bloß festgehalten auf Pergament.«

»Papier ist geduldig.«

Es war eine Zustimmung, die Sakura nicht völlig ehrlich meinte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Tsunades Befürchtungen tatsächlich derart fatal waren. Tsuchi no Kuni war, zugegeben, schon immer ein Krisenherd gewesen, der sich mit Territorialkämpfen und rauen Umgangstönen bei anderen Ländern nicht sonderlich beliebt gemacht hatte. Sie suchten seit Jahren nach einem Grund für eine Kriegserklärung. Um ihnen einen solchen zu liefern, müsste schon einiges passieren. Und selbst wenn: Eine Shinobigroßmacht gegen vier. Selbst im überzeichneten Fall eines politischen Affronts würde Tsuchi no Kuni von der Schlagkraft seiner Gegner schlicht überrollt werden.

Das war die Situation, wie Haruno Sakura, Chūnin und Iryōnin, sie sah. Sie gab sich mit Tsunades Erklärung zufrieden. Uchiha Itachis Trupp auf Akatsukijagd zu wissen vermittelte ihr ein Gefühl der Sicherheit. Sie selbst hatte einen Akatsuki töten können. Itachi, Sasuke, Yūgao und Shisui hätten die beiden Akatsuki heute bestimmt erledigt, wären sie nicht sofort geflohen. Alleine Sasukes Bewegungen, seine Präzision, die Ausmaße seines Chakras – Sakura fiel es nicht leicht, es sich einzugestehen, doch seit er Team Sieben verlassen hatte, war er sehr viel stärker geworden. Nach allem waren Naruto und sie nur ein Hindernis für ihn gewesen.

Sakura hörte, wie Tsunade sie entließ. Die nächsten zwei Tage standen Team Sieben zur freien Verfügung, ehe sie erneut zu Missionen ausrücken würden dürfen. Naruto würde diese Überbrückung schwerlich gefallen, ebenso wenig wie ihr selbst. Tatsache war, dass sie in ihrer Freizeit wenig mit sich anzufangen wusste. Die Berichterstattung hatte triste Aussichten gebracht. Als sie aus dem Büro der amtierenden Hokage trat, war sie tunlichst darauf bedacht, dem durch eine Jutsu erscheinenden ANBU nicht allzu viel Beachtung zu schenken. Sie tätigte eine flüchtige Verbeugung in die Richtung, in der Sasuke sich, flankiert von seinen Kameraden, die Maske vom Gesicht nahm. Sie spürte seinen verwunderten Blick auf ihr, dem sie mit zusammengezogenen Augenbrauen begegnete.

Uchiha Sasuke sollte sich ja nicht einbilden, ihr läge noch irgendetwas an jemandem, der seine Teamkollegen nach den Erlebnissen im Reich der Wellen und den Chūnin-Auswahlprüfungen im Stich gelassen hatte. Sie war wütend auf und enttäuscht von ihm. Dass Naruto und sie heute von ihm vielleicht als würdig erachtet worden wären, seine Partner zu sein, war ein schwacher Trost. Sie war immer noch Chūnin, während er im stärksten ANBU-Team Konohas Abtrünnige aufmischte.

Das alles lag in dem kurzen Blick, den sie ihm zuwarf, ehe sie den Itachis bemerkte, der aussagelos auf sie fiel. Ob er sich wunderte, wieso sie seinen Bruder anfeindete? Dachte er über ihre Begegnung vor zwei Tagen nach? Sonnte er sich in Genugtuung, sie gerettet zu haben? Sie wusste es nicht. Nur eines wusste sie sicher: Uchiha Itachis Blick ruhte für ihren Geschmack einen Tick zu lange auf ihr, um Gutes zu verheißen. Er hatte in seiner Gruppe gewiss noch nie einen solchen Schwächling wie sie gehabt. Diese Erkenntnis traf sie wie ein nasses Tuch, das ein nervig feuchtes Gefühl hinterließ.

Diese Mission war eine Katastrophe gewesen.
 

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Sakura stöhnte missmutig, als die ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Morgens ihr Gesicht wärmten. Sie saß im aufkommenden Schatten eines hohen Laubbaumes im Innenhof des Krankenhauses, von wo aus sie einer ihrer Patientinnen bei der Rehabilitationstherapie beobachtete. Die Krankenschwester, die sie zur Durchführung dieser abkommandiert hatte, wartete geduldig auf jeden neuen Schritt, den die strenge Physiotherapie ermöglichte. Sakura war als Aufsichtsperson hier, um die junge Schwester zu überwachen, und, weil sie in ihrer Pause gerne draußen saß. Sie hatte eine Tasse Tee umschlungen – wohltuender als jene, die Tsunade ihr angeboten hatte – die sie zur Hälfte geleert hatte. Die Farbe des traditionellen Früchtetees erinnerte sie an die Flecken auf ihrem weißen Kittel, den sie aus Hygienegründen im Ärztezimmer zurückgelassen hatte. Nach vier Notoperationen und einem Todesfall, hatte sie ihn wechseln müssen. Die Patienten waren in der Nacht von gestern auf heute blutiger als sonst gewesen.

»Sakura-san!« Die junge Kunoichi winkte ihr stolz zu. Sie hatte bloß eine dreiviertel Stunde gebraucht, um zwanzig Meter zurückzulegen. Nach zwei Oberschenkelknochenbrüchen war dies eine hervorragende Leistung. Sakura winkte nicht minder stolz zurück. Moegis Operation vor drei Monaten war die erste Knochenrekonstruktion gewesen, die sie als Chefärztin ohne Shizune und Tsunade durchgeführt hatte. Ein voller Erfolg. Gerade solche Erfolgsmomente brauchte sie nach dem Fiasko in Kumogakure. Darum war sie hier; sie liebte die Arbeit im Krankenhaus. Nur Ärztin zu sein, widerspräche ihrem Naturell, doch die freien Tage damit zu verbringen, Menschen zu helfen, war eine produktive Freizeitbeschäftigung, auf die sie sich ihrer Meinung nach zurecht etwas einbilden konnte. Die letzten beiden Tage waren grausam gewesen.

Von ihrem Platz aus räkelte sie sich im Wohlgefallen ihres Siegs über zwei zerbröckelte Röhrenknochen. Selbst als Moegi vor Übermut niederfiel, konnte Sakura nicht umhin, sich selbst zu gratulieren. Sie bildete sich nichts darauf ein, ein Menschenleben gerettet zu haben. Jeder zweitklassige Auszubildende hätte die Versorgung übernehmen können. Ihre Knochenstruktur wieder funktionsfähig gemacht zu haben, war das, worauf sie stolz war. Sie hatte kein Mädchen gerettet, sondern eine Kunoichi. Fragliche Kunoichi lag zwar eben weinend auf dem Boden – die Physiotherapie war eine schmerzvolle Angelegenheit – dennoch würde sie schon bald wieder auf den Beinen sein. Sprichwörtlich.

»Haruno-sensei, ein neuer Patient erwartet Sie«, verständigte eine weitere Schwester sie.

Sakuras Mittagspause war damit offiziell zu ende. Sobald sie das Krankenhaus betreten hatte, würde jeder ihrer Ärzte mit Fragen zu ihr laufen, die sogar ein Laie beantworten konnte. Sah sie dieser Tage vielleicht ein wenig schwarz? Schon möglich. Auf dem Weg in ihr Behandlungszimmer versuchte sie, die flauen Gedanken an Kumogakure beiseite zu schieben.

Sich zu grämen brachte nichts, das hatte bloß Naruto noch nicht verstanden. Er war mehr als nur sauer wegen der Blamage vor Sasuke. Im Gegensatz zu Sakura, hatte er leider kein Fachgebiet, in dem er sich außerhalb schwieriger Missionen profilieren konnte. Dabei hatte er wenigstens etwas wie Freunde. Außer Naruto und Sai konnte Sakura das nicht von sich behaupten. Ino, ja, aber die war mit Shikamaru und Shino auf einem Auftrag im Süden Hi no Kunis. Sie würden sich früh genug wiedersehen, sobald sie demoliert zurückkam. Eine Frage der Zeit.

»Reiß dich zusammen, um Himmels Willen!«, mahnte sie sich selbst genervt von ihrer Gedankenachterbahn, die sich selbstständig gemacht hatte. 

»Guten Morgen, Sakura«, grüßte ihre Patientin sie freundlich. Diese Stimme war so sanft und weich, dass Sakura regelmäßig vergaß, wie zerstörerisch ihre Besitzerin sein konnte.

»Hallo, Hinata.« Sie nahm sich das ausgefüllte Krankenblatt. Hinata sah ihr schweigend zu, Hände in den Schoß gelegt, Füße vom Untersuchungstisch baumelnd.

Je mehr Sakura las, desto stärker drängte sich eine Schlussfolgerung in ihren Gedanken auf: diese Klans.

»Tsk«, stieß sie leichthin aus und zog eine winzige Taschenlampe aus ihrem frischen Kittel. »Sieh meinen Finger an. Gut. rechtes Auge zu. Jetzt links. Beide schließen.«

Während Hinata mit entspannt zusammengedrückten Lidern dasaß, schrieb Sakura ihre Erkenntnisse aus der Routineuntersuchung in die Akte. Sie tadelte sich stumm ob ihrer unschönen Schrift, die jedem Analphabeten Konkurrenz machte. Sie war froh, dass sie selbst ihre Schmiererei lesen konnte. Hinata war eine äußerst dankbare Patientin, die selten Schwierigkeiten machte. Im Vergleich zu ihrem Sturkopf von Cousin oder ihrem braunhaarigen Gift von Schwester, nahm sie verschriebene Medikamente ohne Murren, stellte sich ärztlichen Ratschlägen nicht quer und glänzte mit Kooperationsbereitschaft. Wenn Sakura sich entscheiden müsste, würde sie sie noch am ehesten zu ihrem Freundeskreis zählen, selbst wenn sie nicht über Privates sprachen. Das einzige, das sie voneinander wussten, war Sakuras frühere Vorliebe für Sasuke und Hinatas noch immer andauernde Schwärmerei für Naruto, die Sakura nicht im Entferntesten nachempfinden konnte.

Sie richtete den Lichtkegel der Taschenlampe direkt auf Hinatas Augenlid. »Mach sie auf. Danke. Die Rötung ist nichts Ernstes. Überanstrengung und Wind.« Sie sah auf das Krankenblatt. »Kein Wunder, ihr ward in Kaze no Kuni. Ein paar nicht ordentlich entfernte Sandkörner können empfindliche Augen schnell reizen. Als Nutzer von Doujutsus sollte man immer Augentropfen mit sich führen, das predige ich seit Jahren – trotzdem habe ich jede Woche entweder einen Hyūga oder Uchiha deswegen auf dem Tisch. Was ist das nur mit euch Klans?«

Hinata kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Blutstolz?«

»Dünkel, will ich meinen«, korrigierte Sakura. »Mit wem warst du auf Mission?«

»Neji-nii, Kiba-kun und Kurenai-sensei.«

Sie verdrehte die Augen. »Kurenai-san ist in Behandlungszimmer vier, aber die feinen Herren sind sich ja zu schade, den Krankenhausregeln zu folgen. Grandios. Irgendwann werden sie eine unbemerkte innere Blutung haben und sterben, bloß weil sie sich weigerten, sich wie jeder andere nach einer Mission durchchecken zu lassen.« Sie klappte die Akte zu und überschlug die Beine. »Männer.«

»Du bist heute sehr pessimistisch.«

»Kann schon sein. Der letzte Auftrag lief nicht wie geplant. Wir bekamen … unangemeldete Verstärkung.«

Hinata legte den Kopf schief. »Und zwar?«

Sakuras aufkommende Antwort wurde von lautem Fußgetrampel gepaart mit hektischen Rufen im Keim erstickt. Ein Notfall war eben in die zweite Etage verfrachtet worden, man solle einen erfahrenen Arzt holen. »Du bist in Ordnung, Hinata. Tut mir leid, ich muss los!«

Ihre Patientin winkte ihr herzlich zum Abschied, was Sakura nicht mehr sah. Sie war längst auf den Gang getreten, von wo aus ihre eiligen Schritte sie in das Notfallzimmer führten, dessen Nummer die Iryōnin gerufen hatten. Als sie es betrat, stockte ihr der Atem: Sharingan. Überall. Drei Paar starrten sie an, das vierte gehörte dem Patienten, über den Shizune gebeugt war. Es war Shisui, der vor Schmerzen zitternd auf dem Behandlungstisch lag. Um seine Augen war eine getrocknete Blutspur verschmiert, deren Ursprung sie aus der Distanz nicht ausmachen konnte.

»Was ist passiert?«, fragte sie, dicht an Shizune herantretend. Eine Schwester folgte ihr, in der Hand einen Lappen, mit dem sie die Blutspur so weit als möglich abwischte.

»Kibakufuda. Verbrennungen zweiten Grades. Man hatte es auf seine Augen abgesehen, der Anschlag konnte verhindert werden. In zwei null acht ist das vierte Mitglied des angegriffenen Teams. Er war bereits tot, als er eingeliefert wurde. Du bist Expertin für Dōjutsus, Sakura. Wie schlimm ist es?«

Seit wann sie eine bessere Optikerin geworden war, war Sakura schleierhaft, Fakt war, dass sie am meisten Erfahrung damit hatte. Augen waren heikel, vor allem diese. Vor seinen Angehörigen mochte sie lieber keine Prognose machen. »Schafft sie raus«, befahl sie zwei Schwestern, die ein Tablett mit Operationswerkzeug präpariert hatten. Die beiden kleingewachsenen Frauen hatten Mühe, drei männliche Uchihas aus dem Behandlungszimmer zu werfen, vor allem der größte von ihnen weigerte sich vehement.

Die Dosis Schmerzmittel, die sie Shisui pro forma verabreichte, ließ ihn still werden. »Bereitet Operationssaal eins vor«, wies sie die beiden Schwester an, die mit den drei Uchihas zu kämpfen hatten. Zwei davon waren nicht einmal in Shisuis Team; sie hatten keine Berechtigung, hier zu sein.

Sich vor den dreien aufbauend – egal, ob sie einen Kopf kleiner war oder nicht – stemmte sie die Hände in die Hüfte. »Das Wartezimmer ist um die Ecke, bitte warten Sie dort. Wir werden Sie verständigen, wie die Operation verlaufen ist.«

Erst sah es so aus, als würden sie einen Streit anzetteln, doch überraschenderweise leisteten sie dem Befehl folge. Bloß einer blieb einen Augenblick länger stehen.

ANBU Captain Uchiha Itachi sah sie geduldig an, als erwarte er eine Antwort auf die Frage, die sie ihm nicht beantworten konnte. Sie vermutete, dass Shisui durchkommen würde. Es waren keine lebensbedrohlichen Verletzungen zu sehen gewesen. Allerdings waren Menschen schon an geringeren Verletzungen gestorben. Sehr viel mehr musste er ihr eine Frage beantworten.

»Ich muss es wissen, Itachi-san«, sagte sie – ihr Mund wurde spürbar trockener. »Wer starb auf dieser Mission?«

Ihr hätte klar sein müssen, dass es nicht Sasuke war. Sasuke starb nicht einfach so auf einer Mission. Trotz allem war sie erleichtert, als er einen Namen nannte, den sie bloß vom Hörensagen kannte. Er war erst kürzlich zur ANBU berufen worden. Eine Fehlentscheidung, ganz klar.
 

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Die mehrstündige Operation verlief ohne Komplikationen. Es war nicht schwierig, die geschädigten Nerven zu heilen. Sie waren durch die Explosion gereizt, ohne bleibenden Schaden davongetragen zu haben. Sakura ließ sich bewusst Zeit mit der Routineoperation, um jeden extra präzisen Handgriff dreimal zu überprüfen. Sie wollte sich gewiss keine Schlamperei nachsagen lassen. Es stimmte, dass sie, bedingt durch die regelmäßige Zusammenarbeit mit Kakashi, Hinata und Neji und ihre zahlreichen persönlich durchgeführten Check Ups von Asuka, viel Erfahrung im Umgang mit diversen augenabhängigen Kekkei Genkai Variationen gesammelt hatte. Uchiha Fugaku würde dennoch etwas zu bemängeln finden. Darum stellte sie sicher, dass er nichts Relevantes finden konnte.

Es dauerte vier Stunden, bis sie sich vom Pausenraum in das Wartezimmer begab. Shisui war vor einer halben Stunde in den Aufwachraum gebracht worden. Während dieser Zeit hatte sie sich einen Tee geholt, ihn gemächlich getrunken und kurzen Smalltalk mit Kollegen gehalten, ehe sie es fertigbrachte, den Wartenden gegenüberzutreten. Sie hatte eine der Schwestern von vorhin gebeten, den positiven Verlauf kundzugeben. Als sie eintrat, um etwaige Fragen zu beantworten, stockte sie.

»Wo ist der Rest?«, wunderte sie sich vor dem einzig Übriggebliebenen. Itachi stand in voller ANBU Montur von dem unbequemen Holzklappsessel auf, auf dem er sich häuslich eingerichtet hatte.

»Als sie hörten, dass es Shisui gut geht, beschlossen sie, wichtigeren Dingen nachzugehen.«

Sakura unterstand sich, darüber zu urteilen – verbal wie mental. Stattdessen blätterte sie flüchtig Shisuis bemerkenswert dicke Akte durch. In den meisten Missionsberichtauszügen war herauszulesen, dass er sich meistens selbst mit unbedachten Manövern in die Bredouille ritt. Diesmal jedoch war das Feld für die Ursache der Verletzung leer geblieben.

Sie zog überrascht die Augenbrauen zusammen. »Wie kam es zu der Explosion?«

»Das ist Angelegenheit der ANBU.«

»Wenn es die Anamnese meines Patienten betrifft, ist es die Angelegenheit des behandelnden Arztes«, gab sie trocken zurück. Sie ließ die Zettel auf dem Klemmbrett fallen, aufkommende Wut gegen ihr eigenes früheres Versagen vor seinen Augen im Bauch. »Euer Verein denkt, er sei etwas Besseres. Von mir aus, das seid ihr da draußen natürlich auch. Aber wir befinden uns in einem Krankenhaus und hier bin ich die Chefärztin. In dieser Szene bin ich deine Vorgesetzte, Itachi-san, die zu wissen verlangt, wie es zu Shisui-sans Zustand kam.«

Er durchschaute ihre blanke Lüge ohne zu blinzeln. »Er wird wieder gesund, nicht wahr, Sakura-san? Alles andere ist irrelevant. Hätte der Grund etwas zu seiner Genesung beigetragen, hätte ich ihn dir nach Absprache mit Hokage-sama gerne genannt. Im tatsächlichen Fall …« Itachi ließ seine Schlussfolgerung ausklingen.

Tsk. Er hatte durchaus recht, so viel war sicher. Kein ANBU war verpflichtet, vor einem Iryōnin Rechenschaft abzulegen. Schon gar kein Wunderkind eines angesehenen Klans. Sakura wusste, wann sie verloren hatte. Sie hatte nicht das Recht, weiter nachzubohren. Gegen Itachi kam sie ohnedies nicht an.

Tiefe Frustration, die ihr vor Augen führte, wie klein sie im Vergleich zu ihm war, keimte in ihr auf. Wie einfach er ihre Autorität untergraben konnte. Tsk.

Sie bemerkte eine blutige Schramme an seinem Oberarm. »Behandlungsraum sieben ist frei, Erdgeschoss.«

»Es geht mir gut«, stellte Itachi verwundert über diese subtile Order fest, die sie wagte, ihm zu geben.

»Du bist verletzt«, erwiderte sie mit Deut auf die lächerlich kleine Schramme. »Es ist mir egal, ob du Sasukes verschrobener großer Bruder bist, oder der Daimyō von Hi no Kuni persönlich, Itachi-san, es ist Krankenhausvorschrift, dass sich jeder Shinobi nach einer Mission untersuchen lässt. ANBU oder Genin, das Protokoll duldet keine Unterscheidung.« Sie deutete mit dem Klemmbrett in Richtung der Tür, eine strenge Hand in die Hüften gestemmt. »Behandlungsraum sieben, Erdgeschoss.«

Es dauerte, bis er wortlos das Zimmer in Richtung Treppen verließ. Ein Teilsieg. Immerhin.
 

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Die weißen Transparentgardinen wippten im warmen Wind, der durch das beinahe menschenleere Zimmer hinaus auf den weitaus mehr bevölkerten Gang strich. Itachi ließ sich mit verschränkten Armen auf dem kahlen Bett nieder, das bloß von einer papierenen Unterlage bedeckt wurde. Sie raschelte unter seiner Bewegung, mit der er seiner Sitzposition den letzten Schliff verpasste, sodass er sich in einem perfekten rechten Winkel hielt. Es war das vierte Mal, dass er sich ohne nennenswerte Verletzungen zu einem Routinecheck in einem der Behandlungsräume einfand. Einmal hatte seine Mutter ihn aus reinem Prinzip hierhin geschickt, als er dreckverschmiert von einer Mission in einer Tümpelregion wiedergekommen war, einmal war ihm Shisui so sehr auf die Nerven gefallen, dass er keinen anderen Ausweg gewusst hatte, um sich zu befreien, und das dritte Mal hatte er auf Yūgao gewartet, als ihn sich eine kompromisslose, rüstige Krankenschwester ohne zu fragen geschnappt hatte.

Er hatte an Konohas Krankenversorgung nichts auszusetzten, im Gegenteil. Sie war hervorragend. Bloß musste er sie selten in Anspruch nehmen. Zum Glück. Haruno Sakura schien das noch nicht begriffen zu haben. Aus irgendeinem Grund – angestaute Frustration vielleicht? – hatte sie sich auf ein Protokoll berufen, an das sich kein Mensch hielt. 

Sie hatte ihn verschroben genannt.

Er war doch nicht verschroben!

Oder?

Nicht, dass er etwas auf die Meinung anderer Menschen gab. Au contraire! Bis auf ein paar wenige Ausnahmen war ihm egal, was andere von ihm hielten. Befehle anzunehmen von kleinen Kunoichis, die weit unter ihm rangierten, war schon eher etwas, das er nicht duldete. Leider – und dieses 'Leider' war ein 'Aber' mit vier Ausrufezeichen – hatte sie durchaus recht mit dem, was sie gesagt hatte. Protokoll war Protokoll und solange sie sich in einem klinischen Setting befanden, war sie der Boss.

Oh, die Genugtuung hatte er ihr angesehen. Er kannte dieses Mädchen.

Sakura.

Sasuke hatte als Genin oft von seiner nerventötenden Teamkameradin in einem Atemzug mit seinem nachlässigen Erzrivalen gejammert. 'Sakura tat dies, Sakura tat das, Naruto hat ihr auch noch dabei geholfen!' Er selbst hatte sich stets köstlich über diese bezaubernde Naivität der Kinder amüsiert. Allem Anschein nach hatte sie sich von einem liebestollen Schwächling zu einem Chūnin ge–

Er wollte 'gemausert' denken, aber es klang falsch. Konnte man sich zu einem Mittelklasseshinobi mausern, wenn beide Eltern einst angesehene Jōnin gewesen waren? Sie hatte sich verbessert. Dieses Adverb konnte er ihr guten Gewissens zuschreiben. Er hatte Sasuke oft damit aufgezogen, dass seine kleinen Spielkameraden ihn übertrumpfen würden, wenn er dies oder jenes nicht tat. Ein schöner Zeitvertreib, bevor er von Tsunade persönlich zur ANBU berufen worden war.

Allmählich wurde Itachi ungeduldig. Er vertrieb sich seine kostbare Zeit mit philosophischen Diskursen über seinen Bruder und dessen ehemalige Freunde, während er längst hätte Zuhause sein können, um ein paar Onigiri seiner Mutter vor Sasukes gierigen Griffeln zu retten. Wo blieb seine Ärztin, die ihn verschroben genannt hatte? Wo blieb irgendein Arzt?

Just als er aufstehen wollte, betrat eine zierliche Krankenschwester das Behandlungszimmer durch die offene Tür. Sie verbeugte sich höflich, die zarten Finger ordentlich zusammengeschoben, wobei ihre braunen Locken über ihre schmalen Schultern fielen. Der Windhauch, der draußen wehte, hätte sie hinfort fegen können, geschweige denn eine ungeduldige Bewegung eines Eliteninjas. Seine rosahaarige Ärztin hatte einen eigentümlichen Sinn für Humor. Und ihn nannte sie verschroben.

Paradox.

»Haruno-sensei lässt sich entschuldigen, Uchiha-san. Sie wurde zu einem anderen Patienten gerufen. Ich werde sie vertreten.«

Itachi ließ die kurze Prozedur widerstandslos über sich ergehen. Die Schwester überprüfte seine Augen, Gelenke und oberflächlichen Schürfwunden und gab ihm ein Vitamintablette, die er ganz gewiss nicht zu nehmen gedachte. Zehn Minuten verschwendete Zeit. Er war gesund, quod era demonstrandum. Was war es bloß mit Iryōnin und deren Drang, jedes noch so kleine Wehwehchen zu inspizieren?
 

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Als er das Uchihaviertel nach dieser kleinen Odyssee betrat, trug der Wind den köstlichen Duft seines Abendessens auf die Straße, wo ihm neidvolle Blicke nachstarrten. Jeder beneidete den Patriarchen um die Kochkünste seiner Frau, die er zugunsten verschiedenster geschäftlicher oder klanbezogener Zusammenkünfte regelmäßig versäumte. Seine Söhne störten sich nicht daran, ganz im Gegensatz zu seiner Angetrauten, die mit ihrem hölzernen Kochlöffel auf ihren Ältesten zeigte, als dieser sich an den Esstisch setzen wollte, an dem Sasuke bereits ungeduldig wartete.

»Händewaschen!«, befahl sie streng. »Wir sind hier nicht in Hinterland von Takigakure!«

Milde lächelnd, aber hungrig, küsste er ihre Wange und folgte stumm ihrem Befehl, ihre wachsamen Argusaugen nach wie vor auf ihn gerichtet.

»Es gibt Misosuppe.«

»Schon wieder?«, stöhnte Sasuke. Er tat, als ließe er seinen Kopf auf die Tischplatte fallen.

Mikoto verschränkte tadelnd die Arme, nur um sie zu lösen, als die Suppe umgerührt werden musste. »Du kannst gerne selbst kochen, wenn dir nicht passt, was ich mache, Sasuke.«

»Genau, Sasuke, hör auf, Mutter zu kritisieren«, trug Itachi nüchtern zum Vorwurf seiner Mutter bei, während er sich neben seinen Bruder setzte.

»Was – jetzt hör' aber auf! Wir hatten am Abend vor unserer Mission Misosuppe, den Tag davor und den anderen davor sogar mittags und abends! Hat Konohas Markt denn nichts anderes?«

»Dein Vater wollte sie unbedingt essen.«

Itachi brach vorsorglich seine Stäbchen auseinander, um sofort mit dem Hauptgang loslegen zu können, sobald dieser samt den duftenden Onigiri angerichtet war. Suppe oder keine Suppe, was machte das für einen Unterschied.

»Also schafft Otōsan es wieder nicht zum Essen. Er arbeitet viel in letzter Zeit.«

»Könnte das mit den neuen politischen Entwicklungen zu tun haben?«, fragte Sasuke nachdenklich.

»Keine Ninjagespräche bei Tisch!«, schnitt Mikoto ihrem Sohn das aufkommende Wort ab. Sie stellte drei Schüsseln Suppe auf den Tisch, die sie wenig begeistert zu essen begannen. Keines ihrer Kinder wagte es, das Wort zu erheben, da es außer 'Ninjagesprächen' wenig andere Themen gab, die es wert waren, besprochen zu werden, bis sie selbst – ironischerweise einst eine begabte Jōnin – wieder sprach. »Wie geht es Shisui-kun? Er war verletzt, als ihr zurückkamt, nicht wahr?«

Sasuke klopfte den letzten Rest aus seiner Schale, ehe er einen zufriedenen Laut ausstieß. »Den bekommt man nicht klein. Unkraut vergeht nicht. Wegen ihm mussten wir die Mission abbrechen, wie ärgerlich. Nicht wahr, Aniki?«

Itachi nickte zur Antwort. Er war damit beschäftigt, die warme Flüssigkeit seinen leeren Magen füllen zu lassen. Sasuke hatte durchaus recht. Sie waren nicht weit gekommen, als sich der Angriff von Akatsukis – vermeintlichen – Handlangern ereignete hatte. Mit Yūgao wäre es gewiss leichter gewesen, dem Hinterhalt Paroli zu bieten, doch sie war mit Genma und Aoba in die entgegengesetzte Richtung gereist, wohin der zweite Teil der Spur führte, dessen erstem Itachis provisorisches Team nachgegangen war. Ihr Ersatz hatte mit seinem Leben dafür zahlen müssen, woran dieser zweifelsohne selbst Schuld getragen hatte. Er hatte die Befehle seines Kommandanten ignoriert, war vorgestoßen, anstatt sich zurückzuziehen, darum war er gestorben und alle anderen hatten überlebt. Fatale Aussichten und eine durchwegs unerwünschte Schmälerung von Itachis Reputation. Er hatte vor diesem hier nur einen einzigen Untergebenen verloren, woran er keine Schuld getragen hatte. Sasuke, Shisui und Yūgao hielten sich seit Jahren tapfer. Ein Glück, dass sie bald zurückkommen würde.
 

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»Hoffentlich hat Yūgao-chans Team mehr Glück bei der Suche nach Isobu, sonst müssen wir noch einmal los«, seufzte Sasuke, sich selig den Bauch klopfend. Sie hatten viel zu viel gegessen. Was hatten zwei ausgehungerte Shinobi den besten Reisbällchen Konohas schon entgegenzusetzen? Selbst Itachi war es schwergefallen, sich nicht zu überessen. Er ließ die Füße zufrieden von der Veranda baumeln, von wo aus die untergehende Sonne ihren Horizont in goldumrahmtes Orangepink tauchte.

»Wäre es dir wirklich recht, wenn sie Erfolg hätte, obwohl wir versagt haben? Du weißt, sie würde es uns ewig vorhalten, Sasuke.«

»Das stimmt leider«, gab er wenig erfreut über diesen Gedanken zurück. »Manchmal kann sie ein richtiges Mädchen sein. Wieso verspüren alle Frauen den Drang, sich vor uns Männern zu beweisen?«

Itachi stupste ihn an der Schulter an. »Weil es Shinobi gibt, die denken, Kunoichis seien minderwertig. Möchtest du wirklich über Emanzipation reden? Ich für meinen Teil bin sehr viel mehr daran interessiert, Akatsukis Schema herauszufinden.«

Sein Bruder kreuzte die Knöchel, stützte die Hände hinter sich auf dem Holzboden auf und lehnte den Oberkörper zurück, sodass er bequem der Sonne zusehen konnte, wie sie tat, was sie um diese Uhrzeit immer tat, bloß immer in anderen Farbschemata. Sie bot sich hervorragend als Analogie zu dem Problem an, an dem sein und sämtliche andere ANBU Teams seit Monaten arbeiteten.

»Akatsuki hat ein Schema, so viel wissen wir. Bloß nach welchem sie vorgehen, ist unklar. Es könnte Zufall gewesen sein, dass sie Shukaku zuerst entwendeten, weil er am ehesten zugänglich war oder der einzige, dessen Jinchūriki sie kannten. Gaara ist als amtierender Kazekage natürlich weit über die Grenzen Kaze no Kunis bekannt. Jeder wusste mit der Zeit, dass er einen Bijū in sich trug. Dass sie es nun auf Nibi abgesehen hatten, könnte bedeuten, dass sie eine bestimmte Reihenfolge einhalten. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun? Mir jedenfalls erscheint das sehr profan.«

Sasuke nickte. »Dass sie Nibi nicht bekommen konnten, bedeutete nicht, dass jetzt nicht Sanbi dran ist«, korrigierte er. »Wer weiß schon, was diese Verrückten aushecken?«

»Fest steht, dass wir so gut wie nichts wissen. Nicht einmal ihre genaue Mitgliederanzahl oder ihren Kopf. Es wäre eine große Hilfe, zu wissen, auf wessen Befehle sie agieren. Kein Haufen blutrünstiger Abtrünniger kann sich auf ein Ziel ausrichten, ohne dass es zu Reibungen bis hin zu Blutvergießen käme. Sie befolgen jemandes Anweisungen. Yamato-sans Team versucht Informationen darüber zu beschaffen, nicht wahr?«

Sasuke zuckte die Schultern, als Itachi ihn fragend ansah, obgleich er bloß eine Bestätigung für sein organisatorisches Wissen verlangte. »Ich führe kein Tagebuch darüber.«

»Vielleicht solltest du das«, schlug Itachi vor, »Dann würdest du beispielsweise nicht vergessen, dass wir heute eine Trainingsstunde vereinbart hatten.«

»Oh bitte!« Sein kleiner Bruder rollte die Augen, während er seine ANBU-Maske geschickt auf einem Finger balancierte. »Ich habe es nicht vergessen – ich dachte du würdest. Ist nicht Hyūga in Yamato-sans Team dabei? Ich dachte, ihn bei unserem Aufbruch mit Kakashi-sensei gesehen zu haben.«

»Ich führe kein Tagebuch darüber, nicht wahr?«, wiederholte Itachi Sasukes Worte. ANBU Team zwei war ein operatives Team, das keine fixen Mitglieder hatte. Diesmal hatte es das Hyūga-Talent Neji getroffen. Niemand arbeitete gerne mit Yamato und Kakashi gleichzeitig zusammen. Schon gar nicht, wenn es keinen zweiten Puffer zwischen ihnen gab.

»Hey, Aniki. Denkst du, wir steuern auf eine Katastrophe zu?«

Itachi legte den Kopf in den Nacken. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden langsam hinter den Dächern der Häuser, die sie in spiegelndes Gold tauchten. Sie verblassten, als das Licht sich ihrer entzog und damit der Tag zur Nacht wurde. Steuerte Konoha auf eine Katastrophe zu? Er würde nicht so weit gehen. Akatsukis Aktivitäten waren wohl Anlass zur ernsten Sorge. Aber war das genug?

Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wir müssen mehr herausfinden, wenn wir Klarheit wollen.«

»Diese Diskussion ist redundant«, nörgelte Sasuke, die Arme hinter dem Kopf verschränkend. Er streckte seine Beine durch, sodass sie in einem nahezu perfekten rechten Winkel zu seinem Oberkörper waren. Mehr als die Beinahe-Perfektion schaffte er nicht und er warf Itachi einen beleidigten Blick zu, als er ihm stumm vorzeigte, wie es richtig gemacht wurde.

»Deine Körperspannung ist zu lax.«

»Deine Kommentare nerven, Aniki. Ehrlich, du bist das Wunderkind unserer Familie. Ich hätte mir mehr als vage Vermutungen erwartet. Du bist heute nicht ganz bei der Sache.«

Itachi verzog den Mund zu einem herausfordernden Lächeln. So, so, er war also nicht ganz bei der Sache?

»Sogar ich kann keine Prognosen stellen, wenn mir der Hintergrund fehlt. Ich bin Stratege, kein Orakel. Du kannst gerne Kartenlegen oder Kaffeesatz lesen. Es würde in etwa genauso präzise werden.« Er stand auf und streckte einen Arm in Angriffshaltung nach vorne, wo Sasuke mit hochgezogener Augenbraue auf der Veranda lehnte. »Für den Fall, dass du deine Zeit lieber sinnvoll nutzen möchtest, kann ich dir anbieten, dir zu zeigen, wie viel besser als du ich bin, selbst in abgelenktem Zustand.«

»Angeber«, pfiff Sasuke durch die angriffslustig gebleckten Zähne. Er stieß sich ab, um seinen Körper mit dem Schwung einige Schritte nach vorne zu bringen, wo er mit in den Hosentaschen versenkten Händen vor Itachi stand. Als dieser seinen zweiten Arm hob, wechselte er in einer geschmeidigen Bewegung in seine übliche Kampfpose. »Zwei Runden, drei bei Einstand. Keine Ninjutsu, Genjutsu, Doujutsu und Waffen. Der Verlierer muss Okāsan beichten, dass er es war, der vor drei Wochen ihr Gemüsebeet unabsichtlich in Brand gesteckt hat.«

Itachi spannte seinen Körper an. »Bist du dir sicher, dass du Shisuis Schuld auf dich nehmen willst? Sie wird dich köpfen.«

»Wir werden ja sehen!«

Sasuke preschte mit einem Angriffsschrei nach vorne, sodass Itachi mit einem Sprung nach oben auswich, in dem er eine Kopfüberdrehung vollführte, die ihn direkt hinter dem Angreifer zu Boden brachte. Der darauffolgende gezielte Stoß traf Sasuke an der Schulter, wodurch er nach hinten taumelte und erst in der Mitte des Teiches sein Gleichgewicht wiederfand.

»Deckung«, riet Itachi tadelnd.

»Klappe!«, konterte Sasuke, der mit einem Satz erneut zum Angriff brüllte. Sein Schlag traf auf die Parade seines Bruders – wie geplant. Während Itachi seinen Arm blockte, ging er in die Hocke und warf ihn über seine Schulter nach hinten, wo Wasser spritzte, als Itachi haltsuchend darüber glitt. Sasuke hatte sich stark verbessert, seit er der ANBU angehörte, und er wurde in beachtenswerter Geschwindigkeit mit jedem Tag spürbar besser –

Itachi machte einen Ausfallschritt, sodass sein Angreifer vornüberkippte.

 – es fehlte ihm trotz allem noch eine Menge auf seinen Bruder. Dieser rammte ihm den Ellenbogen in den gebuckelten Rücken und trat mit der Sole seines Schuhs nach, sodass Sasuke auf der Wasseroberfläche niedersank. Itachi kniete blitzschnell neben ihm nieder, brachte seine Arme in einen unangenehmen Hebel und hob an.

Sasuke machte zu seinem Bedauern keinen Laut, was es nur halb so lustig machte. Er würde ihn schon noch zum Winseln bringen. Indem er den Hebel anzog, drückte er Sasukes Oberkörper so weit nach unten, dass seine Nasenspitze das stete Wasser berührte.

»Wer ist nun abgelenkt, Sasuke?« Itachis gespielt diabolisches Lachen schallte durch den ruhigen Garten, wenn nicht sogar durch das gesamte Uchihaviertel. »Denkst du vielleicht an deine kleine Ex-Teamkameradin?«

»Wieso fängst du jetzt mit Sakura an?«, fauchte Sasuke, dem die Schweißperlen auf der Stirn standen. Er biss die Zähne zusammen, hinter denen ein Frustrationsschrei stumm verebbte. Sein Peiniger drückte weiter nach unten und er spürte Wasser in seinem Gesicht.

»Itachi!«, hallte plötzlich die Stimme seiner Mutter an seine Ohren. Ihr verärgerter Ton hatte etwas Maßregelndes, »Hör auf, deinen Bruder zu ertränken! Wie oft habe ich es euch schon gepredigt: keine. Kämpfe. im. Garten!« Sie warf unwirsch die Hände in die Luft, die sie wütend in die Hüften gestemmt gehabt hatte.

»Entschuldige, Okāsan«, rief Itachi über den gepflegten Rasen zurück, ohne Sasuke loszulassen, dessen Gesicht inzwischen vollends von Wasser umgeben war. »Hörst du, Sasuke? Entschuldige dich!«

Es folgte Blubbern, das wohl eher ein ziemlich kreatives Schimpfwort denn der geforderten Höflichkeit gegen ihrer beider Mutter war. Itachi interpretierte es, wie es ihm passte, und entließ seinen Bruder aus der Geißelung. Dieser japste keuchend nach Luft und sprang in einem unkoordinierten Satz mit vorgestreckten Händen auf ihn. Seiner herausragenden Chakrakontrolle sei Dank, gingen sie nicht gemeinsam unter, obwohl Sasuke seine Finger um Itachis Hals krampfhaft zusammenpresste.

»Keine. Kämpfe. im. Garten. Teufel nochmal! Raus!«, brüllte Mikoto. Bevor sie etwas nach ihren Söhnen werfen konnte, befreite Itachi sich aus seiner Gefangenschaft und verschwand, dicht gefolgt von Sasuke aus dem heimischen Garten. Etliche hundert Meter weiter setzten sie ihre Rangelei auf dem uchihaeigenen Trainingsplatz fort, die unter den dafür ausgelegten Bedingungen alsbald zu einem handfesten Kampf ausartete.

Sasuke war hervorragend in seinem Fach. Das musste er auch sein. Sie alle mussten sich wappnen, das hatte Itachi im Gefühl. So wie Tiere aufkommende meteorologische Unwetter verspürten, hatte jeder Shinobi ein mehr oder minder gut ausgeprägtes Gespür für aufkommende militärische Unwetter. Sein Instinkt hatte ihn noch nie betrogen. Er würde es auch diesmal nicht tun. Das war sicher.

 
 

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Die Oberfläche ihres bislang unberührten Sakes ließ Tsunade die Stirn krausziehen. Ein paar ihrer frisch lackierten Fingernägel tippten nachdenklich auf den Schreibtisch, andere wiederum bohrten sich nicht minder nachdenklich in ihrer Wange, die von ihrer Hand gestützt wurde. Vor ihr lagen die aktuellsten Missionsberichte, die Shizune ihr vorsortiert hingelegt hatte. Sakura war mit Team Sieben auf einer Mission im Süden Hi no Kunis, weswegen sie schmerzlich jemanden vermisste, den sie aus Verärgerung zu Botengängen abkommandieren konnte.

Die Reporte waren schriftliche Wiederholungen dessen, was ihre ANBU-Einheiten ihr nach deren Rückkehren mündlich dargebracht hatten. Nun, da sie es schwarz auf weiß sah, erschien es ihr sogar noch deutlicher: noch nie hatte ihre Attentäterabteilung so viel zu tun gehabt, das nichts mit Attentaten zu tun hatte. Paradox. Dabei hätte sie, wenn sie könnte. Tsunade sehnte den Tag herbei, an dem ihre Männer diese hochnäsigen Bastarde von Akatsuki niederstrecken würden. Ihre Protegé hatte einen davon eindrucksvoll zerlegt – im wahrsten Sinn des Wortes – während ihre Geheimwaffe, die durch ihr loses Mundwerk längst nicht mehr so geheim war, an Kakashis Seite einen anderen ins Exil der Lebenden geschickt hatte. Vermutlich. Bei diesen Leuten wusste man nie genau, wer wirklich tot war und wer nur so tat.

Tsunade stieß ein Grollen aus, das tief in ihrem Magen wurzelte, wo es entsprungen war. Sie fuhr mit ihrem Fingernagel den Rand des nach wie vor gefüllten Sakebechers entlang. Die Lust am Trinken war ihr nach der Begutachtung der Berichte vergangen. Andererseits konnte man den guten Daiginjo-shu nicht verkommen lassen. Als die Tür aufschwang, leerte sie ihn schnell, bevor die Eintretenden ihr Vorhaltungen machen konnten –

»Dein Alkoholismus ist widerwertig, Tsunade-hime«, tadelte Koharu streng. Ihre faltigen Lippen verzogen sich zu einer harten Linie, die in ihrem markanten Gesicht nicht weiter auffiel.

Die Goikenban waren ein nerventötendes Duett, wenn man Tsunade fragte. Sarutobi hatte die beiden vor Jahrzehnten um den Finger gewickelt; sein Leben als Hokage war ein Zuckerschlecken gewesen gegen die Steine, die sie ihr heutzutage in den Weg legten. 'Hiruzen-kun hätte das anders gemacht, was Hiruzen-kun gemacht hätte, wäre besser gewesen, Hiruzen-kun, Hiruzen-kun', Hiruzen-kun war aber nicht hier! Dieses Argument galt nur leider nicht vor dem strikten Scheinregiment Utatane Koharus und Mitokado Homuras. Dass Tsunade sich nicht auf der Nase herumtanzen ließ, ärgerte sie am meisten.

»Was gibt es Neues?«, wollte Koharu im Befehlston wissen. Homura verschränkte geduldig die Arme. »Wir hörten, alle ANBU-Einheiten seien zurück.«

»Ich habe die meisten operativen Teams angepasst und erneut ausgeschickt. »– was immerhin eine auslegbare Antwort auf ihre Frage gewesen war.

»Halte mich nicht hin, Tsunade-hime, der Tod schläft nicht, und ich würde Konoha gerne in Sicherheit wissen, ehe er mich holt.«

Als ob diese Hexe sich nicht weigern würde, mitzugehen. Und wenn er sie erst einmal hatte, würde er sie gleich wieder zurückbringen. Bloß um Tsunade zu ärgern. Fein. An ihr sollte es nicht scheitern. Über die Ecken der Reporte streichend, gab sie deren Inhalt in der kürzesten Version wieder, die ihr einfiel, auf dass die Goikenban bald wieder verschwunden sein mochten.

»Team Yamato-Kakashi kehrte vollzählig ohne nennenswerte Namen in Erfahrung gebracht zu haben zurück, nachdem ein vermeintlich vertrauenswürdiger Informant sie in eine Falle gelockt hatte. Team Uchiha verlor ein Mitglied während eines anderen Hinterhalts, der mit ersterem in keinerlei Verbindung zu stehen scheint. Sie hatten wohl einfach Pech.«

Koharu schüttelte tadelnd den Kopf über diese unprofessionelle Wortwahl – verflucht, sie war doch nicht ihre Mutter! Die Gemaßregelte fuhr unbeirrt fort.

»Die Einheit unter der Leitung von Komachi und Towa konnte die Spuren von Sanbi bis Kirigakure verfolgen, das allerdings leider wenig Kooperationsbereitschaft zeigte. Das Land ist nach wie vor eine lockere Kohorte, bestehend aus einer Vielzahl nahezu autarker Inseln, die unterschiedliche Kulturen haben. Yūgao schrieb eine Randnotiz in den Bericht, die mir Sorgen bereitet; sie vermutet Konflikte zwischen den einzelnen Inseln. Diese könnten Akatsukis manipulativen Machenschaften in die Hände spielen, solange der amtierende Mizukage keine Einsicht zeigt. Mizu no Kuni ist ein uneinheitliches Mosaik, das in einem Krieg nicht einmal Chancen gegen eine der kleineren Shinobinationen hätte. Akatsuki könnte sich das zu eigen machen, sollte der dortige Yondaime sich nicht um Einigkeit in seinem Land bemühen. Apropos, Gerüchten zufolge soll er der Jinchūriki von Isobu sein. Die Erkenntnisse des restlichen Teams sind irrelevant.«

»Sind sie das, ja?«

Tsunade sortierte einen wahllosen Aktenstapel neu, um Koharu nicht ansehen zu müssen, als sie ihr eine unhöfliche Abfuhr erteilte. »Für jemanden, der nicht Hokage ist, schon. Ich habe alles im Griff; allerdings nur, wenn ihr mich weiterarbeiten lasst. Ich rufe euch, sobald sich neue Aspekte ergeben.«

»Akatsukis Vorhaben werden immer präziser! Wenn du dich nicht beeilst, wird es zu einem Eklat kommen. Und wenn du dann –«

»– tu das, Tsunade-hime«, unterbrach Homura, ehe Koharu zu einem weiteren Schlag ausholen konnte. Er komplimentierte sie mit seinem dargebotenen Arm hinaus. Erst als sie außer Sichtweite waren, ließ Tsunade ihre stramme Haltung, Zeuge ihrer Autorität, fallen. Sie hatte keine Lust mehr. Wirklich nicht. Dabei war der Tag noch lange nicht vorbei. Die hatten ihr gerade noch gefehlt. Grandios.

»Euch gibt's seit deiner Berufung wohl nur mehr im Doppelpack«, stöhnte sie, ihre autoritären Sitz erneut einnehmend. Egal wie müde sie jemals sein sollte, vor keinem Uchiha der Welt würde sie weniger ausstrahlen als die absolute Macht. Nur damit konnte man diese Sippschaft in Zaum halten. »Da ich gerade dabei bin; hat man euch nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, zu lauschen?«

»Wir haben nicht gelauscht«, bestritt Itachi. Er nahm seine Rabenmaske ab, Sasuke tat es ihm gleich. »Wir haben spioniert. Wenn ich mich recht entsinne, war dies Hauptteil der Ausbildung zum ANBU. Ich kann mich kaum noch erinnern, es ist schon einige Zeit her. Außerdem, und das ist mein Hauptargument, ließen Sie uns doch rufen, Hokage-sama.«

»Ja, ja«, winkte Tsunade ab, der die Spitze in seinen Worten nicht verborgen blieb. »Wir wissen alle, wie talentiert du bist. Hör auf, mich damit zu nerven. Ich habe heute keinen Kopf mehr für äquivoke Anmaßungen.«

»Ich stehe natürlich auf Ihrer Seite, nichtsdestoweniger muss ich Utatane-sama rechtgeben. Wenn wir nicht bald Ergebnisse erzielen, wird unser Spielraum für Reaktionen sehr schnell sehr eng werden.«

Tsunade machte eine wegwerfende Handbewegung, die beinahe einen Zettel zu Boden fegte. Itachi fing ihn in einer leichtfüßigen Bewegung auf und legte ihn an seinen angestammten Platz zurück. Sie behielt es sich vor, ihm nicht zu danken. »Weißt du, was das Gute daran ist, Hokage zu sein, Itachi? Ich weiß diese Dinge alle. Jiraiya war vielleicht als erste Wahl für diesen Posten vorgesehen, doch dieser notorische Schwerenöter hat nicht den nötigen Ernst, um diese Aufgabe standesgemäß zu übernehmen. Dieser Tölpel rennt mit dem Kopf durch die Wand, selbst wenn er damit die Befehle der obersten Instanz missachtet.« Sie biss sich auf die rotgeschminkten Lippen. »Ich sollte ihn rauswerfen.«

»Ist das der Grund, wieso wir hier sind?«, fragte Sasuke. Ihr war der wissende Blick, den er mit seinem Bruder ausgetauscht hatte, nicht entgangen. Diesen Uchihas konnte man nichts vormachen. So wortklauberisch sie auch waren, so messerscharf war ihr Verstand. Welch Plage.

Schlussendlich schob sie ihnen einen der Papierbögen entgegen. »Ja. Jiraiya konnte Akatsukis Spuren bis nach Amegakure zurückverfolgen. Allem Anschein nach befindet sich eine Art Basislager dort, oder zumindest etwas, das einem solchen ähnlich ist. Die Gerüchte von einem Mann namens Pain-sama manifestieren sich in letzter Zeit zu einem regelrechten Schlachtruf und eine Engelfrau soll angeblich an seiner Seite sein. Es sind Informationen, denen wir besser nachgehen. Jiraiya befindet sich in diesem Moment auf dem Weg dorthin.«

Itachi hob skeptisch eine Augenbraue. Er hatte sie längst durchschaut. Ganz ohne Sharingan, das ihr so unliebsam war.

»Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Mein Plan sah vor, ihn zu begleiten, doch Jiraiya, dieser Sturkopf, wollte unbedingt alleine gehen. Als Hokage muss ich mich um die Angelegenheiten hier kümmern. Genau das werde ich tun. Itachi und Sasuke, ihr sollt ihm zusammen mit einem Team nachfolgen. Die Mission lautet, Jiraiya zu unterstützen. Keine Heldenaktionen, keine Aufopferungsversuche, keine Querschläge. Jiraiyas Sicherheit hat oberste Priorität; und wenn ihr ihn vor sich selbst beschützen müsst, habt ihr die Erlaubnis, ihn auszuknocken. Ich werde in diesem sehr wahrscheinlichen Fall alle Konsequenzen tragen.«

»Wir sollen Jiraiya-sama beistehen«, resümierte Itachi, »Ohne dabei aktiv sein eigenes Vorhaben zu tangieren?«

»So ist es. Von Amegakure no Sato nach Konoha zurück ist es ein weiter Weg. Sollte die Infiltrierung fehlgeschlagen sein, werdet ihr medizinische Erstversorgung brauchen. Für den Ernstfall stelle ich euch einen Iryōnin zur Verfügung. Ihr habt freie Auswahl. Ich empfehle Shin. Er hat Erfahrung mit derartigen Missionen.«

Sasuke nahm seinem Bruder das Informationsblatt ab, das er kurz beäugte. »Kuon-san wäre mir lieber. Wir arbeiteten bereits auf zwei früheren Missionen sehr gut miteinander zusammen. Er ist inzwischen Leiter des medizinischen Teams der ANBU, oder irre ich mich?«

»Kuon wäre durchaus eine annehmbare Lösung«, stellte Tsunade fest. »Bedauerlicherweise befindet er sich auf einer anderen Mission, die ihn für längere Zeit fernhalten wird. Shin ist ein ausgezeichneter Iryōnin, erfahren und flexibel. Sein Fachgebiet sind Rettungsmissionen, er kann also mit Druck umgehen.«

»Dürfte ich jemand anderes vorschlagen?«, fragte Itachi. Rhetorisch, versteht sich. »Es gibt jemanden, dessen Fähigkeiten ich mehr wertschätze als Shin-sans.«

Sie spitzte die Ohren. »Ach, tatsächlich? Dieser jemand wäre?«

»Haruno Sakura.«

Tsunade fiel aus allen Wolken. Sakura? »Auf keinen Fall. Sakura ist noch lange nicht so weit. Ich müsste das Team modifizieren, um sie einzupassen –«

»Tun Sie das bitte«, bat er beharrlich. »Ich denke, sie wäre gut geeignet für diese Mission.«

»Ich weigere mich, dieser Bitte nachzukommen – du brauchst mich nicht so anzusehen! Nein heißt nein, das ist mein letztes Wort.«

Itachi löste gemächlich die Verschränkung seiner Arme. »Wenn das so ist …«
 

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Wohlverdienter Schlaf war in der Regel vor allem eines: wohlverdient. Auf skurrile Art wusste Sakura nach dem Aufwachen, dass sie geträumt hatte. Den Inhalt hatte sie vergessen, aber Sasuke war darin vorgekommen. Gruselig. Sie konnte sich nur mehr daran erinnern, wie er einen dunklen Schleier am Waldrand aufgehoben hatte. Sie sollte sich nicht immer überarbeiten, wenn derartige Szenen dabei herauskamen. Dabei war gestern Abend ein halbwegs routinierter Tag gewesen. Sie hätte Itachis Untersuchung gerne selbst vorgenommen, um ihm zu zeigen, dass sie eine Meisterin ihres Faches war, doch der Notfall, zu dem man sie gerufen hatte, hatte keine Minute Aufschub geduldet. Ein abtrünniger Shinobi hatte sich mit einem Kibakufuda in die Luft gesprengt, um einer Festnahme zu entgehen. Der Explosionszettel war eine Fehlzündung gewesen und die sieben Kunai, die ihn daraufhin getroffen hatten, hatten einige seiner lebenswichtigen Organe verletzt. Vielleicht hatte er Informationen über Akatsuki, vielleicht auch nicht. Sakura hatte ihn für den Fall der Fälle unter den Lebenden behalten müssen.

Die wohltuende Mittagssonne machte das Aufstehen zu einer herrlich erfrischenden Angelegenheit. Sie streifte ihre Arbeitskleidung ab, aus der sie sich nach der schweren Operation, die bis in die frühen Morgenstunden gedauert hatte, nicht mehr geschält hatte. Normalerweise mochte sie es nicht, in anderer Kleidung als ihrem Pyjama zu schlafen, doch wer machte sich nach einem langen Arbeitstag die Mühe, auf Kleinigkeiten zu achten? Sie hatte sich lediglich das Blut von der Haut gewaschen.

»Dusche«, raunte sie noch schlaftrunken. Einst war Sakura eine Frühaufsteherin gewesen, wach mit dem ersten Sonnenstrahl. Heute schlief sie, wann immer sie Zeit hatte. Dieser Rhythmus war nicht das Gesündeste, das sie ihrem jungen Körper antun konnte, wie ihre Mutter ständig predigte. Als habe sie nicht vor vielen Jahren als Kunoichi im Dienst des Hokage gearbeitet! Sie wusste ganz genau, dass man sich gewisse Dinge nicht aussuchen konnte.

»Wo warst du?«, fauchte eine griesgrämige Stimme aus der Küche. Mebuki warf schnaubend einen Lappen über ihre angespannten Schultern, unter denen sie die Arme verschränkt hatte.

»Arbeiten.«

»So spät noch?«

Sakura schnaubte nicht minder laut. »Als Schülerin der Hokage kann man sich eben nicht aussuchen, wann man gebraucht wird! Du wusstest, auf was ich mich einließ, als du mich darin bestärkt hast, in Tsunade-samas Lehre zu gehen. Ich gehe unter die Dusche, Kaa-san«, informierte sie ihre Mutter, an der sie sich vorbeidrängen musste, um den Weg ins Badezimmer beschreiten zu können.

Das war einer der Nachteile, den Sakura aus praktischen Gründen über sich ergehen lassen musste, als sie sich dagegen entschieden hatte, auszuziehen. Vorerst. Ihr Sold als Chūnin war mager, die Ausgaben für medizinische Items immens. Sie war immer top ausgerüstet; von Schriftrollen über Tinkturen und Salben bis hin zu nützlichen kleinen Werkzeugen. Das hatte seinen Preis, und der belief sich auf etliche hunderttausend Ryō. Drei B-Rank Missionen mindestens, um die Unkosten überhaupt zu decken. Mit dem kargen Rest war an eine eigens finanzierte Wohnung nicht zu denken. Bequemlichkeit war der zweite Faktor. Sie hatte schon keine Zeit, ihr Zimmer aufzuräumen, wie sollte sie da eine ganze Bleibe instandhalten?

Als sie am Flurfenster vorbeiging, das auf die Straßenseite zeigte, verblassten ihre Gedanken, so ungemütlich sie auch waren. Der hatte ihr gerade noch gefehlt. Wenig neugierig streifte sie ihre Trainingskleidung über und öffnete die Tür.

»Wenn du etwas von mir willst, klingle, aber lungere nicht vor meinem Haus herum«, tadelte sie mit verschränkten Armen, die sie gleich wieder löste. Sie war doch nicht ihre Mutter!

»Tut mir leid, Sakura-chan.« Naruto kratzte sich entschuldigend am Kopf. »Ich wusste nicht, ob du noch schläfst. Zuerst war ich im Krankenhaus, aber sie sagten, du wärst schon nach Hause gegangen.«

Sie trat nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Ihre Eltern mussten nicht mitbekommen, was sie alles als Medicnin tat. Es würde ihnen nur Brechreiz bescheren. »Die Notfalloperation war anstrengend. Ich musste vier innere Blutungen stoppen und zwei Drittel des gesamten Chakrasystems rekonstruieren. Wusstest du, dass die dickwandigen Gefäße an einigen sensiblen Stellen eine dünnere Trennschicht zur Stabilisation haben?«

»Ähm, nein. Ist ja auch egal!«, wischte er ihre neueste Erkenntnis beiseite. »Ich komme gerade vom Training mit Kiba und wollte eigentlich nur vorbeischauen. Ich brauche einen ordentlichen Kampf, du möchtest deine Schnelligkeit ausbauen – wie wär's? Danach lade ich dich zum Abendessen ein! Sakura-chan?«

Unentschlossen trat sie von einem Fuß auf den anderen. »Das kannst du dir doch gar nicht leisten.« Andererseits hatte sie noch nicht geduscht und wenn Naruto von einem Trainingskampf mit Kiba in seiner Kondition beschnitten worden war, hatte sie vielleicht sogar eine reelle Chance, ihn mit einem jener Treffer zu segnen, zu denen er sie seit Monaten provozierte. Einer der Sorte Ich-sprenge-damit-Felsen-und-bringe-Akatsuki-um. »Schön, wieso nicht?«

»Klasse!« Zufrieden mit seinen Überredungskünsten ging er voran, die Öse seines Kunais um seinen Finger um ihre eigene Achse wirbelnd. Irgendwann würde sich irgendein Shinobi irgendwie daran verletzen.

Sie schlenderten durch die müden Straßen Konohas, in denen die letzten Bewohner ihre Einkäufe träge hinter sich brachten. Bald würden die Verkaufsstände zusperren und die Wege von Kneipenbesuchern bevölkert werden. Mit etwas Glück kam Sakura erst wieder nach Hause, wenn ihre Eltern sich in deren Stammlokal mit den Naras getroffen hatten. Sie mochte ihre Eltern ja, aber manchmal war es schwierig, mit ihnen zusammenzuleben.

»Teme hat letztens vor Arroganz nur so gesprüht«, warf Naruto plötzlich ein. Er hatte es aufgegeben, sein Kunai im Kreis zu wirbeln. Stattdessen hielt er die Arme hinter dem in den Himmel gerichteten Kopf verschränkt.

»Er war schon immer eingebildet. Jeder Uchiha ist das, Naruto«, meinte sie nonchalant. Es war nichts Neues. »Du musst lernen, darüberzustehen. Sasuke-kun hält sich für etwas Besseres, weil er es in den Augen der Dorfbewohner auch ist. Wir beschweren uns, dass die Uchihas auf uns herabsehen, dabei sind wir es doch, die sie in den Himmel loben. Wenn du ehrlich bist, hat er mit seinem Selbstbild gar nicht mal so weit gefehlt. Er ist immerhin ANBU.«

»Ja.« Naruto verzog missmutig den Mund. »Bei ihm steht es allerdings für 'absolut unleidbarer Blödmann Uchiha'. Er ist immer so gezwungen cool, das nervt mich. Dieser Pfau hat sich in Kumogakure doch tatsächlich an die Spitze unserer Verfolgung gesetzt, um den Ruhm alleine einzuheimsen. Es ist seine Schuld, dass wir den Akatsuki verloren, aber das will wieder niemand wahrhaben. Ist ja nicht so, als würde Sasuke es offen zugeben, versagt zu haben.«

»Unleidbar ist kein Wort«, korrigierte sie nachgiebig. »Sasuke-kuns Attitüde ist mir recht egal. Die seines Bruders geht mir auf den Keks. Ich will nicht von jedem gottverdammten Uchiha, der sich dazu herablässt, auf dem Boden unserer sterblichen Erde zu wandeln, als nutzlos angesehen werden.«

»Ich soll darüberstehen, ja?«, wiederholte Naruto skeptisch. »Was soll's. Sasuke ist nicht mehr unser Teamkamerad. Er entschied sich damals gegen unsere Freundschaft, also kann er sich auch nicht auf unsere Loyalität verlassen.«

Sakura lachte hohl. »Tut er nicht. Er ist ein Uchiha. Apropos, wie wäre es, wenn ich dir nach unserem kleinen Kampf eine neue Heiljutsu zeige – hör auf das Gesicht zu verziehen, Naruto! Die sind wirklich nützlich und du müsstest nicht wegen jedem Wehwehchen zu mir kommen.«

Er kreuzte entschieden die Arme vor der Brust. »Vergiss es, Sakura-chan! Bei aller Liebe, so einen Schwachsinn fange ich gar nicht erst an! Ich wette, ich müsste meinen Namen vergessen, um mir eines dieser komplizierten Dinger zu merken!«

Unwirsch verschränkte sie die Arme, bloß um sie anschließend in die Luft zu werfen. »So komplex ist es auch wieder nicht. Sogar Ino hat es binnen weniger Wochen geschafft.«

»Wie auch immer«, versetzte Naruto. Sie waren am Trainingsplatz angelangt, der verwaist in der untergehenden Abendsonne lag. Es war einer von wenigen, die schlussendlich für sie übriggeblieben waren. Einer von fünf, an denen sie nicht Gefahr liefen, Sasuke zu begegnen. Doch die Schlagpfosten, die in der Mitte standen, brachten Erinnerungen auf: Naruto gefesselt an ihm, nachdem er zweimal in ähnliche Fallen getappt war, Sasuke, der ihm das verbotene Essen angeboten hatte. Sakura schlang unwillkürlich der Arme um sich.

»Der Wind ist kalt«, flüsterte sie an diesem stillen Abend.

Naruto reckte einen Daumen in die Höhe. »Dann sollten wir uns besser aufwärmen! Du fängst an.«

Sie wischte die Erinnerungen an vergangene Tage beiseite – Sai war nun in ihrem Team und sie war glücklich darüber – und nahm ihre Grundhaltung ein. Naruto ließ sie immer anfangen, um ihre Strategie zu durchschauen, mit der sie ihn immer ärgerte. Bei Kämpfen mit ihren Trainingspartnern hatte sie selten Schlachtpläne. Es ging nicht ums Gewinnen, sondern darum, stärker zu werden. Er mit seinem unbedingten Ehrgeiz hatte das noch nie verstanden. So hatte sie sich wenigstens den Vorteil des Präventivschlages gesichert. Bei ihm als Gegner konnte dies schon viel ausmachen, denn wenn er es darauf anlegte, konnte er einen Kampf mit einem Schlag beenden. Shino hatte davon vor zwei Jahren ein Lied gesungen, als er nach einem Disput mit einem schlechtgelaunten Naruto in Sakuras Behandlungszimmer gekrochen gekommen war. Ein aberwitziges Bild, aber wirklich unschöne Verletzungen.

»Ich bin bereit, wenn du es bist, Sakura-chan!«, gab er ihr den Anfang des Kampfes zu verstehen. Sie festigte ihren Stand. Sie hatte sich bereits vor ihrer Haustür angefangen vorzubereiten, es würde diesmal nicht leicht für ihn werden. Nicht, dass sie es ihm jemals leichtgemacht hatte.

Mit einem kräftigen Satz stieß sie sich ab – einen kleinen Krater unter dem Nullpunkt ihrer Ferse hinterlassend – und rannte auf ihn zu. Naruto wusste, wo ihre Schwachstellen lagen, deshalb wich er gemächlich aus.

»Fehler Nummer eins!«, stieß sie eine raue Kriegserklärung aus, mit der sie ihre Faust in klassischer Stereotypie in den Boden rammten, der nach Westen hin aufriss, wo Naruto eben von seinem Ausweichsprung gelandet war. Er strauchelte auf einem der Trümmer, hievte sich zur Seite und fand Halt an einem Ast, von dem er sich mit einem erwidernden Schrei zur Antwort auf ihren ersten Zug im Sturzflug auf sie herabstürzte. Mit einem Kagebunshin. Und einem Rasengan.

»Oh, Scheiße«, kreischte sie entsetzt über die Schlaggewalt, mit der er auf sie zukam. Ihr Gehirn arbeitete fieberhaft an einer Möglichkeit, seine Attacke zu blocken, doch was sollte eine Taijutsuspezialistin gegen eine Ninjutsu setzen? Sie hatte sich ihren Fluchtweg durch das Aufsprengen des Bodens selbst vor wenigen Sekunden erst blockiert. Naruto meinte es jedenfalls ernst. Während er auf sie zuraste erfasste sie einen Gesichtsausdruck, der vor Angriffslust und brutalem Spaß nur so glühte.

Dann landete ein Vogel auf Sakuras Kopf.

Naruto blinzelte, stockte, und verlor die Kontrolle über seine Flugbahn. Als er im Fall zu schlingern begann, sah sie ihre Chance. Mit einem Tritt nach vorne kickte sie sich eine ebene Fläche frei, auf der sie ihren breitbeinigen Stand in den Boden stampfte, hob die Arme und umfasste Narutos Handgelenk hinter seinem Rasengan. Von hier an war es leicht, ihn zu drehen und das Rasengan in den Trümmerboden zu schmettern.

Der Vogel blieb auf ihrem Kopf sitzen.

»Du Idiot!«, blaffte sie ihn rau an, als er sich eine aufkommende Beule rieb. Mit einer kräftigen Kopfnuss, die ihn einige Zentimeter weit in den Boden rammte, verpasste sie ihm eine zweite. »Wolltest du mich umbringen?!«

»Au … mach dich nicht lächerlich, Sakura-chan!«, bestritt er jammernd. »Ich dachte ja nicht, dass ich dich treffen könnte.«

»Ich bin nicht Kakashi-sensei, du Einfaltspinsel!« Sie verpasste ihm eine dritte Kopfnuss, die ihn weiter in den Erdboden trieb. »Du hättest mich damit töten können, ist dir das klar? Du weißt, dass ich während des Trainings keine Ninjutsus verwende, sondern mich auf meine physischen Parameter konzentriere! Die wollten wir doch üben!« Mit einem vierten Schlag ließ sie ihrer Wut, die von abflauender Erschrockenheit herrührte, freien Lauf. Dieser Vollidiot sollte wissen, wie viel Angst er ihr damit gemacht hatte.

»Hör auf! Das tut weh!«

»Soll es ja auch!«, keifte Sakura. Der Vogel hatte sich inzwischen mit einer solchen Gewalt in ihre Haare gekrallt, dass er schmerzhaft daran zog. »Was ist mit diesem Vieh los? Komm her!« Sie langte nach oben, wo sie ihn grob packte, um ihn aus ihrem Scheitel zu befreien.

»Ist das nicht Tsunade-obaachans Teil?«, fragte Naruto, sich den Kopf immer noch reibend. Hoffentlich würden die Beulen groß werden.

»Das heißt Hokage-sama oder Tsunade-dono oder eine Kreuzung davon. Du bist Jōnin, das solltest du längst wissen!« Sakura besah sich das Tier genauer. Es war schön, sein Gefieder war gepflegt und an seinem Beinchen hing ein Zettel. Sie ließ es frei in die Lüfte, wo es seinen Heimweg antrat. »Du hast recht. Das ist Tsunade-samas Vogel. Er ist an uns beide adressiert.«

»Hättest du die Nachricht nicht lesen sollen?«

Sie schüttelte grimmig den Kopf und half ihrem Trainingspartner auf die Füße. »Wenn Tsunade-sama einen Vogel anstatt eines Boten schickt, ist sie wegen irgendetwas verstimmt. Ich behalte meine letzten harmonischen Minuten ganz gerne, ehe ich für ihren Griesgram büße. Komm, wir beeilen uns lieber. Ich möchte zu ihrer Missstimmung nicht auch noch ihre Ungeduld auf mich ziehen.«

Sofern sie das nicht schon getan hatte. Wenn Tsunade einen Vogel schickte, war man besser schon da, bevor sie die Nachricht fertig geschrieben hatte. Vor allem, wenn er derart unerwartet kam. Sakura kannte ihre Dienstzeiten. Ihrem Wissen nach war sie für die nächsten beiden Tage im Krankenhaus eingeteilt. Das konnte nur eines bedeuten: eine Mission.

Ob dies nun erfreulich oder unerfreulich war, wagte sie noch nicht einzuschätzen. Aber sie hatte so ein Gefühl. Und dieses gefiel ihr ganz und gar nicht.
 

.

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»Nur damit du es weißt, Sakura, ich war dagegen.«

Wie ermutigend diese Worte doch waren, nachdem Sakura gehört hatte, dass sie zusammen mit Sasuke – und Uchiha Itachi – nach Amegakure reisen musste, um Jiraiya zu unterstützen, der vermutlich irgendwann auf seiner Mission mit Akatsuki in Berührung kommen würde. Richtiggehend erbaulich, dass ihre Meisterin ihr nicht einmal zutraute, diesen A-Rank Auftrag lebendig zu überstehen.

»Du wurdest speziell dafür angefordert und dieser hinterlistige Uchiha hatte durchweg überzeugende Argumente.«

»Angefordert?«, wiederholte sie ungläubig. Wieso sollte Sasuke sie dabeihaben wollen? Er belächelte ihre Fähigkeiten wo er nur konnte mit einer schreienden Herabwürdigung, die sie ihm am liebsten um die Ohren schlagen würde – Moment. »Welcher Uchiha?« Wieso musste es auch so viele davon geben?

»Itachi.«

Natürlich. Wer besäße sonst die Dreistigkeit, die vielbeschäftigte Schülerin der Hokage zu verlangen, bloß um seine eingebildete Stellung unter Beweis zu stellen? Sakura wollte sich geschmeichelt fühlen, doch etwas in ihr sagte ihr, dass er sie nicht ihrer Fähigkeiten halber dabeihaben wollte. Dazu hatte sie in Kumogakure viel zu sehr versagt. Wenigstens hatte sie nun eine Möglichkeit, diesen schlechten Eindruck wettzumachen. Es nagte nach wie vor an ihr, jahrelange Anstrengungen, bei ihren männlichen Kollegen akzeptiert zu werden, derart zunichte gemacht zu haben.

Tsunade hatte Naruto indes eine präventive Standpauke gehalten, um ihn davon abzuhalten, den Märtyrer zu spielen. Ihm die Wichtigkeit der Zurückhaltung hinsichtlich dieser speziellen Mission einzubläuen war schwierig, doch sie schickte ihn zufrieden zum Packen, nachdem sie sie als ausgeführt befand.

»Du bleibst noch einen Augenblick, Sakura«, hielt sie ihre Schülerin zurück, die sich unbeobachtet an ihn heften wollte. Noch mehr Subtraktionen ihres Selbstwertgefühls konnte sie für heute nicht brauchen.

»Falls Sie mir sagen möchten, wie ungeeignet ich doch für diese Mission bin, Tsunade-sama, hätten Sie besser daran getan, mich gar nicht erst einzute –«

Tsunade hob ihre Hand. »Stopp. Niemand befindet dich für ungeeignet. Ich hatte eine andere Zusammenstellung fähiger Jōnin im Kopf, die ich überwerfen musste, als Itachi darauf bestand, dich in seinem Team zu haben. Das hat nichts damit zu tun, dass ich dich für schwach halte, Sakura. Du bist intelligent, flexibel und vorausschauend. Mach es nicht zunichte, indem du dich zu sehr auf Sasukes subtile Provokationen einlässt. Ich kenne Narutos und deine Gefühle ihm gegenüber, darum halte ich persönlich es für besser, euch nicht zusammen loszuschicken. Emotionale Differenzen können in geladenen Situationen leicht eskalieren. Aber ich kenne deine Stärken, die gepaart mit Narutos Fähigkeiten an einen beeindruckenden Grenzwert stoßen. Ich gehe dieses Risiko einer temporären Vereinigung des alten Team Sieben in dem Wissen ein, dass du einen kühlen Kopf bewahren kannst, wenn es darauf ankommt. Sasuke hat Team Sieben verlassen, aber er ist nicht der Feind. Vergiss das nicht.«

»Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen –« Sie verbeugte sich knapp. »– aber bin ich tatsächlich stark genug dafür? Es geht um Akatsuki, die –«

Tsunade ließ ihre Hand ehrfurchtgebietend auf den Tisch niedersausen. »Jetzt hör zu, junges Fräulein, du kennst meine Meinung und wenn du darauf aus bist, dass ich dir Honig ums Maul schmiere, indem ich dir beteuere, wie toll du doch bist, werde ich mir überlegen, dich mitzuschicken, Itachis Bitte hin oder her! Mitgehen und Mundhalten oder Hierbleiben. Und Mundhalten.«

Sakura machte sich nicht die Mühe einer Antwort. Sie verbeugte sich ein zweites Mal, ehe sie eilig das Büro ihrer Lehrmeisterin verließ. Tsuande würde schon wissen, wen sie wohin schickte. Und wenn sie ehrlich war, war eine Mission mit dem berühmten ANBU Captain Uchiha Itachi nicht das Schlechteste, das ihr passieren konnte. Man sagte, er war genial. Eine Geistesgröße perfekt harmonierender Strategien gepaart mit der Rigorosität eines Feldwebels. Kein Vergleich zu Kakashis laxen Erziehungsmethoden. Und wenn sie noch ehrlicher war, war Naruto vermutlich bereits fertig gepackt auf dem Weg zum Treffpunkt. Unter keinen Umständen wollte sie gegen ein notorisches Chaos verlieren.

Ihre eiligen Schritte führten sie rücksichtslos über die Dächer Konohas, durch das zum Lüften geöffnete Schlafzimmerfenster ihrer Eltern, über den Flur direkt zu ihrem Kleiderkasten, in dessen unterstem Fach stets mehrere gepackte Rucksäcke und Beuteltaschen auf ihren Einsatz warteten.

»Sakura, wo willst du hin?«, hielt ihre Mutter sie bei der Haustür zurück.

»Auf eine Mission«, erwiderte sie knapp. Naruto musste immer aus allem einen Wettstreit machen – selbst mit unfairen Voraussetzungen – diesen hier wollte sie nicht verlieren. »Kaa-san, ich muss los.«

»Kommst du zum Abendessen?«, rief Mebuki ihr hinterher. Ihre Tochter drehte sich im Laufen um und winkte ihr.

»Erst zu dem in ein paar Tagen. Mach's gut, Kaa-san, ich hab' dich lieb!«

»Pass auf dich auf, ja?«

Als würde diese Floskel etwas an den Differenzen zwischen ihnen ändern. Sakura jedenfalls gab sich mit diesem gesellschaftlich praktizierten Ritus zufrieden. Sie war kein Mensch, der gerne Kontroversen beschwor, schon gar nicht mit Menschen, die ihr am Herzen lagen. Haruno Mebuki mochte ihre eigene Definition von Liebe haben, aber sie gab sie ihrer Tochter auf eine Weise, die diese sehr wohl zu würdigen wusste. Sie war ein herzensguter Mensch, der dies nur einfach sehr gut verstecken konnte. Ihre Sorge um ihre Tochter äußerte sich in gemeinem Drill. Sakura konnte ihr deswegen keine Vorwürfe machen. Ihre Mutter war in einer Shinobifamilie aufgewachsen, in der eiserne Disziplin zur Tagesordnung gehörten. Letzten Endes war sie dadurch Jōnin geworden, bevor sie nach einer missglückten Mission ihren Rang aufgeben hatte müssen. Nichtsdestoweniger waren ihre Erwartungen in ihre Tochter gerechtfertigt. Oder so ähnlich.

Sakura hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie ihre elterlichen Dyaden im Vergleich zu denen anderer wohl aussahen. Sie wollte es auch nicht, denn Naruto, dieser Nerventöter, war soeben aus einer Seitengasse auf die Hauptstraße gebogen, die sie als ihre Abkürzung erwählt hatte. Er provozierte ein Wettrennen, das sie um keinen Preis verlieren wollte. Obwohl sie der unumstößlichen Ansicht war, dass sein deplatzierter Ehrgeiz unangemessen kindisch war, war sie sich ihrem eigenen Ansporn ebenso bewusst. Lee hatte einmal gesagt, wahre Shinobi trainierten immer. Sie sah Narutos Rücken vier Meter vor sich. Noch.
 

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Sasuke warf gelangweilt einen Kunai in die Luft, um ihn in angeberischer Leichtigkeit fangen zu können. Er wiederholte diese schnöde Prozedur drei Mal, bis es aufgrund mangelnder Zuseher langweilig wurde. Nicht, dass Uchiha Sasuke den unabdingbaren Drang verspürte, sich vor anderen Menschen zu profilieren. Noch weniger war er auf anerkennenden Beifall aus, dem man ihm in einem Shinobidorf mit gewissen Standards für eine derartig lasche Darbietung keineswegs gezollt hatte. Ihm war schlichtweg langweilig, weil er fertig war. Und sein Team immer noch nicht da.

Außer Itachi. Sie hatten zusammen ihre Sachen gepackt, um eine dreiviertel Stunde nach Tsunades Order am Sammelpunkt zu stehen. Von ihren verbleibenden temporären Kameraden war keine Spur zu sehen.

»Wieso musstest du unbedingt Sakura mitnehmen? Du kennst sie nicht einmal!«

»Vielleicht kenne ich sie nicht«, stimmte Itachi einschränkend zu. Er stand kerzengerade vor seinem Bruder, der mit verschränkten Armen am Westtor lehnte, »Aber ich weiß, wer sie ist. Hokage-sama würde niemals zulassen, dass ihrem wertvollen Schützling etwas zustößt. Zu dritt gegen eine unbekannte Anzahl Akatsuki anzutreten ist ein Risiko, das ich ungern eingehen möchte, zieht man die Möglichkeit von Jiraiya-samas Kampfunfähigkeit in Betracht.«

»Ja«, versetzte Sasuke trocken, »Darum hat sie Naruto mitgeschickt. Wirklich eine reizende Alternative.«

»So reizend, wie mich deine Meinung hierzu interessiert, Sasuke.« Er schnippte ihm gegen die Schläfe – eine Angewohnheit, die er erst entwickelt hatte, seitdem sie im selben ANBU-Team waren – und trat einen Schritt zurück. »Hör' auf zu meckern. Das ist kein Freizeitausflug, sondern eine A-Rank Mission, die ich nur ungern aufgrund eurer persönlichen Disparitäten scheitern sehen möchte. Du weißt, was mit Untergebenen geschieht, die sich meinen Befehlen wiedersetzten. Solltest du die Zusammenstellung des Teams nicht gutheißen, bist du angehalten, hierzubleiben. Ich werde mir dein Gezeter nicht den ganzen Weg über anhören.«

Sasuke behielt sich vor, nicht zu antworten, was Itachi nicht sonderlich störte. Er kannte seinen Bruder besser als jeder andere, und wie bei jedem Uchiha war das Fehlen von Widerworten ein klares Zeichen für stumme Einsicht, die man niemals laut zugeben würde. Es war lange her, seit Sasuke endlich verstanden hatte, dass die meisten Einwende sinnlos waren. Der Klan verlangte Gehorsamkeit seines strengen Regiments, das er mehr als alle anderen auf seinen Schultern spürte, weil er bloß der kleine Bruder des Wunderkindes war. Itachi bezeichnete sich selbst nicht gerne als Wunderkind. Er mochte es nicht, seine Bemühungen abgezogen zu bekommen. Talent hatte er, fürwahr, aber erst durch jahrelanges Training, eisenharte Konsequenz, Verzicht und Schweiß war er zu dem geworden, was er war. Er hatte es für seine Familie getan, für Konoha, um mit all seiner Kraft für sie einstehen zu können. Deshalb war er nicht stolz auf die Leistungen, die er für alle Augen mühelos erbrachte; Sasuke hatte darunter zu leiden, weil Itachi diesen willkürlichen Maßstab viel zu hoch gesetzt hatte.

»Sag mal, Aniki, meinte Otōsan seine Ankündigung letztens wirklich ernst?«

Itachi rekapitulierte für sich das letzte gemeinsame Abendessen. Er schwieg einige Minuten, ehe er sich einer Antwort sicher war. »Ich bin mir nicht sicher. Er würde den Klan nicht in ein aussichtsloses Scharmützel führen, bloß weil unsere Cousine unter der Aufsicht Kumogakures verletzt wurde. Wir wurden alle irgendwann einmal schwer verwundet. Selbst wenn, würde Tsunade-sama ihre Einwilligung niemals geben. Wir haben hier ein schönes Leben aufgebaut, wieso sollte er riskieren, selbiges zu verlieren, indem er seine Familie unerlaubterweise aus dem Dorf führt, um Kumogakure anzugreifen? Du weißt, wie empfindlich er in Asuka-chans Fall ist. Lass ihn einfach reden.«

»Das sagst du so einfach, du bist ja der Erbe.« Sasuke löste die Verschränkung seiner Arme, um sich vom Rahmen des Tores abzustoßen. »Als ich damals von Orochimaru angegriffen wurde, hat er keinen solchen Aufstand gemacht.«

»Hättest du das gewollt?«, fragte Itachi, wohlweißlich, dass es nicht so war. »Otōsan wäre zu Sarutobi-sama gegangen und hätte ihm die Hölle heiß gemacht, wäre dieser Orochimaru nicht unterlegen. Sasuke, versuche nicht, irgendwelche Kritikpunkte aufzuwerfen, die du nicht halten kannst.«

»Könntest du aufhören, mich wie ein kleines Kind zurechtzuweisen? Schlimm genug, dass wir mit meinen alten Teamkameraden unterwegs sein müssen; wenn sie merken, wie du ständig auf mir herumhackst, werden sie mich gar nicht mehr ernst nehmen.«

Itachi lächelte mitleidig. »Armer kleiner Bruder. Wieso interessiert dich die Meinung von Leuten, mit denen du nahezu nichts mehr zu tun hast? Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der freiwillig Kakashi-senpais Team verließ?«

»Tut sie nicht, mach dich nicht lächerlich! Und mich schon gar nicht.«

Sasuke beantwortete die Frage mit einem Schnauben. Itachi wusste, dass er nur eine halbe Wahrheit ausgesprochen hatte. Er gab nicht gerne zu, nicht vorausschauend genug gedacht zu haben, doch in diesem Sonderfall hatte er sich von seinem Genius täuschen lassen. Das Argument, das Sasuke vorbrachte, war dasselbe wie jenes, mit dem Tsunade seine Aspekte versucht hatte abzuschmettern. Er hatte nicht bedacht, dass persönliche Präferenzen oder deren Gegenteil sich auf die Mission auswirken könnten, weil er es gewohnt war, mit einem hörigen Team zusammenzuarbeiten. Gerüchten nach zu urteilen waren Haruno Sakura und Uzumaki Naruto nicht unbedingt seine Definition von bedingungslosem Gehorsam, geschweige denn irgendjemand anderes Definition. Der Jinchūriki hatte den Ruf, seinen Vorgesetzten schon aus Prinzip auf der Nase herumzutanzen. Aber er wäre nicht Uchiha Itachi gewesen, wenn er nicht bereits einen Plan erstellt hätte, mit dem sie diese Mission, die langsam drängte – wo waren die beiden? – auf akzeptable Art durchführen konnten. Vorausgesetzt jeder hörte auf diesen Plan.

»Und es geht los …«, murmelte Sasuke, womit er ihn zurück in eine Realität holte, in der er seinen Plan erst erläutern musste. Was auch immer Sasuke damit meinte, Itachi war schnell klar, wieso er derart kooperationskarg auf seinen Vorschlag, Sakura ins Team zu holen, reagiert hatte. Sie und ihr Kamerad kamen in einem lockeren Sprinttempo die Hauptstraße entlanggelaufen und blieben vor den beiden stehen.

»Hallo, Teme«, grüßte Naruto mit fehlender Begeisterung.

»Hn.«

»Wie eloquent du heute wieder bist«, stichelte Sakura von der Seite. Sie deutete eine respektvolle Verbeugung in die Richtung ihres Captains an. »Wie lange werden wir nach Amegakure brauchen?«, fragte sie, ehe Naruto und Sasuke in Streit verfallen konnten.

»Wenn wir schnell sind, drei Tagesreisen«, antwortete Itachi, der diese Intention gerne unterstützte. »Jiraiya-sama hat etwa einen Tag Vorsprung. Da er als Spion agiert, rechne ich nicht damit, dass er sofort in einen Kampf verwickelt wird, also haben wir einen kleinen Spielraum. Dennoch sollten wir uns beeilen. Die Mission ist klar, Sasuke, Naruto.«

Die beiden beendeten ihren Böse-Starren-Wettbewerb und wandten sich ihm aufmerksam zu. Wenigstens so weit hatten sie den Ernst der Lage verstanden. Es ging hier nicht um irgendjemanden.

»Wir werden uns in Jiraiya-samas Ermittlungen nicht einmischen. Solange er unsere Hilfe nicht braucht, halten wir uns im Hintergrund, vorzugsweise außerhalb der Stadtmauern. Im Fall einer Eskalation schreiten wir schnell und präzise ein: Sasuke und ich halten die Angreifer in Schach, während Sakura-san etwaige Verletzungen kuriert. Uzumaki, du wirst ihr Deckung geben, sodass sie sich gänzlich auf die Heilung konzentrieren kann. Sobald wir eine Möglichkeit dazu finden, werden wir fliehen. Ist diese Aufteilung für jeden in Ordnung?« … wenn nicht, gebt euch dennoch damit zufrieden.

Naruto und Sasuke bestätigten ihre Zustimmung, Sakura haderte mit sich. In der ersten Minute eines Auftrages Einwände gegen die Entscheidungen des Captains, der, nebenbei bemerkt, ranghöher, älter sowie erfahrener war, zu erheben, war keine Unannehmlichkeit, die sie gerne über sich bringen wollte. Sie war nicht einverstanden mit ihrer Position hinter Defensive und Offensive, wo sie keine Chance hatte, sich selbst und allen anderen zu beweisen, dass sie nicht schwach war. Vor allem vor Sasuke war es etwas, das ihr nicht leichtfiel. Aber Itachi war der Anführer. Und sie hatte keine Lust, Verantwortung für ihr mögliches Versagen zu tragen.

»Ja.«

Dann liefen sie los.
 

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Heavy Rain


 

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Sie legten die Strecke in Rekordzeit zurück; Sakura nach wie vor ungeduscht. Bis an die westliche Grenze Hi no Kunis war es mit Itachis Geschwindigkeit bloß ein Katzensprung. Von dort an drosselten sie ihr Tempo. Die Grenze wurde von einer Wolkendecke markiert, unter deren tristem Grau der Regen fiel. Sie waren gut zweihundert Meter davor, versteckt in einem Hain, aus dem sie prüfend heraustraten, um die Gegend zu sondieren. Es gab keine Wachposten, Grenzgänger oder Patrouillen. Bloß diesen Regen …

»Es heißt doch Amegakure no Sato«, stellte Naruto fest. »Wieso ist es so überraschend, dass es regnet?«

Sakura unterdrückte den Impuls, sich ihre Handfläche gegen die Stirn zu schlagen. Ihr blonder Freund hatte diese Wirkung auf Menschen, oder zumindest auf sie. Die beiden Uchihas schienen unbeeindruckt von seinem Grad an Wissenslücken.

»Weil, Naruto –« Dann hatte sie wenigstens die Chance, zu glänzen. »– der Name ebenso beschränkt Programm ist wie in allen anderen Ländern. In Hi no Kuni brennt es nicht, in Tsuchi no Kuni ist nicht alles aus Stein, Mizu no Kuni liegt auf Inseln, nicht im Wasser. Bloß, weil es das Land des Regens ist, bedeutet es nicht, dass die Naturgesetzte außer Kraft gesetzt werden. Mit Wasser aufgeladene Wolken entleeren sich nach einem bestimmten physikalischen Prinzip. Regen hört nicht einfach auf, als schneide man seine Ausläufer ab. Aber das dort –«

»– ist seltsam«, beendete Sasuke unaufgefordert ihren Satz.

»Was du nicht sagst.« Es kostete sie einige Mühe, nicht zu schnippisch zu klingen, als er sich an seinem Bruder vorbei an der Spitze ihrer Gruppe setzte.

»Es gibt Gerüchte«, sagte Itachi. »Sie scheinen sich als wahr zu bestätigen.«

»Welche Gerüchte? Ich weiß von nichts. Mir sagt ja keiner etwas.«

»Weil du es sowieso nicht behalten würdest, Naruto«, zischte Sakura mit vorwurfsvollem Seitenblick auf ihn. Seufzend winkelte sie die Arme zu einer Geste der Offensichtlichkeit aus. »Es ist der Regen, verstehst du?« Er tat es offenkundig nicht.

»Dieser Regen«, setzte Itachi fort, beiläufig die Position seiner Waffen korrigierend, »Ist kein Phänomen natürlicher Vorgänge. Er ist eine Jutsu. Ich tippe auf Kuchiyose. Genauer können wir es erst benennen, falls wir seinen Urheber finden –«

»– was nicht unser Ziel ist«, schärfte sie ihrem blonden Kameraden nachdrücklich ein. Sakura fand es beleidigend, wie dumm Naruto stets dargestellt wurde. Er war herzensgut und intuitiv, aber manchmal musste man ihm gewisse Dinge einfach zweimal sagen. Sie trat an Itachi vorbei zu Sasuke an die Spitze, der mit seinem Sharingan den Regen fixierte. »Kannst du etwas erkennen?«

Er hielt den Blick noch einige Momente, ehe er sein Bluterbe deaktivierte. »Nichts. Wenn es eine Jutsu ist, dann eine sehr subtile ohne viel Chakraaufwand. Vielleicht muss ich auch näher herangehen, um etwas zu erkennen. Nii-san?« Er wandte sich zu seinem Bruder, dessen schwarze Augen schwarz blieben. Augenscheinlich hatte er nicht vor, sein kostbares, im Überfluss vorhandenes Chakra auf lapidare Erkenntnisse zu verschwenden.

»Wir werden uns wie geplant im Hintergrund halten«, entschied er stattdessen. »Sollte dieser Regen Teil eines ausgeklügelten Frühwarnsystems sein, werden sie über unsere Anwesenheit informiert sein, sobald wir in den Radius der Jutsu kommen. Zu viert sind wir zu auffällig. Kommt Amegakure no Sato in Sicht, teilen wir uns in Zweierteams und dringen unbemerkt in das Dorf ein. Wenn wir das geschafft haben, teilen wir uns erneut und suchen einzeln nach Jiraiya-sama. Hat ihn jemand gefunden, verständigt er uns andere über die Funksprecher. Ab jetzt gehen wir lautlos und akkurat vor.«

Sakura nickte mitsamt ihren beiden ehemaligen Teamkameraden. Es war eindeutig eine Mission, geplant von einem ANBU Captain. Ihre zu befolgenden Befehle waren spärlich, aber klar. Sie setzten Eigeninitiative und Intuition voraus, die sie sich gerne zugeschrieben hätte, läge der Maßstab nicht unwahrscheinlich hoch. Itachi war es gewohnt, mit perfekten Shinobi zusammenzuarbeiten. Diesmal hatte er einen übermütigen Jōnin und eine Chūnin als Rückendeckung. Sie fühlte, wie das altbewährte Gefühl der Beklommenheit in ihr empor kroch, wann immer sie sich mit irgendjemanden verglich. Es war nicht die Zeit für Nachdenklichkeit.
 

.

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Der Regen fühlte sich frisch auf ihrer Haut an, obwohl sie diesem Gefühl mit Skepsis gegenübertrat, während sie als dritte in der Reihe vor Naruto durch den Niederschlag lief. Er wusch den Schweiß ab, der von den nervenaufreibenden Stunden im Krankenhaus und Narutos Rasengan-Attacke wie ein Mahnmal auf ihr geklebt hatte. Sie war in erster Linie Iryōnin. Dies war eine Tatsache, die sie nicht abstreiten konnte. Itachi wusste es und er hatte sie auf diese Funktion reduziert. Vor ihrem Aufbruch hatte es sie gewurmt, derart abgestempelt zu werden. Inzwischen war sie froh darüber, hinter der Front bleiben zu können. Dieser Regen machte sie nervös. Er war kalt und stet und prasselte mit einer erschreckend kontrollierten Kontinuität auf sie herab. Man erzählte sich, Sanshōuo no Hanzō sei in den Bürgerkriegen umgekommen. Viele Dinge, die man sich über Amegakure erzählte, passten ebenso wenig zusammen. Hanzō war eine Legende, die man nicht einfach hätte meucheln können. Es gab nur wenige Shinobi, denen Sakura zutraute, Probleme wie legendäre Ninjas aus dem Weg schaffen zu können. Ein paar wenige davon waren ihre Verbündeten. Der Rest Akatsuki.

Ihr Blick huschte unwillkürlich zu Itachi, der die Gruppe über das freie Feld hinweg anführte. Er ahnte dasselbe, so viel war sicher. Wenn sogar sie derart einfach auf diese Schlussfolgerung gekommen war, hatte er es bereits in die ersten Grundzüge seines Plans eingebaut. Dann tauchte Amegakure no Sato vor ihnen auf und Itachi und Sasuke verschwanden.

»Diese Angeber«, murmelte Naruto dicht hinter Sakura. »Denen zeigen wir's, nicht, Sakura-chan? Ero-sennin hat mir eine coole neue Jutsu gezeigt. Schließ lieber die Augen, das wird dir nicht gefallen!« Er ergriff ihr Handgelenk, formte einige Fingerzeichen, die sie in dieser Kombination noch nie zuvor gesehen hatte, und als sie die Augen wieder öffnete, fühlte sie sich schmutzig. Als hätte man sie abgeleckt.

»Das. war. widerlich«, bemerkte sie angeekelt von den Schleimrückständen auf ihrer Haut, die wie der Schweiß zuvor vom Regen weggespült wurden. »Was genau war das?«

»Glaub mir, das willst du nicht wissen, Sakura-chan. Ero-sennins Jutsus mit Kröten sind zwar wirkungsvoll, aber wirklich ekelig.« Er klatschte entschuldigend die Hände zusammen, ehe sein Gesichtsausdruck wieder ernst wurde. Sie befanden sich in einer willkürlichen Seitengasse im Inneren des Dorfes, das nicht den Eindruck einer Heimat von Shinobi machte. Die Häuser waren aus Metall, die Dächer wiesen obskure Ornamente auf, die verrosteten Zahnrädern, Rohren und Leitungen ähnelten, jedoch scheinbar keinen tieferen Zweck erfüllten. Wieso baute man in einem Land, in dem es überdurchschnittlich viel regnete, Häuser aus rostfähigem Material?

»Kommst du klar, Sakura-chan?«

Sie hatte nicht gemerkt, dass Naruto sie unentwegt angestarrt hatte. Mit seiner Frage bot er ihr an, Itachis Befehl zu ignorieren und beisammen zu bleiben. Nicht mit ihr.

»Ja. Wir sehen uns später, Naruto. Pass auf dich auf.«

»Du auch. Bis später.«

Seite an Seite bogen sie aus der verkümmerten Seitengasse, an deren Ende sich ihre Wege trennten. Sakura nahm in einer intuitiven Bestimmtheit die Straße schräg links, zu der einige andere seitlich zuliefen. Sie war karg begangen, die Stände an ihren Seiten waren jedoch gut besucht. Alle paar Schritte strahlte einladendes Licht in den dunklen Nachmittag, welches aus den gefüllten Kneipen, Essensständen oder Läden drang. Beim Duft der herrlichen Onigiri erinnerte sie sich, dass sie aufgrund der von ihr durchgeführten Notfalloperation mit einhergehender Erschöpfung seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen hatte. Itachi war nicht hier, Sasuke ebenso wenig, deshalb war die Versuchung groß, sich irgendwo eine Schüssel Misosuppe zu gönnen, um nebenbei Besucher der Lokalität aushorchen zu können. Sie entschied sich dagegen, als Stimmen Betrunkener hinter einem verhangenen, offenen Stand drangen. So ausgeprägt ihr rhetorisches Durchhaltevermögen auch war, aus einer derartigen Situation würde sie sich nicht mehr herausreden können, falls Itachi sie erwischte.

Hungrig, aber guten Gewissens, setzte sie ihren Weg fort. Der Regen hatte die Kapuze ihres Reisemantels längst durchnässt, was die Strähnen ihres Haares unangenehm an ihr Gesicht klebte. Sie hielt ihre Haar kurz, um praktische Vorteile zu genießen; dass sie manchmal immer noch störten, war anstrengend. Mit einer flüchtigen Geste wischte sie die unordentlichen Strähnen, die ihr Gesicht laut Ino nett umrahmten, zurück, weit in die hintere Ecke ihrer Kapuze, wo sie niemand sehen konnte.

Die Leute, die an ihr vorbeiliefen, um schnell ins Trockene zu kommen, würdigten die Fremde keines Blickes. Sie hatte ihr Hitai-ate längst sicher in ihrem prallgefüllten Hüftbeutel verstaut, wo es niemand sehen konnte. Dennoch wies ihre ganze Erscheinung sie als Kunoichi aus. Dass niemand sich etwas um einen vermeintlichen Eindringling scherte, konnte nur eines bedeuten: sie fühlten sich sicher. Die Frage war: wieso? War dieser ominöse Pain derart mächtig? Oder hatte man sie längst entdeckt?

»Suchst du etwas, mein Kind?«

Sakura drehte sich fragend um, um auf eine zierliche alte Dame zu blicken, die an ihrem niedlichen Souvenirstand auf Käufer wartete. Der breite Tisch war vollgestellt mit Ketten, Handwerksstücken und kleinen Gemälden.

»Nein. Ich bin auf der Durchreise nach Ishi no Kuni und wollte mir das Dorf ansehen«, wehrte sie ab. Es war nicht die beste Ausrede, die ihr einfallen hätte können, doch zumindest die spontanste.

»Wenn es dir hier gefällt, nimm eines von diesen hier mit.« Die Alte reichte ihr einen winzigen hölzernen Wandschmuck, der aussah wie ein verhunzter Traumfänger. »Er hält die bösen Geister fern, wenn der Regen seine Pflicht getan hat. Ich kann dir diesen hier für nur achthundert Ryō verkaufen und wenn du willst, erzähle ich dir ein paar Geschichten dieses Ortes.«

»Das klingt sehr verlockend, Obaa-san, aber ich fürchte, ich bin in Eile.« Mit einer höflichen Verbeugung legte sie den Anhänger auf eine freie Stelle des Tisches und trat zurück auf die Straße, von wo aus sie in den trüben, von Wolken verhangenen Himmel sah, befreite ihre linke Hand von ihrem Handschuh und streckte sie aus, um die herabfallenden Tropfen mit der Handfläche aufzufangen. Kalt und nass. Wie normaler Regen. Plötzlich durchfuhr sie ein Schauer, dessen Ursache sie nicht ausmachen konnte. Es war ein Bauchgefühl, ein schlechtes noch dazu. Sie sah sich von ihrem Platz mitten auf der Straße um, als suche sie etwas bestimmtes. Links von ihr war ein Laufhaus der gepflegteren Sorte, aus dem gedämpftes Gekicher drang. Von dem, was Tsunades Gezeter, Narutos Erzählungen und ihre eigenen Erfahrung mit dem Ero-sennin vermuten ließ, standen die Chancen nicht schlecht, ihn dort anzutreffen. Als Frau mit Anstand konnte sie dieses Etablissement nicht betreten, aber sie konnte warten. Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie sich am Absatz zu der Alten um, die indes eine Knüpfarbeit aufgenommen hatte.

»Wissen Sie, vielleicht habe ich doch ein wenig Zeit.« Es konnte nicht schaden, ein paar alten Anekdoten zu lauschen. So alt wie die Verkäuferin aussah, hatte sie bestimmt einiges zu berichten. »Mit welcher Geschichte möchten Sie anfangen?«

Die Alte sah freudig von ihrer Handarbeit auf. »Ich war sechzehn, als dieser adrett gekleidete Mann in unser Dorf kam. Er stellte sich auf den Vorplatz des Amtsgebäudes und sagte, sein Name sei Sanshōuo no Hanzō …«
 

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Sakura war nicht dumm. Sie sprach nicht nach Gutdünken mit einer Zivilistin aus Amegakure, weil ihr das Wetter so gefiel. Die Alte hatte interessant begonnen, doch sie war, was sie war: eine Zivilistin. Im Nachhinein wusste Sakura nicht mehr, was exakt sie sich erhofft hatte. Gar nichts, wenn sie ehrlich war. Ihr Plan, hier eine Weile auf Jiraiyas mögliches Auftauchen zu warten, war so gut wie jeder andere, nur hatte er leider versagt. Stattdessen wusste sie inzwischen die Namen aller neun Enkelkinder einer Frau, die ihr die Zeit vertrieb. Der Regen fiel nach wie vor auf die durchweichten Straßen. Er machte nicht den Eindruck, als würde er bald verblassen. Jiraiya war entweder schon weg, noch nicht da oder abstinent, denn kein Zeichen hatte auf seine Anwesenheit schließen lassen.

Plötzlich hörte der Regen auf.

Sakura fuhr von dem Hocker auf, den die Alte ihr neben sich angeboten hatte. »Ist das normal?«

In langsamer Schwere schüttelte diese den Kopf. »Pain-samas Regen hört selten so plötzlich auf.«

»Scheiße«, fluchte sie. Es war unhöflich, ohne wohlwollende Abschiedsworte wegzurennen, doch sie hatte dafür keine Zeit. Es war selten gut, wenn ein permanentes Überwachungssystem jäh ausfiel, während der Feind sich in seinem Inneren befand. Sie rannte durch den Matsch, vorbei an exaltierten Dorfbewohnern und alarmierten Shinobi, neben denen sie ihre Kapuze vorsichtshalber tiefer ins Gesicht zog. Wohin sie rannte, wusste sie nicht. Amegakure no Sato war erheblich kleiner als Konoha aber groß genug, um einem verrückten Dorfoberhaupt Verstecke für Folterspielchen zu geben. Eilig betätigte sie den Übertragungsknopf ihres Fernsprechers.

»Naruto, Sasuke-kun, Itachi-san, könnt ihr mich hören?« Sie wartete. Nichts. Die Geräte hatten eine effektive Reichweite von gut neun Kilometern. Das Dorf konnte nicht viel größer sein, also mussten sie sich irgendwo draußen aufhalten.

Eine Explosion lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie kam von Norden, wo sie kurzzeitig die Umgebung erhellte. Etwas lief schief. Und zwar gewaltig. Mit Schritten, die sie schneller trugen, als sie sich zugetraut hätte, durchsetzte sie das Dorf und wich zurück, als eine neue Explosion sie beinahe in die Luft jagte. Die Sprengfalle war sorgfältig am Rand der nördlichen Stadtmauer platziert worden, über der eine Frau schwebte, die die Szene majestätisch überblickte. Eine Szene, die Sakura im ersten Augenblick lähmte. Naruto stand Rücken an Rücken mit Itachi vor sechs Männern mit gepiercten Gesichtern, leuchtend orangefarbenen Haaren und Augen, die ihre Kontrahenten ausdruckslos taxierten. Die Roben der sechs identifizierte sie, wie auch ihre vermeintliche Partnerin, als Mitglieder Akatsukis. Was sie am meisten schockierte, war Sasuke, der seinen glühenden Sharinganblick auf die Frau gerichtet hatte; hinter ihm lag ein lebloser Mann, dessen weiße stacheligen Haare bloß zu Jiraiya gehören konnten.

Vor ihr tobte ein humaner Orkan.
 

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Itachi wich zurück. Selten hatte es jemand geschafft, dass er seine Position unfreiwillig korrigieren musste. Sechs gegen zwei war unfair, vor allem, wenn sechs davon Akatsuki waren. Es war kein Zufall gewesen, dass sie Jiraiya gefunden hatten. Die Schwingungen der pulsierenden Chakraausstöße waren für sensible Sinne nicht schwer zu orten gewesen. Er war bloß eine halbe Minute vor Sasuke dagewesen, der aufgrund seines Sharingans eine Kuchiyose auf Jiraiyas Position ausgemacht hatte. Über das blinde Vertrauen in sein gepriesenes Bluterbe würden sie später sprechen.

Einer der orangehaarigen Ninjas rief ein überdimensioniertes Vieh herbei, das Naruto mithilfe einer Riesenkröte schon im Entstehen zerstückelte. Es war schier unglaublich, welche zwei riesigen Mengen Chakra aufeinanderprallten und einen Sturm entfesselten, der Itachi weiter zurückspringen ließ. Er aktivierte seine Sharingan, tauchte vor einem seiner Feinde auf und verbrannte ihn mithilfe einer eindrucksvollen Katonjutsu. Der Akatsuki taumelte nach hinten, rauchend und verkohlt, und zerbröckelte in seine Überreste.

Narutos Wutschrei sagte ihm, dass dem Jinchūriki etwas nicht passte. Mit einem zweiten Wutschrei stürzte er sich zusammen mit einer kleineren Kröte auf einen weiteren Akatsuki und verwickelte ihn in ein Ninjutsu-Taijutsu-Gefecht. Für Itachi selbst ließ das vier, die ihn einkreisten.

»Also schön«, sagte er unbeeindruckt, festigte seinen Stand, zog vier Kunai aus seinem Waffenbeutel und warf sie in gezieltem Abstand auf die verbleibenden Akatsuki. Wie erwartetet wichen sie den Wurfgeschossen aus, was ihm Zeit gab, Chakra für eine neue Jutsu zu sammeln.

»Katon!«, schallte es über das freie Feld, auf dem es vor Kröten und orangehaarigen Ninjas nur so wimmelte. Gediegener komplettierte er den Namen der Technik, als wäre sie eine lächerliche Anfängerjutsu. »Gōryūka no Jutsu!«
 

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Mit aller Kraft und Chakra, die Sakura in ihre Beine pumpen konnte, stürzte sie nach vorne, wich den drei Sprengfallen aus, schützte ihre Augen vor der sengenden Hitze, die in einem gewaltigen Radius um ihren Anwender schoss, und verließ sich auf Sasuke, der sie vor herabsausendem Papier bewahrte. Die wenigen Origamifetzen, die seiner Defensive entgingen, wurden von den Ausläufern der Gōryūka no Jutsu verbrannt, noch bevor sie den Erdboden berührten. Auf genau diesen ließ sie sich mit hektischem Schwung neben Jiraiya auf die Knie fallen. Sie hatte keine Zeit, um beeindruckt von der Intensität der Katonjutsu und den erdrückenden Chakren zu sein, die von Naruto, Itachi und dem Akatsuki aus die Luft auf dem Schlachtfeld beschwerten.

»Hilf ihm, Sakura! Ich kümmere mich um Konan!«

»Wen?«

»Diese blauhaarige Tusse da oben. Jiraiya-sama nannte sie Konan. Wir vermuten, dass einer der gruseligen Shinobi dieser ominöse Pain-sama ist.«

Sakura nickte die Irrelevanz dieser Konversation hinweg und wandte sich ihrem Patienten zu. »Jiraiya-sama!«, rief sie streng aus rauer Kehle, während sie seinen Puls fühlte. Er war kaum vorhanden, aber immerhin noch da. Solange dieses winzige Detail stimmte, konnte sie ihm helfen. »Wie lange liegt er schon da, Sasuke-kun?«

»Eine Minuten höchstens«, schätzte er. Konan machte über ihm keine Anstalten, anzugreifen. Sasuke selbst hatte wider seinem Drang nicht vor, Itachis Befehle zu ignorieren. »Ich fand ihn in einem der Gebäude im inneren Teil der Stadt, da war er schon bewusstlos. Itachi und ich konnten ihn gerade noch retten und den Kampf nach hierhin verlegen. Wird er überleben, Sakura?«

»Keine Ahnung.« Sie hätte ihm gerne optimistischere Aussichten mitgeteilt, doch Jiraiya sah alles andere als lebendig aus. Unter den oberflächlichen Wunden war seine Körpertemperatur gefährlich abgekühlt, sein Puls viel zu schwach und auf den ersten Blick schätzte sie, dass er sein gesamtes Chakra verbraucht hatte. Mit einer kontrollierten Bewegung ließ sie ihre Handfläche über seinen Oberkörper kreisen, um seine Körpertemperatur auf einen stabilen Wert zu bringen. Mit der anderen Hand schnallte sie ihre medizinische Versorgungstasche ab, die sie neben sich ausrollte. Gegen Chakraverbrauch gab es kein Heilmittel, das sie in dieser Situation verwenden konnte. Sie mussten hier weg.

Von der anderen Seite drangen Schlachtrufe an ihre Ohren, die eindeutig von Naruto stammten. Er bedachte die mittlerweile nur mehr vier Männer, gegen die er mit Itachi kämpfte, mit wüsten Schimpfwörtern und verpulverte sein unermessliches Chakra mit einer unaufhörlichen Kette von Rasengans, die mit erschreckender Regelmäßigkeit ins Leere gingen. Der Plan sah vor, mit Jiraiya zu verschwinden, doch die fünf Akatsuki ließen keine Lücke in ihrer Formation.

An Flucht war nicht zu denken.

Sasuke wich Konans Attacken zwar aus, doch sein Katon, das eigentlich einen immensen Vorteil gegen ihr Papier haben sollte, verfehlte seine Wirkung. Er war stark, er war ein Uchiha, aber er konnte nicht alleine gewinnen; das hatte der Plan nie vorgesehen. Sakura wusste, dass er es mit ihrer Unterstützung vielleicht schaffen könnte, einige kritische Treffer zu landen, doch sie musste Jiraiya helfen. Sie konnte es, auch das wusste sie. Es gab einen Weg, einen einzigen, wie er dieses Maß an Chakraverlust überleben konnte …

»Deckung!«, hallte Itachis Stimme plötzlich über das Schlachtfeld. Noch als die letzte Silbe ausklang und Sakura sich fragte, wem dieser Befehl galt, fegte eine Druckwelle über sie hinweg. Aus reinem Reflex warf sie sich über ihren Patienten. Steine, Schlamm, Regenwasser und Hitze überrollten, verbrannten und durchnässten sie. Sasuke stand über sie gebeugt mit dem Rücken zum Epizentrum der Explosion, die Itachi hätte treffen sollen.

»Nii-san!«, brüllte er entsetzt im selben Moment, als Sakura Narutos Namen schrie. Die beiden waren von der Explosion schwer mitgenommen, aber sie waren noch auf den Beinen. Konan war verschwunden. Drei der Orangehaarigen standen unversehrt vor ihnen, die Hände zu einer unbekannten Jutsu erhebend. Sakura wusste in diesem Augenblick, wie Sasuke sich fühlte. Sie konnte verstehen, wieso er bar jeder Deckung auf die drei zuraste und sich auf einen der Gegner warf, der mit diesem Überraschungsangriff nicht gerechnet hatte. Er machte keinen Laut, als Sasukes Gōkakyū no Jutsu ihn mit all seiner Kraft traf.

Sakura wandte sich voller neuer Konzentration wieder Jiraiya zu. Er atmete schwach unter dem Ballast ihres schützenden Körpers, den sie mühsam erhob, um den ersten Schritt der Behandlung einzuleiten.

Ein Luftzug aus dem Nichts streifte ihre Wange.

Sakura wusste nicht, wie sie so schnell hatte reagieren können, doch als sich ein Haufen willkürlicher Zettel binnen Bruchteilen einer Sekunde vor ihr materialisierte, schaffte sie es gerade noch, nach hinten auszuweichen, ehe der Papierstrom sie treffen konnte. Konans beinlose Gestalt schwebte wenige Zentimeter über den Erdboden, noch immer mit majestätischem Blick, als könne ihr kein Mensch der Welt etwas antun. Das würde Sakura ändern. Sie hatte schon einmal einen Akatsuki getötet; ein knappes Jahr später war sie sogar noch stärker.

Sie streifte sich den vorhin ausgezogenen linken Handschuh wieder über, fixierte seine Lasche und zog den anderen fest, sodass er um ihre Knöchel spannte, als sie ihre Hand zur Faust ballte. Konan war schnell; sie hatte eine übergroße Origamifigur erzeugt, die sich weiter mit Papier anreicherte. Dies war kein Kampf, dies war ein Schachzug. Sakura würde nicht den Fehler machen, ihn mit der Intention zu gewinnen zu bestreiten.

Konan breitete die Hände aus und ihr Körper deformierte sich erneut zu hunderttausenden Papierstreifen, die wirr um Sakura herumflattern. Sie musste ihre Augen zusammenkneifen, um sie vor den scharfen Kanten des Wirbels zu schützen, in den ihre Gegnerin sie eingeschlossen hatte. Zwei Sekunden, länger brauchte sie nicht, um zu eruieren, wie sie aus diesem Strudel gelangen konnte. Nach allem war es nur Papier. Vereintes Kampfgeschrei von Naruto und Sasuke vom zweiten Ort der dichotomen Konfrontation schallte durch die feuchte Luft und durchdrang das tosende Flattern, das die Zettel erzeugten.

Sakura hatte keine Zeit zu verlieren. Mit einem kräftigen Tritt stieß sie sich vom Boden ab, sprang in die Luft, durchbrach die Mauer und raste mit erhobener Faust auf das schnell anwachsende Origami nieder, das mit ihrem chakraverstärkten Schlag in seine tausend Einzelteile zerstob. Konans halbmenschliche Form war direkt hinter ihr; ein schwerer Fehler. Sie drehte sich mit dem verbleibenden Schwung um, hob ihr Bein, verfehlte wie geplant und nahm den neuen Schwung, um einen gezielten Treffer in Konans makelloses Gesicht zu landen. Sie taumelte nach hinten, wo Naruto urplötzlich auftauchte und ein Rasengan durch ihren Rücken trieb. Wo es auftraf, teilte sie sich in Papier und als es verloschen war, war sie verschwunden.

Sakura sank erschöpft auf ihre Knie, bloß um sich von ihrem blonden Freund sofort wieder aufziehen zu lassen. Sie hatte ihr Chakra für diese Kombinationsattacke verbraucht, was an sich kein Problem gewesen wäre, wenn er sie nicht zu Jiraiya gelotst hätte, der nach wie vor regungslos am nassen Boden lag.

»Kannst du ihm helfen, Sakura-chan?«

Ehe sie antworten konnte, kniete Sasuke neben ihr. »Bist du verletzt?« Seine Hand an ihrem Oberarm zitterte vor Erschöpfung. Sie schüttelte den Kopf.

»Es geht mir gut.«

»Gut. Naruto, diese drei Akatsuki flohen zurück in die Stadt! Wie viel Chakra hast du noch übr –« Er verstummte jäh, als Narutos Faust auf sein Gesicht traf.

»Teme! Wie konntest du Sakura-chan schutzlos dort zurücklassen?!«, keifte der Blonde aufgebracht. Weder Sakura noch Itachi, der nach der Beseitigung verräterischer Kampfspuren zu seinem Team aufgeschlossen hatte, machten Anstalten, die beiden zu trennen. »Kannst du mir verraten, ob du dein Hirn gekauft oder gewonnen hast?! Sie hätte draufgehen können, weil du sie vernachlässigt hast!«

Sasuke sah von dieser Wahrheit ungerührt an ihm vorbei zu seinem Bruder. »Itachi, es tut mir leid.« Daraufhin ließ Naruto ihn mit einem abfälligen Zischen los.

»Das sollte es auch.« Itachis Stimme war, trotzdem er sie eben hielt, durchdringend wie ein Bohrer, der durch weiches Holz drang. »Deine Aufgabe war es, Sakura-san zu schützen, um ihre Kräfte für Jiraiya-samas Heilung zu schonen. Du hast deinen Posten verlassen, Sasuke. Das ist Insubordination. Niemand verfolgt irgendjemanden. Unser Auftrag lautete, Jiraiya-sama zu unterstützen. Genau das werden wir tun.« Er nahm den Sanin auf seine Arme und bedeutete seinem Team, ihm zu folgen. Vor den Toren eines Dorfes war es nicht sicher; vor allem, nachdem man dort ein Schlachtfeld aufgewühlt hatte.

Etwas abseits hinter einem Hügel legte er seine Last ab und trat zur Seite, um Sakura an ihren Patienten heranzulassen.

»Wird er wieder, Sakura?«, fragte Sasuke, der Itachis desavouierenden Blick diesmal hielt.

»Wenn nicht, ist es deine Schuld«, sagte dieser. »Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst. Sakura-san hätte verletzt werden können. Für einen Iryōnin ist es unabdinglich, selbst bei körperlicher Gesundheit zu bleiben, vor allem, wenn man wenig Chakra hat.«

»Hey!«, warf sie mit vor der Brust erhobenen Händen ein. »So wenig Chakra habe ich nicht, wenn ihr mich nicht mit euch, sondern mit dem Durchschnitt vergleicht. Sasuke-kun wollte dir helfen, Itachi-san. Und im Endeffekt ist niemand zu Schaden gekommen. Ich kann Jiraiya-sama zumindest soweit stabilisieren, dass er durchhält, bis wir in Konoha ankommen.« Sie nickte auf den Verletzten hinab.

»Was hast du vor?«, fragte Itachi sie skeptisch. Nicht grundlos.

»Ich werde meine Reserven verwenden, um eine Art provisorische Übergangsversorgung zu kreieren, die Jiraiya-samas Chakrakreislauf fürs erste konsolidiert. Es ist keine Endlösung, aber zumindest eine Patentmaßnahme für kritischen Chakramangel.« Während sie sprach, hockte sie sich neben ihren Patienten und breitete ihre Handflächen über seiner Stirn aus, sodass sie sein halbes Gesicht bedeckten. »Naruto, wärst du so freundlich?«

Er nickte zwar, wurde jedoch von Itachi unterbrochen. »Ich möchte wissen, welche Auswirkungen dieses Verfahren auf deinen Zustand hat.«

Sie hatte befürchtet, dass er das fragen würde. Natürlich hatte er das Grundprinzip, auf dem ihr lebensrettender Kniff beruhte, längst durchschaut. Lügen brachte nichts.

»Ich werde das Höchstmaß meines eigenen Chakras über eine Abwandlung von Shōsen no Jutsu in Jiraiya-samas Chakrakreislauf transfundieren, wo es die dringendsten lebenserhaltenden Aufgabe seines fehlenden Chakras für einen Zeitraum von etwa –« Sie überschlug ihre Kraftreserven schnell. »– drei oder vier Tagen übernimmt.« Itachis Blick war noch immer auf sie gerichtet. Verdammt. Er hatte verstanden, was diese offiziell nicht anerkannte Technik mit ihr machte.

»Ich erteile meine Erlaubnis für dieses Verfahren nicht«, entschied er. Sakura stutzte.

»Wir haben keine Zeit für Diskussionen oder Machtbehauptungen, Itachi-san! Hier geht es um das Leben von Jiraiya-sama! Ich kann ihn nicht sterben lassen!«

»Das sollst du auch nicht, Sakura-san«, berichtigte ihr Captain sie mit einer Ruhe, die ihr ungeheuer war. »Wie lange dürften wir maximal nach Konoha brauchen, um Jiraiya-samas Leben zu retten?«

Sie warf unwirsch die Hände in die Luft. Wenn er so fragte … »Zwanzig Minuten! Es ist unmöglich! Ich brauche deine Einwilligung für dieses Verfahren nicht, Itachi-taichō. Die Entscheidung über medizinische Behandlungen liegt nicht beim ANBU Captain, sondern beim leitenden Iryōnin und der bin glücklicherweise ich! Ich weiß, was ich tue, falls du vergessen hast, wer ich bin. Vielleicht bin ich nicht die Stärkste und Schnellste in diesem Team, aber ich bin derzeit die einzige, die Jiraiya-sama retten kann. Dieses Recht lasse ich mir nicht nehmen. Naruto, bist du bereit?«

Nachdem er sich neben sie gekniet und seine Zustimmung gegeben hatte, begann sie damit, ihre Chakrareserven zu bündeln und in größer werdenden revitalisierenden Stößen, die an Jiraiyas schwachen Herzschlag angepasst waren, durch einen der Knotenpunkte zu schleusen. Zu viel Chakra zu geben hatte sie nicht; noch weniger, als ihr lieb war.

»Maximal … drei … Tage«, keuchte sie unter schwächer werdendem Bewusstsein. Mit zunehmendem Chakraverbrauch erhöhte sich der Herzschlag in ihrer Brust, um den schnellen Verlust zu kompensieren. Der erhöhte Puls zusammen mit dem schummrigen Gefühl der Taubheit war ein sicheres Indiz für jeden Shinobi, an die Grenzen seiner Kraft zu stoßen. Sakura wusste, wie sie darüber hinausgehen konnte. Es dauerte sieben Minuten, bis kalter Schweiß auf ihrer Stirn stand und sie spürte, wie sich ihr Bewusstsein in einer schlenkernden Linie ihrer Greifbarkeit entzog. Narutos Arme, in denen sie landete, war das letzte, das sie mitbekam. Sie verströmten ein geborgenes, wohliges Gefühl, in dem sie gerne ihrer Erschöpfung erlag.
 

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Itachi beschloss nach acht Stunden, dass Jiraiya schwerer war, als er aussah. Mit seiner vielschichtigen Kleidung und der breiten Statur, die von Muskeln gleichwohl wie von Fett durch das ein oder andere Saufgelage gekennzeichnet war, wog er locker doppelt so viel wie Itachi selbst, der Sasuke seit ihrem Aufbruch keines absichtlichen Blicks gewürdigt hatte. Da Naruto die bewusstlose Sakura trug – sie würde ihre Schelte schon noch bekommen – und er selbst Jiraiyas Ballast um die Schultern befestigt hatte, sicherte sein immer noch viel zu naiver Otōto die Umgebung, indem er einige Meter voranlief.

Sie hatten die Grenze zu Hi no Kuni gerade passiert, als der Regen hinter ihnen wieder anfing, gerade spät genug, um sie nicht weiter zu durchnässen. Itachi war kein Iryōnin, aber ein jeder Laie wusste, dass es nicht förderlich für den Genesungsprozess war, wenn die Körpertemperatur weiterhin sank. Er drosselte seine Schritte, mit denen seine beiden Kameraden bislang mühelos mithalten konnten und wartete in schnellem Wanderschritt, bis Sasuke die nächsten beiden Kilometer gesichert hatte. Als dieser wiederkam, wusste er, was er zu erwarten hatte. Mit widerstandslosem Gehorsam reihte er sich in die Formation ein, die ihn direkt neben Itachi brachte. Naruto ging schweigend hinter ihnen, ohne Interesse zu zeigen.

»Leg' schon los, Nii-san.«

Itachi konnte nicht zufrieden mit dieser Aufforderung sein. Dass Sasuke wusste, was er falsch gemacht hatte, war offensichtlich. Dass er nach wie vor dachte, es sei richtig gewesen, schrie förmlich aus seinen geraden Schultern heraus.

»Ich werde einige Dinge übergehen und gleich zum Wesentlichen kommen: ein Mitglied meines Kaders hätte sterben können, wenn ein anderes seine Befehle nicht missachtet hätte. Bloß weil ein weiteres ebendies getan hat. Sasuke, ich akzeptiere die Möglichkeit, einen Toten in meinem Team zu verbuchen, nicht. Du weißt, wie effizient meine Strategien sind.«

»Du hättest sterben können –«

»Mach dich nicht lächerlich«, schnitt Itachi ihm den Protest ab. Seine Stimme war wie immer glatt und eben, aber mit einer Eindringlichkeit, die sogar Naruto hinter ihnen nicht verborgen blieb. »Denkst du, ich könnte mich zusammen mit einem Jinchūriki nicht gegen ein paar Explosionen verteidigen? Du hast deine Emotionen über deinen Auftrag gestellt. Ich hätte von deinen ehemaligen Teamkameraden diese Undiszipliniertheit erwartet, aber nicht von einem festen Mitglied meines Teams, nicht von einem Uchiha und schon gar nicht von meinem kleinen Bruder.«

Sasuke schnaubte verächtlich. »Du weißt ganz genau, dass du meine Hilfe brauchtest –«

»Sakura-san brauchte sie dringender. Dein Auftrag lautete, Sakura-san Schutz zu bieten, damit sie sich um die Heilung Jiraiya-samas kümmern konnte. Wenn die beiden sterben, weil du dich geweigert hast, meinen Befehlen zu folgen, wirst du die Schuld dafür auf dich nehmen müssen. Ich denke nicht, dass du das willst, oder, Sasuke?«

»Nein.« Er trat im Gehen auf den Boden.

»Hey, ihr da vorne!«, mischte Naruto sich von seiner Schlusslichtposition ein. »Hört lieber auf, von Sakura-chans Tod zu sprechen. Sie stirbt schon nicht so leicht. Selbst wenn ich nicht eingegriffen hätte, hätte sie diese Konan fertig machen können. Es wäre nett, wenn du ein wenig mehr Vertrauen in deine Leute setzen könntest, Uchiha. Man beschwört das Ableben der Lebenden nicht so einfach herauf.«

Itachi schulterte Jiraiya neu, der während dem Drosseln des Tempos verrutscht war. Sie hielten einen schnellen Marsch, um nicht in wenigen Stunden in die Verlegenheit zu kommen, eine bewegungslose Pause zu brauchen. »Ich bin realistisch, Naruto-san«, erwiderte er wahrheitsgemäß. Selbst wenn dieser Junge ein Jinchūriki war, er war immer noch sein Untergebener, bis sie diese Mission abgeschlossen war. »Und ich dulde keine Missachtung meiner direkten Befehle. Sasuke, wie oft habe ich dir gepredigt, dass es nicht gut ist, sich zu sehr auf das Sharingan zu verlassen?«

Seinem Bruder entfuhr bei der mentalen Durchzählung ein weiteres verächtliches Schnauben. Er wusste nur allzu gut, wie häufig er mit seinem Doujutsu gegen Itachi verloren hatte, obwohl dieser lediglich Ninjutsu und Taijutsu angewandt hatte. Es war frustrierend, so weit unter jemandem zu stehen, zu dem man aufblickte. Itachi war sich dessen bewusst. Es war Sasukes eigene Schuld.

»Ein Kekkei Genkai«, fuhr er fort, »Birgt genau genommen mehr Nachteile als Vorteile in sich. Du weißt, wie schwierig es ist, sich nicht vollständig darauf zu verlassen. Das Sharingan ist stark, aber nicht allmächtig. Wenn du meinem Rat gefolgt wärst und dein Taijutsu trainiert hättest, müsste der Captain des Teams nicht den Körper eines bewusstlosen Sannin tragen.«

Sasuke schnaubte zum dritten Mal verächtlich, womit Itachi sich zufriedengab. Er kannte ihn lange genug, um zu wissen, wann er gegen eine Wand sprach. Das Thema war noch lange nicht erledigt. In vielerlei Hinsicht. Sasukes unerlaubte Eigeninitiative würde ein privates Nachspiel haben, das dieser sich lieber noch nicht vorstellen wollte; die Weigerung, Einsicht zu zeigen, ebenso. Doch hinter all diesem Chaos, das er, Naruto und Sakura mit ihrer willkürlichen, selektiven Ignoranz des Plans verursacht hatten, waren sie heil aus dem Radius des Feindes gelangt, ohne schwerere Verletzungen davon zu tragen. Itachi würde diesen überraschenden Umstand berücksichtigen. Chaos führte normalerweise zu noch mehr Chaos, was in weiterer Folge Versagen prophezeite. In diesem speziellen Fall hatte es zu einem anderen, wenngleich qualitativ gleichwertigen Ergebnis geführt, das er rein pragmatisch in keinster Weise bemängeln konnte.

»Macht Sakura das eigentlich öfters?« Sasuke hatte sich nach hinten fallen lassen, um auf gleicher Höhe mit Naruto zu sein. Er bedachte die rosahaarige Kunoichi mit einem abschätzigen Blick. Sie sah in all ihrer Erschöpfung auf eigenartige Weise so etwas wie schön aus. Kein Vergleich zu dem liebestollen Geninmädchen, das er vor neun Jahren zurückgelassen hatte.

»Das geht dich gar nichts an, Sasuke«, brummte Gefragter stur. »Wir sind kein Team mehr, also wirst du nie wieder in die Verlegenheit kommen, es erneut zu erleben.«

»Sie sah ziemlich routiniert darin aus«, beharrte er. Naruto beschleunigte seine Schritte, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Sein fester werdender Griff um seine Teamkameradin zeugte von seiner Weigerung, nicht weiteres zu verraten, was Itachi in gewisser Hinsicht verstand. Es war kein Geheimnis, dass zwischen Uzumaki Naruto und Haruno Sakura ein tiefes Band der Verbundenheit wurzelte, hatten sie doch seit nahezu einem Jahrzehnt jede Mission gemeinsam bestritten. Sie waren mehr als nur Teamkameraden. Sie waren Freunde. Eine heikle, aber mächtige Eigenschaft, die sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich brachte. Es war nicht im Sinne des Ninjakodexes, sich für andere aufzuopfern. Nichtsdestoweniger empfand er Anerkennung für Sakuras Einsatz. Es gehörte sehr viel Selbstüberwindung dazu, seine Grenzen derart zu überschreiten und dabei auch noch eine kontrollierte Jutsu so lange aufrechtzuerhalten, bis nur mehr exakt das höchstwahrscheinlich ungefährliche Mindestmaß an Chakra im eigenen Körper blieb. Sein Bewusstsein derart lange zu forcieren, wo andere es längst verloren hätten, war auf eine Art und Weise beeindruckend, die er partout nicht für lobenswert empfinden konnte. Dies war der Fluch der Iryōnin, die seines Erachtens nach keine richtigen Shinobi waren. Ihr Leitspruch initiierte sie regelmäßig dazu, sich für ihre Patienten selbst in Lebensgefahr zu begeben. Dies war nicht, wozu ein Shinobi ausgebildet wurde.

Itachi warf einen flüchtigen Blick auf die Bewusstlose, deren Kopf friedlich auf Narutos Schulter lag. Dieser hatte inzwischen die Führung innerhalb des gesicherten Bereichs übernommen, um Sasuke nicht mehr sehen zu müssen. Sie sah aus, als schliefe sie einen Erholungsschlaf, doch ihre Chakrasignatur strafte ihre Worte Lüge. Während er ihr Chakra auf seinem Rücken in Jiriayas System fleißig vor sich hinarbeiten spürte, war ihr eigenes Chakraniveau unter jeder leichthin spürbaren Schwelle. Hätte er nicht gewusst, dass es da sein musste, weil sie immer noch atmete, und sich darauf konzentriert hätte, es als Zeichen ihrer Lebendigkeit zu überprüfen, hätte er geschworen, sie besäße keines.

Das war beeindruckend leichtfertig, dumm und er konnte beim besten Willen nicht gutheißen, was sie getan hatte. Dass ihre vorangegangene Argumentation Schwachsinn war, wusste sie gewiss so gut wie er selbst. Diese Frauen! Nein, Kunoichis. Iryōnin!

»Tsk.«
 

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Here's To Us


 

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Sakura erwachte mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Die Nachwirkungen des Chakraentzuges lasteten schwer auf ihren von der Bewusstlosigkeit abgestumpften Sinnen. Kopfschmerzen, Übelkeit, ein Ziehen im Magen, Gliederschmerzen und taubes Kribbeln in ihrem Inneren waren nur wenige Symptome, die sie vor dem ersten Augenaufschlag benennen konnte. Lichtsensibilität gleich danach.

Sie kniff die Augen unter trägem Grummeln zusammen. Naruto hatte ihre erwachenden Bewegungen längst mitbekommen und seinen Griff um ihre Kniekehlen verstärkt. Sie ließ ihren Kopf seitlich auf seine Schulter rollen, sodass nicht länger ihr Kinn, sondern ihre Wange darauf lag. Ihr Kiefer pochte von der Druckstelle, die sich während Narutos holprigem Gang gebildet hatte. Ihr war egal, dass ihr Captain längst über ihr wiedererlangtes Bewusstsein im Bilde war. Sie wollte bloß noch fünf Minuten diese vertraute Nähe spüren, die sie mit keinem anderen Mann außer ihrem einzigen und besten Freund derart innig genießen konnte. Nach allem war es Narutos Verdienst, dass ihre Beziehung so eng geworden war.

Es war lange her, seit sie angefangen hatte, mehr in ihm zu sehen als einen verblendeten Taugenichts voll unwillkommenem Tatendrang. Er hatte ihr die bösen Worte nie nachgetragen, ebenso wenig wie ihre eigene Verblendung, in der sie aus Prinzip fortwährend Partei für Sasuke ergriffen hatte. Uzumaki Naruto hatte sich den platonischen Platz in ihrem Herzen mühsam erkämpfen müssen, wie auch die Anerkennung des ganzen Dorfes. Egal wie sehr sie ihn verachtet hatten, er war sich treu geblieben; seinen Idealen, Maßstäben, Träumen und letzten Endes dem, was heute alle an ihm bewunderten. Sie war froh, seine beste Freundin zu sein. Zu seiner Familie zu gehören.

Drei Minuten, länger konnte sie sich nicht dazu bringen, mit derart wohlwollenden Worten an den Mann zu denken, der sie nach wie vor kommentarlos trug. Ihre Finger tippten leicht gegen seine Brust, während ihre Beine sich anspannten und sie sich zwang, den brummenden Kopf in eine aufrechte Position zu bringen.

»Lass mich runter.«

»Wir sind bald da, Sakura-chan«, erklärte Naruto, eine subtile Aufforderung mitschwingend. »Du solltest dich noch etwas ausruhen. Unser jetziges Tempo könnte ein Problem für deinen Zustand sein.«

Mit mehr Bestimmung spannte sie ihren Körper an, um ihm das ungesagte Gegenteil zu beweisen. »Ich bin Iryōnin, keine Invalide. Das sind sechzig Prozent andere Buchstaben. Wie lange war ich bewusstlos?« Sie schielte unbemerkt zu Itachi, um seine Reaktion zu testen. Sie war nicht vorhanden – er lief mit konzentriert nach vorne gerichtetem Blick schräg vor ihr. Hinter ihnen schloss Sasuke in einigem Abstand die Formation, in der sie sich schnell durch die westlichen Wälder bewegten.

»Etwa dreißig Stunden«, rechnete Naruto. »Du hast diesmal mehr Chakra verbraucht als sonst.«

»Jiraiya-samas internes System ist enorm komplex.« Sakura erinnerte sich vage an die vielen Verzweigungen, die sich darin befunden hatten. Es war ein Labyrinth für ihre geschulten Sinne gewesen. Sie hatte einst an Tsunade eine Heiljutsu durchführen dürfen; je mächtiger ein Shinobi war, desto verwobener waren die Bahnen des Energieversorgungssystems. Eine wahrhaft lästige Angelegenheit. Diffizil noch dazu.

»Wird Ero-sennin wieder okay, Sakura-chan? Uchiha verlangt alle fünf Stunden eine Pause von unserem Laufschritt. Wir wären längst in Konoha.«

»Wären wir nicht.« Sakura schlang sich ohne seine Erlaubnis aus seinem Halt, stieß sich von seinem Rücken ab und landete auf einem unter ihr hervorragenden Ast, von dem aus sie sich dem aktuellen Tempo anpasste. Es war lockerer Eilschritt; nichts, das sie nicht ein paar Stunden durchhalten konnte. Dreißig Stunden boten genügend Zeit, ihre Reserven zu regenerieren. Um zu laufen, brauchte sie ihr Chakra auch nicht unbedingt. Sie war physisch genügend trainiert, um mithalten zu können. In diesem Bewusstsein holte sie zu Itachi auf, auf dessen Rücken ihr bewusstloser Patient lag. Sie konnte ihr Chakra in seinem System arbeiten spüren – es fühlte sich seltsam an, wie eine außerkörperliche Erfahrung mit ihrer eigenen Physis erlebt. Kontrovers und in sich interessant, hätte sie Jiraiyas Gesundheit nicht sehr viel mehr beschäftigt.

»Was kannst du über seinen Zustand sagen?«, wollte Itachi wissen. Erneut dieser Befehlston, der diesmal leider angemessen war. Er war verärgert, soweit konnte sie seine Stimmung beurteilen. Nein, nicht verärgert. Verstimmt? Es war eine eigentümliche Mischung, mit der er diese Frage stellte. Sie schüttelte ihre Neugierde zu seiner Person mit Mahnung an sich selbst ab. Uchiha Itachi war nicht ihre Liga. Mit derartigen Menschen wollte sie gar nicht erst mehr zu tun haben als unbedingt notwendig.

»Nicht viel mehr als in Amegakure. Soweit ich es mit meinen begrenzten Möglichkeiten untersuchen kann, würde ich ihn als schwach, aber stabil beurteilen. Die Chakratransfusion hat ihr Nötigstes getan und wird ihn unter den Lebenden halten, solange sie nicht aufgebraucht ist. Ein paar Stunden noch, in denen wir uns lieber beeilen sollten.«

Er sah weiterhin geradeaus. Sakura konnte sich nicht davon abhalten, ihm einen Seitenblick zu schenken, dessen Sinn sie nicht recht definieren konnte. Sie erwartet etwas von ihm, das er ihrer Meinung nach zurückhielt. Nicht, dass sie sich anmaß, die Uchihas wie Bücher lesen zu können. Sasuke war ein Buch mit sieben Siegeln und Itachi war noch sehr viel spezieller. Aber sie konnte sehen, wenn ein Dōjutsunutzer etwas unterdrückte. Das war der Nachteil an Augentechniken: sie setzen sich in Fähigkeiten, Kampftechniken und vor allem Verhaltensweisen fest. Ihr lag eine provokative Aufforderung, seine Gedanken endlich auszuspucken, auf der Zunge. Itachi war nach wie vor der Leiter dieser Mission. Ihr direkter Vorgesetzter. Also schluckte sie es herunter und zählte, bis er von selbst damit anfing. … siebenunddreißig, achtunddreißig, vierzig, einundvier –

»Sakura-san.«

Da war es auch schon.

»Ich hoffe, dir ist bewusst, dass deine Handlungen Insubordination waren. Ich dulde in meinem Team kein inadäquates Verhalten, ebenso wenig wie das Untergraben meiner Autorität. Ich werde diesen Umstand Hokage-sama im Zuge meines offiziellen Reports melden, sobald wir zurück in Konohagakure sind.«

Sie versuchte, nichts darauf zu antworten. Sein Ruf eilte ihm weit voraus und seine Korrektheit war keine Überraschung. Ebenso wenig der daraus resultierende schwarze Punkt auf ihrer mentalen Gehorsamkeitsliste, den er aufklebte. Seit Sakura sich auf Narutos emotionale Bindung eingelassen hatte, hatte sich ihr Hang zur Missachtung jedweder Befehle zugunsten ihrer eigenen grandiosen – oder weniger grandiosen – Ideen nahe an sein Niveau angenähert. Letztendlich konnte sie nicht unglücklich über sein strenges Missfallen sein, wenn sie damit das Leben des engsten Vertrauten ihrer Lehrmeisterin gerettet hatte. Apropos.

»Von mir aus kannst du es ihr auch gerne vorsingen, Itachi-san«, sagte sie schließlich, »Ich werde mich nicht für etwas rechtfertigen, das im Sinne unseres Auftrages war. Außerdem, wer denkst du holt ihr abends neuen Sake von ihrem Lieblingshändler, wenn alle anderen schon schlafen? Oder lässt ihre erbarmungslosen Schimpftiraden über sich ergehen, wenn die Goikenban auf ihren Nerven trampeln?« Zufrieden nickte sie. »Ich habe bei Tsunade-sama so viele Steine im Brett und ich habe keine Skrupel, diese Tatsache zu meinem persönlichen Vorteil zu nutzen. Tsunade-sama hätte es nicht anders gemacht.«

Sakura hätte schwören können, Itachi hätte für einen kurzen Augenblick amüsiert gelächelt, doch dies war vermutlich mehr Wunschdenken als Wahrheit. Sie hatte sich früher auch oft eingeredet, Sasuke hätte sie angesehen, wenn sie im Unterricht etwas besonders gut gekonnt hatte. Pustekuchen!

»Das hoffe ich. Ich wollte damit keineswegs deine Fähigkeit, richtige Entscheidungen zu treffen, kritisieren. Bloß den Mangel an Disziplin, der einen Chūnin von einem Jōnin unterscheidet.«

Sakura wandte stur den Blick nach vorne, wo bald das Tor Konohas in Sicht kommen würde. Wie gerne hätte sie etwas maßlos Wortgewandtes erwidert, das ihn in den Grundfesten seines Hauptaspekts erschüttern würde. Leider – und dieses Leider verblieb gering, da sie es nicht gewagt hätte, einer Kapazität wie ihm einen Grund zu geben, seine Meinung von ihr noch weiter zu verschlechtern – blieb eine Eingebung für ein solches Gegenargument aus. Vornehmlich, weil es keines gab. Hätte sie sich eine Minute Zeit genommen, ihm ihre Behandlung zu erklären, hätte er zugestimmt und sie bräuchte sich nun nicht zu fragen, wie vermessen es gewesen war, zu denken, ihre freie Entscheidung stünde in einer annehmbaren Relation zu dem Befehlswort des Kommandanten. Und sie bräuchte sich nicht zu fragen, ob er diese eine von vielen Schwachstellen ihrer Person durchschaut hatte, die sie daran hinderte, mehr zu sein als bloß Chūnin. Weiter fand sie sich vor einer viel unangenehmeren Frage wieder: wenn Uchiha Itachi binnen zwei mittellanger Interaktionen eine ihrer größten Schwäche entlarvt hatte, wie viele mehr davon kannte er noch?

Sie schauderte unwillkürlich. Itachis Sharingan mochte nicht wie das Byakugan durch Haut und Knochen sehen können, dafür konnte es etwas sehr viel Unwillkommeneres. Es reduzierte seine Kameraden, wenn er wollte, auf ihre Stärken und Schwachstellen. Für Sakura bedeutete dies nur eines: ihr Versuch, genau diese Stärken zu beweisen, war, obwohl oberflächlich geglückt, in Wahrheit nach hinten losgegangen. Sie hatte weder Lob, noch Anerkennung erwartet. Doch diese Erkenntnis hätte sie lieber nicht erfahren.
 

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Dass Itachi sie offensichtlich für fachlich kompetent, aber unwürdig als Mitglied seines elitären Teams erachtete, nagte mehr an ihr als sie zugeben wollte. Die restlichen zwei Stunden, die sie brauchten, um Konohas schützende Grenzen zu erreichen, beschäftigte sie sich mit der Eruierung der Eigenschaften, die die Shinobi in Itachis ANBU Team hatten.

Shisui war ein leichtfüßiger Frauenheld mit mutwilligen Intentionen, kompromisslos seinen Dickschädel durchzusetzen. Yūgao war professionell, loyal und hintergründig. Sie hatte eine unbestreitbare Tendenz zur Befolgung jeder noch so unsinnigen Regel, die das breite Protokoll Konohas barg, wenn auch nicht so pathologisch wie Itachis Hang dazu – Sakura sympathisierte seit jeher mit weiblichen Minderzahlen in überwiegend männlichen Konstellationen, was auf die Mehrheit ihrer Bekannten zutraf. Zuletzt blieb Sasuke, der von keinem je gefragt wurde und zu allem bloß Amen sagen durfte. Die gemeinsame Komponente war die bedingungslose Loyalität Konoha gegenüber. Vielleicht war es das. Sakura war nicht minder bedingungslos loyal, doch ihre Treue gehörte in erster Linie den Menschen, die sie liebte. Tsunade, Naruto, ihren Eltern. Zuerst kamen ihre Freunde, dann die Mission. Im Notfall beides kombiniert. Bislang hatten sie immer eine Lösung gefunden, mit der sie beide Bereiche retten hatten können. Doch wenn es hart auf hart ging, wusste sie, wem sie Vorrang geben würde.

Izumo und Kotetsu waren jäh alarmiert, als sie ohne Anmeldung an dem Wächterhaus vorbeiliefen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass man Tsunade informierte, sobald dies der Fall war. Aufgrund dessen war es nicht verwunderlich, dass die Hokage mit einem vollbemannten Operationsteam am Eingang zur Notaufnahme wartete. Sofort waren drei Iryōnin zur Stelle, die den bewusstlosen Sannin auf eine vorbereitete Trage legten.

»Ist er stabil?«, fragte Shizune. Tsunade hatte sich längst mit einer Kohorte kreativer Flüche über ihren Freund gebeugt.

»Sakura«, unterband sie die weiteren Anamnesefragen ihrer in beigefarben gekleideten Assistentin, »Du hast wieder mit Shōsen no Jutsu experimentiert. Darüber unterhalten wir uns später. Sasuke, Naruto, ihr seid entlassen. Itachi, ich erwarte einen vollständigen Bericht bis heute Abend. Du!« Sie wandte sich in betriebsamer Hektik ihrer Schülerin zu. »Du hilfst mir, diesen Blödmann zurück ins Reich der Lebenden zu bringen.«

Auf ein Zeichen hin schoben die Helfer die Trage einen der vielen Gänge entlang und durch eine Tür hindurch, hinter der Sakura bereits einige Menschenleben verloren hatte. Diesmal nicht. Tsunade war eine Koryphäe und zu unbarmherzig, um dem Patienten ihre harte Strafe für seine Dummheit durch vorzeitiges Ableben zu erlassen. Sakura desinfizierte ihre Hände routiniert mit dem dafür vorgesehenen Mittel. Es war Krankenhausvorschrift, selbst wenn man durch Chakraösen arbeitete, ohne den Körper direkt zu öffnen.

»Wie ist es geschehen?«, wollte Tsunade wissen. Sie krempelte ihre Ärmel hoch und entfesselte ihr zurückgehaltenes Chakra, das in einer konzentrierten Welle um sie schwebte, wo sie es für den Eingriff vorbereitete. Sakura, chakraarm von ihrer kompletten Auszehrung, beschränkte sich darauf, seinen Kreislauf durch das Lenken ihres eigenen Chakras darin konstant zu halten, während Shizune sich mit zwei ihrer Kollegen daran machte, oberflächliche Wunden sukzessive zu reduzieren.

»Als ich kam, war Jiraiya-sama bereits bewusstlos. Ich nehme an, er verlangte seinem überanstrengten System für die finale Jutsu zu viel Kraft auf. Pain muss sie abgewehrt haben. Er hätte ihn getötet, hätten Itachi-san, Sasuke-kun und Naruto nicht eingegriffen. Ich war noch im Dorf, weil ich dachte, eine Spur gefunden zu haben –«

Tsunade brachte sie mit einer Geste ihrer grün leuchtenden Hand zum Schweigen. »Später. Du hast nicht mehr genügend Chakra, um sein System zu reparieren, aber du weißt, wie man es stabilisiert, während ich es versuche?«

Sakura biss sich auf die Unterlippe. Es war schwierig, denn sie musste ihr eigenes Chakra in exakt dem Maß aus Jiraiya ziehen, in dem Tsunade das ihre einführte. Eine Umpolung, die schnell schiefgehen konnte. Dies war eine der vielen Tücken, die diese Variante von Shōsen no Jutsu beherbergte. Jiraiyas Körper war zu schwach, um sein Chakra schnell genug zu reproduzieren, also musste ein anderes durch seine Kanäle geleitet werden, das die durch Überbeanspruchung dort entstandenen Schäden – Risse, Löcher, Perforationen – heilte. Dafür durfte der heilende Chakrastrom mit keinem anderen in Konflikt geraten. Sobald Tsunade fertig war, musste Sakura ihr entferntes Chakra retournieren, wo es die Neubildung aller nötigen Energieressourcen unterstützte, bis es aufgebraucht war. Dies stand in keinem Lehrbuch. Es war eine eigens entwickelte Methode, die auf keinem Schlachtfeld dieser Welt jemals Anwendung finden würde. Sie war unerprobt und hätte Tsunade von ihr verlangt, auf ihr eigenes Leben zu schwören, hätte sie gezögert, ob sie ein solch experimentelles Verfahren fehlerfrei durchführen konnte.

 Itachis Schelte hallte durch ihren Kopf. Konoha vor Freundschaft. Das Dorf vor seinen Bewohnern. Dies war nicht das Prinzip eines Heilers.

»Ja, Tsunade-sama.«

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Die Ruhe war so willkommen wie die Dusche, die sie endlich bekommen hatte. Diesmal hatte sie nicht den Fehler gemacht, Körperhygiene zugunsten einer Runde Schlaf schleifen zu lassen. Das letzte Mal war sie immerhin eine Woche lang nicht zu einer ordentlichen Dusche gekommen. Heute gönnte sie sich ein ausgiebiges Bad in der Badewanne ihrer Eltern, die nach einer Stunde ungeduldig gegen ihre Tür geklopft hatten, um sie zu verscheuchen. Der Dampf, den das heiße Wasser abgesondert hatte, war tief in ihre Haut eingedrungen und als Sakura ihr Gesicht prüfend im mannshohen Spiegel in ihrem Kinderzimmer betrachtet hatte, klatschte sie zufrieden in die Hände. Das Handtuch um ihren nackten Körper betonte ihre athletische Figur, die alles andere als weiblich, aber immerhin unter der Oberfläche muskulös war. Ein Argument, das ihre Mutter ihr hervorragend vorzuwerfen wusste.

Sie verdrehte die Augen, warf das Handtuch beiseite und zog einige willkürlich gewählte Kleidungsstücke aus der Kommode, die sie schnell über sich streifte. Man wusste nie, wann ein zufälliger – oder auch weniger zufälliger – Shinobi seinen Weg an ihr Fenster fand, um sie hierhin oder dorthin zu bestellen. Manchmal tauchte auch Naruto in bekannter Spontanität in unpassenden Momenten auf, um sie zu nerven. Paranoid oder nicht, Sakura sah sich immer um, ehe sie irgendetwas tat. Die Fallen in ihrem Zimmer hielten Feinde zwar für einige Momente auf, nicht jedoch orangeleuchtende Plagegeister.

Zufrieden mit dem Ergebnis ihres gewohnten blauen Rockes und einem senfgelbem Oberteil, an dessen Kauf sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, ließ sie sich rittlings auf ihr Bett fallen, dessen weiche Decke sich um ihren nach parfümierter Kernseife duftenden Körper schlug. Tsunade hatte sie, ohne weitere Erklärungen zu fordern, nach Hause geschickt. Jiraiyas Operation war nach einigen kniffeligen Spitzen gut verlaufen; er würde vermutlich schon in ein paar Tagen sein Bewusstsein wiedererlangen. Seine vollständige Genesung würde sehr viel länger dauern. Wochen, wenn nicht Monate. Gnade ihm Gott, wenn die ehrenwerte Hokage ihn dann nicht wieder krankenhausreif prügeln würde. Grobe Fahrlässigkeit mit extremer Bescheurtheit hatte diese seine Mission genannt. Sakura bezweifelte, dass 'Bescheuertheit' ein linguistisch korrektes Wort war, aber die grimmige Intonation ihrer Meisterin hatte sie davon abgehalten, ihre Meinung über diesen Neologismus kundzutun.

Sakura war, ohne es bemerkt zu haben, eingeschlafen. Das hieß, nach dem Aufwachen fühlte sie sich nicht, als habe sie neun Stunden Schlaf hinter sich. Etwas in ihr schrie danach, in ihrem Bett zu bleiben, bis die Sonne vollends untergegangen war. Nichtsdestoweniger hatte Tsunade einen mündlichen Report zusammen mit einem schriftlichen Protokoll über Sakuras Vorgehensweise in Amegakure bis zum Abend verlangt. Dieser brach langsam mit den schwindenden Sonnenstrahlen an. Sie wollte es lieber gleich hinter sich bringen. Dies war der Nachteil an Missionen, die frühmorgens endeten: die Fristen für Berichte waren sehr viel enger angesetzt. Wie nervig, hätte Shikamaru gesagt. Sakuras Pflichtbewusstsein hielt sie davon ab, dies auch nur zu denken. Nach allem, was sie sich bereits geleistet hatte, wollte sie den Rest lieber überkorrekt machen.

Die Tür zum Büro der Hokage war, wie immer, sperrangelweit geöffnet. Bloß Sakuras eben genanntes Pflichtbewusstsein hielt sie davon ab, Kehrt nach Hause zu machen. Tsunades Standpauke konnte zwar nicht so schlimm sein wie Itachis, doch zwei Belehrungen an einem Tag waren schwer zu verkraften. Diese Tatsache nach hinten schiebend, nahm sie ihren Mut zusammen, betrat das ovale Zimmer und legte eine ausgefüllte Protokollvorlage auf den Schreibtisch.

»Legen Sie los, Shishō.«

»Itachi war eben hier«, sagte sie trocken, ohne von einem Bericht aufzusehen, den sie mit Argusaugen studierte. Er war lange und scheinbar ausführlich. Dieser Streber. »Detailliert wie immer. Aufteilung … Infiltrierung … wie zu erwarten: Akatsuki … Insubordination?«

Sakura streckte verteidigend eine Hand von sich. »Das ist eine haltlose Anschuldigung!« Sie hatte geglaubt, die Lüge würde ihr schwerer von den Lippen gehen. »Das heißt, ich habe im Interesse meines Patienten gehandelt. Itachi-san hatte keine Befugnisse, über meine Handlungen zu entscheiden. Insofern war es kein Missachten direkter Befehle.«

»Das sehe ich nicht so«, korrigierte Tsunade streng. Sie las den Bericht zu Ende, legte ihn ab und legte die Finger ineinander. »Welch Glück du hast, dass mir egal ist, was meine ANBU-Leute schreiben, solange die Mission erfolgreich war. Du hast Jiraiya unter selbstloser Aufopferung deiner eigenen Gesundheit lebend zurückgebracht. Dies war nicht der übergeordnete Sinn dieses Auftrages und wäre ich dabei gewesen, hätte ich dich erschlagen, ehe du dich für diese Maßnahme entscheiden konntest. Als Hokage maßregle ich dich, derartige Aktionen nicht zu wiederholen. Als Shinobi bin ich der Meinung, dass du das Wohl eines Einzelnen über das der Gruppe gestellt hast und ich bin schwer enttäuscht. Als Iryōnin finde ich es unverzeihlich, deine Gesundheit für einen Patienten wider unsere Grundsätze derart verraten zu haben.«

Sakura stieß erleichtert Luft auf.

»Als Freundin dieses perversen Schwerenöters danke ich dir von ganzem Herzen. Ich hätte nicht anders gehandelt. Aber –« Sie schlug ihre Faust auf den Tisch und verfinsterte ihren Blick. »– wenn du noch einmal so dumm bist, gebe ich dir erst wieder eine neue Mission, wenn du älter bist als die beiden Goikenban zusammen.«

»Danke, Hokage-dono.«

»Spar dir deine Höflichkeitsform für Momente, in denen ich nicht wütend über deine Leichtfertigkeit bin. Dich vor Itachi so aufzuführen – vor Sasuke noch dazu! Vor irgendeinem Uchiha, geschweige denn zwei!« Tsunade presste ihre Fingerspitzen gegen ihre Schläfe. »Diese Anhäufung unverschämten Talents glaubt jetzt schon, dass mir meine Shinobi auf der Nase herumtanzen. Weißt du, was dieser Pedant sagte, als er mir den Bericht gab?«

»Ich bin unqualifiziert, launisch, ungehorsam und schwach?«, resümierte Sakura den Eindruck, den er von ihr haben musste.

»Es sei möglicherweise klug, Naruto und dich einige grundlegende Richtlinien unserer Kodizes abschreiben zu lassen.«

Sie unterdrückte ein erstauntes Lachen. Itachis Humor hätte kapriziös angemutet, wenn sein Vorschlag nicht als ernstgemeinter Rat gemeint gewesen wäre. Ein Uchiha machte keine Scherze. »Denken Sie, es würde helfen?«

Tsunade konnte ihr eigenes erstauntes Lachen nicht zurückhalten. Es entfuhr ihr in hohlem Schnauben. »Ich habe Vertrauen, dass du nachdenkst, bevor du etwas tust. Bei Naruto ist Hopfen und Malz verloren. Und doch …«

Sakura lächelte milde. »Und doch wird er eines Tages Hokage werden und alle dagewesenen mit seiner Güte, Gefühlsbereitschaft und seinem Mut in den Schatten stellen.« Sie zuckte beim zweifelnden Blick ihrer Meisterin die Schultern. »Hinatas Worte, nicht meine. Sie neigt zur Glorifikation, wie Sie wissen.«

Tsunade antwortete nicht, sondern betrachtete ihre Schülerin eingehend. »Du siehst noch immer geschafft aus. War die Mission auch nicht zu viel für dich? Ein Chūnin ist normalerweise nicht für S-Rang Aufträge vorgesehen.«

»Ich bin hier, nicht wahr?«

Die Hokage nickte und schickte sie mit einer Geste fort. »Geh lieber, ehe ich mir eine Strafe für dich ausdenken kann. Nimm dir morgen frei, den Rest der Woche will ich dich im Krankenhaus sehen. Ich erwarte drei ANBU Teams und zwei Genineinheiten samt ihren Ausbildnern zurück. Laut Protokoll, Sakura«, rief sie ihr eindringlich in Erinnerung, als wäre es Sakuras Schuld, dass es niemand befolgen wollte, »Wird jeder untersucht. Ich möchte am Ende der Woche neunzehn Krankenblätter in der Listenablage vorfinden.«

Sakura verbeugte sich knapp. Es war zwecklos, sich zu rechtfertigen, wenn sie ungeschoren davongekommen war.
 

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»Und?« Naruto lehnte an der Wand des Ganges vor dem Haupteingang, den sie entlangeilte, ehe Tsunades Verstand eine angemessene Bestrafung ausarbeiten konnte. Sie fragte sich schon lange nicht mehr, wie er sie ständig fand. In diesem Fall war es nur logisch, dass sie irgendwann Bericht erstatten musste; beeindruckend war sein Gespür für zeitliche Abstimmungen. Vielleicht hatte er auch einfach nichts Besseres zu tun, als stundenlang irgendwo zu stehen, um auf seine Zielpersonen zu warten. Andererseits hatte sie ihn beim Hereinkommen nicht gesehen –

»Sakura-chan?«

Sie schüttelte den Kopf und streckte sich. »Alles in bester Ordnung. Hoffen wir einfach, nie wieder eine Mission mit den ANBU machen zu müssen. Jedenfalls nicht mit jenen, die Uchiha im Nachnamen heißen, sonst sind wir unseren Status schneller los, als uns lieb ist.«

»Hat Uchiha wirklich gepetzt?«, fragte Naruto verwundert. Er verfiel in lockeren Spazierschritt, neben dem sie die Hauptstraße entlang stadteinwärts schlenderten, wo die Sonne kurz vor dem Untergehen ihre langen Schatten warf.

»Man nennt es Melden und Itachi-san hat recht. Wir sind zu anarchisch. Nicht, dass wir es ändern könnten, aber wir sollten zumindest an unserer Selbstdisziplin arbeiten.«

»Ja, ja, morgen«, verbannte er diesen Vorschlag aus der Konversation. »Wollen wir uns noch auf ein paar Gläser Sake zusammensetzen?«

Sakura hatte nicht übel Lust, sofort umzufallen und ihr Nachtlager hier am Straßenrand aufzuschlagen. Neun Stunden Schlaf waren eine Menge, bemessen an ihrem regulären Pensum, doch ihre Chakrareserven waren immer noch nicht wiederhergestellt, was es schwierig machte, Kraft für soziale Interaktionen zu schöpfen.

»Komm schon«, drängte Naruto, der ihr Zögern bemerkte, »Es ist doch die Tradition unseres Teams!«

Das hatte seine Richtigkeit, wie sie sich eingestehen musste. Seit sie in der Lage waren, legal Alkohol zu trinken, hatte es sich bei Team Sieben – dem neuen, verbesserten Team Sieben, in dem kein arroganter Uchiha Sasuke mitmischte – eingebürgert, nach jeder erfolgreich ausgeführten Mission noch am selben Abend in einer bestimmten Bar mit ein paar Gläsern Sake anzustoßen. Oder auch ein paar mehr. Sie verengte skeptisch die Augen zu Schlitzen. »Du willst doch bloß ein Date mit mir.«

»Quatsch!« Er hob unschuldig die Arme. »Sasuke meinte, er würde mitkommen.«

Sakura blieb schlagartig stehen. »Noch ein Grund mehr, nicht mitzukommen, wenn du mich fragst. Naruto, ich habe keine Lust, mich mit Sasuke-kun an einen Tisch zu setzen und darauf zu trinken, welch tolles Team wir doch auf dieser Mission waren. Das waren wir nicht. Wir waren fürchterlich! Ein unkoordinierter Haufen ahnungsloser Hampelmänner, die einander nicht einmal leiden können.«

Nicht minder unschuldig faltete Naruto seine erhobenen Arme zu einer Entschuldigung. »Komm schon, Sakura-chan, lass' mich nicht im Stich! Alleine würde ich ihm den Schädel einschlagen, das weißt du!«

Wie herrlich, dass er sie als Puffer missbrauchen wollte. Es funktionierte auch noch. »Von mir aus. Dieses eine Mal, weil du mein Freund bist und Sasuke-kun sich aus unerklärlichen Gründen dazu bereiterklärt hat.« Bestimmt stemmte sie die Arme in die Hüften. »Aber wehe ihm, er kommt mir blöd. Dann fliegt er schneller durch die Wand, als ihm lieb ist.«

Dass sie Sasuke niemals schlagen könnte, selbst wenn sie es wollte, war ihr mehr als nur schmerzlich bewusst. Angeberischer Bastard. Irgendwann würde sie schon darüber hinwegkommen, dass er Team Sieben im Stich gelassen hatte. Bis dahin begnügte sie sich damit, sich stumm zu wünschen, er gäbe ihr Öl für ihr Feuer.
 

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Dass die Bar gut besucht war, war kein Wunder. Es passierte nicht selten, dass ankommende Teams, die dasselbe Ritual pflegten, sich überschnitten. Die Kneipe, die sie über die Jahre hinweg liebgewonnen hatten, hatte sich auf Shinobi spezialisiert. Man wusste, wie man mit betrunkenen Ninjas umzugehen hatte, kannte die meisten Namen und noch viel wichtiger, die Namen ihrer Vorgesetzten.

Dass die Bar gut besucht war, war demnach tatsächlich kein Wunder. Dass ausgerechnet – ausgerechnet – drei Uchihas fein säuberlich an einem Tisch saßen, als habe man sie dort für die Damenwelt drapiert, war das wahre Wunder. Ein grauenhaftes Wunder.

Sakura schluckte. Sie sah in ihren legeren Freizeitsachen aus, als habe sie den lieben langen Tag in antriebsloser Lethargie im Bett verbracht; ein Umstand, den diese Petze – pardon, Captain Uchiha Itachi – still bekritteln würde. Zu ihrer Erleichterung sah er nicht auf, als sie die Bar betraten. Ganz anders sein Bruder, der zu schön für dieses Etablissement war. Die Augen jeder Frau klebten an ihm. Ekelhaft. Naruto, der diesen Umstand ohne Überraschung bemerkte, drehte auf dem Absatz um.

»Niemand hat erlaubt, dass er Uchiha und den anderen Kerl mitnimmt. Wie sollen wir ihn abfüllen, wenn zwei Anstandswauwaus daneben sitzen?«

»Wir schaffen das schon«, versprach Sakura. »Der andere Kerl ist übrigens Uchiha Shisui-san und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du die beiden zumindest höflich adressierst. Ich möchte nicht auch noch wegen Unhöflichkeit gegen Höherstehende belangt werden.« Sie seufzte tief, als sie Ino mit einem vollgefüllten Bierkrug an der Theke stehen sah. »Geh' vor, Naruto. Ich werde mit der ersten Runde Sake in ein paar Minuten zu euch kommen.«

Einverstanden drängte er sich durch die Menge, an deren Ende er sich auf einen der freien Plätze auf der Bank Sasuke gegenüber fallen ließ, wobei er Shisui dicht an die Wand drängte, um für Sakura den Platz neben ihm freizuschaufeln. Bewundernswert, dass er mit seinem Mangel an Respekt vor Autoritätspersonen noch kein Disziplinarverfahren abbekommen hatte. Was auch immer Itachi und Shisui hier wollten, sie sahen nicht aus, als seien sie auf Sasukes Bitte hier. Er wirkte eher genervt von der Anwesenheit seines Bruders, der während Shisuis Anekdote keine Miene verzog.

Sakura erkämpfte sich ihren Weg zur Bar mit ihren Ellenbögen, für deren Einsatz sie drei Mal gerügt wurde. Zuletzt von jener Person, die sie angesteuert hatte. Ino fuhr mit erhobenem Zeigefinger herum, die Wangen gerötet vom Alkohol.

»Du Penner, wie oft soll ich dir noch sagen, ich bin nicht dein Fli – Sakura!« Sie breitete die Arme aus, um sich ihrer Freundin an den Hals zu werfen. »Wie schön, dass du gekommen bist! Hast du ein Geschenk mitgebracht? Ich dachte, du wärst dieser schnöde Typ dort, der mir dauernd einen ausgeben will.«

Sakura durchforstete fieberhaft ihren mentalen Kalender. Ino hatte heute nicht Geburtstag. Ihre Begleiter, Shino, Shikamaru, Chōji und Hinata, ebenfalls nicht. Ehe sie etwas Verlegenes darauf erwidern konnte, hatte Hinata ihr Dilemma bemerkt.

»Du weißt es noch gar nicht? Shikamaru-kun wurde gestern zum Jōnin erhoben. Ist das nicht toll?«

Erschlagen von dieser Neuigkeit, brauchte sie einige Sekunden, bis sie die Information verarbeiten konnte. Es stand außer Frage, dass Shikamaru ein Genie war. Seit er inoffizieller Anführer eines relativ beständigen Teams, bestehend aus Shino, Ino und manchmal Hinata, geworden war, wurden seine Leistungen öfters diskutiert als die anderer talentierter Chūnin. Trotzdem. Erst Lee und Neji, dann Naruto, jetzt Shikamaru – wer kam als nächstes? Ino?

»Gratulation«, brachte sie schließlich heraus. Es war ehrlich gemeint, wenn auch verkrampft ausgesprochen. Der Beglückwünschte störte sich nicht daran, sondern ließ sie Ino gegenüber auf dem Hocker sitzen, wo diese ihre Hand nahm.

»Darf ich mich zu euch setzen, Sakura-chan?«, schnurrte sie ungewohnt versöhnlich, was Sakura hellhörig werden ließ. Ino war nicht der Typ, der ohne Neckerei freundlich war. Schon gar nicht mit einer Verniedlichung eines Namens.

»Wieso?«

»Meine lieben Teamkameraden wollen schon nach Hause und … dieser Uchiha ist heiß«, schwelgte sie, sich durch die offenen blonden Haare streichend.

»Welcher?«

»Na, alle!«

»Von mir aus.« Sakura wusste, dass ihre Freundin ihre Zustimmung nicht brauchte, um ihrer Libido zu folgen. Wenigstens sah sie gut aus, war geschminkt und trug ein nettes schwarzes Top, das Vorzüge betonte, die von Sakura ablenkten. Sie wollte weder das Ziel von Itachis weiterführenden Belehrungen, noch Shisuis Flirtversuchen werden. Niemand, der etwas auf sich hielt, ließ sich ernsthaft auf Shisui ein. Er war Mitglied eines Klans, der keine Außenstehenden in der Familie duldete. Also begnügte er sich, absichtlich, mit kurzlebigen Affären. Ino hatte gute Karten, eine davon zu werden.

Wenn Sakura geglaubt hatte, sie könne sich mit ihren Anhängseln einfach so an 'ihren' Tisch setzen, hatte sie sich gewaltig getäuscht. Shisui machte seinem Ruf alle Ehre und stand in einer ausholenden Geste auf, um die beiden Frauen zu hofieren, was Ino in offenkundige Entzückung versetzte. Sakura hingegen hoffte, dass die mittelgroße Flasche Sake mit den fünf Gläsern sie nicht als geizig erscheinen ließ. Selbst mit ihrer letzten S-Klasse Mission konnte sie keine weiten Sprünge machen. Hoffentlich würden die ersten beiden Gläser Sasuke Spendierhose anziehen, sonst würde dies ein kurzer Abend werden. Die drei ungebetenen Gäste waren nicht eingeplant gewesen.

»Wie fachmännisch. Ganz die Meisterin«, kommentierte Sasuke abfällig von der Seite, als sie begann, fünf mitgebrachte Gläser nach der allgemein beherrschten Begrüßung zu füllen.

»Bist du auf Streit aus?«, fragte sie unverhohlen, ihm das erste Glas reichend.

»Keineswegs. Naruto meinte, es wäre eine Tradition, die man nicht brechen dürfte. Es bringe Unglück.«

»Seit wann bist du abergläubisch, Sasuke-kun? Und wenn du es bist, solltest du auch wissen, dass es Unglück bringt, teamfremde Personen einzuladen. Brauchst du deinen Bruder als Beschützer?« Das zweite Glas gehörte Naruto, das dritte Shisui, der es zuvorkommend an Ino weiterreichte.

»Das ist meine Schuld«, räumte zweiter ein. »Er geht nie aus, aber als ich hörte, dass Sasuke in so reizender Gesellschaft sein würde, musste ich uns beide einfach mitbringen. Ich hoffe, niemand hat etwas dagegen?«

Tsk. Eine Frage, die man gar nicht zu seinen Ungunsten beantworten konnte. Sakura schob ihr vorletztes Glas in Itachis Richtung, der es jedoch musterte, als wisse er nichts damit anzufangen. Prüfend roch sie an ihrem Exemplar. Hatte er etwas an ihrer Auswahl auszusetzen, weil es nicht das teuerste Produkt der Karte war? Sasuke und Shisui nahmen es ohne Einwand nach den anderen auf.

»Auf was trinken wir?«, fragte Ino in die Runde.

»Auf schöne Frauen«, entschied Shisui. Wie abgedroschen. Ino erfreute es.

»Auf wunderbare Gesellschaft«, korrigierte die angetrunkene Blondine. Noch abgedroschener.

Naruto stieß mit dem Rand seines Glases gegen alle anderen erhobenen. »Auf das, auf das wir immer trinken. Uns und wie gut wir sind!« Mit einem Zug tranken sie ihre Gläser leer und knallten sie auf den Tisch zurück, wie es sich nach Hochprozentigem gehörte. Itachis Exemplar war nach wie vor unberührt, was Sakura nicht entging. Sie saß ihm gegenüber neben Naruto auf der einen und Ino auf dem zugestellten Stuhl auf der anderen Seite. Wenn er sich schon nicht in dieser niederen Gesellschaft zu amüsieren wusste, hätte er lieber gleich zuhause bleiben sollen. Es war ihr unangenehm, nach seiner Schelte an seinem Tisch zu sitzen. Umgekehrt. Egal. Ohne es zu merken, hatte sie ihr Glas erneut gefüllt und prostete ihm zu.

»Darauf, dass meine Trinkgewohnheiten kompromissloser sind als meine Kunoichiqualitäten«, rief sie mit Unterton in die Runde, in die alle außer er mit einstimmten. Nicht, dass es eine Rolle spielte, auf was man anstieß. Sie hätten auch auf rote Elefanten und lila Socken getrunken.

»Falls du mir Vorwürfe machen willst, Sakura-san, ist dies kaum der richtige Ort dafür«, erwiderte Itachi plötzlich. »Ich bereue meine Entscheidung keineswegs. Du hast über meinen Kopf hinweg entschieden, was tödlich hätte enden können.«

»Hat es aber nicht«, erwiderte sie stur. Was zwei Gläser Sake ausmachen konnten. Ihr Herz pochte vor Aufregung, er könne zu einer neuen Predigt ansetzen, doch glücklicherweise entschied Itachi, dass es Zeit war, dieses Thema ad acta zu legen. Sie wagte nicht, erneut auszuholen, weil dieser übertalentierte Snob recht hatte. Ausgesprochen hätte sie es niemals. Sie war nicht Naruto, der sagte, was ihm auf der Zunge lag. Auch nicht, wenn dieser übertalentierte Snob ihren Sake nicht zu schätzen wusste. Ino war nach ein paar Gläsern Alkohol ganz anders.

»Na, na, Itachi-kun«, gurrte sie betont tadelnd, »Das ist noch lange kein Grund, Sakuras Sake zu verschmähen! Sie hat einen guten Geschmack! Das Zeug schmeckt wirklich gut.«

»Ino!«, zischte Sakura mahnend und zog ihre Freundin am Oberarm zurück, als diese dabei war, sich dicht zu Itachi zu lehnen.

»Ich bin mir sicher, ihr Geschmack ist nach jahrelangem Training unter Hokage-sama äußerst erlesen«, gab er zu, »Aber ich trinke keinen Alkohol.«

Ino blinzelte ihn an, als käme er vom Mond, brach in Gelächter aus und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, während sie allen anderen eifrig nachschenkte. »Ja, ja, tun wir alle nicht.« Sie kippte ihr drittes Glas in Folge mit einem erheiterten Lächeln auf den Lippen.

Naruto und Sasuke waren auf ihrer anderen Seiten bereits wegen irgendeiner Nichtigkeit in einen Disput verfallen, den Shisui verzweifelt zu lösen versuchte. Indes fragte Sakura sich, seit wann sie derart voreingenommen war. Natürlich, er war ein Uchiha. Waren nicht alle Uchihas arrogant und eingebildet? Sie stieß erneut mit Ino und diesmal Sasuke an, der eifrig dabei war, seinen Rückstand aufzuholen. Dass Naruto entsetzt bemerkte, an letzter Stelle zu sein, ließ ihn nicht minder motiviert nachschenken.

Die entspannte Atmosphäre, die durch zunehmenden Promillepegel immer harmonischer wurde, wurde bloß durch Itachis stoische Präsenz gestört, die ein jeder außer Sakura und Ino zu ignorieren schien. Letztere war währenddessen hin- und hergerissen, welchem wunderbaren Uchiha sie ihre Aufmerksamkeit schenken sollte. Shisui hatte mit Naruto und Sasuke eine Diskussion über ein neues Waffenformat begonnen, sodass ihr letzten Endes nach Itachis Desinteresse an schlichtweg allem nichts weiter übrigblieb, als mit Sakura zu reden, die wiederum unbemerkt ihr Augenmerk auf Itachi gerichtet hielt. Sie wollte wissen, wieso er hier war. Spionierte er sie alle aus? Betrieb er Feldforschung am gemeinen Volk? Wusste er sich nicht gegen Shisui zu verteidigen oder war ihm einfach nur langweilig? Er wirkte so fehl am Platz, umrahmt von angeheiterten einfachen Shinobi, die regelmäßig ihre Bierkrüge erhoben, zu Musik johlten und auf Tischen tanzten. Es war nicht seine Welt, das sah sie ihm an. Die aristokratische Ausstrahlung, sein wie in Stein gemeißeltes glattes Gesicht, diese wandelnde Perfektion hatte doch nichts in der niederen Welt von einfachem Spaß verloren. Ein Uchiha wusste sich gewiss eleganter zu beschäftigen; ein Gedanke, den Shisui sofort mit einem großen Schluck Bier widerlegte. Welcher perfide Grund mochte wohl hinter Itachis Anwesenheit stecken?

Es dauerte nicht lange, bis die zweite Flasche Sake zur Hälfte geleert war und die Stimmung zusehends heiterer, aber auch unkontrollierter wurde. Irgendwann fand Sakura sich zu einem leeren Stuhl sprechend und Ino an Itachis Seite sitzend, wo sie versuchte, ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Diese Schnapsdrossel war schlimmer als Tsunade! Letztere wurde bedingt durch jahrelanges Training wenigstens nicht derart schnell betrunken. Sakura ließ das Opfer von Inos Flirtversuchen einige Minuten schmoren um zu beobachten, wie er mit dieser Situation umging.

Okay, sie war längst nicht mehr nüchtern und bis sie realisiert hatte, was ihre beste Freundin im Inbegriff war zu tun, brauchte es länger als gewöhnlich. Dies bescherte ihr einen amüsanten Anblick: Itachi, wenn auch mit unveränderter Miene, wich zum ersten Mal vor etwas zurück. Interessant. Ino hatte es binnen weniger Stunden geschafft, ihn in die Enge zu treiben. Trotzdem er sich sichtlich unwohl fühlte, war sein abwehrender Griff um ihre Schulter, mit dem er sie wegdrückte, beeindruckend geradlinig. Seine Bewunderin ließ sich davon keineswegs abschütteln.

Nach ihrem zweiten erfolglosen Versuch, einen Scherz zu machen, zeigte Sakura Erbarmen, obwohl er es ihrer Meinung nach nicht verdient hatte. Sie stand auf und zog ihre Freundin am Top auf die Bank Itachi gegenüber; sie selbst setzte sich als Puffer zwischen sie und Itachi, der keine Anstalten machte, ihr zu danken.

»Möchtest du mir nicht über den Jungen erzählen, mit dem du letztens ausgegangen bist, Ino?« Sie warf Itachi einen Seitenblick zu. Dieser hatte sich – weiterhin ohne ein Wort des Danks – in ein Gespräch mit Shisui geflüchtet und seinen Platz mit Sasuke getauscht, sodass er möglichst weit weg von Ino saß. Arme Ino. Ihr schien es allerdings wenig auszumachen.

»Oh, er war traumhaft! Groß, stark, aber nur Chūnin.« Die Blondine zeigte mit dem Daumen nach unten. »Seit ich Iryōnin bin, musste ich meine Ansprüche natürlich hochschrauben. Ernsthaft, was will ein dreiundzwanzigjähriger Chūnin von mir? Das habe ich ihm deutlich gemacht.«

»Du bist so herzlos, Ino.«

Sie machte eine wegwerfende Geste. »Papperlapapp! Er hat es gut aufgenommen. Du solltest übrigens auch anfangen, auszugehen, Riesenstirn. Wann willst du sonst mit Dates beginnen? Wenn du tot bist?«

Sakura schlug ihr leicht gegen die Schulter. »Ich bin einundzwanzig und habe nicht vor, bald zu sterben! Nenn' mich nicht Riesenstirn, Sch –« Sie zügelte ihr Temperament schweren Herzens. Sie hatte vor Itachi ihre inkompetente Seite gezeigt, da wollte sie nicht auch noch ihre kindisch-vulgäre nach außen kehren. Seit wann bedeutete ihr seine Meinung etwas? Ach ja, seit sie darauf versessen war, ihre Zweifler zu eliminieren. Eine Eigenschaft, die ihr ziemlich auf die Nerven fiel. Sie hätte sagen können, was sie wollte, Itachi sprach mit Shisui über eine gemeinsame Mission. Fachlich kompetent wie ein Briefing, was sie ein weiteres Glas Sake trinken ließ. Machte die ANBU nie Feierabend?

»Was sagst du da, Teme?«, brüllte Naruto plötzlich.

»Die Wahrheit, Dobe!«, keifte Sasuke zurück. Um was auch immer es ging, es schien ihm ernst zu sein. »Beweise es!«

»Wie du willst! Sakura-chan, drei Gläser! Randvoll! Dir Armleuchter zeige ich, wie man Sake trinkt!«

»Das will ich sehen, du … du … Naruto!« Dass Sasuke kein Schimpfwort für seinen größten Konkurrenten einfiel, war Beweis genug, dass er betrunken genug war, einer solchen Herausforderung auch noch zuzustimmen. Um was es bei dieser Kontroverse tatsächlich gegangen war, würde keiner der Anwesenden jemals erfahren, zumal die Betroffenen selbst es bis zum nächsten Morgen vergessen haben sollten. Sakura tat, wie ihr geheißen worden war, füllte die drei bestellten Gläser und schob sie in die Mitte. Sie war überrascht, als ihr Teamkamerad ihr das dritte zurückschob.

»Was soll das?«, erkundigte sie sich irritiert.

»Du machst natürlich mit, Sakura-chan!«, entschied er. »Wer könnte gewinnen, wenn nicht du? Du bist immerhin Tsunade-obaachans beste Schülerin!«

Auf derartige Attribute reduziert zu werden, war auf eigenartige Weise kränkend. Sie war doch nicht wie Tsunade! Vielleicht war sie annähernd so brutal, schlagfertig und ließ ihrem Temperament manchmal zu weiten Auslauf, doch sie war – ach, was machte sie sich vor? Sie nahm ihre Waffe für diese Schlacht auf.

»Wenn jemand das Glas hebt, muss man mit demjenigen anstoßen und trinken. Das ist die einzige Regel«, erklärte Naruto leicht schunkelnd.

Wann Itachi, Shisui und letztendlich Ino gegangen waren, hatte Sakura nicht mitbekommen. Irgendwann, mitten in der Nacht, trat sie mit Naruto auf die Straße. Zwischen ihnen hing Sasuke, sternhagelvoll, unverständliches Kauderwelsch brabbelnd.

»Lass ihn uns lieber nach Hause bringen«, schlug Naruto vor. Sie stimmte zu. Sie hatten das Wetttrinken zwar gewonnen, doch hätte man ihr vorher gesagt, dass der Preis darin bestand, einen betrunkenen Uchiha nach Hause zu hieven, hätte sie dankend abgelehnt. Nun war es zu spät.

Sie hatten definitiv die Arschkarte gezogen.
 

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Drunken Lullabies


 

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Es war weit nach Mitternacht, als Sasukes Hand zum ersten Mal unabsichtlich auf Sakuras Po abrutschte. Während Naruto, dem dies nicht entgangen war, halb Konoha mit seinem Entsetzen wachschrie und den Perversen in ein verdientes Koma prügeln wollte, rief sie ihn mit ihrer Faust zur Ordnung.

»Du denkst doch nicht, dass er sich noch spürt, geschweige denn etwas mitbekommt! Nicht wahr, Sasuke-kun?« Er brabbelte und lallte ein vages Etwas, das sie als Zustimmung werten konnte. »Komm' wieder runter und hilf mir, diese Alkoholleiche ins Uchihaviertel zu schaffen. Auch wenn er nicht so aussieht, er ist ziemlich schwer.«

»Alls nu Musln …«

Sie tätschelte ihm gespielt fürsorglich die Wange. »Ja, Sasuke-kun, wir wissen alle, dass das nur Muskeln sind.« Wie sollte er bei all dem Training im Schoß seiner ach so überragenden Familie Fett ansammeln? Seine Statur war drahtig, aber muskulös. Erst als sie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, wurde sie sich seiner intimen Nähe gewahr. Just bevor sie erröten konnte – dieser böse Alkohol – trat er fehl und zog seine beiden Stützen mit sich.

»Temää!«, brüllte Naruto. Er kassierte eine neue Kopfnuss von Sakura, die sich unter ihm wand.

»Bei dir sind das nicht nur Muskeln!«, japste sie nach Luft schnappend. Dieser böse Alkohol. Nicht nur, dass ihre repetitiv wiederkehrenden Gedanken sich um ihre eigene Achse kreiselten, ihre Umgebung schien es ihr gleichzutun. Obwohl sie gerade einmal etwas mehr als die Hälfte von Sasukes immensem Pensum getrunken hatte, spürte sie jede einzelne Promille in ihrem Blut. Als sie lautes Schnarchen hörte, trat sie die beiden Männer, zwischen denen sie eingeklemmt war. »Nicht schlafen! Naruto, hilf mir doch endlich!«

Widerwillig raffte er sich auf und reichte ihr eine Hand. Sakura taumelte von dem Schwung berauscht in seine Arme, wo sie zusammen schunkelten, bis sie endlich einen stabilen Stand gefunden hatten. Welch Glück, dass die Straßen leer waren. Zusammen zogen sie Sasuke auf die Beine, mehr oder minder erfolgreich, legten seine Arme zurück um ihre Schultern und setzten ihren beschwerlichen Weg fort. Wieso mussten die Uchihas auch im hintersten Winkel von Konoha wohnen? Ach ja, sie waren stinkreich und brauchten den Platz für ihre Sippschaft.

»Am liebs’n würde ich ihn einfach hier hinschmeisn und liegnlassn«, grummelte Naruto. Seine Wangen waren vom Sake gerötet. »Schnösl.«

»Du hast ihn herausgefordert«, erinnerte Sakura. Sie mühte sich schon seit geraumer Zeit damit ab, nicht zu lallen. Bald würde sie sich nicht mehr zusammenreißen können. »Wir können ihn nicht einfach im Stich lassen. Stell dir vor, er wacht in ein paar Stunden in irgendeiner vermoderten Seitengasse auf. Was denkst du, wen er dafür verantwortlich machen würde? Er kann uns jetzt schon nicht leiden. Ich möchte keine schlafenden Pferde scheu machen.«

Naruto sah sie skeptisch von der Seite an. »Sicher, dass dies's Sprichwort so geht? Wenn schon! Der Lackaffe 's selbst schuld.«

Sie konnte auf diese Wahrheit nichts erwidern. Um ein Uhr nachts auf den dunklen Straßen des Dorfes sich existenzielle Loyalitätsfragen zu stellen, führte zu nichts. Sasukes Loyalität war geklärt. Sie galt dem Klan, nicht seinen Freunden. Es war üblich, wenn man in einer geschlossenen Gemeinschaft aufwuchs. Hätte Sakura eine derart große Familie gehabt, würde sie gewiss nicht so an Naruto und Tsunade hängen.

Es dauerte, bis sie den richtigen Weg gefunden hatten. Nachts sah alles gleich aus und da Sasukes mentales Navigationsgerät ungenauer war als ein Kompass ohne Magnet, hatten sie irgendwann die Orientierung verloren, als sie kurz nach dem Hokageturm falsch abgebogen waren. Böser Alkohol. Böse repetitive Gedanken. Dass Sasukes Hand erneut aufgrund fehlender kontrollierter Körperspannung auf ihren Po hinabrutschte, ignorierte sie geflissentlich. Wie sehr sie sich vor einigen Jahren auch gewünscht hatte, Sasukes Aufmerksamkeit auf eine gewisse Weise zu erregen. Unziemliche Berührungen hatten gewiss nicht zu ihrem Vorstellungsrepertoire gehört. Auch jetzt konnte sie keinen Gedanken daran verschwenden, wie nahe er ihr doch war. Der Sake rief mit dem Bajonett in ihrem Magen zur anarchischen Revolte auf. Zudem hatte sie Sasuke vor Jahren aufgegeben. Sie hatte ihren ersten Kuss vor vier Jahren einem talentierten Chūnin geschenkt und die ein oder andere Affäre gehabt, ohne jemals eine ernste Beziehung eingegangen zu sein. Wie auch, wenn alle Männer, die sie kannte, ebenso strikte Shinobi waren wie sie? Als Musterschülerin der Hokage, Iryōnin, Kunoichi und beste Freundin des dorfbekannten Jinchūriki hatte sie bei Gott keine Zeit für die Liebe; geschweige denn Sasuke durch Konoha zu ziehen!

Erleichterung brach über sie hinweg, als sie endlich das Tor zum Uchihaviertel erblickten. Es war längst geschlossen – »Paranoides Pack.»– deshalb umrundeten sie die Mauer bis zu jener Stelle, die sie immer genutzt hatten, um Sasuke frühmorgens aus dem Bett zu zerren, als sie noch Team Sieben gewesen waren. Das alte Team Sieben. Die alte Trauerweide war immer noch da und überraschenderweise schafften sie es ohne größere Pannen, den einzig gemeldeten Bewohner ihrer Gruppe über die Steinmauer zu hieven. Ohne ihm etwas zu brechen. Ohne sich selbst etwas zu brechen. Sakura war stolz auf ihre Leistungen, die sich bei Hindernisläufen gewiss gut gemacht hätten. Sollte es jemals eine offizielle Olympiade für Ninjas geben, würden Naruto und sie diese Disziplin übernehmen.

»Komm schon, Sasuke-kun, nur noch ein paar Meter«, bat Sakura. Sie flehte ihn förmlich an, aufzustehen, doch der Betrunkene weigerte sich vehement. Sturheit war ein Attribut, das sie nicht sonderlich an ihm schätzte, ebenso wenig wie Narutos brutale Ader, mit der er Sasuke auf die Beine zerrte und hinter sich über den gepflegten Rasen an jene Seite der Veranda schleifte, die zum Gemüsebeet hinausging. Es war acht Jahre her, seit sie das letzte Mal das Uchihaviertel betreten hatten. Umso überraschter war Sakura, dass sich nichts verändert hatte. Der hübsche Brunnen zierte noch immer die Mitte des hinteren Gartenareals – Areal war kein übertriebenes Wort – und Sasukes Zimmer sah aus wie eh und je. Er hatte noch nie viele persönliche Dinge darin verstaut gehalten, anders als seine ehemalige Teamkameraden, deren Kinderzimmer vollgestopft waren mit kitschigem Tand, von dem sie sich nicht trennen konnten. Fotos, Spielzeuge, Kinderbücher, Souvenirs. Sasuke hatte nichts davon, zumindest nicht offensichtlich drapiert.

Naruto ließ ihn unsanft auf den Boden fallen. Sakura machte sich zwar noch die Mühe, einen Futon aus dem Wandschrank zu holen und ihn auszubreiten, doch ihr Freund machte keinerlei Anstalten, ihr dabei zu helfen, den Ballast auf die Unterlage zu rollen. Sie wollte sich dieses Unterfangen nicht im Alleingang antun. Letztendlich blieb ihr keine Wahl.

»Ich gehe nach Hause.«

»Warte, Naruto, du kannst mich hier nicht mit ihm zurücklassen – komm zurück!«

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin inzwischen nüchtern genug, um mich zu weigern, diesem Möchtegernshinobi zur Seite zu stehen. Tu, was du nicht lassen kannst, Sakura-chan, ich will ins Bett. Sai wird mir Vorträge halten, wenn ich verschlafe. Schon wieder. Gute Nacht.« Grinsend legte er die Finger an die Stirn, um sie zu einem Abschiedsgruß abzustoßen. Dann war er verschwunden.

Sakura ließ sich stöhnend auf Sasukes Futon fallen. Hierbleiben und schlafen war eine wohltuende Option, wenn sie sich nicht gewahr gewesen wäre, dass einige Uchihas möglicherweise Einwand hätten. Mikoto mochte sie noch aus Sasukes Genintagen, aber der Rest der Familie … Sakura wollte lieber nicht in Erklärungsnot darüber geraten, wie sie in Sasukes Futon gelandet war.

Wohlweißlich, dass er nach dem Aufwachen seine gerechte Strafe für die Gemeinheiten der letzten Mission quittiert bekäme – dieser Kater würde ein Tiger werden – ließ sie eine Decke über seine Schultern gleiten. Er schmatzte, wie ein Betrunkener es eben tat, und zog die Decke enger um sich. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie Präventivmaßnahmen gegen seinen Kater treffen können. Der Sake fuhrwerkte noch genügend in ihren inneren Bahnen herum, sodass sie diese Möglichkeit nicht in Betracht zog. Woher sollte sie auch Chakra nehmen? Ihr Level war noch auf kein akzeptables Maß zurückgekehrt. Ihre winzigen Reserven reichten gerade für eine Behandlung ihrer eigenen Kopfschmerzen, deren Abflauen sie einigermaßen nüchtern werden ließ. Oh, Sasukes Quittung würde ein Heidenspaß werden! Zu schade, dass sie nicht bleiben konnte, bis er beim ersten grellen Sonnenstrahl die Augen aufschlug. Sich über diesen heiteren Ausblick in stummer Schadenfröhlichkeit amüsierend, schloss sie die Schiebetür von außen, sodass Sasuke zumindest ein wenig Schonfrist hatte. Sie war kein Unmensch, nur manchmal etwas gemein.

Draußen schien der Mond ebenso hell wie vor fünf Minuten. Das silberne Licht, das auf die Blätter einer Hyazinthe fiel, war so kitschig wie ein wunderschöner goldener Sonnenaufgang über dem Meer. Vielleicht waren es auch Hortensien oder Krokusse, sie war keine Botanikerin. Solange es eine Heilpflanze war, konnte sie Lebensdauer, Vorkommen, Familie und Verwandte benennen. Dieses Ding hier war hübsch anzusehen, konnte aber keine Leben retten.

»Gerbera. Die Lieblingsblumen meiner Mutter.«

Die männliche Stimme hätte sie beinahe aufschreien lassen, stattdessen zuckte Sakura vor Schreck zusammen und knickte den Stiel der vordersten Blume ab. »Teufel!«

»Uchiha Itachi, eigentlich«, korrigierte er trocken.

Ach, nein?, lag ihr auf der Zunge. Welch unlustiger Humor. Dabei wusste er ganz genau, dass sie einen Ausruf des Entsetzend getätigt hatte. Ebenso wie er wusste, dass man Leute damit erschreckte, wenn man sich mit unterdrücktem Chakra im Dunkeln an sie heranschlich. »Das hast du doch mit Absicht gemacht, Itachi-san«, meinte sie nicht minder trocken, wenn auch nicht annähernd so nüchtern. Sie hätte wohl doch mehr Alkohol aus ihrem Blut filtern sollen.

Er sah sie abschätzig an. »Es gehört nicht zu meinen Hobbys, mich von grundstücksfremden Kunoichis in meinem Garten beleidigen zu lassen.«

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich ohne Verbeugung. Sie fühlte sich ertappt und das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen, ließ ihren Blick zu Sasukes Tür abschweifen. »Nachdem du mit Shisui gegangen warst, spitzte sich der Wettkampf ein wenig zu. Naruto und ich wollten Sasuke bloß nach Hause bringen. Ich werde nicht mehr unerlaubt hier eindringen.«

Dass er mit seinem Genie längst die Fakten zusammengezählt hatte, wurde ihr erst bewusst, nachdem sie geendet hatte. Andererseits war er hinausgekommen, obwohl er ihr und Narutos Chakra gespürt hatte.

»Du siehst recht nüchtern aus für die Siegerin eines Trinkwettbewerbes«, meinte er unverhohlen. Sakura zuckte die Schultern.

»Ich bin Tsunades Schülerin, in vielerlei Hinsicht.« Dass er fieberhaft nach einer Erklärung suchte, konnte sie an seinen Augen sehen, die leicht verengt unter den zusammengezogenen Augenbrauen hervorblitzten. Demonstrativ hob sie ihren grün leuchtenden Zeigefinger. »Medizinisches Chakra. Es hat die Eigenschaft, körperfremde Subtanzen im Blut zu isolieren. Missbräuchlich angewandt ist es ein wirksames Anti-Kater-Mittel.«

»Ah«, machte er einverstanden. »Es ist dasselbe Prinzip, dass du bei der Heilung Kankurō-sans anwandtest. Ich habe einen Blick auf die Berichte dazu geworfen. Eine bemerkenswerte Leistung.«

Sakura spürte, wie sie aufgrund dieses Kompliments zu erröten begann. Vorsichtshalber schob sie es auf den Sake. »Ich lerne bei der Besten.«

»Das ist wohl so. Bei dieser Mission wurde Shukaku extrahiert«, fuhr er fort. Diese Tatsachenaufzählung warf sie ein wenig aus der Bahn.

»Wir versagten. Kakashi-sensei wurde schwer verletzt.«

»Die Berichte sagen, dass du imstande warst, ein Mitglied Akatsukis zu töten. Nicht nur die Berichte. Man sprach sogar in Jōninkreisen einige Zeit lang davon. Es ist sehr unüblich, dass ein junger Chūnin derartiges bewerkstelligt.«

Die Röte wich aus ihren Wangen zurück. Dieses Lob, wenn es denn eines war, hatte sie mit keiner Silbe verdient. Kankurō war ihr Verdienst, doch der Rest … »Ich hatte Hilfe von einer starken Frau. Ohne sie hätte ich es nicht überlebt. Ein Chūnin gegen einen Akatsuki – klingt das nicht lächerlich?«

»Shukaku war wohl erst der Anfang der Serie«, fuhr er fort. »Es gibt sehr viele Anhaltspunkte, dass Akatsuki es auf alle Bijū abgesehen hat. Wir sollten uns alle auf die Bijū betreffenden Missionen einstellen.«

Für einen Augenblick verfielen sie in angespanntes Schweigen, bis sie ein hohles Lachen ausstieß. Da stand sie, im Garten der Uchihas, und sprach mit einem ANBU Captain um zwei Uhr nachts über gefährliche Monster. Es war bemerkenswert, wie souverän er wurde, wenn es um Shinobiangelegenheiten ging. Diese Selbstsicherheit war es, die sie in seiner Gegenwart verunsicherte. Vor allem jetzt, wo sie derart in seine Privatsphäre eingedrungen war. Es hatte einen Grund, dass die Uchihas sich abschotteten. Sie schätzten ihren persönlichen Raum. Wieso er dann hinausgekommen war, um mit ihr zu unheiliger Stunde über Missionen zu sprechen, war ihr gerade deswegen unverständlich. Allerdings hätten sie über kaum etwas anderes sprechen können.

»Es tut mir sehr leid, dich geweckt zu haben. Ich wollte Sasuke-kun wirklich nur sicher zu Hause wissen.« Nach einer Verbeugung drehte sie sich auf den Ballen um und wollte eilig verschwinden, als er sie zurückhielt.

»Sakura-san, ich habe nicht geschlafen. Eine Sache interessiert mich: mein Bruder ist intelligent. Wie habt ihr es geschafft, ihn so betrunken zu machen, ohne selbst betrunken zu werden?«

Sakura war von dieser Frage mehr als überrascht. Es ging um Sasuke, versicherte sie sich. Jeder wusste, wie fixiert Itachi auf seinen kleinen Bruder war, sodass es sie nicht hätte verwundern müssen, vor einem Vorwurf zu stehen, wenn sie ebenjenen behüteten Schützling mit bösem Alkohol füllte. Zugegeben, der Trick war niveaulos. Dass Itachi ihn nicht erraten konnte, wunderte sie umso mehr. Er war vermutlich zu banal für ein Genie.

»Du hast den Sinn dieses Trinkspiels nicht verstanden. Es geht immer zwei gegen einen. Bei jedem Mal Anstoßen muss getrunken werden. Einmal erhebt Naruto sein Glas mit Sasuke, einmal ich, Naruto, ich, Naruto …« Sie schnippte ihre Zeigefinger zusammen. Itachis Gesicht nahm einen zweifelnden Ausdruck an, als er verstand.

»Ein äußerst hinterhältiges Spiel.«

»Sasuke mag schlau sein, aber seine Entschlossenheit, gegen Naruto zu gewinnen, ist derart ausgeprägt, dass er die einfachsten Fallen übersieht. Ich möchte nicht behaupten, ihm eine Lektion erteilt zu haben. Es diente eher zur persönlichen Belustigung. Wenn es dabei auch noch lehrreich war, habe ich nichts zu bereuen. Sieh es als Bezahlung«, schlug sie vor, »Dass ich dich vor Ino gerettet habe. Sie kann manchmal ein regelrechtes Monster sein, wenn sie jemanden attraktiv findet.«

Er sah sie ausdruckslos an. Diese Beherrschtheit, mit der er seine Mimik unter Kontrolle hatte, war zum Verrücktwerden! »Sie scheint mir eine anstrengende Persönlichkeit zu sein.«

»So kann man es auch nennen. Ich sollte lieber gehen. Tsunade-sama hat mir zur Strafe Überstunden im Krankenhaus aufgebrummt.« Sie erwartete keine Entschuldigung, darum war sie auch nicht enttäuscht, dass sie keine bekam. Itachi wog seine nächsten Worte sorgfältig ab, was seine Antwort lange hinauszögerte.

»Ich habe nicht vor, alte Lamellen aufzuwärmen. Hinzu kommt, dass ich nicht länger dein Vorgesetzter bin, Sakura-san. Ich habe keine Intention, dich weiterhin in deiner Entscheidungsfreiheit zu beschneiden.«

Sakura hatte mit vielem gerechnet, bloß damit nicht. Sie war erleichtert, einer neuen Maßregelung entkommen zu sein. Noch einmal hätte sie sich nicht gegen ihn behaupten können.

»Es tut mir leid, dich gestört zu haben, Itachi-san. Gute Nacht.« Ehe er sie erneut zurückhalten konnte, was er nicht getan hätte, sprang sie über die Mauer zurück in den öffentlichen Bereich. Sie hätte das Tor nehmen können, doch es war mitten in der Nacht, sie war müde und Itachi machte sie nervös.

Nicht. gut.
 

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Da er ein Frühaufsteher war, konnte er in Ruhe beim Frühstück mit seiner Mutter die aufgehende Sonne durch die geöffnete Schiebetür des Esszimmers beobachten. Im Gegensatz zu Sasuke, dem die Anerkennung seines Vaters als Grundnahrungsmittel diente, gab Itachi gerne zu, seine Mutter vor allen anderen Familienmitgliedern zu präferieren. Vielleicht, weil die Anerkennung seines Vaters für ihn omnipräsent war, Lob von seiner Mutter jedoch selten. Sie war wohlwollend, aber streng, wenn es um Manieren ging. Sie hatte Jahre darauf verschwendet, sein Ego nicht zu groß werden zu lassen. Es war ein schwieriges Unterfangen, einem jungen Ausnahmetalent innerhalb eines Klans, der auf seinen Talenten gründete, zu erklären, dass Talent nicht alles war. Itachi war sich ihrer Anstrengungen gewahr und rechnete ihr den Versuch, ihn zu einem sozial kompatiblen Menschen zu machen, hoch an. Mikoto war niemals eine Kunoichi von Grund auf gewesen, obwohl sie den Rang eines Jōnin erreicht hatte. In erster Linie war sie Ehefrau und Mutter, die es nicht schätzte, wenn ihr ältester Sohn tagelang wegblieb, seine Missionen über alles stellte und statt einem Einkaufsbummel mit ihr lieber mit Shisui trainierte. Er liebte seine Mutter aufrichtig, doch sie war verständnisvoll genug, ihm den Freiraum zu lassen, sie zum Wohle seiner persönlichen Interessen zu vernachlässigen. Für diese Selbstlosigkeit kannte er kein Maß und es wäre ihm leichter gefallen, sich Vorwürfe deswegen zu machen, wenn sie ihn deswegen angeschrien hätte. Dann hätte er wenigstens kein schlechtes Gewissen, weil er kein schlechtes Gewissen hatte.

»Wie schmeckt der Tee, Itachi?«, begann Mikoto eine harmlose Konversation. Er zollte anerkennendes Nicken. »Deine Lieblingssorte geht langsam zur Neige. Ich werde später ins Dorf gehen, um Nachschub zu besorgen. Möchtest du mitkommen?«

Itachi spülte den bitteren Nachgeschmack dieser Frage mit einem Schluck Tee hinunter. »Ich muss leider etwas erledigen, Okāsan.« Er wäre gerne mit ihr gegangen, doch wie die Dinge standen, hatte er eine Menge zu tun. Akatsukis Aktivitäten wollten einfach keinen Sinn ergeben. Sie waren ein kunterbunter Haufen willkürlicher Muster, die er selbst nach langen Überlegungen nicht zu einem sinnvollen Konstrukt zusammenfügen konnte. Tsunade hatte ihn bereits für eine neue Erkundungsmission eingeteilt, die er morgen beginnen sollte. Wie lange ihn seine Mutter diesmal missen würde müssen, war ungewiss.

Dann war da noch Sasuke, der ihn beschäftigte. Sein Otōto schien noch immer an Sakura und Naruto zu hängen, sonst wäre er in Amegakure nicht in sein altes Muster der emotional geleiteten Handlungen verfallen. Sasuke war nicht wie Itachi, der seine Gefühle in eine unbeachtete Ecke verschob, wo sie der Rationalität nicht hinderlich sein konnten. Sein Vater hatte versucht, einen solchen Shinobi aus ihm zu machen; darum hatte Sasuke auch eingewilligt, Team Sieben zu verlassen. Seine Emotionalität hatte sich drastisch reduziert und Itachi hatte geglaubt, er hätte einfach mehr Zeit gebraucht, um geistige Reife zu entwickeln. Dass diese darin bestand, sich ablenken zu lassen und autoritären Befehlen zum Schutz der Kameraden zu trotzen, hatte er hingegen nicht für wahrscheinlich gehalten. Er hatte Team Sieben noch nicht überwunden, würde es vielleicht nie, das war Itachis interessante Erkenntnis, die er aus Amegakure mitgenommen hatte. Sasuke, Sakura und Naruto waren seit Jahren getrennt, dennoch hatte das Teamwork eine erschreckend perfekte Richtung eingeschlagen. Shisui und er waren ein Beispiel, an dem er das Maß ihrer Zusammenarbeit abschätzen konnte. Sie verstanden sich blind, wortlos und ohne Absprache. Team Siebens Handlungen, wenn auch ungeplant, waren in sich nicht minder konsistent, sodass Itachi der einzige Störfaktor gewesen war, der diese homöostatischen Prozesse gehemmt hatte.

Kein schöner Gedanke, wie er zugeben musste. Immerhin hatte seine Mutter in diesem Punkt ihrer Erziehung ganze Arbeit geleistet.

Er wusste, wie unfair seine Strafpredigt Sasuke gegenüber gewesen war. Mehr oder weniger zumindest. Sasuke mochte für einen Moment unachtsam gewesen sein, doch Sakura war gut in der Lage gewesen, sich zu verteidigen. Am Ende war es gut ausgegangen, was mehr als bloßer Zufall war, und wenn er ehrlich war, hätten sie Itachi nicht gebraucht, um die Mission nicht minder erfolgreich abzuschließen. Er hatte Pain zusammen mit dem Fuchsjungen in Schach gehalten, was dieser gut alleine geschafft hätte.

Itachis Gedanken kehrten zurück zum weiblichen Part des Teams. Er war keiner jener Sexisten, die eine Kunoichi prinzipiell als das schwächste Glied in der Kette sahen. Uzuki Yūgao war in seinem Team und unter ihm gab es keine schwachen Glieder. Doch Haruno Sakura war in erster Linie eine Iryōnin. Eine Iryōnin, die an der Front kämpfen konnte, was an sich schon eine interessante Kombination darstellte. Ihre Chakrakontrolle war bemerkenswert, ihre Präzision nicht minder. Sie hätte es vielleicht sogar mit seinem zwölfjährigen Ich aufnehmen können, was nicht viele von sich behaupten konnten. Die Undiszipliniertheit, auf die sie sich in seinem breiten Vorwurf versteift hatte, war neben ihrer übersteigerten emotionalen Involviertheit ihr größtes Manko, aber auch ihre größte Stärke. Gefühle konnten Ressourcen entfachen, die fähig waren, vieles zu kompensieren. Er fühlte sich nicht dazu berufen, sie zu einer gefühllosen Kunoichi zu erziehen. Es gab jene, die sich distanzieren konnten und jene, die es nicht schafften oder gar nicht erst versuchten. Keiner der beiden Pfade war schlechter als der andere. Für ihn persönlich verständlicher, aber nicht besser. Er maß sich nicht an, zu bewerten.

»Könntest du für heute Abend Mochi machen?«, bat er seine Mutter, die stumm von der anderen Seite des Tisches in den Garten gesehen hatte, dessen taunasses Gras langsam von den ersten zaghaften Herbstsonnenstrahlen benetzt wurde. Sie wusste, wann er Ruhe zum Nachdenken brauchte.

»Natürlich.« Mikoto schenkte ihm ein herzliches Lächeln. Ihre Kochkünste waren das einzige, das ihre Männer an den gemeinsamen Tisch brachte. Manchmal zumindest. »Hast du eine Ahnung, wer in meinen Gerbera gewütet hat? Als ich gestern Abend nachsah, waren alle Stiele heil und ich kann mich nicht entsinnen, dass in Nacht auch nur ein zarter Windhauch wehte.«

Itachi überlegte einen Augenblick, was er antworten sollte. Er war nicht gut im Lügen, schon gar nicht vor der Frau, die ihn geboren hatte. Wenn er eines als Shinobi gelernt hatte, dann dies: Täuschungen führten bloß du unangenehmen Enthüllungen. »Haruno Sakura.«

Mikoto hatte keineswegs mit dieser Antwort gerechnet, das konnte er an der Art, wie ihr Mund ein kleines 'o' formte, sehen. »Tatsächlich? Was hatte Sakura-chan in unserem Garten verloren?«

Ebenso wie er ihre Verwunderung gesehen hatte, bemerkte er, wie sie die klitzekleine Information nach hinten verschob, um sie später erneut aufzubringen. Was genau derart interessant daran war, dass er weit nach Mitternacht mit einer anderen Kunoichi gesprochen hatte, konnte er nicht beurteilen. Für seine Mutter jedenfalls schien es jene Art von Wissen zu sein, die sie gerne anhäufte, um ihren sozial verkrüppelten Söhnen einen emotionalen Strick daraus zu drehen.

Als er keine Antwort gab, fuhr Mikoto fort. »Es hat nicht zufällig etwas mit Sasuke zu tun? Als ich ihn wecken wollte, machte er den Eindruck, als wäre er von einem bösen Geist besessen. Kannst du mir sagen, was ihm zugestoßen ist?«

»Reichlich Sake und aufopferungsfreudige Freunde«, meinte er schlicht. Ein weiterer Beweis für Sasukes Verwobenheit mit seinen ehemaligen Teamkameraden; andernfalls hätte er sich nicht die Mühe gemacht, überhaupt zu diesem Treffen zu erscheinen.

»Seit wann trinkt einer meiner Söhne Alkohol?« Sie tippte unzufrieden auf den Rand ihrer leeren Tasse.

Er stand auf, stellte seine eigene leere Tasse ab und streckte seine vom Seiza beanspruchten Glieder. »Seit Sasuke sich entschieden hat, fleischliche Gelüsten einem stählernen Geist vorzuziehen. Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass Sasuke sich in nächster Zeit vermehrt mit Dingen auseinandersetzen wird, die nichts mit unserer Definition des Shinobilebens zu tun haben.«

»Du meinst mit deiner Definition«, berichtigte seine Mutter ihn. Sie erhob sich ebenfalls, um die Tassen in die Küche zu bringen, in die er ihr folgte. Sie war noch nicht fertig mit ihrer Argumentation, das konnte er an den kleinen Falten um ihre Mundwinkel herum sehen. Er hatte zwei Jahrzehnte darauf verwandt, die Körpersprache seiner Eltern zu analysieren. Manchmal bereute er es. »Wie oft habe ich gepredigt, dass Missionen nicht alles sind? Zu einem gesunden Körper gehört ein gesunder Geist, den man nur durch Ausgewogenheit zwischen Verzicht und Freude stärken kann.«

»Training macht mir Freude, Okāsan.«

Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Du weißt, was ich meine. Wenigstens begreift Sasuke endlich, wie wichtig es ist, sich ab und an gehen zu lassen; sich mit Freunden zu treffen und zu amüsieren. Etwas, das man von dir nicht behaupten kann.« Mit erhobenem Finger deutete sie anklagend auf ihn. »Du bist so gut wie nie zu Hause, nicht einmal in Konoha oder gar Hi no Kuni, und wenn du es bist, bringst du deine Zeit mit isoliertem Training oder Büchern zu. Irgendwann wirst du sehen, was du davon hast.«

Itachi schüttelte den Kopf über diese haltlose Anschuldigung, mit der sie fast recht hatte. Ihre beiden Definitionen vom Leben als Knecht des Dorfes hätten unterschiedlicher nicht sein können. Die seine separierte sich in ihrem Ausmaß sowieso von allen anderen. Er war ein absoluter Mensch, kompromisslos und unnachgiebig. Halbe Sachen zu machen war nicht das Prinzip, nach dem Uchiha Itachi seine Existenz bestritt.

»Man antwortet auf die Argumente seiner Mutter«, belehrte Mikoto ihn mit tadelndem Blick, den sie nicht lange aufrechthalten konnte. »Ich will nur nicht, dass du dich in der letzten Sekunde deines Lebens fragst, was du alles verpasst hast.«

»Das werde ich nicht«, war seine wahrheitsgemäße Antwort. »Mein Leben war vorherbestimmt, als ich in diesen Klan geboren wurde. Er hat dieses Schicksal für mich bestimmt; er muss mit den Konsequenzen leben.«

»Du weißt, dass ich dieses Leben nicht für dich erwählt hätte. Getrieben vom blinden Ehrgeiz deines Vaters. Und doch …« Sie berührte liebevoll seine Wange. Ihr Lächeln war strahlender als die Sonne selbst. »Und doch bin ich unendlich stolz darauf, welch stattlicher, verantwortungsbewusster und starker Mann du geworden bist. Arbeite nur nicht zu hart. Ich weiß, wie deine Regeln der Absolutheit aussehen. Am Grab meines eigenen Sohnes zu stehen ist eine Vorstellung, die ich nicht ertrage, Itachi. Selbst der stärkste Ninja eines Dorfes ist nicht allmächtig.«

Itachi berührte ihren Handrücken, um ihre Hand sanft von seiner Wange zu nehmen und sie mit seinen eigenen zu umschließen. »Nach all den Jahren, in denen du mich belehrt hast, immer kritisch mit mir selbst zu sein, sehe ich mich nicht als den stärksten Ninja Konohas.« Er drückte dankbar ihre Hand. »Aber ich bin froh, dass du es tust, Okāsan.«

Die traute Harmonie wurde durch einen Mann zerstört, der wie aus dem Nichts in einem der beiden geöffneten Küchenfenster erschien. Er räusperte sich, um die ihm zustehende Aufmerksamkeit zu erlangen, was Mikoto in ihrem Haus als Beschneidung der allgemeinen Höflichkeit geahndet hätte, hätte der Bote nicht gesprochen, ehe sie ansetzten konnte. »Hokage-sama wünscht Euch in Ihrem Büro zu sehen, Uchiha-sama.«

»Euer Aufbruch ist doch aber erst für morgen anberaumt«, erinnerte Mikoto sich zweifelnd.

Itachi nickte verstehend, küsste ihre Wange und ging auf den Boten zu, der ihm ein offizielles Schreiben aushändigte, dessen kurze Zeilen er aufmerksam las. Er schenkte seiner Mutter einen entschuldigenden Blick, dessen Erwiderung ihrerseits schleichende Schuldgefühle in ihm weckte. Ihre dunklen Augen glitzerten enttäuscht.

»Mochi werden nicht kalt«, sagte sie schließlich. Dann war er verschwunden.
 

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Manchmal gab es Tage, an denen Yūgao ihr Leben hasste. Seit ihr Verlobter vor einigen Jahren von Orochimaru getötet worden war, war ihr Leben lange Zeit nicht mehr in geregelten Bahnen verlaufen. Sie hatte ihre Tätigkeit bei der ANBU auf Eis gelegt, sich bei ihrer Freundin Kurenai verkrochen und war wochenlang mit stummen, bitteren Tränen in einem leeren Bett aufgewacht. Dann war Uchiha Itachi gekommen und hatte sie für eine Mission rekrutiert. An diesem Tag im März vor über drei Jahren, an dem die Kirschblüten so schön geblüht hatten wie noch nie zu dieser Jahreszeit, hatte er ihr ein lukratives Angebot gemacht, als seine Partnerin in einem ANBU Trio zusammen mit Uchiha Shisui nach Yuki no Kuni zu reisen, um dort einem international gesuchten S-Klasse Verbrecher aufzulauern. Ihre Kenjutsu war hervorragend, besser als guter Durchschnitt, immerhin war sie nicht umsonst im Alter von sechzehn bei der ANBU gelandet.

Es war eine interessante Mission gewesen, denn Uchiha Itachis Arbeitsweise unterschied sich von allem, das sie bislang gekannt hatte. Um sein Wesen zu erfassen, fehlte es ihr an Vokabular, doch nachdem sie zusammen mit Shisui die Leibwächter der Zielperson spielend leicht eliminiert hatte, hätte sie nicht gedacht, dass er sie dermaßen beeindrucken konnte. Er hatte nicht einmal seine Sharingan aktiviert, um den gefürchteten Kriminellen mit bloß einer Bewegung auszuschalten. Yūgao hatte in diesem Moment realisiert, wie schwach sie doch im Vergleich zu ihm war.

»Er ist ein Angeber«, hatte Shisui mit herzlichem Augenzwinkern gesagt, »Ohne wirklich anzugeben.«

Dies war die Minute gewesen, in der sie entschieden hatte, zu neuer Größe zu finden. Auf der Heimreise hatte sie einen Hinterhalt vor allen anderen entdeckt und mit ihrem ungezogenen Katana drei Angreifer auf einmal erledigt.

Dies wiederum war die Minute gewesen, in der Itachi entschieden hatte, sie in seine Kategorie präferierter Teammitglieder aufzunehmen. Die Mission in Yuki no Kuni hatte den Anfang einer glanzvollen Zusammenarbeit markiert.

Heute, bald vier Jahre später, bereute sie diesen Entschluss.

»Komm schon, Yūgao-tan! Du weißt nicht, wie glücklich du mich damit machen würdest!«

Entschlossen wehrte sie Shisuis Versuch, sie zu umarmen, ab, indem sie ihn mit ihrer Hand in seinem Gesicht wegdrückte. Dieser Mann war ein einziger Flirt, der ihr unsäglich auf die Nerven fiel. Als würde sie auch nur daran denken, mit einem Kollegen auszugehen!

»Das glaube ich dir«, spottete sie hohl. »Hau' ab, sonst zerstückele ich dich mit meinem Katana in dreiundvierzig feinsäuberlich getrennte Einzelportionen – eine für jeden Monat, den du mir auf den Geist gehst!«

»Du bist herzlos«, kommentierte er, seine üblichen Versuche aufgebend. Gespielt niedergeschlagen verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und sah in den klaren Morgenhimmel, auf dem eine einzige Wolke die heitere Stimmung störte. »Wir sollten erst morgen abreisen. Etwas stimmt nicht. Verzögerungen sind normal, aber Vorziehen?«

Yūgao richtete ihr Schwert, das sie zuvor drohend angestoßen hatte. Sie fühlte diese getrübte Grundstimmung, die schon seit Wochen an allen Ecken wie ungreifbarer grauer Nebel hing. Mit jedem neuen Tag intensivierte sie sich zu einer bösen Vorahnung. Der Winter kam rasch näher, aber was kam danach? Wenn das Eis schmolz, der Schnee taute und man über die unvorteilhafte Jahreszeit hinweg sein stummes Wettrüsten fortgesetzt hatte, gab es nur wenige Alternativen.

»Unser Team hatte noch niemals eine ungeplante Abreise«, überlegte sie. »Hokage-sama muss etwas mit großer Wichtigkeit für uns haben. Ich denke nicht, dass wir den Auftrag wie besprochen durchführen – Sasuke!«

Die Uchihas, einer wie der andere, waren in der Regel vor allem durch ihr ansprechendes Äußeres gekennzeichnet. Eine schöne Familie voller Talente, was sie respektiert, aber nicht sonderlich beliebt machte. Sogar Shisui war ein Mann beeindrucken attraktiven Formats und wäre Yūgao nicht der Überzeugung gewesen, dass er mit seinen Affären die Zeit überbrücken wollte, bis der Klan eine Frau für ihn ausgesucht hatte, was aufgrund seines Alters von mittlerweile knapp dreißig Jahren langsam drängte, hätte sie sich vielleicht irgendwann einmal auf ihn eingelassen – sie selbst hatte die dreißig letztes Jahr überschritten und verspürte keine sonderliche Lust, sich zu binden, insofern konnte sie seinen Standpunkt hinsichtlich längerfristiger Beziehungen verstehen. Zu seinem Pech würde er sich nicht ewig gegen seine Familie wehren können. Wie Itachi es schaffte, sich immer wieder aus diesem Heiratswahn zu ziehen, war ihr schleierhaft, wo sich doch genügend reiche Frauen mächtiger Familien nach ihm die Finger leckten. Itachi war nicht der schönste Mann des Klans, aber er war der Erbe. Um den Titel des Schönsten buhlten Sasuke und Izuya unbewusst seit Jahren. So wie erster heute ankam, hätte er glatt verloren.

»Was ist mit dir passiert, Sasuke-chan?«, neckte Shisui ihn.

»Sake«, murmelte Sasuke verschlafen. So verschlafen, dass er nicht einmal die Muße fand, sich über dieses niedliche Suffix zu beschweren, das sein Cousin ihm öfters zu geben pflegte. Sein Teint war aschfahl, seine Augenlider angeschwollen und sein Haar sah aus, als habe jemand darauf gesessen. »Wieso sind wir hier? Dieser bescheuerte Botenninja hat mir einen Heidenschreck eingejagt, als er mich aufweckte. Wir sollten doch erst morgen aufbrechen.«

»Das haben wir bereits geklärt«, informierte Yūgao ihn auf die Uhr sehend. »Wir warten auf Itachi, um Details zu erhalten. Er müsste jeden Augenblick –«

»Und da ist er auch schon.« Shisui ahmte Trommelwirbel nach, der von seinem Captain sofort unterbunden wurde. In manchen Momenten tat er ihr leid; in seiner guten Laune gedämmt zu werden, war kein schönes Gefühl. Aber sie waren am Beginn einer wichtigen Mission und dieser Moment war keiner davon.

»Wie lautet der Auftrag?«, fragte sie unverhohlen. Sie kannte Itachi lange genug, um seine Arbeitsmethodik zu kennen und in weiterer Folge zu schätzen. Auf den Punkt zu kommen war der erste Schritt zu seiner Zufriedenheit und in weiterer Folge zu einem reibungslosen Ablauf der Mission.

»Nii Yugito wurde vor etwa zweiundsiebzig Stunden getötet. Man fand ihre Leiche fernab ihrer Heimat auf der Höhe von Kusa no Kuni in einer Höhle.«

»Wurde der Bijū extrahiert?«, wollte sie weiter wissen. Die Antwort lag klar auf der Hand.

»Ja. Der Übergriff trägt klare Spuren von Akatsuki. Laut den Missionsausschreibungen befand sie sich auf dem Weg nach Taki no Kuni, als sie angegriffen wurde. Wir sollen herausfinden wie und warum sie nach Kusa kam. Hokage-sama geht lieber auf Nummer sicher, deshalb schickt sie ein ANBU Team anstatt eines Spähtrupps. Die Chance ist hoch, dass wir Mitgliedern von Akatsuki begegnen, es ist also Vorsicht und Konzentration geboten. Sasuke, fühlst du dich dazu imstande?«

Yūgao konnte beobachten, wie die Gesichtszüge des jüngsten Teammitglieds von leidender Agonie in entschlossenen Ernst übergingen. Sasuke wusste sehr genau, dass sein Bruder ihn nicht protegierte, bloß weil sie blutsverwandt waren. Er würde ihn hierlassen, wenn er nicht einsatzfähig war. Ihr selbst war es zweimal passiert, dass er sie aufs Abstellgleis geschoben hatte, weil sie nicht hundertprozentig fit gewesen war. Als Asuma gestorben und Kurenai am Boden zerstört gewesen war, hatte Yūgao versucht, ihre Freundin wieder aufzubauen. Der Preis hatte daraus bestanden, aus der nächsten Mission ausgeschlossen worden zu sein, weil sie in der vorherigen Mist gebaut hatte. Ein winziger Fehler – ein aus Ablenkung zu spät geworfener Kunai – der keine negativen Auswirkungen gehabt hatte, außer die Entscheidung ihres Captains, sie so lange in Konoha zu lassen, bis sie sich wieder im Griff hatte.

»Shisui.« Itachi wandte sich seinem Cousin zu, dessen strahlendes Lächeln zu einer harten Linie verkommen war. »Du bist der Frontmann und gibst das Tempo vor. Yūgao, du sicherst mit mir die Flanken sobald wir die Grenze zu Taki no Kuni überquert haben.«

»Wir nehmen die Nordwestroute?«, warf sie skeptisch ein. »Das bedeutet einen unnötigen Umweg, Itachi –« Sein Blick – oh, wie oft sah er sie mit diesem Blick an! – ließ sie die Verschränkung ihrer Arme lösen und diese neben ihren Hüften von sich strecken. »Du weißt, was ich meine. Wenn wir die Westroute durch die Klangwälder nehmen, sind wir sieben Stunden schneller. Der Umweg über den Kitazamapass ist beschwerlicher und zeitintensiver.«

»Und er spart uns vier Stunden in Kusa no Kuni«, beharrte er. Yūgao hatte nicht erwartet, ihren Captain mit ihrer Argumentation umstimmen zu können. Sie hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, in lapidaren Angelegenheiten Verhandlungen zu führen. Er war jünger, unerfahrener und der verdammt nochmal beste ANBU Captain, unter dem sie jemals agiert hatte. Vielleicht würde sie nie darüber hinwegkommen, dass sie von jemanden befehligt wurde, der fünf Jahre jünger war als sie, doch er war nur zwei Jahre nach ihr zur ANBU berufen worden. Situationen, in denen er Verbesserungsvorschläge annahm, waren rar. Leider – und dies war der Grund, wieso Yūgao pflegte, ihre persönlichen Proteste hinunterzuspülen – nicht aufgrund seiner Sturheit, sondern weil sein Genie selten Platz für hilfreiche Einwende ließ. Typisch Uchiha.

»Einverstanden.« Sie schenkte ihm ein versöhnliches Lächeln, das er, ohne selbst eine Miene zu verziehen, dankend annahm. Er war kein Mann für Konflikte. Solange sie ihn kannte hatte sie ihn noch nie streiten sehen. Wann immer es einen Weg gab, einer Kontroverse auszuweichen, schlug Itachi ihn ein. Meist, indem er seine unbestreitbare Autorität behauptete oder nicht auf Argumentationen einging, die ihn nicht interessierten. Aus Bequemlichkeit oder Ignoranz maß sie sich nicht an zu beurteilen, Fakt jedoch war, dass sie ihn noch nie in einer Diskussion hatte die Oberhand verlieren sehen. Und es ärgerte sie, dass er eine Perfektion anstrebte, welche per Definition des ANBU Kodex genau diesen Aspekt als dessen zentrales Element postulierte.

Shisui berührte sie kameradschaftlich am Oberarm, um den stillen Wettstreit zwischen ihr und Itachi zu beenden. Das hieß, sie ging gegen ihn an und er verharrte in seiner Position als Anführer, innerlich vermutlich darüber amüsiert, wie fruchtlos ihr herausforderndes Aufbegehren doch war. Es war reine Prinzipsache. Hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern darum, dass sie vor niemandem katzbuckeln würde. Itachi wusste das und er sollte es nie vergessen. Nicht jede Frau war hoffnungslos vernarrt in ihn.

»Wir sollten langsam los«, schlug Shisui auf Itachis Einverständnis wartend vor.

»Sasuke«, schloss dieser sein Briefing ab, »Du behältst das Areal hinter uns im Auge. Keine Sharingan, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.« Diese Befehl galt drei Vierteln des Teams und Yūgao kam nicht umhin, den Mund zu verziehen und ihr Gewicht auf den anderen Fuß zu verlagern. Sie prüfte den Sitz ihres teuren Katanas, das allzeit einsatzbereit auf ihrem Rücken befestigt war, ebenso wie die nicht minder wertvollen Katanas ihrer Kameraden. Es war ein Trost, zu wissen, dass ihr niemand etwas vormachen konnte, wenn es um Kenjutsu ging, selbst Itachi nicht, der dies vor einigen Jahren während einer Trainingseinheit erfahren hatte. Eines von wenigen Erfolgserlebnissen, das sie hütete wie einen Schatz. Uchiha Itachi mochte ein Ausnahmetalent sein, doch vor allem war er eines: ein ANBU. Und sie war nichts Geringeres.

»Aufbruch«, befahl er. Und sie verschwanden gen Nordwesten.
 

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Konohagakure no Sato war ein Dorf, das von Frühaufstehern bevölkert war. Sobald der erste Besitzer seinen Laden geöffnet hatte, erwachte der Puls der Straßen. Morgens gab es die besten Angebote, meiste Auswahl und schönsten Exemplare aller möglichen käuflich zu erwerbenden Produkte wie Waffen, Schriftrollen, Shinobistiefel oder Salat. Ein ansehnliches Exemplar des letzteren hielt Sakura in den Händen.

»Wie findest du ihn?«, erkundigte sie sich argwöhnisch bei ihrer Begleiterin, die ihn in ihren Händen prüfend drehte.

»Nach allem, was ich sehe … ist es Salat.«

Sakura warf das grüne Lebensmittel hoch und fing es leichthändig wieder auf. »Exakt meine Worte, als meine Mutter mich das letzte Mal mit einer derart präzisen Einkaufsliste losschickte. Der letzte war ihr zu hässlich.« Noch immer argwöhnisch klopfte sie auf das Gemüse. »Was kann an Salat hässlich sein?«

»Keine Ahnung, aber weißt du, was ich mich viele eher frage?« Ino stemmte eine Hand in die Hüften und holte zu einer irritierten Geste aus, mit der sie in den Argwohn ihrer Freundin einstimmte. »Erstens, wieso stehen zwei Chūnin und Iryōnin um halb sieben Uhr morgens in einem Lebensmittelladen und diskutieren über ästhetische Ansprüche von Salat. Und zweitens, wieso schickt deine Mutter dich überhaupt noch zum Einkaufen, wenn du immer das Falsche bringst?«

Diese Frage hatte Sakura sich selbst schon oft gestellt. »Frag' sie das selbst. Sie spricht von Verantwortung in häuslichen Pflichten, aber erwarte nicht, dass du auch verstehst, auf was sie hinauswill. Im Endeffekt reicht es wohl nicht, dass ich eine achtzig Stunden Woche im Krankenhaus oder Außendienst habe. In ihren Augen muss ich auch hausfrauliche Qualitäten lernen.«

»Ah«, ließ Ino das Thema fallen. »Da wir gerade davon sprechen, du hast noch kein Wort über die S-Rang Mission mit Itachi-kun erzählt!«

Wann hatten sie jemals davon gesprochen? Seit wann war Uchiha-san in Inos Wortschatz Itachi-kun? Und, was noch viel wichtiger war, die Mission war bereits zwei Wochen her. Wieso fing Ino erst jetzt damit an? Vermutlich, weil sie eine längere Geschichte dahinter vermutete, für welche die kurzen Überschneidungen ihrer Dienstpläne nicht gereicht hätten. Sakura hatte sie auch jetzt nur zufällig auf der Straße getroffen. »Ich muss dich leider enttäuschen, Ino. Es gibt nicht viel zu erzählen. Itachi-san ist gut. Überragend gut. Außerdem führt er ein strenges Regiment und kritisiert leider jeden kleinsten Fehler an mir. Dass Naruto seinen Posten verlassen und während der Reise zweimal die Formation gesprengt hat, weil er unangemeldet auf die Toilette ging, wurde gar nicht erst beredet. Dass ich Jiraiya-samas Leben gerettet habe, hat er nicht einmal angemerkt. Stattdessen verpetzt er mich bei Tsunade-sama. Das ist ja so entwürdigend! Ich hoffe, ich muss nie wieder eine Mission mit ihm machen.« Sie seufzte schwer, als sie diese schwer zu akzeptierende Wahrheit aussprach: »Egal wie gut du bist, neben Uchiha Itachi fühlst du dich wie ein klitzekleiner Wurm, den er ganz einfach zertreten könnte. Dieses Gefühl ist schrecklich. Er hält sogar noch mehr auf sich als Sasuke-kun, das soll mal einer nachmachen. Ernsthaft, wie kann man so arrogant sein? Die ganze Mission über hat er nur die Stimme erhoben, um Naruto und mich zu beleidigen, und als es zum Kampf gegen Akatsuki kam, hätte der Mistkerl mich fast verrecken lassen, weil er lieber zu seinem Bruder rannte!«

»Also sprechen wir jetzt von Sasuke-kun?«, hakte Ino nach, der anzusehen war, dass ihr Bild von Itachi nicht konform ging mit Sakuras Skizzierung.

»Natürlich! Über wen denn sonst?« Sakura warf unwirsch die Hände in die Luft, wobei sie den Salat fallen ließ. Im letzten Moment fing sie ihn mit ihrem Fuß auf, balancierte ihn kurz auf dem Rist und warf ihn wieder zu sich hoch. Sie würde das zerrupfte Stück kaufen müssen. »Meine Mutter bringt mich um, wenn sie das Teil sieht.«

»Wieso ziehst du nicht aus?«

Das hatte sie sich selbst schon oft gefragt. Leider waren die vielen Antworten darauf ernüchternd. »Es rentiert sich einfach nicht. Es gibt nahe dem Krankenhaus Bereitschaftswohnungen, die ich vielleicht mieten könnte. Aber was würde es nützen? Ich bin die meiste Zeit im Krankenhaus oder auf Missionen. Die paar Stunden dazwischen verbringe ich lieber mit meiner Familie, als alleine irgendwo in einem eigenen Appartement.«

Ino begann verhalten zu kichern. »Du könntest ja bei Sasuke-kun einziehen. Die Uchihas würden das sicherlich sehr begrüßen.«

»Ja, genau«, wehrte sie diesen schlechten Scherz ab. Sie zahlte den Salat mitsamt einigen anderen Lebensmitteln und trat hinaus auf die Straße, wo die Sonne endlich vollends aufgegangen war. »Tsunade-sama würde sicherlich einige nette Strafen für mich wissen, wenn ich zum Feind überlaufe. Du weißt doch, auf welchem Kriegsfuß sie mit dem Klan steht.« Mit dem anderen stand sie auf Danzō. Ein gefährliches Dreieck, das in Zeiten politischer Unruhen keine sonderliche Stabilität prognostizierte. Sie als Chūnin konnte nichts tun, selbst wenn sie einen Plan gehabt hätte.

»Lass Tsunade-sama doch Tsunade-sama sein! Wenn ich die Möglichkeit hätte, mit einem Uchiha auszugehen, würde ich sie ergreifen.«

Sakura schenkte ihr einen verstohlenen Seitenblick. »Und seit wann habe ich die Möglichkeit, mit einem auszugehen? Itachi-san würde jemand Untalentiertes und Zügelloses wie mich nicht einmal mit Handschuhen anfassen und Sasuke-kun liefe Gefahr, bei seinem ersten falschen Wort eine Portion Misosuppe im Gesicht zu haben.«

»Ich spreche ja auch hypothetisch.« Die Blondine machte eine wegwerfende Handbewegung nach hinten. »Die sind mir alle zu verkrampft. Außer Shisui-kun. Er hat so ein gewinnendes Wesen. Sasuke-kun hingegen war früher süß, aber heute …«

»Hm«, machte Sakura nachdenklich. Verkrampft war vielleicht das falsche Wort. Versteift traf es besser. »Es muss schwer sein, in einen Klan geboren zu werden, dessen Entscheidungen man sich nicht entziehen kann. Andererseits ist das keine Entschuldigung, andere zu kritisieren, die nicht so viel Glück mit ihrer Begabung haben. Ich trainiere ebenso hart wie jeder andere, vielleicht sogar noch härter. Aber die Uchihas setzten ihre Standards ja schon immer viel zu hoch. Das ist ja so unfair. Muss echt scheiße sein, Erbe eines solchen Klans zu sein.«

Ino blieb stehen und runzelte die Stirn. »Ich dachte, wir sprechen von Sasuke-kun?«

Ertappt strich sie sich durch die Haare. Ihr Herz hatte für einen Augenblick ausgesetzt, als sie realisiert hatte, über wen sie nachdachte. Andererseits, wieso sollte sie es leugnen? Itachi war eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie bewunderte ihn für seine Fähigkeiten und sein Talent. Er war, was er war. Berühmt. Berüchtigt.

»Tun wir ja auch!«, lenkte sie schlussendlich ein. Es war nicht gut, Ino gegenüber zu viel preiszugeben. »Schau, sie haben endlich die neuen Shurikenausführungen, von denen Shisui-san erzählt hat! Ich will sie mir noch ansehen, bevor meine Schicht im Krankenhaus beginnt.«

»Ja, von mir aus«, stimmte Ino verwundert über diese Reaktion zu. Sie machte keine Anstalten, nachzuhaken.

Ein schlechtes Omen. Ein ganz, ganz schlechtes Omen.

 
 

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Seven Number Three

 
 

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Seit Jiraiya vor drei Tagen aus seinem zweiwöchigen Koma erwacht war, versuchte Sakura sich unentwegt vor ihren Schichten bei ihm zu drücken. Sein Kreislauf war durch die verschiedenen Chakren immer noch angeschlagen, seine Konstitution schwach und sein Charakter so derb wie nie zuvor. Sie war ein geduldiger, umsorgender, überprotektiver Mensch, wenn es um ihre Patienten ging, aber irgendwann war jede Grenze erreicht. Jiraiya hatte sie längst überschritten.

»Sie sind der schlechteste Patient aller Zeiten, Jiraiya-sama«, zischte sie durch zusammengepresste Zähne, die sie nur deshalb zusammenpresste, weil die Prozedur, die sie durchführte, äußerste Konzentration verlangte. Es war eine nicht gerade standardmäßige Überprüfung des Heilungsfortschritts seiner Tenketsu, von deren dreihunderteinundsechzig sich nur zwei langsamer als erwartet von der Überstrapazierung erholten. Zufrieden mit diesem Ergebnis zog sie ihre Spürfäden aus seinem Körper.

»Du brichst mir das Herz, Sakura-chan!«

»Passen Sie bloß auf, dass ich Ihnen nichts anderes breche«, gab sie patzig zurück. Es fiel ihr nicht gerade leid, mit einem legendären Sannin zu sprechen wie mit einem störrischen Patienten. Leider war er genau das und Tsunade hatte ihr versprochen, sie nicht zu belangen, wenn diese ein paar neue Blessuren fände. Die Ohrfeige, die sie ihm bei seinem Erwachen gegeben hatte, musste jetzt noch in seinen Ohren schallen, so viel war sicher. Selbst dass sie danach mit unterdrückten Tränen um seinen Hals gefallen war, täuschte nicht über ihre Wut hinweg. Da verstehe einer diese Hokage!

»Wie geht es mit mir voran, Sensei?«, fragte Jiraiya neckend. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie sukzessive in verzweifelten Wahnsinn zu treiben, indem er wahlweise ihre Autorität anerkannte, im nächsten Moment jedoch jedweden ärztlichen Rat mit haltlosen Argumenten zurückdrängte. Sakura war in Versuchung, ihm eine Lüge zu erzählen, entschied sich letztlich jedoch dagegen. Sie hatte immerhin einen Eid geschworen.

»Besser«, erklärte sie zufrieden auf das Krankenblatt sehend. »Ihr Chakrasystem ist inzwischen wieder einsatzfähig und Ihr Chakraniveau steigt langsam aber sicher, über die Grenzschwelle. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis ich Sie guten Gewissens entlassen kann, danach werden Sie aber fit sein wie zuvor.«

Jiraiya klatschte erfreut in die Hände. Sein verschmitztes Grinsen reichte bis über beide Ohren. »Habe ich mich eigentlich schon dafür bedankt?«

Sie verdrehte die Augen und klemmte die Akte wieder zurück an das Fußende des Krankenhausbettes. »Sehr oft. Shizuka-chan wird dennoch nicht Ihre Pflegerin. Ich werde weiterhin Haya-san damit betrauen. Sie ist äußerst kompetent.«

»Aber alt!«, wandte er mit herzzerreißendem Schluchzen ein, das Sakura signalisierte, wie spät es war. Höchste Zeit, ihre Runde fortzusetzen. Jiraiya verlangte ihr immer mehr Minuten ab, als sie eigentlich hatte. Sasuke war mit seinem Team seit zwei Wochen auf einem wichtigen Auftrag im Ausland, Naruto und Sai mit Yamato ebenfalls – Tsunade hatte sie Jiraiya wegen hierbehalten wollen – leider täuschte die Absenz ihrer Stammpatienten mit dem Hang zu kriminell kopflosen Aktionen, die sie auf ihren Behandlungstisch brachten, nicht darüber hinweg, dass Konohas Krankenhaus ausgelastet war wie immer.

»Haben Sie noch Fragen zu weiteren Schritten Ihrer Behandlung?«, fragte sie, ihre professionelle Miene sorgsam wahrend.

»Nein.« Er schüttelte dankend den Kopf. »Tsunade und Shizune-chan sind mir damit schon reichlich auf die Nerven gegangen. Ich verstehe kein Wort von eurem medizinischen Kauderwelsch. Solange es mir wieder auf die Beine hilft, ist mir alles recht.«

Sakura nickte zufrieden und erhob sich. Das komplizierte Gefasel von Iryōnin ging nahezu jedem eingefleischten Shinobi am Allerwertesten vorbei; Heilung war nicht das Prinzip, nach dem man als Krieger lebte. Wenigstens war Jiraiya kein Dummkopf der schlimmen Sorte, oder hatte einfach zu viel Angst vor Tsunades Rache, wenn er ihre Anweisungen ignorierte. Er machte zwar um jede Medizin einen Mordsaufstand, als wäre er ein widersässiges Kleinkind ohne Manieren, machte außer seiner Rebellion gegen jede noch so kleine Pille jedoch wenigstens keine Versuche, sich heimlich zum Training wegzuschleichen oder die Trennkost, die man ihm vorsichtshalber verordnet hatte, mit Ramen zu umgehen. Nicht, dass Sakura da ein konkretes Beispiel nennen konnte …

Erleichtert, Jiraiyas Visite hinter sich zu haben, trat sie auf den Gang im vierten Stock, wo wie immer geschäftige Eile herrschte. Schwestern gingen von hier nach dort, Ärzte huschten vorbei, Besucher suchten die Zimmer ihrer zu Besuchenden und inmitten dieses Treibens sah sie zwei braune Zöpfe.

»Tenten«, rief sie über die halblauten Berufsgespräche ihrer Kollegen hinweg. Die Angesprochene blieb stehen und drehte sich um.

»Guten Morgen, Sakura«, grüßte sie zurück. Sie trug ihre Freizeitkleidung im traditionellen Stil ihrer Familie, was darauf schließen ließ, dass sie schon länger wieder im Dorf war. Soweit Sakura informiert worden war, war gestern Abend ein Team aus den nördlichen Breitengraden Hi no Kunis zurückgekehrt, dessen drei männliche Mitglieder allesamt im Krankenhaus lagen. Tenten lächelte unschuldig. »Ich wollte Neji besuchen.«

»Er liegt im zweiten Stock in einem der Mehrbettzimmer. Hyūga Hiashi hat beinahe Shizunes Bürotüre eingetreten, als sie ihm nicht sofort sagen konnte, wo sein Neffe ist.«

»Seit sie ihre große Familienvereinigung hatten, sind die Hyūgas doch alle am Durchdrehen. Hast du ein wenig Zeit für Tratsch?«

Sie sah flüchtig auf ihre Armbanduhr, die irgendwann stehengeblieben sein musste, denn sie zeigte kurz nach Mitternacht. Wenn das mal kein Zeichen war. »Was ist mit Neji?«

Tenten warf ihre Hand nach hinten. »Vergiss Neji. Ich werde ihm später die Leviten lesen. Da denkst du, du kennst jemanden als beherrschten, kontrollierten Menschen, und dann mischt er sich in eine Schlägerei zwischen Lee und Kiba ein, in der es Pudding ging – nein, lass es mich präzisieren: Reispudding. Aufgrund dieser fehlenden ersten Silve fing dieser Streit nämlich erst an.« Sie raunte frustriert. »Männer!«

»Das ist eine etwas andere Version als jene, die in den Akten steht.« Sakura runzelte amüsiert die Stirn, beschloss jedoch, nicht weiter darauf einzugehen. Wenn sie offenbaren müsste, weswegen Naruto und Sasuke oder Naruto und Sai oder Naruto und Kiba oder Naruto sich mit irgendjemandem schon einmal angelegt hatte, würde ihre vorgezogene Mittagspause nicht reichen. Sie bestellten sich zwei Tassen schwarzen Kaffee, der zum Widerspruch aller geltenden Krankenhauscafeteriaklischees nicht sonderlich abstoßend schmeckte, und ließen sich auf einem der freien Tische in der Mensa nieder, die mit Besuchern, Patienten und Angestellten gleichermaßen gefüllt war. Oder eher: nicht gefüllt.

»Ziemlich wenig los hier, wenn du mich fragst. Ist es immer so im Herbst?«, begann Tenten den harmlosen Smalltalk, den sie anstrebten. Sakura blies eine Strähne aus ihrem Gesicht.

»Das hat wenig mit der Jahreszeit zu tun. Es gibt Wochen, in denen viele Missionen ausgeschrieben werden. Konohas Straßen sind nicht minder shinobilos. Drei Viertel sind im Einsatz, der Rest ist hier. Wir sind nicht überbelegt, was an sich ein gutes Zeichen ist, wenn es auch so bleibt, nachdem die Teams zurückgekehrt sind. Die meisten Missionen haben etwas mit Akatsuki zu tun, was die Verletzungsgefahr steigen lässt. Ich rechne nicht damit, die Neuzugänge bloß aufgrund von Pudding behandeln zu müssen.«

»Reispudding«, korrigierte Tenten matt. »Da wir von Einsätzen sprechen, hast du von Hinatas Beförderung gehört? Sie wurde vor einigen Tagen nach ihrer Mission mit Shikamaru, Ino und Shino zum Jōnin ernannt. Die Hyūgas bauen langsam an alter Schlagkraft auf. Ihre Schwester wird bereits als baldige ANBU gehandelt, sobald sie in ein paar Monaten ihren siebzehnten Geburtstag feiert. Verdammte Vetternwirtschaft. Ich wette, bloß deshalb ist Hanabi mit Konohamaru-kun zusammen.«

Sakura verschluckte sich vor Überraschung an ihrem Kaffee. Nur mit Mühe, Räuspern und Husten konnte sie das kostbare Heißgetränk aus ihrer Luftröhre zurückholen. »Sie ist was? Seit wann ist er nicht mehr mit Moegi-chan zusammen?«

»Seit sie ihn für diesen kürzlich zum Chūnin ernannten – wie heißt er noch gleich, dieser Kleine aus dem Aburame Klan. Mit Brille und langen Haaren? – verlassen hat.«

»Waren wir damals auch so?«, fragte sie mehr sich selbst als die Kunoichi ihr gegenüber. Soweit sie sich erinnern konnte, hatten sich Beziehungsdramen in ihrer Pubertät auf sehr viel seichteren Ebenen abgespielt. Wenn man sie fragte, hatte ein Ninja unter fünfundzwanzig sowieso nicht an Liebe zu denken. Es sei denn er oder sie hatte vor, seinen Beruf bald an den Nagel zu hängen. Kurzlebige Affären wurden nicht gerne gesehen in einem Dorf, das sich auf Traditionen und Treue berief, was es schwierig machte, einen erst einmal erwählten Partner nicht zu heiraten. Wer würde Ninja werden, wenn er vorhatte, jung zu heiraten? Welch Schwachsinn.

»Wir waren brav«, beschloss Tenten für sich selbst. »Auf unser Training fixiert, keine Ablenkungen zulassend – wenn man dem Klatsch trauen kann, dürfte Hanabi sowieso keine Zeit für einen Freund haben. Die Hyūgas müssen dringend ein paar Talente vorweisen, sonst sind sie ihre Vorherrschaft bald los, nachdem nach Uchiha Shisui, Uchiha Itachi und Uchiha Sasuke nun auch Uchiha Izuya bei der ANBU mitmischt, weiß ich wirklich nicht, wie man dabei keinen Knoten in der Zunge bekommen könnte. Da wir gerade davon sprechen –«

»Itachi-san?« Sakura brauchte sich die Frage ihrer neugierigen Freundin gar nicht anzuhören. Jeder war scharf auf Informationen über Uchiha Itachi. Er war immerhin ein Phänomen. »Hat dir Ino nicht längst erzählt, wie er so ist? Immerhin war sie es, die sich ihm sternhagelvoll an den Hals geworfen hat.«

Tenten unterdrückte schadenfrohes Grinsen. »Ich hoffe, er hat sie ordentlich weggestoßen. Er wäre einer der wenigen, der Ino widerstehen könnte, was ihn mir sympathischer machen würde. Sollte das in irgendeiner Weise helfen.«

»Nicht wirklich«, meinte sie mit einer despektierlichen Geste, die sie sofort bereute. Sie wollte nicht zynisch sein, weder vor Tenten, noch vor sich selbst. Ihre Finger schlangen sich enger um die hellgründe Tasse. »Wenn ich ehrlich bin, ist er ein guter Captain. Er spielt in einer anderen Liga als wir. Als Anführer eines ANBU Teams muss er Missionen koordinieren, die ein Niveau haben, das ganz anders ist als das unsere. Das, gepaart mit den Umständen seiner Funktion als Erbe eines nervigen Klans, der sich seit jeher für etwas Besseres hält als die Leute, auf denen sein Ruhm sich in Wahrheit gründet, erklärt wohl seine akribische Verbissenheit, mit der er jeden noch so burlesken Umstand einplant. Du kannst dir nicht vorstellen, welch Schuldgefühle er dir macht, wenn du nicht punktgenau auf ihn hörst. Aber … die Art, wie er sich bewegt …« Unwillkürlich kitzelte ein wunderbarer Schauer der bewundernden Erregung über ihre Arme. »… wie er mit seinen Waffen umgeht, seine Schnelligkeit und die Präzision seiner Angriffe. Das ist ein Level, das meines Erachtens nach sehr nahe an Perfektion grenzt.« Sie zuckte die Schultern. »Aber, was zählt schon eine kleine Kunoichi, die gerade einmal gut genug zum Chūnin ist?«

»Er hat dein Selbstvertrauen wirklich angekratzt«, bemerkte Tenten mitleidig. »Du solltest dich nicht mit einem ANBU vergleichen. Das ist eine ganz andere Liga als das, was unsereins anstrebt. Oder willst du zur ANBU?«

Sakura schnaubte abfällig. »Himmel, nein! Wenn mir schon der eine Uchiha derartige Herabsetzungen meiner eigenen Wertigkeit beschert, wie soll ich mit dem Rest dieses Vereins zurechtkommen?« Ihr Ton mäßigte sich unwillkürlich in ruhigere Versenkung. »Wer würde schon freiwillig zur ANBU gehen? Ein neuer Tag, ein neuer Mord? Ich habe geschworen, Leben zu retten. Sie mutwillig zu beenden, spricht gegen all meine Prinzipien, auf die meine Fähigkeiten aufbauen. Selbst wenn wir es gerne hätten, wir sind keine gefühllosen Werkzeuge. Ich zumindest nicht.«

»Aber Uchiha Itachi?«, hakte Tenten überrascht über diesen Umschwung nach. Was fanden bloß alle an diesem Mann? Ach ja, er war einer der berühmtesten Shinobi seiner Zeit.

»Uchiha Itachi«, wiederholte Sakura sehr viel gefasster, »Ist so wie alle anderen Uchihas: wortkarg, überheblich und pseudocool. Wobei man das 'pseudo' in seinem Fall per Definition weglassen kann. Man kann ihm nicht absprechen, dass er eine verdammt gute Figur macht, wenn er andere herumkommandiert.« Zur Behauptung ihrer Meinung, trank sie ihre Tasse in einem determinierten Zug leer.

»Haruno-sensei?« Eine dunkelblonde Krankenschwester mit geflochtenem Zopf trat seitlich an Sakura heran, die aufsah und sich zum zweiten Mal an ihrem Kaffee verschluckte. Tenten klopfte ihr mitleidig auf den Rücken. Als sie sah, wer die nervöse Schwester begleitete, begann sie schadenfroh zu grinsen. Sakura würde es ihr irgendwann heimzahlen. Zuvor musste sie die Fassung vor ihrer Mitarbeiterin und Itachi, der exakt vier Schritte hinter dieser stand, wiedergewinnen. Verlegen räusperte sie sich, die Wangen leicht gerötet.

»Ja, Aya-san?«

»Verzeihen Sie die Störung, Sensei«, sagte diese nicht minder verlegen. »Jemand wartet in Behandlungszimmer sechs. Es handelt sich um einen Sharingan-Fall, deshalb dachte ich, es wäre besser, Sie zu verständigen.«

Sakura sah skeptisch an ihrer schmalen Statur vorbei, hinter der Itachi ohne eine einzige Regung wartete. Er war noch uniformiert, aber nicht dreckig, also war er nach der Rückkehr von seiner Mission nicht sofort ins Krankenhaus gekommen. »War ja klar«, murmelte sie zu sich selbst. Typisch Uchihas; seit wann war sie überhaupt zu einer Expertin für Dōjutsus geworden? Und, noch viel wichtiger, hatte sie sich diese Frage nicht schon einmal gestellt? Tief in ihrem Inneren wusste, sie, dass Sasuke in Behandlungszimmer sechs saß und sie verarschen wollte.

Widerwilliger erscheinend als sie eigentlich war, skizzierte sie Tenten eine Wegbeschreibung zu Nejis Zimmer, ehe sie Aya ins Erdgeschoss folgte. Itachi blieb zurück, ordentlich in der Reihe vor dem Heißgetränkeausschank angestellt, wie es sich für einen manierlichen Menschen gehörte.

»Das nächste Mal, wenn du mich holst, tu es ohne Anhängsel, Aya-san«, brummte Sakura. Im Gehen warf sie sich einen zufällig gewählten weißen Mantel aus ihrem Büro um, für den sie gerne einen Umweg gemacht hatte. Normalerweise mochte sie keine Kittel; sie war Iryōnin, keine normale Ärztin. Wenn es um ein Sharingan ging, war ihr allerdings jedes Mittel recht, das ihr ein wenig mehr Autorität verlieh.

»Ich konnte nichts dagegen tun!«, rechtfertigte Aya sich. »Als ich ins Behandlungszimmer zur Routineuntersuchung der ankommenden ANBU kam, verlangte seine Mutter eine Iryōnin und bevor ich losgehen konnte, um Sie zu suchen, bat er mich, ihm die Cafeteria zu zeigen, damit er für Mikoto-san Tee holen konnte.«

»Grandios.« Sakura schüttelte den Kopf. Es brauchte ihr nicht peinlich zu sein, dass er ihr halbhohes Loblied auf ihn mitbekommen hatte. Er war Anerkennung gewiss gewöhnt. Sie schob alle Gedanken daran beiseite, um sich ganz auf ihren aktuellen Patienten zu konzentrieren, der mit verschränkten Armen und mürrischem Blick auf dem Untersuchungsbett saß, neben ihm seine Mutter, die böse auf ihn herabfunkelte, als sei dieser Endszene die ein oder andere längere Diskussion vorausgegangen. Sakura unterdrückte aufkeimendes Lachen und räusperte sich unter geheuchelter Entschuldigung.

»Gute Morgen, Mikoto-san. Was kann ich für dich tun, Sasuke-kun?« Es war ein aberwitziges Bild, auf dem Mikoto ihrem Sohn sofort das Wort abschnitt.

»Als er gestern von seiner Mission zurückkam, hatte sein Sharingan eine grünliche Färbung.«

»Grünlich?«, wiederholte sie zweifelnd.

»Hör nicht auf sie, Sakura«, mischte Sasuke sich ein, dem es sichtlich nicht passte, ungefragt zu bleiben. »Ich habe ihr schon hundert Mal erklärt, dass es der Lichteinfall war, aber sie will ja nicht hören! Stattdessen schleppt sie mich unnötigerweise hierhin!«

»Wie sprichst du mir deiner Mutter?«, tadelten sie und nahm die dampfende Tasse Tee dankend an, die ihr älterer Sohn ihr reichte. Verflucht, Sakura hatte ihn nicht einmal das Zimmer betreten hören! Dass Getränke in einem Untersuchungszimmer in der Regel nicht gestattet waren, ließ sie sicherheitshalber unter den Tisch fallen. Sie wollte nicht noch mehr Reibereien verursachen, als notwendig.

»Eine Verfärbung –« Sie sah alibihalber auf den ausgefüllten Anamnesebogen. »– halte ich aus medizinischer Sicht für sehr unwahrscheinlich, Mikoto-san.«

»Danke!«, rief Sasuke genervt aus.

»Allerdings sollte es durch bestimmte Winkel von Licht auch nicht unbedingt zu einer Reflexion kommen, die andere Leute Farben sehen lässt, die in Sharinganaugen nichts zu suchen hat.« Sie zog einen Hocker an das Bett, um einen allgemeinen Check Up zu starten. Wenn er schon einmal hier war, konnte sie es gleich in einem Aufwisch erledigen.

Es dauerte nicht lange, bis sie die Taschenlampe ausknipste und Sasukes Krankenblatt ausgefüllt hatte. »Wenn Sie sofort eine Diagnose haben möchten, Mikoto-san, würde ich auf eine schlichte Netzhautüberspannung tippen. Vor allem bei Dōjutsus kommt es häufig vor, dass die Retina durch kontinuierlichen Durchfluss von Chakra gereizt wird. Ich habe es zwar bislang nur an Fällen bei Byakugan gesehen, aber man kann es wohl pauschal überschlagen: die Augen sind im Vergleich zu unserem Körper natürlich ein extrem kleiner Teilbereich, durch den ein konzentriertes Maß Chakra geleitet wird. Es kann schon manchmal zu Atrophie der dort vorhandenen Zellen führen, was die Netzhaut ausdünnt. Bis sich diese Zellen neu gebildet haben, Sasuke, solltest du deinen Auge eine Pause von Dōjutsus gönnen.«

»Wie lange wird es dauern?«, fragte er in hervorstechender Missstimmung über die Bevormundung, die nicht nur von seiner Mutter, sondern scheinbar auch von seinem Bruder ausging. Wie interessant.

»Ein paar Tage. Drei, maximal vier. Übertreib' dein Training einfach nicht, dann wirst du keine Schwierigkeiten haben. Apropos, Itachi-san, warst du schon bei der Routineuntersuchung?«

»Es geht mir gut.«

Das war zwar nicht ihre Frage gewesen, beantwortete diese jedoch nicht minder. Natürlich. Yūgao war bereits gestern dagewesen und Shisui hatte es nicht lange ausgehalten, sich nicht von den hübschen Schwestern umsorgen zu lassen. Mit Sasuke hatte sie nun beinahe alle zusammen, die sie brauchte, um Tsunades Anforderungen zu erfüllen. Ihre Shishou war seit Amegakure derart überreizt, dass sie sich nicht ausmalen wollte, was sie ihr antun würde, wenn sie nicht alle ankommenden Shinobi abhakte.

»Setz' dich hin«, befahl sie in ihrem strengsten Ton. Der hatte bisher immer gewirkt. Nicht so bei Itachi. Er blieb neben seiner Mutter stehen, ohne Anstalten zu machen, sich auch nur irgendwie zu bewegen. »Es dauert auch nicht lange«, versprach sie weiter. Nada. Sie brauchte doch nur fünf Minuten, um das letzte leere Blatt auf ihrem allgegenwärtigen Brett auszufüllen! Was zur Hölle waren daran so unglaublich schlimm, dass jeder Shinobi sich aus Prinzip dagegen wehrte?

Endlich ging Itachi auf sie zu, nahm jedoch nicht wie gefordert auf Sasukes freigewordenem Bett Platz, sondern ihr das Klemmbrett samt Stift aus der Hand. Seine dunklen Augen lasen flüchtig über die auszufüllenden Kästchen, die von Fachbegriffen nur so strotzten. Nicht minder flüchtig hakte er sie alle ab und gab ihr das 'ausgefüllte' Formular.

»Zufrieden?«

Sakure war unschlüssig, ob sie lachen oder weinen sollte. Etwas in ihr wehrte sich gegen diese lachhafte Situation, eine andere gab sich damit zufrieden, ein Krankenblatt zu haben. »Ja«, presste sie schließlich hervor. Sie entschied sich gegen die Option, ihre Autorität erneut auszureizen. Seit Amegakutre war ihr die Diskrepanz zwischen ihnen viel zu bewusst.

»Gut. Wollen wir Asuka-chan besuchen gehen, Okāsan?« In vollendeter Höflichkeit ließ er seine Mutter vorgehen, Sasuke schlecht gelaunt und Sakura verdutzt zurücklassend.

»Wird sie jemals wieder eine Kunoichi sein können?«, wollte er nach einigen schweigsamen Sekunden wissen, in denen sie ihre Zettel neu sortierte.

»Das ist sie doch längst.« Sakura lächelte aufmunternd. »Asuka-chans Verletzungen sind nun einen Monat alt und kaum noch spürbar. Ich würde keine konkrete Prognose treffen wollen, aber wenn sie sich anstrengt und ihre Übungen im Therapiezentrum des Krankenhauses jede Woche ordentlich macht, wird sie ihren Arm in spätestens zwei oder drei Monaten wieder vollständig belasten können. Für ihre jetzigen Geninmissionen reicht es allemal und bis zu den nächsten Chūninprüfungen ist sie wieder fit.« Sie schlug ihren Blick unwillkürlich auf ihre Fingerspitzen nieder, die Stimme absenkend. »Übrigens, danke. Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn ihr nicht aufgetaucht wärt.«

»Tsunade-sama schickte uns für genau diesen Fall nach. Wir hatten Glück, dass Itachi ein Viehtreiber ist. Wir mussten zwei Tage lang ohne Pause durchlaufen.«

Als sie seinen Blick suchte, waren seine Augen aus dem geöffneten Fenster gerichtet, vor dem sich die Falten des transparenten Vorhangs im leichten Wind aneinanderschmiegten.

»Mach dir keine Gedanken um ihn. Er ist ein notorischer Nörgler. Glaub mir, für ihn ist in jeder Suppe ein Haar. Hast du eine Ahnung, wie es ist, mit ihm unter einem Dach zu wohnen?«

»Jetzt spring mal von deiner Mitleidsschiene ab, Sasuke-kun«, unterbrach Sakura ihn. Sie verspürte nicht unbedingt das schreiende Bedürfnis nach einem Seelenverwandschaftsgespräch mit ihm. »Tu nicht, als wärst du mein Freund. Du bist immer noch der selbstsüchtige Mistkerl, der nach unserem gemeinsamen Versagen bei der Chūninprüfung plötzlich nur mehr Augen für seinen ach so tollen Klan und seine ach so blendende Karriere hatte und sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht hat, sich um seine Freunde zu scheren. Und bevor du fragst: ja, wir sind deswegen noch sauer.«

Sie strich ihren Kittel glatt und ging ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. Wie sie Sasuke kannte, hätte er sowieso nichts mehr zu sagen gehabt. Dass sie pathetisch und unfair war, war ihr bewusst, aber egal. Er hatte es ja auch irgendwo verdient.
 

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Ihr Büro war weit leerer als gut für Konoha war. Über den Daumen gepeilt konnte man sagen: je mehr Papierkram, desto besser. Papierkram bedeutete Bürokratie bedeutete Diplomatie bedeutete Frieden bedeute kein Krieg. Im Grunde lief das System nach einem sehr einfachen Grundschema ab, für dessen Wurzeln Tsunade einige Zeit gebraucht hatte. Inzwischen verstand sie, wieso bei ihr immer Unordnung herrschte: sie war Hokage in Friedenszeiten. Dass eine militärische Obermacht theoretisch in Zeiten der Ruhe keinerlei Daseinsberechtigung hatte, kompensierte sie damit, die Oberhand über die Verwaltung zu haben. Darum war sie mit der Arbeit nicht nachgekommen. Es gab während des Friedens einfach zu viel zu tun, das man bürokratisch behandeln musste. Jede Interaktion mit einem anderen Land, jede Missionsanfrage aus dem Ausland musste kopiert, eingeordnet und korrekt abgelegt werden, um allen fremden Verwaltungsorganen die Chance zu bieten, diese Dokumente einzusehen. Die einzigen, die der Geheimhaltung unterlagen, waren jene, die Tsunade nun geordnet vor sich hatte: Berichte von ANBU Teams, die Mission ausgeführt hatten, die nicht im übergeordneten Bündnisinteresse waren, sondern in Konohas Interessensbereich. Dies war Sozialismus in Reinkultur.

Und es behagte ihr nicht.

Tsunade kaute nachdenklich auf ihrem Daumennagel herum. Yūgao hatte vor einigen Stunden einen schriftlichen Report abgegeben, den ihr Captain in ein paar Minuten mündlich wiederholen würde wollen. Sie hatte nie verstanden, wieso gewisse Regeln existierten – die mündliche Absicherung war eine davon – nichtsdestoweniger verstand Itachi sie hervorragend zu befolgen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er hier auftauchte. Sie spürte, wenn jemand sie mit Dingen nerven wollte, die nicht ihr Hauptaugenmerk verdienten. Das Gefühl war diesmal stärker. Sie schluckte ein Glas Sake zur Beruhigung ihres Magens.

Jiraiya, dieser Dummkopf, hatte ihr in den letzten Wochen genügend Nerven geraubt. Grausam, wie quicklebendig er war, wo er doch eigentlich am Rande seiner Kräfte hätte sein müssen. Sakuras Behandlung war bemerkenswert. Sie würde diese Leistung in ihre Akte notieren, die sorgsam auf einem Stapel lag, der immer kleiner wurde, während sich die Ablage daneben immer weiter nach oben rankte. Chūnin und Jōnin waren sortiert darin aufgetürmt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihre reizende Schülerin auf ihren Aufstieg zur Elite bestünde. Bis dahin musste Tsunade mit aller Kraft versuchen, sie auf dem Chūninstapel zu behalten, um keinen Argwohn bei anderen Ländern zu wecken. Die Zeiten waren heikel; das Wettrüsten hatte mit der scheinbar willkürlichen Ernennung zahlloser Jōnin längst begonnen. Iwa und Kumo waren ebenso wie Konoha und Suna dabei, ihre Reihen zu festigen.

»Komm' rein«, sagte sie, den Blick auf ihre aufgehende Tür gerichtet. »Wieso heute wie ein normaler Mensch, Itachi? Wo bleibt die Unart meiner ANBU, durch mein Fenster zu springen, als sei mein Büro ein Taubenschlag?«

»Ich komme aus dem Krankenhaus«, erklärte er, ihren trockenen Tonfall in geübterem Maß erwidernd. »Es wäre ein Umweg gewesen, den Turm erst zu umrunden. Haben Sie den Bericht gelesen?«

»Nein. Du kannst gerne weit ausholen. Ich höre zu.«

Itachi festigte seinen kerzengeraden Stand, den man allen Ninjas beibrachte, wenn sie Bericht erstatteten. Nach einer Zeit begann die Wirbelsäule ob der unnatürlichen Haltung zu schmerzen, jedoch hatte sie ihn noch nie auch nur einen Mundwinkel verziehen sehen. Ebenso wenig wie sie ihn schon einmal in privater Aufmachung erblickt hatte. Irgendwann einmal – wie lange mochte es her sein? Zwanzig Jahre? – als der Uchihaklan, mal wieder, Nachwuchs bekommen hatte, waren sie, Jiraiya und Orochimaru vom Sandaime dazu gezwungen worden, persönlich ihre Glückwünsche zu überbringen. Es war die letzte Gemeinheit, die er ihnen reingedrückt hatte, ehe er seinen Posten an Namikaze Minato übergeben hatte. Es war auch der letzte gemeinsame Auftrag, den sie ausgeführt hatten, ehe Orochimaru Konoha den Rücken gekehrt hatte. Melodramatischer Scheißkerl. Tsunade jedenfalls hatte den damals etwa sechsjährigen Itachi noch gut in Erinnerung, wie er skeptisch über den neugeborenen Izuya gebeugt war. Es war das erste und letzte Mal, dass sie ihn in Freizeitkleidung gesehen hatte. Dies waren wohl die Nachteile, die der Titel Hokage mit sich brachte: man hatte nie Feierabend.

Itachi räusperte sich, um zu seinem Bericht anzusetzen.

»Yugito-san wurde vermutlich nicht in Kusa no Kuni getötet, wo man ihre Leiche fand, sondern auf einem Pfad durch Yu no Kuni, der vom Hauptreiseweg abweicht. Wir nehmen zumindest an, dass sie dort überwältigt und bewusstlos oder tot zu ihrem Fundort geschafft wurde. In der ganzen Höhle sind keine Blutspuren, aber Restresonanzen von großem Chakraaufwand. Die Annahme liegt nahe, dass Akatsuki dort den Bijū extrahierte und sie entweder aufgrund dieser Prozedur starb oder ihren Verletzungen erlag. Es gibt keine Hinweise, dass sie absichtlich getötet wurde. Wie wir bereits vermutet hatten, haben sie es wohl nur auf die Bijū abgesehen, nicht aber auf die Jinchūriki.«

»Die Frage ist, was wollen sie damit?«, warf Tsunade in den Raum, ohne eine Antwort zu erhoffen. »Diese Monster sind stark, aber was bringt ihnen das? Tod, Verwüstung und Weltherrschaft ist zu banal, um als ihr Hauptziel zu gelten. Dazu sind sie viel zu geschickt. Ob sie etwas mit den politischen Entwicklungen zu tun haben?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Hokage-sama«, antwortete er, »Aber ich kann es herausfinden. Yūgao und Shisui sind bereits wieder einsatzfähig. Wir können noch heute Abend aufbrechen.«

Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Ja. Aber ich will dich in spätestens einer Woche wieder hierhaben. Ich erwarte Aobas Team bald zurück und da ich fürchte, dass mir nicht gefällt, was er herausfindet, werde ich zumindest dich für weitere Maßnahmen brauchen. Was ist mit Sasuke? Wurde er verletzt?«

»Nein. Über ihn möchte ich gerne noch reden.«

»Ach?« Tsunade hob eine Augenbraue. »Ist er nicht gut genug für dein Team, Itachi?«

»Doch. Aber ich finde, sein Talent wäre in unserer Konstellation verschwendet.«

»Tatsächlich?« Sie hob die zweite Augenbraue. »Und welch andere Konstellation schlägst du vor? Es gibt wenige Shinobi, die mit ihm klarkommen würden. Ich bin schon froh, Yūgao davon abgehalten zu haben, das Team seinetwegen zu verlassen.« An der kleinen Falte, die sich zwischen seinen Augen bildete, konnte Tsunade sehen, dass er davon bislang nichts gewusst hatte. Hoppla. Da hatte sie wohl etwas ausgeplaudert. Itachi ließ sich außer dieser Hautunebenheit nichts weiter anmerken, als er seinen strammen Stand lockerte.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten. Reformieren Sie Team Sieben. In seine ursprüngliche Form.«

Tsunade war nahe dran, in schallendes Gelächter auszubrechen, hätte sie nicht gewusst, dass kein Uchiha jemals einen Witz gemacht hatte. Dies war auch kein Witz, dies war ein schlechter Scherz! »Wieso?«

»Liegt es nicht auf der Hand? Die Fähigkeiten der drei sind in ihrer Gesamtheit beeindruckend umfassend. Die Schlagkraft von Uzumakis Ninjutsus, Sasukes Sharingan und Schnelligkeit, Sakura-sans Medizinkenntnisse und enorme Taijutsu. Außerdem würde es menschliche Vorteile bringen. Sasuke wäre gezwungen, aus dem Schneckenhaus der Uchihas zu kriechen, in das er sich hat verfrachten lassen, als er das Team verließ. Es läge auch in Ihrem Interesse, ihn eher auf Ihrer Seite zu wissen anstatt der des Klans. Zudem ergänzen sich ihre Temperamente. Sasuke behält die Ruhe, Uzumaki geht das Wagnis ein und Sakura-san ist die Stimme der Vernunft, die das geeignete Mittelmaß dazu findet. Zu dritt könnten sie sich gegenseitig regulieren und es wäre einfacher, die Schlagkraft dieses Teams im Auge zu behalten, wenn sie zusammen sind. Es ist ein offenes Geheimnis in den Kreisen der ANBU, dass die Ältesten und die Funkionäre des Reiches ein wachsames Auge auf die drei haben, weil ihre Parameter langsam aber sicher ein gesundes Maß übersteigen. Den Schwerpunkt zu verlagern, erscheint mir am sinnvollsten. Sie sollten nicht außer acht lassen, wer sie sind.«

Tsunade biss sich auf die Lippen, die, je weiter er gesprochen hatte, ein umso beeindruckteres 'o' geformt hatten. Scheinbar hatte Itachi sich seine Argumentation reichlich überlegt. In der Tat hatte er vor allem mit seinem letzten Ansatzpunkt recht. Sein unermüdliches Engagement, zusammengewürfelt mit der chaotischen Sympathie, die er an den Tag legte, und die Macht, die er jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellte, machte Uzumaki Naruto, so schwer es ihr auch fiel, diese Tatsache zu akzeptieren, zu einem idealen Kandidaten für den Posten des Rokudaime Hokage. Er hatte das Dorf einst vor Sabaku no Gaara gerettet, hatte ihm anschließend seinen neuen Hokage gebracht und weiß Gott was noch, das ihr auf die Schnelle nicht einfiel. Sakura als seine beste Freundin würde auf der Liste der wichtigen Personen sehr weit oben stehen. Uchiha Sasuke als stärksten Verbündeten dieses Duetts zu sehen war an sich ein Gedanke, den sie schätzte. Dies außeracht gelassen waren Naruto und Sakura außerdem vor allem eines: die bekanntesten Schüler zweier legendärer Sannin. Aufgestockt mit dem berühmten Spross eines mächtigen Klans hätte Konoha mit diesem Trio ein populäres Druckmittel gegen jeden, der das Dorf übers Ohr hauen wollte. Sie dachte da an Iwagakure im speziellen, an den Rest im weiteren Sinn.

»Fein. Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Sie schloss eine willkürliche Schublade, womit sie Itachi subtil hinauskomplimentierte. Ihr Bauchgefühl hatte sie also nicht betrogen. Wie schaffte dieser Kerl es bloß immer, dass alles nach seiner Pfeife tanzte? Ach ja, er war eine wandelnde Objektivität, die wahre Vorteile erkannte.

Besorgt strich sie über die Kante von Yūgaos Missionsbericht. Je eher sie handelte, desto besser. Sie würde gleich nächste Woche ein Experiment starten, wenn sie die drei überrumpeln konnte. Sasuke von den Uchihas abzunabeln war gar keine schlechte Idee. Der Klan begann bereits, sich innerhalb des Dorfes mithilfe der Exekutivgewalt, die sie seit jeher innehatten, autark zu machen.

Dann war da noch Itachi. Dass er so gut von ihrer Schülerin sprach, rührte sie auf so vielen Ebenen und brachte sie auf eine wunderbare Idee. Wenn er schon so hervorragend mit ihrer besten Medicnin auskam, würde sie diesen erfreulichen Umstand gleich zu ihrem Vorteil nutzen und Sakura ins kalte Wasser stoßen. Sie wollte doch Jōnin werden, wie sie einst lautstark kundgetan hatte; ein paar Erfahrungen an der Seite des ein oder anderen ANBU konnten da kaum schaden. Wenn sich Aobas Team beeilte, konnte sie ihre begabteste Adeptin vielleicht sogar noch gewinnbringender einsetzen, als sie angenommen hatte. Dass diese soweit war, hatte sie in Amegakure no Sato reichlich unter Beweis gestellt.
 

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In ihrer Vorstellung lag Naruto schwitzend und keuchend vor ihr, der Kampfgeist aus seinen blitzblauen Augen vertrieben, um Gnade winselnd. In der Realität saß sie im Schneidersitz auf dem trockenen Erdboden des Trainingsgeländes und heilte mit böser Miene einen tiefen Schnitt an ihrem Oberarm.

»Es tut mir leid, Sakura-chan«, entschuldigte Naruto sich bereits zum vierten Mal. Er stand mit vor der Brust erhobenen Armen neben Sai, der sich hingekniet hatte, um seine Schriftrollen fachmännisch aufzurollen.

»Spar's dir«, gab sie grimmig zurück. Dass Naruto immer brutal war, wenn es um Kämpfe ging, war ihr sehr wohl bewusst. Dass er sie mit einem hinterlistigen Trick abgelenkt hatte – diese verfluchte Oiroke no Jutsu hatte neuerdings auch eine männliche Variante erhalten – würde sie ihm hingegen niemals verzeihen. Noch weniger sich selbst, dass sie sich dadurch hatte ablenken lassen. Sie hatte sich immer schon gefragt, wieso diese Technik funktionierte. Nun wusste sie es. Und sie fand es nicht gut.

»Haben wir das Training eigentlich schon beendet?«, warf Sai in den Starrwettbewerb, der zwischen seinen kindischen Teamkameraden entbrannt war. Zwei Schreie waren Sekundenbruchteile darauf zu hören: ein Brüller, als Sakura sich auf Naruto stürzte, und ein ersticktes Quieken, als sie ihn niederriss. Sofort legte er die Hände an ihre Hüfte und warf sie über sich, sodass sie ihren Würgegriff beenden musste. Als sie landete, befanden er und Sai sich bereits in Angriffshaltung. Sie wollten eine Tracht Prügel? Die konnten sie gerne ha –

»Haruno-san! Uzumaki-san!«

Der Bote, der inmitten ihres Formationsdreiecks auftauchte, wäre um ein Haar massakriert worden, hätten die drei nicht rechtzeitig ihre Attacken gestoppt. Diese Leute waren selbst schuld, wenn sie die Angewohnheit hatten, immer und überall aufzutauchen.

»Hokage-sama verlangt nach Ihnen.«

Sakura wäre weniger verwirrt gewesen, wenn sie nur nach ihr geschickt hätte. Jiraiya ging es mittlerweile so prächtig, dass er vor einigen Tagen hatte entlassen werden können, aber es hätte sie auch nicht überrascht, wenn er es gleich an seinem ersten Tag in Freiheit maßlos übertrieben hätte. Vielleicht weniger mit Training und Chakraverbrauch, aber halbnackte Frauen und vollgefüllte Sakebecher waren nach Ruhe und Trennkost regelrechtes Gift für den Körper. Dass sie Naruto ebenfalls verlangte, konnte nur eines bedeuten.

»Mission!«, trällerte Naruto erfreut. »Wunderbar! Tsunade-obāchan sperrt uns schon viel zu lange hier ein! Echt jetzt, ich habe mir schon Sorgen gemacht, weil sie Shikamarus Team anstatt uns nach Sunagakure geschickt hat.«

Dies war in der Tat ungewöhnlich. Dass Sakura längere Zeit im Dorf blieb, war nicht ungewöhnlich. Bei Naruto verhielt sich die Sachlage anders. Seit seinem gemeinsamen Auftrag mit Kakashi, Yamato und Sai, von dem er vor sechs Tagen zurückgekehrt war, hatte Tsunade sich davor gescheut, auf seine nerventötenden Anfragen einzugehen, selbst als er ihr zweimal vor dem Hokageturm aufgelauert hatte. Genau in diesem befanden sie sich bereits nach zwei Minuten, in denen Naruto all sein Tempo zusammengekratzt hatte. Er lief voran die Außenstiegen hoch, öffnete elanvoll die Tür und – stoppte abrupt, sodass Sakura in seinen Rücken lief.

»Au, was – Sasuke-kun!«

Sasuke schien nicht minder überrascht, die beiden zu sehen. Noch mehr verwunderte allerdings die Tatsache, dass er alleine hier war. Ohne Itachi. Ohne Shisui. In Jōninkleidung.

»Was willst du denn hier, Teme?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen, Dobe.«

»Oder«, schlug Tsunade matt vor, die überstehenden Ecken eines Aktenstapels plan klopfend, »Ihr könntet mich fragen, weil ich es war, die euch herbestellt hat. Aus gutem Grund, will ich meinen.«

Die beiden Kontrahenten schnaubten widerwillig, wandten sich der Hokage jedoch protestlos zu. Sakura trat neugierig an den Schreibtisch heran, um vorab einen Blick auf eine offizielle Meldung zu erhaschen, deren Schriftzug und Farbe typisch waren für eine bestimmte Art von offiziellem Schreiben, das an alle Nationen im Bedarfsfall verschickt wurde.

»Der Yondaime Mizukage verstarb vor vier Tagen«, erklärte Tsunade, ihren vorformulierten Kondolenzbrief über die Todesanzeige schiebend. »Getötet von Akatsuki. Er war, wie uns nun bekanntgegeben wurde, Wirt des Sanbi. Die fünfte Generation wurde bereits gewählt und soll ihr Amt binnen der nächsten Tage antreten.«

»Wer ist es?«, fragte Sasuke.

»Niemand, der bislang auffällig war. Ihr Name ist Terumī Mei. Kein sonderlich bemerkenswerter Klan, kein besonderes bekanntes Bluterbe, keine spezielle Reputation, aber sie ist jung und unerfahren.«

Sakura trat einen Schritt zurück in die Linie, die Naruto und Sasuke mit finsterem Gesichtsausdruck bildeten. Sie wusste genau, auf was Tsunade hinauswollte. »Wenn Akatsuki Yagura-sama getötet hat«, überlegte sie, »Wäre es möglich, dass sie es waren, die Terumī-sama zum Mizukage verholfen haben.«

»Nach allem was wir wissen, steht sie nicht unter der Kontrolle von Akatsuki. Man sagt, Terumī Mei sei eine sehr loyale Persönlichkeit. Loyal zu Kirigakure, das unter der Schreckensherrschaft des Yondaime keine sonderliche Bedrohung für uns darstellte. Es war zerrissen und bedingt durch seine vielen verschiedenen Kulturen, wies es nie eine ernstzunehmende Einheit auf, die ins Gewicht fallen hätte können. Ich denke, sie wird versuchen, eine solche Einheit herzustellen.«

»Sollen wir den Brief überbringen und spionieren?«, wollte Naruto hoffnungsvoll wissen. Er trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

Die Hokage wehrte ab. »Dafür gibt es Boten und Spione. Ich möchte, dass ihr euch Kirigakure no Sato zeitversetzt hinter genau diesen nähert und ein Abkommen mit dem Dorf trefft. Es wurde bereits unter der Absegnung der vier anderen Großnationen ausformuliert und muss nur mehr unterschrieben werden. Änderungen sind nicht möglich. Sasuke wird die Argumentation führen, da er als Mitglied des Uchihaklans am ehesten als Autoritätsperson gesehen wird. Sakura und Naruto, ihr bildet die Flanken. Dass Akatsuki inzwischen im Besitz von drei Bijū ist, bedeutet für uns Dörfer eine große Gefahr. Dies ist das Hauptargument. Wir dürfen nicht zulassen, ihnen einen weiteren in die Hände fallen zu lassen. Akatsuki hat Spuren gelegt, denen wir alle blind gefolgt sind. Weiter als bis zu diesem Punkt dürfen wir nicht gehen, wenn wir den Krieg verhindern wollen, in den sie uns führen wollen. Ame no Kuni hat der gebündelten Kraft der fünf großen Shinobinationen nichts entgegenzusetzen. Diesen Vorteil müssen wir um jeden Preis sichern. Ich erwarte euch in zwei Wochen zurück.«

Drei Ninjas schluckten. Eine diplomatische Mission von einem Team ausführen zu lassen, das nicht für diese Zwecke ausgebildet worden war, konnte furchtbar schief gehen. Zumal dieses Team in sich ganz und gar nicht jenen diplomatischen Frieden trug, den es bringen sollte. Sakura spürte bereits Narutos Provokation, auf die Sasuke zu gerne eingehen würde, und sie spürte ihre eigene aufkommende Skepsis. Solange sie ihn nicht sehen musste, konnte sie ihren ehemaligen Teamkameraden gut ignorieren. Was sie ihm mit ihrem reizbaren Temperament und ihrer seit seinem Austritt neu dazugewonnenen Kraft antun würde, wenn er auch nur ein falsches Wort ausspuckte, wollte sie sich gar nicht erst vorstellen. In drei Gesichtern, die sich gegenseitig anstarrten, stand nur eine Frage geschrieben:

Wie lange würde es wohl dauern, bis der erste blutete?

 
 

.

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Unexpected Company

 
 

.

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Boten waren schnell. Wenn man sie allerdings in Relation zu dem Tempo eines ANBU, eines Jōnin und einer nicht zu verachtenden Chūnin setzte, waren sie quälend langsam. Team Sieben war in seiner ursprünglichen Formation am Morgen des Folgetages nach Kirigakure aufgebrochen. Der erste Streit war bei der Vorbesprechung aufgekommen, als Sasuke vorgeschlagen hatte, einen Teil ihres Weges auf der Nordroute durch Konoha zurückzulegen, um am Osthafen Yu no Kunis mit einem Schiff auf die Hauptinsel Mizu no Kunis zu übersetzen. Naruto und Sakura waren der Meinung gewesen, Hi no Kunis Hafen zu nutzen wäre vorteilhafter, doch Hühnerarsch – Narutos neuestes kreatives Schimpfwort für seinen Erzrivalen – war stur geblieben. Also legten sie die größte Teilstrecke ihres Marsches Richtung Yu no Kuni zurück, das bekannt war für seine natürlichen heißen Quellen. Vor genau einer solchen standen sie seit zehn Minuten.

»Ich bin dagegen«, entschied Sakura über die Maßen argwöhnisch. Auf einer Mission einen Abstecher in einen Onsen zu machen war nichts, das sie rechtfertigen konnte.

Sasuke stellte sich vor seine Weggefährten und streckte locker einen Arm von sich. »Die Boten mit der Kondolenz sind langsam, demnach haben wir etwa zwölf Stunden Vorsprung. Wir können keine Verhandlungen führen, wenn wir noch nicht offiziell unser Beileid bekundet haben. Das wäre sehr unhöflich. Ich für meinen Teil möchte lieber ein richtiges Bett anstatt trockenen Waldboden unter mir haben, während wir die Zeit totschlagen. Wer konnte ahnen, dass ihr so schnell seid?«

»Na hör' mal!«, brüskierte sich Naruto. »Wir sind keinen Deut schlechter als du, kapier' das endlich! Das einzige, das du uns voraushast, ist der Reichtum deiner Familie!«

»Was Naruto sagen möchte, Sasuke-kun, ist, dass wir die Übernachtung nicht als Spesen verbuchen können und das Hotel teuer ist. Wir können es uns nicht leisten, hier zu nächtigen.«

»Nein«, warf er aufgebracht ein, »Das war nicht, was ich sagen wollte, Sakura-chan! Ich wollte sagen, dass er nicht einfach so über unsere Köpfe hinweg entscheiden kann, wo wir die Nacht verbringen, sondern sich seine Meinung gepflegt in den Ar –«

»Niemand zwingt euch, einzuchecken!«, korrigierte Sasuke ihn. »Ich jedenfalls werde mir ein Zimmer nehmen! Wenn dir das nicht passt, Dobe, kannst du mich gerne am Ar –«

»Schluss mit dieser Fäkalsprache!« Sakuras Machtwort erschütterte die Szene und die Kopfnuss, die sie beiden verpasste – sie hatte Sasuke tatsächlich zum ersten Mal geschlagen! – ließ die Streithähne in synchronem Wehklagen die Arme über ihren Köpfen zusammenschlagen. »Selbst wenn wir es nicht wahrhaben wollen, wir sind für diese Mission ein Team! Ein Team verbringt Nächte auf Missionen nicht getrennt! Wenn einer eincheckt, checken wir alle ein. Los jetzt, bevor ich es mir anders überlege!« Mit strammen Schritten stapfte sie voran, ihre beiden Kameraden verdutzt zurücklassend.

»Früher war sie nicht so herrisch«, murmelte Sasuke, der sich seinen Kopf immer noch rieb. Sein Nebenmann lachte bloß abfällig.

»Doch. Du hast es bloß nicht zu spüren bekommen, weil sie in dich verknallt war.«

»Weiber.«

»Du sagst es.«

Sakura warf einen feindseligen Blick nach hinten. »Habt ihr etwas gesagt?« Kopfschütteln. »Dann ist es ja gut. Wenn ihr eine Tracht Prügel wollt, braucht ihr es nur zu sagen.« Sie knackste bedrohlich mit den Knöcheln, die von einem abgetragenen Handschuh umspannt waren. Es würde eine sehr lange Nacht werden.
 

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Bis zum Abendessen hatten die drei es tatsächlich ausgehalten, nicht zu streiten. Sie hatten sich in verschiedene Teile des Hotels verschanzt, wo jeder für sich einer für ihn entspannenden Tätigkeit nachging. Sakura hatte den späten Nachmittag damit zugebracht, einen verklärten Roman aus der Leihbibliothek zu lesen und sich anschließend ein entspannendes Bad zu gönnen, aus dem sie nun erfrischt stieg. Sasuke war ein ebensolcher Sklaventreiber wie sein verschrobener Bruder. Er hatte sie gescheucht wie Pferde, vielleicht sogar, um ihre Fähigkeiten zu testen. Nun, Uchiha Sasuke mochte gut sein, aber um jemanden wie Naruto und Sakura an ihre Grenzen zu treiben, musste er schon einiges mehr aufbieten. Wie niedlich, dass er immer wieder vergaß, dass er ihnen keinen Schritt voraus war. Er mochte mit seinem Klan trainiert haben, gleichwohl wagte Sakura Tsunade und Jiraiya nicht minder immense Talente zuzuschreiben. Diese lagen anders verteilt und Sakura und Naruto waren nicht im Besitz eines hübschen kleinen Sharingans, dafür konnten sie eine Menge anderer praktischer Sachen, die mit seinem unfairen Vorteil gut mithalten konnten.

Perfekt. Nun war sie bereits gereizt, obwohl das gemeinsame Abendessen noch bevorstand. Nach einer verlorenen Wette, die im Männerbereich der Nassanlagen getroffen worden war und deren Inhalt sie gar nicht wissen wollte, musste der reiche Klansprössling nämlich zahlen. Und sie hatte Hunger – Bärenhunger.

Naruto und Sasuke saßen bereits in ihren Bademänteln in ihrem gemeinsamen Zimmer, in dem ein reichlich gedeckter Tisch stand. Der Höflichkeit halber warteten sie, bis Sakura sich zu ihnen gesellt hatte, ehe sie gierig nach den ersten Fleischstücken langten. Es dauerte nicht lange, da hatte sich der stumme Krieg in einen Esswettbewerb verwandelt, den das einzig zivilisierte Mitglied der Gruppe von der Seite aus desinteressiert beäugte. Sakura selbst hielt sich mit Reis und Gemüse auf, um sich nach ihrer Rückkehr Inos spöttische Kommentare zu ihrer pummeligen Figur zu ersparen, die, nebenbei  bemerkt, nicht pummelig war, sondern muskulös. Sie war auf Taijutsu spezialisiert, da förderte der unermüdliche Einsatz bestimmter Körperteile eben subtil sichtbare Muskeln zutage. Das mochte nicht sehr weiblich aussehen, dafür konnte sie den Großteil aller Shinobi beim Armdrücken in den Boden stampfen. Wortwörtlich wohlgemerkt. So hatte sie schon einige Wetten von übermütigen Chauvinisten gewinnen können. Wann würde ihr wohl der erste Uchiha in die Falle gehen?

»Das war meines!«, fauchte Naruto plötzlich, wobei Sakura dem Sprühregen aus Fleischstücken, gebackenem Gemüse, Nudeln und Tofu, das er unabsichtlich mitgegessen hatte, reflexartig auswich. Sasuke hatte weniger Glück gehabt und sah sich gezwungen, sich ein undefinierbares Etwas von der Wange zu wischen, wobei er aussah, als müsse er sich gleich übergeben.

»Du. bist. widerlich. Zu deiner Information«, fuhr er sachlich fort, »Ist nichts davon deines. Es genau genommen meines, das ich großzügig mit euch teile. Ich zahle immerhin.«

»Das ist ja auch das mindeste, nachdem du Schnösel schon darauf bestanden hast, in einem sauteurem Onsen abzusteigen! Echt jetzt, ich bin kein Dukatenscheißer!«

»Du bist ein Schwachmat!«, schimpfte Sasuke aufgebracht.

»Suchst du Streit, du Hampelmann?«, blaffte Naruto ihn nicht minder aufgebracht an.

»Ich muss mich nicht mit dir streiten, dafür habe ich zu viel Niveau!«

Naruto warf ein Essstäbchen nach ihm. »Du weißt doch nicht einmal, wie man Niveau buchstabiert!«

»Du weißt nicht einmal, was Niveau ist!«, blaffte Sasuke.

»Du würdest Niveau nicht einmal erkennen, wenn es mit gebrochenen Beinen vor dir auf dem Boden liegen würde!«

»Wenn es deines ist, kann es gar nicht auf dem Boden liegen, weil es bodenlos ist! –«

»Es reicht!« Sakura streckte anklagend ihre beiden Zeigefinger in die Richtungen der beiden Streithähne zu ihren beiden Seiten. »Wollt ihr etwa die restlichen elf Tage so weitermachen? Hört endlich auf, euch wegen jedem kleinsten Lüftchen in die Wolle zu bekommen! Das ist doch kein Zustand!«

»Wenn wir gerade bei dir sind«, rief Sasuke, ihren Arm beiseite schlagend, »Misch du dich nicht in Familienangelegenheiten ein! Und lass meinen Bruder zufrieden!«

Schlagartig wurde sie blass. Hatte dieser Mistkerl Itachi etwa über sie gelästert? »B-Bitte?! Was soll das denn heißen?« Stotternd fuhr sie auf und schlug ihre Hände auf den Tisch, der unter ihrer Kraft bedrohlich erbebte.

»Tu doch nicht so scheinheilig! Irgendetwas hast du doch gegen ihn in der Hand! Wir hätten mit Kuon-san nach Amegakure reisen können, aber nein, Itachi forderte dich an! Diese Mission wäre ein Kinderspiel geworden, hättest du dich nicht mit diesem Akatsuki-Weib prügeln müssen!«

»Na hör mal!« Wütend rammte sie ihre Faust auf den Tisch, von dem ein bedrohlich wankender Teller nun gänzlich flog. »Du hättest mir Rückendeckung geben sollen! Was kann ich dafür, wenn du plötzlich abhaust, ohne auch nur 'mäh' zu machen?!«

»Ich bin kein Schaf!«

»Aber ein Esel!« Ein zweiter Schlag, ein zweiter Teller.

»Deshalb musst du doch nicht das schöne Essen auf den Boden werfen!«

Zwei Köpfe fuhren ruckartig zu Naruto um, der panisch aufsprang. »Halt' dich da raus!«, fuhren ihn die beiden synchron an, ehe sie sich erneut vernichtende Blicke zuwarfen. Bis zu jenem Moment hatte Sakura nicht geglaubt, Uchiha Sasuke, ihre erste große Liebe, anschreien zu können. Wie niedlich, sich getäuscht zu haben.

»Wenn wir schon bei Schuldzuweisungen und deinem Bruder sind, mit dem ich übrigens gar nichts gemacht habe, dann möchte ich dich daran erinnern, dass dies hier nicht sein Team ist! Ich pfeif' auf deinen Rang als ANBU, wir sind alle gleichberechtigt, also verhalte dich gefälligst auch so, anstatt den ach so großen Anführer raushängen zu lassen! Du bist nicht Itachi-san!«

»Zum Glück!« Sasuke machte eine abschneidende Geste vor seiner Brust, die an ihrem Ende auf Naruto zeigte. »Wieso bin ich hier der Blöde? Naruto verließ Team Sieben ebenso und ging mit Jiraiya-sama auf Trainingsreise!«

Nun war es an Naruto, den anklagenden Finger wegzuschlagen. »Nachdem du uns verraten hast! Nachdem du uns verraten hast! Damals waren wir dank dir schon lange kein Team mehr, sondern ein ziemlich trauriges Duett! Und weißt du auch, wieso ich ging? Um stärker zu werden und dir in den Arsch treten zu können!«

»Genau!«

»Halte dich da raus, Sakura-chan, das hier geht nur uns Männer etwas an!«

Noch als die Worte in einer schlagartig still gewordenen, geladenen Atmosphäre verklangen, merkte er, in welche Bredouille er sich gebracht hatte. Nicht nur sein latenter Sexismus, sondern ein viel wichtigerer Punk machte Sakuras Stirnfalte bedrohlich tief. Sie stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Stimme nahm einen bedrohlich süßlichen Tonfall an.

»Willst du damit sagen, Naruto, dass ich weniger Anrecht darauf habe, auf Sasuke-kun wütend zu sein als du, weil ich eine Frau bin?«

Er hätte sich entschuldigen können, um weiteren Zank zu vermeiden. Er hätte um Vergebung betteln können, um ihren Zorn zurück auf den eigentlichen Übeltäter zu lenken. Hätte … wenn er nicht genau gewusst hätte, dass es nichts gebracht hätte.

»Ich will damit sagen«, versuchte er seinen letzten Rest Würde zu verteidigen, »Dass es hier auch um eine Männerfreundschaft geht, nicht bloß um eine Jugendliebe!«

»Pah!« Sie warf empört die Arme in die Luft. »Stell' meine ehrlichen Gefühle, so kindisch sie auch sein mochten, nicht auf eine Stufe mit eurer infantilen Rivalität, mit der ihr Kakashi-sensei und mich in den Wahnsinn getrieben habt!«

»Haben wir nicht!«, warfen die beiden Männer entrüstet ein. Naruto nickte eifrig. »Das war alles andere als infantil!«

»Als wüsstest du, was infantil bedeutet, Dobe!«

»Du bist infantil, Teme!«

»Hört auf mit diesen bescheuerten Beleidigungen, ihr Vollidioten!«

»Dann aber du erst recht!«

Wer angefangen hatte, wussten sie im Nachhinein nicht mehr; in ihrer perfekten Synchronizität vermutlich alle zugleich. Fakt war jedenfalls, dass Naruto in dem Moment auf Sasuke sprang, in dem dieser einen bedrohlichen Schritt auf Sakura zumachte und Sakura wiederum Naruto Attacke aufhalten wollte. Am Ende, wie auch immer sie es bewerkstelligt hatten, wurde Sasuke rückwärts durch die offene Schiebetür in den Hotelgarten geschleudert – Naruto ihm nach – wo beide in einem Dornenbusch landeten. Sakura schüttelte über so viel Impulsivität den Kopf und setzte ihnen nach, bevor sie sich noch schlimmer verletzen konnten.

»Teme!«, schallte es durch die Luft.

Sie kam just in dem Moment an, als Naruto seinem Gegner die Faust ins Gesicht rammen wollte. Sasuke hatte ebenfalls zu einem Angriff ausgeholt, den sie in letzter Sekunde parierte; dafür traf die Faust ihres Freundes sie mit voller Wucht. Sakura spürte, wie der Druck versuchte, sie zurückzuwerfen. Reflexartig festigte sie ihren breitbeinigen Stand, griff um Narutos Handgelenk und hebelte ihn über ihre Schulter, wobei er Sasuke, dessen Bademantelkragen er immer noch gepackt hielt, mit sich zog. Sie landeten in zwei formschönen Pirouetten zeitgleich; Sasuke elegant auf der robusten Steinmauer, Naruto bereit zum nächsten Angriff auf einem Felsen. Sie waren zu schnell, als dass Sakura etwas gegen ihre gezückten Kunais tun hätte können, doch als sie aufeinander zu stürmten, sah sie ihre Chance. Es wäre nicht gut, den Onsen zu demolieren.

Mit einem Satz preschte sie nach vorne und wandte jenen nützlichen Kniff an, den sie einst bei Kakashi beobachtet hatte, als eine ähnliche Situation vor neun Jahren auf Konohas Krankenhausdach eskaliert war: mit chakraversetzten Händen griff sie kurz vor dem Zusammenprall der Waffen um die Handgelenke ihrer Kameraden, nahm den restliche Schwung aus ihrem Lauf in ihre Drehung und rotierte ihren Körper damit um die eigene Achse, sodass die Shinobi in zwei verschiedene Richtungen geschleudert wurden.

»Könnt ihr euch bitte zusammenrei – oh, kommt schon!«, raunte Sakura, die bis zu jenem Moment, an dem Naruto und Sasuke mit jäh geformten blitzblauen Chakrabällen in ihren Händen auf sie zugeprescht waren, nicht geglaubt hatte, dass sie sie tatsächlich mit einem Rasengan und einem Chidori gleichzeitig angreifen würden! Diese grenzdebilen Hitzköpfe hatten wohl vergessen, dass sie weder Kakashi noch Jiraiya war!

 »Ooooh, scheiße!«, fluchte sie lauthals, was in panisches Kreischen überging, als die Attacken immer näher kamen. Sie sah nach rechts – keine Fluchtmöglichkeit. Links – keine Fluchtmöglichkeit. Sie würde sterben. In Bademantel bekleidet, gestorben an den Folgen von Impulsivität und Dummheit. Amen! Man sagte, in solchen Momenten ziehe sein ganzes Leben an einem vorbei, doch Sakura sah bloß Itachis Gesicht vor sich, ehe ein lauter Knall sie aus ihrer panischen Starre riss.

In einer flüssigen Bewegung wehrte er Sasukes Chidori mit seinem Armschutz ab, umrundete Sakura mit einem Schritt und versenkte Narutos Rasengan mit einem kräftigen Schlag im Boden, der aufbarst; nicht so kräftig, wie es ein Taijutsuspezialist wie Sakura, zustande gebracht hätte, aber beeindruckend tief für jemanden, der auf Ninjutsu trainiert war. Dann war plötzlich alles ruhig.

Sakura blinzelte, sah auf ihre Fingerspitzen, in das Gesicht ihres unverhofften Retters, auf ihre Füße und kam zu dem Schluss, dass sie noch am Leben war. Noch. Seine grausam stoische Miene ließ hinter seiner unberührten Fassade keine Zweifel, dass er wütend war oder enttäuscht oder beides und empört noch dazu – Moment. Was zum Teufel tat Uchiha Itachi hier?
 

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»Wenn ich ein Wort für eure Inprofessionalität finden müsste, würde ich schon daran scheitern, ein grammatikalisch anerkanntes Synonym für Inprofessionalität zu finden.«

Dies war der Beginn von Uchiha Itachis längster und härtester formellen Rüge. Sakura wusste es, weil es unmöglich war, noch länger und härter zu rügen. Sie saß mit gesenktem Kopf im Seiza in einer Reihe mit Naruto und Sasuke, den Bademantel eng um sich geschlungen und Schamesröte im Gesicht. Nicht nur, dass sie sich in einem Hotel in einem Bademantel geprügelt hatten wie störrische Kleinkinder, Uchiha Itachi, Inuzuka Hana, Shiranui Genma und Shizune hatten es auch noch hautnah miterlebt. Alle bis auf erster standen mit vorgehaltener Hand amüsiert kichernd auf der Außenveranda und lauschten dem Vortrag, den Naruto allzu treffend als 'Anschiss' deklariert hatte. Itachi schritt fortwährend auf und ab.

»Es ist nicht nur Inprofessionalität, sondern auch mangelnde Ernsthaftigkeit, von der euer Verhalten zeugt. Eure Mission erfordert Feinfühligkeit, Diplomatie und Sensibilität, stattdessen degradiert ihr sie zu einem Freizeitausflug, auf dem Libertinage und Desorganisation vorherrschen!«

Endlich blieb er stehen, direkt vor Naruto, dem bereits ein Schweißfilm auf der Stirn stand. »Uzumaki, du solltest sehr viel umsichtiger mit deinen immensen Kräften umgehen, nachdem du weißt, welch verheerenden Schaden du damit anrichten könntest. Man ernannte dich nicht zum Jōnin, weil man dich so sympathisch fand, und dieser Titel gibt dir auch keine Narrenfreiheit!«

Er wandte sich Sakura zu. Sie schluckte schwer, sah ihn jedoch an, um ihre Schelte mit erhobenem Haupt entgegenzunehmen.

»Von dir, Sakura-san, der Stimme der Vernunft, hätte ich erwartet, nicht auf lasche Provokationen dieser zwei Kindsköpfe einzugehen. Offensichtlich habe ich mich getäuscht, als ich Hokage-sama sagte, du wärst dazu in der Lage, Uzumaki und Sasuke in Zaum zu halten.«

 Nun stellte er sich vor Sasuke, der den geschlossenen Blick gesenkt hielt. Für ihn hatte diese Schelte eine ganz andere Ebene, immerhin sprach sein Captain und großer Bruder zu ihm. Wie unangenehm es ihm war, vor aller Augen gerügt zu werden, sah man ihm zwar nicht an, dass es jedoch so war, war nur allzu nachvollziehbar. Erst sah Itachi aus, als wolle er es bei seinem strafenden Blick belassen. Zu früh gefreut.

»Sasuke, von dir bin ich am allermeisten enttäuscht. Wertvolle Ressourcen auf etwas derart Kindisches zu verschwenden, ist einem ANBU alles andere als würdig und einem Uchiha erst recht nicht. Wir profilieren uns durch Überlegung, Kontenance und Weitsichtigkeit. Dies ist kein Verhalten, das ich gutheißen kann.«

Sakura hatte innerlich bereits zu schmunzeln begonnen, als sie sich plötzlich wieder von Itachi angesehen vorfand. Versteckt unter ihrer gehaltenen Körperspannung, zuckte sie erschrocken zusammen. Es gab also eine Runde zwei.

»Und, Sakura-san, wenn du schon in einen Kampf eingreifst, der von zwei Kontrahenten ausgetragen wird, die blindlings aufeinander zustürmen, wäre es dem Erhalt deiner Gesundheit förderlicher, wenn du vor deiner Intervention deine Chancen überschlagen würdest, lebend wieder herauszukommen. Solltest du dir die Muße antun wollen, zu überlegen, wie diese Situation ohne meine Intervention –«

Deren Chancen natürlich wunderbar überschlagen waren, äffte Sakura frustriert.

»– ausgegangen wäre, wäre ich mir nicht sicher, ob du nicht zu einem Ergebnis kommen würdest, das dir nicht sonderlich gefällt.«

Wie gerne hätte sie ihm eine eloquente Antwort gegeben! Wie gerne hätte sie ihm überhaupt eine Antwort gegeben! Er war nicht ihr Captain, nicht ihr Sensei, nicht ihr Vormund, er hatte nichts mit ihr zu tun und kein Recht darauf, sie zu schelten! Diese Argumente fielen ihr alle ein. Zwanzig Minuten später. Zurzeit allerdings brachte sie kein einziges Wort über die Lippen, während ihr Stolz sich krampfhaft zusammenzog. Itachi hatte seinen Tadel inzwischen beendet und rief seine Begleiter hinein.

»Wieso faltet uns Sasukes Bruder eigentlich zusammen?«, maulte Naruto mit beleidigt vor der Brust verschränkten Armen.

»Wieso kam ich zweimal dran und ihr nicht?«, murmelte Sakura mit nicht minder beleidigt vor der Brust verschränkten Armen.

»Wieso bist du überhaupt hier?«, brummte Sasuke als letzter in der Reihe laut vernehmlich für alle Anwesenden. Er hatte seine Miene geklärt und seinen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt, für den die Uchihas bekannt waren.

»Wir sind auf Anweisung von Godaime-sama hier«, erklärte Genma, wie gewohnt auf einem Senbon kauend. Er lehnte nonchalant neben Shizune, die Mühe damit hatte, der Spitze der Waffe auszuweichen, als er sprach. »Wir sollen Yakushi Kabutos Spur, die Aobas Trupp vor einigen Tagen aufgenommen hat, verfolgen.«

»Welch Zufall«, zischte Sakura wenig überzeugt davon. Sie hatte sich längst aus ihrem demütigen Sitz erhoben, »Dass sich unsere Routen zum selben Zeitpunkt überschnitten haben.«

Als ob …

Shizune befreite sich aus Genmas Radius und ging mit einem entschuldigenden Lächeln auf sie zu. »Kein so großer Zufall wie du denkst. Wir sind wegen dir hier, Sakura.«

Das kam überraschend. Was hatte sie bloß nun wieder verbrochen? »Inwiefern?«

»Wir sind nach Tsunade-sama die besten verfügbaren Iryōnin Konohas. Gegen Kabutos medizinische Jutsus ist es vorteilhafter, mehrere Iryōnin aufzubieten. Genma wird mit dir tauschen und deiner statt die Mission in Kirigakure no Sato weiterführen. Es ist ein direkter Befehl von Tsunade-sama.«

Als würde das etwas ändern! Sakura zwang sich zu einem grimmigen Lächeln. »Wie konntet ihr uns so schnell finden? Jeder geistig gesunde Mensch hätte die Westroute genommen.« Der Seitenblick auf Sasuke blieb niemandem verborgen.

Shizune nickte in Hanas Richtung, die einen ihrer drei Ninken hinter dem Ohr kraulte. »Inuzuka-san ist nicht umsonst eine der besten Jägerinnen Konohas. Die Fährte von Kyūbi zu verfolgen war nicht sehr schwer.«

Hana rümpfte die Nase, als würde sie in Narutos Richtung schnuppern. »Dieses Vieh mag stark und böse sein, aber es stink wie die Pest.«

»Wenn es dir nichts ausmacht, zieh dich an, Sakura-san«, befahl Itachi trocken, »Wir haben mit diesen kindischen Spielereien schon genügend Zeit verschwendet.«

Diese Mission würde lange werden, so viel stand fest. Vorsichtshalber nahm sie zwei Fleischspieße mit in das Badezimmer, wo sie sich fragte, wann sie unter Itachis strengem Regiment das nächste Mal etwas zu essen bekommen würde. Im Nachhinein betrachtet schien die Mission mit Sasuke und Naruto doch eine recht angenehm Alternative gewesen zu sein …
 

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Während ihrer ersten Pause anderthalb Tage später fragte Sakura sich, wie genau sie in diese Situation gekommen war. Eigentlich hätte sie doch mit einem starrköpfigen ANBU und einem kopflosen Jōnin nach Mizu no Kuni reisen sollen. Nun befand sie sich irgendwo im Norden Ta no Kunis, in dem sie enttäuschenderweise noch kein einziges Reisfeld gesichtet hatte, zusammen mit Shizune, Inuzuka Hana und, was am schlimmsten war, Uchiha Itachi, der abseits des Zeltes, das die Frauen aufgestellt hatten, provisorische Fallen aufstellte. Nur für den Fall eines eher unwahrscheinlichen Angriffs. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen.

Überraschenderweise hatte Itachi eine längere Pause angesetzt. Hanas präzise Leitung hatte sie nahe an gefährliches Feindgebiet gebracht, dessen Shinobi nicht zu unterschätzen waren. Orochimaru war eine Bedrohung für sich, aber auch seine Untergebenen waren nicht zu verachten. Itachi hatte Schlaf angeordnet, um morgen mit drei ausgeruhten Teamkameraden den letzten Abschnitt der Fährte zu verfolgen. So war es gekommen, dass er die Nachtwache übernahm, während die Kunoichis im Inneren des Zeltes wohlverdienten Schlaf gefunden hatten. Zumindest Shizune und Hana. Sakura wälzte sich in unruhigem Halbschlaf, bis Hana sich umdrehte und ihr den Ellenbogen auf die Nase schlug.

»Verflucht, Hana-san!«, zischte sie nasal durch ihre Handflächen, die ihre schmerzende Nase vor weiteren Attacken schützen sollten. Ihr neuer Versuch, Schlaf zu finden, scheiterte mit über sie hereinbrechenden Gedanken, die bloß um ein einziges Thema kreisten: wieso war sie zweimal gescholten worden, obwohl sie diejenige gewesen war, die diese Dummköpfe davor bewahren hatte wollen, größeren Schaden anzurichten? Wie hätte sie ahnen können, dass besagte Dummköpfe in dämlicher Euphorie mit ihren beiden stärksten Ninjutsus auf sie losgehen würden? Das war nicht fair! Itachi war nicht fair gewesen!

Getrieben von dieser Erkenntnis, die sie ihm am liebsten um die Ohren geschlagen hätte, krabbelte sie nicht unbedingt vorsichtig über Hana aus dem Zelt, strich ihr Oberteil glatt und streckte sich. Itachi, der darauf bestanden hatte, die gesamte Nachtwache zu halten, saß unbewegt im halbhellen Schein eines schwachen Feuers – dieser Poser – das in dünnen Flammen um drei Holzscheite züngelte. Die Schatten, die es auf seine Silhouette warf, ließen seine Gestalt in unheimlichen Schemen erscheinen.

Sakura schüttelte den Kopf. Ihr spontaner Zorn war erloschen, stattdessen stemmte sie einen Arm in ihre Hüfte, als sie zu ihm hinüberging und schräg hinter der Feuerstelle stehenblieb.

»Soll ich dich ablösen?«, fragte sie zuvorkommend. So viel also zu ihrer Erkenntnis, die sie ihm um die Ohren hatte schlagen wollen. Itachi drehte sich zu ihr um und sah matt zu ihr herauf.

»Angesichts der vorangegangenen großzügigen Verschwendung deiner niedrigen Chakrareserven, solltest du dich lieber schonen. Die Reise über die Tanboroute wird nicht umsonst als eine der beschwerlichsten beschrieben; ich gönne euch Frauen lieber eine Pause.«

»Ach?« Sakura hob eine Augenbraue. Ungefragt setzte sie sich neben ihn und winkelte die Beine ab. »Also bist du ein Sexist, Itachi-san?«

»Meine Entscheidung hat wenig damit zu tun, dass ich ein Mann bin«, wandte er sachlich ein.

»Also ein Misogyn?«

»Sakura-san …« Offensichtlich empfand er diese Diskussion als sinnlos. »Ich hätte in jeder Konstellation so gehandelt. Da meine Teamkameraden in diesem speziellen Fall per Definition alle weiblich sind, gibt es an meiner Wortwahl nichts auszusetzen.«

Sie gluckste ob dieser einleuchtenden Erklärung. »Dann wohl ein Misanthrop«, beschloss sie für sich. Das darauffolgende Schweigen war kein unangenehmes, wenngleich ein ungewöhnliches. Sie bereute ihre Worte, die als Scherz gemeint, aber nicht angenommen worden waren. Naruto hätte sofort eine aberwitzige Rechtfertigung gestartet, die alle vom Gegenteil überzeugt hätte, Sai wäre wahnsinnig geworden, während er die korrekte Definition des Wortes suchte und eine Anleitung, wie man diese Eigenschaft eliminieren konnte, und sogar Sasuke hätte ihr zumindest einen abfälligen Blick geschenkt, auf dessen Kosten sie sich einige Minuten lang amüsieren hätte können. Itachis fehlende Reaktion ließ sie unschlüssig werden, ob er beleidigt, verärgert oder einfach ignorant war. Keines der drei erschien ihr wünschenswert.

 Das Schweigen zog sich. Erst als Itachi einen vorbereiteten Holzscheit sorgsam in das Feuer warf, hatte sie den Mut, erneut zu sprechen. Woher das Bedürfnis kam, sich für etwas zu rechtfertigen, das zwei Tage in der Vergangenheit lag, wusste sie nicht. Fakt war, dass sie das Verlangen nach Erklärung verspürte.

»Es muss komisch sein, Menschen, die ein Team sein sollten, derart streiten zu sehen.«

Sein ihr plötzlich zugewandter Blick, in dem flüchtiges Interesse aufflackerte, bestätigte, dass er ihr zuhören würde.

»Aber denk' nichts Falsches; wir waren schon so, auch – oder eher gerade als wir uns noch als Team fühlten. Nach allem was passiert ist, ist Sasuke-kun doch noch ein Teil des Ganzen, den wir nicht ignorieren können. Wir sind auf unsere eigene ungeschickte Weise eine Art Familie, die leider nicht immer ganz in Harmonie miteinander schwingt. Das bedeutet nicht, dass wir Sasuke-kun hassen. Jede Familie streitet manchmal.«

Itachi neigte seinen Kopf ein wenig, wodurch das Feuer in seinen dunklen Augen reflektierte. »Ich bin Mitglied eines Klans, der über dreißig Mitglieder hält. Ich habe drei Tanten, vier Großonkel, neun Cousinen, einen Haufen Cousins und weiß Gott wen noch alles. Keine Familie geht vollständig einverstanden miteinander um. Je größer sie ist, desto mehr Reibungen gibt es. Aber ihr seid Kameraden. Derartige Zwistigkeiten, in denen es nicht einmal um etwas Relevantes geht, können in unbedachten Momenten eure Freikarte in den Tod sein.«

»Stopp.« Mit einer Geste wischte sie seinen Einwand weg. Natürlich war es um etwas Relevantes gegangen, sie stritten sich nicht zum Spaß! Naja, fast. Wie auch immer. »Ich möchte eines ein für allemal klarstellen: ich bin keine Anfängerin, ebenso wenig eine Närrin, Itachi-san. Du bist nicht mein Vorgesetzter. Ich tue die Dinge, die ich tue, nicht, weil mir langweilig ist oder ich es lustig finde, Befehle zu ignorieren, oder mich aufzuführen wie ein zügelloser Eleve. Ich lasse mich nicht von jemandem kritisieren, der kein Recht dazu hat, sich ein Urteil über mich zu bilden. Wenn du mich für derart schwach hältst, verweigere Missionen mit mir. Ich habe keine Lust, mich weiter bevormunden zu lassen.«

Hinter seinen Iriden schien ein Kampf zu toben, den sie sich nicht ausmalen konnte. Was mochte er über diese Klarstellung denken? Sein schönes Gesicht, das stet war wie in Stein gemeißelt, ließ keine Schlüsse darauf zu. Es behagte ihr nicht, wie er sie überlegend ansah. Normalerweise war sie gut darin, Menschen einzuschätzen. Itachi war für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie wusste bloß eines: mit ihrer für ihn überraschenden Kehrtwende innerhalb der vorhersehbaren Konversation hatte sie ihn aus seinen Bahnen geworfen. Erkenntnis Nummer eins, Uchiha Itachi kam nicht gut mit dem Unplanbaren klar.

»Ich hatte nicht die Absicht, dich zu bevormunden.«

»Schön.« Sakura war in Gedanken immer noch damit beschäftigt, ihre Erkenntnis zu verarbeiten. Wenn sie schon dabei war, sich zu rechtfertigen, konnte sie auch gleich weiter ausholen. »Übrigens, Itachi-san, besteht der erste Grundsatz eines Iryōnin darin, zu heilen, koste es, was es wolle. Situationen vom Standpunkt eines ANBU aus zu betrachten, kann für Patienten tödlich sein.« Dass sie damit Amegakure meinte, war ihm nur allzu bewusst, doch er verspürte scheinbar nicht das Verlangen, darauf einzugehen.

»Der erste Grundsatz eines Uchiha ist Gehorsam gegenüber Autoritäten«, sagte er. »Dies ist eine Eigenschaft, die als Ninja vorteilhaft ist.«

»Blinder Gehorsam gegen die eigenen Überzeugungen ist nichts, auf das man stolz sein kann, selbst nicht als Shinobi. Wenn dein Klan diese Attribute honoriert, tut er mir leid. Ich würde mich niemals fügen, wenn ich nicht hundertprozentig konform mit dem ginge, was von mir verlangt würde.«

Itachi schüttelte kaum merklich den Kopf. »Manchmal hat man keine Wahl, wenn man ein Teil der Familie bleiben möchte.«

Wie er diese Worte sprach, veranlasste Sakura dazu, einen Augenblick innezuhalten. Itachi war zu sorgfältig, um derart unbekümmert von sich selbst zu sprechen. Natürlich spielte er auf Sasuke an, was sie skeptisch werden ließ. Sein Bruder war nicht, auf was sie hinausgewollt hatte, also tat sie, als missverstehe sie seine subtile Andeutung.

»Selbst Uchihas haben Schwächen?«

»Jeder hat Schwächen, Sakura-san«, erklärte er, ohne den Eindruck zu machen, als habe er ihre List durchschaut. »Selbst wenn der Uchihaklan es aussehen lassen möchte, als sei er unverwundbar, ist ein Klan durch seine hierarchische Gliederung und die Tendenz, in sich unterschiedliche Interessenslager zu bilden, etwas sehr Fragiles. Vermutlich birgt eine große Familie mehr Nachteile als Vorteile. Wir versuchen sie nur gut zu vertuschen.«

Sakura schnaubte und erhob sich. »Darum mag ich eure Sippe nicht«, stellte sie bemüht unbeeindruckt fest, stand auf und ging zurück zu ihrem Nachtlager. Das Gespräch war beendet, bis Itachi auf halbem Weg seine Stimme erneut erhob.

»Sakura-san«, rief er ihr halblaut nach, »Du warst vorhin nicht schlecht. Hättest du Sasukes Schienbein statt seinem Handgelenk attackiert und Uzumaki nachgesetzt, um zu verhindern, dass er ein Rasengan formt, hättest du den Kampf vielleicht sogar beenden können.«

Sie verschwand in ihrem Zelt, ohne eine Antwort zu geben. Im Schutz der Nacht, fernab seiner Präsenz, lag sie dicht gedrängt neben Shizune und Hana, die erneut unruhig wurde, weil Sakura über sie geklettert war. Ihr Gesicht verriet keine Emotionen, noch weniger würde sie auf seine Worte reagieren. Bloß eine Frage schwirrte ihr im Kopf herum: hatte Uchiha Itachi sie eben wirklich auf seine eigene, verschrobene Art gelobt? Und, was noch viel wichtiger war …

Wieso freute sie sich darüber?
 

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Itachi starrte widerwillig in den klaren Nachthimmel. Er wurde das Gefühl nicht los, er habe gleich auf mehreren Ebenen zu viel verraten. Dass jemand das Wort gegen den Klan erhob, war etwas, das er gerne überhört hätte, hätte sie nicht eingehend darauf bestanden, dass er ihre Meinung zu akzeptieren hatte. Und nach dieser war der Klan anscheinend nichts, das sie sonderlich schätzte. Er hatte schon häufiger mitbekommen, wie über seine Familie gewettert wurde; zurecht, wenn er sich diese persönliche Fußnote erlaubte. Normalerweise waren es die Goikenban, Danzō oder Tsunade selbst, die laut gegen die Uchihas revoltierten. Dass eine Kunoichi auf dem Rang eines Chūnin sich in diese Gruppe autoritärer Persönlichkeiten reihte, war ungewöhnlich. Es verdiente Respekt, es verdiente Anerkennung, es verdiente Honoration ihres Rückgrates.

Es gefiel ihm nicht.

Vermutlich hatte Sakura wegen Sasuke diese Meinung über dessen Familie, zu der Itachi nun einmal zählte. Er konnte ihr nicht verübeln, Kritik an der Vorgehensweisen des Klans zu üben, weil er selbst alles andere als zufrieden war. Auch die Rolle, in die sie ihn drängten, war ihm zuwider, doch er hatte sich geschworen, Konoha loyal ergeben zu sein, sobald er Oberhaupt des Klans war. Dies war er dem Dorf schuldig, das ihn beschützte seit seiner Geburt.

Sakura hatte gewiss nicht überlegt, mit wem sie gesprochen hatte. Sie hatte einen Shinobi vor sich gesehen, der ihre Fähigkeiten kritisiert hatte. Das hatte er nicht vorgehabt. Ganz im Gegenteil. Obwohl sie anders war als alle, mit denen er sonst zusammengearbeitet hatte – lebhaft und impulsiv, spontan und emotionsgeleitet – fand er diesen frischen Wind in seinem Team nicht schlecht, solange sie damit Erfolge erzielte. Die zeitliche Begrenzung, die diese Wortwahl prädestinierte, war bewusst gewählt. Es würde der Zeitpunkt kommen, an dem sie erkannte, wie fatal ihre Impulsivität sein konnte, auf die sie so stolz war. Diesen Charakterzug, der ihm nicht in den Kram passen wollte, außen vor gelassen, passten ihre Fähigkeiten gut zu seinen.

Die Teamaufteilung für den nächsten Tag war binnen dieses Gedankengangs entschieden. Er würde nicht zögern, erneut eine Mission mit ihr zu bestreiten; ein Fakt, mit dem er seinen Otōto  gewiss reichlich ärgern könnte. Aber Itachi hatte nicht vor, sich in die Intimität des wahren Team Sieben einzumischen, wenn er schon derart große Überzeugungsarbeit geleistet hatte, Tsunade zu dessen Reformierung zu bringen. Es lag weiter nicht in seiner Absicht, Sakuras Integrität zu tangieren, die sie gefährdet sähe, wenn er daran hielt, sie weiterhin einzuspannen.

Dass sie bei diesem Auftrag dabei sein sollte, hatte nicht er entschieden, er hatte die Entscheidung der Hokage aber auch mit keinem Wort angefochten. Bald würde sich herausstellen, ob er es bereuen würde, eine derart positive Meinung über Haruno Sakura geformt zu haben.

Er jedenfalls hoffte für sie und für sich selbst, dass sie seinen Erwartungen gerecht werden konnte. Dass sie es bis zu einem gewissen Grad konnte, stand außer Frage. Er schürte seine Ansichten nicht aus dem Nichts. Allerdings setzte er sie bewusst immer zu hoch an. Ob sie seine Erwartungen erfüllen konnte und – was der eigentliche Knackpunkt war – sie vielleicht sogar übertreffen würde, war die viel interessantere Frage.

Sie würde bald geklärt werden.

 

 
 

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Bad Illusion

 
 

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Inuzuka Hana hatte schon öfters über Uchiha Itachi geflucht. Sie hatten ihr erstes Jahr auf der Akademie zusammen absolviert, bis dieser blöde Streber einige Monate nach dem ersten Schultag zum Genin erhoben worden war. Ja, sie hatte Itachi blöder Streber genannt und wenn er sie nach seiner Meinung über ihn gefragt hätte, hätte sie ihm genau das gesagt: er war ein blöder Streber. Diese Perfektion, die er sich anmaßte zu tangieren, war zum Kotzen! In Haruno Sakura, wer auch immer dieses Gör war, hatte sie eine Verbündete gefunden. Ihre offenkundige Skepsis ihm gegenüber war kaum zu übersehen. Nicht viele widerstanden dem attraktiven Klanerben; es waren meist Zivilistenmädchen, die heimlich für ihn schwärmten. Einige Kunoichis eiferten ihnen nach; es waren diejenigen, die in einigen Jahren auf dem Rang eines Chūnin aufhören würden, sich bei halsbrecherischen Missionen die Fingernägel abzubrechen. Yamanaka Ino, das ältere Hyūgamädchen, auf das ihr kleiner Bruder stand, ein paar aus den jüngeren Jahrgängen würden vielleicht nie die Chūninauswahlprüfung bestehen.

Paradoxerweise war Uchiha Itachi bei Kunoichis eigentlich gar nicht richtig beliebt. Aus dem einfachen Grund, weil er ein blöder Streber war, der das Potenzial hatte, einem tierisch auf den Senkel zu gehen. Sie hatte irgendwann einmal – Kami behüte, es musste vor vier oder fünf Jahre gewesen sein – für Uchiha Izuya geschwärmt. Er war inzwischen zwanzig Jahre alt und hatte mehr Fans als Uchiha Sasuke. Vorwiegend aufgrund seiner offenen, freundlichen Art, die gleichzeitig durch das mysteriöse Uchihagen verwegen und geheimnisvoll anmutete. Nicht zu vergessen, dass sein Gesicht aussah, als haben die Götter selbst es aus weißem Marmor geschnitzt. Itachis Handwerk dagegen beschränkte sich auf den Kampf, was ihn zu keiner allzu guten Partie machte. Er war nicht ohne Grund eine Legende. Solange Hana ihn kannte – was immerhin schon zwei Jahrzehnte war – hatte sie ihn noch nie nicht trainieren oder eine Mission erledigen sehen.

Trotzdem Itachi also so viel über ihr stand, hatte Hana nie aufgehört, ihn mit einem Suffix anzusprechen, das ihn daran erinnerte, dass sie um exakt siebenundfünfzig Tage älter war als er.

»Hier teilt sich die Fährte, Itachi-kun.«

Sie drehte sich rechtzeitig um, um sehen zu können, wie Sakuras Blick sich amüsiert aufhellte. Es war die Grenze zu einem dichten Waldstreifen, vor dem sie sich befanden.

»In wie viele Richtungen, Hana-san?«

Spielverderber. Dieser beschissene Poser. Selbst als er in den Kampf seiner Bruders mit dem Fuchsjungen eingegriffen hatte, hatte er es in perfekter Haltung getan. Nur seine Sharingan hatten gefehlt, um die Kunoichi, die er ungefragt gerettet hatte, in Schreikrämpfe zu treiben.

»Zwei. Uns bleibt keine Wahl, als uns aufzuteilen. Haruno und ich könnten den rechten Weg nehmen, Shizune-senpai und du den linken. Mit etwas Glück und falls meine Nase mich nicht trügt, laufen sie am Ende der beiden Trampelpfade in siebzehn Kilometern wieder zusammen. Der Wind steht nicht günstig, um es konkret zu sagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Geruch sich nicht weiter ästelt.«

Itachi nickte. »Wir machen es so, wie Hana-san vorgeschlagen hat: zwei Teams, eine Iryōnin pro Einheit. Shizune-san, Sie gehen mit Hana-san und den Haimaru Sankyōdai –« Wie reizend, dass er immer wieder vergaß, dass auch sie eine Iryōnin war. Nur eine Veterinärin, aber immerhin. »– Sakura-san, du kommst mit mir.«

»Ach, wirklich?«, riefen Hana und Sakura synchron aus. Sie sahen sich mit einer Mischung aus Verwunderung und Abschätzigkeit kurz an, ehe sie sich wieder ihrem Anführer zuwandten.

»Möchte jemand meine Entscheidung anfechten?«, fragte er in die Runde, von der er sichtlich keinen Einspruch erwartete. »Shizune-san und Sakura-san sind in menschlichen Medizinjutsus versierter als du, Hana-san. Sie bilden die Grundlage der Aufspaltung. Mit deinen Ninken hast du mehr Schlagkraft, also solltest du der erfahreneren der beiden zugeteilt werden, damit ich die Fehler der anderen ausmerzen kann. Oder möchtest du diese Aufgabe übernehmen?«

Unwillkürlich lachte sie hohl auf. Wie schön, dass sie nicht die einzige war, an der er kein gutes Haar ließ. Haruno war ebenso arm dran wie sie selbst. Mit dem Unterschied, dass sie es ihm Gegensatz zu Sakura nicht auf sich sitzen ließ.

»Sperr' mal deine Lauscher auf, Itachi-kun«, fauchte sie. Ihre Ninken knurrten hinter ihr, als sie ihm einen bedrohlichen Finger auf die Brust setzte. »Ich bin mindestens genauso gut wie Haruno, verdammt, ich bin fünf Jahre älter als sie! Traust du mir etwa nicht zu, dieser Brillenschlange in den Hintern zu treten?«

»Nein, das tue ich nicht.« Itachi drückte ihren Finger nach unten und trat einen Schritt zurück, um die geschäftliche Distanz wiederherzustellen. »Yakushi Kabuto ist kein beliebiger Shinobi, er ist Orochimarus rechte Hand, was nicht ohne Grund so sein wird. Wir müssen annehmen, dass er ein äußerst ernstzunehmender Gegner ist. Ich verbuche nur ungerne zwei tote Iryōnin, weil die eine sich überschätzt hat und ich nicht zur Stelle war, die andere zu verteidigen. Shizune-san kann Yakushi lange genug aufhalten, damit mich einer deiner Hunde verständigen kann. Zusammen schafft ihr es sogar, solange am Leben zu bleiben, bis Sakura-san und ich eingetroffen sind. Möchtest du nachrechnen, Hana-san? Was ist wohl effektiver? Eine Chūnin mit einer Jōnin mit drei Hunden und eine Jōnin mit einem ANBU oder zwei Jōnin und ein ANBU mit einer Chūnin?«

Für sie kam eindeutig zu oft das Wort 'Jōnin' vor, zu dem sie vor zwei Jahren erhoben worden war. Sie zischte abfällig, wandte sich jedoch wortlos ab und stellte sich zwischen ihre Ninken, die sie beruhigend hinter den Ohren kraulte. Das Temperament der Inuzukas war legendär; Itachi konnte froh sein, dass sie sich unter Kontrolle hatte. Schon damals hatte er das Talent gehabt, Respekt zu erhalten, wo auch immer er hinkam.

»Von mir aus. Wenn Haruno und Shizune-senpai nichts dagegen haben, werde ich keinen Streit vom Zaun brechen wegen deinem fehlenden Vertrauen in mich. Würdest du nur bitte deinen Masterplan für uns Normalsterbliche wiederholen?«

Itachi rollte mit den Augen, was sie als Sieg verbuchte. Ihm auf die Nerven zu gehen war eines ihrer Hauptanliegen, wann immer sie die seltene Gelegenheit bekam, ihn auf einer Mission unterstützen zu dürfen.

»Recht herzlichen Dank für deinen unangemessenen Sarkasmus, Hana-san. Dein Beitrag rührt mich zu Tränen«, erwiderte er nicht minder sarkastisch. Wenn Itachi sarkastisch wurde, war es Zeit, aufzuhören. »Der Plan lautet wie folgt: wir folgen dem Pfad und halten nach Auffälligkeiten Ausschau. Am Ende der Gabelung, wenn die Wege zusammenlaufen, sammeln wir uns, um uns gegenseitig zu aktualisieren. Es gilt, jeden Kampf zu vermeiden. Sollten wir dennoch in einen solchen verwickelt werden, rufen wir sofort Hilfe. Hana-san durch ihre Ninken, Sakura-san durch die Kommunikationsjutsu, die sie in Kumogakure vor anderthalb Monaten benutzt hat. Unsere Mission lautet, Yakushi Kabuto zu verfolgen und in Gewahrsam zu nehmen, nicht zu töten. Beherzigt das bei etwaigen Manövern. Sollte ein Duett aus irgendeinem Grund aufgehalten werden, wartet das andere am Sammelpunkt hinter dem Waldstreifen bis Sonnenuntergang, danach sucht es sich ein Lager und kehrt im Morgengrauen dorthin zurück. Sollte bis Mittag immer noch keine Spur des fehlenden Teams sein, hat der Rückzug nach Konoha oberste Priorität. Alles weitere wird Hokage-sama entscheiden.«

»So optimistisch wie eh und je, Itachi-kun«, brummte Hana wenig begeistert von diesem Vorschlag. Sie spürte Shizune an sich herantreten, die ihr aufmunternd zulächelte.

Shizune schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Eine Möglichkeit zu berücksichtigen, ruft sie nicht zwingend herbei. Wenn wir unsere Aufgaben gewissenhaft erledigen, werden wir erfolgreich sehen.«

»Shizune-san hat recht«, stimmte Sakura von weiter hinten zu. Sie hatte vorhin mit den Zähnen geknirscht, was Hana nicht entgangen war, machte nun jedoch einen motivierten Eindruck. Mit Itachi zusammenzuarbeiten war immerhin die beste Lebensversicherung.

»Natürlich habe ich das.« Die Älteste des Teams lachte verhalten. »Wir werden etwa vier Stunden brauchen, um den Wald zu durchsetzen. Ich wünsche euch viel Erfolg, Itachi-san, Sakura. Lass uns gehen, Hana-san.«

»Ja, ja«, machte Letztere schulterzuckend und drehte sich im Weggehen um, um leger zu winken. »Bis später, Itachi-kun.« 
 

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Dass Itachi sich hatte provozieren lassen, war für Sakura eine neue Erfahrung. Es machte ihn menschlich, irgendwie, selbst wenn er bloß die Augen gerollt hatte. Erkenntnis Nummer zwei, Uchiha Itachi ließ sich nicht gerne in die Enge treiben. Hana hatte eine Reaktion heraufbeschworen, um die sie sie beneidete. Natürlich war sie älter, auf dem Rang eines Jōnin und kannte Itachi seit Jahren. Sie wusste wohl einfach, wo seine wunden Punkte waren. Sakura verspürte keine Todessehnsucht, also würde sie diese nicht drücken. Das Temperament eines Inuzukas ließ es nicht zu, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, ebenso wenig wie man es ihnen verübeln konnte. Sie nervten einfach immer.

Das stille Buhlen um Entscheidungsgewalt hatte auf Itachi in weiterer Folge keinerlei Auswirkungen gehabt. Er lief voran, seine Sharingan nicht aktiviert, und hielt ein angenehmes Lauftempo, mit dem sie mühelos schritthalten konnte. Er war um ein Vielfaches langsamer als ihr Maximum, was den Vorteil hatte, dass sie problemlos die Szenerie links von und hinter ihr im Auge behalten konnte. Itachi hatte den restlichen Bereich übernommen.

So zogen zwei Stunden ins Land, während denen sie von Ast zu Ast über jene Bäume sprangen, die in einer wilden Allee den klar ersichtlichen Trampelpfad säumten. Zwei Stunden, in denen nichts passierte, bis Itachis Augen plötzlich rot wurden.

Da er vor ihr war, konnte sie es nicht sehen, aber wie sich seine Nackenmuskeln anspannten, war ein untrügliches Zeichen für das Auftreten des Kekkei Genkai. Sakura holte neugierig auf.

»Hast du etwas entdeckt, Itachi-san?«

Er nickte. »Vierhundert Meter voraus, eine nicht unterdrückte Chakrapräsenz.«

»Eine Falle?«

»Eine Einladung.«

Sie schnaubte amüsiert über diesen Wortwitz, der nicht witzig war. »Dann nehmen wir sie lieber an.«

Ohne sie einer Antwort zu würdigen, erhöhte Itachi sein Tempo, sodass sie für den ersten Moment zurückfiel. In ihrer ursprünglichen Formation sprangen sie von den Bäumen, um im Unterholz weiterzulaufen. Dort konnten sie im Falle eines Hinterhaltes schneller agieren. Falls es einen Hinterhalt gab. Sakura bezweifelte es bis zu dem Zeitpunkt, an dem Itachi schlagartig stehen blieb.

»Kabuto«, zischte sie und sog scharf Luft ein. Der weißhaarige Bastard, dem sie vor neun Jahren blind vertraut hatte, wagte es tatsächlich, in aller Seelenruhe auf dem breiter gewordenen Weg zu stehen, wo er geduldig auf sie wartete.

»Uchiha Itachi«, entgegnete er, seine Brille geraderückend. In welchem falschen Paralleluniversum hatte sie erwartet, dass er sie neben Konohas berühmtesten ANBU bemerken würde? »Welch Überraschung.«

»Wohl kaum.« Itachi machte sich nicht die Mühe, seinen Stand zu festigen. »Warte noch, Sakura-san«, unterbrach er sie, ohne sie anzusehen, als sie im Inbegriff war, eine graue Rauchwolke zu beschwören, um das zweite Team zu verständigen.

»Aber du sagtest –« Sie brach ab. Stattdessen wandte sie sich wieder Kabuto zu. »Was willst du hier?«

»Ein wenig plaudern. Fragen, wie es euch so geht. Hast du die Chūninprüfung inzwischen geschafft, Sakura-chan? Wie man hört, machst du dich gut als Schülerin der ehrenwerten Hokage, der Spielerin und Säuferin Tsunade –«

Sakura machte unwillkürlich einen Schritt auf ihn zu, wurde jedoch von Itachis Arm aufgehalten. Sie bleckte wütend die Zähne. »Dass du es wagst, ihren Namen in deinen dreckigen Mund zu nehmen, du Made!«

»Na, na, wer will denn gleich Anstand und Etikette verlieren?« Kabuto schnalzte mehrmals hintereinander bedauernd mit der Zunge. »Ich fragte mich schon, wer so dreist sei, mich zu verfolgen. Orochimaru-sama warnte mich davor, allzu leichtfertig mit meinem Abstecher in Shimo no Kuni zu sein. Wie es scheint, hatte er recht. Andererseits komme ich nun in den Genuss, die legendären Fähigkeiten des legendären ANBU Captain Uchiha Itachi hautnah zu erleben. Wie … reizvoll.« Er schob sich erneut die Brille die Nase hoch, ehe er nach vorne preschte und einen gezielten Angriff auf Itachi abgab. Dieser sprang zur Seite, schleuderte im Sprung zwei Shuriken auf den Angreifer und setzte mit einem Katonjutsu nach, das Kabuto mit chakrageladenen Handflächen wegwischte.

»Chakraneutralisation. Sehr praktisch, um körperfremdes Chakra im eigenen System zu vaporisieren, kann aber auch durchweg gewinnbringender eingesetzt werden.«

Sakura hatte nie gedacht, ihre Augen könnten zu langsam für etwas sein. Die Schnelligkeit, mit der Itachi vor seinem Gegner auftauchte und ihm die Klinge seines Katanas – wann hatte er es aus der Scheide gezogen? – an die Kehle hielt, war selbst mit ihren scharfen Augen nicht im Detail zu betrachten. Auch nicht die geschmeidige Bewegung, in der Kabuto sich darunter hinweg duckte, seinen Bedroher umrundete und ihm den Griff seines Kunais in den Rücken rammte. Es entstand ein schneller Reigen, dem sie nur schwer folgen konnte, bis sie sich plötzlich in Kabutos Visier befand.

Ihr gellender Panikschrei, der panischer wirkte, als er war, hallte durch die stummen Wälder. Beinahe hätte er sie mit chakrainfundierten Fingerspitzen getroffen. Wo zum Teufel war Itachi? Sakura hatte keine Zeit, sich umzusehen. Ihr Ausweichmanöver hatte ihr bloß wenig Spielraum für Reaktionen gelassen, den sie sofort ausnutzte, indem sie einen Teil ihres Chakras in ihrer Faust bündelte und zuschlug, bevor Kabuto sich umdrehen konnte. Er krachte in den trockenen Erdboden, der aufbrach und seine Brocken hoch in die Lüfte schoss.

Puff.

»Ich krieg' die Krise von dieser Kawarimi!«, fluchte sie laut. Diese Basistechnik war die nervigste, die ihr jemals untergekommen war. Hinter ihr tauchte Kabuto höhnisch lachend auf; ein Fehler. Als sie das medizinische Chakra spürte, das er gesammelt hatte, tauchte sie unter seiner Attacke hindurch und sprang auf einen robusten Ast, der unter ihrem Schwung bedrohlich knarrte. Er barst nach verdächtigem Wippen, sodass sie im letzten Moment auf einen anderen ausweichen musste, der genau in der Linie ihres Angreifers lag – der Scheißkerl hatte ihr eine Falle gestellt!

Mit grünleuchtenden Händen sprang er auf sie zu und riss sie zu Boden. Für einen Moment erstickte der Aufprall auf dem harten Waldboden ihren Schrei. Sie wusste, was er vorhatte. Unter Iryōnin war es tabu, mit medizinischem Chakra die Tenketsu zu verstopfen. Es war absolut tödlich, wenn man nur ein paar der vielen wichtigen Punkte gezielt traf. Jeder zweitklassige Arzt kannte mindestens fünfzehn davon, Kabuto vermutlich über zweihundert.

Plötzlich wurde er von ihr gerissen. Sakura erhaschte einen kurzen Blick auf zwei sharinganrote Augen, in denen verdächtig viel Schwarzanteil lag. Itachi rammte ihm seine Faust ins Gesicht, was Kabuto nach rückwärts taumeln ließ, doch er fing sich schnell wieder und formte seine Fingerzeichen zu einer unbekannten Jutsu. Ohne ihm Handlungsfreiraum zu lassen, riss Itachi ihn von den Füßen, versuchte es zumindest, denn der Iryōnin wich aus, zückte vier Shuriken und warf sie. Dreien konnte sein Ziel ausweichen, das vierte traf ihn in die Brust.

Sakura keuchte erschrocken auf. Sie wusste, dass der ANBU-Panzer stark genug war, um ein paar läppischen Wurfsternen standzuhalten; nichtsdestoweniger sah es furchtbar aus, wie Itachi sich unbeeindruckt die spitze Waffe aus der Brust zog und sie achtlos auf seinen Gegner zurückschleuderte, den sie verfehlte. Nicht minder furchtbar sah es auch, als er einen Feuerball auf ihn spie, dessen sengende Hitze sogar sie im Abseits in Schweiß ausbrechen ließ. Sie hob ihren Arm schützend vors Gesicht; nun wusste sie, wieso die ANBU Armschienen trug.

Vom Rand des Geschehens aus Fluchte sie, als Itachi seinen Gegner nur um Haaresbreite verfehlte. Jeder ihrer Muskeln zuckte, ihr ganzer Körper ruckte unentwegt nach vorne, um eine Lücke zu finden, durch die sie in diesen Kampf einsteigen konnte. Es war unmöglich. Sie sah dem wilden Tanz zu, erkannte alle Bewegungen. Ungeduldige Frustration breitete sich in ihr aus. Irgendwie musste sie doch helfen können! Sie würde erneut den Befehl ignorieren und Hilfe holen. Ihre Finger formten das erste Fingerzeichen.

Itachi indes war durch den Feuerwirbel auf Kabuto zugeschossen und hatte ihn in einen brutalen Schlagabtausch verwickelt, dem Sakura wie schon zuvor nicht folgen konnte. Irgendwann, es fühlte sich an wie Stunden, mussten aber weniger als zwei Minuten gewesen sein, stoben sie mit solchem Schwung auseinander, dass sie in weitem Abstand voneinander entfernt auf der Erde nach hinten schlitterten. Das zweite Fingerzeichen war vollendet. Endlich erkannte sie auch Itachis Augen – zu spät.

Instinktiv spürte sie, was er vorhatte. Und wie fatal es sein würde, die Tsukuyomi auf Kabuto anzuwenden. Nicht minder instinktiv stürzte sie mit einem rauen, erstickten Schrei nach vorne zwischen die Fronten. Bis zuletzt hatte sie nicht geglaubt, sich rechtzeitig dazwischen werfen zu können. Bis zuletzt hatte sie damit gerechnet, Itachi in weniger als einem Sekundenbruchteil schreiend auf dem Boden vorzufinden, gegeißelt durch seinen eigenen Leichtsinn, den er ihr immer vorhielt. Bis zuletzt war sie dumm genug gewesen, nicht zu Ende zu denken.

Dann traf die Tsukuyomi sie und entführte sie in eine Welt aus Schwarz und Blut.
 

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Der Mond in dieser Welt war schwarz. Pechschwarz. Albtraumschwarz. Als Sakura die Augen öffnete, spürte sie ihren Körper wie durch Watte. Die Farben, das Blutrot des Himmels, wirkten aufgesetzt und falsch, dabei wusste sie auf eigenartige Weise, dass sie in einer Genjutsu gefangen war. Sie versuchte sie aufzulösen; vergebens. Es hätte sie schockiert, wäre die Tsukuyomi derart leicht zu umgehen. Die Welt um sie herum wirkte gestellt, konstruiert auf der Basis eigenbrötlerischer Ideen: zerschlagene Ruinen prangten wie Mahnmale aus dem schwarzen Boden, Kreuze wurden von Wind umschmeichelt, der sie erbeben ließ. Es war kein Zittern vor Kälte. Der Wind berührte sie.

Sakura schlang die Arme um sich und sah sich um, als suche sie einen Ausgang. Dass es diesen nicht gab, war vorherzusehen gewesen. Die Szenerie entfachte panische Angst in ihr, gepaart mit einer Paranoia, die sie in Wahrheit nicht hatte. Leise Stimmen säuselten ihren Namen, umspielten ihre Ohren, bis eine Hand ihre Wange streifte.

Ruckartig fuhr sie herum, bloß um nichts zu sehen. Das hügelige Feld, auf dem sie sich befand, war menschenleer. Bloß die körperlosen Stimmen verrieten ihr die Anwesenheit von etwas. Gänsehaut schlich sich über ihre Arme, Beine und in weiterer Folge ihren Rücken hinab, über den jemand zu streichen schien. Erneut zuckte sie zurück, im Augenwinkel eine dunkle Gestalt erblickend. Als sie sie erfassen wollte, verschwand die schemenhafte Silhouette.

Dein Fleisch … wisperten der Stimmenchor, aus dem eine männliche Stimme markant hervorstach. Itachis Stimme. Vermutlich.

Dein Blut dein Herz als Pfand … für dein Leben

Die Gänsehaut an ihren Gliedern verstärkte sich. Die Stimmen drangen ihr durch Mark und Bein und als jemand sie von hinten umarmte, begann sie panisch zu schreien. Sie befreite sich wild um sich schlagend aus der unsichtbaren Liebkosung, die kalt und unnatürlich gewesen war, als läge eine dunkle Aura um sie.

»Verschwinde!«, schrie sie aus voller Kehle. Mit kräftigen Schritten auf wackeligen Beinen rannte sie in eine zufällig gewählte Richtung. Nach einigen Metern taumelte sie, als sich plötzlich der Erdboden vor ihr zu einer unüberwindbaren Schlucht auftat. Sie strauchelte und fiel hin, den Abgrund beinahe hinab. Im letzten Moment konnte sie sich nach links abrollen, wo sie keuchend auf ihrem Rücken landete. Etwas schnürte ihr die Luft zu; etwas, nein, jemand, der seine Hände fest um ihren Hals gelegt hatte.

Vor Sakuras geweiteten Augen formte sich eine Gestalt, ein Mann, dessen scharlachrote Augen sie gierig anstarrten. Seine Finger drückten fester an ihre Kehle, sodass sie kaum mehr Luft bekam. Sie versuchte zu schreien, doch der erstickte Schrei kam einem lauen Luftzug gleich, der gegen einen Orkan ankämpfen musste. In ihren Schultern versetzte es ihr einen Stich, der sich ihre Wirbelsäule entlang spiralförmig nach unten zog, bis er über ihrem Steißbein nach vorne in ihren Bauchraum wanderte. Ihr wurde bereits schwarz vor Augen, doch das Blut, das an ihren Händen klebte, als sie den Schmerz berührte, konnte sie deutlich vor sich sehen.

Itachis Iriden begannen sich zu verdrehen, sein Gesicht verzog sich zu einer grässlichen Fratze, das eher einer Maske ähnelte als seinem schönen Antlitz. Plötzlich ließ er sie los, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und zog ein Schwert, das er über sie erhob.

»Bitte nicht …«, wisperte sie, die offene Wunde schützend zusammenhaltend. Dass sie sich in einer Genjutsu befand, war angesichts des durchweg realen Schmerzes längst vergessen. Sie krümmte sich unter dem Versuch, wegzukriechen, doch ihre Beine hingen an ihren Hüften wie leblose Accessoires. Das Flehen brachte nichts, also schrie sie aus vollem Hals.

Itachi – oder eher dieses itachiähnliche Ding – warf jäh sein Schwert weg. Seiner statt tauchten Speere um Sakura herum auf, die Spitze voran direkt auf sie gerichtet. Der Moment, als der erste ihr Fleisch durchbohrte, war der schrecklichste. Ein zweiter setzte nach, ein dritter und vierter, bis neun Speere im Kanon auf sie einstachen. Sie hielt die Augen fest zusammengepresst, versuchte mit den Armen die Waffen abzuwehren, doch sie fuhren durch ihre Paraden hindurch, als seien ihre Unterarme immaterielle Nichts. Auch der Körper der itachiähnlichen Gestalt wurde ignoriert, als diese sich vor sie kniete und ihre Hände auf ihre Schultern legte, die blutüberströmt unter den letzten Fetzen ihrer Kleidung hingen. Ihr fortwährendes Geschrei war in ihren Ohren längst verstummt, obwohl ihre Kehle bewies, dass sie es aufrechterhielt.

Wir wollen dein Blut, raunte es, ehe es sich auf sie stürzte. Sakura wurde zu Boden gepresst, die Speere hieben weiter auf sie ein. Sie schrie und schlug um sich und schrie und versuchte sich irgendwie aus der Attacke zu befreien, unter der es sie begrub.

»Hör auf!«, kreischte sie. »Hör auf! Hör endlich auf!«

»Sakura-san!«

Die Hände, die sich um sie schlingen wollten, fühlten sich grausam real an, ebenso die Stimme, die sie anschrie.

»Hör auf!« Sie schlug weiterhin um sich, die Augen fest zusammengepresst, um das Blut nicht sehen zu müssen. Plötzlich dockte ihre Faust an etwas, das sich anfühlte wie Fleisch. Es wurde nach hinten geschleudert, prallte gegen einen Baum, dessen Rinde in tausend Einzelteile barst. Sakura raffte sich schreiend auf, die Hände über den Kopf geschlagen. Ihr rauer Schrei hielt immer noch an. Sie bekam nicht einmal mit, wie jemand auf sie zustürmte, sie niederriss und etwas brüllte. Erst als er es schaffte, sie mit seinen Armen zu fesseln, war sie gezwungen, ihre Fäuste sinken zu lassen, denn er drückte sie so fest an seine Brust, dass er ihr keinen Spielraum für eine einzige Bewegung ließ. Ihr Schrei erstickte an dem Stoff seiner Kleidung, der schal und faserig schmeckte.

Sie wagte nicht, ihre Augen zu öffnen. Zu groß war die Angst, eine fremde Realität zu sehen. Selbst die starken Arme, die sie immer noch gefangen hielten, um weiteren Schaden zu vermeiden, vermochten ihr kein Gefühl der Sicherheit zu geben; im Gegenteil: ihr Körper bebte weiter in seinem Gefängnis, das ihr jede Chance zur Verteidigung raubte. Sie zitterte und wimmerte wie ein verletztes Reh, das von einem tollwütigen Wolf niedergerungen worden war.

»Es ist vorbei.«

Die Stimme, klar und deutlich, holte sie endlich aus ihrer blinden Panik. Sie war bestimmt, unnachgiebig und sachlich. Itachis Stimme. Er hielt sie fest wie ein Kleinkind, das einen Wutanfall bekommen hatte. Widerwillig versuchte sie sich zu befreien.

»Hast du dich beruhigt?«, fragte er. Erst nachdem Sakura nickte, entließ er sie und stand auf, um die Umgebung zu sondieren. Kabuto war weg.

»Wie lange war ich in der Genjutsu gefangen?« Sie schämte sich für ihre fahrige, zittrige Stimme, konnte sie jedoch nicht festigen. Prüfend tastete sie ihren Bauch ab. Er war unberührt.

»Fünf Sekunden, vielleicht sechs. Ich deaktivierte sie sofort als ich merkte, dass sie dich getroffen hatte. Es wird bald dunkel werden. Ich würde mich ungerne mit einer eingeschüchterten Kunoichi durch einen finsteren Wald bewegen. Wir werden ein Lager hier in der Nähe aufschlagen und morgen zum Sammelpunkt weiterreisen.«

Sakura nickte benommen. Ihr Herz raste von den Nachwehen der Tsukuyomi, was es schwierig machte, klare Gedanken zu fassen. Deshalb reagierte sie auch nicht, als Itachi sich vor sie stellte und ihr eine Träne aus dem Gesicht wischte. Sie konnte ihn nicht ansehen, zuckte unter der Berührung leicht zusammen. Seine verzerrte Grimasse schwebte noch immer vor ihren Augen.

Wenigstens wusste sie nun, warum die Uchihas derart gefürchtet waren. Das Sharingan war eine nicht zu unterschätzende Waffe, die mit der Angst der Menschen spielte. Sie wusste, dass das Wispern im Inneren der Illusion willkürlicher Blödsinn gewesen war, der sie hatte verunsichern wollen. Dennoch hallten sie in der Stille des Waldes in ihren Ohren wider. Ihr Fleisch, ihr Blut, ihr Herz als Pfand für ihr Leben. Es machte Sinn, dennoch wusste sie nichts damit anzufangen.

Neue Gänsehaut überkam sie. Es war eine Illusion gewesen. Eine sehr überzeugende, aber dennoch nur eine Illusion. Sie durfte nicht anfangen, sie allzu ernst zu nehmen.
 

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Wie schwierig es war, diesem Vorsatz zu folgen, stellte sich in der Nacht heraus, die schlagartig über sie hereinbrach. In ihrem Traum wanderte Sakura über einen verzerrten Friedhof, der in unwirklichen Komplementärfarben erschien. Die Stimmen sangen ein Gedicht, das sie aus ihrer Kindheit kannte. Irgendwann blieb sie stehen, als ein Funkeln in einer zerschlagenen Vitrine ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie ging an einer hohen Pendeluhr vorbei, um die tausende bunte Glasscherben lagen, von denen sie eine aufhob. Sie betrachtete sie im Licht, das von nirgends zu kommen schien. Als sie sich daran schnitt, schlug die Uhr zwölf. Schwarzes Blut quoll aus dem Ziffernblatt, das sich zu einem Strudel verdrehte, dahinter schwoll leises Kichern zu ohrenbetäubendem Gelächter an. Sakura sah an sich herab, ihre Beine waren an den Boden gekettet worden, ihr Herz schlug und als sie an ihren Hals fasste, klaffte ein blutiges Loch, wo ihre Luftröhre sein sollte. Vor ihr stand Itachi, die dunklen Augen funkelten im schwachen Mondlicht – sie waren das gewesen, was Sakura zuvor in der Vitrine entdeckt hatte. In den Klauen hielt er etwas Langes, Fleischiges.

Sakura strampelte und schrie durch ihren rauen Hals. Schweißgebadet fuhr sie auf, eine Hand an ihr rasendes Herz gepresst. Ihr Stand war unsicher im Dunkel der Nacht, das in seiner Schwärze bedrohlich auf sie wirkte. Verdammt, sie war eine Kunoichi, kein Hasenfuß! Ihre bebenden Finger strafte diese Wahrheit Lüge. Das einzige, das ihr Schutz zu bieten vermochte, war paradoxerweise derjenige, dem sie diese Albträume zu verdanken hatte. Er saß auf der anderen Seite des Lagerfeuers und starrte in die tanzenden Flammen.

»Du wurdest verletzt«, bemerkte sie, bloß um irgendetwas zu sagen. Da sie ohnehin schon stand, umging sie die Feuerstelle und setzte sich neben Itachi. Die Wunde war tief, aber keineswegs lebensbedrohlich. Kabuto musste ihn erwischt haben, als er sie hatte einfangen wollen. Er war ihretwegen verletzt worden. Wann sie wohl begonnen hatte zu schreien?

»Schone deine Kräfte.« Ohne sie anzusehen, drückte er ihre Handfläche weg, um die bereits heilendes Chakra floss. »Das Chakra meiner Tsukuyomi hängt noch in deinem System fest. Bis es verschwunden ist, solltest du lieber kein Chakra konzentrieren.«

»Was würde dann passieren?«

Nun sah er sie an und zuckte die Schultern. »Im besten Fall nichts. Im schlimmsten Fall verstärkt es möglicherweise die Albträume oder führt zu Panikattacken. Ich musste die Nachwirkungen dieser speziellen Genjutsu noch nie mit ansehen. Normalerweise leben ihre Opfer nicht mehr, weil sie während ihrer Starre der ein oder andere Kunai durchbohrt.«

»Welch glorreiche Aussichten.« Sie fröstelte ob seiner endgültigen Worte. Dass er sich entschuldigte, hatte sie nicht erwartet, immerhin war sie selbst an diesem Dilemma schuld. Theoretisch hätte sie sich nicht in die Schusslinie werfen müssen. Theoretisch. Aufgrund ihrer Handlung standen eine Menge ungeklärter Fragen zwischen ihnen.

»Ich hätte deine Impulsivität nicht für so stark ausgeprägt gehalten, dass du dumme Fehler begehst. Spontane Handlungen konnte ich zumindest ansatzweise verstehen, aber derartige Aktionen sind nicht nur unüberlegt, sondern auch dämlich und im schlimmsten Fall hätte Kabuto dich getötet, wenn ich nicht schnell genug gewesen wäre, dich vor seiner Attacke zu schützen.«

Sakura musste sich regelrecht dazu zwingen, ihn anzusehen, so intensiv ruhte sein fragender Blick auf ihr. Er würde ihre Beweggründe nicht direkt erfragen, dazu war er viel zu stur. Zumindest schätze sie ihn so ein. Sie seufzte ein neues Schaudern weg. Hoffentlich hielt sich dieser Zustand nicht über die nächsten Tage.

»Du kannst dich bei mir bedanken«, meinte sie schlicht. Es hätte gelassener gewirkt, wäre sie nicht unwillkürlich ein Stück an ihn herangerückt, um die trostspendende Wärme des Feuers zu suchen. Das jedenfalls redete sie sich ein.

»Inwiefern?«, wollte Itachi wissen. Er machte glücklicherweise keine Anstalten, abzurücken.

»Unter dem Deckmantel seiner letzten angewandten Techniken hatte Kabuto zwei passive Jutsus aktiviert. Die eine ist ziemlich simpel, aber für jemanden ohne fortgeschrittene medizinische Ausbildung unmöglich zu erkennen. Ich bemerkte es, als ich nach einem Leck in eurem Kampf suchte. Diese simple Jutsu ist eigentlich mehr ein Handgriff, der es seinem Anwender erlaubt, körperfremdes Chakra zu polarisieren und zu reflektieren.«

»Ich wäre in meiner eigenen Tsukuyomi gefangen worden?«

Sakura lachte hohl. Von einem genialen Gehirn hätte sie weniger profane Schlussfolgerungen erwartet. »So einfach funktioniert es nicht. Es ist kein Reflektionsschild per se, sondern funktioniert eher als Chakrakatalysator. Kabuto wäre in der Lage gewesen, das Chakra deiner Technik zu bündeln, durch eine Art Phantomkeirakukei mit seinem eigenen zu versetzen und es in umgekehrte Richtung zurückzuschicken. Jeder Iryōnin kann es, allerdings würde nicht einmal Tsunade-sama wagen, derart mächtige Attacken dafür zu benutzen. Man kann sich schnell übernehmen und sich selbst dabei schädigen.«

»Ich verstehe. Und die zweite Jutsu?«

»Ich bin nicht sicher, wie genau sie funktioniert, aber sie basiert in jedem Fall auf einer Art Lebensverbindungstechnik.«

»Eine was?«, hakte Itachi nach. Sein Interesse schmeichelte ihr, auch wenn sie wusste, dass es nicht ihrer Person, sondern ihrem Wissen galt.

»Es ist etwas, das kaum jemand durchführen kann. Tsunade-sama kann es vermutlich, vielleicht auch Shizune-san in einer abgeschwächten Ausprägung. Es ist auch etwas, das niemand durchführen will. Früher wurde es oft für Geiselnahmen verwendet. Versierte Iryōnin können ein Band zwischen sich und einer beliebigen Person knüpfen, das ihre Leben direkt aneinander bindet. Sobald der Chakrafluss in einem Körper versiegt, versiegt auch der im anderen Körper.«

Itachi nickte beeindruckt. »Das klingt mir wie eine sehr effektive Technik. Wieso ist sie nicht verbreitet?«

»Weil –« Sakura strich sich eine Strähne ihres wirren Haares zurück, die ihr vor die auf ihn gerichteten Augen gefallen waren. »– sie ziemlich viele Nachteile birgt. Zum einen muss man der Person sehr nahe kommen. Man braucht ihr Blut und einen schwachen, gebrochenen oder aber willigen Geist, um die geistigen Blockaden umgehen zu können. Solche Techniken funktionieren nur bei Leuten, die Kontrolle über ihr Chakra haben. Shinobi also. Gerade diese Menschen haben jedoch selten schwache mentale Barrieren. Wir werden darauf trainiert, uns zu kontrollieren. Ninjas zu entführen ist ein durchweg unvorteilhaftes Unterfangen. Sie sind stark, wehren sich und wenn man nicht gerade jemand äußerst Wichtiges erwischt, der oft stark ist und somit für die Technik nicht infrage käme, kann man kaum Lösegeld erpressen.«

»Auf wen können diese Verbindungen sonst angewendet werden?«

Sie hob zwei ihrer Finger. »Shinobi müssen zwar stundenlang oder sogar über Tage gefoltert werden, aber es ist möglich. Dann sind da noch jene, die zwar Kontrolle über ihr Chakra haben, aber noch nicht gefestigt sind.«

»Kinder.«

»Korrekt.« Sakura blickte prüfend auf ihre Fingerspitzen. Sie hatte sich schon öfters gefragt, ob sie dazu imstande wäre, eine Jutsu anzuwenden, die auf Lebensverbindungen basierte. Es gab einige interessante Behandlungsmethoden, die auf diesem Ansatz fußten, aber inzwischen waren sie unter seriösen Ärzten verpönt. Es schickte sich nicht, sich von einem Patienten abhängig zu machen. Heutzutage gab es gewinnbringendere Methoden.

Itachi riss sie mit seiner Frage aus ihren Gedanken. »Kabuto hatte eine solche Jutsu aktiviert?«

»Ja. Hättest du ihn getötet, wäre das andere Ende des Bandes ebenfalls gestorben.«

Er zuckte die Schultern. »Kollateralschäden lassen sich manchmal nicht vermeiden. Du hast die Mission sabotiert, um den Feind zu retten.«

»Tsk«, machte sie nachdenklich. In gewissen Punkten hatte er recht. Andererseits … »Solange wir nicht wissen, an wen Kabutos Leben gekoppelt ist, sollten wir ihn nicht töten. Mit etwas Glück hängt Orochimaru daran. Aber was, wenn nicht? Mit großem Pech hat er sie zwischen Sasuke-kun und sich gesponnen. Man bekommt nicht mit, wenn jemand eine dieser Jutsus ausführt. Sie kann über Jahre unentdeckt bleiben, bis man plötzlich stirbt. Kabuto hatte im Wald des Schreckens ausreichend Möglichkeit, Sasuke-kun oder Naruto oder auch mir die Jutsu aufzudrücken. Wir alle waren damals sehr verängstigt, als Orochimaru auftauchte und er kam uns als vermeintlicher Verbündeter nahe genug, um sie auszuführen. Ich werde die Schuld für das Leben, das daran gebunden ist, nicht auf mich nehmen. Selbst wenn es eine willkürliche Person ist, weil er etwas ausprobieren wollte, wäre es nicht fair. Ich finde es schrecklich, unschuldige Menschen in diese Angelegenheit hineinzuziehen.«

»Das liegt in der Natur der Sache«, sagte Itachi, ohne weiter auf die Möglichkeit, seinen Bruder bedroht zu wissen, einzugehen. Die Chancen standen gering, aber Sakura hatte irgendein Argument gebraucht. Solange die kleinste Chance bestand, war es gerechtfertigt.

»Ja, aber –«

»Sakura-san.« Sein Tonfall war eine sanfte Warnung. »Wenn du derartige Gefühle nicht in den Griff bekommst, würde ich mir an deiner Stelle überlegen, ob eine Vollzeitanstellung im Krankenhaus nicht passender wäre.«

Unwirsch winkte sie ab, diesen ridikülen Vorschlag beiseiteschiebend. Niemals würde sie den Außendienst aufgeben! Er wusste es, was ihren Themenwechsel weit weniger eckig machte, als sie sich erhofft hatte. »Seit wann ist dein Mangekyō Sharingan nicht mehr hundertprozentig präzise?«

Überrascht hob er eine Augenbraue.

»Sieh mich nicht so an! Denkst du ich wüsste nicht, dass du mich niemals unbeabsichtigt getroffen hättest, wenn die Präzision maximal gewesen wäre? Es ist beeindruckend, dass du es immer noch derart gut kontrollieren kannst bei dem Grad der Trübung, die ich ausmachen konnte, ehe du mich abgeschossen hast. Einmal auf jemanden gerichtet, verfehlt die Tsukuyomi eigentlich nie ihr Ziel. Es macht mir ein wenig Sorgen. Ich habe viel mit Shairngan und Byakugan zu tun, aber diese Krankheit ist mir noch nie untergekommen.«

»Es ist keine Krankheit.«

Sie wehrte ab. »Per Definition ist alles, das nicht der Norm entspricht, eine Krankheit. So wie deine zwanghafte Selbstdarstellung, die im Gegensatz zu Sasuke-kuns nervigem Narzissmus notorische Perfektion vorspielt. Was ich damit sagen möchte, ist, dass du es auf jeden Fall beobachten musst. Ich würde gerne nachforschen, ob sich etwas dagegen tun lässt.«

Ehe sie erklären konnte, dass es keine Gefälligkeit war, sondern ihre reine Neugierde, machte ihr Herz plötzlich einen so starken Sprung, dass es ihr schmerzhaft gegen den Brustkorb drückte. Die Einbildung der Stimmen huschte durch ihren Kopf, Gänsehaut ließ sie die Arme um sich schlingen und den Kopf zwischen ihre Knie bergen. Das Zittern und entnervte Wimmern war peinlich, doch sie konnte es nicht stoppen.

Ehe sie sich versah, war es wieder vorbei. Itachi war aufgestanden, um auf Abstand zu gehen; Abstand zum einzig menschlichen Wesen in ihrer Reichweite war das letzte, das sie nun ertragen konnte. Sie erhob sich mit wackligen Knien und stellte sich direkt vor ihn. Viel zu dicht, um ihnen beiden genügend persönlichen Freiraum zu bieten.

»Bilde dir nichts darauf ein, Itachi-san«, brummte sie betont unbeeindruckt. »Das ist nur eine physiologische Reaktion.«

»Ich bin überrascht, dass du es derart locker wegsteckst«, gab er offen zu. »Normalerweise hat man Angst vor mir.«

»Normalerweise wendest du die Tsukuyomi ja auch auf Gegner an, die du töten willst. Außerdem habe ich sehr viel Übung mit dem Sharingan. An wem denkst du, hat Sasuke-kun seine Genjutsus ausprobiert? Dieser blöde Mistkerl spielte bei Trainingskämpfen schon immer unfair. Seine Illusionen sind zwar kein Vergleich zu deinen, aber bloß deswegen werde ich dich nicht geringer schätzen. Und Angst habe ich vor dir schon gar nicht.«

Itachi öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, ließ es nach kurzer Überlegung jedoch bleiben. Stattdessen legte er eine tröstende Hand auf ihre Schulter, wo sie unendlich lange Augenblicke verweilte, ehe er sie wieder entfernte und an ihr vorbei in den Wald ging, um die provisorischen Fallen, die sie vor Angreifern schützen sollten, sicherheitshalber noch einmal zu überprüfen.
 

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Die Fallen waren für seine Verhältnisse stümperhaft. Einige Genjutsus hingen über dem Laub, verbunden mit Schnüren, deren Bewegung sie auslöste. Hie und dort waren Kunai und Kibakufuda in Baumkronen versteckt. Er hatte getan, was in den wenigen Minuten, die er seine zitternde Kameradin hatte alleine lassen können, in seiner Macht gestanden hatte. Sie zwei Stunden später zu überprüfen, war unnötig, hätte es ihm nicht die Flucht aus dieser Konversation ermöglicht.

Itachi kannte sich eloquent und entschieden, wenn es um Missionen ging. Doch Sakura war in persönliche Themen abgedriftet, bei denen er sich unwohl fühlte. Es war ein eigenartiges Gefühl, ihr Chakra zu fühlen. Es war mit seinem verwoben; sich selbst in einem fremden Körper zu erspüren, war berauschend. Diese Verwobenheit von zwei Chakren, die in ihrem Körper pulsierte, war völlig anders als jene, die er Wochen zuvor bei Jiraiya ausgemacht hatte. Langsam wusste er nicht mehr, was er von ihr halten sollten.

Nein.

Er wusste zu gut, was er von ihr halten sollte. Haruno Sakura war eine überdurchschnittlich gute Kunoichi, eine herausragende Iryōnin, die Schülerin der Hokage und Sasukes Teamkameradin. Mehr oder weniger. Sie hatte den Mut, ihm zumindest ansatzweise Kontra zu geben, allerdings auf eine ganz andere Art als Sasuke, der ihn ständig grundlos zu einem physischen Kräftemessen herausforderte, Hana, die nicht minder grundlos versuchte, ihn durch rhetorische Spitzen aus der Reserve zu locken, oder Yūgao, die ihren Widerstand gegen ihn durch ihr höheres Alter und ihren damit einhergehenden breiteren Erfahrungsschatz behauptete. Sakura agierte auf einer sehr viel subtileren Ebene gegen ihn, ohne respektlos zu sein. Oh ja, sie wusste genau, dass er besser war als sie. Und doch begann sie langsam, sich aufzurichten.

Itachi schmunzelte, als er einen Faden adjustierte. Sicherheitshalber spannte er zwei weitere über die Fläche nahe des Rastplatzes. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Kabuto war zwar geflohen, konnte jedoch immer noch zurückkommen. Er konnte Sakura nicht beschützen und gegen Kabuto kämpfen. Sein Schmunzeln wurde zynisch. Langsam verstand er, wieso Sasuke immer lautstark über dieses Mädchen geflucht hatte. Wenn man sie einmal im Kopf hatte, bekam man sie nicht so schnell wieder heraus.

Sich seinen Weg durch das Gestrüpp schlagend, in dessen Schutz sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, wischte Itachi sein Gesicht blank. Es war unnötig, denn als er wiederkam, schlief Sakura bereits. Wie unvorsichtig dieses Mädchen – diese Kunoichi – nein, diese Frau doch war. Einzuschlafen, wenn niemand da war, der sie verteidigen konnte. Oder war sie nur unvorsichtig, weil sie darauf vertraute, dass er sie beschützen würde; weil sie ihm vertraute? Neugierig trat er an ihre schlafende Gestalt, deren Brustkorb sich unter der ruhigen Atmung rhythmisch hob und senkte. Haruno Sakura war fürwahr keine Schönheit. Im Vergleich zu Frauen wie Yūhi Kurenai, Yamanaka Ino oder den Frauen des Uchihaklans, war ihre Haut nicht eben genug, ihre Wimpern zu kurz, ihre Brüste zu klein, ihre Taille zu breit und ihre Muskeln zu definiert.

Und doch konnte er ihr ein bestimmtes Maß an Attraktivität nicht absprechen, dass sich in seinem Fall auf ihrer Fähigkeit, Felswände mit bloßen Fäusten zu sprengen, gründete. Sie war nicht schön, aber … sie hatte sich gegen seine Familie ausgesprochen, versuchte sein Ego zu parieren, versuchte mit aller Kraft, gegen ihn anzukommen. Dieses Wettrennen, das sie mit sich selbst ausfocht, ging nicht gegen ihn. Sie bemühte sich nicht wie alle anderen, ihn zu überholen – ein Ding der Unmöglichkeit, wenn er ehrlich war. Viel eher wollte sie Schritthalten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Was viel interessanter war: vor ihm gab sie sich angriffslustig. Hinter seinem Rücken sang sie Loblieder auf ihn. Dieser Charakterzug, den er bei allen Kami nicht einordnen konnte, verwirrte ihn.

Wie schaffte sie es, ihn aus seiner geregelten Bahn zu werfen, in der er seit Jahren ungestört roulierte? Sie war nicht schön, aber … reizvoll. Und sie vertraute ihm. Vertrauen war etwas, das er nicht oft geschenkt bekam. Es machte ihn stolz, in ihrer Meinung derart weit oben zu stehen, selbst nach diesem Malheur, in das sie sich gebracht hatte. Insgeheim fragte er sich, ob es ihn störte, dass sie nach dem Erlebnis in der Tsukuyomi keine Angst vor ihm hatte. Störte es ihn, dass sie ihn nicht fürchtete? Dass sie so leichtsinnig war, ihm zu vertrauen?

Genervtes Raunen folgte seinem Kopf, den er ruckartig hängen ließ. Nun, wo ihn keiner sah, konnte er seine stramme Haltung für einen Moment aufgeben, das kontrollierte Gesicht grimmig verziehen und die Nase rümpfen, während er Sakuras Brustkorb beobachtete.

Die repetitive Bewegung hatte etwas Beruhigendes, das seine Augen schwer werden ließ. Er schob die Müdigkeit zur Seite und wandte den Blick in die Umgebung ab. Nun stellte sich die Frage, wie weit er Sakura treiben konnte, ohne sie zu verletzen. Er wusste um seine Wirkung auf Frauen, sie würde keine Ausnahme bilden. Letztendlich war sie eine Kunoichi, deren Fähigkeiten, Vertrauen und Bewunderung er wertschätzte. Mehr als diese wohlwollende Anerkennung konnte er ihr nicht geben.

»Tsk«, machte er abwehrend. Seit wann machte er sich Gedanken um etwas, das nicht seine Mission oder den Klan betraf?

Lächerlich.

Einfach lächerlich.

 

 
 

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Confessions

 
 

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Shizune und Hana waren alles andere als erfreut, als ihre beiden Teamkameraden am nächsten Morgen ungeduldig am Sammelpunkt standen. Sakura war noch vor Sonnenaufgang von einem Albtraum aus dem Schlaf gerissen worden, weshalb sie früher als geplant aufgebrochen waren. Die beiden anderen Iryōnin merkten ihr verändertes Äußeres sofort, sprachen sie vor Itachi jedoch nicht darauf an. Erst als er auf der Heimreise weit genug vorangelaufen war, um die Route zu sichern, holte Shizuen unerlaubterweise zu ihr auf. Auch sie war zusammen mit Hana auf Kabuto getroffen und hatte Blessuren davongetragen, die sie noch nicht behandelt hatte, um Kraft zu sparen.

»Ist alles in Ordnung? Du siehst blass aus. Hat er dir etwas getan?«

»Kabuto ist vielleicht ein Scheißkerl, aber wenn er mir etwas angetan hätte, bräuchten wir die Mission nicht als Misserfolg verbuchen«, gab sie matt zurück. Sie hatte das Gefühl, dass Itachi jeden ohne zu zögern töten würde, sollte dieser jemand sich erdreisten, Hand an seine Teamkollegen zu legen. 

Shizune senkte ihre Stimme auf ein Minimum. »Ich meinte Itachi-san.«

Diese Korrektur verwirrte sie. Wieso sollte Itachi ihr etwas antun? Ja, er hatte ihr etwas angetan, aber nicht absichtlich. Sie zögerte. »Nein?«, antwortete sie langsam. Die Halbwahrheit musste genügen. »Wie kommst du darauf?«

Ihre Iryōnin-Kollegin zuckte die Schultern. »Nur so ein Gefühl. Itachi-san hat den Ruf, Konoha gegenüber äußerst loyal zu sein. Ich denke nicht, dass er zögern würde, jemanden aus seinem Team zu opfern, wenn dadurch das Gelingen einer Mission abhinge. Zu viel Verbissenheit ist nicht gut für unsereins. Wir verlieren an Menschlichkeit, wenn wir zu viel Tod sehen.«

Sakura biss sich auf die Lippen. Irgendwo in einem Winkel ihres Herzens taten ihr diese Worte leid. Sie unterdrückte den Impuls, Itachi zu verteidigen, was ihr nur gelang, weil sie ahnte, dass er es trotz seiner Entfernung gehört hatte. Zu viel für ihn einzustehen würde verraten, was sie empfand – Respekt, Wertschätzung, auf keinen Fall etwas anderes außer das! – und es war schon schwer genug, sich selbst damit zu belügen. Wenn sich jemand selbst verteidigen konnte, dann Itachi.

»Sakura?«

»Es ist nichts«, wehrte sie eine Spur zu strikt ab. Sie mochte Shizunes mütterliche Art, manchmal jedoch war sie anstrengend. »Ich bin bloß müde, weil ich nicht schlafen konnte. Sobald ich eine heiße Dusche genommen und gegessen habe, sehe ich wieder wie neu aus. Mach dir bitte keine Sorgen, sonst bekomme ich ein schlechtes Gewissen.«

»Wie du willst. Aber wenn du zusammenbrichst, sag' nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!«

Darauf wusste sie nichts mehr zu sagen.

Sie reisten schweigend weiter gen Süden, angetrieben durch jedermanns Motivation, bald wieder nach Hause zu kommen. Hana maß sich einige Male an, einen schnelleren Weg zu kennen, wurde zu ihrem Leidwesen jedoch selten wahrgenommen und noch seltener nicht ignoriert. Sakura hätte ihr längst den Mund verboten, wenn sie Itachis Autorität besessen hätte. Dieser wiederum legte eine beneidenswerte Ruhe an den Tag. Ihm schien egal zu sein, wie wichtig sie sich und ihn nicht nahm; sein Weg war beschlossen, daran konnte keine Inuzuka der Welt etwas ändern. Dass Sakura sich nach ihren neuesten Erkenntnissen eine Entschuldigung wünschte, verbarg sie hinter einem geklärten Gesichtsausdruck, den sie immer dann aufsetzte, wenn sein Blick sie während den kurzen Pausen streifte. Sie war zwar bloß Chūnin, das bedeutete aber nicht, dass sie dumm war. Itachi mochte ein Genie sein, wenn es um seine Tätigkeit bei der ANBU ging. Was die soziale Welt betraf, befand er sich in etwa auf derselben Stufe wie Sai. Nicht ganz so schlimm, aber dass er sie angestarrt hatte, als er gedacht hatte, sie schlafe, konnte einem gar nicht verborgen bleiben. Diese Tatsache entfachte gemischte Gefühle in ihr, die sie nicht ganz einordnen konnte. Sie bewunderte ihn, was sich aufgrund seines attraktiven Äußeren leicht mit tieferen Empfindungen einer ganz anderen Ebene verwechseln ließ. Dies unter dem Aspekt seiner Unerreichbarkeit gesehen, ikonisierte ihn in ihrer Vorstellung. Ob sie glücklich darüber war, für ihn etwas darzustellen, musste sie noch genauer eruieren. Ebenso stellte sich die Frage, wieso er sich so verhielt. Interpretierte sie zu viel in seine Handlungen? Sah sie Gespenster? Oder hatte er einfach noch nie etwas derart Schwaches gesehen? Sakura wusste, dass sie nicht schwach war; im Gegenteil. Leider allerdings hatte sie vor Itachi noch keine einzige halbwegs passable Leistung vollbracht.

Wie war es nochmal dazu gekommen, dass sie über ihn nachdachte?

Sakura versuchte sich ungesehen von ihren Begleitern die Haare zu raufen. Diese Uchihas nervten! Maßlos! Da versuchte sie sich etwas vorzumachen und dann war sie sogar ehrlich genug, um es fast zuzugeben und trotzdem kam sie auf keinen grünen Zweig. Wie unergründlich konnte ein einzelner Mensch sein? Darum führten Shinobi keine Beziehungen. Es war viel zu anstrengend. Diese Regeln, diese Erwartungen, diese Verpflichtungen, dieser ganze andere Müll, bloß für ein paar Stunden Familienleben und Sex. Wunderbar. Nun dachte sie schon an Uchiha Itachi und Sex im selben Atemzug.

Das konnte einfach nicht gutgehen …
 

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Da Shizune ohnehin mit Tsunade über allen möglichen Kram reden musste, den die ehrenwerte Hokage in ihrer Abwesenheit geflissentlich ignoriert hatte, weil niemand hinter ihr war, der ihr in den Hintern treten konnte, übernahm sie die Aufgabe des verbalen Erstberichtes. Das formelle Dokument war die Aufgabe des Captains, der sein Team noch ganze acht Minuten und siebenundzwanzig Sekunden am Tor warten ließ, bis er die Einreiseliste korrekt ausgefüllt hatte – nicht, dass Sakura mitgezählt hätte. Izumo und Kotetsu waren wie immer das beispiellose Mustergleichnis – welch herzzerreißend gemeine Ironie – an mangelnder Organisation. Itachis Unterschrift dauerte exakt zehn Sekunden; bis die chaotischen Chūnin die Liste aus ihrem Chaos endlich gefunden hatten, waren sieben Minuten und zwölf Sekunden verstrichen. Die eine Minute und fünf Sekunden waren für Begrüßungsfloskeln verschwendet worden, während denen Sakura längst nach Hause hätte laufen können. Sie war müde, erschlagen, motivationslos und hungrig. Indem Itachi sich direkt neben sie stellte, fühlte sie sich nun auch noch unwohl. Nicht, dass seine Nähe – oder zumindest das Nicht-entfernt-Sein – zu ihrem Unwohlsein beigetragen hätte, aber es war schwierig, cool zu bleiben –  

Moment, ab wann war es das eigentlich geworden? Vor zwei Monaten hätte sie ihn auf der Straße nicht einmal gegrüßt! Inzwischen kannte sie die Facetten seiner Stimme und den Schwung seiner Muskeln und –

»Argh, Schluss damit!« Völlig perplex von ihrer eigenen Reaktion räusperte sie sich  und zog ihre Hand aus ihrem Haar, das sie sich gerauft hatte. Heute schon zum zweiten Mal wegen eines gewissen ANBU Captain. Glücklicherweise waren Izumo und Kotetsu mit der Wiederherstellung ihrer Unordnung beschäftigt, während Hana und Shizune sich bereits verabschiedet hatten. Leider war Itachi noch da. Sie war also nicht länger nur unüberlegt, fehlgeleitet und schwach, sondern auch peinlich und bescheuert. Genau so hatte sie sich das vorgestellt.

»Was hast du gesagt?«, fragte sie unschuldig, als sei nichts gewesen. Angriff war immer noch die beste Verteidigung gegen irritierte schwarze Augen.

»Ich fragte, ob es dir etwas ausmacht, wenn ich dich nach Hause begleite.«

Teufel, ja! »Nein. Ich wohne in dieser Richtung.« Sie deutete die breite Hauptstraße entlang, die weiter hinten in eine Gabelung überging. Zusammen schlugen sie den linken Weg ein, den sie in einvernehmenden Schweigen zurücklegten, bis Sakura etwa ab der Hälfte der Strecke das dringende Bedürfnis verspürte, sich zu rechtfertigen.

»Ich wohne wahrscheinlich nicht mehr lange bei meinen Eltern. Meine Mutter macht mich wahnsinnig, seit sie selbst nicht mehr als Kunoichi arbeitet. In ein paar Wochen ziehe ich vorübergehend in eine der Mitarbeiterwohnungen für Krankenhausangestellte. Mit einundzwanzig sollte man wirklich nicht mehr bei seinen Eltern leben –«

Itachi sah sie an, eine Augenbraue in seinem schönen Gesicht emporgezogen.

Sakura brauchte einen Moment, um zu verstehen, in welches Fettnäpfchen getreten war. »I-Ich meine, innerhalb eines Klans ist das natürlich etwas anderes …« Ihre Stimme klang voll verlorener Hoffnung aus. Fahle Versuche von Ausreden hätten alles nur noch schlimmer gemacht.  Sie hatten ihre Haustür sowieso schon erreicht. »Wenn es dir nichts ausmacht, gehe ich nun rein und vergrabe mich unter unserem Gemüsebeet«, seufzte sie und visierte die erste Stufe an. Itachi hatte immer noch kein Wort gesagt. Just in dem Moment, als ihre Hand die Türschnalle ergriff, erhob er seine Stimme.

»War dein Angebot, dir mein Mangekyō Sharingan anzusehen, ernstgemeint, Sakura-san?«

»Wie?« Sakura blinzelte ungläubig. Darauf hatte er also hinausgewollt? »Ähm, ja. Ich schätze, es hängt mit dieser Trübung zusammen, die auftritt, sobald du es beanspruchst. Mein ärztlicher Rat lautet, es in nächster Zeit lieber nicht einzusetzen. Das normale Sharingan macht keine Probleme?«

Er schüttelte den Kopf, wobei sein sauber gebundener Pferdeschwanz von seiner Brust nach hinten fiel. »Nein. Etwas derartiges kam meines Wissens nach in der Familie auch noch nie vor. Allerdings ist das Mangekyō Sharingan nicht sehr verbreitet.«

»Das ist einerseits gut, andererseits schlecht«, wog sie sorgsam ab. »Da das Sharingan per se nicht betroffen zu sein scheint, könnte es auch einfach eine Anomalie oder temporäre Dysfunktion sein. Ich möchte lieber nicht zu viel versprechen. Ich bin kein Fachmann für Dōjutsus, auch wenn es einige gerne behaupten. Das Auge ist das empfindlichste und weitgehend auch das komplizierteste Sinnesorgan des menschlichen Körpers. Ich brauche sicherlich ein paar Wochen, um mich durch diverse Fachbücher zu wühlen. Eine Diagnose, geschweige denn eine korrekte Diagnose kann ich nicht garantieren.«

»Danke für deine Bemühungen.«

Sie lachte hohl. »Danke mir lieber nicht zu früh. Optische Fehlfunktionen sind meistens nicht leicht zu kurieren. Vor allem nicht, wenn es um Dōjutsus geht.«

»Danke dennoch.«

Instinktiv wollte sie nach seiner Hand langen, widerstand dem impulsiven Drang jedoch noch in letzter Sekunde. Wie hätte das ausgesehen? »Mach dir lieber keine allzu großen Sorgen. Vermutlich hast du es einfach überanstrengt. Jeder braucht einmal eine Pause, selbst der beste Captain der ANBU.«

Darauf erwiderte er nichts mehr, sondern deutete eine seichte Verbeugung zum Abschied an. Sakura sah ihm an den Türrahmen gelehnt nach, bis er um die nächste Ecke gebogen war. Hatte sie eben versucht, Uchiha Itachi zu trösten?

Sie war ein Vollidiot.

Heute hatte sie die Peinlichkeit wohl im Stundenabonnement. Weniger interessant war sein Fall deswegen aber noch lange nicht. Wenn sie herausfand, was dahinter steckte, könnte sie sich wohl zurecht eine Dōjutsu-Spezialistin nennen, was sie aus Tsunades Schatten katapultieren würde, die sich seit jeher im Bereich der Histologie und Myologie profiliert hatte.

Mit neuem Elan eilte sie die Treppe hinauf, um ihrer Mutter nicht Rede und Antwort stehen zu müssen, weshalb ein Uchiha sie nach Hause gebracht hatte. Im Bad versuchte sie sich einen Schlachtplan zurechtzulegen. Während sie sich die Haare shampoonierte, ging sie mental sämtliche Bücher der Bibliothek durch, die sie bereits kannte. Einige hatten nützliche Querverweise enthalten, die sie damals in dem Irrglauben ignoriert hatte, niemals viel mit Augen zu tun zu haben. Vor einigen Jahren, als sie am Anfang ihrer Lehre gestanden hatte, hatte sie sich nicht vorstellen können, einen anderen Weg einzuschlagen als den, den ihre Meisterin bestritten hatte. Welch eigenartige Richtungen das Leben doch einschlug. Bedingt durch ihre Freundschaft mit Hinata und ihrem Mut, als einzige Ärztin Nejis medizinischem Unwillen Paroli zu bieten, war sie geübt im Umgang mit dem Byakugan. Das Sharingan war ein Ableger davon. Welch Unterschiede konnte es schon machen?

Noch immer eifrig ihren Feldzug planend, wischte sie über den angelaufenen Spiegel. Ihr Gesicht wies einige Kratzer auf, die nur bei dem kurzen Intermezzo mit Itachi zustande gekommen sein konnten. Nun fiel ihr auch wieder ein, dass sie ihn gegen einen Baum geschmettert hatte. Sie ihn. Vielleicht empfand er sie nach ihrem Glückstreffer doch nicht als nutzlos? Hatte er es überhaupt jemals gesagt? Dass sie schwach war?

Er kritisierte nahezu alles an ihr, das reichte ihr zur Beantwortung dieser verschwenderischen Frage. Apropos, er hatte nicht einmal ein blaues Auge davongetragen, obwohl sie ihn mitten im Gesicht erwischt hatte. Eine gebrochene Nase war das mindeste, das sie erwartet hatte.

»ANBU«, murmelte sie widerwillig, »Diese Angeber.«

Ohne sich die Mühe zu machen, ihre Haare zu trocken, warf sie sich in einen schwarzen Rock und eine zufällig gewählte Bluse. Für die Bibliothek musste noch nie jemand gut angezogen sein, was es umso angenehmer machte, die intellektuelle Luft zu schnuppern, wo sie sonst nur von Narutos langer Leitung, Sais regelmäßig fehlschlagenden Versuchen, menschlich zu sein, und Kakashis Binsenweisheiten umgeben war. Sicherheitshalber nahm sie den Weg durch ihr Fenster, um weiteren nervenden Fragen ihrer Mutter zu entgehen. Diese hatte während ihres Aufenthalts im Bad mehrmals etwas zu ihr hinaufgerufen. Sakura hatte getan, als höre sie es nicht. Manchmal war es besser, sich taub zu stellen.
 

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Wieso mussten die Uchihas sich als unbesiegbar darstellen? Fünf Stunden nach Beginn ihrer Recherchen war Sakura so klug wie zuvor. Sie wusste nichts. Das bedeutete, sie wusste alles. Von optischen Zellen und Akkumodation über Oligodendrozyten und Adaption gab es nichts mehr am Wirbeltierauge, das sie überraschen konnte. Sogar Bücher über Facettenaugen und Euglena hatte sie gelesen, bloß um in dem interessierenden Fall keinen Schritt weitergekommen zu sein. Es war frustrierend, auf einem Fachgebiet anzustehen, in dem sie sich für unschlagbar gehalten hatte. Ja, Haruno Sakura war ihres Zeichens größenwahnsinnig geworden,  wenn es um ihre Arbeit als Iryōnin ging. Nachdem man ihr tausendmal gesagt hatte, wie talentiert sie sei, hatte ihr Höhenflug begonnen. Dass Itachi sie an ihre Grenzen brachte, obwohl er keine Ahnung davon hatte und es nicht einmal darauf anlegte, war ein Zeugnis seiner hervorstechendsten Eigenschaft.

Frustration.

Uchiha Itachi, Captain der ANBU, Bruder ihrer ersten Liebe, Wunderkind und Workaholic, frustrierte sie auf so unsagbar vielen Ebenen, dass sie sich zum dritten Mal heute die Haare raufend auf ihrem Sessel zurückfallen ließ, die Beine von sich streckte und etwas raunte, das sich wie 'verdammte Uchihas' anhörte. Wahrlich, wieso mussten sie sich als unbesiegbar darstellen? Die Schwächen des Byakugans aus dem Meer an Lektüre herauszufiltern, war ein einfacheres Unterfangen als auch nur irgendetwas über das Sharingan in Erfahrung zu bringen. Die Fachliteratur war voll von Anmerkungen, die nirgendwo hinführten. Querverweise hörten auf, wenn man sie verfolgen wollte, Absätze in Schriftrollen waren durchgestrichen, Seiten aus Büchern gerissen, bloß um jede Information zu vernichten, die Itachi vielleicht heilen konnte.

»Oh, bitte!« Melodramatisch schlug sie ihren Handrücken auf ihren nach hinten gelehnten Kopf. Sie begann bereits pathetisch zu werden. Itachis Gesundheit war nicht in Gefahr. Zumindest nicht wegen einem Schleier über seinem Mangekyō Sharingan. Oder der Trübung. Verfärbung? Lichtung? Verzerrung?

Sie wusste ja nicht einmal, was es war! Hätte sie bloß darauf bestanden, sich seine Augen gleich anzusehen, müsste sie nun nicht mit Nackenschmerzen in einer Bibliothek sitzen, während draußen Regen vom Himmel fiel. Donner folgte auf einen verzweigten Blitz. Das Gewitter war also ganz nahe. Wunderbar, dann verschwendete sie ihre Zeit wenigstens nicht, anstatt mit Naruto zu trainieren. War er überhaupt schon von seiner Mission in Kirigakure zurück? Sakura erschrak bei dem Gedanken, ihren besten Freund ausgeblendet zu haben. Wann immer sie getrennte Missionen gehabt hatten – was nicht oft vorgekommen war – hatten sie sich beieinander zurückgemeldet. Vielleicht hatte ihre Mutter das zu ihr gerufen?

Demotiviert stand sie auf und sammelte ihre Litanei an Worten ein. Vorhin hatte sie Izumo und Kotetsu für deren Unordentlichkeit gerügt, nun sah ihr breiter Lesetisch aus, als hätte sie einen Kibakufuda gezündet. Im Normalfall reichte die Platte für drei Personen; sie hatte den gesamten Platz beansprucht. Aufgeschlagene Bücher, halb aufgerollte Schriftrollen, lose Blätter und ein nahezu leerer Notizblock lieferten sich einen erbitterten Kampf um die Oberfläche.

»… sollten lieber warten, bis es aufhört. Dieses miese Wetter verdirbt mir die Laune.«

Sakura horchte auf. Die Stimme, deren zugehöriger Körper soeben die Bibliothek betreten hatte, kam ihr schreiend bekannt vor.

»Wenn es nicht bald aufhört, kommen wir zu spät«, erwiderte die zweite Stimme, die sie ebenfalls kannte. Sorgfältig sortierte sie die ersten Schriftstücke ein, strich ihre Bluse glatt und pirschte sich an die beiden jungen Frauen, die mit dem Rücken zu ihr nahe dem Ausgang standen.

»Du trampelst wie ein Nilpferd, Riesenstirn.«

Sie schnaubte beleidigt. »Freut mich auch, dich zu sehen, Ino. Tenten. Was macht ihr hier? Tenten ist nicht überraschend, wenn neue Bücher über Waffenballistik auf den Markt kommen, aber kannst du überhaupt lesen, Ino?«

»Kannst du über deine hohe Stirn überhaupt etwas sehen?«

»Zufälligerweise besitze ich genügend anatomisches Wissen, um dir zu versichern, dass es unmöglich ist, über seine Stirn zu sehen, egal wie hoch sie ist. Oder, in deinem Fall: hohl.«

»Könntet ihr auch nur einmal friedlich sein?«, seufzte Tenten. Sie ließ den Blick aus dem Fenster schweifen, vor dem der Himmel längst ergraut war, wobei sie Sakuras Lesetisch streifte. Neugierig trat sie an ihn heran und hob ein willkürlich gewähltes Buch auf. »Dōjutsu? Das menschliche Auge? Noch mehr Dōjutsu und – sieh' an, zur Abwechslung: Dōjutsu! Wieso liest du diesen Kram? Hast du ein Bluterbe entwickelt, von dem wir nichts wissen?«

Sakura verdrehte entmutigt die Augen. Ebenso entmutigt nahm sie ihr das Buch aus der Hand und stellte es zurück an seinen angestammten Platz in der Mitte des vierten Regals. »Schön wär's. So ein Ding, mit dem man zum Beispiel Gedanken lesen könnte, wäre eine nette Idee. Wieso kann keiner so eine Technik erfinden? Stattdessen schlage ich mich mit Sharingans herum, deren anatomische Funktionsweise nicht einmal im Ansatz bekannt ist. Habt ihr eine Ahnung, wie deprimierend es ist, Stunden auf seine Erforschung zu verschwenden, aber am Ende nicht einmal zu verstehen, wie es durchblutet wird? Oder: ob überhaupt? Dieser dumme Klan hält jedes Fitzelchen unter Verschluss.«

»Aus gutem Grund.« Ino fegte die Papiere beiseite, um sich schwungvoll auf den Tisch zu setzten, wo sie sich auf ihren Arm stützte und sich zu Sakura hinab beugte, die sich stöhnend zurück an ihre Arbeit setzte. »Sie wären nicht so geheimnisvoll, wenn sie ihre Geheimnisse nicht hüten würden.«

»Welch rhetorische Glanzleistung«, gab Sakura unbeeindruckt zurück. »Ich sollte alles hinschmeißen, aber dann wäre ich in seiner Meinung ganz unten.«

»Ich bitte dich!« Es war Tenten, die sich von hinten über sie beugte. Ihre vom Waffentraining kräftigen Finger auf Sakuras Schultern taten dem verspannten Nacken gut. Mit einer Geste bedeutete sie ihrer Freundin, weiterzumachen. »Genussschwein«, tadelte Tenten lächelnd, setzte ihre Bewegung aber protestlos fort. »Sasuke wird dich nicht weniger mögen, wenn du einmal keine passende Lösung parat hast. Wieso interessiert dich seine Meinung überhaupt? Er selbst könnte nicht einmal einen Fisch heilen.«

»Weil es um Itachi-san geht.«

Zwei überraschte Augenpaare sahen sie leuchtend an. »Ist nicht wahr!«, riefen die beiden Kunoichis zugleich. Ino setzte fort, sich weiter zu Sakura lehnend. »Ist das nicht süß? Die Heilerin und ihr Patient. Sakura, das ist eine verbotene Liebschaft!«

»Das ist nicht verbo – es ist keine Liebschaft!«, wandte sie entschieden ein. »Er hat Probleme mit seinem Mangekyō Sharingan und ich helfe ihm und ich hätte euch das gar nicht sagen sollen!«

»Wie kommst du dazu, ihm zu helfen?«, bohrte Ino neugierig. »Hat er dich gefragt?« Sie kam ruckartig näher. »Hast du es angeboten?« Noch näher. »Hat ihn seine Mutter geschickt?« Ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Sakura stieß sie abwehrend zurück.

»Nein, nein, nein. Es ist mir vor ein paar Tagen auf unserer Mission in Ta no Kuni aufgefallen. Wieso interessiert euch das? Wenn du Interesse an ihm hast, Ino, oder an seinen Augen, geh zu ihm und frage ihn. Du weißt, wo das Uchihaviertel liegt. Falls nicht, die Straße runter rechts. Dieses Tor mit dem großen Fächer.«

Die Blondine machte eine wegwerfende Geste. »Itachi-san interessiert mich nicht –«

»War er vor drei Wochen nicht noch Itachi-kun?« 

»– wer mich interessier bist du, Sakura. Raus mit der Sprache, seit wann bist du in Uchiha verknallt?«

»I-i-i-ich bin nicht verknallt in Uchiha! In keinen davon, und schon gar nicht Itachi! Weder kun, noch chi, chama oder ein anderes unpassendes Suffix!«

Inos schelmisches Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes. Sie roch immer, wenn etwas im Busch war. Wie sie das machte, war ein wohlgehütetes Geheimnis. Fakt war, dass sie eine Fährte gewittert hatte. »Erzähl uns etwas über Itachi-san. Keine Ausflüchte.«

Leider kannte Sakura ihre beste Freundin schon lange genug, um zu wissen, dass sie nicht mehr auskam. Schadensbegrenzung hieß die Devise, sonst wüsste bald das gesamte Dorf etwas, das sie selbst noch gar nicht wusste. Es wäre nicht das erste Mal. »Wie du willst. Itachi-san ist … anders. Wie ich bereits mehrfach im Beisein eurer beiden Präsenzen erwähnte, ist er eine beeindruckende Persönlichkeit. Vielleicht sehe ich ihn manchmal länger an als nötig. Vielleicht, Ino, bedeutet: ich mache es nicht mit Absicht.«

»Vielleicht bedeutet, du bist verknallt!«, unterbrach sie sie lachend. Erfreut klatschte sie in die Hände. Wie blond konnte ein Mensch sein? Das Schlimmste daran war, dass sie recht hatte –

Ernsthaft?

Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.

»Selbst wenn ich in ihn verknallt bin – wenn ist Konjunktiv – wäre es in keiner noch so verdrehten Parallelwelt möglich, dass er diese hypothetischen Gefühle jemals erwidern könnte. Rekapituliere das: er ist reich, gutaussehend, Erbe eines mächtigen Klans, hat ein starkes Kekkei Genkei und selbst wenn nicht, wäre er immer noch einer der stärksten Ninjas dieses Dorfes. Ich hingegen bin eine undisziplinierte, emotionsgesteuerte, unvorsichtige kleine Chūnin ohne Stammbaum und rotleuchtende Augen.«

»Nun sei nicht zu hart mit dir selbst«, warf Tenten von hinten ein. Zu Sakuras Leidwesen hatte sie mit der Massage aufgehört.

»Pah!«, machte diese schnaubend. »Das waren seine Worte. Ich hätte es mich ja als motiviert und risikofreudig deklariert.«

»Optimistin … vergiss solche Aussagen«, riet Ino ihr. Es war der erste gute Rat, den sie in den letzten Wochen gegeben hatte. Es sollte der letzte sein, wie sie sofort bewies. »Eines ist nicht zu übersehen: seit über sieben Wochen macht ihr Missionen zusammen. Das kann kein Zufall sein. Welcher verkehrte Teil in ihm auch immer auf dich angesprungen ist, du hast irgendwie sein Interesse geweckt. Wie du bereits sagtest, er ist ein kaltschnäuziges Alterego auf zwei Beinen –«

»Das habe ich niemals gesagt!« Sakuras Protest ging unter.

»– aber er ist, wie du richtig erkannt hast, reich, gutaussehend und hoch angesehen. Egal welches paradoxe Fünkchen du entfacht haben magst, es öffnet dir Türen, von denen du vielleicht noch gar nichts wissen konntest. Denke darüber nach, Sakura. Er ist der Erbe eines mächtigen Klans. Er ist Captain bei der ANBU. Wer wäre als Sprungbrett geeigneter als Uchiha Itachi? Deine Gefühle spielen keine Rolle. Seine sind, was zählt. Selbst wenn er nur sexuelles, oder im schlimmsten Fall lediglich berufliches Interesse an dir hat, du solltest dir überlegen, ob du das nicht ausnützen möchtest.«

Sakura spürte heiße Röte in ihren Wangen aufsteigen. Hatte Ino ihr eben geraten, Uchiha Itachi zu verführen?

»Du musst dich ja nicht sofort entscheiden. Tenten und ich waren gerade auf dem Weg in unsere Stammbar. Hast du noch viel vor oder kommst du mit?«

Tiefes Raunen entwich Sakuras Kehle, die vom Schreien noch geschwollen war. Ein paar Gläser Sake konnten vielleicht helfen. Langsam wurde es draußen dunkel, was die Arbeit in der Bibliothek unmöglich erscheinen ließ. Bereits beim Gedanken daran, alleine in der Dunkelheit zu bleiben, machte ihr Angst. Dabei hatte sie nie Angst vor der Nacht gehabt. Der kalte Schauer war längst Gewohnheit. Sie hatte ihn seit ihrem Erlebnis mit Itachis Tsukuyomi alle paar Stunden, was mühsam war, aber erträglich. Irgendwann würde es schon wieder vorbeigehen. Nicht heute Abend.

»Von mir aus«, stimmte sie schließlich zu. »Für heute reichen meine Nachforschungen. Vielleicht kommt mir bei ein paar Promille ja ein Geistesblitz.«

Sie glaubte nicht daran, die Vorstellung war trotzdem schön.
 

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»Nächstes Mal bist du dran …«, brummte Naruto missmutig. An der Seite seines ehemaligen-und-nun-doch-irgendwie-wieder-Teamkameraden schlenderte er im prasselnden Regen durch Konohas menschenleere Straßen. Sie hatten sich zwei Stunden lang außerhalb des Dorfes geprügelt, da tat der kalte Novemberregen auf der verschwitzten Haut gut. Man hatte ja nach einer erfolgreich ausgeführten diplomatischen Mission nichts besseres zu tun, als sich mit Uchiha Sasuke um etwas halb zu Tode zu schlagen, das beide längst vergessen hatten. Vielleicht war es um ein Mädchen gegangen, vielleicht aber auch um Ramen. Wer achtete schon auf feine Unterschiede?

»Das sagst du jedes Mal.«

»Weil ich dir nächstes Mal wirklich den Arsch aufreißen werde, falls du noch einmal das Wort gegen … irgendjemanden erhebst, den ich mag. Oder irgendwas. Teme«, spuckte er missmutig aus.

»Nenn' mich nicht Teme, Dobe.«

Naruto warf die Arme in die Luft, wo er eine Hand zu einer überspitzt weiblichen Geste abwinkelte. »Nenn' mich nicht Teme, Dobe, Hühnerarsch«, äffte er und brach über seine eigene Imitation in schallendes Gelächter aus. »Ach, wie habe ich diese Zeiten vermisst!«

»Kann ich nicht behaupten. Wieso gehst du mir überhaupt nach? Du wohnst dort drüben.«

Er zuckte gleichgültig die Schultern. »Zuhause wartet sowieso keiner auf mich. Ino und Tenten gehen heute mit ein paar anderen Leuten aus. Da ich möchte, dass du mitkommst, aber ich weiß, dass du ablehnen wirst, verfolge ich dich auf deinem Heimweg, auf dem ich dich nerven kann, bis du zusagst. Anschließend werde ich an dir kleben, um sicherzustellen, dass du auch wirklich mitkommst. Guter Plan, hm?«

»Kami im Himmel, befreit mich von dieser Plage!«, rief Sasuke, den Kopf in den Nacken werfend, wodurch ihm Regentropfen in die Augen fielen. Er wischte sie beiläufig weg; bei diesem schlechten Wetter verspürte er keine sonderliche Lust, Einen heben zu gehen. Der Kater von letztens hing ihm heute noch in Momenten nach, an denen er sich an die schieren Unmengen Sake erinnerte, die er in sich hineingeschüttet hatte. Dass er Sakuras Hintern wohl angefasst hatte, wusste er nur aus Erzählungen.

»Welch Glück, dass die Kami nur auf die Religiösen hören. Katana und Ninjutsu sind keine Insignien, weißt du?«, neckte Naruto ihn. Er wusste, dass er längst gewonnen hatte. »Außerdem müssen wir noch unsere erfolgreiche Mission feiern. Wenn du schon religiös wirst, kannst du gleich damit anfangen, Traditionen zu befolgen.«

Sasuke zischte abwertend. »Das ist keine Tradition, das war ein Hinterhalt. Dafür wirst du bezahlen. Heute Abend, das schwöre ich bei allen Kami, an die ich nicht glaube.«

»Ein Mann, ein Wort. Herausforderung angenommen«, flötete der Chaosninja fröhlich. »Beim Trinken hast du wenigstens nicht den unfairen Vorteil deines Sharingans!«

»Dich stecke ich auch ohne Sharingan in die Tasche.«

»Wieso benutzt du es dann immer?«

»Weil es mir Spaß macht, dich schnell und schmerzvoll zu verhauen.«

»Ist das eine Drohung?«

»Wohl eher eine Erinnerung! Oder ist dein Spatzenhirn derart überfordert damit, sich zu merken, wie man deinen Namen buchstabiert, dass es die Prügel von vorhin bereits rausgeworfen hat?«

Naruto richtete eine Faust auf ihn. »Ich habe mindestens so oft getroffen wie du!«

»Aber lasch!«

»Ich geb' dir gleich lasch!«

Mit einem Hechtsprung nach vorne warfen sich die beiden aufeinander, sodass ihre Köpfe laut gegeneinander prallten. Sie flogen rittlings in das nasse Gras des Gartens des Uchiha-Haupthauses, von dem sie sich blitzschnell wieder aufrafften, um erneut aufeinander loszugehen. Diesmal wich Sasuke mit einem Ausfallschritt aus, in dem er seinen Ellenbogen in Narutos Wirbelsäule rammte. Dieser ging zu Boden, rollte sich ab, sprang auf, in die Höhe und von oben auf Sasuke zu, der nicht mehr ausweichen konnte. Der Angriff prallte auf die Parade, als Donner über den Himmel rollte, was die Attacke nur noch imposanter machte. Mit einem tänzelnden Schritt rückwärts holte Sasuke seinen Kontrahenten zurück auf die Erde, wo er seine Sharingan aktivierte und ein Katonjutsu formte, das er in dem Moment ausspeien wollte, als eine jähe Stimme den Kampf unterbrach.

»In welchen sieben Kreisen aller Höllen habe ich einen begriffsstutzigen Sohn zur Welt gebracht?«, brüllte Mikotos Stimme durch den Regen direkt auf die beiden Jōnin zu. »Wie oft muss ich es noch sagen? Keine. Kämpfe. im. Garten! Ihr ruiniert mir die Gerbera!«

»Okāsan, die sind schon tot!«, erwiderte Sasuke mit verschränkten Armen, nachdem er mit  Müh und Not seinen Feuerwirbel hinuntergeschluckt hatte. Das kleine Flämmchen, das aus seinem Mund kam, als er sprach, wurde vom Regen erbarmungslos zu zischendem Rauch niedergekämpft.

»Sie schlafen, junger Mann! Wenn du sie mir nicht umbringst, blühen sie nächstes Jahr im Frühling!«

»Vielleicht hätte unser Sasuke lieber Gärtner als Ninja werden sollen?« Itachi trat mit einer Teetasse in der Hand hinter seine Mutter, die ihre Arme wütend in die Hüften gestemmt hatte.

»Ins Trockene mit euch, alle zwei!«, blaffe Mikoto die jüngeren Shinobi an. Sie selbst stapfte zurück ins Wohnzimmer, in dem Shisui sich über den Streit herzhaft amüsierte. Er schlug lachend auf den Tisch, als Sasuke tropfnass auf die überdachte Veranda stieg, sorgsam darauf bedacht, die Grenze zum Inneren des Hauses nicht zu überschreiten. Seine Mutter würde ihn umbringen, wenn er ihr Dreck ins Wohnzimmer schleppte. »Wir bleiben nicht lange, Oksaa-san«, informierte er sie. Sie hatte sich bereits wieder mit Itachi zu ihrer beider Gast gesetzt.

»Wohin wollt ihr so spät noch?«

»Wir gehen etwas Trinken. Einige Freunde meinten, sie wären heute in unserer Stammbar.«

»Du hast Freunde, Sasuke-chan?« Shisui wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, wurde aber glücklicherweise von Mikoto unterbrochen, ehe er seinen Cousin weiter ärgern konnte.

»Möchtet ihr nicht vorher etwas mit uns essen?«

Er wollte bereits verneinen, doch Naruto machte ihm – wie üblich – einen Strich durch die Rechnung. »Gerne, Mikoto-san! Gibt es Eintopf? Bitte sagen Sie, dass es Eintopf gibt! Ich liebe Eintopf!«

»Hör auf, dich selbst einzuladen!« Sasuke verpasste seinem Freund eine schallende Kopfnuss, die von Mikoto mit tadelnden Blicken und von Naruto mit einem empörten Aufschrei quittiert wurde.

»Deine Mutter hat mich eingeladen! Im Gegensatz zu dir, bin ich wenigstens höflich, du Pfeife!«

»Suchst du schon wieder Streit?«

»Schluss damit!«, unterbrach Mikoto den aufkommenden Disput. »Benehmt euch, sonst vergrabe ich euch im Garten! Und Shisui-kun, du solltest aufhören zu lachen, sonst setze ich dich daneben ein! Wieso haben die Götter mich bloß mit nur einem einzigen vernünftigen Menschen in dieser Familie gesegnet?«

Itachi lächelte sie liebevoll an und setzte seine Teetasse in einer samtenen Bewegung ab. »Damit du siehst, was du an mir hast, Okāsan.«

»Wenn du denn mal da bist, was selten genug vorkommt!«, seufzte sie, ehe sie sich wieder den beiden Jōnin zuwandte, die nach wie vor wie begossene Pudel auf der Veranda standen. »Zieht euch etwas Trockenes an, dann gibt es Essen. Sasuke, du zeigst Naruto-kun, wo alles ist.« Mahnend hob sie den Zeigefinger. »Keine Faxen. Und keine Kämpfe!«, rief sie hinterher. »Diese Kinder. Ich frage mich, ob ich nur verdrängt habe, dass du auch so warst.«

»Kindisch, unreif und laut?«, resümierte Itachi mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wohl kaum. Das hat wenig mit dem Alter zu tun. Shisui ist heute noch so.«

»Ich bin nicht laut!«, dementierte dieser mit entschiedener Vehemenz.

»Wie schön, dass du wenigstens die anderen Punkte nicht abstreitest.«

»Hätte ich denn eine Chance?«

Itachi goss seinem Cousin unaufgefordert neuen Tee ein. Natürlich hätte er keine Chance. Andererseits konnte Shisui ein bemerkenswert hartnäckiger Gegner sein, wenn er es darauf anlegte. Man musste ihn nur richtig motivieren.

»Habt ihr beiden heute auch etwas vor?«, erkundigte Mikoto sich.

»Nein.«

Sie legte enttäuscht den Kopf schief. »Das ist sehr schade. Es klingt, als hätten Sasuke und Naruto-kun sehr viel Spaß. Weißt du Itachi, ich mache mir langsam Sorgen. Wenn du nicht auf Missionen bist, sitzt du fast nur hier herum. Wieso gehst du nicht aus, amüsierst dich ein wenig? Als ich in deinem Alter war, hatte ich schon das eine oder andere Gelage mit deinem Vater hinter mir.«

»Fugaku-san sturzbesoffen?« Shisuis Augen begannen euphorisch zu leuchten. »Erzähl uns mehr, Mikoto-san, das klingt lustig!«

»Lieber nicht«, versetzte sie. »Manche Dinge bleiben lieber privat. Ich würde es nicht gutheißen, wenn du es allzu oft übertreibst, Itachi, aber ein wenig Spaß hat noch keinen umgebracht.«

»Pah«, machte Shisui lachend. »Bei seinem Temperament schläft er nach dem vierten Glas Sake ein. Oder er randaliert und steckt etwas in Brand. Das wäre eine amüsante Abwechslung.«

»Die Brandstiftung muss nicht unbedingt sein, wenn es sich vermeiden lässt«, schlug Mikoto beschwichtigend vor, »Aber Shisui-kun hat mit seinem Prinzip schon recht. Du solltest ausgehen, ehe du die Pflichten des Klans übernimmst. Irgendwann bereust du, deine Jugend mit Ernsthaftigkeit verschwendet zu haben, aber dann kannst du nicht mehr zurück.«

Shisui nickte begeistert. »Das predige ich ihm seit Jahren! Wir sollten uns an Sasuke-chan und Naruto-kun hängen. Diese blonde Kunoichi zählt doch auch zu ihrem Freundeskreis. Sie war echt heiß!«

»Inoichi-sans Tochter?«, erkundigte sie sich weiter. »Ein sehr nettes Mädchen. Du solltest dich mit Ino-san unterhalten, Itachi, ehe Shisui-kun sie dir wegschnappt.«

Itachi stieß ein tiefes, frustriertes Brummen aus. »Werde ich heute überhaupt noch gefragt?« Manchmal war Familie anstrengend. Manchmal, ja wahrlich, manchmal konnte er die Leute verstehen, denen sein Klan auf die Nerven ging.

»Nein«, bestimmte sein Cousin. »Wenn du Ino-chan willst, bekomme ich für heute Sakura-sensei! Diese Ärztinnen in ihren Kitteln –« Er schauderte wohlig. »– ein Traum! – was ist?« Er stockte, als Itachis warnender Blick ihn traf. Theoretisch hätte dieser nichts mehr sagen müssen, um die Mahnung zu entfalten. Praktisch ging er auf Nummer sicher.

»Lass Sakura-san aus dem Spiel. Jedes Körperteil, das du an sie legst, werde ich brechen. Shisui. Jedes

Shisui wich ein Stück zurück, ehe er wissend die Augen zu Schlitzen verengte. »Ach? So läuft das jetzt? Seit wann hast du denn Hormone?«

»Jeder Mensch hat Hormone, Shisui. Sie sind wichtige Botenstoffe in unserem Körper.«

Seine Augen wurden noch enger. »Das hat dir wohl eine Ärztin beigebracht. Zufällig … Sa-ku-ra-cha-n~?«

»Ob du es glaubst oder nicht, diese bahnbrechend grundlegende Erkenntnis entspringt alleine meinem eigenen Gehirn. Für den Fall, dass du damit rein auf Sakura-san anspielst, muss ich meine Warnung wohl nicht wiederholen. Sie ist keines deiner Spielzeuge, sondern eine ehrenwerte Kunoichi.«

Das gab Shisui den Rest. Er brach lachend über dem Tisch zusammen, eine Hand auf den Bauch gelegt, die andere schlug unaufhörlich auf den Tisch, bis Mikoto ihn ihrem Tisch zuliebe zur Ordnung rief.

»Sag bloß …« Ein Lachanfall durchbrach seinen Satz. »Sag bloß … du … du willst …« Ein neuer Lachanfall. »… das ist einfach zu komisch! Ich muss es nicht einmal aussprechen und es ist komisch! O Himmel, mein Bauch!« Nach Luft ringend zog er sich an Itachis steifer Schulter in eine aufrechte Position, in der das Gelächter endlich in seichtes Kichern verebbte. »Hätte ich es vor diesem Lachanfall gesagt, wäre es sicherlich komischer gewesen, aber ich möchte dir diese wahnsinnig wunderbare Frage nicht vorenthalten, Itachi. Darum sag mir, wenn Sakura-sensei eine ehrenwerte Kunoichi ist, hast du dann die Absicht, sie zu …« Der dritte Lachschwall war weniger intensiv, aber nicht minder luftraubend. »… zu entehren?«

»Dein unangebracht obszöner Humor treibt mich wie immer in haltloses Gelächter«, entgegnete Itachi matt. Er hatte nicht vor, sich in irgendeiner Weise zu verteidigen. Wieso auch? Shisui würde sich alles drehen, wie er es haben wollte. »Sakura-san ist eine bemerkenswerte Kunoichi, der ich durchaus zutraue, irgendwann in die medizinische Einheit der ANBU aufzusteigen.«

»Ja«, stieß Shisui sarkastisch aus, »So hat es sich angehört. Wie herrlich, das muss ich Sasuke-chan erzählen! Sie war doch seine Teamkameradin! Das wird lustig!« Er sprang auf und kam exakt dreieinhalb Schritte weit, ehe er sich auf eine Tatamimatte gepinnt in einem schmerzvollen Hebel wiederfand. Seine Wange und Nase pressten gegen den Boden, Mikotos entsetzter Aufschrei direkt hinter ihm. Auf ihm Itachi, der ihn weiter nach unten drückte.

»Basierend auf der Tatsache, dass ich nicht einmal ansatzweise behauptet habe, etwas von Sakura-san zu wollen, das über ihre beruflichen Fähigkeiten hinausgeht, würde ich mir, wenn ich du wäre, sehr genau überlegen, wem ich was über wen erzähle.«

»Schon schut«, nuschelte Shisui, dem das Sprechen durch die Tatamimatte schwer fiel. Er stand sich seine Handgelenke reibend auf, nachdem Itachi ihn großzügig losgelassen hatte, bevor Sasuke und Naruto das Wohnzimmer betraten. »Wir gehen trotzdem mit«, entschied er.

Itachi hatte nichts dagegen.

 

 
 

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Sweet Tooth

 
 

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Es gab Momente, in denen Sakura froh war, Freunde zu haben.

Dieser war keiner davon.

Für sie war das Thema Itachi für heute abgehakt, nachdem ihre Freundinnen sich eine geschlagene Stunde lang darüber amüsiert hatten. Aus Ino sprach ein wenig Neid, den sie nur zu gut nachvollziehen konnte. Es musste schwer sein, zum ersten mal nicht bevorzugt zu werden. Normalerweise beachtete man Sakura nicht, wenn ihre blonde Freundin neben ihr stand. Mit ihrer lauten, chaotischen, auffälligen Art, die an ihr in den meisten Fällen durchaus reizvoll anmutete, wurde ihr sehr viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der ehrgeizige Iryōnin, die sich trotz ihres Temperament den Großteil ihrer Zeit zusammenreißen konnte.

Wenn Sakura ehrlich war, schmeichelte Inos seichte Eifersucht ihrem Ego. Ino wusste das, weswegen sie Tenten dazu anstachelte, nahezu jedes Wort mit dem Buchstaben I unangemessen verführerisch zu betonen. Bislang hatte sich nicht gewusst, wie verführerisch 'Irritation', 'Information' und ganz besonders 'Itaration' klingen konnte, wobei Sakuras Einwand, 'Iteration' schreibe man mit E, geschweige denn, dass dieses Wort kein Mensch benutzen würde, in meisterhafter Perfektion ignoriert wurde. Sakura hätte gerne einen Tisch zersplittert, um ihre Ruhe wiederzuerlangen, doch gerade diese schien ihr heute nicht vergönnt zu sein. Just in dem Moment, als ihre beiden Freundinnen begannen, ein anderes Thema auszubreiten, betrat eine Gruppe Männer die Bar. Eine Gruppe Shinobi. Eine Gruppe gutaussehender] Shinobi, die sich über Trainingszyklen unterhielten.

Sakura stöhnte. »Nicht das auch noch!«

»Oh, das wird lustig!«, flötete Ino hocherfreut. Ihre blauen Augen flitzten unbeeindruckt über Naruto und hellten sich auf, als sie Sasuke, Shisui und Itachi höchstpersönlich erblickte. In ihrer Freizeitkleidung sahen sie weit weniger anbetungswürdig aus als in den maßgeschneiderten Uniformen, das Symbol des Uchihaklans reichte jedoch, um sie als die stattlichsten, begehrenswertesten jungen Männer in diesem Etablissement auszuweisen.

»… wäre es also besser, deine Ausdauer durch Aufbau deines Trainingsplans zu maximieren, nicht nur durch gesteigerte Iteration.«

»Oh, komm schon!«, zischte Sakura. Iteration? Ernsthaft?!

Ehe sie sich versah, saß sie plötzlich zwischen Naruto und Sasuke, die sie dazu verdonnert hatten, einen Streit zu schlichten, der wohl seit ihrem Aufbruch andauerte. Manchmal waren Männer wirklich anstrengend. Itachi und Shisui hatten sich an einen anderen Tisch gesetzt, wo letzter Bekannte seinerseits getroffen hatte. Oh, wie sie sich dafür hasste, enttäuscht deswegen zu sein! Das war ja so … so … unpassend!

»Wieso musstest du deinen Bruder mitnehmen?«, zischte Naruto zu seinem Kontrahenten, der abwehrend den Kopf schüttelte.

»Was hätte ich tun sollen? Meine Mutter hat mich dazu gezwungen!«

»Du bist manchmal so ein Baby! Kannst du nicht einmal 'nein' zu deiner eigenen Mutter sagen?«

Sasuke funkelte ihn von der Seite böse an. »Du hast auch nichts gesagt! Wo liegt dein Problem? Er sitzt dort drüben und wird uns den ganzen Abend über nicht beachten! Sag' doch auch mal was, Sakura! Dieser Blödmann hier reagiert völlig über!«

Sakura blinzelte, überrascht davon, sich direkt angesprochen zu finden. »Wenn man aus dem Namen Sasuke das S und das U rausnimmt, kommt dabei Sake raus. Ob das ein Zufall ist?«

Zwei Köpfe schlugen gegen eine Tischplatte, dicht gefolgt von zwei hysterischen Lachanfällen, die von Tenten und Ino ausgingen. Plötzlich sah die ganze Bar auf ihren Tisch, an dem Ino sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. »Ach, Sakura, wie witzig du immer bist!«, rief sie übertrieben laut. Dann langte sie über den Tisch, packte ihre Freundin am Kragen, zog diese zu sich über den Tisch und senkte die Stimme zu bedrohlichem Flüstern. »Schnapp' ihn dir, sonst tue ich es! Das ist meine letzte Warnung.«

Die beiden Köpfte, die vorhin gegen die Tischplatte geknallt waren, wandten sich ruckartig zu Sakura. Hellhörig die Ohren gespitzt, verfolgten sie eine leise Konversation, deren Sinn sie nicht verstanden. Das schnelle Wispern vermischt mit Todesdrohungen war schwierig zu verstehen, bis Naruto nicht mehr an sich halten konnte.

»Um was genau geht es hier eigentlich?«, fragte er in die Runde. Für einen Moment war es ruhig, dann erhob Ino ihre Stimme.
 

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Damit, dass er gerade Yūgao mit Genma und Aoba hier treffen würde, hatte Itachi nicht gerechnet. Er hatte sich auf einen langwierigen Abend eingestellt, an dem er wie üblich Shisuis Flügelmann stellen würde müssen. Da er selbst nicht auf Flirts aus war, verzweifelte die Damenschaft regelmäßig an seinem Desinteresse, was für seinen lebhaften Cousin die ideale Grundlage bot. Itachi verurteilte diese Masche nicht – jede Frau, die auf ihn hereinfiel, obwohl sein Ruf wohlbekannt war, war selbst schuld – er hieß es aber auch nicht gut, derart für den Spaß seines besten Freundes missbraucht zu werden. Zumindest konnte er mit Yūgao und Aoba auf einer intellektuellen Ebene sprechen, während Genma und Shisui sich gegenseitig zufällig ausgewählte Frauen zuschanzten. Wenn er ehrlich war, wäre er lieber zu Hause geblieben.

»Mit Nichten!«, protestierte Yūgao pathetisch mit einer endgültigen Geste gegen etwas, das Aoba gesagt hatte. Sie waren beide bereits angeheitert, was der leichte Rotschimmer auf ihren Wangen bewies. »Itachi, wir brauchen einen Schiedsrichter. Wie viele Shinobi denkst du, könnte ich mit einem Hieb meines Katanas erledigen?«

Dies war wenigstens eine praktische Frage, die er beantworten konnte. In letzter Zeit hatte sich die Welt ja scheinbar gegen seine nüchternen Wesenszüge verschworen. »Welchen Rang haben sie?«

Sie warf genervt die Arme in die Luft. »Das ist doch irrelevant!«

»Ganz und gar nicht«, beharrte er eingängig. »Gegen zwölf Genin hättest du leichte Karten, aber zwölf Jōnin?«

Yūgao zischte beleidigt. »Kommt darauf an, welche Generation. Gegen Kurenai oder Kakashi-san hätte ich wenig Chancen, aber die neuen … sie sprießen wie Pilze aus dem Boden. Mir gefällt diese Massenerhebung nicht.«

»Welche Erhebung?«, fragte Aoba nach. Ehe sie antworten konnte, bestellte er bei der vorbeigehenden Kellnerin eine neue Runde für seine Freunde. Nachdem sie die Order mit einer leichten Verbeugung angenommen hatte, verschwand sie schnell hinter der Theke, ehe Shisui und Genma ihr neue Obszönitäten hinterherrufen konnten. Manchmal waren sie einfach nur peinlich. »Also?«

»Hast du es nicht gehört?« Sie senkte ihre Stimme so weit, dass sie im Geplauder der anderen Gäste unterging. »Die Neuernennungen? Bei Hyūga Neji vor einem dreiviertel Jahr dachte sich noch niemand etwas. Gleichzeitig hätte Rock Lee allerdings eher den Tokubetsu Jōnin bekommen sollen. Binnen der nächsten neun Monate wurden insgesamt zehn Chūnin unter vierundzwanzig Jahren in den Rang eines Jōnin erhoben. In den letzten sechzehn Jahren wurden im Schnitt zwei Berufungen pro Jahr ausgesprochen. Das ist ein Anstieg von fünfhundert Prozent.«

Itachi nickte anerkennend. Sie hatte ihre Hausaufgaben gründlich gemacht. »Gute Arbeit, Yūgao.«

»Ich bin keine zwölf mehr«, versetzte sie sein Lob. Diese Frau konnte einfach keine Komplimente annehmen. »Es muss einen Grund dafür geben. Meiner Meinung nach lautet er Krieg.«

»Was auch sonst? Konnten Shisui, Yamato-san und du etwas auf eurer Mission herausfinden?«

»Nichts.« Yūgao verschränkte die Arme, kreuzte die Beine und kippte das Glas Sake, das die Kellnerin eben gebracht hatte, mit einem Zug hinunter. Weil sie ihren Captain kannte, trank sie seines gleich mit. Etwas ging ihr heute gegen den Strich; Itachi hatte keine Absicht, es zu hinterfragen. »Kawa no Kuni ist eine Sackgasse. Akatsukis Versteck wurde längst geräumt. Wenn du mich fragst, ist es eher unwahrscheinlich, dass sie ganz alleine intervenieren. Bedenkt man ihre geringe Anzahl, sind sie zu wenige, um sich um alle Nationen zu kümmern. Ihr Hauptziel sind nach wie vor die Jinchūriki. Ein Krieg zwischen den Shinobigroßmächten wäre ein netter Nebeneffekt, aber wozu? Was ist mit Kabuto? Wie man hört, habt ihr ihn nicht erwischt.«

»Leider nein«, bestätigte er. »Uns kamen einige neue Entwicklungen in die Quere. Ein Spähtrupp hält weiterhin Ausschau nach Orochimarus Basis. Sobald sie diese gefunden haben, werden wir herausfinden, inwieweit Orochimaru in diese unklaren Machenschaften verwickelt ist. Dass er gemeinsame Sache mit Akatsuki macht, erscheint mir unwahrscheinlich. Beide Parteien verfolgen unterschiedliche Interessen. Orochimaru hat es lediglich auf Konoha abgesehen. Die restliche Welt interessiert ihn nicht.«

Mit einem 'Hm' ließ Yūgao diese These fallen. Daran, dass sie ihre Nasenflügel blähte, konnte er sehen, dass sie ihm nicht zugestimmt hätte, hätte sie die Zeit dazu gefunden, doch ein hysterisches Lachen unterband ihre Korrektur seiner Annahme. Jemand am Tisch seines Bruders schien einen köstlichen Scherz gemacht zu haben, oder sie hatten in den vergangenen zwanzig Minuten bereits genügend getrunken. Itachi schickte einen flüchtigen Blick durch die Bar, an deren Ende Yamanakas laute Tochter aufgesprungen war. Sie hatte Sakura an sich gezogen und schien ihr mit etwas zu drohen. Itachi ignorierte den Impuls, die Stirn in Falten zu legen. Seit wann hatte er einen Beschützerinstinkt? Er war normalerweise überaus protektiv, wenn es um sein Team ging. Er würde sich eher foltern lassen, als Sasuke, Shisui und Yūgao kampflos dem Feind zu überlassen. Sakura war nicht Teil seines Teams. Das irritierte ihn.

Das Gelächter war längst verebbt und er wandte sich wieder seinen Kameraden zu, die in eine neue sinnlose Diskussion über etwas verfallen waren, das ihm egal war. Es vergingen keine zwanzig Sekunden, bis erneut jemand am lautesten Tisch des Lokals schreiend aufsprang.

»Mein Bruder?!« Es war Sasuke, neben dem Sakura puterrot angelaufen war. Ihr blonder Teamkollege lag quer über dem Tisch, sich lachend den Bauch haltend. Die beiden Mädchen auf der anderen Seite kicherten verhalten. »Du hast was?!«, kreischte Sasuke weiter, ohne die seichteste Bemühung um Diskretion.

Es war Sasukes verwirrter, in Ratlosigkeit übergehender Blick, der Itachis Aufmerksamkeit erregte. Er wanderte zwischen seinem Bruder und seiner ehemaliger Teamkamerdin hin und her, immer ratloser werdend, bis sein Gesicht ein ungesundes Maß an Verstörung angenommen hatte.

»Sasuke-kun, setz' dich wieder hin!«, befahl Sakura peinlich berührt. Ihre Wangen glühten, als sie aufstand und ihn zwingen wollte, Folge zu leisten. Er ließ sich in seinem Schock nicht beirren. Seine Hand wehrte die ihre gröber als nötig ab. Itachi runzelte die Stirn.

»Du!«, blaffte sein Bruder Ino an. Diese hob abwehrend die Arme vor die Brust. »Wieso musstest du mir das sagen?«

»Weil du gefragt hast!«, rechtfertigte sie sich beleidigt von seiner offenen Anschuldigung.

»Sasuke-kun«, mischte Sakura sich erneut ein. Sie stand noch immer, »Mach keinen Aufstand! Es ist nicht, was du –«

»Ach nein?!«

»Wenn du mich zu Wort kommen lassen würdest, könnte ich erklären –«

Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie, als sei sie im Inbegriff, eine sagenhafte Dummheit zu begehen. »Für Erklärungen ist es zu spät, Sakura! Wie konntest du?«, wetterte er aufgebracht. Seine Entrüstung wandelte auf dem schmalen Grat zwischen ehrlicher Empörung und nicht allzu ernst gemeinter Verzweiflung.

Sakura befreite sich ruppig aus seinem Griff. Sie wich seinem neuen Versuch, sie zu ergreifen, geschickt aus, nahm sein Gesicht zwischen ihre Finger und drückte seine Wangen zusammen, bis er aussah wie ein Kugelfisch. Mit ihrer anderen, diesmal chakrainfundierten Hand, pinnte sie ihn an die Wand, sodass er ihr nicht entkommen konnte. »Ob du es glaubst oder nicht, es gibt Dinge, die dich nichts angehen! Wenn du deine Neugierde schon nicht zügeln kannst, lass Leute, die mehr wissen als du, gefälligst ausreden!«

»Lasch misch losch!«, forderte Sasuke. Mit einem Ruck drängte er sie ab. »Das geht mich sehr wohl etwas an! Was denkst du, wer du bist?!«

Das war zu viel. Diese Konversation war viel zu schnell von rauem Spaß in bitteren Ernst übergegangen. Sogar von der Distanz konnte Itachi sehen, wie Sakuras Geduldsfaden mit seinem närrischen kleinen Bruder riss. Pling.

»Was denkst du, wer du bist, du minderbemittelter Uchiha?!«

Er reagierte instinktiv. Mit zwei kräftigen Schritten durchsetzte er den Raum, gerade rechtzeitig um sie festzuhalten, ehe sie ihre erhobene Faust in Sasukes wütendes Gesicht schmettern konnte. Naruto hielt auf der anderen Seite Sasuke fest, der nicht minder aggressiv die Zähne gebleckt hatte. Während Naruto sichtliche Mühe hatte, seinen schwarzhaarigen Freund in Zaum zu halten, hatte die vergleichsweise zierliche Kunoichi ihrem humanen Gefängnis nichts entgegenzusetzen; was sie nicht davon abhielt, sich in ihrer Rage heftig zu wehren. Nach der Panne in Ta no Kuni wusste Itachi, wie viel Kraft sie aufbringen konnte, wenn sie wollte. Denselben Fehler zweimal zu machen lag nicht in seiner Natur. Der enge Hebel presste ihren Rücken so stark gegen seine Vorderseite, dass er jeden einzelnen ihrer angespannten Muskeln spürte.

»Lasst mich los!«, keifte Sasuke, sich noch immer erbittert gegen Narutos Griff wehrend. Diesem waren inzwischen zwei andere Shinobi zu Hilfe geeilt. Die Worte seines Bruders ließen Itachi nur noch mehr die Stirn kraus ziehen.

»Lass mich ja nicht los«, zischte Sakura, »Sonst läuft dieser Tölpel Gefahr, von mir gehörig verprügelt zu werden!«

»Tsk.« Sasuke gab seinen Widerstand auf, woraufhin ihn die drei Männer losließen. Egal was Ino verraten oder behauptet hatte, es schien ihm gehörig gegen den Strich zu gehen. »Mach' doch was du willst«, fügte er abfällig hinzu. Fast schon automatisch langte seine Hand nach dem Tablett, das eine Kellnerin vor der Eskalation hatte servieren wollen, leerte die fünf darauf befindlichen Gläser, setzte sie wieder ab und ließ sich auf der anderen Seite des Tisches neben Ino nieder, den bohrenden schwarzen Blick endlich von Sakura nehmend. Auch sie hatte aufgehört, sich gegen Itachis festen Griff zu wehren, weil es sinnlos war, gegen eine Übermacht zu revoltieren. Seine Nähe war ihrer Konzentration nicht gerade förderlich. Sie schickte Schauer über ihre Haut, die er hoffentlich als Nachwirkungen der Tsukuyomi interpretieren würde.

Als er sprach, war seine tiefe Stimme direkt an ihrem Ohr. Sie intensivierte ihre Wahrnehmung seiner rauen Hände an ihrer nackten Haut, was sie trocken schlucken ließ. »Kann ich dich loslassen, ohne den Tod unschuldiger Menschen auf mich nehmen zu müssen, Sakura-san? Meinen neugierigen Bruder eingeschlossen? Ich bin sicher, er hat es nicht so gemeint.«

»Wenn du wüsstest, Aniki. Sie hat –«

»Halt deine vorlaute Klappe«, unterbrach sie ihn, das plötzliche unerwünschte Fehlen von Itachis Berührung mit Geraderücken ihres Nackens kaschierend. Sie warf sich neben Naruto, Arme verschränkt, die leeren Sakegläser argwöhnisch beäugend. »Und bestell eine neue Runde, nachdem du diese so freimütig in deinen Rachen geschüttet hast, Sasuke.«

Dies war der Abend, an dem sie ihn zum letzten Mal mit einem Suffix angesprochen hatte.
 

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Der Abend wurde immer länger. Der Sake floss nach dem Zwischenfall reichlich, zumindest für alle anderen. Für Sakura war der Alkoholfluss kurz nach Sasukes Ausbruch versiegt. Heute war es besser, nüchtern zu bleiben, sonst hätte der Uchihaklan bald ein Opfer zu beklagen. Opfer war genau das richtige Wort für diesen störrischen Esel, der sich plötzlich einbildete, sich für ihr Leben zu interessieren. Sasuke hatte kein Recht, sich in ihre Privatsphäre einzumischen. Sie war eine erwachsene Frau, die unter niemandes Fuchtel stand. Schon gar nicht war sie Uchiha Sasuke irgendeine wahnwitzige Form von Rechenschaft schuldig.

Eingebildeter Gockel.

Kurz vor Mitternacht gestattete sie es sich zum ersten Mal, einen Blick zu Itachis Tisch zu riskieren. Dass sie verliebt war, bestritt sie vehement. Eine gewisse physische Anziehung konnte sie hingegen nicht abstreiten. Sein Körper, sein Geruch, seine Hände, seine Augen, das alles machte sie auf einer bestimmten Ebene wahnsinnig. Ob Inos Rat womöglich doch nicht verkehrt war? Sollte sie den Versuch wagen, Itachi zu verführen? Nein, das konnte sie nicht. Sakura war ein ehrlicher Mensch. Wenn sie mit jemandem schlief, würde sie es aus Liebe tun. Ihre vorangegangenen erotischen Erfahrungen waren rar, aber vorhanden. Jeden aus dieser überschaubaren Menge an Männern hatte sie auf eine einzigartige Weise in diesen Wochen geliebt. Es war bloß nicht für die Ewigkeit geschaffen gewesen. Sie würde ihre Überzeugungen nicht über Bord werfen, bloß weil sie ihre Triebe nicht unter Kontrolle hatte.

Sie wollte sich wieder abwenden, da erhoben sich Itachi und Shisui. Genma war bei einer hübschen Zivilistin an der Theke gelandet, Yūgao versuchte den schlafenden Aoba erfolglos von seinem Stuhl zu ziehen. Sie wehrte die von den Uchihas angebotene Hilfe dankend ab und zerrte stattdessen fester. Sakura schmunzelte über die Szene zwischen den dreien, die so vertraut und harmonisch wirkten. Ganz anders als bei ihr, Naruto, Sasuke und Sai. Es gab immer Zwist. Ob sie in ein paar Jahren auch ruhiger sein würden? Sie hoffte es zum Segen all ihrer noch vorhandenen Nerven.

»Er verlässt die Bar«, informierte Ino sie. Sollte sie jemals den Drang verspüren, sich weiterzubilden, würde Sakura ihr eine Ausbildung zur Sekretärin nahelegen.

»Das, liebe Ino, sehe ich.«

»Dann mach was! Sasuke ist mit Naruto und Tenten beschäftigt, also geh Itachi-san nach, bevor er verschwindet! Los, sonst tu ich es!« Mit gehörigem Schwung schubste sie Sakura von der Sitzbank und drängte sie mit ihren Blicken hinaus. Protest war sinnlos, zumal Sakura keiner eingefallen wäre. Wie in Trance lief sie auf die Straße in die kühle Nachtluft hinaus, die ihre überreizten Nerven traf. Dort ging er, ihr bereits den Rücken zugedreht mit seinem Cousin plaudernd. Noch hatte sie die Chance, nach Hause zu gehen. Niemand würde es je erfahren. Sie hatte die Rechnung ohne ihre Füße gemacht, die sich selbstständig in Bewegung setzten.

»Itachi-san«, sagte sie. Ihre Stimme hob sich von der stillen Nacht ab. Es war unhöflich, jemanden im Gespräch zu unterbrechen, vor allem jemanden seines Ranges, noch dazu, wenn sie keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte. Aus der Not heraus entschied sie sich für die erstbeste Ausrede, die ihr einfiel. »Das Mangekyō Sharingan. Ich habe recherchiert, leider lässt sich nichts über die Funktionsweise des normalen Stadiums herausfinden. Es wäre von Vorteil, sie zumindest in ihren Grundzügen zu kennen.«

Er sah sie abschätzig an, was sie noch unsicherer machte. »Der Aufbau des Sharingans ist ein Familiengeheimnis. Damit kann ich dir nicht helfen.«

»Ja, ja!« Shisui klopfte ihm grinsend auf die Schultern. Es war kein betrunkenes Grinsen, eher eines jener Art, die Ino an den Tag legte, wenn sie mehr wusste als der Rest. Es schürte Sakuras Nervosität nur noch weiter, bis er endlich fortfuhr. »In Sakura-senseis Fall kannst du doch eine Ausnahme machen, Itachi. Immerhin macht sie sich extra die Mühe …« Er wurde leiser, als er realisierte, dass er keine Ahnung hat, um was es ging. »… dir irgendwie zu helfen.«

»Gut. Was möchtest du wissen?«, fragte Itachi unverwandt.

»Könnten wir dieses Gespräch vielleicht nicht zwischen Türe und Angel führen? Ich würde mir sehr gerne einige Notizen machen –«

»Keine Notizen.«

Sie seufzte rau. Beinahe hätte sie bei all ihrer unziemlichen Wollust vergessen, wie frustrierend dieser spezielle ANBU Captain war. »Also schön, keine Notizen. Wenn du darauf bestehst, schlage ich vor, wir gehen essen. Auf leeren Magen kann ich nicht gut arbeiten. Es wäre auch für dich von Nachteil, wenn du alles zweimal erklären müsstest. Ich lade dich ein.«

Itachis Blick wurde skeptisch, als vermute er eine Falle hinter ihrer Einladung, konnte jedoch keine entdecken. Nach kurzem Zögern nickte er zustimmend. »Einverstanden. Wohin möchtest du gehen? Nachdem du bezahlst, überlasse ich dir die Wahl.«

Sakura hob amüsiert eine Augenbraue. »Wie großzügig, Uchiha-sama«, neckte sie sarkastisch. Es dauerte einen Moment, bis er sich damit abgefunden habe, veralbert zu werden, dann schenkte er ihr den Anflug eines Lächelns. Sie erwiderte es strahlender und setzte sich in Bewegung, die Straße in die andere Richtung hinab Richtung Zentrum. Er folgte ihr auf gleicher Höhe in angepasstem Schlendergang. »Ich kenne ein wunderbares Lokal nahe dem Hokageturm. Es ist zwar nur ein kleines Straßengeschäft, aber sie servieren verboten gute Dangos.«

»Ich esse nichts Süßes. Schon gar kein illegales.«

Im ersten Moment wollte sie ihm erklären, dass sie einen Scherz gemacht hatte, erkannte jedoch die Veränderung in seinen Augen. Ach, also waren sie inzwischen dabei angekommen, sich gegenseitig zu verschaukeln? Wie auch immer, sie wiegelte seinen Einwand mit einer ausschweifenden Geste ab. »Jeder isst Süßes. Wenn du schon dabei bist, Ausnahmen zu machen, kannst du diese auch noch riskieren. Hast du wirklich noch nie Süßspeisen gegessen? Was ist das für ein Leben ohne Desserts?«

»Ein gesundes«, erwiderte er schlicht. »Manchmal macht Okāsan Mochi. Allerdings kam ich seit siebzehn Monaten nicht mehr dazu, sie zu essen.«

»Mit Mochi kann ich nicht dienen, aber du wirst von den Dangos begeistert sein!«
 

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Shisui blickte den beiden Gestalten nach, die langsam in der Dunkelheit hinter dem beleuchteten Straßenteil vor der Bar verschwanden. Sie hatten ihn ignoriert; einfach stehenlassen. Er hatte die Hand noch zum Abschiedsgruß erhoben, den sein werter Cousin nicht einmal wahrgenommen hatte. Itachi hatte schon immer nur Augen für das Wesentliche gehabt.
 

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»Zweimal Bancha, zweimal An-Dango, einmal Mitarashi-Dango bitte. Ach was, morgen ist mein freier Tag. Noch einmal Botchan-Dango für's Auge.«

Der Besitzer des Straßenlokals klatschte freudig in die Hände über seine späte Kundschaft. Sakura schmunzelte, als er mit für diese Uhrzeit ungewöhnlichem Enthusiasmus die nahezu perfekt gerundeten Bälle aus mochiko auf einen Teller gab. Hätte sie diesen Enthusiasmus nur auch bei Itachi gesehen, der unbeeindruckt davon neben ihr an der Theke Platz genommen hatte. Was nicht war, konnte noch werden. Sie fischte ihr Portemonnaie aus der Tasche ihres Rockes, klappte es auf und sah –

Sie erstarrte in ihrer Bewegung zu einer Salzsäule, das aschfahle, geschockte Gesicht hinter dem Vorhang ihrer Stirnfransen langsam an peinlich berührtem Rotton gewinnend.

»Ist alles in Ordnung, Sakura-san?«

Es kostet sie einige Überwindung, den Kopf zu schütteln. Wie unsagbar beschämend konnte dieser Abend noch werden? Hatte sie nicht noch groß posaunt, ihn einladen zu wollen? Eine nette Idee; im Nachhinein mit leerem Geldbeutel allerdings eher schwierig umzusetzen. Der Koch stellte den vollgefüllten Teller  vor sie und markierte damit die Grenze zu ihrem vollständigen Unwohlsein. Sie hatte sogar noch geprotzt und viel zu viel bestellt. Von den teureren Gerichten auf der Karte obendrein.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Geld den Besitzer wechselte, der Koch zufrieden nickte und sich für üppiges Trinkgeld bedankte. Verwundert sah sie von ihrem Teller zu Itachi, der die darauf liegenden Speisen argwöhnisch inspizierte.

»Danke«, murmelte sie, doch er schüttelte den Kopf.

»Für vieles, aber nicht dafür«, wandte er ein, einen Spieß mit den dreigefärbten Botchan-Dango aufnehmend. »Grün ist mit grünem Tee gefärbt, rosa mit Anko, gelb mit Eigelb, ist das korrekt?«

Immer noch verblüfft nickte Sakura. Sie hatte nicht vor, sich mit abwiegeln zu lassen. »Ich möchte, dass du meinen Dank annimmst.« Dass sie, nachdem sie bereits so unhöflich gewesen war, ein Gespräch zwischen zwei Älteren zu unterbrechen, nun auch noch ihrem unfreiwilligen Gastgeber Befehle erteile, setzte sich in ihrem Unbewusstsein als unangenehmes Gefühl in der Magengegend fest. Andererseits hatte er sie nie anders erlebt als launisch, laut und sowas wie direkt. Wenn er auf seine Kompromisslosigkeit beharrte, beharrte sie auf ihrer Beharrlichkeit, die sie sich mit jedem störrischen Patienten angeeignet hatte.

»Er ist nicht nötig«, sagte er nach einer längeren Pause. »Als Uchiha bin ich es gewohnt, Erwartungen zu erfüllen.«

Sakura wandte sich schnaubend ab. »Ich habe nicht erwartet, von dir ausgehalten zu werden, Itachi-san. Bis zu meinem Haus sind es bloß fünf Minuten. Ich werde es dir auf jeden Fall zurückzahlen –« Der plötzliche Anflug eines Lächelns auf Itachis sonst so stoischem Gesicht machte sie nur noch verlegener.

»Sakura-san, ich möchte dich gerne einladen. Du machst dir die Mühe, meine Fehlsichtigkeit zu korrigieren. Ein paar Dangos kann ich durchaus erübrigen. Du hast es vielleicht vergessen, aber ich bin ein Uchiha. Wir sind reich.«

Sie verdrehte die Augen, ehe sie nachdenklich einen Schluck ihres grünen Tees nahm. Seine dürftige Erklärung hallte in ihren Ohren wider, als stecke mehr dahinter. Uchiha Itachi sagte selten etwas ohne Grund. »Die Erwartungen im Klan sind hoch.« Eine Feststellung. »Erzähle mir davon.« Ein Befehl. Überraschenderweise leistete er in ruhigem, tiefem Tonfall Folge.

»Die Erwartungen im Klan sind tatsächlich sehr hoch. Ich bin mir nicht sicher, ob man mehr von mir als Erben oder mehr von Sasuke, dessen Vorlage ich bin, erwartet. Es ist unser Prinzip, danach zu streben, was die Familie vorgibt. Für Erwartungen, die erfüllt werden, haben wir keinen Dank übrig.«

»Da ich nicht erwartete, dass du bezahlst, kannst du meinen Dank also annehmen?«, resümierte sie. Dass dies kaum dasselbe war, war ihnen beiden klar.

»Es geht dabei weniger um deine persönliche Erwartungshaltung, sondern vielmehr um die Grundcharakteristika unserer Gesellschaft. Ich habe Geld wie Heu, du nicht. Es wird im Allgemeinen erwartet, dass jemand mit gefülltem Geldbeutel jemanden mit leerem Geldbeutel einlädt.«

Sakura steckte sich einen Dango in den Mund, bloß um sich eine zynische Antwort zu verkneifen. Das Süß in ihrem Mund verhinderte eine Beschwerde ob seiner Annahme, sie sei pleite. Inzwischen wusste sie, dass er es nicht so meinte. »Für meine Begrifft kommt das Wort 'erwarten' viel zu oft vor. Ich …« Sie senkte ihren Blick. »Wir sind gar nicht so verschieden. Es sind Erwartungen, die uns zu dem machen, was wir sind. Ich bin nicht unglücklich darüber, dass man Dinge von mir verlange, die ich mir selbst niemals zugetraut hätte, denn es macht mich stark. Aber es ist falsch, das Leben eines Familienmitglieds kontrollieren zu wollen, bloß weil er das Pech hatte, als erster in einen Klan geboren worden zu sein.«

»So schlimm ist es nicht«, wehrte er ab, den Dango noch immer ungekostet in der Hand haltend. »Ich lasse mich nicht in meinen Entscheidungen beschneiden, selbst nicht von den Ältesten. Meine Loyalität gilt Konoha, dem ich als Shinobi diene. Ich bin kein Diener meiner Familie, sondern der Erbe. Sollte ich mich weigern, müssten sie auf Sasuke zurückgreifen, das wissen sie genau. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das Recht des Familienoberhauptes nach meinem Verzicht nicht auf Asuka-chan übergehen würde.«

Sie verstand die Botschaft, die dahinter steckte. Sasuke war ein ausgezeichneter Shinobi, aber er war keine Respektsperson, die einen Klan anführen konnte. Itachi würde ihm diese Bürde niemals freiwillig antun. Und Asuka schon gar nicht. Zufrieden aß sie den restlichen Dangospieß auf und legte das leere Stäbchen auf den dafür vorgesehenen zweiten Teller. »Wieso ist dein Vater derart vernarrt in seine Nichte? Er hat ganz Konoha gedroht, uns zu Suppe zu verarbeiten, sollte ihr etwas geschehen.«

Itachis rauer Seufzer erstickte im Keim, als er sich von dieser emotionsgeleiteten Reaktion abhielt. Irgendwann würde sie ihn schon bei einer erwischen. »Asuka-chan ist die Tochter seiner älteren Schwester. Da es in wohlhabenden Familien nicht üblich war, sich selbst um das leibliche Wohl seiner Kinder zu kümmern, war sie für ihn seit seiner frühesten Kindheit wie eine Mutter, da sie sich liebevoller um ihn kümmerte als die Amme. Er ikonisiert sie auch heute noch aufgrund ihrer strengen Persönlichkeit, ihrem eisernen Willen und ihrer Unnachgiebigkeit. Sie ist eine Uchiha durch und durch. Hätte sie auf das Recht der Erstgeborenen bestanden, bin ich mir nicht sicher, ob mein Vater als erstgeborener Sohn eine Chance gegen sie gehabt hätte. Ihre einzige Tochter ist darum wie ein eigenes Kind für ihn. Asuka-chan sieht meiner Tante in ihren jungen Jahren außerdem sehr ähnlich. Hinzu kommt, dass wir sehr dicht aneinander wohnen, was die Grenzen der einzelnen Zweige leicht verwischen lassen kann. Otōsan wollte außerdem immer schon ein Mädchen.«

Mit Sasuke hat er ja nicht weit gefehlt. Es lag ihr so schmerzvoll quälend auf der Zunge, dass sie einen Dango nachstopfte, dessen Pendant er immer noch nicht angerührt hatte. Sie stupste es lächelnd mit ihrem eigenen Spieß an. »Wenn du sie schon bezahlt hast, solltest du sie auch essen. Sie beißen nicht, weißt du?«

»Dessen bin ich mir bewusst.«

»Itachi-san? Du solltest dringend lernen, Spaß zu verstehen. Ein Witz hat noch niemanden umgebracht.« Sie steckte sich die Süßigkeiten in den Mund und seufzte wohlig. »Ich verstehe bloß nicht, weshalb Asuka-chan ein Anrecht auf die Führung hätte, falls du stirbst, was, wenn wir ehrlich sind, eher unwahrscheinlich ist. Sie ist weder männlich, noch Mitglied der Hauptfamilie.«

Endlich biss er von einem dem dreifarbigen Botchan-Dango ab, kaute, entschied und schluckte. »Du vergisst, dass die Regeln des Klans keine Gesetzte, sondern Traditionen sind. Wir streben nach Stärke, insofern ist es logisch, dass der Stärkste die Führung beansprucht. Das derzeitige Oberhaupt steht unter der Fuchtel von Asuka-chans Mutter, die den Rat schnell überzeugen könnte, ihr eigen Fleisch und Blut, die Tochter der Anführerin im Geiste, sei eher dazu in der Lage, den Klan zu führen als der zweitgeborene Sohn der Hauptfamilie. Über meine Ansprüche lässt sich nicht diskutieren, überschlägt man jedoch die Rechte einer ersten Tochter und eines zweiten Sohnes, betritt man eine Grauzone, zumal Asuka-chans Schwester immer noch Mitglied des eigentlichen Blutstammes ist. Wäre Sasuke ein Mädchen geworden, bin ich mir sicher, dass Asuka-chan die Stellung meines Vaters geerbt hätte.«

»Ihr seid ein kompliziertes Gefolge«, brummte Sakura. Sie hatte bereits zwei Drittel des Tellers gegessen, den sie ihrem Gastgeber entschuldigend zuschob. »Iss lieber auf, sonst tue ich es. Diese Kalorien abzutrainieren wird mich meine gesamte Freizeit kosten. Wenn sie nicht so gut schmecken würden, wäre mein Leben leichter. Wie kannst du dich nur so zusammenreißen?«

»Jahrelanges Training«, antwortete er, als habe sie eine ernstgemeinte Frage gestellt. »Ich esse aus Überzeugung nichts Süßes, um überflüssige Fettansammlungen zu vermeiden. Es drückt die Muskeln zusammen, macht den Körper schwerer und lässt einen an Agilität einbüßen.« Er zog mit den Zähnen das letzte Bällchen von dem Holzstab, das er wie ein Senbon mit höchster Präzision auf den Teller zurückschnippte, wo es Sakuras zuvor unordentlich hingeworfene Stäbchen zu einer parallelen Ordnung drapierte. »Das bedeutet nicht, dass ich sie nicht essen würde, wenn ich könnte.«

»Angeber«, zischte sie amüsiert und verwirrte die von ihm hergestellte Ordnung rein aus Prinzip mit ihrem letzten Stäbchen wieder zu gewohnter Unordnung. »Ich würde nicht sagen, dass Süßigkeiten die Wurzel des Bösen sind. Wenn man sich damit etwas Gutes tun kann, ist es sogar empfehlenswert, sich ab und an etwas zu gönnen. Die kleinen Freuden des Lebens machen es doch erst lebenswert. Wenn man dadurch ein wenig glücklicher wird, gibt es nichts gegen kleinere Sünden einzuwenden.«

»Sofern sie nicht Überhand nehmen, hast du damit recht.«

Sakura nickte zufrieden mit sich. Es schien fast so, als habe sie ihn verführt. Nicht auf eine der Arten, die Ino vorgeschlagen hatte, aber wenn sie ihm mit ihrer Perspektive einen Denkanstoß gegeben hatte, konnte sie zumindest einen kleinen Sieg für sich verbuchen. Itachi mochte intelligent, gerissen, überlegt und entschlossen sein, Kreativität war jedoch keine seiner Stärken. Er sprach von Grauzonen, dabei war er ein Schwarz-Weiß-Denker. Wie pathetisch.

»Wieso bist du zur ANBU gegangen, anstatt Konohas Exekutivgewalt beizutreten?«

Er schnippte sein zweites Stäbchen weg, diesmal weniger angeberisch. Es fiel auf eine zufällige Stelle des Tellers. »Dort wäre mein Talent verschwendet gewesen. Außerdem mag ich es nicht 'Uchiha-sama' genannt zu werden. Wieso willst du all diese Dinge über meine Familie wissen?«

Ertappt zuckte sie die Schultern. Sie könnte irgendeine Ausrede erfinden, doch wenn er schon einmal falsch lag, wollte sie gerne seine Reaktion darauf beobachten. »Nicht über deine Familie. Über dich«, korrigierte sie ihn lächelnd. »Du bist immerhin Sasukes großer Bruder, wir waren zusammen auf einigen Missionen und nachdem ich in den Genuss deiner stärksten Technik gekommen bin und du in den meiner Faust, sind wir doch sowas wie Freunde, oder?«

»Das war bei weitestem nicht meine stärkste Technik.« Itachis dunkle Augen blitzen einen Moment rot auf; so kurz, dass sie nicht sicher war, ob er die Sharingan tatsächlich mit Absicht aktiviert hatte. Sein ernster Blick enthielt eine Warnung. Uchihas sprachen mit ihren Augen; Itachi war ein Meister darin. Sie fröstelte unwillkürlich, als er sprach. »Ich kann sehr viel zerstörerische Jutsus anwenden. Gegen meine Feinde und auch gegen meine Freunde.«

Sakura blinzelte. Es war klar, auf was er hinauswollte. Er verlangte eine Entscheidung. Ob unbewusst oder bewusst, wagte sie nicht zu beurteilen. Klar war jedenfalls, dass er sie vor eine Wahl stellte, bei der er ihr alle Freiheiten ließ. Sie konnte ihn fürchten, wie so viele andere, nun, da sie verstanden hatte, wie tödlich er sein konnte. Die Erinnerungen an die Tsukuyomi waren der Beweis, dass er sie mit einem Augenzwinkern vernichten konnte. Oder sie konnte einen Schritt weiter gehen. Ignorieren, was ihr Angst machte. Sich ihm stellen, nicht zurückzuweichen, bis es ihr keine Angst mehr machte. Als sie seinen nackten Unterarm mit ihren Fingerspitzen berührte, durchfuhr sie erneut dieser köstliche Schauer, den er nicht zu verspüren schien, wofür sie ihn am liebsten umgebracht hätte.

»Du bist nicht so furchteinflößend wie du denkst, wenn du einen An-Dango in der Hand hältst.«

Es war eine Lüge, für die er dankbar nickte.

»Welche ist deine stärkste Jutsu? Die Tsukuyomi ist schon äußerst imposant. Ich kann mir nur schwer vorstellen, etwas Grausameres zu erleben. Dabei war ich kaum eine Stunde darin gefangen.«

»Sei lieber froh, dass du es nicht kannst. Es gibt da draußen viel zu viel Dunkelheit. Ich möchte nicht wissen, wie viel Abscheulichkeit Akatsuki in sich trägt. Im Vergleich zu den Dingen, die sie den Jinchūriki auf ihre Feldzug gegen alles Gute und Rechte antun, ist eine Stunde in der Tsukuyomi harmlos. Du hast nicht gesehen, wie Nii Yugitos Körper aussah, als man sie fand.«

Sakura zog ihre Hand zurück, um einen Schluck von ihrem Tee zu nehmen, der verwaist am Rand der Theke gestanden hatte. Er war inzwischen kalt, was ihr vor Augen führte, wie lange sie bereits hier saßen. Und wie lange sie schon mit Uchiha Itachi in ein Gespräch vertieft war. »Ich las die Berichte, die mir Tsunade-sama gab«, erklärte sie, die Finger an die kalte Tasse gelegt. »Aschefarbene Haut, weit aufgerissene Lippen, als habe sie stundenlang geschrien, und ein Entsetzen in den Augen, das bei trüben Iriden nicht vorzufinden sein dürfte. Es ist grausam, was Akatsuki ihr angetan hat. Ihr höheres Ziel ist gewiss noch grausamer. Jede neue Mission hat etwas mit ihnen zu tun. Darum möchte ich nicht auch noch in meiner Freizeit darüber reden. Ich sehe jeden Tag den Tod, ob im Krankenhaus oder auf Aufträgen. Beim Essen darüber zu sprechen, macht es noch schwerer.«

»Wir sind Shinobi«, wandte Itachi ein. »Unser Beruf wird immer primär sein. Wir wurden nicht zu Werkzeugen Konohas, um in Bars zu trinken und mit Freunden zu lachen, sondern um unserem Land zu dienen.«

Sakura schüttelte den Kopf. »Das mag schon stimmen, aber müssen wir deswegen alles andere wegschmeißen? Ist es uns deshalb verboten, in Bars zu trinken und mit Freunden zu lachen oder Dangos mit Kollegen zu essen? Wir führen ein sehr tristes Leben, farblos bis auf Blutrot, aber sind wir darum weniger Menschen? Ich finde deine Fähigkeit, dich völlig auf das Leben als Shinobi einzulassen, bewundernswert, aber ich kann es nicht. Und wenn ich es könnte, würde ich alle daran setzen, es nicht zu tun. Es gibt noch so viel mehr, das uns ausmacht, als Chakra und Fingerzeichen. Nach allem sind wir noch Menschen mit Träumen, Wünschen, Emotionen und Verlangen. Niemand würde es dir nicht nachsehen, würdest du dich einmal im Leben hemmungslos betrinken.« Sie lachte amüsiert über diesen Gedanken. »Ich würde dich sogar nach Hause bringen, wenn es soweit ist.«

Itachis Schmunzeln war das erste, das er ihr jemals geschenkt hatte. »Ich nehme dich beim Wort, Sakura.«

 
 

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Tsunade warf einen unzufriedenen Blick auf den klaren, blauen Novemberhimmel. Der Dezember würde bald kommen und mit ihm die obligatorischen Diskussionen, die sie in der angespannten politischen Gesamtsituation nicht brauchen konnte. Normalerweise schickte sie Shimura Danzō und Uchiha Fugaku mit ihren sinnlosen Anliegen wieder weg. Wenn zwei der drei mächtigsten Männer des Dorfes jedoch geballt vor ihrem Schreibtisch standen, ernsten Blickes und auf die Erlaubnis wartend, ihre Fehde vor der Hokage weiter ausfechten zu dürfen, hatte sie schlechte Karten, sie ohne Argumentation loszuwerden.

Fugaku, dieser Sturkopf, war selbst schuld an dem Dilemma, in dem er sich befand. Er wusste haargenau um Danzōs Unwillen, die Uchihas weiterhin zu unterstützen. Ihm hätte klar sein müssen, dass er jede Anschuldigung auf eine hypothetische Übermacht des zweitmächtigsten Klans in Konoha ummünzen würde. Wie genau der diesjährige Disput angefangen hatte, wollte Tsunade gar nicht erst wissen. Nach den zwei Monaten, die Jiraiya gebraucht hatte, um zu genesen, hatte sie weiß Gott Besseres zu tun, denn zwischen zwei Kleinkindern zu vermitteln, die sich um ein Spielzeug stritten. Wenn diese Kleinkinder nicht Anführer zweier mächtiger exekutiver Gruppierungen gewesen und das Spielzeug nicht die vorherrschende Strafvollzugsgewalt dargestellt hätte. Aus diesem Grund konnte sie nicht einfach ignorieren, was sich vor ihrem Schreibtisch abspielte. Die Diskussion der beiden Männer war inzwischen nämlich zu einem handfesten Streitgespräch geworden, dessen Inhalt sie einige Minuten lang lauschte.

»Es nimmt langsam Überhand«, brummte Danzō seinem Kontrahenten entgegen, der mit verschränkten Armen in der Robe seines Klans breitbeinig neben ihm vor Tsunade stand. Sie weigerte sich, den Blick vom klaren Winterhimmel zu nehmen.

»Du hast doch keine Ahnung von richtiger Politik, Shimura! Alles was du kennst, sind Korruption und Heuchelei!«

»Das ist Verleumdung! Hokage-sama, es ist bewiesen, dass der Uchihaklan das Dorf übernehmen wollte, um einen wahnwitzigen Anspruch der Gründerfamilie geltend zu machen, der niemals vereinbart wurde! Es ist kaum zehn Jahre her, dass man sie bei dem Versuch erwischte –«

Tsunade hob ihre Hand und Danzō verstummte schlagartig. Er wusste, dass er zu weit gegangen war. Wenn es etwas gab, das sie nicht duldete, war es die Erwähnung des vereitelten geplanten Übergriffs auf ihren ehemaligen Sensei. »Ich möchte diese alten Kamellen nicht aufwärmen. Vergessen wir nicht, dass es ein Mitglied ebendieses Klans war, das diesen angeblichen Plan meldete. Das Missverständnis wurde damals geklärt und ad acta gelegt.«

»Das Missverständnis war ein Mordversuch!«, wandte Danzō ein. Er wurde von einer tiefen, sachlichen Stimme eines neu eingetretenen Shinobi unterbrochen. Tsunade schüttelte wenig überrascht tadelnd den Kopf. Natürlich war er nicht weit, wenn es um die Familie ging.

»Ein Mordversuch, für den keinerlei Beweise vorlagen.« Itachi kam neben seinem Vater zum Stehen. Dieser nickte bekräftigend. »Die Ältesten entschieden, den Fall als unglückliche Verkettung von Umständen zu behandeln, nachdem mein Vater unser aller Unschuld beteuerte. Wollen Sie die Beschlüsse der Goikenban infrage stellen, Shimura-san?«

»Das steht mir nicht frei.« Was er wirklich darüber dachte, blieb ungesagt, aber nicht unbemerkt. Tsunade schritt ein, ehe die Situation eskalieren konnte.

»Mir liegt ein Antrag vor, den Uchihaklan aufzulösen und jedem demnach ehemaligen Mitglied seinen Status abzuerkennen. Hast du etwas dazu zu sagen, Danzō?«

Er hielt herausfordernd den Blickkontakt aufrecht, verwies jedoch bloß auf das Dokument, dessen Seiten aufgefächert auf dem Schreibtisch vor ihr lagen. »Meine Argumentation ist detailliert in den einzelnen Punkten aufgeführt, Hokage-sama.«

Sie zischte verächtlich. »Deine Höflichkeit kannst du dir sparen. Die Begründungen sind, wie ich annehme, dieselben, die du seit Jahren vertrittst?« Zustimmendes Nicken. Tsunade verbat sich erneutes unprofessionelles Zischen.

»Den Klan aufzulösen ist absurd!«, mischte Fugaku sich ein, als er ihr Zögern bemerkte. »Wir sind immer noch Konohas Exekutive. Es würde immense Kosten, bürokratische Ressourcen und Verwaltungsarbeit benötigen, um unsere Arbeit zu ersetzen, die wir nebenbei bemerkt nahezu völlig autark finanzieren. Der Uchihaklan ist ebenso wie der Hyūgaklan fest in Konohas Politik verwurzelt. Gegen den hast du auch nichts einzuwenden, Shimura!«

Diesmal zischte Danzō verächtlich, wich jedoch zurück, als Itachis mahnender Blick ihn streifte. Den Mut zu sprechen nahm er ihm leider nicht. »Darin liegt das Problem! Der Hyūgaklan ist in der Legislative in einer beratenden Funktion tätig. Er stärkt die Reihen des Dorfes und bereichert unsere Schlagkraft um ein Vielfaches! Der Uchihaklan hat zusätzlich zu seinem Posten im Entscheidungsgremium auch noch die gesamte exekutive Gewalt inne, die nicht einmal vom Dorf unterhalten wird! Dass ihr keine Kosten verursacht, mag ja für unser Budget vorteilhaft sein, aber wo bleibt dabei die Gewaltentrennung?«

»Es gibt keine Gewaltentrennung«, wandte Tsunade ein, verärgert über die Dreistigkeit der drei Männer, sie zu ignorieren. »Ich bin die Gewalt in Konoha, findet euch damit ab. Danzō, du müsstest es besser wissen. Ich werde keinen Klan auflösen, der für mein Dorf derart wichtig ist. Vielleicht gibt es ab und an Spannungen, weil sich gewisse Uchihas –« Sie funkelte Fugaku mahnend an. »– einbilden, sie müssten sich in gewissen Dingen über Konoha stellen. Ich denke da an den Übergriff Orochimarus, bei dem unser ehrenwerter Sandaime getötet wurde, während einige fähige Shinobi einer gewissen Familie sich nahezu vollzählig mit den Zivilisten im Evakuierungskreis befanden. Doch wir alle wissen, wie unsere Klans sind – würde ich diese Eskapaden berücksichtigen, müsste ich jede größere Familie einschließlich unserer geschätzten Hyūgas zerschlagen.« Sie wanderte wieder zu Danzō. »Was die Gewaltenteilung betrifft, so bist du dir hoffentlich darüber im Klaren, Danzō, dass ich zum einen aus ausgleichender Gerechtigkeit nichts gegen deine kleine ANBU-Gruppierung unternehme, die du dir so eng um den Leib hältst – und glaube nicht, dass ich nicht weiß, wozu du sie herangezüchtet hast – zum anderen wurde schon vor über drei Jahren beschlossen, speziell dafür ausgebildete Ninjas außerhalb des Klans in die Exekutive einzugliedern, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Hast du dem etwas hinzuzufügen, Fugaku?«

Sie wartete einige schweigsame Sekunden, dann strich sie den Antrag mit einem vorbereiteten roten Pinsel sowie dem gemurmelten Worten 'einfach lächerlich' vor allen Anwesenden durch.

»Sonst noch etwas?«

»Ja.« Itachi machte einen Schritt nach vorne auf ihren Schreibtisch zu, hinter dem sie sich nachdenklich auf die Lippe biss, als er fortsetzte. Dieser lästige ANBU Captain. »Hokage-sama, hat man etwas von Kakashi-sans Team gehört?«

Tsunade wandte ihren Blick über verschränkten Armen erneut aus dem Fenster, das ihr gegenüber der ernsten Mienen in Richtung Tür eine so wohltuende Abwechslung bot. Ihm waren die Gerüchte also zu Ohren gekommen. Die Reformierung der dortigen Spezialeinheit, die neuen Verträge, die Gründung des Neuen Rats. Entweder hatten sie ein großes Informationsleck im Reich des Nebels, oder aber sie versuchten geschickt ihre Machtansprüche zu implizieren. Tsunade seufzte.

»Kakashi befinden sich zusammen mit Tenzō, Hyūga Hinata und Hyūga Neji immer noch in Kirigakure. Laut ihren Berichten befindet sich Mizu no Kuni im sozialen Umbruch«, resümierte sie gegen das Fenster, das sie vorsorglich schloss. Sollte die Godaime Mizukage keine perfide Einschüchterungstaktik einstudiert haben, konnte Tsunade nicht sicher sein, ob es in Konoha nicht auch die ein oder andere Sickergrube gab. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Menschen, denen sie vertraute, die Prinzipien des Dorfes verrieten. »Unser Problem ist, dass Terumī Mei Hand in Hand mit dem Daimyō des Wasserreichs arbeitet, um die vielen Inseln, die eigentlich ein hohes Maß an Unabhängigkeit gegeneinander aufgebaut hielten, zu einer Einheit formt. Das ist inzwischen nichts Neues mehr und theoretisch könnten wir unsere Leute abziehen. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob andere Leute ihre utopische Versöhnungsbestreben nicht ausnutzen wollen.«

»Akatsuki?«, hakte Itachi nach. Er war sichtlich unzufrieden mit ihrer ausschweifenden Antwort. Welch Glück, dass sie Hokage war und er ihr Untergebener.

»Akatsuki, Iwagakure, Kusagakure, wer auch immer. Ich bin es leid, es immer wieder sagen zu müssen, aber der einstige Frieden, der zwischen uns herrscht, ist längst zerbröckelt. Es kommt nur mehr darauf an, wie lange der Mörtel die losen Teile noch zusammenhält. Eine freudige Aussicht, nicht wahr?« Sie stieß raues Raunen aus, das ihre Missbilligung bezeugte. »Wenn Terumī – … nun, eher sobald sie ihr Reich zu einem Strang verwebt hat, wird sie über eine Schlagkraft verfügen, die unserer um nichts nachsteht. Mizu no Kuni mag sehr viel kleiner sein als Hi no Kuni, aber sie haben ebenso viele Shinobi wie wir. Brutaler und meuchlerischer, wenn ich mir dieses Urteil erlauben kann. Kirigakure gehört nicht ohne Grund zu den fünf Großmächten, das sollten wir nicht vergessen, bloß weil sich diese Macht einige Jahre lang zerstreut hatte. Sollte sich ihr Wunsch nach Einigkeit innerhalb ihres Landes zu Durst nach territorialer Erweiterung formen, wird sie schnell Verbündete dafür finden. Amegakure unter Akatsukis Kontrolle zum Beispiel, und Orochimarus Anhängerschaft in Otogakure. Nicht zu vergessen Kusagakure, das umringt von Großmächten als Schlachtfeld für unsere Dispute herhalten musste. Seine Nähe zu Amegakure und damit Akatsuki ist kritisch, sollte dieser Pain-sama oder wie sie ihn nennen damit beginnen, uns gegeneinander auszuspielen. Kusa, Kiri und Iwa haben allen Grund, wütend mit uns zu sein. Sollte das jemand ausnutzen, können diese Krisenherde leicht zu einem lodernden Lauffeuer eskalieren.«

Itachi schnallte seine Armschiene enger. »Sollen Yūgao, Shisui und ich Yamato-sans Team in Kirigakure unterstützen?«

Sie setzte sich, in Gedanken rekapitulierend, was sein Vorschlag für einen Sinn machen würde. Unterstützung war vielleicht vorteilhaft, doch es gab etwas anderes, das ihr Sorgen machte. Solange der Bote aus Sunagakure nicht zurückgekehrt war, wollte sie lieber nicht zu vorschnell handeln. »Nein. Derzeit gibt es nicht viel, das getan werden kann. Ich habe wohl keine Wahl, als ein wenig Öl ins Feuer zu gießen, um uns zumindest einen kleinen Vorsprung zu gewähren. Shizune!«, schallte ihre Stimme lautstark durch die Tür, durch die ihre Schülerin und Assistentin geeilt kam.

»Ja, Tsunade-sama?«

»Statte dem Krankenhaus und unserer reizendsten Oberärztin einen Besuch ab. Sie soll umgehend zu mir kommen.«
 

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»Das wird schon wieder.«

Sakura zog ihre Hände zurück und richtete ihre verrutschten Kittel. Ihre Patientin vor ihr seufzte erleichtert. Sie für ihren Teil war nicht minder froh, dass diese Untersuchung inoffiziell durchgeführt worden war. Kein Papierkram, zusätzliche Arbeit und vor allem: keine Rechtfertigungsversuche vor Uchiha Fugaku, der immer etwas auszusetzen hatte.

»Danke, Sakura-sensei«, sagte Asuka erfreut über diese positive Nachricht.

»Wie kam es zu dem Rippenbruch? Du müsstest schon sehr ungünstig gefallen sein.«

Das schwarzhaarige Mädchen sog verlegen ihre vollen Lippen ein und schlug den für eine Uchiha ungewöhnlich dunkelblauen Blick unter dichten Wimpern nieder, wobei sie Sakura an Itachi erinnerte. Sie hätte ihn für seine langen, dunklen Wimpern ermordet, wenn sie diese dadurch bekommen hätte. Asuka hatte mit ihrem Aussehen Glück, um das sie sie fast beneidete. Sie war mit ihren mittlerweile dreizehn Jahren groß, athletisch und hatte nicht zu verkennende Ansätze weiblicher Formen. Dies, gepaart mit ihrer makellosen Haut und dem samtenen Haar, machte sie zu einer der begehrtesten Kunoichis ihres Jahrgangs.

»Sharingan«, murmelte sie ein wenig verlegen. Dass sie plötzlich schüchtern geworden war, ließ Sakura aufhorchen.

»Sharingan?«, wiederholte sie skeptisch. »Lass es mich ansehen. Kannst du es aktivieren?«

Asuka nickte, schloss die Augen und als sie sie wieder aufschlug, leuchteten sie statt saphirblau in Scharlachrot. Die Falten um ihre Nase hatten sich vertieft, so wie es immer passierte, wenn jemand das Sharingan benutzte. Ihre weit aufgerissenen Augen entspannten sich nach der ersten Chakrawelle, die sie zur Aktivierung ihres Bluterbes losgelöst hatte. Sakura zückte ihre kleine Taschenlampe, um sich die roten Iriden genauer anzusehen.

»Seit wann kannst du es einsetzen?«, fragte sie, konzentriert auf das andere Auge wechselnd.

»Seit etwa einer Woche. Wir trainierten mit Tekuno-sensei, als Mitsuki mich angriff. Ich wollte ausweichen, war allerdings zu langsam. In meiner Panik muss ich es wohl aktiviert haben.« Sie senkte beleidigt den Blick. »Okāsan schimpfte, weil ich es erst mit dreizehn konnte, während Itachi-niisan oder Shisui-niisan nicht einmal zehn waren.«

Diese Uchihas. An einem Maßstab zu messen, der nahezu unerreichbar war, konnte nicht gesund sein für ein Mädchen ihres Alters. Sakura konnte nicht aus Erfahrung sprechen, dennoch waren die Anforderungen, die seit Jahren an sie gestellt wurden, ein schaler Vorgeschmack auf den Druck, unter dem Asuka stand.

»Lass dich von ihr nicht verunsichern, Asuka-chan«, versuchte Sakura sie aufzuheitern. Die Sharingan sahen gesund aus. Mit dieser Feststellung ließ sie ihre Patientin ihr kekkei genkei deaktivieren und zog einen Hocker an den Untersuchungstisch. »Deine Mutter glaubt daran, dass du es irgendwann mit Itachi und Shisui-san aufnehmen kannst. Wie man hört, bist du die neue Hoffnung des Klans. Du wärst es nicht, wenn nicht in deine Fähigkeiten vertraut würde. Außerdem ist es sehr selten, dass Kunoichis das Sharingan nutzen können. Sei lieber stolz auf dich. Wurdest du schon einmal von jemandem deines Alters besiegt?«

Plötzlich verfinsterte sich Asukas Blick zu einem tiefdunklen Mitternachtsblau, das unter ihren schmalen Augenbrauen in dem definierten Gesicht funkelten. »Hanabi, diese eingebildete Wichtigtuerin. Sie ist bloß zwei Jahre älter als ich, aber seit sie als Ersatz für Moegi-chan in Konohamaru-kuns Team ist, spielt sie sich auf wie … wie …«

»Eine eingebildete Wichtigtuerin?«, komplettierte Sakura lachend. Es war eine betreffende Beschreibung für Hyūga Hanabi. Sechzehn Jahre jung, Chūnin und seit neuestem wohl auch endlich im Besitz einer Erzfeindin. Jeder Uchiha hatte einen Hyūga, der besser war als er selbst – außer Itachi und Shisui vielleicht, die zwar ihre Probleme mit Hyūga Neji haben mochten, in einem direkten Ringkampf aber vermutlich dennoch die Nase vorne hätten. Es war ein zweites Naturgesetz nach dem Nara-Axiom, das immer dann eintraf, wenn ein Rotauge auf ein Weißauge traf. Sie würde niemals diesen Kampf zwischen Neji und Sasuke vergessen, der einfach so auf der Straße entbrannt war, bloß weil jemand jemanden angesehen hatte oder auch nicht. Es war nie geklärt worden, weshalb sie sich geprügelt hatten.

»Nicht nur das«, präzisierte Asuka. »Sie ist leider so gut wie sie denkt, aber das gibt ihr nicht das Recht, mich niederzumachen. Beim nächsten Mal werde ich sie in den Boden stampfen.«

Sakura konnte nicht anders, als amüsiert zu lachen. Der Tag konnte so schlecht als möglich sein; solange ein Uchiha einen guten Kampf bekam, war es ein guter Tag. »Dieser Kampfgeist ist sehr lobenswert, aber übertreibe es nicht, Asuka-chan. Du musst dich zuerst an das Sharingan gewöhnen. Laut Sasuke ist es in den ersten Monaten sehr schwierig, Dōjutsus aufrechtzuerhalten. Zu allererst solltest du an der Präzision des Sharingans arbeiten, danach kannst du Hanabi-chan immer noch verprügeln. Ach herrje, dass ihr Klans aber auch immer in Rivalitätsmustern denken müsst.«

»Itachi-niisan tut das nicht«, belehrte ihre Patientin sie, als wäre Konkurrenzdenken etwas moralisch Verwerfliches.

»Ja, ja«, winkte Sakura beiläufig ab. »Itachi hat es auch nicht nötig. Mit wem sollte dieses unverschämt perfekte Genie auch konkurrieren? Manchen Leuten wird diese gerechtfertigte Arroganz, mit der sie andere Leute in all ihrer wahren Tadellosigkeit nahezu mit pathologischem Drang belehren, einfach in die Wiege gelegt.«

Dass Asuka sie auf diese Feststellung hin mit gespitzten Lippen und zusammengeschobenen Augenbrauen nachdenklich musterte, entging ihr zuerst, da sie sich ein paar private Notizen zu dem neu erwachten Sharingan auf einem Schmierzettel machte, den sie sicherheitshalber immer mit sich trug. In Wahrheit wusste sie immer noch nichts über die Funktionsweise des kekkei genkeis. Itachi und sie hatten die Nacht am Dangostand vor zwei Wochen damit zugebracht, über alles und nichts zu reden, anstatt zu arbeiten. Sie kam nicht umhin, in warmer Erinnerung daran zu denken. Trotzdem hatte sie seither nichts in dieser Richtung zusammengebracht; die letzten zehn Tage hatte sie mit Naruto und – zu ihrem Leidwesen – Sasuke zugebracht, ihre restliche Freizeit hatte sie für einige wichtige Operationen im Krankenhaus geopfert.

»Was ist?«, fragte sie skeptisch, als sie endlich bemerkte, dass sie angestarrt wurde.

Asuka verzog grinsend den Mund. »Itachi also?«

Verwirrt zog Sakura eine Augenbraue empor. Es dauerte, bis sie realisierte, auf was seine Cousine anspielte. Die fehlende Höflichkeitsform hatte zurecht ihren Argwohn geweckt. Sakura hatte nicht einmal bemerkt, dass sie das Suffix weggelassen hatte. Nachdem Itachi das ihre zuerst hatte fallen lassen, war es ihr gutes Recht, es ihm gleichzutun. Das war gelogen, weil sie Chūnin war und er ANBU Captain, doch das brauchte Asuka nicht zu wissen.

»Was läuft da zwischen Ihnen und ihm, Sakura-sensei?«

»Nichts. Hör mit diesem schelmischen Gesichtsausdruck auf und gib meinen Behandlungstisch frei, ehe ich es mir anders überlege und deinem Cousin erzähle, dass du unvorsichtig genug warst, dir eine Rippe brechen zu lassen«, befahl sie tadelnd und scheuchte die junge Kunoichi aus dem Behandlungsraum, um nicht Opfer irgendwelcher Fantastereien zu werden. Hoffentlich plauderte sie nicht gerne aus dem Nähkästchen. Glücklicherweise war Asuka viel zu sehr Uchiha dafür. Noch nicht derart stur und selbstbewusst, aber eher schweigsam, sobald es nicht mehr um shinobirelevante Themen ging. Es war etwas, das sie mit ihrem verehrten Cousin gemeinsam hatte. Dieser Fokus auf das Shinobileben. Wie sehr es sie sonst nervte; und wie froh sie heute darüber war. Zwischen ihr und Itachi lief rein gar nichts, was sie tief in ihrem Inneren unzufrieden machte, weil sie wusste, dass sie keine Chance hätte. Er verdiente jemanden, der ihm das Wasser reichen konnte.

Mit einem Mal unzufrieden mit der Gesamtsituation, begann sie wahllos den Inhalt irgendwelcher Schubladen zu sortieren. Ärzte waren derlei Dinge betreffend schlampig, sie selbst bildete keine Ausnahme. Sie hatte bloß nichts besseres zu tun als Medikamente neu zu sortieren, sodass sie sie in Zukunft leichter finden konnten. Die wiederhergestellte Ordnung würde für exakt zwei Tage bestehen bleiben, was ihr Unterfangen ziemlich sinnlos machte.

»Sakura?« Es war Shizune, die den Kopf in das Behandlungszimmer steckte. Sie war in ihren üblichen kimono gekleidet, was darauf schließen ließ, dass sie außer Dienst war.

»Hallo, Shizune-san. Kann ich etwas für dich tun?«

Sie nickte bestätigend. »Ja. Tsunade-sama erwartet dich in ihrem Büro. Du solltest dich lieber beeilen, es ist dringend.«

Fragend streifte Sakura ihren Kittel ab, um ihn auf den Schreibtisch zu werfen. Sie hatte genügend, auf diesen kam es nicht an. »Was genau ist dringend? Ich möchte lieber vorbereitet sein.«

»Das muss sie dir selbst erklären.«

Sakuras Gefühlslage schwang in vorsichtige Skepsis um. Etwas an diesem Tag war faul, das hatte sie schon beim Aufstehen gemerkt. Was das war, würde sie schon bald herausfinden.
 

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Ihre neugierigen Schritte trugen sie schneller als üblich vom Krankenhaus zum Hokageturm, dessen Treppen sie hinaufeilte. Ohne außer Atem zu sein – ihrem früheren Konditionstraining mit Lee sei dank – betrat sie das Büro ihrer Lehrmeisterin durch eine weit geöffnete Tür, die sie hinter sich schloss. Wenn sie Mist gebaut hatte, wollte sie lieber nicht, dass halb Konoha es mitbekam. Die Fenster am Ende des Zimmers waren geschlossen. Tsunade wollte also auch nicht von der ANBU gestört werden.

»Sie wollten mich sprechen, Shishō?«

»Schön, dass du da bist, Sakura.«

Als hätte sie eine Wahl gehabt. »Sehr gerne? Ich frage mich nur, wieso ich es bin. Ist etwas geschehen?«

»In der Tat.« Tsunade legte ihre Hände auf der Tischplatte ineinander. Sie behielt es sich vor, hinter dem verschwindend kleinen Aktenstapel sitzen zu bleiben, der ihre sonst so überladenen Tisch merkwürdig groß und leer aussehen ließ. »Ich möchte, dass du mir zuhörst und erst wieder sprichst, wenn ich es dir erlaube. Keine Freudenschreie, Wutausbrüche oder Schimpftiraden. Und kein Einsatz deiner Fäuste, da ich mein Büro vermutlich noch brauchen werde.«

Dieser Befehl war merkwürdig. Dennoch nickte Sakura einverstanden.

»Gut. Heute Morgen waren Uchiha Fugaku und Shimaru Danzō bei mir, um ihren lächerlichen Streit wie jedes Jahr um diese Jahreszeit auszutragen. Uchiha Itachi war ebenfalls anwesend. Er brachte mich mit einer Bitte, sein Team als Unterstützung nach Kirigakure zu schicken, zu dem Schluss, dass unsere Lage langsam aber sicher kritischer wird, als wir tatenlos hinnehmen können. Aus diesem Grund erhebe ich dich, Haruno Sakura, Kraft meines Amtes, mit sofortiger Wirkung in den Rang eines Jōnin. Herzlichen Glückwunsch.«

Nun wusste sie auch, wieso Tsunade ihr jede Reaktion verboten hatte. Ein Tobsuchtsanfall bahnte sich seinen Weg nach oben. Noch vor vier Jahren hätte sie sich gefreut, vor drei oder zwei Jahren ebenso. Doch heute … sie hatte in den letzten Monaten nichts Nennenswertes geleistet. Jiraiyas Rettung fiel aus der offiziellen Bewertung, Empfehlungen ihrer Eltern gab es nicht und auch sonst wüsste sie niemanden, der Tsunade auf die aberwitzige Idee bringen hätte können, sie aus heiterem Himmel in die Elite zu katapultieren, wo sie mit wehenden Fahnen untergehen würde! Sie dachte kurz nach, die wallende Empörung mühsam unterdrückend.

»Spuck' es aus, ehe du daran erstickst. Du hast die Erlaubnis, zu sprechen«, bot Tsunade ihr freigiebig an. Länger hätte sie ihr Mundverbot auch nicht ausgehalten.

»Danke, Tsunade-sama –« Wie gelogen das war! »– und verzeihen Sie meine Dreistigkeit, aber wieso um alles in der Welt?! Was bringt Sie auf den Gedanken, mich gerade jetzt zu befördern? Was habe ich in der letzten Zeit Herausragendes getan, dass Ihnen genau heute einfällt, mich zum Jōnin machen zu müssen?«

»Welch Erdreistung.« Die Hokage lächelte milde, aber ernst. »Ich hätte mir keine geringere Reaktion erwartet. Temperamentvoll wie eh und je; aufmüpfig gegen deine Meisterin noch dazu. Wenn du einem Loblied auf deine Leistungen lauschen möchtest, kann ich es dir gerne vorsingen. Du konntest Akasuna no Sasori töten, Jiraiyas und Mitsukis Leben retten, du hast verhindert, dass Naruto vor einigen Monaten fast das Dorf zerstört hätte und nach allem, was ich sehe und mir meine Jōnin berichten, agierst du klug, schnell und lobenswert auf Missionen. Deine Arbeit im Krankenhaus ist vorbildlich, ebenso wie die auf dem Schlachtfeld, selbst wenn du manchmal nicht den Standards gewisser ANBU entsprechen magst. Ich schätze deine Impulsivität, weil sie dich instinktiv handeln lässt. Das ist deine größte Stärke, die ich seit einem Jahr vermehrt beobachte.«

»Danke«, antwortete Sakura höflich. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Sie sagen, Sie beobachten mich seit einem Jahr. Wieso also jetzt? Ist es, weil ein Krieg bevorsteht? Brauchen Sie eine schlagkräftige Armee? Ich werde nicht stärker, bloß weil mein Rang nun höher ist.«

»Dessen bin ich mir bewusst.« Tsunade löste ihre Hände auseinander, stand auf und ging um den Tisch, sodass sie vor ihrer selbstzweiflerischen Schülerin stand. »Trotz allem ist dies der Grund. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich dich schon vor einem Jahr zum Jōnin ernannt. Du hättest es verdient. Aber ich konnte nicht.« Sie seufzte und lehnte sich an die Tischkante. »Bist du dir der wahren Gründe, wozu es diese Unterteilung in Chūnin und Jōnin gibt, bewusst, Sakura?«

Sie nickte. Man lernte schon an der Akademie die Unterscheidung der Ränge, die Elite von Mittelklasse abtrennte. Es war ein einfaches Kastensystem.

»Das bezweifle ich. Hast du dir jemals Gedanken darüber gemacht, wieso es innerhalb der Ränge Chūnin und Jōnin oft fließende Grenzen gibt? Wieso diese beiden Klassen gemeinsam auf Missionen gehen dürften, Teams aus ihnen gemischt werden und sogar reine Chūnin Teams auf A-Klasse Missionen gehen, während Jōnin manchmal B-Klasse absolvieren?«

Erneutes Nicken. »Weil die Teams entsprechend der Fähigkeiten zusammengestellt werden, die der Anforderung der Mission am ehesten entsprechen.«

»Das, Sakura, ist der Grund, den wir nennen, wenn man uns fragt.« Tsunades ernstes Lächeln verblasste, als sie die Arme vor der Brust verschränkte. »Eine weitere Frage: hast du dich jemals gefragt, wieso es eine Auswahlprüfung für Chūnin gibt, aber nicht für Jōnin? Ich werde es dir sagen, weil du es nicht wissen kannst. Chūnin grenzen sich von Genin ab. Mit dem Rang der Mittelklasse steigt man vom Eleven zum Ausgelernten auf. Es hilft der Verwaltung dabei, Missionen korrekt zuzuweisen. Doch ab dieser Grenze, die ein Chūnin nach der Prüfung und einem gewissen Maß an Erfahrung überquert, sind derartige Unterscheidungen nicht mehr relevant. Der Grund, wieso wir eine weitere Unterscheidung treffen, ist nicht etwa ein bürokratischer, sondern ein politischer.«

»Ich verstehe nicht, Tsunade-sama …«

»Es ist im Prinzip sehr einfach. Die Akten von Genin und Chūnin dürften laut den geltenden Regelungen der Friedensverträge von allen Ländern eingesehen werden. Akten der ANBU und Jōninränge unterliegen der Geheimhaltung. Nicht einmal ihre genaue Anzahl ist bekannt. Wer aber sind Jōnin? Das sind Shinobi und Kunoichis mit speziellen Fähigkeiten, die wir nicht gerne preisgeben. Die Länder erheben all jene Ninjas in diesen Rang, die im Besitz von Jutsus sind, die sie geheim halten wollen, um sie den anderen Nationen nicht auszuliefern. Hier geht es nicht nur um Stärke. Es geht primär um besondere Strategien der Vorteilssicherung. Nimm Kurenai als Beispiel. Sie hätte wenig Chancen gegen Inuzuka Kiba, dennoch ist er noch immer Chūnin und sie seit langer Zeit Jōnin. Aber sie ist eine Meisterin in Sachen Genjutsu und kennt einige Illusionen, die sogar Itachi das ein oder andere mal überrascht haben. Verstehst du, auf was ich hinaus möchte?«

Sakura nickte vage. Diese ganzen politischen Abzweigungen über alle offiziellen Erklärungen verwirrten sie. »Es geht also darum, diese Akten abzuschirmen, um im Falle eines Konflikts den Überraschungsmoment für sich nutzen zu können?«

»Unter anderem«, stimmte Tsunade zufrieden mit dieser Zusammenfassung zu. »Konoha kann mit tröpfelnden Neuernennungen unbemerkt eine Armee aufbauen, ohne dass andere Länder dies mitbekommen.«

»Wir formieren also unter dem Deckmantel niedriger Genin- und Chūninaktenzahlen ein schlagkräftiges Heer, während die Akten der ANBU und Jōnin vom Präsentierteller verschwinden? Das schürt doch nur die Krisenherde weiter und ist ziemlich riskant, oder?«

Tsunade schüttelte mit der Zunge schnalzend den Kopf. »Wir tun nichts, was andere Nationen nicht auch tun. Hier geht es um strategische Kriegsführung. Tuchi no Kuni wartet doch bloß auf einen Grund, einen Krieg anzuzetteln und Mizu no Kuni fühlt sich stark genug, Allianzen mit ihm zu gründen! Wer weiß, wer die Fäden in der Hinterhand hält. Akatsuki? Orochimaru? Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Besser das Feuer schüren, als nackt in einem Flammenmeer zu stehen.«

Sakura sagte nichts mehr darauf. Egal ob sie dafür oder dagegen war, es änderte nichts an der Richtigkeit des Arguments. Ihre eigenen moralischen Grundfeste spielten keine Rolle. Es gab bloß eines, das an ihr nagte. »Wieso alle anderen vor mir, Shishō? Lee, Naruto, Neji, Shikamaru, sogar Hinata und Shino vor einigen Wochen. Wieso bin ich Ihre letzte Wahl?«

Tsunades Blick verfinsterte sich. Ausweichend schlug sie ihn auf den Boden nieder. »Ich kann verstehen, dass du enttäuscht bist, aber ich kann dir versichern, dass es nichts mit deinen Fähigkeiten zu tun hat. Das bedeutet, es hat in Wahrheit alles damit zu tun. Chūnin gibt es wie Sand am Meer. Iryōnin sind sehr viel seltener. Sie sind heißbegehrt und ihre Akten werden tendenziell häufiger von fremden Nationen eingesehen als die regulärer Shinobi. Es wäre zu auffällig gewesen, etliche Chūninakten verschwinden zu lassen und dabei meine begrenzte Anzahl an Iryōnin zu dezimieren. Ich hatte nicht vor, irgendeinen Iryōnin zu befördern, um Iwa keinen Grund zu geben, misstrauisch zu werden. Doch die neuesten Umstände lassen mir keine Wahl, als dieses Risiko einzugehen.«

Sakura hätte zu gerne gefragt, auf welche Umstände ihre Meisterin anspielte. Sie wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde.

»Ich bedanke mich erneut für Ihr Vertrauen, Hokage-sama«, sagte sie mit einer förmlichen Verbeugung.

»Du kannst gehen, Sakura. Ach ja«, rief sie ihr hinterher, »Könntest du Naruto und Sasuke etwas ausrichten?«
 

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Sunagakures Frühstückstisch war immer reichlich gedeckt, was Shikamaru dieses Exil weit weniger grausam vorkommen ließ, als er eigentlich gewillt war. Vielleicht war es auch Temaris Gesellschaft, die ihn in dieser Einöde zumindest ein bisschen ablenkte. Die ehrenwerte Hokage hatte ihn vor einigen Tagen hierhin verbannt, damit er Kaze no Kuni bei der nächsten Ausrichtung des Chūninexamens behilflich sein konnte. Dies war keine Überraschung, weil er diese undankbare Aufgabe jedes Mal bekam, wenn eine der halbjährlichen Prüfungen anstand. Bloß war er im Normalfall drei Wochen vor deren Beginn im betreffenden Land, nicht drei Monate. Es weckte ungesunde Skepsis in ihm, vor allem, nachdem er von einer Korrespondenz zwischen dem Kazekagen und der Hokage gehört hatte. Man schrieb sich nicht einfach so, um zu fragen, wie das Wetter war. Seiner Theorie, dass sein Aufenthalt etwas mit dieser Korrespondenz zu tun haben könnte, wirkte lediglich der Fakt entgegen, dass er bereits Tage zuvor aufgebrochen war. War er als Wachhund hier abgestellt worden, weil Tsunade Gaara nicht traute?

Dass er sich keinen Reim darauf machen konnte – beziehungsweise viel zu viele Hypothesen hatte – schlug ihm aufs Gemüt.

»Du bist dran.« Temari sah ihn herausfordernd an, wobei sie sich zurücklehnte und ihren roten obi richtete, der bei ihrem wohlgewählten Schachzug verrutscht war. Elf Minuten hatte sie über die neue Position ihrer auserwählten Shogifigur gebrütet. Er konterte ihre geschickte Attacke binnen zwanzig Sekunden. Temari war, obwohl nicht so schwierig wie Uchiha Itachi oder sein verstorbener Sensei Asuma, sehr viel hartnäckiger. Wo andere aufgaben, wenn sie ihre Niederlage vorausahnten, kämpfte sie mit eiserner Verbissenheit ihre bereits zum Scheitern verurteilte Schlacht. Bei ihrem letzten Duell, das über zwei Stunden gedauert hatte, hatte sie ihn so gegen Ende sogar noch in eine mittelmäßige Bredouille gebracht, die ihn den Sieg hätte kosten können, hätte er nicht mit seinen letzten vier Zügen die Oberhand zurückerobert. Ausgehend von ihrem lauten, unruhigem Charakter hatte er ihr nicht zugetraut, derart verharren zu können. Selbst als er für einen dieser vier letzten Züge über eine viertel Stunde gebraucht hatte, war sie ihm schweigend gegenüber gesessen, ohne sich auch nur zu bewegen, geschweige denn zu sprechen.

»Dein Zug, Temari.«

Sie beugte sich erneut nach vorne, die Fingerspitzen aufeinander gelegt. Der jetzige Zug ging schneller. Sie hob eine der hinteren Spielfiguren auf, stoppte jedoch, als Schritte den Gang vor dem Frühstückszimmer des Kagegebäudes entlang hallten. Shikamaru sah ihn nur kurz durch den Türspalt huschen, erkannte die Uniform jedoch sofort. Temari hatte ihn ebenso schnell identifiziert.

»Konohas Boten sind schnell.«

»Das ist ein Eilbote«, korrigierte er, stand auf und trat auf den Flur, an dessen Ende der Eilbote die Treppen nach oben nahm. Er folgte ihm, Temari dicht an den Fersen, deren besorgter Gesichtsausdruck verriet, dass sie über mehr Informationen verfügte, als sie auf seine vorgestrige Frage hin preisgegeben hatte. Als er vor der einen spaltbreit geöffneten Tür des Versammlungsraum anhielt, sah er durch die schmale Lücke gerade noch, wie der Bote dem Kazekagen, der umringt von Sunagakure no Satos Ältestenrat im Plenum stand, sein Transportgut überreichte. Dieser öffnete und las ihn so ungeduldig wie schnell.

»Eine derartige Antwort hatte ich erwartet«, sagte er laut an seine Berater gerichtet, ohne den Inhalt der Nachricht zu offenbaren. »Konohagakure no Sato verlangt Details dieser Mission.«

»Das ist eine horrend anmaßende Forderung!«, brüskierte einer der Räte sich. »Allianz hin oder her, wir haben eine Entscheidung getroffen, die wir für richtig halten. Konohas Meinung dazu ist nicht von Relevanz!«

»Sie wird es werden, sollte der Eskalationsfall eintreffen. Ich war von Anfang an dagegen, dieses Vorhaben zu realisieren. Hokage-sama sichert uns jede mögliche Unterstützung zu, sollten wir uns bereiterklären, sie einzuweihen. 'Allianz hin oder her' halte ich für keine äußerst kluge Argumentation. Sollte es tatsächlich zum Eklat kommen, brauchen wir jede Unterstützung, die wir bekommen können. Ich werde noch heute ein Schreiben mit allen wichtigen Details absenden.«

Die jüngere Rätin neben dem Alten erhob sich, um Einwände vorzubringen, wurde jedoch von Gaaras rigorosen Geste unterbrochen.

»Ich stimmte dem Vorschlag des Rates zu, weil es zwingende Argumente dafür gab. Sollte dies die richtige Entscheidung gewesen sein, haben wir keinen Vorwurf Konohas zu befürchten. Sollte Hokage-sama allerdings anderer Meinung sein, werde ich ihre Perspektiven ebenso berücksichtigen. Vergessen wir nicht, dass diese Allianz mehr ist, als bloß auf Papier festgehalten.«

Shikamaru versuchte jeden Gesichtszug des Kazekagen zu lesen, doch Gaara gab nichts preis. Er wollte bereits nach dem Inhalt des Briefes fragen, als sein Blick auf Temaris besorgtes Gesicht fiel. Gaaras Verteidigung war steinhart wie der gepresste Sand, der ihn berüchtigt gemacht hatte. Seiner Schwester war vielleicht viel eher durch ein geschicktes Ablenkungsmanöver das ein oder andere versehentliche Wort zu entlocken. Dass Gaara keinen nennenswerten Fakt genannt hatte, war Absicht gewesen. Er hatte genau bemerkt, mit welch neugierigen Ohren Shikamaru ihn belauscht hatte.

»Wie wäre es, wenn du mir das Dorf zeigst, Temari?«

Verwundert runzelte sie die Stirn. Verwundert und skeptisch, besser gesagt. Dass sie ihn sofort durchschaut hatte, war klar, änderte jedoch nichts an seinem Plan.

»Jetzt auf einmal? Wenn ich mich recht erinnere, hast es vor ein paar Tagen abgelehnt, als ich dir genau dieses Angebot machte?«

»Darf ein Mann seine Meinung nicht ändern?«

Temari nickte in seine Richtung. »Ein Mann schon, aber du nicht. Fein, ich bin kein Unmensch. Wenn du denkst, ich würde plaudern, darfst du es gerne versuchen. Wir fangen im Süden bei den Schluchten an und arbeiten uns nach Nordosten hinauf. Dort gibt es einige herrliche Aussichtsplattformen, die man gesehen haben muss. Man kann von dort aus beinahe bis nach Kawa no Kuni sehen.«
 

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Er hatte milde gelächelt. Nun, wo er auf dem Plateau stand, das vom Flachdach eines hohen Hauses gebildet wurde, verging ihm sein besserwisserischer Tadel. Man konnte tatsächlich fast bis nach Kawa no Kuni sehen. Die ersten Ansätze der Graslandschaften nahe der Grenze waren schemenhaft zu erahnen. Er war sich sicher, dass man an klaren Tagen sogar den ersten Fluss erkennen konnte.

»Und ich dachte schon, du verarschst mich«, gab er trocken zu. Temari schnaubte.

»Dazu hätte ich sehr viel bessere Methoden. Soll das nun geziemter Smalltalk werden, um mir zu entlocken, was du wissen willst?«

»Oh Kami unserer Welt, wie hat sie mich nur durchschaut?« Sein beißender Sarkasmus schrillte schmerzhaft in seinen eigenen Ohren. Er mochte es nicht, sarkastisch werden zu müssen. Bei seiner Gastgeberin verspürte er nur leider fortwährend dieses grausame Bedürfnis dazu. Noch ein paar Wochen hier und er würde sogar zynisch werden.

»Wie ist die Lage in Konoha?«, erkundigte sie sich. Ohne ihn anzusehen lehnte sie sich an das Geländer und sah in den klaren Nachmittagshimmel.

»Angespannt«, antwortete er vage. »Akatsuki macht uns zu schaffen. Inzwischen haben sie fünf Bijū in ihrem Besitz. Das sind allerdings bloß die, deren Jinchūriki wir tot auffanden. Sie gehen chronologisch vor. Shukaku, Nibi, Isobu, Son Gokū und Kokuō; eins bis fünf. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Leiche Nummer sechs auftaucht. Wie auch immer sie es schaffen, diese Monster zu extrahieren, sie haben mindestens fünf. Es ist klar, dass wir uns wappnen. Ihr solltet das auch tun.«

Temari biss sich auf die Lippen. Beinahe wäre sie auf seine Finte hereingefallen. »Ein netter Versuch, aber er bleibt erfolglos. Die Korrespondenzen zwischen Kage und Kage unterliegen strengster Geheimhaltung. Ich kann dir nicht sagen, um was es geht.«

»Das interessiert mich auch nicht«, wandte Shikamaru ein. »Ich will wissen, was für eine Mission Gaara ansprach.«

Sie verzog ihre befeuchteten Lippen zu einem schmalen Grinsen, das provokant und neckisch war. Sie genoss es, die Überhand zu haben. »Das, Shikamaru-kun, ist etwas, das du hoffentlich nicht herausfinden wirst müssen.«

»Weißt du, wie man Leute wie dich nennt? Anstrengend.«

»Du findest alles anstrengend.«

Er winkte beiläufig ab, ohne auf die Richtigkeit dieser Aussage einzugehen. »Wir haben unsere Shogipartie noch nicht beendet. Oder hast du Angst, gegen mich zu verlieren?«

»Das hättest du wohl gerne.«

Zufrieden mit dem, was er erreicht hatte, machte er sich an ihrer Seite auf den Rückweg zum Verwaltungsgebäude.  Zumindest war er klüger als zuvor.

 
 

.

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Grounded

 
 

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»Sie hat was?!«

Naruto fuchtelte wild mit seinen nach oben geworfenen Armen herum, als würde dies etwas an den Neuigkeiten ändern, die Sakura ihm und Sasuke eben überbracht hatte. Dabei bezog sich sein Schock nicht etwa auf ihre plötzliche Beförderung – die sie immer noch nicht recht glauben konnte – sondern auf die Nachricht, die sie den beiden hatte ausrichten sollen.

»Obāchan kann uns doch nicht einfach Hausarrest erteilen!«

»Schlag' keine Wellen, Dobe«, brummte Sasuke und zog ihn am Ärmel wieder an den kleinen Teetisch, den sie angesichts des schönen Wetters auf die Veranda gestellt hatten. Glücklicherweise war der Winter in Hi no Kuni mit warmen Temperaturen gesegnet. Sie trugen lediglich lange Ärmel über den Armen, deren Hände dampfende Teetassen hielten. Mikotos Tee war immer noch der beste in ganz Konoha.

»Übrigens nennt man es nicht 'Hausarrest', sondern Ausgangssperre«, belehrte Sakura ihn und nahm einen Schluck des köstlichen Schwarztees. »Wir dürften die Grenze Hi no Kunis auf keinen Fall, die Konohagakure no Satos nur mit ausdrücklicher Genehmigung nach außen passieren.«

»Das bedeutet, für uns gibt es nichts zu tun?«, folgerte Sasuke wenig begeistert. Er hatte seinen Missmut darüber besser unter Kontrolle als Naruto, der erneut aufgesprungen war, wobei er beinahe seine Teetasse umgestoßen hätte.

Sakura zuckte die Schultern. »Für euch gibt es nichts zu tun. Welch Glück, dass ich weniger nutzlos bin und mit meiner Arbeit im Krankenhaus weiterhin Menschenleben retten kann. Aber das versteht ein ANBU natürlich nicht. Ihr werdet schließlich nur für stupides Töten bezahlt.« Sie seufzte rau und genervt über die neue Situation. Noch war sie sich unsicher darüber, ob sie erfreut oder gekränkt sein sollte, dass niemand ihre Beförderung auch nur zur Kenntnis zu nehmen schien.

»Ich werde euretwegen für gar nichts bezahlt«, wandte Sasuke nicht minder genervt ein. »Unser letzter Auftrag ist eine halbe Woche her und dabei haben wir niemanden umgebracht. Wieso muss ich Babysitter für euch Kleinkinder spielen, anstatt wie gewohnt mit einem richtigen Team ernsthafte Missionen zu bewältigen? Diese Kindergarten B-Rang Dinger sind doch höchstens C!«

»Das ist doch – Teme!«, grollte Naruto tief aus dem Bauch heraus. Er ließ sich in den Schneidersitzt zurückfallen, sodass er Sasuke und Sakura gegenüber auf der anderen Seite des kniehohen Tisches saß, von wo aus er mit einer anklagenden Geste auf seinen männlichen Teamkameraden deutete. »Bilde dir nichts auf deinen blöden ANBU Rang ein, sonst setzt es was! Sakura-chan und ich sind genauso gut wie du! Denkst du, uns macht es Spaß mit dir auf diese lächerlichen Aufträge zu gehen? Das ist unter unserer Würde! Was können wir dafür, wenn Tsunade-obāchan dich in letzter Zeit immer unserem Team zuweist? Vielleicht bist du ja doch nicht gut genug für die ANBU?« Erheitert von diesem delikaten Gedanken klopfte er lachend auf den Tisch, Sasukes düsteren Blick auf ihm ignorierend. Der jüngere Uchihabruder haderte mit sich, ob er gleich oder später auf seinen so genannten Freund einschlagen sollte. Bloß eine Frage hielt ihn davon ab, allen Anstand über Bord zu werfen und zu dem reizbaren Antipoden zu werden, den er Naruto gegenüber immer nach außen kehrte.

Mit dunklem Blick und einer satten Portion Unwillen in der Stimme verschränkte er eingeschnappt die Arme vor ausnahmsweise ungepanzerten Brust. »Wieso genau müssen wir das eigentlich auf meiner Veranda besprechen?«

»Weil«, begann Sakura, neben ihm den Teller, den seine Mutter vor einer halben Stunde dort abgestellt hatte, anvisierend, »Mikoto-san die besten Mochi des Dorfes macht.« Sie war dabei, sich eines der kleinen Bällchen genüsslich in den Mund zu schieben, als sie eine tiefe Stimme hinter ihr innehalten ließ.

»Sie hat recht, Sasuke.«

Eine blasse Hand mit schlanken, geraden Fingern langte von hinten an ihr vorbei, um eines der Mochi aufzugreifen. Beim Zurückziehen streifte er ihre Wange, so kam es ihr vor, beabsichtigt unabsichtlich.

»Kāsans Mochi sind einmalig köstlich.« Zum Beweis steckte Itachi es sich in den Mund, betont genussvoll darauf kauend.

»Du weißt, dass derartige Genussmittel verpönt sind. Seit wann isst du Süßes?«, fragte Sasuke zurecht skeptisch.

Sakura schnaubte. »Das fragt der Ninja, der zwei Tage nach seinem Saufgelage immer noch einen Kater hatte?«

»Den hatte ich nicht«, gab Sasuke ruhig zur Antwort. Selbige wartete er von seinem Bruder ab, der jedoch keine Intentionen verfolgte, sein verändertes Verhalten zu erklären. »Wenn wir schon dabei sind Anschuldigungen zu treffen, Sakura, solltest du aufhören, Okāsans Mochi in dich zu schaufeln, sondern lieber trainieren.« Er zwickte ihr in die Taille. »Sonst setzt du bloß noch mehr Fett an.«

Aus ihrem Gesicht wich jedwede farbliche Nuance. Totenstille legte sich über die von starken Shinobi bevölkerte Veranda, auf der die zum Zerreißen gespannte, schlagartig aufgekommene Atmosphäre bloß darauf wartete, dass jemand reagierte. In jeder anderen Situation hätte Sakura ihm eine so schallende Kopfnuss verpasst, dass er über den saftig grünen Rasen direkt im Teich gelandet wäre. Itachis Anwesenheit ließ sie einmal mehr überlegen, ob sie diese unreife, brutale Seite an sich tatsächlich zeigen wollte.

Eine Minute verging, in der niemand auch nur zu atmen wagte. Sie waren alle in einer Starre verharrt, nervös darauf wartend, was geschehen würde. Dann erhob sie endlich ihre Stimme zu einer Erwiderung. Sie war aalglatt, was sie sich selbst kaum zugetraut hatte.

»Ich würde dir raten, dieses kleine Wort namens 'noch' zurückzunehmen, sonst läge es durchaus im Bereich der Möglichkeit, dass du dich mit ungesund verdrehten Gliedmaßen zu einem Paket verschnürt irgendwo am Rand Konohas wiederfindest, wo dich niemand schreien hört, wenn ich jeden Knochen in deinem Leib einzeln breche.«

Sasuke schluckte, Naruto brach in schallendes Gelächter aus, Itachis Mundwinkel zuckten amüsiert. Sie konnte hinter seiner Fassade sehen, wie er sich stumm fragte, ob sie Schneid und Fähigkeiten hätte, ihre Drohung wahr zu machen. Sein kleiner Bruder jedenfalls schien es nicht zu glauben. Er entschied sich gegen die Revidierung seines Rates.

Sakura streifte seelenruhig einen Handschuh über und knackte mit den Knöcheln ihrer Hand. Die Linke wäre zu optimistisch, aber der Schlag ihrer Rechten würde schon ausreichen, um ihn in ein gefühlloses Nirvana zu prügeln.

»Fein«, sagte sie beherrscht. Ehe sie sich erheben konnte, stand Naruto plötzlich auf. Herausfordernd band er sich sein Hitai-ate um die Stirn.

»Ich werde deine Ehre verteidigen, Sakura-chan!«, versprach er feierlich. »Sasuke, ich fordere dich zum Duell heraus!«

Sakura ließ hoffnungslos die Schultern hängen. Da hatte sie den Salat. »Naruto, hier geht es nicht um meine Ehre –«

»Du willst gegen mich kämpfen, Dobe? Aber gerne!« Sasuke schnellte auf und machte einen Satz zur Seite, wo er festen Stand auf dem Rasen fand. Naruto setzte ihm nach, mit einem fröhlichen Kampfschrei einen Kunai zückend. Der zurückgebliebenen Kunoichi blieb nichts übrig, als entnervt zu raunen.

»Sie werden es nie lernen. Naruto! Sasuke!«, rief sie maßregelnd, wurde jedoch ignoriert. Als sie aufstand, um in den entbrannten Kampf einzugreifen, spürte sie eine kräftige Hand auf ihrer Schulter. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Itachi war, der sie zurückhielt. Außer ihm war niemand anderes mehr auf der Veranda verblieben; und außerdem – so seltsam dieser Gedanke auch war, da sie bis vor vier Monaten noch nicht einmal mehr als zehn Worte mit ihm gewechselt gehabt hatte – hätte sie seine Berührungen sogar in einer dichten Menschenmenge identifizieren können. Ein neuer Seufzer entkam ihr.

Sie beschränkte sich darauf, ihren übereifrigen Teamkameraden dabei zuzusehen, wie sie sich wendig und schnell umeinander bewegten. Binnen weniger Züge fand sie drei Chancen, in denen sie diesen Kampf mit einem einzigen Fausthieb hätte sprengen können. Es hätte ihrer Seele geschmeichelt, sich vor Itachi zu beweisen, allerdings war seine Hand auf ihr auch kein schlechtes Gefühl. Bloß weil er der Erbe eines mächtigen Klans, genial, stark, reich, hochintelligent und gutaussehen war, bedeutete dies ja nicht, dass sie sich gewisse Dinge nicht vorstellen durfte. Beispielsweise, dass sein Griff auf ihr verharrte, weil er die Berührung ebenso genoss wie sie. Nicht, weil er ihre Körperspannung spürte, die ihr Vorhaben zum aktiven Einschreiten verriet. Zum Beweis ihrer These entspannte sie ihre Muskeln. Keine fünf Herzschläge später ließ er sie los.

»Diese Kindsköpfe«, nörgelte sie wohlweißlich, dass sie in Itachis Augen nicht minder impulsiv war. In den Augen aller, wenn sie ehrlich war. »Irgendwann bringen sie sich noch gegenseitig um.«

»Ich hoffe, dass wir beide an diesem Tag sehr, sehr weit weg sind.«

Sakuras naives, dummes Herz machte einen kleinen Sprung, als er zum ersten Mal sie und sich als Einheit bezeichnete. Dass sie bislang darauf geachtet hatte, war ihr gar nicht bewusst gewesen. Itachi und sich gegen den Rest der Welt zu sehen war ein selten tröstliches Gefühl, wenn sie die harte Realität in ihre Gedanken ließ. Es waren Welten, die sie trennten.

»Ja«, fügte sie wenig produktiv hinzu. Der Moment der vorgetäuschten Zweisamkeit wurde von Mikoto unterbrochen, die von mütterlichen Instinkten geleitet aus dem Wohnzimmer trat.

»Das ist doch wirklich nicht zu fassen!«, brüskierte sie sich über die Szene vor sich. »Hört in dieser Familie niemand mehr auf mich? Keine. Kämpfe. im. Garten!«

»Gegen diese Streithähne ist kein Kraut gewachsen, Mikoto-san. Am besten wäre es, Anweisungen auf die Stirn des jeweils anderen zu schreiben, dann würden sie sie in ihrem blinden Eifer wenigstens irgendwann sehen.«

Mikoto stieß hohles Lachen aus. »Ich wage zu bezweifeln, dass es etwas nützen würde. Was ist es bloß mit euch jungen Shinobi, dass ihr euch ständig schlagen müsst? Zu meiner Zeit respektierte man einander, anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen!«

Sakura tat ihr das hohle Lachen vergleichsweise tief nach. »Sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen ist zwischen den beiden eine Form von Respekt. Sie befinden den anderen als würdig, ihr Gegner zu sein. Diese Art ist kindisch, unreif, grenzdebil und unlogisch, aber sie funktioniert. Irgendwie.«

»Irgendwie wohl, aber lieber wäre mir irgendwo anders!«, raunte Mikoto. »Itachi, möchtest du unserem Gast nicht das Haus zeigen? Ich möchte nicht, dass ihr meine Wortwahl mit anhört.« Ihr Vorschlag hatte etwas von Bevormundung, als denke sie, Sakura und Itachi seien kleine Kinder, die noch niemals ein böses Wort gehört hatten. Sakura wollte bereits protestieren, doch ihr Gastgeber schnitt ihr das Wort im Keim ab.

»Eine hervorragende Idee, Okāsan. Ich schulde Sakura noch eine Einführung in die hohe Kunst des Sharingans, die letztes Mal zu kurz kam.«

»Was? Ähm, ja. Ich muss mir deine Augen sowieso noch einmal ansehen.«

Mikoto runzelte die Stirn, sah jedoch ein, dass ihr Ältester schon wusste, was er tat. Sie komplimentierte die beiden nach drinnen, ehe sie in geübter Manie die Hände in die Hüften stemmte und ihre sanfte Stimme zu lautem Gebrüll erhob. »Wie oft muss ich es noch sagen? Keine! Kämpfe! Im! Garten! Wozu haben wir ein eigenes Trainingsgelände, wenn ihr mir hier das Gras ruiniert?«

Sasuke blockte eine kräftige Attacke von Naruto, der er zuvor entgegengesprungen war. Als die Stimme seiner Mutter über den Rasen schallte, traf Narutos Schlag gerade auf seine Parade, die er mit einem kräftigen Stoß eigentlich zu einem Rammbock machen hatte wollen. Die Überraschung über die unerwartete Schelte ließ ihn sein Vorhaben vergessen. Zusammen mit seinem Kontrahenten fiel er aus der Luft hinab direkt in den Teich, aus dem eine große Welle schwappte. Mikotos wutenbranntes Kreischen war noch vier Straßen weiter deutlich zu vernehmen. Das gesamte Uchihaviertel musste es gehört haben.

»Meine armen Fische!«

Bloß Sakura bekam es nicht mit. Die andächtige Ehrfurcht, die sie vor Itachis privaten Räumlichkeiten empfand, verlangte vollste Aufmerksamkeit und ließ die Stille, die darin herrschte wie in keinem anderen Raum, in ihren Ohren dröhnen.
 

.

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Zu allererst sah Sakura sich um. Sie wagte nicht, mehr als diesen einen Schritt in dieses unberührte Heiligtum zu setzen, das in seiner Ordnung unwirklich erschien. Sie kannte ihr eigenes Zimmer, das sie mittlerweile nach schweren Protesten ihrer Mutter nahe dem Krankenhaus bezogen hatte. Es war nicht unaufgeräumt, aber Kartons stapelten sich übereinander, Schränke platzten aus ihren Nähten, weil sie die ganzen Habseligkeiten nicht zu fassen vermochten. Andere Menschen mochte diese Habe als Ramsch bezeichneten. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, von jedem Ort, an dem sie gewesen war, ein Souvenir mitzubringen.

Itachis Zimmer war das komplette Gegenteil dieser sturen Überladenheit. Wo man die Tatamimatten von Sakuras vollgestelltem Boden nicht einmal mehr erahnen konnte, waren diese deutlich zu sehen. An der Wand standen zwei Vitrinen, die sie, obgleich sie nicht gläsern waren, unwillkürlich an jene Vitrinen aus ihrem Traum nach der Tsukuyomi erinnerten. Sie versuchte den Schauer so gut es ging zu unterdrücken. Dieser Raum strahlte trotz seiner Klarheit eine gewisse Wärme aus. Das hätte sie zumindest zu gerne geglaubt. In Wahrheit war Itachi das einzige, das ihn des Betretens wert machte. Dann fiel ihr Blick auf die andere Wand, wo für traditionell eingerichtete Räume unüblich ein kniehoher Tisch an der Wand stand. Darum drapiert lagen drei blassrote Kissen. Damit endete das funktionale Arrangement.

»Du darfst dich frei bewegen. Ich kann dir versichern, dass dich nichts auffressen wird«, behauptete Itachi skeptisch über ihr Zögern. Er interpretierte dieses Zögern richtig, was ihr unangenehm war. War sie es nicht, die vor zwei Wochen behauptet hatte, sie wären Freunde? Eine tolle Freundin, die sich scheute, das Zimmer eines ANBU Captains zu betreten, weil sie Angst hatte, etwas zu zerstören. Und sei es nur die stete Ruhe dieses Raumes, denn allzu viel anderes stand ohnehin nicht zum Demolieren bereit.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lachte sie endlich über seinen schlechten Witz, mit dem er versucht hatte, ihr die Nervosität zu nehmen. Ein Fehlschlag, wie er bemerkte.

»Sakura.« Itachis Stimme hatte etwas Tadelndes, das ihr nicht gefiel. Sie wollte nicht wieder auf dieses Level zurück, auf dem sie sich ihm unterlegen fühlte. Sie war es nach wie vor, daran würde selbst eisernes Training nichts ändern. Aber inzwischen fühlte sie sich wenigstens nicht mehr, als würde er sie für diese Unterlegenheit verurteilen.

»Jaaaa?«, fragte sie unschuldig.

»Fühlst du dich unwohl?«

»Nein!«, rief sie zu laut, zu schnell. »Ich meine, nein. Ich möchte nur nicht in deine Privatsphäre eindringen. Obwohl ich zugeben muss, dass nicht viel Privates vorzufinden ist.«

Itachi strich über die Oberfläche des Tisches, die frei von Staub poliert glänzte. »Ich bin kaum zu Hause. Es wäre unsinnig, private Habseligkeiten aufzustellen, weil niemand hier ist, der sie betrachten könnte. Zudem müsste ich mir erst persönliche Gegenstände anschaffen. Das meiste hier gehört dem Klan.« Er nickte in Richtung der Schriftrollen auf dem Zwischenpult der Vitrine, neben denen eine gewiss kostbare Vase stand. Ein grottenhässliches Ding, wie ihr Gesichtsausdruck verriet. »Ich weiß, dass sie nicht unbedingt den ästhetischen Ansprüchen verwöhnter Augen entspricht. Sie steht da, weil nirgendwo anders Platz dafür ist.«

»Also ist dein Zimmer eine Müllhalde?«

Er zog zwei Kissen in die Mitte des Bodens und setzte sich auf eines. Das zweite vor ihm war für sie gedacht. »Du wolltest doch etwas über das Sharingan lernen.«

»Ähm, ja.« Mit geziemter Zurückhaltung, seinen holprigen Übergang ignorierend, ließ sie sich auf dem für sie arrangierten Sitzpolster nieder, zog ihn jedoch unbemerkt ein wenig nach hinten. Es war frustrierend, wie er unwichtige Konversationen einfach abbrach, weil sie ihn nicht mehr interessierten. »Ich muss nicht alles wissen, aber je mehr, desto besser. Wichtig ist vor allem die biologische Basis der Veränderungen, die der Sharinganmodus in den Iriden und Sehnerven und vielleicht auch Sehzellen verursacht.«

»Darüber kann ich dir nichts sagen. Ich bin kein Iryōnin.«

»Ja, ja«, winkte sie ab, »Darum hast du ja mich.« Als er nicht auf ihre Anspielung reagierte, richtete sie sich auf, um einen annähernd geraden Sitz hinzubekommen, wie er es ihr vormachte. Sein dunkler Blick ruhte schweigsame Momente auf ihr, bis sie ihm nicht länger standhielt, aufstand und die Schiebetür zur Veranda öffnete, die im Gegensatz zu jener des Wohnzimmers auf die Ostseite zeigte. Am Morgen musste man von hier einen wunderschönen Sonnenaufgang beobachten können. Die Vorstellung gefiel ihr.

Das Licht, das durch ihre Aktion hineinfiel, lockerte die schwere Stimmung ein wenig auf. Entspannter setzte sie sich vor ihn, diesmal mit legerer Haltung im Schneidersitz.

»Davon kann man Haltungsschäden bekommen, die gerade bei Taijutsu hinderlich sein können«, bekrittelte er ihre neue Sitzposition.

»Tatsächlich? Das ist sehr interessant. Du scheinst ein verborgenes Talent für Medizin zu haben. Vielleicht solltest du unter Tsunade-sama eine Ausbildung zum Iryōnin beginnen, um mehr Leuten damit zu helfen. Aber das klingt in meinen Ohren seltsam. Was ist es bloß, das mich stört?« Sie kappte ihren singenden Tonfall. »Ach ja, ich spreche von mir.«

»Sehr amüsant, Sakura.« Itachi verdrehte die Augen; na bitte! Eine menschliche Reaktion. »Könnten wir uns auf eine kommunikative Ebene einigen, auf der wir miteinander und nicht gegeneinander arbeiten?«

Dass er ihre Ironie als Anfeindung verstanden haben könnte, war ihr nicht bewusst gewesen. Sakura war sich nicht sicher, ob seine plötzliche Ernsthaftigkeit seiner Genervtheit über ihr unprofessionelles Verhalten entsprang, oder er diese Ironie als Sarkasmus verstanden hatte. Sie riss sich lieber zusammen, ehe sie ihn gänzlich gegen sich aufbrachte. Es war so schwierig, sich mit ihm zu unterhalten. Sich menschlich mit ihm zu unterhalten. Keine Scherze, keine Witze, keine Seitenhiebe und ein direkter Wortlaut, dann kam sie mit ihm klar. Wenn es nicht nur so anstrengend gewesen wäre, bloß auf der Basis von Faktenwissen zu kommunizieren. Es war nicht ihre Art.

Aber seine. Leider.

»Also schön«, gab sie sich geschlagen, weil sie nicht anders konnte. Den Stock, den jeder Uchiha bei der Geburt ins Hinterteil geschoben bekam, konnte niemand herausziehen. »Aber du musst wirklich lernen, lockerer zu werden. Wie auch immer. Wie funktioniert das Sharingan?«

»Diese Fragestellung ist nicht sonderlich präzise.«

Wie man es machte, man machte es falsch. Sakura rückte näher an ihn heran, sich der plötzlich Nähe deutlich bewusst, und hob ihr Gesicht vor seines. Itachi wich keinen Millimeter ab, obwohl sie schnell, knapp und plötzlich vor ihm auftauchte. »Ich werde herausfinden, was ich wissen muss. Darf ich?«, fragte sie rhetorisch, hatte die Hände aber längst an seine Schläfen gelegt. Als er nickte, zog sie mit ihrem Daumen und Zeigefinger sein rechtes Lid auseinander. »Aktiviere das Sharingan bitte.«

Itachi tat, wie ihm geheißen und Sakura schluckte. Es war eine ganz neue Erfahrung, dem Sharingan derart nahe zu sein. Direkt in das Blutrot zu starren, das schon so vielen Menschen das Leben gekostet hatte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Die Erinnerungen an die Tsukuyomi kamen zurück, doch sie schüttelte sie ab. Sich Wochen nach dieser Begegnung immer noch unruhig im Schlaf zu wälzen war nichts, das sie akzeptieren würde.

»Es tut mir leid.«

Sakura stutzte, fand ihre Fassung jedoch schnell wieder. Sie wusste nicht, auf was er anspielte, also beschränkte sie sich darauf, mit ihren Handflächen über seine Augen zu streichen, um ihn dazu zu bringen, sie zu schließen. Was immer sie entdecken konnte, es zu fühlen war gewinnbringender als es zu sehen. Sie konnte nicht in diese Augen starren. Selbst die Augen schließend, führte sie ihre Fingerspitzen zurück an seine Schläfen, von wo aus sie leichte Chakraströme in sein optisches System schleuste.

»Ich hätte mich sehr viel eher entschuldigen müssen. Dass ich dich mit meiner Tsukuyomi traf, war nicht deine Schuld.«

Sakura schwieg. Unter den Kuppen ihrer Finger vibrierte sein Chakra um seinen Puls herum. Es war berauschend und betörend neben seinem Duft, seiner kontrollierten Atmung und dem Herzschlag, den sie spürte, als sie ihre Chakrafäden tiefer in seinen Kreislauf spann.

»Hätte ich dir die Wahrheit über meine Zielunsicherheit erzählt, hättest du anders reagieren können.«

»Ich hätte trotzdem getan was ich tat«, versicherte sie ihm leise. »Hast du es schon vergessen? Ich bin impulsiv, störrisch, emotionsgeladen und unüberlegt. Nichts hätte mich davon abgehalten, mich in diese Jutsu zu werfen.«

Sie spürte eine Sehne über seinen Augenbrauen zucken; er hatte flüchtig gelächelt. Zu gerne hätte sie die Augen geöffnet, um einmal in sein entspanntes Gesicht sehen zu können, das nicht von Tod, Leid und Bürden verhärmt war. Doch sie konnte nicht riskieren, ihre Konzentration zu verlieren. Er würde es merken. Die Entschuldigung aus heiterem Himmel machte es ihr schwer, ihrem Impuls zu widerstehen. Vor allem, weil sie seinen Atem auf den Innenseiten ihrer Handgelenke spürte.

»Kannst du das Mangekyō Sharingan aktivieren?«

Obwohl sie hinter seinen geschlossenen Lidern nicht sah, dass die Form der schwarzen Kreise sich veränderte, spürte sie die Anpassung. Das sengende Chakra ließ sie erstickt japsen, als es über seinen Körper in ihren wallte. Diese Kraft, bloß um ein Dōjutsu zu aktivieren, war unfassbar. Sie hatte dieses Experiment bereits bei Hinata durchgeführt, als die forscherische Neugierde sie am Anfang ihrer näheren Beschäftigung mit Dōjutsus gepackt hatte. Das Byakugan war mächtig, doch es erforderte sehr, sehr viel weniger Energie, um es zu hervorzurufen. Selbst bei der regulären Stufe des Sharingans hatte sie nicht diesen Druck verspürt. Ihm entgegenwirkend schob sie ihr erkundendes Chakra weiter in den peripheren Bereich seiner Augen.

»Kein Wunder, dass so wenige Uchihas das Mangekyō Sharingan meistern konnten«, murmelte sie. »Es ist unglaublich, welchem Druck die Sehnerven standhalten müssen, wenn sie aktiviert sind. Ganz ohne eine Jutsu durch sie zu verwenden bedeutet es schon ungeheure Strapazen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich noch nie von jemandem außer dir gehört, der es gemeistert hat.«

Itachi spannte sich unter ihrer Berührung merklich an. »Mit mir gibt es lediglich drei weitere Shinobi, die es beherrschen. Einer davon ist kein Uchiha.«

Es klang wie ein schlechtes Rätsel. »Kakashi-sensei. Darum wurde er unser Sensei, nicht wahr? Weil Sasuke in unserem Team war. Wer sind die anderen beiden?«

Darauf gab er keine Antwort.   

Minutenlang verharrten sie schweigend in dieser intimen Position, bis sie sich widerwillig löste, als sie all seine optischen Nervenbahnen erkundet hatte. Langsam, viel langsamer als nötig, entwirrte sie ihr Chakra von dem seinen, bis sie vollständig getrennt waren. Um das Ende ihrer Prozedur zu markieren, rückte sie ein wenig nach hinten.

»Ich werde lange brauchen, um festzustellen, an was die Ungenauigkeit liegt. Was ich sagen kann, ist, dass die Chakraimpulse, die zur Aufrechterhaltung der Dōjutsu nötig sind, auf den Hauptsehnerv drücken und auch das umliegende Gewebe beeinflussen. Ob das allerdings nur temporär für die Dauer der Anwendung gilt oder generelle negative Effekte auf dein Sehvermögen hat, kann ich nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren. Vielleicht …« Sakura seufzte zögerlich. Sie konnte nicht sagen, was sie annahm, auch wenn er nicht der Typ war, der geschont werden wollte. Ihr stand nicht das Recht zu, ihm Möglichkeiten aufzuzeigen, die ihr eher unwahrscheinlich erschienen. Vielleicht.

»Was ist?«

Sie schüttelte den Kopf. »Machen dir deine normalen Augen auch Probleme?«

Er brauchte eine Spur zu lange für seine Antwort, log eine Spur zu glatt.

»Nein.«

Das war alles, was sie wissen musste.
 

.

.

Sakura hatte keine Zeit sich über die Bedeutung seiner Lüge Gedanken zu machen. Plötzlich standen zwei Gestalten vor der Verandatür, keuchend und schreiend.

»Nii-san!« schallte es neben »Sakura-chan!« an ihre Ohren, die diese Rufe viel zu langsam verarbeiteten, andernfalls hätte sie zumindest ansatzweise reagieren können. Gerade eben hatte sie noch dicht vor Itachi gesessen, die Hände nach ihrer Erkundungstour noch in seine Richtung erhoben; nun spürte sie zwei sehr unterschiedliche Griffe um ihre Handgelenke, die sie ruckartig aufzogen und blitzschnell aus dem Zimmer schleifen.

Itachi sah ihr mit einer hochgezogenen Augenbraue und gerunzelter Stirn hinterher, als sie wehrlos aus seinem Zimmer geschleift wurde. Ihr flehend überraschter, hilfesuchender Blick streifte den seinen beobachtenden. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie zu befreien! Ehe sie sich versah, fand sie sich an ihren Armen durch Konohas Straßen gezerrt. Sie war in ihrer Ratlosigkeit derart perplex, dass sie keinen Widerstand leisten konnte. Sasuke und Naruto waren stärker als sie, vor allem zusammen, und sie kannte den Weg, den sie gemeinsam einschlugen.

»Naruto! Sasuke! Was ist los?«, versuchte sie ahnungslos zu fragen. Sie konnte sich schon denken, was der Anlass für diese überzogene Reaktion war.

»Komm mit, Sakura!«, brummte Sasuke kehlig. Es wirkte bedrohlich.

»Als hätte ich eine Wahl! Lasst mich los, ich kann alleine gehen!« Niemand hörte auf sie. Erst nach etlichen weiteren hundert Metern befreiten die Shinobi sie abrupt aus dem eisernen Griff, sodass sie nach vorne stolperte und eine Pirouette vollführen mussten, um nicht vornüber auf den Steinboden der Terrasse zu fallen. Auf einem Bein rotierend fand sie ihr Gleichgewicht mit dem Rücken zum Geländer, an das sie beinahe geprallt wäre. Was hatte sie doch für herzerwärmend zärtliche Freunde. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie sich über die Richtung getäuscht hatte. Naruto und Sasuke hatten sie nicht zum Trainingsgelände geschleift, sondern auf jene grüne Dachterrasse, auf der sich ihr Team zum ersten Mal getroffen hatte, um sich vorzustellen.

»Was sollte das?«, fauchte sie, noch immer überrumpelt von ihrer jähen Entführung. »Könntet ihr mir erklären, seit wann es Sitte ist, ein Gespräch zu unterbrechen, um einen Konversationspartner in einen Garten zu verschleppen?«

Sasuke machte einen Schritt nach vorne, begleitet von einer rigorosen Geste. »Du solltest dich besser erklären, Sakura!«

»Bitte?« Sakura blinzelte perplex. Was sollte sie?

»Was läuft da zwischen dir und meinem Bruder? Ich dachte, Ino hätte einen dummen Scherz gemacht!«

»Genau, Sakura-chan!«, mischte Naruto sich mit strengem Kopfnicken ein. Er trat vor Sasuke. »Du kannst dich doch nicht mit diesem gefühlskalten ANBU Fischcaptain einlassen! Er wird dir das Herz brechen!«

»W-Was redet ihr da?« Sakura wich ertappt zurück. Ihr Stottern machte ihre gelogene Frage nicht unbedingt glaubhafter. Sich aus ihrer misslichen Lage herauszureden brachte nichts mehr. Das bedeutete aber nicht, dass sie kampflos aufgeben würde. Sasuke war schneller.

»Sakura, ob er es ernst meint mit dir oder nicht ist dahingestellt! Hast du eine Ahnung, was eine Verbindung irgendeiner Art mit ihm bedeutet –«

»Denkst du, das weiß ich nicht?«, unterbrach Sakura ihn lautstark. Sie schloss das Dreieck mit einem großen Schritt in seine Richtung. Das war einfach lächerlich! »Was nimmst du dir heraus, Sasuke? Was geht es dich an, mit wem ich mich anfreunde oder nicht?«

»Er ist mein Bruder!«

»Na und?!«, fauchte sie. »Das ist mir sowas von egal! Wenn du eifersüchtig auf mich bist, weil dein Bruder noch andere Freunde hat außer dich, musst du mir nicht den Tag vermiesen! O bitte, jetzt schau mich nicht an als würde ich spinnen! Ich sehe doch, dass es dich wahnsinnig macht, weil Itachis Aufmerksamkeit nicht nur mehr nur auf dir liegt! Aber soll ich dir was sagen? Du –«

»Du hast ja keine Ahnung! Alleine schon eine Freundschaft mit Itachi muss vom Familienrat geprüft und abgesegnet werden! Sie würden dich niemals –«

»Akzeptieren? Natürlich nicht! Und weißt du, wie egal mir das ist? Denkst du, ich sei so dumm nicht zu wissen, dass der allmächtige Uchihaklan seinen Erben nicht an der Seite einer kleinen Kunoichi wissen möchte, wenn er dieses unbedeutende Etwas nicht einmal in einem Team mit seinem Bruder sehen wollte? Sieh mich nicht so an, Sasuke, als hättest du nicht geahnt, dass wir es die ganze Zeit über wussten! Schon an dem Tag, als Kakashi-sensei uns mitteilte, dass du fortan nicht mehr mit uns trainieren würdest, wussten wir, dass es nicht deine Entscheidung, sondern die des Klans war!«

»Ich wusste nicht –« Sasuke brach kopfschüttelnd ab. »Wieso seid ihr dann sauer auf mich gewesen?«

»Weil du es uns nicht persönlich gesagt hast!«, schrie sie all den Frust hinaus, den sie über Jahre angestaut hatte. Naruto war plötzlich an ihrer Seite, mit seiner Hand die ihre umschlingend, doch sie befreite sich aus seiner beruhigenden Geste, um anklagend auf Sasuke zu zeigen. »Du hast es nicht für nötig befunden, es uns selbst mitzuteilen!«

»Sakura-chan … hör auf. Es bringt doch nichts mehr.«

»Ihr hättet es nicht verstanden!«, versuchte Sasuke sich zu rechtfertigen. Erfolglos. Naruto drückte ihren Arm zwar hinab, doch seine Augen waren nicht minder anklagend.

»Was nicht verstanden, Sasuke?«, fragte er ihn aufgebracht. »Wie man seine Teamkameraden im Stich lassen kann? Wie man die Menschen, die mit einem im Angesichts des Todes gekämpft haben, verraten kann? Wie man Stärke über Loyalität stellen kann? Oder dass man einen Klan seiner Familie vorzieht? Du hast recht, Sasuke, das verstehen wir nicht. Weil ich damals naiv genug war, in dir einen Bruder zu sehen und so dumm war anzunehmen, du könntest Sakura-chan und mich ebenso als Familie betrachten wie wir dich. Natürlich habe ich kein Freudenfest gefeiert, als ich feststellen musste, dass es ein Irrtum war, dich als Mitglied meiner Familie zu sehen.«

Naruto wandte sein Gesicht ab. Seine blaue Augen in der untergehenden Abendsonne in dunklem Meerblau funkelten. Er hatte keine Tränen übrig, ebenso wenig wie Sakura, der Sasukes durchbohrender Blick bewusst war. Er fragte sie, ob sie ebenfalls dieser Meinung war. Das war sie, doch dies gehört nicht hierher.

»Wir wissen, dass es nicht deine Schuld ist, Sasuke«, sagte sie in die angespannte Atmosphäre hinein. Ihre Sinne waren viel zu überreizt, als dass sie den sanften Wind auf ihrer Haut hätte spüren können. »Niemand von uns hatte das Privileg und die Bürde, in einem Klan aufzuwachsen. Du hast schon eine Familie, der du treu ergeben sein musst. Wir hätten uns nur gewünscht, dir wenigstens als Freunde genügend wert zu sein, um aus deinem Mund zu erfahren, dass du Team Sieben verlassen würdest. Das warst du deinen Kameraden schuldig.« Sie spürte, wie sich ihre Finger ohne ihr bewusstes Zutun zu Fäusten verkrampfte, als sie eine Wahrheit aussprach. »Gib nicht uns die Schuld für dein verkorkstes Leben.«

»Genau darum will ich dich ja beschützen, Sakura!«, versuchte Sasuke sich zu rechtfertigen. »Willst du wirklich in dieses verkorkste Leben eintauchen, bloß weil mein Bruder einmal nett zu dir war?«

»Tsk«, machte Sakura abfällig. Beschützen wollte er sie also? Diese Diskussion war zu schnell außer Kontrolle geraten. Die Eingangsproblematik hatte sie dennoch nicht vergessen; Sasuke konnte so viel wettern wie er wollte, sie wusste, wo sie bei Itachi stand. »Der Klan wird immer Vorrang haben. In allen Belangen und jederzeit. Ich bin keine Närrin. Dein Bruder bat mich, ihm in einer medizinischen Angelegenheit behilflich zu sein. Mehr ist und wird nie zwischen uns sein.«

Es schien Sasuke zu überraschen, dass sie wieder auf dieses Thema einlenkte. Seine Schultern sackten ein wenig nach unten, als er ausatmete. Vor Erleichterung, vor Erschöpfung, Sakura konnte es nicht sagen. Doch dass sie zu dritt standen, wo alles angefangen hatte, ohne sich in die Augen sehen zu können, war ein schmerzliches Gefühl, das sich schwer über ihr Herz legte.
 

.

.

Wie lange sie dastanden und sich anschwiegen konnte Sakura nicht sagen. Es mochten Minuten gewesen sein, schwer und dunkel, während denen sie sich selbst fragte, wieso gerade ihre Pseudo-Beziehung zu Itachi lange verborgene Spannungen innerhalb des ursprünglichen Team Sieben hervorgerufen hatte.

Irgendwann zerriss eine puffende Rauchwolke die Stimmung des Augenblicks.

»Da seid ihr ja!«

Jiraiya wedelte den weißen Rauch mit einer Handfläche weg, ein unpassendes Grinsen im Gesicht. Als er die gedrückte Stimmung bemerkte, blinzelte er irritiert.

»Was ist los mit euch dreien?«, wollte er arglos wissen. Als er keine Antwort erhielt, klatschte er in die Hände. »Also fein, Kinder, dann habe ich zumindest etwas, das euch aufheitern wird! Angesichts der jüngsten Entwicklungen und eurer hervorragenden Zusammenarbeit während der letzten Missionen, hat Tsunade beschlossen, euch drei wieder ein fixes Team bilden zu lassen. Team Sieben Nummer Zwei oder Team Zweiundsiebzig, wenn ihr so wo –« Jiraiya stockte, als er die drei finsteren Blick bemerkte, die sie einander zuwarfen. Narutos wanderte von Sasuke zu ihm.

»Ist das Ihr Ernst, Ero-sennin?«, fragte der sonst so energiegeladene Chaosninja düster.

»Aber ja, aber ja! Keine falsche Scheu! Sie hat es vor einigen Minuten beschlossen. Ich dachte, ich teile es euch lieber sofort mit, damit ihr euch schnellstmöglich mit diesem Gedanken anfreunden könnt. Sasuke, da du inzwischen auf dem Rang eines ANBU bist, kann der Klan schwerlich etwas dagegen haben. Du wirst für die nächsten Monate allerdings den Status eines Jōnin annehmen, um in Team Sieben agieren zu können. Sakura, herzlichen Glückwunsch zur Beförderung. Naruto.« Er wandte sich ihm in ungewohnter Ernsthaftigkeit zu. »Bring Sasuke nicht um. Gerade in unruhigen Zeiten wie diesen brauchen wir jeden Mann. Bevor ihr Proteste einlegt, hoffe ich, dass ihr den Sinn hinter dieser Entscheidung versteht. Niemand will euch ärgern oder bestrafen. Ein Team wie das eure, gesegnet mit diesen Fähigkeiten, findet man nur selten. Bedenkt das, ehe ihr euch an die Gurgel geht.« Jiraiya legte seine Finger zum Abschiedsgruß an die Stirn. »Ring frei«, flötete er lachend, ehe er in einer neuen Rauchwolke verschwand.

Zurück blieben drei verdutzte Gesichter.

Sakura starrte noch lange auf die Stelle, wo eben etwas Unwirkliches geschehen war. Dieser Tag steckte voller Überraschungen. Eine merkwürdiger als die andere. Es dauerte, bis in ihr ansatzweise eine Art von Verständnis der Situation aufkam. Sie würde später darüber nachdenken, wie unverhofft unlogisch diese Konstellation doch war. Und wie stark ihre persönlichen Empfindungen in die Beurteilung dieser Unlogik mit hineinspielten. Es war das Natürlichste der Welt, sie drei in ein Team zu stecken. Ihre Fähigkeiten ergänzten sich, ihre Temperamente spielten sich gegenseitig in die Hand und während Naruto Sasuke von der Seite bereits wieder mit geschürzten Lippen stumm anfeindete, lag der Blick des Uchihasprösslings immer noch auf ihr. Seine dunklen Augen waren wie von schwarzen Regenwolken verhangen.

Jiraiyas himmelheiteres Auftauchen hatte jeden emotionalen Moment zerstört, jedes zarte Pflänzchen aufkeimender Gefühlsehrlichkeit in genau diesem Keim erstickt. Sie wusste, dass die Diskussion um Itachi noch nicht vorbei war. Sasuke, dieser verwöhnte Bengel, hatte offensichtlich ein Eifersuchtsproblem. Diese Erkenntnis behielt sie schön für sich, vielleicht würde sie ihm später daraus einen Strick drehen. Dass sie um sein Grundproblem wusste, musste er ja noch nicht wissen.

Sakura verschränkte die Arme. »Was?« Ihr süffisanter Tonfall ließ Sasuke wie auch Naruto aufhorchen. Der Blonde zupfte am Ärmel ihrer langen Freizeitbluse und schüttelte den Kopf.

»Du hast uns vorhin falsch verstanden, Sakura-chan. Wir wollen nur nicht, dass er dir wehtut, weil du dir mehr erwartest, als er dir geben kann.«

Sakura zog irritiert die Stirn kraus. »Tatsächlich?« Diese Worte klangen nicht, als hätte Naruto sie eben aus seinem Verstand gezogen. Er war noch nie empfänglich gewesen für romantische Schwingungen; Hinata konnte ein Klagelied darauf singen. Wer auch immer etwas mit diesem seltsamen Verhalten zu tun hatte, es war ihr egal. Ino, wie sie vermutete, weil Ino immer etwas zu mäkeln hatte, was nicht ihre eigenen Affären betraf. Wer auch immer sich versuchte in ihr nicht vorhandenes Liebesleben einzumischen, sie würde sich davon nicht irritieren lassen. Viel interessanter war eine andere Frage.

»Von dir bin ich überprotektives Verhalten ja gewöhnt, Naruto, aber ich frage mich, wieso Sasuke sich plötzlich für mein Leben interessiert.«

»Keine Sorge, das tue ich nicht«, gab er wenig überzeugend zurück. »Ich interessiere mich für das Leben meines Bruders, das werde ich wohl noch dürfen, Sakura-sama? Und wenn ich dir dabei mit einem guten Rat das Leben erleichtern kann, tue ich das gerne. Halte dich von ihm fern. Sei es beruflich oder privat, wenn du in das Visier meines Klans gerätst, wirst du dir wünschen, auf mich gehört zu haben.«

»Das ist doch einfach unfassbar! Habe ich vorhin gegen eine Wand gesprochen? Es läuft rein gar nichts zwischen Itachi und mir! Itachi-san! Ach, zum Teufel damit! Was nimmst du dir eigentlich heraus, meine Entscheidungen zu beurteilen?«

»Wenn sie schlecht sind?«

Das war zu viel. Sakura stieß raues Kreischen aus, raufte sich die Haare und klammerte sich an Naruto fest. »Halt mich fest, sonst schlage ich diesen anmaßenden Mistkerl zu Brei!«

»S-Sakura-chan! Hey, komm' wieder runter! Uchiha soll einfach aufhören mit dir zu spielen. Das ist, was Sasuke sagen wollte, nicht wahr, Sasuke?«

»Ganz und gar nicht!« O, welch wunderschöne Vorlage Naruto ihm unbewusst geliefert hatte, um dieser Misere zu entkommen. Sasuke realisierte es erst, als sie mit dem Wind metaphorisch davonflog, hinfort mit allem, was ihn noch hätte retten können. Er hätte nicht eingelenkt, egal welche Ausweg Naruto ihm breitgetreten hätte. Hier ging es um Itachi und Sakura sollte wissen, wie sein Bruder war. Er seufzte. »Sakura. Es geht nicht um dich oder um deine Entscheidungen. Für Itachi zählte nie etwas anderes als seine Missionen. Er hatte Frauen in den vergangenen Jahren, vielleicht vier oder fünf, weil sie ihm dienlich waren.« Mit Genugtuung beobachtete er, wie Sakura in Narutos Griff ruhiger wurde. Dieser wagte noch nicht sie loszulassen, entspannte sich jedoch sichtlich.

»Das weiß i –«

»Lass mich ausreden, Sakura. Ungeachtet meiner Entscheidungen seid ihr nach wie vor meine Freunde. Ein Band wie das unsere kann man nicht durch Distanzen oder Teamumstellungen kappen. Darum will ich nicht, dass du leidest, wenn du dich auf ihn einlässt und erkennst, dass er dir so lange Aufmerksamkeit schenkt, wie er dich braucht. Er will deinen medizinischen Rat und vielleicht erkennt er deine Fähigkeiten auf seine eigene seltsame Weise an, aber es gibt keinen Weg, den ihr gehen könntet. Damit meine ich keine romantische Beziehung, also hör auf, mich unterbrechen zu wollen. Ein Blinder sieht, dass sich euer Kontakt intensiviert. Ich möchte, dass du weißt, wieso er dich beachtet. Du bist nach Hokage-sama die beste Iryōnin Konohas.«

Wie er es sagte, kam ihr nicht vor wie ein Lob. Doch nun da er es sagte, erinnerte sie sich an dieses Wissen. Im Grunde hatte er recht. Sie hatte sich in letzter Zeit zu vielen romantischen Vorstellungen hingegeben. Nicht, dass sie es jemals zugeben würde. »Danke für diesen Hinweis, Sasuke. Denke nicht, ich täte es ihm zuliebe. Wie du sagtest, ich bin nach Tsunade-sama die beste Iryōnin in Konoha und als solche ist es meine Pflicht, meine Patienten bestens versorgt zu wissen.« Sie verzog ihren Mund zu einem spitzen Lächeln. »Ungeachtet dessen ist es übrigens süß, dass du dich um mich sorgst.«

Sasuke wich peinlich berührt zurück. »D-Das tue ich nicht! Es ist reiner Selbstschutz! Ich habe keine Lust, dass du dir vor mir die Augen ausheulst, weil irgend so ein nervtötender ANBU auf deinem zarten Seelchen herum getrampelt ist!«

Narutos schallender Gelächter ertönte, doch Sakura fand nicht viel Witziges an diesem Sarkasmus. Sie schob ihre Augenbrauen unheilvoll zusammen. Sasuke hatte recht. Itachi war weder übermäßig zuvorkommend, noch sonderlich nett zu ihr gewesen, also was sollte das alles bringen? Sie hatte sich lange genug mit ihm als Mann beschäftigt. Ihre Schwärmereien hatten nie länger als ein paar Monate gedauert.

Sie stieß ein empörtes 'Tsk' aus. »Du wärst der Letzte, bei dem ich mich ausheulen würde.«

»Das will ich auch hoffen!«

»Das kannst du ruhig! Ich würde mich eher mit einem Kibakufuda in die Luft sprengen, als bei einem Kühlschrank wie dir Trost zu finden!«

Naruto trat streitschlichtend zwischen seine beiden Kameraden, jeweils eine Hand in deren Richtung ausgestreckt. »Hey, hey, wir wollen an unserem ersten Tag als wiedervereintes Team doch keine Toten verbuchen. Kibakufuda halte ich für sehr endgültig.«

Beiden lag dasselbe auf der Zunge, bloß Sasuke sprach es aus. »Du weißt doch nicht einmal, wie man Kibakufuda schreibt!«

Empört riss Naruto die Hände in die Luft. »Jetzt ist aber mal Schluss mit den Naruto-Analphabeten-Witzen! Das ist langsam nicht mehr lustig! Los, Sakura-chan, wir machen ihn fertig!«

»Als könnte sie mich auch nur treffen«, feixte Sasuke bereits in Angriffsposition verfallend. Mit seinen Fingern bedeutete er ihr seine Herausforderung. Sakura ballte ihre Hand vor ihrem Gesicht zur Faust. Sie sollte ihn treffen, ja? Das konnte er haben.

 
 

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Bets and Blackmail


 

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»Was ist denn mit dir passiert, Sasuke?«

Sasuke warf sein dreckiges Oberteil achtlos in eine Ecke im Wohnzimmer, wo sein älterer Bruder seelenruhig mit seiner jüngeren Cousine Tee trank, nachdem man seine Ärztin vor einer Stunde grob entführt hatte. Sasuke hatte etliche Schrammen, rote Druckstellen und humpelte wie ein geschlagener Hund, was er nun, da er in den schützenden Wänden seines Heims war, nicht mehr länger kaschieren konnte. Er wollte nicht sagen, was auf der Dachterrasse geschehen war, doch Itachi hätte es sowieso erfahren.

»Sakura hat mich verprügelt.«

Es war selten, dass die Gesichtszüge seines Bruders sich merklich aufgrund emotionaler Empfindungen regten. In diesem Fall begann er zu höchst amüsiert zu lachen. Sasuke war weit weniger zu lachen zu mute. Er hatte Sakura gesagt, was sie hatte hören müssen, um zu verstehen, dass sie sich nicht weiter vorwagen durfte. Die Uchihas waren kein Milieu, in das er einen seiner Freunde blind laufen lassen konnte. Verdammt, nicht mal er selbst mochte seine Familie! Wenn Itachi auf seine absurde, eigenbrötlerische Art irgendetwas mit ihr zu schaffen haben wollte, war er egoistisch genug, sie damit ins offene Messer laufen zu lassen. Sakura war kein Mensch, dem man seinen Klan zumuten konnte. Er hatte ihr gesagt, was man von ihm als Uchiha erwartet hatte. Nun wollte er die Wahrheit wissen.

»Egal was du von Sakura willst, es gefällt mir nicht.«

Asuka warf Itachi einen fragenden Seitenblick zu, der begleitet von gespitzten Lippen verriet, dass auch sie neugierig war. Itachi trank weiterhin seelenruhig seinen Tee. »Wie schön, dass mir das völlig egal ist, Sasuke. Bist du fertig, Asuka-chan? Das Training ist noch nicht vorbei und wir sollten schnell verschwinden, ehe Okāsan mitbekommt, dass wir schon wieder gehen wollen.«

»Niisan, ich erwarte eine Antwort! Hier geht es um meine Teamkameradin und Freundin und um meinen Captain und Bruder!«

Itachi stand auf, strich sich die Trainingshose glatt und bedeutete Asuka vorauszugehen. Als sie außer Hörweite war, wandte er sich Sasuke zu, der mit finsterer Miene am Türrahmen lehnte. »Hör zu, Sasuke, ich werde dir sagen, was ich allen Leuten sage, die versuchen, sich in meine Angelegenheiten einzumischen, obwohl es sie nichts angeht: Sakura ist eine herausragende Iryōnin; darum wird es, wann immer es darum geht, ein Team zusammenzustellen, in dem medizinische Qualitäten von Wert sind, immer sie sein, die ich anfordere.«

»Sakura sieht das nicht so.« Zumindest jetzt nicht mehr.

»Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?«

Sasuke reckte das Kinn nach vorne und straffte seine Schultern. »Darfst du, aber erwarte keine Antwort. Ich werde hier nicht den Kuppler spielen. Schon gar nicht für dich.«

Itachi gab sich damit zufrieden. »Es ist ohnehin irrelevant. Sie wird es sehen, wann immer es dazu kommt.«

Es gab Sasuke zu denken, obwohl es ihm egal sein konnte. Wenn sein großer Bruder glaubte, mit einem Mädchen wie Sakura spielen zu wollen, weil er daraus Vorteile schlagen konnte, sollte es ihm recht sein. Er reservierte sich besser jetzt schon Karten in der ersten Rangreihe für den Moment, in dem Sakura herausfand, dass er kein emotionales Interesse an ihr hatte. Wenn sie wollte, konnte sie wunderbar brutal werden. Gegen eine aufgebrachte Frau, die man in sich verliebt gemacht hatte und der man, selbst wenn nur unwillentlich, vorgespielt hatte, dasselbe für sie zu empfinden, hatte selbst Itachi keine Chance. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine Kunoichi und Taijutsuspezialistin ohne Skrupel handelte. Manchmal, ja manchmal bewunderte Sasuke seine einst so mädchenhafte Ex-Teamkameradin für ihre Egalität Stand und Rang gegenüber; sie würde sogar Jiraiya oder Gaara verprügeln, wenn einer der beiden es wagte sie zu verarschen.

Itachi wiederum freute sich auf den Tag, an dem sein kleiner, naiver Otōto  endlich lernen würde, dass er nicht allwissend war und manchmal einfach keine Ahnung von Dingen hatte, mit denen er selbst keine Erfahrung verbuchen konnte. Die Mädchentrauben um den jüngsten Sprössling der Hauptfamilie, die Itachi durch seine sehr spezielle Art von vornherein abgewehrt hatte, hatten Sasuke unempfänglich für jedwede platonische Ebene gemacht, auf denen Itachi und Sakura sich bewegten.

Asukas stechendblauem Blick, der ihm verriet, dass sie es sehr gut verstand, war er sich nicht minder gewahr, versuchte ihn aber so weit als möglich zu ignorieren, als sie sich gemeinsam auf den Weg zum Trainingsfeld machten, das sie vor einer halben Stunde verlassen hatten. Seit sie ihr Sharingan aktiviert hatte, war sie ganz versessen auf das Training mit jedem Uchiha, den sie in die Finger bekam. Itachi hatte nichts dagegen. Er wusste, dass der wahre Eifer und die wahre Stärke eines Uchihas immer erst mit dem Bluterbe erwachten. Bei ihm war es nicht anders gewesen. Steigerung war sehr viel einfacher, wenn man gerade einen Schub erhalten hatte. Die bei der Chūninprüfung noch so weinerliche Asuka hielt sich vorbildlich an diese von ihm vor Jahren aufgestellte These.

Heute war eben er dran, ihre Attitüde nicht allzu arrogant werden zu lassen. Sie waren während seiner Überlegungen längst am Trainingsfeld des Uchihaviertels angelangt. Asuka konnte verflucht schnell sein, wenn sie ungeduldig war.

»Greif mich diesmal direkt an, Asuka-chan«, befahl er. Selbst mit Sharingan kam sie keine zehn Sekunden gegen ihn an. Das machte die Sache umso unterhaltsamer.

Sie ging in Angriffsposition, hielt ihre Attacke jedoch zurück. Ihre Sharingan leuchteten in dem blassen Gesicht umrahmt von tiefem Schwarz wie die untergehende Abendsonne. »Beantwortest du mir eine Frage, wenn ich es schaffe, dich zu treffen?«, rief sie über das grüne Trainingsfeld am Rand des Uchihaviertels.

»Von mir aus gerne. Dazu musst du es aber erst einmal versuchen. Bist du bereit?« Noch ehe das letzte Wort seines Satzes ausgeklungen war, spürte er einen Luftzug neben sich. Asuka war aus seinem Sichtfeld verschwunden, tauchte hinter ihm auf und versuchte ihm einen gezielten Schlag in den Rücken zu versetzen. Indem er seinen Oberkörper zur Seite lehnte, wich er aus, ließ sie ins Leere schlagen und tippte ihren Handrücken an, was sie gleichgewichtslos nach vorne kippen ließ. Er hatte ihr nicht zugetraut, sich aus dieser Misere zu retten; welch Fehler. Seine Cousine rollte sich am Boden ab, sprang am Ende ihrer Flugrolle in die Höhe und trat zu. Diesmal parierte er den Angriff mit seinem Unterarm, seine Beine fest am Boden behaltend. Der Tag, an dem sie es schaffte, ihn vom Fleck zu bewegen, war der Tag, an dem er ernsthaft mit ihr trainieren würde. Wie es aussah, würde dies nicht mehr lange dauern. Sasuke hatte es mit vierzehn geschafft; seine kleine Cousine machte ihm harte Konkurrenz.

Asuka war im Gegensatz zu Sasuke ein stiller Kämpfer. Wo andere Wutschreie und Kampfgebrüll über die Felder röhrten, sparte Asuka ihre Energie für ihre Taijutsu, die stark und präzise kam, aber für ihn mühelos zu blocken war. Allerdings musste er zugeben, dass er davon mindestens blaue Flecken davontragen würde. Als sie eine Ninjutsu auf ihn anwandte, mit der er nicht gerechnet hatte, zuckten seine Mundwinkel zu einem stolzen Lächeln nach oben. Mit drei schnellen Fingerzeichen erschuf er eine Gegenattacke, die ihrer für ihr Alter eindrucksvollen Hōsenka no Jutsu entgegenwirkte und sie in hunderte Fünkchen zerstieben ließ.

Asuka war wieder verschwunden. Ihre größte Stärke war ihre Schnelligkeit, mit der sie sogar Sasuke abhängen konnte, der jahrelang für diese Agilität trainiert hatte. Ihr Körperbau, schlank und schmal, war dafür geschaffen, Gegner erfolglos nach ihrer aktuellen Position suchen zu lassen. Zu ihrem Nachteil kannte Itachi sie seit ihren frühesten Kindertagen. Als Übungspartner tat er ihr den Gefallen, diesen Vorteil nicht schamlos auszunutzen. Was viele seiner Verwandten nicht verstanden, war, dass es bei einem Trainingskampf nicht um den Sieg ging. Asuka verstand es ebenso wenig.

Plötzlich tauchte sie direkt vor ihm auf, keinen Meter von ihm entfernt in genau dem Abstand, den sie brauchte, um ihren Arm auszustrecken und ihre Fingerspitzen an seine Brust legen zu können. Kein Millimeter mehr, keiner weniger. Eine bewundernswert akkurate Einschätzung. Sie hatte Lob dafür verdient, das er ihr schenkte, indem er sich nicht wehrte.

»Du bist schneller als letztes Mal.«

»Ich habe viel mit Hanabi trainiert, Itachi-niisan. Gegen eine Hyūga ist es immer besser, schnell zu sein.« Dass er sie mit einem Handgriff hätte vom Platz fegen können und sie den theoretisch unfairen Vorteil ihres Sharingans genoss, übersah sie geflissentlich. Es war darum gegangen, ihren Fortschritt zu messen. Das hatten sie getan. Zufrieden mit ihrer bravurösen Leistung ließ sie ihren Arm sinken und sah zu ihm hinauf, einen Schritt zurücktretend, um ihr Gesicht dafür nicht nach oben richten zu müssen. Man sah zu keinem Gegner auf, den man eben besiegt hatte.

»Du solltest das nächste Mal mit Shisui trainieren, anstatt der Tochter der Hyūgas.«

»Aber Shisui-niisan ist immer so gemein!« Sie rümpfte ihre Nase und warf eine Strähne ihres langen Haares nach hinten, das in den hellen Strahlen der Sonne facettenreich schillerte, als es sich bewegte. Die Uchihas hatten allesamt dunkles Haar, aber während Sasukes einen markanten Blaustich und sein eigenes eine Vielzahl dunkler Brauntöne aufwies, beherbergte das ihre einen eigenartigen Glanz von tiefstem Violett. Wieso ihm das gerade heute auffiel, konnte er nicht sagen. Vielleicht, weil Asuka vor seinen Augen langsam eine ernstzunehmende Kunoichi wurde und er jedem ernstzunehmenden Ninja ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ.

»Inwiefern ist er gemein?«

»Er lässt mich nie gewinnen.«

Itachi hob eine Augenbraue. »Denkst du denn, ich habe dich gewinnen lassen?«

»Natürlich!« Sie zuckte die Schultern und ließ sich im Schneidersitzt auf dem kühlen Gras nieder. Itachi tat es ihr im Seiza gleich. »In einem echten Kampf hättest du mich schon vor meinem ersten Zug besiegt. Immer, wenn ich Shisui-niisan bitte, mit mir meine Schnelligkeit zu üben, verwendet er seine blöde Teleportationsjutsu und dreht mich kopfüber, noch bevor ich mich auch nur rühren kann.«

»Sagt dir das nicht zufällig, dass du einfach noch nicht schnell genug bist, um mit seinem Training mithalten zu können? Vielleicht solltest du doch ein wenig mehr mit Hanabi-san trainieren, ehe du dich an die großen Fische wagst. Hanabi-san soll talentierter sein als Neji-san. Wenn du sie besiegen kannst, bist du bereit für Shisui.«

Asuka gefiel diese Interpretation der Neckerei sichtlich nicht, das konnte er an der Art, in der sie ihre Augen verengte, sehen. Sie schob seinen Vorschlag kommentarlos zur Seite, verbeugte sich jedoch dankbar vor ihm. Dass diese Dankbarkeit aufgesetzt war, hätte sogar ein Blinder bemerkt.

»Du hast versprochen, mir eine Frage zu beantworten.«

»Die wäre?«

»Sind wir böse?«

Itachi hatte mit jeder Frage gerechnet, bloß nicht damit. »Stell eine andere Frage.«

»Ich habe keine andere.« Asuka wechselte in den Seiza, die Finger in den Saum ihres Oberteils verkrampft. »Sie reden. Wohin ich auch gehe, manchmal fallen Worte über unsere Familie. Dass wir bloß geduldet würden in diesem Dorf und Verräter wären. Sie sprechen von Vorfällen, die einst geschahen und in die wir verstrickt waren. Es sind Gerüchte, aber sie klingen echt. Sind wir ein böser Klan, Itachi-niisan?«

Er konnte sich genau an den Tag vor dreizehn Jahren erinnern, als der Familienrat seine Versammlung abgehalten und Stillschweigen über dieses Thema beschlossen hatte. Dass sie Konoha hatten hintergehen wollen, konnte ihnen dank Sarutobi und Fugakus Einsicht nie nachgewiesen werden, was es nach Ansicht des Klans unerheblich machte, diesen dunklen Fleck auf der Familiengeschichte weiter in Erinnerung zu behalten. Nun, er sah sich selbst nicht als Werkzeug des Klans.

»Kurz vor deiner Geburt ereigneten sich Geschehnisse, auf die wir nicht mehr stolz sein sollten.« Dass einige Uchihas sich nach wie vor im Recht fühlten, war innerhalb der Mauern kein großes Geheimnis. »Zu dieser Zeit hatten wir uns mit der Leitung des Dorfes, Sandaime-sama und den Goikenban, annähernd heillos überworfen. Unser Rat wählte eine radikale Methode, diesen Disput zu beenden. Dieser Versuch missglückte und man einigte sich auf einen Pakt: wir sollten das Kriegsbeil begraben und uns zum Wohle Konohas fügen, dafür erließ man uns die Strafe. Dass unser Oberhaupt sich dafür entschied, in diese Konditionen einzuwilligen, spricht für unsere Loyalität zu Konoha. Einige Menschen sehen das nicht so. Sie werden immer hinter vorgehaltener Hand mit dem Finger auf uns zeigen, um uns zu beschuldigen, doch solange wir diese Loyalität beweisen, wird uns niemand etwas anhaben.«

»Also waren wir böse, sind es aber nicht mehr?«

Itachi hätte gerne über diese Banalität gelacht; leider war dies kein Thema, bei dem ihm nach Lachen zumute war. »Was ist das Gute, was ist das Böse? Das ist in diesem Fall keine philosophische Sinnfrage, sondern hat eine pragmatische Antwort: gut ist, was dem Fragesteller zum Vorteil gereicht. Wir sind kein Mustergleichnis allzeitüberdauernder Treue, aber wir schützen Konohagakure mit unserem Leben, was letztendlich gut für jeden ist, der an uns zweifelt. Unsere Reputation mag in manchen Mündern schlecht sein, aber böse macht uns das noch lange nicht.«

Sie war teils zufrieden mit seiner Antwort, den anderen Teil versuchte sie zu einem für sie sinnhaften Gebilde zu ordnen. »Wirst du es ändern, Itachi-niisan?«

»Ich werde mein Möglichstes versuchen, sobald ich Oberhaupt dieses Klans bin. Kein Klan sollte sich selbst treuer sein als dem Dorf, das ihm seine Macht verleiht.«

Asuka lächelte ihn seicht an. »Ich vertraue darauf, dass du es schaffst. Alle sagen, dass du ein Genie bist, also musst du es schaffen.«

»So, so, alle sagen das?«

»Ja. Zum Beispiel Hanabi oder Tekuno-sensei. Auch Sakura-sensei sagt es, aber sie verwendet andere Worte dafür.«

Itachi zog neugierig die Stirn kraus. Diese Neugierde war nicht gut; ihr nicht nachzugehen jedoch unnötig. »Welche Worte verwendet Sakura-sensei dafür?«

»Sie sagt, du bist ein unverschämt perfektes Genie, dem eine gerechtfertigte Arroganz in die Wiege gelegt wurde. Und etwas mit Tadellosigkeit und deinem pathologischen Drang, Leute zu belehren. Etwas in der Art, aber sie hat so schnell gesprochen, dass ich mir nicht sicher bin, in welcher Reihenfolge.«

So, so. In Haruno Sakuras Augen war er also Sasukes verschrobener, unverschämt genialer, arroganter großer Bruder, der krankhaft Leute maßregelte. Tadellos und perfekt nicht zu vergessen. Eine äußerst umfassende Meinung, wie er fand, aber durchaus akkurat. Bloß in einem Punkt hatte sie sich geirrt. Er belehrte Leute nicht, weil ihn etwas dazu drängte. Schon gar nicht jedermann. Beizeiten würde er ihr diesen feinen Unterschied verdeutlichen müssen.

»Du wirst es schaffen, Itachi-niisan.«

»Das ist, was ich vorhabe.«

Und er hatte immer schon bekommen, was er wollte.
 

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In repetititiver Monotonie schlug Tsunades rotlackierter Fingernagel gegen die unschuldige Tischplatte, in der sich langsam eine Kerbe bildete, wo sie ihn in brachialer Ungeduld seit einer Stunde drangsalierte. Es war fünf Tage her, dass sie den Eilboten nach Sunagakure no Sato geschickt hatte. Rechnete man mit drei Tagesreisen pro Richtung und  der Dringlichkeit dieser Nachricht, war er inzwischen fällig. Sie hätte ein ANBU Team schicken sollen. Irgendeines. Den Uchihahaufen, in dem Yūgao als einzige Frau und Nicht-Uchiha mit ihrer Schnelligkeit gewiss ein Tempo vorgegeben hätte, das den Rekord von zweieinhalb Tagesreisen zu dem Shinobidorf Kaze no Kunis locker um einige Stunden unterboten hätte. Yūgao war flink. Oder Sasuke. Zusammen wären sie binnen zweiundsiebzig Stunden wieder hier gewesen. Aber sie hatte diese Ausgangssperre nicht aus Spaß an der Freude verhängt.

»Hast du nichts Besseres zu tun?«, brummte sie, das Kinn auf ihre Handfläche gestützt auf dem Tisch lümmelnd.

»Nicht wirklich«, gab Jiraiya beiläufig zurück. Er saß am Rand ihres Büros, bewaffnet mit einer Schriftrolle, die er mit Obszönitäten beschmierte. Ein neues Buch vielleicht. Sie würde auch dieses Exemplar nicht lesen. Seit sie ihn aus dem Krankenhaus entlassen hatte, hatte sie leichte Trainingsstunden als Rehabilitationstherapie vereinbart. Zweimal die Woche für jeweils zwei Stunden grundlegende Taijutsu- und Ninjutsuübungen, um sein Chakrasystem und seine Kondition auf ihr altes Level zu schrauben. Seit sie sich bereiterklärt hatte ihm dabei zu helfen, anstatt eine arme Schwester dazu zu verdonnern, die keine zwei Tage gegen seinen vehementen Sturkopf bestanden hätte, klebte er förmlich an ihr. Wohin sie auch ging, Jiraiya war da. Sie konnte verstehen, dass er sich nutzlos fühlte in seinem jetzigen Zustand, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nicht schnell besser werden würde – vor allem nicht, wenn er weiterhin darauf bestand, sie beim Saketrinken herausfordern zu müssen. Es musste grausam sein, sich derart ohnmächtig zu fühlen, wo die Lage bereits eskaliert war. Es war eine Frage der Zeit, bis die Kriegserklärung unterzeichnet wäre. Die wahre Frage war nicht wann, sondern gegen wen.

Wen hatten die Akatsuki letzten Endes alles auf ihre Seite ziehen können? Die Unwissenheit darüber machte Tsunade Kopfzerbrechen. Jiraiyas Schutzhaltung ihr gegenüber war eine Bestätigung ihrer Befürchtungen. Er war nicht nur hier, weil ihm langweilig war. Er wollte sie beschützen.

Dieser Narr.

In seiner aktuellen Verfassung war er ihr in einem direkten Kampf bloß mehr im Weg. Zumal sie als Hokage nicht unbedingt direkt würde kämpfen müssen. Wenn sie ehrlich war hatte Tsunade gar keine Muße, sich über Jiraiya auszulassen, schon gar nicht ohne zustimmendes Publikum. Wenigstens war er weniger unangenehme Gesellschaft als die Goikenban.

»Was schreibst du?«, erkundigte sie sich höflich, was ihn aufsehen und grinsen ließ.

»Ich bringe bloß ein wenig Inspiration zu Papier. Dieser Raum ist voll davon.« Jiraiya schmunzelte schelmisch, wurde jedoch schlagartig ernst, als seine älteste Freundin nicht einstimmte. »Was bedrückt dich? Etwa Suna?«

»Solange wir nicht wissen, was genau sie getan haben, können wir nicht agieren. Ich hasse es, im Dunkeln zu tappen –«

Just in dem Moment, als sie sich beschweren wollte, tauchte ein maskierter ANBU in einer Rauchwolke vor ihr auf. Von der Haarfarbe und Statur her konnte Tsunade erkennen, dass es Komachi war. Sie ohne ihren Partner Towa anzutreffen war ungewöhnlich. Dass sie einen Brief mit sich trug sogar noch unüblicher.

»Hokage-sama«, sagte sie nach einer huldvollen Verbeugung durch die maßgeschneiderte Porzellanmaske. »Wir fanden den Boten auf unserer Rückkehr über die südliche Route. Ich entschied, dass es besser wäre, den Brief auf dem schnellsten Weg zu Euch zu bringen.« Sie überreichte den Brief mit dem brisanten Inhalt und Tsunade entließ sie. Damit waren, die Boten nicht mitgezählt, nun auch die letzten Konohanin im Dorf. Wenn in der Nachricht stand, was sie vermutete, würden sie bald alle verfügbaren Einheiten brauchen.

»Willst du ihn nicht öffnen?« Komachi war verschwunden und Jiraiya neugierig hinter sie getreten. Ungeduldig nahm er ihr die Schriftrolle aus der Hand, entrollte sie und las die wenigen Zeilen, die das Malheur zusammenfassten.

»Wie schlimm ist es?«, fragte Tsunade, obwohl sie es nicht wissen wollte. Dem verbissenen Gesichtsausdruck des männlichen Sannin nach zu urteilen …

»In etwa so schlimm, wie wir befürchtet hatten.«

»Diese Tölpel!«, brüllte sie wütend. Ihre Faust raste auf den Schreibtisch hinab, von dem einige Zettel zu Boden segelten. »Gaara hätte auf mich hören sollen, anstatt ihnen die Entscheidung zu überlassen! Sunas Ältestenrat ist noch debiler als unsere beiden senilen Schabracken!«

»Wir müssen handeln.« Jiraiya reichte ihr das Schreiben, das er bereits auswendig gelernt hatte. Es war nicht viel, was darin stand, würde aber genügen, um drei Reiche in den Krieg zu stürzen. Wenn Akatsuki, deren Aktivitäten in Tsuchi no Kuni immer schon hoch gewesen waren, Iwagakures Zorn in die Finger bekam –

»Natürlich müssen wir das! Konoha ist Sunas engster Bündnispartner. Ich werde nicht zulassen, dass man unsere Loyalität infrage stellt. Wir haben nicht die nötigen humanen Ressourcen, um ein ANBU Team dorthin zu entbehren. Nara Shikamaru soll tun, wofür wir ihn dort stationiert hatten.«

Jiraiya gluckste überrascht. »Du hast ihn für den Notfall dort abgestellt? Das war sehr vorausschauend.«

»Wieso verwundert dich das?«, fragte Tsunade rhetorisch während sie ein Blatt Papier aus ihrer Schublade zog und ihr Tintenfass öffnete. »Schon als Gaara seine Bedenken über die Tragweite der Entscheidung, Spione in Iwa zu stationieren, äußerte, war mir klar, dass es im Ernstfall zur Eskalation kommen könnte. Wer hätte gedacht, dass Suna so weit in die Souverenität Iwas eingreift? Ich erteile dem Kazekagen die Erlaubnis, mit meinem Konohanin zu verfahren, wie er es für richtig hält.«

Der Sannin schnaubte. »Lass mich den Brief überbringen. Ich kann als Gesandter Konohas die Wogen sicher schneller glätten als irgendein Jōnin ohne Rang und Namen.«

»Schon möglich, aber du würdest in deinem Zustand eine Woche nach Kaze no Kuni brauchen. Als Hokage kann ich nicht verantworten, einen angeschlagenen Shinobi in ein Krisengebiet zu schicken. Shikamaru wird es ganz hervorragend machen. Ich werde Gaara dazu raten, einen Diplomaten mit ihm zu senden. Alles weitere liegt in der Entscheidung Sunagakure no Satos. Ich bin kein Kage, der die Souverenität eines anderen Staates untergräbt.«
 

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Sakura war hinter ihrem Eifer als Kunoichi ein wenig froh, dieser Tage Ausgangssperre zu haben. Eine Mission mit ihrem neuen Teamkameraden hätte nicht gut für sie beide geendet. Dass Sasuke mit dem was er sagte durchweg recht hatte, wollte sie gar nicht bestreiten. Es lag ihr fern, seine Meinung darüber korrigieren zu wollen, zumal sie hervorragend mit der ihren kongruierte. Itachi hip oder hopp, er war ihr Patient, mit dem sie eine temporäre Zweckgemeinschaft geschlossen hatte. Sie konnte ihre Fähigkeiten und Reputation als Iryōnin ausbauen und er bekam eine kostenlose Behandlung. Wenn er ihr blöd kam, würde sie einfach eine saftige Rechnung über ihre Arbeit ausstellen, wobei ihr Stundenlohn sehr hoch wäre. Aufwandsentschädigung.

Dass Sasuke sie hatte warnen wollen, nichts in Itachis kurzlebiges Interesse hinein zu interpretieren, war in gewisser Weise rührend. Seine anmaßende Bestimmung, in der er sich erlaubte, aktiv in ihr Leben einzugreifen, war das, was sie rasend machte. Seit sie ihn deswegen verprügelt hatte, was inzwischen gut zweiundsiebzig Stunden her war, hatte sie versucht, nicht mehr daran zu denken.

Ein riesengroßer Fehlschlag.

Dabei dachte sie nicht einmal explizit an Sasuke. Oh ja, Haruno Sakura war nach allen Regeln der Kunst um den Finger gewickelt worden. Und sie hasste es. Wenigstens war sie kein kleines Mädchen mehr, das mit geröteten Wangen und einer selbstgemachten Bentobox nachlief. Sie war eine selbstbewusste junge Frau, die ihren Ärger ganz klassisch in Arbeit erstickte. Wenn sie gedacht hatte, durch das Ausbleiben von Missionen würde es weniger Verletzte geben, hatte die gesamte Belegschaft des Krankenhauses sich getäuscht. Aus Frust waren die Trainingskämpfe härter als gewohnt, was nicht wenige ernsthaft lädierte Shinobi in die Notaufnahme trieb. Umso besser, dann musste sie sich wenigstens nicht über Sasuke ärgern, der meinte, sich in ihre Privatsphäre einmischen zu können, und über Itachi, dessen Kritik immer noch an ihr nagte. Egal was sie auch tat, er fand doch immer wieder ein Haar in der Suppe.

»Shizune«, raunte Sakura erschlagen von der dicken Akte eines Stammpatienten, der seit Jahren immer wieder gegen seinen Erzrivalen antrat, was ihm regelmäßige Besuche bei seiner Lieblingsärztin einbrachte. Der Shinobi war Jōnin und Mitte vierzig, sodass man eigentlich dachte, er wisse es inzwischen besser. Yamanaka Inoichi war eben ein Sturkopf.

»Was ist los, Sakura?« Shizune steckte ihren Kopf durch den Vorhang, der die einzelnen Betten in der Ambulanz voneinander abtrennte. »Könntest du Inoichi-san drei Milligramm Oxycodon verabreichen?«

Die ältere Iryōnin warf einen Blick auf das Krankenblatt. »Möchtest du nicht lieber Naproxen infundieren? Oxycodon scheint mir zu riskant und Naproxen würde auch das leichte Fieber senken, das durch die Entzündung auftritt.«

»Oh … ja. Du hast recht.«

»Warte, Sakura.« Sie hielt ihre rosahaarige Kollegin zurück und zog sie außer Hörweite der Patienten zu dem Medikamentenschrank, wo sie eine geringe Menge des vorgeschlagenen Analgetikums aus einer der Schubladen holte. »Was ist los? Du bist heute nicht ganz bei der Sache. Ist etwas passiert?«

»Uchiha Sasuke ist passiert«, brummte Sakura missmutig.

»Ich verstehe.« Shizune schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Die Entscheidung, Team Sieben zu reformieren, war für Tsunade-sama nicht leicht zu treffen. Der gesamte Uchihaklan hasst sie dafür, aber es ist ihr egal. Und zwar nicht, weil sie diese Leute immer schon gerne ärgerte, sondern weil es die einzig richtige Entscheidung war. Du weißt, dass ihr ein Team seid, das nirgendswo sonst in der Welt vorkommt. Sieh mich nicht so an, als wäre es das Ende der Welt. Sasuke-kun mag ein wenig eigen sein, aber inzwischen hast du doch eine schlagfertige Methode, ihm den rechten Weg zu zeigen.«

Sakura seufzte. »Irgendwo hinter all dem Ärger über ihn mag ich ihn ja auch noch ein bisschen. Aber was wird mit Sai? Er war viel länger in Team Sieben als Sasuke.«

»Und ward ihr jemals so eng verbunden wie mit Sasuke? Welches Team ist stärker, Sakura?«

Unwillig murmelte sie ihre Antwort, die auf der Hand lag. Team Sieben, das waren Naruto, Sasuke und sie. Es gab keine Zweifel darüber, dass Sai ein wunderbarer Mensch war und mit seinen Teamkameraden auf eine ganz eigene Art harmonierte. Aber nie so wie Sasuke. »Der Klan hasst nicht nur Tsunade-sama dafür«, fügte sie genervt hinzu. »Ich frage mich, wann er wieder beginnen wird, unser Team auseinander zu reißen.«

»Iwo.« Shizune zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Die Uchihas haben der Entscheidung der Hokage nicht entgegenzusetzen. Wie man hört, hast du einen ja bereits auf deine Seite gezogen.«

Sakura stockte. »Wer –«

»Shizune!«

Zwei aufgeregte Jōnin kamen durch die Ambulanz gerannt. Genma hatte den Arm erhoben während Aoba im eilig folgte. Als sie bei ihrer Teamkameradin aus Geninzeiten ankamen, senkten sie die Stimmen zu aufgeregtem Flüstern.

»Draußen tobt eine Invasion; Kirishinobi sind mit Otoshinobi im Dorf eingefallen. Sie konnten noch nicht in den Stadtkern vorstoßen, aber die Randbezirke sind ein einziges Schlachtfeld. Shizune, du sollst die Evakuierung des Krankenhauses einleiten. Sakura-san soll zu Naruto-kun und Uchiha aufschließen.«

»Was?«, fragte Sakura geschockt. »Wieso sollten Orochimaru und Mizukage-sama Konoha angreifen?«

Genma schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht. Tsunade-sama gab den Befehl, dir auszurichten, dass du unter allen Umständen mit deinem Team zusammenbleiben sollst. Komme was wolle, und sie befahl es mit Nachdruck. Akatsuki hat mittlerweile fünf Bijū, darum steht Naruto-kuns Sicherheit an oberster Stelle.«

»Verstanden. Wo ist er?« Die beiden Jōnin zuckten die Schultern, doch eine verbale Antwort war auch unnötig. Sakura kannte ihre Männer. Waren sie gerade nicht auf einer Mission, konnten sie sich nur an einem Ort befinden.
 

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Schneller und geschmeidiger als sie sollte durchquerte sie die hektischen Straßen Konohas, in denen eiliges Chaos herrschte. Chūnin waren allerorten mit der Evakuierung beschäftigt, Mütter schrien die Namen ihrer Kinder, Ehemänner suchten nach ihren Frauen. Panik sah anders aus, dafür war Konohas Evakuierungsplan viel zu geschliffen, doch die Anspannung war nahezu greifbar. Es tat förmlich weh, durch die mit Angst gefüllte Luft zu laufen. Sakuras Ungeduld wuchs mit jedem zu langsamen Schritt, den sie fünfmal schneller hätte machen können, doch sie brauchte ihre Kondition noch. Ihre Energie jetzt schon zu verschwenden wäre fatal. Derart umherzuschleichen, als sie sich ihrem Ziel voll unbestimmter Furcht näherte, war nichtsdestoweniger Folter.

»Sakura-san!« Es war Lee, der mühelos zu ihr aufholte. Hinter ihm teilten sich Tenten und Neji in zwei andere Richtungen auf, die zum Osttor und auf die Marktstraße führten. Er selbst passte sein Tempo an das ihre an. Monatelang hatten sie ihre Taijutsu miteinander trainiert; sie war nie auch nur annähernd so gut und schnell geworden wie er. »Weißt du, von wem wir angegriffen werden?«

»Orochimaru. Mal wieder …«, zischte sie bitter. »Er hat es irgendwie geschafft, Kirigakure auf seine Seite zu ziehen. Wo liegt dein Einsatzgebiet, Lee-san?«

Er deutete geradeaus. »Im Südwesten. Aber sie haben dort genügend Leute. Bist du auf dem Weg zu Naruto-kun?«

Sakura nickte leicht, was er aufgrund ihres Laufschritts jedoch nicht sehen konnte. »Er ist wahrscheinlich im Uchihaviertel, um mit Sasuke zu trainieren. Wir brauchen jede helfende Hand, um ihn davon abzuhalten, sich ins Getümmel zu stürzen. Da vorne ist es!« Mit einem Satz sprang sie achtlos über die Mauer inmitten einen Bulk Uchihas, die auf dem gepflegten Rasen in einem Kreis stehend eine Diskussion ausfochten.

»Ich verbiete eine derartige Einmischung!«, fauchte eine ältere Frau. Sie verstummte, als sie Sakura und Lee bemerkte.

»Wo ist Naruto?«, rief Lee in den Streit hinein, den Uchiha Fugaku mit Shisui, Mikoto, Asuka, Itachi und seiner Schwester Hatsu austrug, die flankiert von zwei außerfamiliären Mitgliedern der Polizei in einem traditionellen Kimono ihre Tochter an die Hand genommen hatte. Ihr streng zusammengebundenes Haar verlieh ihrem einst einmal schön gewesenem Gesicht einen strengen Ton.

»Wir haben den Fuchsjungen nicht gesehen. Dies ist privates Gelände«, fuhr sie Lee an, der aufgrund ihres bissigen Tonfalls zurückwich. Sakura streckte einen Arm von sich.

»Wir befinden uns inmitten einer Schlacht, für Grundrechtsklagen ist nicht der richtige Zeitpunkt. Naruto wollte mit Sasuke trainieren. Wo ist der Trainingsplatz?«

Hatsu zog Asuka enger an sich. Diese wollte sich wehren, entkam dem festen Griff ihrer Mutter jedoch nicht. Hatsu funkelte Sakura weiterhin böse an. »Was erdreistest du Gör dich –«

»Es reicht, Hatsu-sama«, unterbrach Itachi sie. Er setzte seine Porzellanmaske auf, hinter der seine strenge Stimme dumpfer, aber nicht minder endgültig wirkte. »Wir beenden diese Diskussion. Der Klan ist Konoha deiner Meinung nach vielleicht nicht verpflichtet, aber wir Shinobi sind es. Wenn du nicht erlaubst, dass Shisui und ich unseren Kameraden beistehen, wirst du deine Meinung ändern müssen, denn wir werden es nicht tun. Sakura, komm mit mir. Sasuke und Uzumaki sind im Hinterhaus.«

»Danke«, sagte sie matt. Sie wusste, dass die beiden ohne Itachi längst auf das Schlachtfeld gestürmt wären, um Orochimaru gepflegt in den Hintern zu treten. Genau das war, was es zu verhindern galt. Als ob sie das könnte! »Lee-san, ich werde deine Hilfe brauchen.«

»Stets zu Diensten, Sakura-san!« Er schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln, das seine blitzenden Zähne entblößte. Mit einem leichten Knuff gegen ihren Oberarm ging er an ihr vorbei Itachi nach, der sich bereits mit Shisui von der Familienszene abgesetzt hatte. In ihrem Rücken spürte sie bloß Hatsus bohrenden Blick und Fugakus Unmut darüber, dass der Erbe sie derart vertraut mit dem Vornamen adressiert hatte. Leider, und dies war ihr wahres Dilemma, war dies gerade ihre geringste Sorge.

Sasuke und Naruto waren tatsächlich im Hinterhaus, das abseits jeden Trubels in trügerischer Stille lag. Drei ANBU hielten sie von der Flucht ab; sie hatten mit ihren breiten Schultern den Ausgang versperrt, vor dem sie erst Platz machten, als Itachi seine Präsenz ankündigte. Während jeder andere nervöse Unruhe in sich hatte, wirkten die nunmehr vier Shinobi hinter ihren Masken gelassen wie die unwirkliche Ruhe selbst.

»Sakura-chan!«, platzte es aus Naruto hinaus. Er stürmte auf sie zu, rannte Itachi dabei fast um und packte sie an den Schultern, um sie vorwurfsvoll zu schütteln. »Sie haben uns hier eingesperrt! Verdammt, wir müssen Konoha doch beschützen! Wie soll ich kämpfen, wenn diese Pappnasen mich festhalten? Wir wissen nicht einmal, was los ist!«

Hinter ihnen waren die ANBU, einschließlich Sasuke, in eine schnelle, aber akkurate Absprache verfallen. Egal was sie vorhatten, Sakura hatte ihre Befehle. Noch weiter in Itachis Meinung von ihr als Kunoichi zu sinken war –

Völlig egal. Es ging nicht um Itachi oder sie. »Dieser Scheißkerl Orochimaru greift uns schon wieder an«, erklärte sie verbissen. In ihren Fäusten juckte es. »Genaueres weiß ich auch nicht, aber Tsunade-samas Befehl lautete, zusammenzubleiben. Sasuke, du und ich dürfen uns nicht aus den Augen verlieren. Oto hat sich mit Kiri verbündet, wenn Akatsuki ebenfalls mitmischt, bist du in größter Gefahr.«

»Dann bleiben wir eben zusammen und treten ihnen gemeinsam in den Arsch! Sakura-chan, erzähl mir nicht, dass du hier einfach so rumstehen kannst, während unsere Freunde da draußen Krieg führen! Sogar die buschige Augenbraue kann kaum noch still stehen! Sakura-chan!«

Tausend Möglichkeiten preschten auf sie ein, hunderte Gedanken über reale Ausgänge, welche die eine oder die andere Entscheidung zur Folgen haben könnte. Shikamaru hätte jede Chance analysiert, Itachi hätte sich für alles einen Plan zurechtgelegt, aber sie war weder der eine noch der andere. Sie war Haruno Sakura und sie würde ihre Kameraden an der Front nicht alleine lassen!

»Wir gehen«, entschied sie pro forma. Selbst wenn sie es verboten hätte, wäre Naruto gegangen. Zumal er wusste, dass diese Möglichkeit nie bestanden hatte. Sie waren Konohanin.

»Teme, beweg deinen Hühnerarsch hier her, wir räumen da vorne ein wenig auf!«, rief Naruto nach hinten wo Itachi, Shisui, Sasuke und ein unbekannter Shinobi mit Rattenmaske ihre Besprechungsrunde auflösten.

»Wir gehen alle zusammen«, befahl Itachi. »Die Aufgabe der ANBU ist es nach wie vor, Hokage-sama zu beschützen. Sie wird zusammen mit Jiraiya-sama an der Front kämpfen. Diesmal werden wir Orochimaru nicht entwischen lassen. Wir teilen uns in drei Teams auf, um uns schneller fortbewegen und Orochimaru im Bedarfsfall einkesseln zu können. Shisui und ich nehmen die Ostseite, Team Sieben geht über den Park und Kuon-san übernimmt mit Lee-san die Mitte. Vergesst nicht, dass wir kein operatives Team sind. Jeder ist auf sich gestellt.«

Sie nickten einander zu, wobei Sakura sich sicher war, dass er sie durch die dünnen Schlitze seiner Maske hindurch ebenso direkt angesehen hatte wie sie ihn, dann verschwanden sie mithilfe einer Teleportationsjutsus nach draußen. Lee und Kuon, dessen Namen sie in Verbindung mit der medizinischen Einheit der ANBU bereits gehört hatte, waren nicht minder schnell verschwunden.

»Dann los!«, brüllte Naruto zum Angriff. Sie hatte keine Mühe, ihm zu folgen, selbst als Sasuke sich an die Spitze setzte und sie zu dritt das Tempo anhoben. Das Adrenalin rauschte durch ihre Bahnen, sodass sie jeden Sinneseindruck stärker empfand, als es möglich sein sollte. Sie wusste, dass ihr Vorhaben furchtbar schiefgehen konnte. Dass sie an Narutos und Sasukes Seite war, war das einzige, das ihr Halt gab in dieser ausweglosen Situation, die sich ihr in ihrer erschreckenden, zerstörerischen Wahrheit darbot. Trümmer lagen dort, wo Otonin und Kirinin sich ins Innere der Stadt gekämpft hatten, Menschen schrien abseits von Team Siebens Route, Blutspuren markierten einen Weg, rückführend vom Epizentrum.

Plötzlich ertönte ein Knall und aus einer Rauchwolke sprangen vier Ninjas; Konohanin.

»Ino!«, rief Sakura erschrocken, zugleich aber auch erleichtert. Die Blondine schaltete einen Otonin mit einem gezielten Kunaiwurf zwischen die Augen aus, wandte sich um und winkte die drei eben Angekommenen zu sich. Mit erhobener Hand deutete sie zur Stadtmauer. Neben ihr landete Hyūga Hanabi. Sie hatte ihre Byakugan aktiviert, sodass ihr schönes Gesicht furchterregender aussah als die verzerrte Fratze des blutenden Feindes. Noch weiter hinten beseitigten Kiba und Shino zwei weitere Otonin.

»Der Kampf dort tobt in alle Richtungen!«

»Wir sind gerade auf dem Weg zu diesem Schlangenbastard«, meinte Naruto ungeduldig. »Wie schlimm ist es?«

»Schlimm genug«, mischte Hanabi sich ernst ein. Ihrer sarkastischen Äußerung folgte verächtliches Zischen. »Wo sind diese Rotaugen? Alle Hyūgas kämpfen an der Front, bloß diese Wichtigtuer haben den Schwanz eingezogen. Dabei brauchen wir jede Unterstützung, die wir bekommen können.«

Sakura verstand die tiefe Abneigung der Klans gegeneinander nicht einmal im Ansatz, waren sie sich doch so ähnlich, dennoch musste sie Hanabi rechtgeben. Noch mehr als das  war es irrelevant. »Ist Tsunade-sama in Ordnung?«

Kiba zuckte die Schultern. »Wir waren an der Nordseite beim Training als Hanabi-chan und Konohamaru-kun uns verständigten. Wir haben keine direkte Order bekommen, darum sind wir auf dem Weg zum Kern der Invasion. Noch einmal wird Orochimaru keinen Hokage umbringen, das schwöre ich bei meinem Leben.«

»Ganz meine Rede«, eiferte Naruto mit unpassendem Grinsen, das von Entschlossenheit zeugte, »Ich muss nämlich noch viel lernen, ehe ich Rokudaime werden kann!«

»Nicht quatschen!«, warf Ino ein. Sie rannte bereits in Richtung des Kampfgeschreis. Team Sieben nickte sich erneut zu, dann setzten es ihr zusammen mit den restlichen drei Konohanin im Eiltempo nach. Sie hatten keine Minute zu verlieren, nicht einmal eine Sekunde.

 
 

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Second Raid

 

 
 

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Woher Hanabis plötzlicher Energieschub kam war erst nicht zu entdecken. Sie hatten sich zu siebt nach vorne gekämpft, wo mit jedem Schritt mehr Tod und Sterben herrschte; die kalte Luft wurde von metallischem Waffengeklirr durchzogen, Schreie voll Wut und Entsetzen hallten über die zertrampelte Freifläche vor dem Toren Konohas, wo Konohanin die Stellung wacker hielten. Kiri und Oto waren zahlenmäßig haushoch überlegen. Die feindlichen Ninjas, welche die Verteidigungslinie hatten durchbrechen können, hatten im Dorf bereits Chaos und Verwüstung verursacht. Wenigstens war die Bevölkerung sicher evakuiert.

Es waren sieben Kirishinobi, die Hyūga Hanabi absichtlich von ihren temporären Gefährten getrennt hatten. Ein schwerer Fehler, wie sich im Nachhinein schnell herausstellte. Während Naruto und Sasuke ohne Rücksicht auf Verluste weiter nach vorne preschten, um die Reihen von hinten aufzuräumen, und Shino mit seinem Team in einen nachteiligen Kampf einstieg, in dem einige Inuzukas neun Otonin aufmischten, wurde Sakura Zeuge einer schier unmöglichen Attacke. Hanabi brauchte exakt zwölf Sekunden, um sich einmal am Ballen im Kreis zu wirbeln, ihre Hand zu erheben und die sieben Kirinin, die auf sie zupreschten, in einer einzigen, fluiden Bewegung zu Boden zu ringen.

»Da staunst du, nicht wahr?«, höhnte Hanabi. Sie schaffte mit einem Tritt zwei Gegner aus dem Weg, um Platz für ein junges Mädchen zu machen. Sakura stockte der Atem, als sie es erkannte.

»Asuka-chan!«, japste sie. Eine Gruppe Otonin kam aus dem Nichts geschossen, die beiden Mädchen wichen überrascht zurück. Ohne groß zu überlegen setzte Sakura nach vorne und rammte ihre Faust in das Gesicht des einen, drehte ihren Unterkörper im Flug, um den zweiten zu beseitigen, und stieß den dritten auf den vierten. »Deckung nicht vernachlässigen«, wies sie Asuka und Hanabi zurecht, die sich böse anfunkelten. In Asukas Augen war ein Feuer entfacht, das nicht nur von der Röte ihrer Sharingan herrührte.

»Danke, Sakura-sensei«, meinte sie knapp, ehe sie ihr Hitai-ate von ihrer Hüfte löste und es sich als jenen Stirnbandschutz, für den es konzipiert war, um den Kopf band. »Ich wette, dass ich mehr Shinobi fertigmachen kann als du, Hanabi.«

Hanabi zischte, wurde jedoch von Sakura unterbrochen. »Deckung!«, schrie sie sowohl ratschlagend, als auch im Befehlston. Diese beiden vergaßen die Welt um sich! Doch sie hatte zu schnell geurteilt. Schnell, wendig und präzise wie die hochgewachsenen, schlanken Mädchen waren, wanden sie sich aus der Schusslinie des aufkommenden Kunaihagels, dem Sakura nur durch eine Flugrolle zur Seite ausweichen konnte. Seitlich von sich sah sie die Doujutsunutzerinnen um sich schlagen, nicht minder präzise als zuvor. 

»Katon! Housenka Tsumabeni!«

Sakuras Herz setzte für einen Schlag aus. Itachis Technik! Sie hatte sie noch nie zuvor gesehen, doch man sagte, sie sei äußerst schwierig zu meistern. Der sengend heiße Feuerreigen erleuchtete die Szenerie für einen Augenblick, dann verloschen die Flammen, die aus Asukas Mund gekommen waren. Sakura spürte einen dünnen Schweißfilm auf ihrer Haut, so heiß war die Jutsu gewesen, obwohl sie nicht einmal in ihre Richtung gegangen war.

»Na warte!«, schrie Hanabi von der anderen Seite. Auch ihre Haut glänzte verräterisch, als sie ihre Augen für einen Moment zusammenpresste. Als sie sie wieder öffnete, pulsierten dicker gewordene Adern an ihren Schläfen. Mit nur zwei Schritten hatte sie vier Shinobi außer Gefecht gesetzt.

Sakura hatte genug gesehen. Sie wusste, dass Asuka und Hanabi die Hoffnungen der zwei großen Klans in Konoha waren; nun wusste sie auch, wieso. Es war durchaus berechtigt, sie wie Wunderkinder zu handeln. Sie hatte sich lange genug um Asuka gesorgt. Fugakus Drohung vor der Chūninprüfung war keineswegs ein schlechter Scherz gewesen. Er meinte derartige Dinge immer ernst, doch Asuka wusste sich sehr gut selbst zu verteidigen.

Plötzlich ertönte ein lauter Knall, gefolgt von drei weiteren nicht minder schellenden. Sasukes Stimme hinterher war ein vorwurfsvolles Raunen.

»Yūgao!«, brüllte er, die dicken Rauchschwaden zur Seite fächernd. Die violetthaarige ANBU hatte am Rand des Feldes zwölf Kibakufuda zugleich gezündet. Aus gutem Grund; Sakura hatte die ganze Zeit über die Umgebung nach ihrer Meisterin abgesucht. Nun hatte sie sie gefunden. Tsunade stand auf dem Kopf ihrer Riesenschnecke, die sie durch Yūgaos Ablenkungsmanöver hatte beschwören können. Vor ihr lachte Orochimaru höhnisch auf sie herab, unter seinen Füßen die schuppige Haut der gezähmten Schlange.

Sakura stockte der Atem. Die majestätischen Kreaturen starrten sich an, ungeduldig die Befehle ihrer Meister abwartend. So schnell sie ihre Schritte tragen konnten lief sie nach vorne, wo die feindliche Linie mit der Defensive aufeinanderprallte. Ihr Team hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen, was es einfach gemacht hätte, ihnen zu folgen, wenn sie es darauf angelegt hätte. Ihre Befehle waren unmissverständlich, doch sie würde heute nicht damit beginnen, sie bedingungslos zu befolgen. Naruto konnte auf sich selbst aufpassen. Tsunade wäre nicht glücklich über die Gedanken ihrer Schülerin, doch diese hatte durchaus recht. So wie die Situation sich verhielt, standen die Chancen der Hokage schlecht. Sie subtrahierten sich weiter, als Kabuto am Schwanz der lächerlich großen Schlange entlangging, seine nackten Finger an Manda streifend, wo er eine glänzende Linie hinterließ. Der Bastard hatte irgendeine neue Unterstützungsjutsu kreiert. Sakura konnte das wabernde Chakra um die Schlangenhaut spüren. Es zog sich in konzentrischen Kreisen über jede Schuppe, bis es ihren ganzen Körper bedeckt hatte. Was auch immer er gemacht hatte, es schien zu funktionieren.

Sakura hatte keine Zeit, die Grundlage der Jutsu zu fundieren. Ihren Anwender auszuschalten war im Regelfall die effektivste Methode, supportive Techniken zu kappen. Genau das würde sie tun. Egal wie sehr sie in letzter Zeit von einem gewissen ANBU Captain kritisiert worden war, welche Probleme sich dadurch aufgeworfen hatten und in welche Selbstzweifel sie unnötigerweise versunken war, hier ging es nicht um sie. Es ging darum, diesem Scheißkerl von Verräter die Lebensgeister aus dem Leib zu prügeln.

Mit einem rauen Schrei stürzte sie auf den weißhaarigen Iryōnin zu, die Handschuhe fest angezogen, und rammte ihre Faust in sein Gesicht. Der Baumstamm, den er mittels Kawarimi heraufbeschworen hatte, zersplitterte in tausende kleine Einzelteile. Sie kippte vornüber, sich konzentriert auf die Lippen beißend, adjustierte ihr Gleichgewicht und wandte sich mit einer halben Pirouette ihrem Gegner zu, der sich seine Brille zurecht schob, als habe er niesen müssen.

»Sakura, wie schön. Es freut mich, dich wiederzusehen.«

Sie lachte trocken. Kabuto hatte die Ereignisse von damals richtig interpretiert; sein Ass im Ärmel war nach wie vor die Lebensverbindungsjutsu, von der sie wusste. Sie würde ihn nicht töten, so viel war sicher. Sakura verzog angesichts dieser schalen Erkenntnis den Mund zu einer angewiderten Linie. Er wollte sie herausfordern? Das ließ sich einrichten. Über die letzten Monate hinweg hatte man auf ihren Nerven herum getrampelt, hatte sie brüskiert, beleidigt, zurechtgewiesen, mit ihrem ehemaligen Teamkameraden zurück in ein Team gesteckt, man hatte sich in ihr Privatleben eingemischt, sie damit aufgezogen, geärgert, verärgert und genervt, hatte ihre Geduld ausgereizt, ihre Fähigkeiten bemängelt, ihren Charakter degradiert und ihre Entscheidungen infrage gestellt. 

»Du«, spuckte sie wütend, beide Hände zu Fäusten verkrampft, »Hast dir einen denkbar schlechten Zeitpunkt gesucht, mich zu provozieren.«

Kabuto konnte diese vermeintlich leere Drohung nicht einmal mehr belächeln. Der raue Schrei von zuvor war nichts im Gegensatz zu der Todesdrohung, die sie ihm entgegen schmetterte, dröhnend und bedrohlich, als sie all ihre Schnelligkeit zusammennahm, sich nach vorne warf und zuschlug. Der Iryōnin wich mit einer grazilen Bewegung aus, doch sie hatte gerade erst angefangen. Weit weniger grazil, dafür aber schwungvoll, trat sie mit einem durchgestreckten Bein in seine Richtung, bloß um ihn erneut ausweichen zu sehen. Diesmal schlug Kabuto zu, dessen Angriff sie mühelos parierte. So heimtückisch er in seiner perfiden Planung auch sein mochte, Yakushi Kabuto war ein dilettantischer Nahkämpfer. Mit diesem Wissen schleuderte sie die Parade nach unten und rammte ihn in den Boden. Noch ehe er die Handzeichen für Kawarimi beginnen konnte, ergriff sie seine Handgelenke, um sie mit eisernem Griff auf den Boden zu pinnen. Kaum zu glauben, dass er ein Gegner für Itachi gewesen war.

»Nicht so stürmisch, Sakura«, säuselte Kabuto verschwörerisch. Irgendwo hinter ihnen ließ Asuka einen Feuersturm auf einige feindliche Ninjas los, dessen Flammen sich in seinen Brillengläsern reflektierten. Es verlieh seinem Antlitz etwas Inhumanes.

»An wem hängt die Jutsu?«, blaffte sie ihn an. Ihre Finger krampften um seine Handgelenke, als er versuchte sich zu befreien. Sie ließ das rechte einen Augenblick los und schlug mit der Faust dagegen. Leises Knacken verriet ihr, dass sie es gebrochen hatte. »Wage es nicht, eine deiner Techniken anzuwenden, um mich zum Narren zu halten! Antworte!«

Zur Erwiderung zuckte ein widerliches Grinsen über seine schmalen Lippen, die sofort wieder in ihr höhnisches Lächeln zurück glitten. Er wollte nicht reden? Fein. Das Ass in ihrem Ärmel war bereit gezückt zu werden. Wenn Kabuto keine Skrupel hatte, Konoha anzugreifen, hatte sie keine Skrupel einen ehemaligen Konohahin spüren zu lassen, was es bedeutete, die Schülerin der ehrenwerten Hokage zu verspotten.

Mit einem nicht minder höhnischen Lächeln auf ihrem eigenen Gesicht schlug sie in das seine. Erst mit halber Kraft, um seine Schmerzempfindung zu trüben. Der zweite Schlag kam nicht mehr unerwartet, dafür mit sehr viel mehr Kraft. Das Chakra pulsierte in ihrer pochenden Faust, deren Haut straff über die weiß hervortretenden Knöchel gespannt war. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie ihn mit nur einem einzigen weiteren Schlag umbringen können.

»Rede!«, gab Sakura ihm eine zweite Chance. Indes ließ sie langsam Chakra in seinen Kreislauf einsickern. Es dauerte nicht lange, bis sie sein Chakra von jenem schwachen Faden differenzieren konnte, der beim Sprechen der Jutsu vom Rezipienten auf den Anwender übergegangen war. Kabuto verweigerte weiterhin jede Kooperation. Seine Miene verzog sich kein Stück, als sie sein Chakrasystem okkupierte. Sie sollte gleich wissen, wieso.
 

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»Du bist ein Narr, Orochimaru!«

Tsunade hätte ihn gerne gefragt, was ihm einfiel, sein ehemaliges Heimatdorf anzugreifen. Schon wieder. War es sein Wahn von der Allmacht? Sein Versuch, Quantität über Qualität siegen zu lassen? Seine Verzweiflung und Wut darüber, dass sie sich geweigert hatte, seine Arme zu heilen, um stattdessen Hokage jenes Dorfes zu werden, das Sinnbild von allem war, das er verabscheute? Wie gerne hätte sie ihm gesagt, dass es keinen Sinn mehr machte. Seine Arme hingen wie leblose Würmer an seinem hageren Körper, der kaum noch von jenem starken Mann zeugte, der er einst gewesen war. Es war gut, dass sie Anko mit einem Team weit weg an das Osttor geschickt hatte, wo sie fernab der Blicke des verräterischen Sannin war, die Tsunade eine eiskalte Welle durch Mark und Bein trieb.

So alt, fahl und geschwächt er auch sein mochte, er war nach wie vor ein gefährlicher Gegner. Um keinen Preis würde sie seine Fähigkeiten unterschätzen.

»Bleib zurück, Jiraiya«, rief sie nach unten, wo ihr Langzeitkamerad sich zum Kampf bereit gemacht hatte. »Dies ist keine Wiedervereinigung unseres Teams, sondern ein Angriff auf Konohagakure no Sato. Den Feldherren dieses Massakers zur Strecke zubringen obliegt der Hokage!«

»Schön gesprochen, Tsunade-hime«, zischte Orochimaru. Heiseres Hüsteln untermalte seine aalglatte Stimme, was sie wie ein Reibeisen, dessen Zacken man abgeschliffen hatte, klingen ließ. »Überschätzt du dich nicht ein wenig? Wenn ich mich recht entsinne, konntest du vor sieben Jahre ohne die Hilfe des Kyūbibengels nicht einmal ein Unentschieden herbeiführen. Du wirst auch nicht jünger, meine Liebe, selbst wenn du dich für dein Alter gut hältst.«

Tsunade löste die Verschränkung ihrer Arme, streifte ihren weißen Kagemantel ab und ließ ihn vom Wind zu Boden tragen, wo Jiraiya ihn mit einem Rat aus der Luft fischte: »Lass dich nicht provozieren! Er mag ein vertrockneter Krüppel sein, aber er ist immer noch Orochimaru.«

Sie behielt sich vor zu schweigen. Wen sie vor sich hatte, wusste sie nur zu gut. Niemand anderes verstand sich so glänzend darin, mit seiner bloßen Präsenz Angst zu verbreiten. Seit Minuten starrten sie einander an, wortkarg und abwartend, während zu den Füßen ihrer vertrauten Geister die Schlacht in vollem Gange war. Bloß ein Ninja fehlte bei diesem Spektakel. »Wo ist Mei?«

»Terumī-san hat wichtige Angelegenheiten in ihrem Heimatland zu erledigen. Wichtige Geschäftstermine, du weißt ja, wie das als Führer eines Dorfes ist, nicht wahr?«

»Spar' dir deine Süffisanz, Orochimaru!«

Bedauernd schnalzte er mit der Zunge. »Sie war so freundlich, mir einen Teil ihrer Armee zu leihen, um mir dabei zu helfen, Vorteile für Kirigakure zu sichern. Das totalautoritäre Regime des Yondaime ist sehr förderlich zum Anführen eines Shinobiheeres. Sie gehorchen blind ohne Skepsis.«

Tsunade biss sich auf die Lippen. Geschäfte in Mizu no Kuni? »Du kannst Kirigakure keine Vorteile verschaffen.«

»Das weiß Terumī-san aber nicht.«

Tsk. So lief der Hase also. Wenn er sich damit nicht ins eigene Fleisch schnitt. »Nicht nur Mei ist leichtgläubig, vielleicht ist sie sogar weniger naiv als du meinst, Orochimaru«, rief sie, ihr Chakra bereits in ihren Fäusten bündelnd. »Denkst du, sie würde dir einfach so ihre Armee leihen? Ich sehe vielleicht ein Fünftel Kirinin, was in Summe einen schmalen Bruchteil Kiris ganzer Schlagkraft ausmacht. Und während du diesen unkoordinierten Haufen in einen aussichtslosen Kleinkrieg führst, verhandelt sie bereits mit Akatsuki. Ich hätte mir mehr Perfidität erwartet.«

Orochimaru erwiderte nichts. Sein Schweigen war Genugtuung in ihren Ohren, deren Steigerung sie sich gleich verschaffen würde. Ihre ANBU waren in einem Kreis um die Sannin herum postiert, wo sie Störenfriede fernhielten, was ihr die ideale Ausgangslage bot. Jiraiya machte den Anfang –

»Dieser Idiot«, fauchte sie zu sich selbst. Er war noch längst nicht so weit, sich mit seinem Erzrivalen zu messen! Wenigstens griff er mit einer Katonjutsu anstatt einer Kuchiyose an. Gamabunta war der einzige, der in diese Situation Sinn gemacht hätte. Und er war der einzige, für den die Kräfte des Froschbeschwörers nicht ausreichten.

Manda wich für seinen Meister mit einer sanften Kopfbewegung aus. Fein. Wenn Jiraiya sich schon wider ihres Befehls einmischen musste, konnte sie sich diese zahlenmäßige Überlegenheit auch zum Vorteil machen. Mit einem Schnippen befahl sie Katsuyu eine Welle ihres Schleimes auf ihren Gegner zu spucken. Die Riesenschlange wich aus, musste ihren Kurs jedoch korrigieren, als Jiraiya mit einer neuen Katonjutsu ihren Weg nach hinten versperrte. Sie setzte nach vorne, direkt auf Katsuyu zu, die ob ihrer Körperfülle nicht mehr rechtzeitig zur Seite gleiten konnte. Tsunade hatte es kommen sehen; wie oft hatten sie dieses Manöver damals geplant, kurz nachdem Orochimaru Konoha verlassen hatte? Freund hin oder her, Verräter wurden mit dem Tod bestraft. Jiraiya und sie hatten vor über zwei Jahrzehnten für diesen einen Moment geprobt.

Mit einem kräftigen Stoß stieß sie sich von Katsuyus Kopf ab, schickte sie zurück und sprang mit erhobener Faust auf Manda zu, auf dem Orochimarus Miene zu Eis gefror. Seine Schlange zischte bösartig auf als der schwungvolle Schlag der Hokage auf ihrer Nase endete.

»Dieses Miststück«, zischte der nunmehr einzige vertraute Geist auf dem Schlachtfeld. »Orochimaru, ich verlange ihren Kopf.«

Der Schlangenmensch entgegnete nichts auf diese Forderung. Seine ehemalige Teamkameradin rappelte sich auf dem wackeligen tierischen Konstrukt auf, um ihre Handflächen schillerte Chakra. Sie hatte inzwischen so viel in ihre Arme und Finger geleitet, dass es sich als sichtbare Aura um die infundierten Extremitäten manifestierte. Einen der starken Finger – die Fingernägel nach wie vor perfekt manikürt und lackiert – streckte sie in seine Richtung aus.

»Normalerweise würde ich dir die Chance zum Rückzug geben, du Bastard, aber ich sehe keine Möglichkeit, dir derartiges anzubieten. Es wäre eine Schande für mein Amt, wenn ich dich nicht hier und jetzt töten würde. Für deinen Verrat, deine Dreistigkeit, deine Schandtaten und dein gemeines Wesen, das dich zu einer Ausgeburt aller menschlichen Abgründe gemacht hat. Ich nehme an, du wirst dich nicht kampflos geschlagen geben?«

Erneut schwieg er und Tsunade nickte.

»So sei es.«

Bevor sie auf ihn zulaufen konnte, kam sein Kopf ihr bereits auf einem äußerst dehnbaren Hals entgegen. Sie kannte dieses Spiel; da er seine Hände nicht richtig benutzen konnte und Kabuto mit ihrer Lieblingsschülerin beschäftigt war, musste er sie auf Abstand halten. Tsunade wich seiner widerlichen Visage mühelos nach oben hin aus, wohin die Fratze sie verfolgte. Es dauerte Bruchteile von Sekunden, bis sie sie eingeholt hatte und der glatte, kalte Hals sich um ihre Schultern zu schlingen versuchte. Doch Orochimaru hatte die Rechnung ohne ihre Rigorosität gemacht. Heute würde es enden, selbst wenn sie dabei sterben würde. Sie war es Konoha schuldig, seinen Bewohnern, Orochimarus Opfern, deren Familien, Jiraiya und am allermeisten sich selbst. Heute gab es keine Gnade. Keine Zweifel. Sondern nur den Tod.

Der Sannin war so töricht, seinen netten kleinen Trick ein zweites Mal anzuwenden. Dabei hatte er das letzte Mal schon nicht funktioniert. Tsunade ließ dem Hals keine Möglichkeit, sich um ihren Oberkörper zu legen. Sie streckte die Arme von sich, ergriff zwei Stellen des inhumanen Schlangenhalses und schwang ihn über ihrem Kopf wie ein Lasso, während sie auf den zugehörigen Körper zulief. Ein Tritt, ein Schlag, ein Schrei und die physische Restform flog nach hinten, zurückgezogen von ihrem strammen Griff, aus dem sie ihren einstigen Freund nicht zu entlassen gedachte. Wie ein geleiteter Bumerang schnalzte Orochimarus Körper zu seiner Angreiferin zurück, die ihn mit einem weiteren Schlag erneut von sich schleuderte.

Das Gesicht des Sannin war blutverschmiert, seine Augen jedoch blitzen herausfordernd. Tsunade keuchte vor ihm. Katsuyus Beschwörung zusammen mit ihrer verschwenderischen Art, ihre Taijutsu in die Höhe zu treiben, hatten ihre Spuren in ihrer Kondition hinterlassen. Vor ihren Augen richtete er sich auf.

»Was zum –« Tsunade stockte. Was auch immer er in den letzten Jahren für Experimente an sich selbst hatte durchführen lassen, eines davon musste schief gegangen sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand seine Haut freiwillig in das schuppige Horngeflecht eines Reptils verwandeln würde. Andererseits sprach sie von Orochimaru und selbst Jiraiya hatte seine ekelhaft anmutende Senjutsu. Es war nicht verwunderlich, dass der zweite Shinobi des ehemaligen Hoffnungsteams eine ähnliche Form erreicht hatte. Sie gab es nicht gerne zu, doch wie auch immer Kabuto diese Transformation erschaffen hatte können, seine Fertigkeiten per se verdienten, so moralisch verwerflich sie waren, wissenschaftliche Anerkennung. Tsunade versprach sich stumm, sie ihm während ihrer Grabrede für Orochimaru zu zollen.

»Jiraiya!«, schrie sie, sich sehr wohl bewusst, dass sie es gewesen war, die ihm seine Einmischung abgeraten hatte. Dies war ihr Kampf, aber sie war kein Narr. Was auch immer diese neue Form konnte, mit ihr war gewiss nicht zu spaßen.

Jiraiya ließ sich nicht lange bitten. Er sprang hoch empor, weit über Orochimarus schuppigen, locker umherschlingernden Kopf hinweg, wo er eine Garnitur Fingerzeichen formte, seine Finger an seine Lippen führte und einen Schwall Öl spie, dicht gefolgt von einer Katonjutsu, die er begann. Hätte er die Möglichkeit gehabt, die Fingerzeichenkombination zu komplettieren, wäre der Kampf entschieden gewesen, doch der Kopf seines Gegners schnellte ungehindert vom dickflüssigen Öl nach oben und verbrannte seine Finger mit einer schwarzen Flamme, die nicht heiß, aber schmerzhaft war. Jiraiya schrie nicht, selbst als der Kopf sich um seinen Hals legte und er zusammen mit ihm von Tsunade auf Mandas Schnauze zurückgeholt wurde. Eine Faust rauschte nur knapp an ihm vorbei. Sie hinterließ dumpfes Summen in seinen rauschenden Ohren, durch das ein hysterischer Lacher drang. Er war Orochimaru entsprungen. Und es bedeutete, dass er noch ein Ass im Ärmel hatte.

»Soso«, säuselte Orochimaru nahezu voller Mitleid, »Heute endet es also. Osaraba, meine Freunde.«
 

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Dass Kabuto ihrem Griff entkommen hatte können, war Sakura nach wie vor unverständlich. Dass seine Schnelligkeit und Stärke so drastisch zugenommen hatte, noch unverständlicher. Er hatte sie mit einem einzigen Ruck von sich geworfen, war aufgesprungen und hatte eine vorerst unüberwindbare Distanz zwischen sie beide gebracht. Wo auch immer Naruto und Sasuke waren, jetzt war der Zeitpunkt, an dem sie sie gebraucht hätte. Ihre Wut von vorhin hatte sich nun auch noch mit Ärger über ihre eigenen vorausschauende Naivität gepaart: sie hatte den anderen Pol der Lebensverbindungsjutsu entdeckt.

Und es war nicht Sasuke.

Dafür war er fällig. Egal wo ihr Team steckte, sie brauchte ihre Männer nicht, um diesen Schweinehund zu massakrieren. Mit Freude würde sie ihm das siegessichere Grinsen aus der Visage wischen, mit dem er sie belächelte. Sakura preschte nach vorne, bewusst deckungslos, um ihren Vorteil des direkten Angriffs nicht zu verspielen. Noch einmal würde sie sich nicht von Kawarimi austricksen lassen. Wenn Kabuto dachte, sie wäre in den letzten Jahren nicht besser geworden, hatte er sich soeben ins eigene Fleisch geschnitten. Sie setzte nach vorne, schmetterte ihren wuchtigen Schlag jedoch in den Boden, anstatt sein verdutztes Gesicht zu treffen. Die kalte Erde brach in ihre Einzelteile auf. Einen der größeren Brocken trat sie in seine Richtung, einige der kleineren pulverisierte sie, sodass die winzigen Überreste seine Sicht trübten. Bevor er auch nur daran denken konnte, Kawarimi anzuwenden, sprang sie hoch zum alles vernichtenden Schlag.

»Du Schlampe!«, brüllte er ihr nach oben gerichtet nach. Sie war etwa drei Meter über ihm, ihre chakrainfundierte Faust von überschüssigem Chakra umwabert, auf ihn niedersausend. Sie verfehlte ihn knapp. Absichtlich. Ihre Faust schnellte erneut in den Erdboden. In der ersten Sekunde passierte nichts, dann erst breiteten sich feine Risse aus, die schlussendlich mit tosendem Lärm von unten herauf ganz ohne Kibakufuda oder Katonjutsu explodierten.

Die Druckwelle, die ihr Angriff erzeugte, verlor sich radial um das Epizentrum des gewaltigen Schlages, der die Erde erzittern ließ. Dutzende Meter um sie herum hörten Kämpfe für einen Schreckmoment lang auf, alle Blicke waren auf den aufgewirbelten Schutt gerichtet. Dicke Schwaden von Dreck, Kies, Erde, Sand und Rauch hatten sich um sie und Kabuto aufgetan. Sie legten sich nur langsam, um die Sicht auf das Trümmerfeld freizugeben.

Sakura keuchte, auf dem Boden kniend, eine Hand als Stütze auf eines der Trümmer platziert. Kabuto saß in ähnlicher Pose nicht weit von ihr entfernt – völlig verändert. Seine Augen glänzten gelb, seine Haut glich der einer Schlange.

»Was zum Teufel hast du gemacht?«, keifte sie schwer schnaufend. All ihre Kraft hatte in diesem Schlag gelegen. Sie hatte getroffen, kein Zweifel. Bloß nicht fest genug für diese neue Erscheinung.

»Ein paar Vorteile meiner Jutsu genossen, die mir bei unserer letzten Begegnung das Leben gerettet hat.« Kabuto machte eine wegwerfende Handbewegung. Seine Selbstbeherrschung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er am nahen Ende seiner Kräfte war. Leider war sie es auch. Ein Patt aus einem Musterbuch. »Weißt du, dass man den Rezipienten einer Verbindungsjutsu Stück für Stück absorbieren kann?«

Sakura verengte die Augenbrauen. »Ja.«

Kabuto rappelte sich auf, keuchend, schnaufend, aber er schaffte es. Sie weigerte sich, es ihm gleich zu tun. Die restlichen Reserven ihrer Kraft musste sie sich gut einteilen. Erst im letzten Moment würde sie zu einer Verteidigung ansetzen, bloß kein Augenzwinkern eher. Das richtige Timing war entscheidend. Kabuto wusste das. Er hielt sie hin, starrte auf sie herab, belächelte mit strammer Haltung ihr Kauern. Dann, schneller als sie es ihm zugetraut hatte, preschte er auf sie zu, ein einfaches Kunai im Anschlag. Sie zückte einen ihrer Shuriken aus der Beintasche, dazu bereit, ihn zu werfen als plötzlich –

Sie sah das Rückenteil eines weißen ANBU Panzers vor ihr auftauchen, ein dunkelbrauner Zopf auf ihm landend, in die Höhe geworfen durch das schnelle Manöver des ANBU. Er streckte einen Arm aus, schlug den gegnerischen Kunai zu Boden und griff nach Kabutos Hals. Itachis Sharingan war voller Hass, Verachtung, dem Wunsch nach Vergeltung. Sie konnte sie nur teilweise sehen, doch was sie sah, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Keinen der Angst. Es war Erleichterung.

»Töte ihn!«, rief sie in unangemessenem Befehlston. Überraschenderweise gehorchte Itachi sofort.

»Zu spät«, presste Kabuto unter dem Würgegriff hervor, der ihm das Atmen erschwerte.

Was genau Itachi daraufhin mit seinen Mangekyō Sharingan tat, blieb ihr verborgen. Obwohl Sakura ohnehin versuchte, nicht hinzusehen – was ihr nicht gut gelang – hatte sie das Gefühl, dass er sie bewusst davon abhielt. Was immer er damit machte, er wollte nicht, dass sie es sah. Als er sich zu ihr umdrehte, waren seine Augen mattschwarz.

»Obwohl es sehr beeindrucken war, Sakura, hättest du nicht den gesamten Boden sprengen müssen, um einen Einstand zu erzwingen. Das war eine unnötige Verschwendung deiner begrenzten Ressourcen. Mit einem effizienten Plan hättest du sehr viel eher gewinnen können.«

»Ich hatte einen Plan«, gab sie schnippisch zurück. Kleinlauter fügte sie an: »Ich hatte bloß keine Zeit mehr, ihn zu evaluieren. Es ist doch alles gut gegangen. Hast du schon einmal daran gedacht, dass mich von dir retten zu lassen – mal wieder – zu meinem Plan gehörte? Kabuto ist tot, insofern kann ich behaupten, dass er einwandfrei funktioniert hat.«

Dass er ihr nicht glaubte, war ihm anzusehen. Sie glaubte sich nicht einmal selbst. Diesmal störte sie sich nicht daran. Im Gegenteil. Sie hatte sich erfolgreich mit einem überlegenen Gegner gemessen. Naja, fast.

»Wen habe ich noch umgebracht?«, fragte Itachi. Er streckte seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Obwohl sie inmitten des ruhigen Trümmerfeldes standen, auf das niemand anderer sich gewagt hatte, tobte an dessen Rand noch immer das unfaire Scharmützel. Dass er einfach so ihrem Befehl gefolgt war, ehrte sie auf eine ganz eigene Weise.

»Orochimaru«, gab sie betreten zu. Das Aussprechen dieses grausamen Fakts ließ ihre Schuldgefühlte real werden. Sie wusste, dass Itachi dasselbe dachte wie sie. Ob er ihr ebenfalls die Schuld gab, die sie sich selbst aufbürdete, war schwierig zu beurteilen. Selbst dass er seine Maske aus ungeklärten Gründen nicht trug, machte es ihr nicht möglich, hinter die stoische Fassade der Selbstbeherrschung zu blicken. Etwas dahinter schien sich zu regen; Itachi hatte soeben ein Urteil gefällt, das sie betraf. Was auch immer es war, Sakura hatte keine Zeit, es herauszufinden.

Die Explosion, die folgte, war vermengt mit einem weiblichen Schrei. Itachi war bereits in Richtung der Geschehnisse verschwunden als Sakura realisierte, was geschehen war. Die Nebelschwaden legten sich und hinterließen Spuren von Blut, wo der Kampf der Sannin stattgefunden hatte. Ein Dutzend ANBU stürzte sich auf die außer Kontrolle geratene Riesenschlange, die zischte und wild um sich schlug. Ihre rauen Schimpftiraden gegen die 'würdelosen Missgeburten Konohas' gingen im Gefecht unter, aus dem sie versuchte zu entkommen. Wieso Manda auf einmal unruhig geworden war, wusste Sakura bereits bevor sie es sah. Durch Kabutos Tod war auch Orochimaru zugrunde gegangen; einer der vielen Nachteile der Lebensverbindungsjutsus, die sie in Vergessenheit geraten hatten lassen. Ohne seinen Meister war das Tier nicht mehr zu bändigen. Dann drang langsam, durch die Erleichterung hindurch, Kabutos Abschiedsgruß in ihre Gedanken.

Zu spät.

Bloß was war zu spät? Sakuras Augen suchten fieberhaft nach dem Grund für sein triumphales Grinsen, das er bis zum Schluss behalten hatte. Sie weiteten sich vor Schreck, als sie ihn fand.

»Tsunade-sama!«, kreischte sie, stieß sich vom Boden ab und hechtete durch die verebbende Schlacht, die nun, da ihr Führer besiegt worden war, zügig ihr Ende fand. Die Kirinin und Otonin zogen sich das Weite suchend zurück, verfolgt von den verbleibenden Konohashinobi. Sakura hatte keine Aufmerksamkeit dafür übrig. Sie blendete ihre Umgebung nahezu vollständig aus, ignorierte ihre schmerzenden Beine, das Hämmern in ihrem Kopf, die blutenden Wunden an ihrem Körper.

Keuchend fiel sie vor der am Boden liegenden Hokage auf die Knie, ihren ermüdeten Oberkörper auf die Arme stützend, um Kraft zu sammeln für eine Heilung. Tsunades Puls war schwach, aber fühlbar. Sie hatte Verbrennungen, Schnitte, Fleischwunden. Das schlimmste jedoch waren die Spuren der Explosion, die zweifelsohne von Orochimaru ausgegangen war. Kabuto musste seine verbleibenden Chakravorräte über das Chakraband zu seinem Meister geschickt haben, um ihm seine letzte fatale Attacke zu ermöglichen. Das kaltbrennende Chakra lag noch wie der Geruch eines verkohlten Waldes in der Luft.

»Shizune!«, schrie sie mit rauer, brüchiger Stimme. Tränen drangen in ihre Augen bei dem Gedanken, Kabuto könne rechtgehabt haben. Es durfte nicht zu spät sein! »Shizune!«

Doch sie kam nicht. Sakura kümmerte sich nicht um die tumultuarisch rebellierende Schlange, die von der ANBU niedergerungen wurde. Mit ihrem Blut malte sie zu Tsunades Kopf- und Fußende jeweils ein Siegel auf, das sie mithilfe dreier Handzeichen aktivierte. Das Blut trocknete sofort, fraß sich in den Erdboden ein, wo es nicht einmal mehr der Regen wegspülen können würde, und leuchtete auf, sobald Sakura damit begann, einen Teil ihres verbleibenden Chakras darauf zu verwenden. Die Siegel waren eine kontinuierliche, einem Perpetuum Mobile ähnliche Verstärkung für die meisten Heilprozesse. Fieberhaft durchforstete sie ihr breites Wissensspektrum nach Alternativen für die simple Jutsu, die ihr vorschwebte. Die Technik, die ihr einfiel, war nicht völlig zufriedenstellend, angesichts der Notsituation aber eine annehmbare Lösung. Sakura formte mit blutigen Fingern die dafür nötigen Fingerzeichen, presste ihre Handflächen aufeinander und konzentrierte ihr verbleibendes Chakra. Es war viel zu wenig, doch sie wusste sich nicht anders zu helfen.

Die Geräusche des Kampfes, die bislang dumpf an ihre Ohren gedrungen waren, verstummten nun komplett. Es rauschte in ihren Ohren; ein Zeichen, dass sie am Rande ihres Bewusstseins stand. Sakura ignorierte es, so wie alles andere, das sie daran hindern könnte, ihre Meisterin zu retten. Ihre Augen brannten, ihre Finger zitterten, als sie ihre Hände an Tsunades Stirn legte, auf der sich Falten gebildet hatten. Irgendwie musste die Hokage es geschafft haben, einen Teil von Byakugō no In zu aktivieren, um die meisten Schäden selbst zu heilen. Dass es nicht einmal ansatzweise gereicht hatte, um sie vor mehr als dem sicheren Tod zu bewahren, war Zeugnis der Stärke von Orochimarus letzter Jutsu. Sakura würde nicht zulassen, dass diese Erfolg hatte.

Viel zu schnell und ungeduldig speiste sie ihr Chakra in Tsunades Kreislauf, der kaum darauf reagierte. Sie versuchte das Tempo zu drosseln, um die Effizient zu steigern, doch es gelang ihr nicht. Sakura hatte kaum noch Kontrolle über ihre Gliedmaßen, geschweige denn ihren Chakrafluss. Bittere Resignation über die schiere Ausweglosigkeit ihres Unterfangens ließ die angestauten Tränen ohne verräterisches Schluchzen an ihren Wangen hinab rinnen.

»Halten Sie durch, Tsunade-sama!«, schrie sie die Hokage an. Ohne Erfolg. Ihre Schultern begannen zu beben, sie konnte kaum noch ihre Handfläche über Tsunades Stirn ruhig halten, als eine warme Hand sie versuchte aufzuziehen.

»Hör auf, Sakura.« Es war Shizunes fahrige Stimme, die sie durch das rauschende Blut in ihren Ohren erreichte.

»Nein!«, kreischte Sakura. »Lass mich los, Shizune!« Sie machte sich mit einem Ruck los, ohne den Chakrastrom zu unterbrechen. Sie wusste längst, dass es nichts mehr brachte. Die chakraresponsiven Zellen hätten viel eher auf ihre Behandlung anspringen müssen. Aber aufzugeben erschien ihr wie Verrat.

»Sakura, lass es gut sein«, erwiderte Shizune mit schneidender Stimme. »Du wirst dich noch umbringen!«

»Dann hilf mir!« Ihr rauer Schrei tat in ihrer Kehle weh, die gereizt war von all dem in der Luft herumwirbelnden Dreck. Die Schlacht war gewonnen, aber zu welchem Preis?

»Sakura-chan …« Von wo Naruto gekommen war, konnte sie nicht sagen. Seine sanften Hände schafften es nach einigen Schwierigkeiten, sie auf die Beine zu ziehen, wo er sie in eine tröstende Umarmung zog. Es war nicht fair! Mit derselben Sanftheit begann er beruhigend über ihr Haar zu streichen, obwohl auch seine Stimme beleget war von dem Schock. »Sie wird es schon schaffen, Sakura-chan. Denkst du, Tsunade-obāchan würde es sich lange entgehen lassen, uns zu ärgern?«

Sakura konnte nicht anders als trocken zu schluchzen. Ihre Tränen waren vor Erschöpfung versiegt. Eeinen war keine Alternative. Sie musste stark sein. »Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand«, schwor sie ohne ihr Gesicht von Narutos Brust abzuwenden. Sie konnte nicht in die Augen jener sehen, die sich um sie herum versammelt hatten.

»Das wissen wir«, antwortete Jiraiya aufrichtig. »Die Iryōnin werden sich um sie kümmern.«

Sakura nickte. Sie konnte den Trost nicht annehmen, den er ihr anbot. Wenn sie ihre Kräfte nicht verschwendet hätte, wenn sie Kabuto früher erledigt hätte, schneller, dann hätte er Orochimaru seine Kraft nicht überlassen können. Es war ihre Schuld. Ebenso wenig wie sie wusste, dass es nicht stimmte, konnte sie es akzeptieren. Auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sie keine Schuld traf, fühlte sie sich nicht danach. Mit diesen Wissen beobachtete sie aus geröteten Augen, wie die provisorisch gebildete medizinische Einheit die beiden Siegel deaktivierte und vorsichtige Erstversorgung leisteten. 

»Geh nach Hause, Sakura«, riet Shizune ihr besorgt. Es klang wie ein Befehl.

»Nein. Die Gegend muss durchkämmt werden, um übriggebliebene Feinde zu eliminieren. Wir brauchen jeden verfügbaren Shinobi –«

Shizune schüttelte den Kopf. »Sieh dich an, du kannst kaum noch stehen. Es sind genügend ANBU hier, die die Säuberung durchführen können. Du wärst in deinem Zustand keine große Hilfe. Naruto-kun, du gehst mit Jiraiya-sama. Shino-kun, Hinata-chan, Kiba-kun, Sasuke-kun, ihr nehmt unter der Leitung von Itachi-san die nördlichen Wälder. Yūgao-san, Yamato-san, Genma, euch gehört der östliche Teil. Ihr da hinten übernehmt mit uns die Südseite. Sakura«, wiederholte sie eindringlich, »Geh nach Hause. Wir haben genügend Iryōnin, um die Verletzten provisorisch zu versorgen –«

»Ich werde helfen, Shizune«, beharrte Sakura. Ihr war egal, wie sie aussah, wie sie roch, wie erledigt sie war. Solange sie bei Bewusstsein war, würde sie sich nicht von einem Ort entfernen, an dem man sie brauchte. Sie hatte einen Eid geschworen. Shizune nickte widerwillig, weil sie wusste, dass sie keine reellen Befugnisse hatte, die jüngere Kunoichi herumzukommandieren. Sie hatte auch keine Zeit für eine sinnlose Auseinandersetzung. Ihr Team wartete bereits auf sie und Sakura machte sich an die Arbeit.
 

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Die Stille nach einer Schlacht war erdrückend. Obwohl die Umgebung in völliger Ruhe lag, war sie so unnatürlich. In der Luft hing der Geruch von Blut, Metall und Tod. Es war, als wären alle Sinne abgestumpft, nachdem man sie während des Kampfes überstrapaziert hatte. Niemand wagte ein überflüssiges Wort zu sagen, um die andächtige Schweigsamkeit zu Ehren der Gefallenen zu wahren. Nur wenn es absolut unumgänglich war, sprach Sakura ein paar wenige Silben, um die immer neu hinzukommenden Schwestern und Iryōnin mit Anweisungen zu versorgen. Ansonsten war das Schlachtfeld von Taubheit ummantelt. Die paradoxe Geräuschkulisse ging kaum über gedämpftes Murmeln hinaus.

Wie lange sie in nicht minder tauber Monotonie die Schwerverletzen versorgte, wusste sie nicht. Ihr Körper hatte einen selbstarbeitenden Automatismus angenommen, der sie tun ließ, was getan werden musste. Welche Shinobi sie heilte und wie, wusste sie Sekunden nach Abschluss der Behandlung bereits nicht mehr. Das Ziel zählte und dieses war, möglichst viele Verletzte möglichst schnell in möglichst kurzer Zeit von bedrohlichen Wunden zu kurieren. Nur am Rande ihres Bewusstseins bekam sie mit, dass sie Asukas gebrochenen Arm, mit dem sie tapfer weitergekämpft hatte, binnen weniger Wimpernschläge heilte. Die darauffolgende Frage der Uchihaerbin war durch Sakuras Wahrnehmung dermaßen verzerrt, dass sie nicht verstand, was sie von ihr wollte. Ihre Verletzungen waren nicht schwerwiegend, aber zahlreich. Irgendwo bekam die Iryōnin die Erzählung ihrer Patientin mit, die sich offensichtlich tapfer in einen Bulk Kirishinobi und Otoshinobi geworfen hatte. Fünf auf einmal oder so ähnlich, mehr blieb in Sakuras Erinnerung nicht hängen.

In dieser empfindungslosen Einförmigkeit setzte sie ihre Prozedur fort, Shinobi für Shinobi.

Irgendwann nahm sie einen blutverkrusteten Arm auf, der ihr sofort wieder entzogen wurde. »Ruh dich aus«, sagte eine Stimme, die sie sich einbildete zu kennen. Sie versuchte ihren Blick auf den Mann zu fokussieren, der sie an den Schultern hielt, um sie vor einem drohenden Zusammenbruch zu bewahren.

»Ich kann nicht«, erwiderte sie matt.

»Du wirst.« Diese frigide Beharrlichkeit konnte nur einem Menschen gehörten. Sie schaffte es für einen Moment, ihre Sinne scharf zu stellen, und erkannte Itachi vor sich stehen. Die Säuberung war wohl zu Ende, denn er hatte den Brustpanzer und die Armschienen seiner ANBU Uniform abgelegt. Irgendwo hinter ihm sah sie Sasukes schwarzen Schopf neben Narutos blonder Frisur stehen.

»Es sind noch Verletzte hier.«

»Sei nicht dumm. Was hilfst du ihnen, wenn du kaum mehr weißt, wo du bist?«

Sie schüttelte stur den Kopf. Dumm mochte es sein, aber ihre Pflicht. Genau das hatte sie wohl in einer völlig falschen Satzkonstruktion gestottert, denn Itachi drehte sie, ohne Einwende gelten zu lassen, um, legte seine Hand um ihre Schulter und presste sie stützend an seine Seite. Unter dem Schweiß und Blut seiner Gegner roch er noch immer nach frischem Regenwasser und Zitronengras, was sie gepaart mit der tröstlichen Wärme dazu brachte, sich mit ihrem ganzen Gewicht an ihn zu lehnen. Itachi fester Stand kam nicht ins Wanken, als sie sich auf ihn sacken ließ und einen Arm um seine Hüfte schlang. Sie wusste sich nicht anders zu helfen. Nun, da diese Stütze so einladend wirkte, versagten ihre Beine ihr den Dienst.

Itachi störte sich nicht daran. Mit bestimmten Schritten führte er sie an den werkenden Iryōnin vorbei in Richtung Krankenhaus.

»Wo gehen wir hin?«, murmelte sie, die Augen bereits geschlossen. Sie vertraute darauf, dass er sie führte.

»Ich bringe dich nach Hause.«

»Danke. Itachi.«
 

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Wie genau sie in das kleine Appartement kamen, das im geschützten Stadtkern Konohas kaum beschädigt worden war, wusste sie nicht mehr. Der Weg war vermischt mit einem verschwommenen Traum, an den sie sich nicht erinnern konnte. Das Krankenhaus gehörte zu den wichtigsten Institutionen des Dorfes, weswegen eine Einheit Shinobi abgestellt worden war, um durch die Front gesickerte Feinde von dort fernzuhalten. Das Wohnhaus nahe des Hospitals wies ein paar wenige Löcher in der Fassade auf, die schon vorher dagewesen sein konnten. Sie hätte Itachi bitten können, sie zu ihren Eltern zu bringen, doch die Sorge ihrer Mutter konnte sie nicht ertragen. Alleine der Gedanke daran war erdrückend.

Mit nach wie vor zittrigen Fingern versuchte den Schlüssel, den sie unter der Fußmatte deponiert hatte, in das Schlüsselloch zu schieben. Sie scheiterte kläglich. Nach dem dritten misslungenen Versuch nahm Itachi ihn ihr ab und vollbrachte mühelos, was für sie unschaffbar gewesen war. Seine schwieligen Finger fühlten sich weit weg an, aber sie waren da. Sakura hätte sie gerne noch länger auf ihrem geschundenen Handrücken gespürt. Er öffnete die Tür für sie und schickte sie ins Badezimmer.

Im Schutz vierer Wände streifte sie ihre Kleidung in tonloser Apathie ab. Der dünne Stoff ihrer Hose schmerzte beim Herunterziehen auf ihrer hypersensiblen Haut. Selbst regungslos tat ihr Körper dumpf weh. Nervenschmerzen. Ein Restultat der maßlosen Überanstrengung, die sich nun rächte. Das Oberteil über den Kopf zu ziehen war sehr viel schwieriger. Sie konnte ihre Arme kaum bis auf Schulterhöhe heben. Am liebsten hätte sie es aufgerissen, dazu fehlte ihr allerdings die Kraft. Irgendwie schaffte sie es, sich aus der Arbeitskleidung zu schälen, das Wasser in der Dusche aufzudrehen und darunter zu steigen. Der viel zu heiße Strahl preschte über ihre aufgeschürfte Haut, die mit jedem neuen Tropfen röter wurde. Das getrocknete Blut daran weichte auf und schloss sich dem abwärtsführenden Lauf des Wassers an. Zu ihren Füßen färbte sich die Lacke rot.

Sakura verweigerte sich jede Bewegung solange das Duschwasser auch nur einen Hauch von Rot hatte. Erst als es klar war wie es sein sollte, stellte sie es ab und trat vor den vom Dampf verklärten Spiegel. Ihre Augen waren stumpf, ihr Haar hing leblos herab. Vielleicht sollte sie es mal wieder schneiden lassen? Die letzten Monaten waren so gefüllt gewesen, dass die rosafarbenen Strähnen bereits über ihre Schultern hingen. Nichts erschien ihr zu diesem Zeitpunkt lächerlicher als diese Überlegung. Leider war sie genauso gut wie jede andere. Für heute war es vorbei. Die Nacht war angebrochen, hatte das Licht des Tages verschlungen, ebenso wie ihren guten Willen, ihre Hoffnungen, ihre Freude. Heute Morgen war alles gut gewesen. Sie war mit einem Lächeln auf den Lippen aufgestanden. Nun lag alles in Trümmern. Es war entmutigend, darüber nachzudenken, was ohne Tsunade aus Konoha werden würde. Gewiss, dieselben Sorgen hatte sie sich nach dem Tod des Sandaime auch gemacht, aber Sarutobi Hiruzen war nicht ihr Lehrmeister und wie ein Elternteil für sie gewesen. Ob die Godaime Hokage jemals wieder aus ihrem komatösen Zustand erwachen würde war unmöglich vorherzusagen. Wie ironisch, dass Sakura nichts weiter als die Hoffnung blieb, wo doch alles hoffnungslos erschien.

In den erstbesten greifbaren Freizeitsachen trat sie hinaus in das kleine Wohnzimmer, um ihr tristes Alleinsein abzusitzen, bis der Schlaf sie holte. Zu ihrer Überraschung stand Itachi vor dem untraditionellen Couchtisch, auf dem ein benutztes Teeservice stand. Kein sonderlich edles Modell, dennoch duftete der Matcha verführerisch.

»Ist es nicht etwas zu früh für Schwarz?«

Sie zuckte die Schultern. Es war nicht so, dass sie darauf geachtet hätte, was sie angezogen hatte. Wenn sie eine Antwort gegeben hätte, hätte sie verneint. Es war nicht zu früh für Schwarz. Orochimarus Wahn hatte schon viel zu vielen Menschen das Leben gekostet. Schweigend ließ sie sich auf der Bank nieder, schenkte eine Tasse Tee ein und zögerte bei der zweiten. Ihr 'Gast' stand noch immer ohne Anstalten zu machen, Platz zu nehmen.

»Möchtest du dich setzen?«, lud sie ihn ein. Sie hegte keine große Hoffnung, seine Gesellschaft länger beanspruchen zu können. Umso verwunderter war sie, dass er die Einladung annahm. Umsichtig entwendete er ihr den Teekessel, um sich selbst einzugießen. Dann schwiegen sie.

Die Stille war nicht unangenehm, weil sie gewöhnlich war. Itachi war kein großer Redner, das war ihr klar. Naruto, Ino, Sai und vielleicht sogar Sasuke hätten versucht, sie aufzumuntern, zu trösten, abzulenken. Itachi ließ sie mit ihren deprimierenden Gedanken alleine. Ein Stück weit war sie ihm dafür dankbar. Egal was er gesagt hätte, aus seinem Mund wäre es falsch gewesen. Es war eine andere Stille als jene auf dem verwüsteten Schlachtfeld. Sie war steter, entspannter. Und sie dröhnte in ihren Ohren.

»Hätte ich …«, begann sie zögerlich nach einer Weile. Wie lange mochten sie bereits hier sitzen? Es war ihre dritte Tasse, vermutete sie zumindest. Die gesamte Zeit von der ersten bis zu dieser Tasse hatte sie versucht einen geraden Satz zu formulieren, um die Stille zu brechen. Dieser war schlecht, genau darum war er ebenso gut wie jeder andere. »Hätte ich mich damals nicht kopflos in die Tsukuyomi geworfen, wäre Kabuto gestorben … Orochimaru mit ihm … der Angriff auf Konoha wäre niemals passiert und Tsunade-sama …«

Sie brach ebenso seufzend ab wie sie begonnen hatte. Was erwartete sie sich? Vergebung von Uchiha Itachi? Ein fahles Lippenbekenntnis? Trost? Sie wusste, dass er ihr diese Dinge nicht gewähren würde, weil sie wahr waren.

»Genau genommen ist es nicht deine Schuld«, sagte er schließlich zu ihrer Überraschung. Es war mehr, als sie hätte erbeten können. »Die Verkettung nicht vorhersehbarer unglücklicher Umstände kann man schwerlich auf ein einzelnes Individuum zurückführen. Du hast damals alle Möglichkeiten in Betracht gezogen. Niemand konnte wissen, dass Kabutos Leben an Orochimaru gebunden war.«

»Ich hätte es ahnen müssen. Es war so logisch!«, stöhnte sie in Selbstmitleid versunken. »Was hätte es für einen Sinn gemacht, jemanden aus unseren Reihen mit dieser Jutsu zu verbinden? Ich recherchierte ein wenig nach unserer Rückkehr aus Kusa no Kuni, weil ich in manchen Nächten nicht schlafen konnten.« Tsukuyomi, wie sie beide wussten. »Sasuke hätte diese Jutsu bei präziser werdender Chakrakontrolle gespürt. Und selbst wenn nicht, Kabuto konnte nicht ahnen, dass jemand aus Konoha diese Techniken noch kennt, außer vielleicht Tsunade. Es gab nie eine Geiselnahme oder auch nur die Androhung davon. Wie dumm von mir …«

Itachi stellte seine Teetasse auf die Untertasse zurück und schob sie von sich in Richtung Tischmitte. Sie war halbvoll.

»Du hast recht, Sakura. Du hättest es ahnen können. Es war naiv, alle Möglichkeiten durchzudenken, von den unökonomischen Aspekten ganz zu schweigen. Hättest du nicht gehandelt, wäre das alles nicht geschehen. Doch hättest du dich nicht geirrt, hätte ich einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt. Selbst wenn es nur ein unbedeutendes kleines Mädchen auf Kusa no Kuni gewesen wäre, ich als ANBU hätte damit leben können. Ich bringe ständig Menschen um, manche davon möglicherweise weniger schuldig als wir denken. Aber hättest du damit leben können, Sakura? Hättest du es mit deinem ausgeprägten Gespür für Gerechtigkeit und deiner Fürsorge für deine Mitmenschen vereinen können? Zum damaligen Zeitpunkt hast du für dich korrekt gehandelt. Die daraus resultierenden Ergebnisse waren nicht vorhersehbar. Niemand kann dir daraus einen Vorwurf machen und wenn du mir danach nie wieder auch nur zuhören willst, glaub mir das eine: niemand wird es.«

Wie gerne hätte sie ihm geglaubt. »Heute ist nicht damals. Die Frage ist: kann ich es jetzt vereinbaren, dass ich all die heutigen Opfer und vielleicht Tsunade-sama auf dem Gewissen habe?«

Darauf wusste er nichts zu sagen oder konnte es nicht. Es war nicht notwendig. Sakura wusste genau, dass er ihr insgeheim recht gab, dazu benötigte sie keine verbale Bestätigung. Es schürte ihre Vorwürfe gegen sich selbst bloß weiter. All die Kritik, die er jemals an ihr geübt hatte, war berechtigt gewesen. Sie war eine Närrin. Als solche sah sie überrascht auf, als Itachi sich erhob.

»Während du im Bad warst habe ich deine für eine Jōnin reichlich dilettantische Fallen adjustiert. Zur Sicherheit. Außerdem solltest du geruchlose Pflegeöle für deine Kunai verwenden. Lavendel mag anregend für die Sinne sein, aber das es verrät deine Position, solltest du auf feinnäsige Gegner treffen. Versuch zu schlafen, Sakura«, schlug er vor und ging.

Sakura fand in ihrem Zustand nicht einmal die Möglichkeit, mit sich zu hadern. Es war zu viel. Ihre müden Beine brachten sie in einen wackeligen Stand, aus dem sie ihm nachlief. Er hatte bereits die Hand an der Türklinke, als sie ihn einholte. Dass sie jede Grenze der Intimität übertrat, als sie ihn von hinten umarmte und sich schluchzend an seinen Rücken presste, war ihr egal. Tränen drangen durch ihre zusammengepressten Lider an die Oberfläche, wo sie Itachis Oberteil durchnässten. Sie war erbärmlich und an jedem anderen Tag hätte sie sich dafür geschämt, sich schutzlos und verletzlich vor ihm zu zeigen.

»Lass mich nicht alleine«, schluchzte sie, »Bitte.« Ob es noch eine Bitte war oder bereits Flehen, konnte sie nicht beurteilen. Wie es Itachi vorkommen musste erst recht nicht. »Ich kann jetzt nicht alleine sein.«

Als er sich in ihren Armen bewegte fürchtete sie erst, er wolle sich losmachen. Es fühlte sich grausam an, in seinem schwächsten Moment zurückgewiesen zu werden. Im nächsten Augenblick verebbte das Gefühl zugunsten eines Herzschlags, denn Itachi drehte sich zu ihr um und sah auf sie herab. Welche Emotion hinter dem dunklen Schleier seiner Augen lag, konnte sie nicht sehen. Ihr Blick war tränenverhangen, ihre Gedanken rasten zu schnell, bis sie plötzlich verstummten, als sie ohne zu überlegen die Augen schloss, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste. Aus Frustration, aus Verzweiflung, aus Ohnmacht gegenüber der Welt. Weil er hier war und sie hier war und weil sie nicht länger die Kraft hatte, sich auch noch um ihre kontroversen Gefühle ihm gegenüber zu kümmern. Wie so vieles war es ihr egal, was er davon halten mochte.

Zuerst nicht sonderlich viel, wie sie sich eingestehen musste. Er war in ihrer intimen Geste erstarrt, regungslos, ohne sie von sich zu schieben oder die Berührung ihrer Lippen zu erwidern. Irgendwann – es fühlte sich an wie Stunden – spürte sie, dass er seinen Mund öffnete. Seine linke Hand glitt an ihre Hüfte, an der er sie näher an sich heranzog, seine rechte umrahmte ihr Gesicht, von dessen Wange er mit seinem Daumen eine der vielen Tränen wischte. Wären nicht Tod und Sterben für diesen Kuss verantwortlich, der gleichwohl ihrerseits aufrichtig war, wäre es der schönste gewesen, den sie jemals bekommen hatte – sich genommen hatte. Wie ihr Haar von seinem rechten Unterarm angehoben wurde, seine Stirnfransen ihre Schläfe kitzelten, er sich zu ihr herunterbeugte, um sie davon zu erlösen, sich nach oben strecken zu müssen. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er gar nicht so groß war, wie sie immer gedacht hatte. Nicht so erhaben, muskulös und unerreichbar. Er war ein Mensch wie sie, zumindest in diesem Moment, in dem sie sich sicher war, mehr von ihm zu kennen als jeder andere. Mehr als sein Vater, der ihn als hochbegabte Kampfmaschine sah, mehr als seine Mutter, für die sein Ruf als Ninja nichts zähle, sogar für die Dauer eines Kusses mehr als Sasuke, für den Itachi ein unberührbares Vorbild war. Nur für jetzt war er ihr Freund, Kollege und der Mann, den sie aufrichtig liebte.

Wann sie sich voneinander lösten und von wem es ausgegangen war, konnte sie nicht mehr sagen. Wie so vieles am heutigen Tag rauschten diese Details an ihren abgestumpften Sinnen vorbei. Sie erwachte erst aus ihrer Trance, als sie wieder auf der Couch saßen. Er auf der einen Seite, sie auf der anderen. Viel zu weit entfernt für die Zärtlichkeit, die sie einander geschenkt hatten. Es war Itachi gewesen, der sich von ihr weggesetzt hatte, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, als sich an ihn zu schmiegen, um all die schlimmen Dinge vergessen zu können. Dass er es offenkundig ablehnte, legte sich schwer über ihr Herz. Die Stille machte es nicht besser. Der Moment war vorbei. Er war unerreichbar geworden. Wieder einmal.

»Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist«, versuchte sie sich für etwas zu entschuldigen, das sie nicht bereute. Wenn es ihm unangenehm war, wollte sie lieber tun, als könnte sie es wie einen Fehler behandeln.

»Es ist in Ordnung«, wehrte er ab, seine Stimme kontrolliert wie immer. »Du warst es, die bei ein paar Dango predigte, dass selbst Ninjas Gefühle und Sehnsüchte haben. Ich werde dich deiner wegen nicht verurteilen.«

Das war keineswegs die Antwort, die sie sich erhofft hatte, aber sie war nicht schlechter als alle anderen, die sie befürchtet hatte. Für einen kurzen Moment wagte sie es, die Augen zu schließen, um den Geschmack seiner Lippen noch einmal einzufangen. Er hatte nach dem zuvor getrunkenen Matcha geschmeckt, vermischt mit einer herben Süße, die sich in ihr Gedächtnis einbrannte. Nur kurz … einen kurzen Augenblick nur die Erinnerung wirken lassen.
 

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Itachi wartete geduldig darauf, dass sie ihre Augen aufschlagen würde. Nachdem ihre Atmung schwerer und langsamer wurde, gab er auf. Sie war eingeschlafen. Der Drang, mit seinen Fingerspitze seine Lippen nachzuziehen, war neu und irritierend. Diese Kunoichi … sie hatte ihn einfach geküsst. Und er hatte es genossen.

Verrückt.

Dass sie seine Freundschaft auf einer persönlichen Ebene gesucht hatte, hatte er spätestens an jenem Abend verstanden, an dem sie ihre monetäre Einladung zu ein paar Dango verpatzt hatte. Sie hatte sich dazu entschieden, ihn nicht zu fürchten, sondern zu schätzen. Romantische Gefühle für ihn hätte er nicht hinter ihrer ihm gegenüber doch recht … antipodisch eingestellten Fassade vermutet. Natürlich nicht; er war ein emotional zurückgebliebener Mensch, der die Avancen seiner durchaus zahlreichen Verehrerinnen erst dann erkannte, wenn diese ihm offenkundig ihre Liebe gestanden. Bislang hatte er sich nie daran gestört, Dinge wie Leidenschaft und Romantik nicht zu erkennen. Dass es ihm ein Gefühl des Unwohlseins bescherte, auch diesmal in diesem Belangen blind gewesen zu sein, war eine ebenso neue Erfahrung wie Sakuras Kuss. Er war schon öfters geküsst worden, aber noch nie hatten die Nachwirkungen dieser intimen Geste so lange auf seinen Lippen gebrannt. Dieser Kuss war aus dem Nichts gekommen. Wie hätte er auch ahnen können, dass sie so für ihn empfand, wenn sie mit seiner ganzen Art im Grunde unzufrieden war? Laut Asuka hielt sie ihn doch für einen notorischen Besserwisser mit dem pathologischen Drang, Leute zu belehren. Arrogant noch dazu.

Verrückt.

Vielleicht, schlich es sich in seine Gedanken, war er wieder einmal auf dem Holzweg. Ein Kuss war zwar etwas Eindeutiges, aber für alles gab es mindestens zwei Sichtweisen. Sakura war übermüdet, überarbeitet, abgekämpft, nervlich am Ende gewesen; sie hatten ihre Lehrmeisterin vielleicht verloren und wusste nicht, wer von ihren Freunden noch am Leben war. Er wusste selbst nicht, ob jemand seiner Bekannten unter den Opfern war. Es erschien ihm einleuchtend, wenn sonst nichts weiter auf ihre emotionale Tendenz hindeutete. Wie dem auch war, er würde herausfinden, was es gewesen war, das sie zu dieser Aktion getrieben hatte. Nun hatte er bereits zwei Dinge richtig zu stellen.

Später.

Erst musste er sichergehen, ob es seinem Team gutging.

 

 

 
 

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Cold Grounds

 
 

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»Der Plan lautet wie folgt.«

Sabaku no Gaara, Kazekage Sunagakure no Satos, trat vor den Kreis ausgewählter Shinobi, den er zu sich hatte rufen lassen. Shikamaru hatte keine Ahnung, wieso er als Gesandter Konohas im Büro des Oberhauptes von Kaze no Kunis führendem Ninjadorf stand und eine Mission zugewiesen bekam. Vor einer Stunde war eine Nachricht aus Konoha gekommen, die von der Hokage höchstpersönlich vor einigen Tagen abgeschickt worden war, weswegen er sich lieber nicht darüber beschwerte, zusammen mit Gaaras älterer Schwester und zwei ihm unbekannten Sunanin – der Attitüde nach zu urteilen Jōninrang – zu Gaara persönlich gerufen worden war.

»Bevor wir den Plan erläutern«, unterbrach Shikamaru ihn, »Könnte mich jemand aufklären, um was es eigentlich geht?«

»Ihr seid ja ein schöner Haufen, wenn die linke Hand nicht weiß was die rechte tut«, kommentierte die braunhaarige Kunoichi mit den mausgrauen Augen, die zwischen Temari und dem anderen Sunanin stand. Gaara unterbrach den aufkommenden Protest.

»Hokage-sama bat mich, Geheimhaltung zu üben und Shikamaru noch nicht einzuweihen, Shiya-san. Die Lage ist äußerst prekär, wie ich gestehen muss.«

Shikamaru verzog den Mund. »Das heißt?«

»Das Verhältnis zwischen Sunagakure und Iwagakure ist seit jeher von angespannter Natur. Leider nicht grundlos. Über Jahrzehnte hinweg gibt es moralische Differenzen zwischen unseren Ländern, die sogar Kriege überwanden und in weiterer Folge auch Friedensverträge. Wir trauen einander nicht, was die angestrebte Politik der friedlichen Koexistenz schwer durchzuführen macht. Misstrauen und Argwohn wurzeln seit Generationen tief in unserer Einstellung. Konkret bedeutet es, dass wir sehr genau aufeinander achten.«

Sehr konkret war das zwar nicht, aber Shikamaru hielt sich zurück. Als einziger Konohanin in Kaze no Kuni wollte er lieber keine allzu große Klappe riskieren.

»Als Gerüchte um einen politischen Umschwung, dessen neu aufgekommenen Diskurs wir nicht gutheißen können, aufkamen, schickten wir drei unserer Shinobi nach Iwagakure no Sato. Sie sollten dort Nachforschungen an der Quelle anstellen.«

»Spione?«, konkretisierte er die vage Andeutung. »Ihr habt Spione nach Iwagakure – das beinbrechend misstrauischste Land auf Muttererde – geschickt? Seid ihr noch bei Trost?!«

»Beruhige dich!«, schimpfte Temari eingeschnappt. »Es war nicht unsere Absicht, einen Konflikt zu provozieren. Gaara, Kankurō und ich waren von Anfang an dagegen, doch der Rat hielt es für eine gute Idee. Wir hatten keine Möglichkeit, uns der einstimmigen Entscheidung des Rates zu widersetzen, also willigte der Kazekage notgedrungen ein. Bislang ging auch alles gut. Unsere Shinobi haben sich mithilfe erfundener Identitäten und Verwandtschaften in Iwas politisches Leben integriert, allerdings kommen sie nicht mehr heraus, ohne aufzufallen. Sie sind zu sehr in die dortige Gesellschaft eingebunden, um sie einfach verschwinden zu lassen. Es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.«

»Darum baten wir vor einigen Wochen Konoha um Rat«, setzte Gaara fort. »Hokage-sama und ich arbeiteten gemeinsam einen Plan aus, dieses Dilemma zu lösen.«

»Dilemma?«, wiederholte Shikamaru ungläubig. »Das ist eine Misere. Ich hoffe ihr wisst, wie unvorstellbar dämlich und naiv das war.«

Temari nickte. »Wir wussten von Anfang an um die nicht kalkulierbaren Risiken. Es lag nie in unserer Absicht, bestehende Kontroversen zu verschärften – bitte, Shikamaru, hör auf, mich so anzusehen. Ich weiß, was du sagen willst. Wir hatten keine Wahl.«

»Und wir dürfen es also ausbügeln, ja? Reizend.« Darum also hatte Tsunade ihn abkommandiert. Um einen Reservemann vor Ort zu haben, der diese Leute bei der Mission überwachte. »Wie lautet der glorreiche Plan?«

Es war der Kazekage, der eine Schriftrolle aufnahm und seine Stimme erhob. »Unser oberstes Ziel ist, unsere Männer aus der Schusslinie zu holen. Wenn Suna dabei einen guten Eindruck macht, ist es umso besser. Eure Aufgabe besteht darin, mit diesem Dokument nach Iwagakure zu reisen. Es belegt, dass drei Abtrünnige unseres Dorfes sich in politische Ämter Tsuchi no Kunis geschlichen haben. Kaze no Kuni hat davon Wind bekommen und uns ist daran gelegen, diese Bedrohung zu eliminieren. Da es ehemalige Shinobi unseres Landes sind, fühlen wir uns dazu verpflichtet. In Iwagakure selbst werdet ihr die Spione finden, festnehmen und sicher nach Hause bringen. Das Team besteht aus vier Leuten. Shikamaru, du wirst die detaillierte Planung und Koordination übernehmen. Temari ist dafür zuständig, die öffentlichen Verhandlungen zu führen, da sie meine Schwester ist, was ihr am meisten Autorität von euch vieren verleiht. Shiya und Tōza werden als Flügelmänner mit euch reisen und die sogenannten Verräter in Gewahrsam nehmen. Gibt es Fragen?«

Oh ja, die gab es. Shikamaru hätte gerne gefragt, wieso er für die Blödheit Sunas büßen musste, wie man so leichtsinnig hatte sein können und eine Menge anderer Fragen, die diesen ziemlich ähnlich waren. »Nein, Gaara«, sagte er. Es blieb also wieder mal an ihm hängen. Kaum zu glauben, dass er gefühlskalte Junge, den Naruto vor neun Jahren verdroschen hatte, heute Kazekage war und ihm Befehle gab. Den 'Kazekage-sama' konnte er sich sowas von abschminken, daran konnte auch Shiyas böser Blick nichts ändern. Diese Kunoichi ging ihm schon jetzt gehörig auf die Nerven.

»Übrigens«, fügte er an, »Sorge dafür, dass niemand das Shogibrett verrückt. Wenn ich wiederkomme spielen Temari und ich diese Partie zu Ende. Ich war gerade so schön am Gewinnen.«

»Angeber«, zischte sie durch schmales Lächeln.

Keine zwanzig Minuten später brachen sie in der prallen Mittagssonne auf. Shikamaru würde sich ein Bein ausreißen, wenn diese Mission reibungslos von statten ging. In seiner Meinung war es ausgeschlossen, Gaaras Plan ohne Komplikationen erfolgreich durchzuführen. Es gab Leute in Konoha, die sprachen vom Nara-Axiom. Es hatte durchaus seine Berechtigung: er irrte sich nie.

Leider.
 

.

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Ihre über anderthalb Jahrzehnte antrainierten Shinobiinstinkte sagten ihr, dass etwas nicht stimmte. Sakura hielt vorsichtshalber die Augen geschlossen, um weiterhin seligen Schlaf vortäuschen zu können. Sie regulierte ihre Atmung auf ein gleichmäßiges Minimum und lauschte. Dem Lichteinfall, der durch ihre entspannt geschlossenen Lider drang, nach zu urteilen war es früher Morgen, maximal sieben Uhr. Der Geräuschkulisse wegen tendierte sie zu einer früheren Uhrzeit, legte sich jedoch aufgrund des gestrigen Vorfalls nicht fest. Konohas Routine war in ihren Grundfesten erschüttert worden. Sie lauschte weiter dem morgendlichen Zwitschern der Vögel. Ihre Sinne sagten ihr, dass niemand außer ihr in der Wohnung war.

Erleichtert seufzte sie, drehte sich um und kuschelte sich an etwas Weiches, das eigentlich nichts dort verloren hatte, wo sie eingeschlafen war. Neugierig öffnete sie ein Auge zur Hälfte. Nun wusste sie, weswegen ihre Instinkte Alarm geschlagen hatten. Kein Zweifel, sie war gestern Abend auf der Couch im Wohnzimmer eingeschlafen. Nun lag sie in ihrem Bett und umarmte ein dickes Daunenkissen, das sich herzlich an ihre Wange schmiegte. Durch diesen Fakt noch neugieriger geworden stand sie auf. Wer hatte sie in ihr Bett gele –

»Oh. mein. Gott.«

Ihr wurde schwarz vor Augen im Angesicht des Fauxpas, den sie sich geleistet hatte. Hatte sie, Haruno Sakura, Jōnin und Iryōnin, tatsächlich Uchiha Itachi, ANBU Captain und Wunderkind der Uchihas, geküsst? Sie spürte Hitze in ihrem Gesicht aufsteigen, das sie in ihren Handflächen versteckte. Wie sollte sie diesem Menschen jemals wieder gegenübertreten? Sie hatte sich bis auf die Knochen vor ihm blamiert! Ihr Ziel war es gewesen, ihm zu beweisen, dass sie eine ernstzunehmende Kunoichi war. Nun war sie eines seiner quietschenden Fangirls. Die sie, nebenbei bemerkt, umbringen würden, wenn sie von dieser Interaktion erführen. Irgendwo tief im Untergrund Konohas gab es Gerüchten zufolge einen Fanclub für Itachi.

Was machte sie sich vor? Itachi würde niemals jemanden von diesem Kuss – es war peinlich, derartiges überhaupt zu denken (auch wenn die Erinnerung daran sehr schön war) – erzählen. Sakura würde es ebenso handhaben. Es gab Wichtigeres. Zumindest heute. Itachi hatte nicht nur nichts Bekräftigendes zu ihrer kopflosen Aktion gesagt, er war auch nicht geblieben. Ein untrügliches Zeichen für seine Ignoranz. Am liebsten würde er es vermutlich einfach vergessen. Diesen Gefallen konnte sie ihm tun. Ihr Gewissen legte ihr nahe, sich weiterhin selbst zu geißeln, was sie in Gedanken auch tat. Der Kuss zwischen Itachi und ihr änderte nichts an gestern und allem, was damit zusammenhing. Aber er nahm ihr die Depression, in die sie verfallen wäre, weil er ihn erwidert hatte. Ob aus Gefallen oder Mitleid war schwer zu sagen, sie störte sich auch nicht daran.

Mit dieser wechselhaften, bedingten, unangebrachten Hochstimmung beging sie ihre Morgentoilette in zügiger Eile. Der erste Schritt hinaus an die frische Luft beendete das Funkeln in ihren Augen schlagartig.

Kaputte Straßen, zerstörte Häuser, Trümmer, umgestürzte Bäume, das alles konnte sie vom Außengang ihres Appartements im vierten Stock stehen. Dabei hatte sie nicht einmal Blick auf jenes Tor, vor dem der Hauptkampf stattgefunden hatte. Das Krankenhaus war nahezu unberührt, aber heillos überbelegt. Sie behielt sich vor, sich nicht um die Wiederaufbauarbeiten zu kümmern, die bald beginnen würden, sobald die ersten Bewohner den Schock überschlafen hatten. Ihre Kompetenzen waren im Hospital gefragt, wo geschäftige Agilität herrschte. Schon beim Betreten und Eintragen ihres willkürlich gewählten Schichtbeginns rempelten sie zwei hektische Schwestern an. Sie verbeugten sich zwar mit gebührlichem Respekt vor ihrer Oberärztin, hatten ansonsten jedoch keine Worte der Entschuldigung für diese übrig. Sakura konnte es ihnen nicht verdenken. Jeder hier hatte Wichtigeres zu tun.

Eine andere Schwester rief vom Ende des Ganges zu ihr hinunter. »Sakura-sensei! In Zimmer vier ist eben ein kritischer Patient septisch geworden!«

»Ich komme sofort!« Im Vorbeigehen griff sie sich einen beliebigen Mantel von der Ablage, wo ihn einer ihrer Kollegen vermutlich vergessen hatte. Er war ein wenig zu weit, was sie mit Ärmelaufkrempeln flüchtig korrigierte. Sie spuckte metaphorisch in die Hände und eilte zu dem Patienten, zu dem die junge Schwester sie gerufen hatte. Es war ein Hyūga, was der Grund für ihre Konsultation gewesen sein mochte. Die septische Reaktion war schnell mit einer Infusion gedämmt. Sakura wies eine der Schwestern an, Hyūga während der kritischen Phase zu überwachen, als sie bereits zum nächsten Notfall gerufen wurde.

In dieser Routine ging es weiter. Die Erschöpfung von gestern war durch eine Dusche, einen Kuss – wieso musste sie das immer wieder in Gedanken wiederholen?! Ach ja, weil sie ein Idiot war – und ein wenig Schlaf noch lange nicht passé. Während der Arbeit konnte sie ihre physischen Beeinträchtigungen sowie die mentalen Belastungen bloß hervorragend beiseiteschieben. Es war jahrelangem Training und durchgearbeiteten Nächten zu verdanken, dass sie im Krankenhaus kein richtiger Mensch war. Hier funktionierte sie. Diese Tatsache machte es einfach über den Tag zu kommen.

Die Patientenwelle riss nicht ab. Obgleich es keinerlei Neuzugänge gab – die meisten Verletzten wurden aus Platzmangel ambulant behandelt und nach Hause geschickt – fand Sakura keine freie Minute, um nach Tsunade zu sehen. Diese lag, wie sie in Erfahrung gebracht hatte, im obersten Stockwerk in einem der schönsten Einzelzimmer. Etwas anderes hätte sie auch nicht erwartet. Es war ein dreiköpfiges Team zusammengestellt worden, das rund um die Uhr an ihrer Seite war, bis sie über das kritische Achtundvierzig-Stunden-Limit hinaus war. Ab dann konnten ihre Werte als stabil angenommen werden. Ab dann konnte man nur mehr auf Besserung hoffen. Bis es soweit war mussten sie versuchen, Konoha wieder in Gang zu setzen. Viele Ambulanzpatienten waren wegen Arbeitsunfällen hier, was bedeutete, dass die Aufbauarbeiten bereits begonnen hatten.

Die stationären Grenzfälle wurden gegen Abend hin weniger. Es kehrte gelassene Monotonie ein, die von Sakuras Visite auf ihren Höhepunkt getrieben wurde. Zum vierten Mal lief sie ihre Patienten bereits ab, die viel zu viele waren für eine einzige Person. Zwei Stunden lang hatte sie Werte überprüft, Infusionen korrigiert, Gesundheitszustände notiert und Häkchen auf Listen gemacht, wann immer sie mit einem Resultat zufrieden war. Zwölf Patienten würden morgen entlassen werden können, darunter Kakashi, Shisui und Kiba, die aufgrund leichter Vergiftungen hier waren. Eindeutig das Werk von Kirinin. Sie war nicht in der Stimmung für Kakashis mühevolle Aufmunterungsversuche, Shisuis neckischen Flirt und Kibas vehemente Verweigerung jedweder medizinischen Hilfe, sodass sie letzteren auf unprofessionelle Weise mittels ihrer Faust nach der Einnahme des verschriebenen Antiseptikums zur Bettruhe gezwungen hatte. Bei jedem neuen Patienten hatte sie die Befürchtung, er könne ihr Vorwürfe machen – Tsunades Zustand war doch ihre Schuld. Dass es niemand wusste, war dem rationalen Teil ihres Selbst klar. Der irrationale Teil wartete auf die Vorwürfe.

Sie blieben aus. Keiner würde ihr den Gefallen tun, sie für etwas zu bestrafen, das nicht ihr konkretes Verschulden gewesen war. Kriege entstanden immer aus Verkettungen von Gründen und Geschehnissen. Sie war nur ein kleines Glied dieser Kette. Genauso hätte man Jiraiya vorwerfen können, Orochimaru nicht schon während dessen Abwendung von Konoha aufgehalten zu haben, oder der ANBU Einheit, die einst ausgeschickt worden war, um den Sannin zu töten, Versagen zuschreiben.

Vier Shinobi waren unter ihren Händen gestorben. Eine verschwindend kleine Zahl, sofern man sie in Relation zur totalen Menge Verletzter setzte. Sakura wusste, dass sie nichts mehr für den Genin und die drei Chūnin hätte tun können. Selbst sie, die beste bei Bewusstsein seiende Iryōnin Konohas, war manchmal ohnmächtig gegen den Tod. Es tat ihr leid, nicht mehr für diese vier jungen Menschen getan haben zu können, einer davon kaum mehr als ein Kind. Mehr als Bedauern konnte sie nicht empfinden. Ihre negative Affektlage war gesättigt.

Die Sonne war bereits lange untergegangen, als sie das letzte Häkchen auf ihrer Liste machte. Mit guten Besserungswünschen für Hyūga Hanabi, die ihr Byakugan maßlos überanstrengt hatte – angeblich hatte das Wunderkind der Hyūgas ein halbes Bataillon auseinandergenommen – zog Sakura sich in den obersten Stock des Krankenhauses zurück, wo der Trubel leiser und die Gänge leerer wurden. Auf der Komastation herrschte immer andächtige Stille, um die komatösen Patienten nicht zu stören. Einige lagen seit Jahren hier, ohne ein einziges Symptom der Gesundwerdung zu zeigen. Es gab eigene Pfleger für diesen Trakt, einer davon verbeugte sich höflich vor ihr. Sakura war erst drei oder vier Mal hier oben gewesen. Niemals war die Visite von Freude geprägt gewesen. Diesmal steuerte sie das größte Zimmer an, die Suite am Ende des Ganges. Als bräuchten Komapatienten Platz.

Sie schalt sich für diesen zynischen Gedanken, den sie verscheuchte, ehe sie eintrat.

Am Tsunades Bett saßen drei Leute, ein Iryōnin stand dahinter und notierte die Monitorwerte auf dem Klemmbrett. Rund um das Bett waren Siegel zur Unterstützung des Heilungsprozesses angebracht worden, eines sorgfältiger gemalt als das andere. Ihre Wirkung bei komatösen Shinobi war nie nachgewiesen worden, aber sie aktiv zu halten war ebenso zweckdienlich wie es nicht zu tun. Sakura erhob keine Einwände. Stattdessen streifte sie ihren blutverschmierten Kittel ab, strich sich die Haare nach hinten und zog einen vierten Stuhl an das Krankenbett, um das sich Jiraiya, Ino und Shizune versammelt hatten. Letztere war Leiterin des privaten Ärzteteams der Hokage. Sie würde sich mit Hingebung und Einsatz um ihre Meisterin bemühen, welche über die Jahre bekanntermaßen in ihrer hohen Meinung den Platz einer Mutter eingenommen hatte, nachdem sie verwandtschaftlich so etwas wie ihre Tante war.

»Du siehst furchtbar aus«, merkte Shizune sorgenvoll an. Ino nickte bekräftigend.

»Deine Grenzen zu überschreiten ist ziemlich dumm, Riesenstirn.«

»Immer wieder reizend, deine Sorge um mich zur Kenntnis zu nehmen.«

»Was denn?« Ino lehnte sich neugierig nach vorne. »Kein netter Kosename für mich? Wo bleibt das Schwein, das ich über deine Lippen so schmerzlich vermisse? Du musst schon sehr geschafft sein, wenn du dich nicht einmal zu einer kleinen Beleidigung aufraffen kannst.«

Sakura seufzte rau, zog es jedoch vor, nicht zu antworten. Sie wusste Inos Besorgnis unter der Stichelei zu schätzen. Ihre blonde Freundin wurde am besten mit übertrieben guter Laune mit schlimmen Geschehnissen fertig. Wie sehr sie sie um dieses Talent beneidete! Ino konnte sich mit Naruto in eine Ecke stellen. Musste an der Haarfarbe liegen.

»Ino mag es harsch formulieren, aber sie hat recht«, beharrte Shizune. »Du darfst deinen Körper nicht ausbeuten. Ein paar Pausen haben noch niemandem geschadet, Sakura. Wenn du nicht aufpasst, wirst du bald umkippen.«

»Wie geht es ihr?«, erkundigte Sakura sich ohne große Hoffnungen. Über sich zu sprechen war das letzte, das sie wollte. Den Zusammenbruch hatte sie gestern schon erlitten.

»Unverändert«, berichtete Shizune. Ihr professioneller Ton konnte nicht über die Trauer hinwegtrösten. »Wir können noch keine Prognosen stellen. Zumindest nicht in medizinischer Hinsicht.«

Die Kunoichi horchte auf. »Inwiefern sonst?«

»Danzō«, brummte Jiraiya missmutig. Augenscheinlich war er mit den neuen Entwicklungen nicht einverstanden. »Angenommen, Tsunade würde noch heute wieder erwachen, bräuchte der Regenerationsprozess sie mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate. Meine Erholungsphase dauerte drei Monate, dabei ist sie sehr viel schlimmer verletzt. Denke ich, ich bin immerhin kein Iryōnin?« Die Frage galt Sakura. Sie hatte beide Zustände an ihrem kritischsten Punkt gesehen. Zustimmend nickte sie. »Darum«, fuhr er verächtlich zischend fort, »Ist Danzō im Gespräch, Hokage zu werden. Zumindest so lange, bis Tsunade wieder einsatzfähig ist. Wenn wir Glück haben, ist es in ein paar Wochen. Wenn wir Pech haben …«

»Sie können doch nicht Shimura Danzō zum Rokudaime ernennen!«, brüskierte Sakura sich. »Das ist nicht richtig!«

»Sie können und sie werden«, erwiderte Shizune scharf. »Unser Dorf darf nicht lange ohne Führung bleiben. Die Bedrohung durch Akatsuki ist realer denn je. Kirigakure hat ein Bündnis mit ihnen geschlossen, ehe Terumī-sama Orochimaru einen Teil ihrer Shinobi überließ. Es war nichts weiter als eine Finte. Eine zerstörerische, womöglich für uns fatale Finte, nichtsdestoweniger lediglich ein Ablenkungsmanöver, um uns in eine falsche Richtung zu lotsen. Mit Amegakure, den Mitgliedern von Akatsuki per se, Kirigakure und wer weiß welchen kleineren Nationen, auf deren Souveränität ständig herumgetrampelt wird, stehen wir einer Macht entgegen, die wir nicht bezwingen können. Das zumindest ist Danzōs Hauptargument, mit dem er sich vor den Goikenban den Titel des Hokage erschleichen will.«

»Er wird uns in einen Krieg führen«, vermutete Sakura. Der Sannin zu ihrer Linken nickte.

»Tsunade hätte dasselbe getan, darin besteht kein Zweifel, aber nicht blind vor Macht. Danzō geht es darum, seine Überlegenheit zu postulieren. Tsunade hätte wenigstens so lange als möglich prokrastiniert, um eine ordentliche Defensive aufzubauen. Ich fürchte, dass der Überfall nur eine schwache Vorwehe war. Ein Warnschuss von Kirigakure, der uns warnen soll, dieses Land ernst zu nehmen. Terumī hat ganze Arbeit mit ihrer Politik geleistet. Sie wird nicht davor zurückschrecken, den letzten Schritt zu machen. Orochimaru zu benutzen war ein gewagter Schachzug. Skrupellos, aber mutig. Terumī wird keine Gnade zeigen, das hat sie eindrucksvoll bewiesen.«

Sakura war erschlagen von dieser Bandbreite an neuen Informationen. Sie war keine Politikerin, aber klug genug, um zu wissen, dass zwei nach Macht strebende Menschen ganzheitliche Konkurrenten waren. Jeder der beiden strebte nach mehr Macht, Danzō wie Mei. Ein Krieg, gegründet auf dieser Basis, war verheerender als das, was Tsunade aufgezogen hätte. In der Offensive würden sehr viel mehr Menschen sterben. Sobald Danzō Hokage war, würde in Konoha der Kriegszustand ausgerufen werden. Dann gäbe es kein Zurück. Als hätte es das jemals gegeben …

»Woher haben wir dieses Wissen?«

»Einige Kirinin liefen in unsre ANBU Teams. Sie wurden zu Ibiki-san gebracht«, erklärte Jiraiya. »Ihre Aussagen sind leider vertrauenswürdig. Kiri zieht mit Akatsuki gegen Konoha. Das an sich ist eine mittlere Katastrophe für die Ninjawelt. Was mir Sorgen bereitet sind die Allianzen. Konoha pflegt bekanntermaßen ein enges Bündnis mit Sunagakure. Der Kazekage wird uns mit all seinen Mitteln beistehen. Die Verbindung mit Kumogakure ist zu locker, um sie effektiv in diesen Disput zu ziehen, allerdings wurde kürzlich bekannt, dass der Bruder des Raikagen der Jinchūriki des Achtschwänzigen ist, was ihn zur Zielscheibe für Akatsuki macht. Sie stehen also ebenfalls auf unserer Seite. Auf der anderen Seite sind wie bereits erwähnt Kirigakure und Akatsuki mit Amegakure, das mit seiner Nähe zu Iwagakure einen gefährlichen Krisenherd darstellt. Zwischen Suna und Iwa brodelt es seit Anbeginn der Shinobidörfer. Sie brauchen nur einen einzigen Grund, in diesen Krieg gegen Suna und in weiterer Folge Konoha und Kumo zu ziehen. Ich bin mir sicher, dass ihnen jemand diesen Grund liefert.«

»Also schneiden wir uns mit den vielschichten Allianzen ins eigene Fleisch«, resümierte Sakura mutlos. Je mehr sie hörte, desto auswegloser schien ihr dieses Dilemma. Fünf Nationen, zwei Fronten, Akatsuki in der Mitte. Wie ironisch, dass gerade die vielversprechenden Bündnisse der Großreiche letztendlich dazu führen würden, dass die Shinobiwelt in den Vierten Großen Shinobikrieg ziehen würde müssen.

Sie schüttelte den Kopf. Das alles war wichtig, doch in diesem Moment war der Zustand ihrer Meisterin greifbarer. So grausam die Zukunft auch aussah, Sakura machte sich zu diesem Zeitpunkt mehr Sorgen um Tsunades Leben als um einen Krieg, der irgendwann irgendwie irgendwo zwischen irgendwem ausbrechen würde. Wie überaus töricht.

»Lass mich das ansehen«, sagte Ino plötzlich. Sie hatte sie erhoben und war zu Sakura gegangen, deren Arm sie hochhob. Mit einer Shōsen no Jutsu heilte sie den Schnitt, den Sakura gar nicht bemerkt hatte. Er war ein Überbleibsel ihres Kampfes mit Kabuto. Dinge wie leichte Verletzungen und deren Versorgung schienen ihr an ihrem eigenen Körper überaus unwichtig, wo es doch sehr viel schlimmer verletzte Shinobi gab, die ihr Chakra benötigten.

Sie ließ Inos Behandlung widerstandslos über sich ergehen, weil die blonde Iryōnin keinen Widerstand geduldet hätte.

Zufrieden mit dem Ergebnis entließ sie den Arm ihrer Freundin aus ihren Fängen. »Wir sollten hier nicht herumsitzen wie zwei ausgelaugte Tränen. Shizune-san kümmert sich hervorragend um Tsunade-sama und du brauchst dringend Erholung von den Strapazen der letzten Tage. Wir sollten etwas trinken gehen.«

Sakura versuchte, dankbar für dieses Angebot zu sein. Sie zwang sich zu einem Lächeln, das sie als halbwegs glaubwürdig annahm. »Das ist sehr nett, aber ich möchte lieber alleine sein. Ein ausgiebiges Bad mit anschließendem Abendessen ist alles, was ich brauche. Trotzdem danke.« Ohne auf die Proteste einzugehen, verabschiedete sie sich aus dem Krankenzimmer. Vielleicht bestand ja sogar die Möglichkeit, dass sie nicht gelogen hatte.
 

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Obwohl sie bereits doppelt so viel anhatte wie ihr reizender Begleiter, fröstelte sie bitterlich. Innerlich hasste sie sich dafür. Was für ein Ninja war sie denn, der bei einbrechendem Winter zitterte wie Espenlaub? Ganz klar: einer aus Sunagakure no Sato, wo es immer warm und immer sonnig war. Temari hatte in den Wintermonaten noch nie eine Mission so weit nördlich machen müssen. Derartige Aufträge wurden zu diesen Zeiten von Sunagakure prinzipiell abgelehnt. Viele Ninjas aus der südlichsten Region des Kontinents hatten Probleme mit dem eisigen Klima Tsuchi no Kunis kahler Steppen und Berge, weshalb man es lieber nicht darauf ankommen lassen wollte, hier oben Landsleute zu verlieren. Kälte konnte in ungünstigen Momenten ein verhängnisvollerer Todfeind sein als die meisten Gegner.

»Keiner hat je ab September eine Mission nach Tsuchi no Kuni machen müssen – keiner bisher!«, brüskierte sie sich. »Aber natürlich muss irgendwann diese Tradition gebrochen werden und wer wäre besser dafür geeignet, sich den Arsch abzufrieren, als die Schwester des Kazekagen?«

Der Hohn in ihrer Stimme übertraf jenen ihrer vorangegangenen Beschwerden bereits um Längen. Nichts konnte dieses Maß an Übellaunigkeit noch übertrumpfen – allerdings hatte Shikamaru sich das auch schon vor einer Stunde im Stillen gedacht und siehe da, sie war tatsächlich inzwischen noch schlechter gelaunt. Temari war keine Närrin, die sich aus reiner Frustration über kalte Füße beschwerte. Mittlerweile kannte er den Grad ihrer Zähigkeit nur zu gut. Vor ihren Untergebenen, die vor zehn Minuten losgelaufen waren, um den Weg nach vorne zu sichern, konnte sie sich zusammenreißen. Sobald sie alleine mit ihm war, ließ sie die Maske fallen. Er konnte ihre Aufregung sogar verstehen. Und er konnte es ihr nicht verübeln, selbst wenn es ihn nervte. In den letzten Monaten hatte er gelernt, dass sie Angst gerne mit Zetern überspielte. Sobald es ernst wurde, würde sie wieder Sabaku no Temari sein, Schwester des Kazekagen, stolze Jōnin Sunagakure no Satos. Und die beste Fernkämpferin, die er kannte. Bis dahin …

»Was soll ich sagen?«, fragte er rhetorisch in jenem genervten Tonfall, den er immer zutage trug. »In einem Monat ist das Chūninexamen, aber anstatt im Warmen die Vorbereitungen zu treffen, bin ich unterwegs mit einer Nörgeltante, noch dazu in Richtung eines Auftrags, den ihr verpatzt habt. Wenn du dich selber hören könntest, wüsstest du, wie sehr ich leide.«

Einen Moment lang sah sie betroffen aus. Für etwa anderthalb Millisekunden. »Die Nörgeltante mal übergehend – und sei froh darüber – wüsste ich auch nicht, was du so Schlimmes durchmachen musst! Du warst es doch, dem die Chūninprüfung am meisten auf den Nerv gegangen ist! Wer konnte sich denn ständig deine Meckereien anhören? Diese Genin sind sowieso alle schlecht, wieso muss ich mir das antun und wäre ich doch bloß in Konoha, hier ist es so unerträglich heiß! Halte dich mit deiner Kritik zurück, immerhin sprichst du mit der Schwester des Kazekagen.«

Sie machte eine Drohgebärde in Shikamarus Richtung, doch er ging, den Blick abgewandt mit den Händen in den Hosentaschen, davon unberührt weiterhin neben ihr her, als hätte sie die ganze Zeit über geschwiegen. Was sollte er darauf antworten? Sie gingen sich beide hervorragend auf die Nerven, eingepfercht in den Kageturm Sunas, stundenlang aufeinander klebend. Er sollte über den Kulissenwechsel froh sein. Bloß dass diese Mission kein einfacher Kulissenwechsel war. Diese schlechte Vorahnung verfolgte ihn auf jedem Schritt; jeden Meter, den sie näher an Iwagakure herankamen, intensivierte sie sich. Früher hatte er nichts auf Bauchgefühl gegeben. Intelligente Menschen verließen sich nicht auf Intuition. An diesem Leitspruch hatte er festgehalten, bis er gegen Uchiha Itachi im Shogi verloren und sich gezwungen gesehen hatte, seine Taktik um eine Komponente zu erweitern. Wann immer zwei gleichstarke Gegner aufeinandertrafen, gewann der mit dem meisten Glück. Oder der mit der besten Intuition. Seit diesem Tag vor anderthalb Jahren ignorierte er sein Bauchgefühl nichtmehr. Heute erzählte es ihm vom Scheitern dieser Mission.

»Ha!«, machte Temari triumphal. »Das machst du immer, wenn du jemand anderem insgeheim rechtgibst!«

»Was habe ich denn bitteschön gemach, Besserwisser-sama?«, fauchte Shikamaru zurück. Diesmal sah er sie an.

»Schweigen! Wenn du deine Diskussion verloren hast, schiebst du immer vor, dir sei das alles zu blöd. Erkenne deine Niederlage an.«

Shikamaru seufzte. »Von mir aus. Bist du glücklich damit?«

Das nahm ihr die Luft aus den Segeln. Seine trockene Antwort ließ sie sich wieder darauf besinnen, weswegen sie hier waren. Hier, nur noch wenige Kilometer von Iwagakure no Sato entfernt. Die Lage war ernst. Und obwohl sie die Ältere war, musste der Jüngere sie beruhigen. Aber das war sie nun einmal –  besorgt. Wer nicht, wenn er in dieser Situation wäre?

»Hast du Angst?«, erkundigte Shikamaru sich so gefasst wie sie gerne gewesen wäre. Temari nickte. »Verständlich. Vertrau auf deine Fähigkeiten. Du weißt, dass du gut bist. Wir werden es schaffen.«

Sie nickte erneut. »Ich versuche es. Es tut mir leid, wenn ich vorhin ausgeflippt bin.«

»Wenn?«, wiederholte er ungläubig. Temari verzog den Mund zu einem grimmigen Lächeln.

»Okay. Es tut mir leid, dass ich vorhin ausgeflippt bin.«

»Es ist nicht leicht, die Schwester des Kazekagen zu sein, nicht wahr?« Shikamarus Stimme, so desinteressiert sie sonst immer klang, hatte etwas Tröstliches. 

Sie schüttelte den Kopf, straffte jedoch die Schultern, als Shiya und Tōza in Sichtweite kamen. Keine zwei Kilometer vor ihnen erhob sich Iwagakure no Satos Stadtmauer vor ihnen. »Es war auch nicht leicht, seine Tochter zu sein. Ich kenne nichts anderes. Und doch …«

»… ist es nicht leicht, die Schwester des Kazekagen zu sein«, wiederholte Shikamaru. »Auf dir lastet politischer Druck, nicht nur der Druck, diese Mission erfolgreich auszuführen. Wenn etwas schief geht, wird man deinen Namen immer vor meinem lesen, sofern ich überhaupt genannt werde.«

Sie stieß hohles Lachen aus. »Du verstehst es wirklich, Menschen aufzumuntern«, sagte sie sarkastisch und schubste ihn zur Seite. Shikamaru musste nicht einmal die Hände aus den Hosentaschen nehmen, um das plötzliche Ungleichgewicht auszugleichen.

»Was denn, mehr hast du nicht drauf?«

»Pass lieber auf, was du sagst, sonst erreichst du Iwagakure nicht mehr!«

Ein Kilometer trennte sie nur noch von diesem unsäglichen Dorf und trotz der eindeutigen Drohung erreichte ihr Quartett das Tor keine zehn Minuten später. Sie wären schon vor einer Stunde dagewesen, hätten sie ihr ungeduldiges Tempo einige Meter vor dem Dorf nicht zu schnellem Spazierschritt drosseln müssen. Laut Shikamarus Überlegungen käme es nicht gut an, in ein misstrauisches Dorf zu sprengen und den Tsuchikagen zu verlangen. Sie würden sich an alle Vorschriften halten müssen, um unbeschadet aus dieser Zwangslage zu entkommen.

Die skeptischen Torwächter mit Argusaugen beobachteten jeden ihrer Schritte. Der warnende Blick, der sie traf, als eine Wache die Papiere verlangte, überprüfte und ihnen anschließend wieder zurückgab, war messerscharf.

»Zu Tsuchikage-sama also? Ihr dürft passieren«, sagte der Ninja mürrisch. Es war offensichtlich, dass keiner der Iwanin ihnen traute. Sunanin sah man nie hier, Konohanin nur selten. Vor allem um diese Jahreszeit.

»Beeilen wir uns lieber«, murmelte Temari, ihre Bedenken abschüttelnd. Nara Shikamaru wurde nicht umsonst ein Genie genannt. Er hatte auf ihrer Reise einen perfekten Plan ausgearbeitet, hatte ihre Argumente wider ihres Willens vorbereitet – als würde sie tatsächlich all die Sachen sagen, die er ihr vorgefertigt hatte! – und Notfallpläne für alle erdenklichen Pannen erstellt. Und dann war da noch sie selbst, die jedem Iwanin, der es wagte, sie schief anzusehen, in den Hintern treten würde.

»Vertrau mir und vertrau vor allem dir«, schlug Shikamaru nonchalant vor, als würden sie einen Einkaufsbummel machen wollen. »Es hat einen Grund, wieso man gerade uns beide geschickt hat.«

»Verfügbarkeit.«

»Pessimistin.«

»Kann schon sein. Je eher wir mit dem Tsuchikagen gesprochen haben, desto besser. Ich kann es kaum erwarten«, sagte sie sarkastisch und lächelte schief. Die Unsicherheit war im Angesicht der Mission wie weggeblasen, ihre Haltung gewohnt stramm und ihre Augen funkelten voller Selbstvertrauen. Sie musste diese Mission als reguläre Mission sehen, nicht als Auftrag, von dem der Weltfrieden abhing. Wie wunderbar, dass sie ihr vorgeformtes Lügenkonstrukt in ihrem Kopf selbst einriss.

»Ich bin da, falls du unsicher wirst«, beruhigte er sie, als er die Verkrampfung ihres Lächelns bemerkte. »Wir können dir zwar in politischen Angelegenheiten nicht helfen, weil ich dazu weder befugt noch qualifiziert, aber wenn es um die Mission per se geht, hast du in jedem Fall Rückendeckung von Shiya-san, Tōza-san und mir. Beruhigt dich das etwas?«

Temari hätte ihm gerne gesagt, dass er sich seine Aufheiterungen hinschieben konnte, wo die Sonne niemals schien, doch sich entschied sich aus Bequemlichkeit dagegen.

»Vielleicht ein bisschen.« Und diesmal war das schmale Lächeln echt.
 

.

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Der Tsuchikage war ein kleiner, hagerer Mann. Sein Gesicht war mit einem weißen Bart verwachsen, seine buschigen Augenbrauen standen hoch über den dunklen Knopfaugen. Er wirkte sehr gebrechlich, fast wie eine abgegriffene Spielzeugpuppe. Das Skurrile daran war, dass, selbst wenn Temari und Shikamaru ihn einzeln gewiss mit einem Schlag hätten töten können, sie doch eine übergroße Menge Respekt ihm gegenüber empfanden. Der Ruf des Tsuchikagen war nicht der Beste. Er galt als machthungrig, unbedacht, gierig und senil. Aber hier, vor ihnen in all seiner Autorität, wirkte er sehr viel erhabener, als die beiden sich vorgestellt hatten.

Nach einer höflichen Verbeugung, die auf beiden Fronten eher widerwillig gemacht wurde und auf der Seite des Tsuchikagen lediglich Temari galt, nahm der Alte wieder Platz und bat seinen Besuch auf Sprechdistanz. Das bedeutete, seinen würdigen Besuch. Shikamaru, Shiya und Tōza blieben im Hintergrund des quadratischen Regierungsgebäudes, dessen Hauptbüro ebenso oval war wie das der Hokage, bloß größer und weitaus vollgestopfter mit diversen Regalen, Büchern oder sonstigem Kram, den man gewiss niemals brauchen würde.

»Was wollen Kaze und Hi no Kuni in meinem Dorf? Gibt es Unstimmigkeiten mit den Verträgen?«, erkundigte er sich. Mit handfesten Beweisen hätte man ihm Suggestion vorwerfen können. Temari allerdings überging die Vorfreude in seiner langsamen Stimme.

»Wir haben berechtigten Grund zur Annahme, dass in Euren hohen Reihen Verräter aus Kaze no Kuni sind, die Tsuchis Regierung manipulieren wollen«, erklärte sie unverhohlen. Gerade nach vorne, keine Umwege, das war das Prinzip, nach dem Shikamaru seine Pläne entworfen hatte. Sie würde sich explizit daran halten. »Wir entdeckten vor wenigen Tagen einen Zusammenschluss dorfbekannter Verbrecher, die vor Jahren aus unseren Gefängnissen flohen, in die sie nach einem politischen Attentat auf Sandaime-sama lange Zeit eingesperrt worden waren. So erfuhren wir von den Spionen, die sie mit Informationen versorgen. Wir bitten daher um Erlaubnis, die Informanten suchen und verhaften zu dürfen.«

Ōnoki runzelte die ohnedies schon faltige Stirn noch weiter. Die tiefen Furchen in seinem Gesicht verschlimmerten den Eindruck seines hohen Alters um etliche Jahre. »Ich las derartiges in dem Brief, den mir Kazekage-sama schickte, aber ich hielt es für einen schlechten Scherz. Spione … in meinem Beamtenkreis? Personelle Veränderungen gab es schon seit Monaten nicht mehr. Bisher ist noch nichts geschehen, obwohl meine Untergebenen alles wissen, sofern sie in einer relevanten Position sind.«

»Wollt Ihr es darauf ankommen lassen?«, fragte Temari hartnäckig. »Wir kamen den weiten Weg bis hierher, um Euch Hilfe anzubieten. Es wäre nun Eure Pflicht, diese auch anzunehmen, zumal diese Mission für Iwa kaum alleine zu bewerkstelligen ist, da nicht mehr objektiv gearbeitet werden kann.«

»Ich weiß, was ihr plant«, sagte Ōnoki langsam. Seine Stimme war schwer. Sie hatte etwas Mahnendes in ihrem schwachen Zittern. Temaris Miene hingegen blieb aalglatt. Bislang schlug sie sich gut, das musste auch der Tsuchikage zugeben, der nachdenklich seinen Bart kratzte. »Ihr wollt auf diesem Weg Einsicht bekommen. Einsicht in meine Vorhaben. Aber tut euch keinen Zwang an, Konohagakure no Sato und Sunagakure no Sato. Ich habe nichts zu verbergen.«

»So ist es gewiss nicht, Tsuchikage-sama«, dementierte Temari standhaft. »Wir kamen in der Absicht, Iwagakure no Sato unsere Unterstützung zu zeigen – egal in welchen Belangen. Seien es Missionen oder Außenpolitik. Die Verträge sind wasserdicht und unumgänglich. Auch das wollten wir euch heute noch einmal klar machen.«

Ōnoki winkte ab. »Das weiß ich am allerbesten, Gesandte des Kazekagen. Was gedenkt ihr also zu tun? Eine offizielle Warnung aussprechen? Womöglich gar eine Verwarnung? Es würde große Tumulte und Aufhebungen darum geben.«

»Wir werden nichts dergleichen tun«, versetzte Temari beherrscht. »Unsere Aufgabe besteht darin, die Informanten zu fassen und sie nach Konohagakure no Sato zu bringen, wo sie von qualifiziertem Personal verhört werden. Womöglich haben sie noch anderswo ihre Finger im Spiel. Dies ist unser Ziel. Alles andere ist bloße Interpretation eurer Paranoia.«

Shikamaru verengte die Augen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Temari es übertreiben musste. Geweckt durch den positiven Gesprächsverlauf war ihr Selbstbewusstsein in die Höhe geklettert, bis an seinen Zenit, an dem die alten Kontroversen zwischen den Nationen sich an die Oberfläche kämpften. Er hielt sich selbst und Shiya zurück, die einen Schritt nach vorne gemacht hatte, als drei Iwanin einen ebensolchen auf Temari zu gesetzt hatte. Diese blieb ruhig, obwohl ihre letzten Worte dem Tsuchikagen zu missfallen schienen.

Ōnoki verengte die Augen und rang um Beherrschung, die er erst nach einigen Sekunden wiederfand. »Sei es, wie es sei, ich werde euch nicht aufhalten. Tut, wofür ihr hier seid. Iwagakure dankt euch für die Freundlichkeit der Unterstützung.« Er nickte mit dem Kopf nach vorne, um den vier Ausländern zu bedeuten, dass sie den Raum verlassen mögen. Diese taten es nur allzu gerne und spürten wenige Augenblicke, nachdem sie den Raum verlassen hatten vier Steine von den Herzen fallen.

»Das war einfacher, als gedacht«, bemerkte Tōza, als hätten sie gerade bloß eine lächerliche D-Rang Mission hinter sich. Katzeneinfangen, oder etwas in der Art. Wie auch immer Sunas Anfängermissionen aussehen mochten. Shikamaru war weniger zufrieden mit dem Ausgang des Gespräch, obgleich es gegen die Funktionalität nichts einzuwenden gab. Sie hatten die Erlaubnis, ihre Mission auszuführen. Bloß zu welchem Preis? Diese Bedenken in die Runde zu streuen wäre wenig zweckdienlich gewesen, weswegen er sich mit Kritik wacker zurückhielt. Nach allem war er nicht in der Position, die Schwester des Kazekagen nach ihrem Erfolg zu kritisieren.

»Wunderbar, Temari-sama!«, schwärmte Shiya.

»Ich hatte sogar vielleicht ein wenig Respekt vor deiner Autorität«, gab Shikamaru feixend zu. Sie waren bereits auf die belebte Straße getreten, auf der das Nachtleben langsam erblühte. Die Sonne war längst untergegangen.

»Tatsächlich?«, fragte Temari langgezogen. »Dann muss ich ja perfekt gewesen sein!«

»Ich sagte vielleicht «, korrigierte er.

Laut Plan waren die Zielpersonen um diese Uhrzeit in einer Bar im Zentrum, die sie ansteuerten. Sie war frisch renoviert worden, was es schade machte, sie zu demolieren. Die Spione wussten nichts von der Abänderung ihres Auftrages, um das Szenario als möglichst glaubwürdig darzustellen. Hoffentlich wehrten sie sich nicht zu viel. Es täte ihm um das hübsche Mobiliar der Lokalität leid, in deren hinterer Ecke die Männersaßen.

 »Da sind sie!«, schrie Tōza und rannte an der Seite der braunhaarigen Jōnin mit einem Kunai im Anschlag auf die überraschten Männer zu.
 

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Es war nicht schwierig gewesen, die drei perplexen 'Verräter' zu viert niederzuringen. Niemand hatte es gewagt, die Schwester des Kazekagen ernsthaft anzugreifen, sodass sie keine vierundzwanzig Stunden später kurz vor der Grenze zu Ishi no Kuni ihre Deckung fallen ließen. Es dauerte maximal noch drei Tage zurück nach Sunagakure. Die Mission war ein voller Erfolg gewesen, einfach und reibungsloser als Shikamaru hätte planen können. Shiya und Tōza feierten bereits die Wiedervereinigung mit ihren Kameraden, zu denen sie ein scheinbar freundschaftliches Verhältnis pflegten, oder zumindest vor ihm und Temari so taten. Den beiden war herzlich egal, wie die fünf Shinobi zueinander standen. Sie gaben zusammen ein zügiges Tempo vor, um baldmöglichst den Boden von Ishi no Kuni betreten zu können. Shikamaru hatte vorgeschlagen, die Tarnung noch bis in den Kern des neutralen Kleinstaates aufrechtzuhalten, Temari allerdings hatte ihm zusammen mit Shiya durchdividiert, dass es sicherer wäre, schneller zu reisen. Je eher man Tsuchi no Kuni verlassen konnte, desto eher waren sie außer Gefahr. Sie hatten die drei Spione vor aller Augen in Fesseln abgeführt, nachdem Temari einen Disput mit dem Tsuchikagen meisterhaft für sich entschieden hatte. Er hatte darauf bestanden, die 'Verräter' selbst zu bestrafen – Todesstrafe, wie in Tsuchi no Kuni für Verrat und oder Täuschung üblich. Die blonde Jōnin hatte vehement dagegen argumentiert, dass dieses Recht in Sunagakures Obliegenheit fiel und sie die drei wie besprochen nach Konoha überführen würden, wo ein bekannter Verhörspezialist jede nützliche Information über ihre fiktiven Auftraggeber aus ihnen pressen würde, die sie angeblich hatten. Dass somit Konoha und Suna in Besitz iwa'scher Staatsgeheimnisse kämen, hatte sie geflissentlich, aber entschieden unter den Tisch fallen lassen.

Temari war ein Phänomen, das musste er zugeben. Schon vor einigen Jahren während ihrer ersten Begegnung in der dritten Runde des Chūninauswahlexamens und beim Kampf zwischen Orochimarus Schergen, die sich in Konoha eingeschlichen hatten, um an die Uchihas heranzukommen, hatte sie ihn beeindruckt. Heute musste er gestehen, dass sie in seiner Meinung höher stand als sonst jemand. Mit ihrer vorangegangenen Rechnung über Schnelligkeit und Risiko hatte sie sogar seinen Verstand matt gesetzt. Die Shogipartie, die sie noch beenden mussten, würde interessant werden.

Sollte es jemals dazu kommen.

Shikamaru hielt nur ungerne auf Tsuchi no Kunis Boden an, mitten auf einer Lichtung, um den Spionen die Fesseln abzunehmen, damit diese dem Tempo der Gruppe nicht hinderlich waren. Er vertraute auf Temaris Intuition, die ihnen den Erfolg dieser Mission erst ermöglicht hatte, weswegen er sich mit Ratschlägen zurückhielt. Dieses Bauchgefühl war vielleicht nur eine ungesunde Paranoia, resultierend aus dem Wissen, nicht der einzige Stratege hier zu sein. Wenn zwei Strategien ineinandergriffen, konnte es fatal enden. Also schwieg er.

»Könntet ihr euch bitte beeilen?«

Naja, fast.

»Mach keinen Stress, Nara!«, schimpfte Shiya. Sie wickelte die Fesseln auf, um sie in ihrem Rucksack zu verstauen. »Du kommst schon noch nach Hause.«

Wie gerne hätte er dieser Tusse das Maul gestopft! Hier ging es doch nicht um ein gemütliches Kaffeekränzchen am Nachmittag! »Das hat nichts mit Heimweh zu tun, sondern mit meinem gesunden Menschenverstand, der mir sagt, dass wir nicht länger als nötig auf feindlich gesinntem Boden verweilen sollten.«

Fast erwartete er Widerworte von Temaris Seite, diesmal jedoch enttäuschte sie ihn. »Er hat recht. Shiya-san, wir müssen schneller sein. Jede Sekunde länger in Tsuchi no Kuni ist riskant. Wir laufen weiter.«

Niemand hatte Einwände dagegen.

Bis auf ein Kunai, das aus dem Nichts in einen Baumstamm schlug.

Alarmiert durch den plötzlichen Beschuss sprengten die sieben Ninja ihr trautes Zusammensein in alle Richtungen. Die Lichtung war binnen eines Herzschlages leer. Es war zu langsam.

Tōza war der erste, der erneut in die Schusslinie geriet. Waffenklirren verriet seine Position mitsamt seinem Dilemma, auf das Shiya und Shikamaru gleichzeitig aufmerksam wurden. Während Temari am anderen Ende der Schwende fünf Gegner auf einmal mit einem gezielten Windstoß wegfegte, sprangen die beiden zu ihrem männlichen Jōninkameraden, der sich einen Kampf mit zwei Ninjas lieferte.

»Iwanin!«, rief Shikamaru laut in der Hoffnung, Temari möge es hören. Ein verärgertes Brummen von ihrer Seite bestätigte, dass sie ihn vernommen hatte. Der darauffolgende Wirbelsturm, der die gesamte Umgebung klärte, war ein weiteres Zeugnis davon. Die Lichtung war wieder still geworden. Zu still.

»Wie viele habe ich erwischt?«, schrie Temari über die freie Fläche. An ihrem Tonfall konnte Shikamaru erkennen, dass sie sich auf die Lippe gebissen hatte.

»Ich zähle vier«, antwortete einer der Spione, dessen Name ihm entfallen war.

»Zwei«, fügte Shiya an. Zusammen mit ihr und Tōza sammelte Shikamaru sich wieder auf der Lichtung, wo Temari ungeduldig und fachmännisch ihren Fächer auf ihren Rücken schnallte.

»Das macht sechs«, addierte sie unter verächtlichem Zischen. »Scheiße. Es waren mindestens zehn, wenn nicht gar ein Dutzend.«

Shikamaru schüttelte den Kopf, im die Irrelevanz ihrer Zählung zu zeigen. »Selbst wenn nur einer fliehen konnte, wir können ihn auf keinem Fall auf seinem Heimatboden einholen. Selbst wenn, Iwa hat eine breite Palette effektiver Kommunikationsmethoden, die Informationsaustausch über weite Distanzen ermöglichen. Vermutlich sitzen sie schon in ihren Erdverstecken und schicken eine Nachricht an den Tsuchikagen.«

»Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, fluchte Temari leise. Sie wusste, dass es ihre Schuld war, ebenso wie sie wusste, dass es nicht ihre Schuld war. Sie hatten einfach Pech gehabt. Wie so oft im Leben. »Wir disponieren um«, entschied sie. »Von hier nach Suna dauert es in etwa so lange wie nach Konoha. Wir teilen uns auf: Shiya-san, du gehst mit Shikamaru nach Konoha –«

Er hob sie unterbrechend die Hand. »Ich werde alleine reisen. Meinen Informationen zufolge herrscht in Konoha Ausgangssperre. Sie werden keine Sunanin einlassen, schon gar nicht ohne Genehmigung, und ihr braucht angesichts der Sachlage jede Verstärkung, die ihr bekommen könnt. Sollten und die Iwanin verfolgen, was ich allerdings nicht denke, werden sie die Fährte Richtung Kaze no Kuni aufnehmen. Wer weiß, in welchen Überzahlen sie kommen.«

»Bist du sicher, dass du es alleine schaffst?«, fragte Temari. Ein Hauch Sorge schwang in ihrer Stimme mit, den er sofort erstickte.

»Natürlich. Die Shogipartie bleibt bestehen, ja?« Sie nickte einverstanden. »Und wehe du schummelst! Ich werde die Position unserer Spielsteine noch in zehn Jahren Feld für Feld wissen. Pass auf dich auf.« Seine Hand auf ihrer Schulter sollte Trost spenden, den sie zu diesem Zeitpunkt nicht annehmen konnte. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, die Konsequenzen auszurechnen. Dennoch schenkte sie ihm ein gezwungenes Lächeln, das er zu schätzen wusste.

»Danke, Shikamaru.«

Sie wandten sich die Rücken zu und liefen auseinander, jeder in die Richtung seines Heimatdorfes. Zum ersten Mal in seinem Leben kam Nara Shikamaru sich dämlich vor. Wie hatte er am Nara-Axiom zweifeln können?

 
 

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A Step Forward

 
 

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Sakura wusste nicht, ob sie froh sein sollte über die Ablenkung im Krankenhaus oder nicht. Wenn sie ehrlich zu sich war, war es nicht schlecht, 'die Sache' abkühlen zu lassen. In stillen Momenten erwischte sie sich nach wie vor bei Erinnerungen an diesen Kuss. Sie seufzte. Wenn sie noch ehrlicher war, vermisste sie Itachi, so pathetisch es auch klang. Seit Kumogakure – und das war inzwischen ein halbes Jahr her – hatten sie sich regelmäßig gesehen. Dass diese Treffen schlagartig aufgehört hatten, war ihr nicht recht. Nichtsdestoweniger verstand sie die Gründe. Seit dem Überfall auf Konoha vor zwei Wochen arbeitete sie wegen akutem Personalmangel in Doppelschichten, manchmal sogar Dreifachschichten.

Dabei war es kein Personalmangel, sondern akute Überbelegung. Die Schlacht hatte mehr Opfer zutage gefördert als zuerst gedacht; stündlich kamen neue Patienten: Shinobi, die medizinische Hilfe bislang aus Stolz verweigert hatten, Zivilisten, die sich beim Wiederaufbau schwer verletzten. Entzündungen, Nachkontrollen, septische Anfälle, Neuzugänge und Entlassungen roulierten wie ein angetriebenes Kreisel. Sakura sah seit Tagen nicht mehr als weiße Kittel, Anamnesen, Krankenblätter und Bandagen. Sie schlief aus praktischen Gründen in ihrem Büro, in das sie sich eine geklaute Rolltrage gestellt hatte, die weder bequem noch entspannend war, was ohnehin keinen Sinn gemacht hätte. Das ganze Krankenhaus saß auf Nadeln, immer bereit für den nächsten Notfall. Sie als Verantwortliche des Hospitals saß auf einem ganzen Nadelkissen, in das ein besonders schlaues Individuum die Nadeln mit der Spitze nach oben gesteckt zu haben schien.

Im Endeffekt hatte sie wenig Zeit, um über Itachi und sich zu sinnieren – für den Fall, dass es diese Einheit überhaupt gab, was sie stark bezweifelte. Was hatte sie auch erwartet? Tatsächlich blieb während den Pausen trotzdem irgendwie immer noch genügend Zeit, an ihn zu denken. Es war eine nette Alternative zu dem Leid, das sie umgab. Itachi selbst, so hatte sie gehört, war mitsamt seines Teams mit diversen ANBU Angelegenheiten beschäftigt. Ein einziges Mal war er im Krankenhaus gewesen. Er hatte Asuka abgeholt, die sich während ihrer Hilfe beim Aufbau eines Gebäudes – was die Familie ihr strengstens untersagt hatte – eine Beinverletzung zugezogen hatte. Sakura hatte erst im Nachhinein davon erfahren, Stunden nachdem sie gegangen waren. Sie hatte sich unwohl dabei gefühlt, die behandelnde Ärztin danach zu fragen, ob er sich nach ihr erkundigt hätte. Getan hatte sie es trotzdem und die Antwort war eine Verneinung gewesen, die ihr für den restlichen Nachmittag die Laune verhagelt hatte.

Es war mittlerweile acht Tage her, seitdem hatte sie nicht einmal mehr von ihm gehört. Um ehrlich zu bleiben – und als Rechtfertigung, die sie ihm aufzwang – musste sie sich eingestehen, von niemandem etwas gehört zu haben. Ino war als Helferin im Krankenhaus stationiert und selbst diese bekam sie nur zu Gesicht, wenn der blonden Iryōnin ein Patient zu sterben drohte. Naruto und Sasuke schienen wie vom Erdboden verschluckt, wobei Sasuke gewiss in Familienangelegenheiten unterwegs oder eben nicht unterwegs war und Naruto angeblich von einer Baustelle zur nächsten rauschte, um Motivation und Freude überall dort zu versprühen, wo er konnte. Hauptsächlich ihm war es zu verdanken, dass auf Konohas Straßen manches Gesicht bereits wieder lächelte.

»Sakura-sensei!«, rief ein Pfleger sie herbei. Es war das vierundvierzigste Mal, dass sie sich seit Beginn ihrer zweiten Schicht angesprochen fand. Dieser war vor einer Stunde gewesen.

»Ja?« Aufmerksam legte sie ihr Klemmbrett auf das Pult zurück. Sie konnte kaum erwarten, wer es diesmal wagte während ihrer Schicht zu sterben. In den letzten fünf hatte sie niemanden verloren. Das würde auch für die sechste gelten.

»Jemand möchte Sie sprechen«, informierte der Pfleger weiter und sie zog überrascht die Augenbrauen hoch. Wer wagte es wohl, sie während der Arbeitszeit zu stören? Ein Funken der Hoffnung entzündete sich spontan in ihren Gedanken. Schlagartig wurde sie neugierig. »Wer?«

»Sakura.«

Die tiefe, männliche Stimme hatte sie schon länger nicht mehr gehört, aber sie hätte Inos faulen Teamkameraden überall erkannt. Dagegen half auch der Staub und Dreck auf Shikamarus Haut nicht. Als sie ihn fehlerfrei identifiziert hatte, wurde sie noch neugieriger.

»Shikamaru. Solltest du nicht in Sunagakure sein, um ein Chūninexamen zu planen, das nicht stattfinden wird?«

»Wir haben keine Zeit für Scherze, Sakura«, antwortete er ungeduldig, senkte angesichts der menschenbesetzten Kulisse jedoch sofort die Stimme. Er schob sie an den Schultern in eine unbeachtete Ecke, in der eine Topfpflanze ihr tristes Dasein fristete.

»Was ist passiert?«, fragte sie leise.

»Ein Fauxpas.« Er senkte die Lautstärke weiter, bis Sakura ihren Kopf näher zu ihm schieben musste, um ihn verstehen zu können. »Suna schleuste Spione nach Iwa ein, doch sie flogen auf. Ich kam so schnell ich konnte, aber der Vorfall ist bereits fünf Tage her. Inzwischen weiß der Tsuchikage von allem und hat sicherlich bereits Maßnahmen ergriffen. Hokage-sama ist in die Details meiner Mission eingeweiht, aber ich kann sie in diesem Trümmerfeld nirgends finden! Verdammt, Sakura, was ist hier passiert?«

»Orochimaru«, spuckte sie grimmig aus. »Tsunade-sama konnte ihn erledigen, jedoch liegt sie seitdem im Koma. Oto hatte sich mit Kiri verbündet, als es uns angriff. Wir verloren viele Leute – deine Eltern und deinem Team geht es gut, keine Sorge – aber ob Tsunade-sama jemals wieder das Bewusstsein erlangen wird ist fraglich.«

»Wer hat das Sagen? Ich brauche eine Autoritätsperson!« Shikamarus Griff um ihren Oberarm, mit dem er sie schräg Richtung Wand hielt, verfestigte sich. »Ich kann nicht entscheiden, wie es weitergehen soll, dazu habe ich zu wenig Kenntnisse und Befugnisse und Jiraiya-sama ist nicht auffindbar. Wir müssen irgendjemanden auftreiben, der weiß, was zu tun ist!«

»Ich habe das Krankenhaus seit zwei Wochen nicht verlassen, Shikamaru! Ich kann dir nicht hel –« Sakura brach ab, ihre grünen Augen verengten sich entschlossen. »Ich weiß nicht was zu tun ist, aber ich kenne jemanden, der es weiß.«
 

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Shikamaru verlagerte skeptisch sein Gewicht von einem Bein auf das andere als sie vor dem Gebäude ankamen.

»Ernsthaft, Sakura?«, hakte er nach, als würde es etwas an der Realität ändern. »Von allen Menschen, die wir im großen Konohagakure no Sato kennen, ist dir als allererstes Uchiha Itachi eingefallen?«

»Sei doch ruhig«, brummte sie. Wenn er ihre Entscheidung infrage stellte, hätte er nicht mitkommen müssen. Er hatte sie um Hilfe gebeten, hier bekam er sie. »Wenn jemand weiß, was zu tun ist, dann Itachi.«

»Itachi

Sie verdrehte die Augen. Als wäre das ein geeigneter Zeitpunkt für eine sinnlose Diskussion über die rechte Handhabung von Suffixen, die nun wirklich niemanden interessierten! Sie hatte für ihn ihre Schicht vorzeitig beendet und Shizune die alleinige Verantwortung für ein gesamtes Krankenhaus überlassen, in dem Menschen starben, wenn sie nicht anwesend war. Ein wenig mehr Dankbarkeit hätte sie für angebracht gehalten, angesichts des Ernstes der Lage behielt sie sich jedoch vor, diesen Gedanken unausgesprochen zu lassen. »Möchtest du seine Hilfe nun oder nicht?«

»Jaja«, versetzte Shikamaru ihren ungeduldigen Unterton. Schweigend folgte er ihr im Eilschritt in das Haupthaus der Uchihas.

Wieso sie ihn gerade dort vermutete, wusste Sakura selbst nicht. Intuition, Gespür, Glück, es konnten viele Dinge sein, die sie dazu veranlasst hatten, gerade dort nachzusehen. Am einleuchtendsten erschien ihr die Tatsache, dass sie nicht wusste, wo sie sonst hätte suchen können. Ob Uchiha Itachi geheime Lieblingsplätze hatte? Wenn, dann waren sie tatsächlich geheim. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er viel außerhalb der Mauern des Uchihaviertels unterwegs war. Wenn sie in einem Distrikt leben würde, in dem es einen privaten Onsen, einen eigenen Trainingsplatz und sogar einen Kiosk gab, hätte sie nie auch nur einen Meter vom wahren Konoha gesehen.

Ihre Ahnung – Intuition, Gespür, Glück, was auch immer – erwies sich als korrekt. Er kniete im Seiza vor seinem Vater und seiner Tante, die beide in strengem Blick auf seine leicht gebeugte Statur herabsahen. Er wirkte, als hätte er eben eine Rüge bekommen, die er nur der Etikette halber akzeptierte. In seinen Augen loderte Einspruch, der ungesagt blieb. Sakura störte sich nicht an der intimen Szene, die sie und Shikamaru mit ihrem rüden Eintreten in aller Kunst zerstörten.

»Itachi-san!«, rief sie ihn bewusst höflicher als mittlerweile gewöhnt. Vor seinen Verwandten machte es gewiss keinen guten Eindruck, ihn allzu vertraut zu adressieren. Er schien erfreut zu sein, sie zu sehen, oder erleichtert, der heiklen Situation vor den tonangebenden Menschen des Klans mit einer guten Entschuldigung entkommen zu können. Sakura verbeugte sich erst vor Fugaku, anschließend vor Haru und bedeutete Itachi schlussendlich unangemessen unhöflich, ihr nach draußen zu folgen. Er erhob sich wortlos, zollte den Älteren den gebührenden Respekt mit einer Verbeugung und tat, wie ihm geheißen.

»Was ist passiert?«, wollte er ernst wissen. Dass sie nicht hergekommen war, um Hallo zu sagen, war alleine schon an Shikamarus Präsenz auszumachen. Diesem schnitt sie sogleich das Wort ab, ehe er sich erklären konnte.

»Wir brauchen jemanden mit politischer Macht, der auf unserer Seite steht. Jiraiya am besten. Bitte sag mir, dass Jiraiya-sama provisorisch das Amt des Hokage übernommen hat!

Itachis Kopfschütteln vernichtete den kleinen Keim ihrer Hoffnungen sofort. »Danzō ist nach wie vor im Gespräch. Jiraiya-sama lehnt es kategorisch ab, Konoha in diesem Krieg anzuführen, und ich denke auch nicht, dass er ein guter Heerführer wäre. Die derzeitigen Entscheidungen müssen sorgfältig getroffen werden.«

»Darum geht es ja!«, setzte sie aufgeregt fort. »Shikamaru, erzähl es ihm.«

Zum zweiten Mal skizzierte Shikamaru die Geschehnisse an der Grenze zu Ishi no Kuni, diesmal sehr viel ausführlicher. Itachi war nicht eingeweiht in die geheime Doppelmission, nickte jedoch ab und an und zog zwischendurch korrekte Schlussfolgerungen, die am Ende ein treffendes Gesamtbild ergaben. Mit jeder Silbe wurde seine Miene, sofern möglich, finsterer. Sakura konnte sich an die wenigen Momente vor dem Beginn ihrer Freundschaft erinnern, an denen sie ihn als Sasukes großen Bruder gesehen hatte. Genau dieses Gesicht, das er jetzt hatte, hatte sie ihn damals fürchten lassen. Selbst jetzt, nach allem, was sie miteinander erlebt hatten, lief ihr bei den düsteren Schatten auf seiner glatten Haut ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Dass er sie in keinster Weise anders behandelte als eine entfernt bekannte Kunoichi, war ein weiterer Punkt, der ihr unwohl zumute werden ließ.

Sie hasste sich für diese Gedanken. Noch mehr hasste sie sich dafür, dass sie unpassend und irrelevant waren. Konoha stand am Abgrund und sie machte sich Gedanken um ihr verqueres, nicht vorhandenes Liebesleben! Itachi hatte längst damit aufgehört, seine Wissenslücken restlos zu füllen. Er und Shikamaru nickten sich in stummen Einvernehmen zu, der jüngere von beiden sichtlich angespannt im Angesicht des berüchtigten ANBU Captains Konohas.

»Ich werde Shizune holen«, schlug Shikamaru vor. »Sie als Hokage-samas Vertraute kann am besten mit ihren Argumenten agieren.«

»Gut.« Es klang wie eine Erlaubnis. »Ich gehe zu Jiraiya-sama, um ihn von den neuen Entwicklungen in Kenntnis zu setzen.«

»Ich komme mit«, entschied Sakura. Sie wurde von Sasuke, Naruto und Sai ständig übergangen. Diese Unart würde sie sich hier gar nicht erst einreißen lassen. »Ich bin immerhin Tsunade-samas Schülerin. Bitte, Itachi, die Iryōnin im Krankenhaus kommen auch ein paar Stunden ohne mich zurecht. Ich kann meine Augen nicht davor verschließen!«

»Du bist kein Ninja mit politischer Funktion«, verwies er sie auf ihr Level als Iryōnin. Itachis Stimme war nicht beleidigend, aber entschieden. »Weder die Goikenban noch Danzō werden auf das hören, was du zu sagen hast. Kümmere dich lieber um deinen Aufgabenbereich, anstatt meine Argumentation zu flankieren. Das hier ist größer als du dir vorstellen kannst.«

Sakura stieß raues Grollen gegen ihn aus und gestikulierte um ihren Körper herum. »Zur Hölle damit, ich bin Jōnin!« Sie biss sich auf die Lippe und wandte den Blick ab. Shizune. Shizune war vonnöten. Sie war Tsunades erfahrenere Schülerin. Und wenn Shizune ausgeflogen war, musste jemand das Krankenhaus am roulieren halten. »Schön«, fauchte sie unwirsch und verließ strammen Schrittes das Anwesen. Wenn Itachi ihre Anwesenheit nicht wünschte, würde sie sie ihm nicht aufzwingen. Es lag ihr fern, ihm ihre Präsenz jemals wieder aufzuzwingen.
 

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Itachi stand in einer Reihe mit Shizune vor Danzō, Jiraiya und den Goikenban. Nara war schnell gewesen. Als er am Kageturm angekommen war, hatte er kaum fünf Minuten auf Shizunes Ankunft warten müssen. Er hätte auch ohne sie in das Ratszimmer der Goikenban gehen können, immerhin war er über alles Relevante maßgeblich im Bilde. Nur ging es nicht primär um die neuen – akuten – Entwicklungen, sondern um Entscheidung, wie man weiter zu verfahren hatte. Dazu war Shizune nötig. Sie kannte die Hokage besser als jeder andere, hatte Jiraiya halbwegs im Griff und war am ehesten in alle Vorhaben ihrer Meisterin eingeweiht.

Zusammen waren sie in eine schwermütige Diskussion getreten, in der es, wie schon seit Tagen, darum ging, wen man zum neuen Hokage machen sollte. Irgendwann hatten sie sich festgefahren, weit weg von weltlichen Argumenten. Itachi konnte nicht behaupten, es ihnen nachempfinden zu können. Sobald ein Satz Punkt und Komma hatte, sollte der Sprecher bemüht sein, ihm zweifellose Sinnhaftigkeit unterzuordnen. Hätten die Kontrahenten sich an objektive Argumentationen zum Wohle Konohas gehalten, hätte die Diskussion längst ein Ende mit Jiraiyas Ernennung zum Rokudaime Hokage Kōho gehabt. Leider war dies Itachis subjektive Meinung. Er war nicht naiv genug, um mehrere Wahrheiten nicht nebeneinander existieren lassen zu können. Danzō mochte einen anderen Weg einschlagen wollen, seine Loyalität galt offiziell jedoch Konoha, ebenso wie Jiraiyas. Das Thema hatte sich ohnehin längst verkehrt: es ging nicht mehr darum, wer temporärer Vertreter der Godaime mit Aussicht auf den Posten als Rokudaime werden würde, sondern wer nicht.

»Itachi-san!«, grüßte Jiraiya ihn überrascht. Er stand leise ächzend auf und streckte sich ausgiebig. »Du kannst gleich hierbleiben, um dem neuen Hokage zu seinem Amt zu gratulieren.«

»Ist es entschieden?« Itachi neigte seinen Kopf zum respektvollen Gruß.

»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese alten Käuze einknicken.«

»Wir können dich hören, Jiraiya!«, polterte Koharu von hinten. Auch sie erhob sich, was sie immer noch klein bleiben ließ. Ihr faltiges Gesicht zeigte eine negative Emotion, die unter den Schichten von Haut nicht zu deuten war. Was den Neuankömmlingen zu gleicher Maßen mehr Sorgen bereitete war die Schriftolle, die sie in der Hand hielt. Das karmesinrote Siegel war erbrochen worden. Noch wichtiger war die Tatsache, dass die Farbe des Wachses keiner der Shinobinationen entsprach, mit denen aktive Korrespondenz bestand. Shizune unterdrückte neben ihm den Angstimpuls, sich an das pochende Herz zu fassen.

»Gerade deswegen müssen wir handeln.« Danzō erhob sich zu seiner vollen Größe. »Wir bekamen einen äußerst bedenklichen Brief –«

»Schweig!«, fauchte Koharu. »Du hast nicht das Recht, vertrauliche Informationen an x-beliebige Shinobi weiterzugeben!«

»Bei allem Respekt«, mischte Shizune sich ein. Ihre Stimme war fester als sie sich zugetraut hätte. »Wir sind keine x-beliebigen Shinobi! Uchiha Itachi ist Captain der ANBU und ich bin die Schülern der wahren Hokage. Wenn es jemanden gibt, der Anrecht auf das Wissen um den Inhalt dieses Schreibens hat, sind es wir –«

Sie brach ab, als Itachi seine gleichmäßige, tiefe Stimme erhob. Wenn sie gedacht hatte, ihr Tonfall wäre steinhart, war der seine aus Granit. »Ich verlange diese Schriftrolle zu lesen.«

Shizune schluckte. Es war keine Aufforderung, es war ein Befehl, dem er der nach der Hokage wichtigsten Frau Konohas gab. Mental zählte er, wie lange Koharu brauchte, um zu gehorchen. Die Alte war sturer als gedacht, gegen seine Kompromisslosigkeit war jedoch auch sie machtlos. Sie haderte kurz mit sich – viel länger als er ihr zugetraut hätte – bis sie die Nachricht aufrollte und vorzulesen begann.

»Wir, Akatsuki, verlangen als Pfand für den Weltfrieden eine erbringbare Gefälligkeit auf Seiten Konohagakure no Satos. Zur Komplettierung unserer Ziele fordern wir die Offenlegung der Identität des Jinchūriki, der Kyūbi in sich hält, und seine unbedingt Auslieferung.«

»Das ist schlecht«, schlussfolgerte er. Shizune warf ihm einen ungläubigen Seitenblick zu. Das war also schlecht? Es war eine Katastrophe!

»Wir werden Naruto doch nicht ausliefern!«, rief sie aufgeregt. »Oder?«

Jiraiya zuckte die Schultern. »Es spielt keine Rolle mehr. Kumogakure erhielt ein recht identisches Schreiben, in dem Akatsuki ihren 'Anspruch' auf Hachibi deutlich macht. Da es sich bei dessen Jinchūriki um den Bruder des Raikagen handelt, hat Kumo die Forderung abgelehnt. Gleichzeitig schickten sie uns eine Abschrift der Allianzvereinbarung, die wir vor Jahrzehnten trafen. Laut derer sind wir verpflichtet in den Krieg zwischen Kumo und Akatsuki, Kiri und Ame einzusteigen.«

Wie befürchtet. Wer hätte gedacht, dass die Vorhersagen so präzise greifen würden?

»Es kommt noch schlimmer«, sagte Itachi maßlos ruhig. »Ich nehme an, jeder in diesem Raum ist über die Doppelmission Sunagakures in Iwagakure im Bilde. Laut Berichten unseres Kontaktmannes schlug sie fehl. Iwagakure sympathisierte schon früher mit Sanshōuo no Hanzō. Seit seinem Ableben ist Akatsuki in ihr Interessensfeld gerückt.«

»Das ist leider wahr«, bestätigte Shizune unnötigerweise. »Akatsuki und der Tsuchikage verfolgen oberflächlich dieselben Ziele: Macht, Reichtum, territoriale Erweiterung. Tsunade-sama hatte monatelang versucht, den Clinch zwischen Tsuchi und dem Rest der Welt beizulegen, doch die Verblendung dieser Hinterwäldler lässt sie nicht erkennen, dass sie Akatsukis Werkzeuge sind. Es würde mich sehr wundern, wenn nicht in diesem Moment ein Vertrag unterzeichnet würde, der den Zusammenschluss dieser Großmächte besiegelt.«

»Wir rekapitulieren.« Danzō hob seinen Kopf. Sein Stock klopfte dreimal auf dem Boden auf, dann hatte er zu Ende überlegt. »Suna gegen Iwa. Konoha und Kumo gegen Ame, Akatsuki und Kiri, wobei Suna durch die Allianzverträge Konoha mit sich in den westlichen Disput zieht. Wir wiederum ziehen Kumo mit. Das ist ein Stellungskrieg an drei Fronten.«

Shizune warf unwirsch die Hände in die eisig gewordene Luft. »Das ist kein Stellungskrieg, das ist eine globale Katastrophe!«

»Ob Krieg oder Katastrophe«, fuhr er unberührt von dieser nichtigen Korrektur fort, »Tsunade hat Konohagakure no Sato mit ihrer oberflächlichen Beschwichtigungspolitik gekonnt an die Wand gefahren. Wir können froh sein, dass die Disparitäten sie dazu gezwungen haben, eine Armee zu formieren. Niemand kennt unsere wahre Schlagkraft. Wenn wir uns jetzt mobilisieren, sind wir in spätestens einem Monat bereit für einen Feldzug. Ich habe das Amt des Hokage erbeten, weil ich der einzige in diesem Dorf bin, der den Mut zu handeln aufbringt. Nun verlange ich es. Wenn wir weiterhin in der Defensive bleiben, können wir gegen diese Übermacht nicht gewinnen.«

Tiefes Brummen ging von den Goikenban aus. Die beiden sahen sich weder an, geschweige denn sprachen miteinander. Wie auch immer sie ihre Entscheidung gefällt hatten, sie hatten es im kompromisslosen Einvernehmen getan. Koharu sah mit ihren müden, von Falten überlappten Augen von einem Anwesenden zum nächsten. Shizune wusste, was sie beschlossen hatte. Diese senile Alte war nach allem, was sie durchgemacht hatte, immer noch das, als was sie berühmt geworden war: eine Kriegerin.

»Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen«, setzte sie zu jener Rede an, die Shizune vom ersten Augenblick an gefürchtet hatte. »Da sich Konoha in einer Ausnahmesituation befindet, ernennen wir dich, Shimura Danzō, zum temporären Oberbefehlshaber über die gesamte militärische Schlagkraft des Dorfes. Die politische Macht wird weiterhin bei uns als Vertreter der Hokage liegen. Von heute bis zum Ende des Krieges oder Tsunade-himes Rückkehr verfügst du über sämtliche Ninjas in Konoha. Sobald die schriftliche Kriegserklärung unterzeichnet ist, wird in Konoha der Kriegszustand ausgerufen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Jiraiya.«

Er zischte verächtlich gen Boden, die Hände an seiner Seite zu Fäusten geballt. »Ihr werdet sehen, was ihr davon habt, einen machtbesessenen Möchtegerndaimyō an die Spitze unseres Dorfes zu setzen. Wenn Konoha in diesem Krieg untergeht, ist es eure Schuld. Das wisst ihr hoffentlich. Ich habe noch etwas zu erledigen. Guten Tag.« Er verbeugte sich knapp, was nicht höhnischer hätte sein können, trat einen Schritt zurück und verschwand in einer dichten Nebelwolke.
 

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Man half mit geballter Kraft an jeder Ecke Konohas. Jeder noch so schwache, alte, junge oder antisoziale Bewohner, gleich Shinobi oder Zivilist, packte gleichermaßen mit Eifer an. Wirklich alle –  außer die hochwohlgeborenen Mitglieder zweier Klans, die sich zu fein für solch schändlich vulgäre Arbeit waren. Uchiha Sasuke hatte sich nicht ein einziges Mal bei den Aufbauarbeiten des Rekonstruktionsprogrammes blicken lassen, obwohl Naruto und Sakura ihn mehrfach darum gebeten hatten. Da das Uchihaviertel kaum beschädigt worden war, hätte man meinen können, zumindest die rangniederen Mitglieder des Klans auf den Baustellen antreffen zu können, aber diese von Sakura leichtfertig getroffene Annahme hatte sich zu ihrem Missfallen nicht bewahrheitet, was ihre mentale Statistik richtiger Prognosen zurückwarf. Dass sie sich nur ärgerte, weil nicht nur Sasuke nicht mithalf, sondern natürlich in weiterer Folge auch kein anderer Uchiha im Allgemeinen – Itachi im Speziellen –, brauchte sie vor sich gar nicht erst zu negieren. Natürlich wusste sie, dass Uchiha Itachi – Uchiha Itachi – weitaus Dringlicheres zu tun hatte, denn Ziegel auf Mörtel zu schichten, um den einzigen zerstörten Teil des Krankenhauses zu reparieren. Der angeschlagenen Südflügel war ein zu vernachlässigender Kollateralschaden gewesen, bis die Überbelegung langsam akut geworden war. Mit dem Wiederaufbau dieses Teils schaffte man neue Betten, die dringend gebraucht wurden.

Trotz dieses Problems war Sakura zufrieden. Dass sie Zeit hatte, an der Seite einiger anderer freiwilliger Helfer draußen in der Wintersonne Tonnen von Baumaterial hin und her zu transportieren, anstatt im Inneren hektisch von einem Notfall zum nächsten zu sprinten, war ein gutes Zeichen. Sie hatten die Infektionen in den Griff bekommen, die meisten Verletzten waren stabil und der Rest würde entweder überleben oder sterben. Ihr Zutun konnte in diesem Stadium keine Verbesserung mehr leisten. Dass sie nach über zwei Wochen unermüdlicher Arbeit im Krankenhaus endlich wieder körperlicher Betätigung nachgehen konnte, war befreiender als sie sich vorgestellt hatte. Trotzdem sie die einzige Frau unter den Helfern war, hatte sie freiwillig sämtliche schweren Arbeiten übernommen, bloß um ihrem Frust Raum zu schaffen. Wo immer sie Zementsäcke, Backsteine oder Metallplatten fallen ließ, stellte sie sich vor, wahlweise Sasukes oder Itachis Gesicht darunter begraben zu können.

Mit zunehmender Zeitspanne seit dem Kuss hatte sich ihre Meinung zusehends ins Gegenteil verkehrt. Sie war sauer. Verärgert. Genervt. Gestern hatten sie einander zum ersten Mal seit dem Zwischenfall wiedergesehen und obwohl Sakura trotz der angespannten Situation Itachis Verhalten genau beobachtet hatte, hatte er nicht einmal den leisesten Anschein einer Reaktion auf sie gezeigt. Das machte sie wütend. So vorgeführt zu werden! Ignoriert! Einfach so! Dieser Mistkerl hielt sich nach wie vor für etwas Besseres, selbst nachdem sie ihr Herz vor ihm ausgeschüttet hatte.

Naja, fast.

Mit diesem Ärger im Bauch stach sie einen Spaten in die Erde, bloß um niemandem weh zu tun. Es hatte einen Rohrbruch gegeben, der behoben werden musste. Angetrieben von diesem Ärger war sie mit Narutos – überraschenderweise stummen – Hilfe anderthalb Meter tief gekommen, wo die Spitze ihrer Schaufel endlich auf die Leitung traf. Mit ihrem Unterarm wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und sah auf, als jemand ihren und Narutos Namen nannte.

»Naruto! Sakura-chan!«

»Ero-sennin!«, entgegnete Naruto erfreut. »Wollen Sie uns helfen? Wir müssen noch sieben Meter lang Rohre freilegen.«

»Müsst ihr nicht«, berichtigte der letzte ansprechbare Sannin. Er half Sakura zuvorkommend aus der länglichen Grube, Naruto musste sich alleine auf die Oberfläche zurückhieven. »Ich habe eine spezielle Aufgabe für euch; das bedeutet eher für dich, Sakura.«

Das machte sie neugierig. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als er auf ihren fragenden Blick hin nicht antwortete. Eine Minute lang geschah nichts, dann pufften zwei Shinobi aus dem Nichts etwas abseits der drei aus einer Nebelwolke. Zwei Uchihas. So viel also dazu, Teufel mit Gedanken zu beschwören. Zu gerne hätte Sakura den beiden Werkzeuge in die Hand gedrückt, doch die ungewöhnlich ernsten Gesichtsausdrücke der beiden älteren Shinobi ließ sie innehalten. Von Itachi war sie verbissene Mimik gewöhnt, Jiraiya war ein anderes Blatt.

»Danke, dass du ihn so schnell hergebracht hast, Itachi-san«, bedankte Jiraiya sich. Mit einem Kopfnicken holte er Sasuke zu seinen Teamkameraden.

»Ich habe nur meine Arbeit gemacht, Jiraiya-sama.«

Bescheiden wie immer, zischte Sakura grimmig in Gedanken. Sie rollte mit den Augen, wohl zu auffällig, denn Itachis verständnisloser Blick traf sie sofort, woraufhin sie missmutig schnaubte und ihn in weiterer Folge rigoros ignorierte. Exakt zwölf Sekunden lang. Noch vor einer Minute hatte sie sich gewünscht, er möge ihr Aufmerksamkeit schenken, nun revidierte sie diese Leichtfertigkeit. Sein Blick verriet jeden Tadel. Sie war dreckig, verschwitzt, ihre Kleidung war zerschlissen und ihre Haare ungewaschen. Obwohl sie sich nicht danach fühlte, hatte sie ihrem Körper mal wieder mehr abverlangt als notwendig, bloß weil Emotionen sie geleitet hatten. Das und mehr konnte sie aus seinen Augen lesen, die zwar nur kurz, dafür aber umso eindringlicher auf ihr ruhten.

»Du solltest dich nicht gewohnheitsmäßig über deine Grenzen zwingen, Sakura«, verlieh er seinen Gedanken schließlich verbalen Ausdruck. »Festeres Schuhwerk wäre außerdem angebracht.« Dann verbeugte er sich vor Jiraiya, verschwand und ließ Sakura mit hochrotem Gesicht zurück, das sie gen Boden gerichtet hatte, beide Hände zu Fäusten geballt.

»Pass auf, dass du nicht explodierst«, riet Sasuke ihr, doch sein Scherz kam nicht bei ihr an. Eine Erkenntnis schrie in ihr und übertönte alles. Nichts hatte sich verändert. Uchiha Itachi war eine pedantische Nervensäge, ein Klugscheißer und zudem auch noch die Dimension von Anmaßung. Es dauert einige Herzschläge, bis sie ihren Ärger über ihn und sich selbst hinuntergeschluckt hatte. Explodieren würde sie nicht, dafür erschien ihr eine Implosion ziemlich möglich. Es war beschlossene Sache: sie würde diesen Kuss vergessen.

»Würden Sie uns endlich erklären, wieso Sie hier sind, Jiraiya-sama?«, presste sie aus zusammengebissenen Zähnen hervor, sich ihrer angespannten Tonlage, die aus dem Nichts zu kommen schien, durchaus bewusst.

Jiraiya klatschte aufmunternd in die Hände. »Für lange Erklärungen bleibt keine Zeit. In wenigen Stunden wird in Konoha der Kriegsnotstand ausgerufen. Ich möchte euch nichts vormachen. Dieser Krieg ist das Resultat einer langen Verkettung ungünstiger Umstände, im Endeffekt jedoch ausgelöst durch die beiden verbleibenden Jinchūriki, den Wirten von Gyūki und Kyūbi. Es wird Anschuldigungen von einigen Seiten geben, die ungerecht und haltlos, aber belastend sein können. Akatsuki ist hinter den letzten zwei Bijū her, das macht Naruto zu einem von zwei Hauptzielen, was wiederum euch auf den Plan ruft. Sasuke, Sakura-chan. Ich möchte – ich verlange von euch – und dies ist ein offizieller Befehl, dass mindestens einer von euch immer an Narutos Seite ist. Wenn wir Akatsuki richtig einschätzen, werden sie nicht so dumm sein, nach Konoha zu marschieren, um Naruto zu entführen, aber sie könnten Schergen aussenden. Kirinin, Iwanin, fanatische Abtrünnige. Sakura-chan, du hast schon einmal einen Akatsuki in alle Einzelteile zerlegt und Uchiha ist durch das Sharingan das perfekte Frühwarnsystem.«

»Ich will nicht Narutos Kindermädchen spielen«, resümierte Sasuke wenig begeistert von dieser Vorstellung. Er suchte Sakuras Blick, die ebenso wenig von dieser Aufgabe hielt.

»Er kann auf sich selbst aufpassen«, meinte sie.

»Er ist ein Hitzkopf«, konterte Jiraiya, womit er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

Sasuke schnaubte. »Das vielleicht, aber wie stellen Sie sich das vor, Jiraiya-sama? Sollen wir uns alle in seiner Wohnung einquartieren? Er wohnt in einem Rattenloch!«

»Er«, fuhr Naruto dazwischen, »Kann auf sich selbst aufpassen! Er ist übrigens ich! Hört damit auf, Dinge über mich über meinen Kopf hinweg zu entscheiden!«

»Könntest du bitte weniger egozentrisch sein?« Sakura stieß ihn in die Saite. Fester als geplant, woraufhin er sie entsetzt ansah. »Hier geht es doch nicht um dich als Person! Es ist eine Frage der internationalen Sicherheit. Man kann sich nicht vorstellen, was geschähe, wenn sie alle Bijū zusammen hätten. Es steht viel auf dem Spiel. Sind zwei Jōnin genug? Jiraiya-sama, Sie wissen, wie launisch Naruto sein kann.«

»Ich bin nicht launisch!«, mischte der Blonde sich von seitlich ein. »Und hört damit auf, von mir zu sprechen, als wäre ich nicht hier!«

Jiraiya überging ihn gekonnt. »Sai wird mit einem Team zusammen die Umgebung überwachen, außerdem sind mehrere operative ANBU Teams sowie Itachis Trupp als Grenzpatrouillen unterwegs, um mögliche Angreifer fernzuhalten.«

Das beendete wenigstens die Option, Itachi zufällig über den Weg zu laufen, was Sakura nicht unbedingt unangenehm war. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. Mit einer neuen Aufgabe betraut war es gewiss einfacher, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen. Selbst wenn sie diesen mit einem Vorschlaghammer bearbeiten müsste: spätestens Sasuke würde ihr dabei liebend gerne zur Hand gehen.

Jiraya musterte das Trio skeptisch, seufzte und sagte ernst: »Eure Schicksale sind verwoben wie keine anderen. Findet euch damit ab; noch besser: lernt voneinander, miteinander, füreinander. Eure größte Stärke ist euer Teamwork, eure nahtlose Verbundenheit. Macht das Beste daraus. Ihr könnt anfangen, indem ihr euch bei euren Kameraden für euer ausfallendes Benehmen entschuldigt.«

Drei Blicke trafen für einen Lidschlag aufeinander. Azur, Onyx, Smaragd. Bloß um sich voneinander abzuwenden. Es blieb still.

»Fein«, resignierte Jiraiya, »Dann eben nicht. Aber bleibt zusammen.« Er verschwand in einer Rauchwolke. Und ließ drei fragende Gesichter zurück.
 

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Naruto stellte die zweite leere Ramenschüssel auf den Tresen. Seine Faust tippte unruhig daneben, wo Sakuras Stäbchen fröhlich in seinem Takt auf und ab hüpften.

»Ich finde das albern. Wie alt sind wir denn, dass man uns derart vorführen kann? Ich hasse es, wenn man Trara um mich macht. Vor allem wegen Kyūbi. Ich bin doch kein kleines Kind.«

Sakura nahm ihm seine Stäbchen weg, um damit anklagend auf ihn zu zeigen. »Im Moment benimmst du dich aber so.« Sie hatte ernster gesprochen als geplant. Es hätte ein Scherz werden sollen. Locker, leicht, ein wenig ironisch, wie immer eben. Es war unmöglich, Leichtigkeit in ihre Worte zu legen, wenn hinter ihnen Sirenen ertönten.

»Es tut mir leid.« Narutos Worte war an Sasuke gerichtet, ohne dass Naruto ihn ansah. Sein blitzblauer Blick war auf die Anhöhe der Servierfläche vor ihm geheftet, als hätte das rustikale Zedernholz des Ramenstandes etwas sonderbar Anziehendes an sich. So musste es sein, denn auch Sasuke hatte die Anrichte anvisiert. »Dass ich dich geschlagen und verflucht habe«, fuhr er fort. »Sakura-chan und ich … wir waren stinksauer, als du Team Sieben verlassen hast. Das haben wir dir nie wirklich verziehen.«

»Was Naruto damit sagen will«, lenkte Sakura ein, ehe die Entschuldigung ihres Freundes in eine ungewollte Hasstirade ausarten konnte, »Ist, dass wir nachvollziehen können, wieso du dich entschieden hast, innerhalb des Klans zu trainieren, anstatt dich weiterhin mit einem Waisen und einer Hysterikerin zu beschäftigen. Das bedeutet nicht, dass wir es jemals gutheißen werden, selbst wenn es dich sehr schnell sehr weit gebracht hat. Wir wissen, dass diese Entscheidung nicht alleine dir zuzusprechen ist. Wenn wir allerdings ehrlich sind, bleibt sich das Ergebnis gleich. Es ist nicht so, als hättest du das Dorf verraten, du hast bloß ein anderes Training bekommen. Darum werden wir dir dein Fehlverhalten nicht länger nachtragen – lass mich ausreden«, überging sie Sasukes Einwand eindringlich. »Ich bin nicht vermessen genug zu behaupten, ich könne Richtig und Falsch beurteilen. Es hat sicherlich sein Gutes, dass du mit deiner Familie trainiert hast. Aber wir … wir hätten diesen Entschluss gerne von dir gehört, anstatt von Kakashi-sensei. Wir hatten nie die Chance, uns zu verabschieden, darum konnten wir nie mit dem alten Team Sieben abschließen.«

»Vielleicht ist das aber auch gut so«, setzte Naruto fort. Endlich sah er auf, direkt in Sasukes Augen, die längst erst auf Sakura und dann auf ihm geruht hatten, »Weil dies hier kein Neuanfang ist, sondern das Ende einer sehr, sehr langen Pause. Kannst du uns verzeihen, dass wir uns dir gegenüber benommen haben wie die letzten Ärsche dieser Welt?«

Sakura nickte, obwohl sie die 'Ärsche' anders formuliert hätte. Sasuke sah gebannt auf Naruto, danach wieder zu ihr, ehe er erschlagen von derartiger Aufrichtigkeit nickte. »Ähm … danke?«

Sasukes Reflexen und Sakuras schneller Reaktion war es zu verdanken, dass Naruto ihn nicht mit einem Faustschlag ausgeknockt hatte. Stattdessen wütete er in Sakuras Armen, die ihn tapfer zurückhielten.

»Wir schütten uns Herz aus und alles was dir einfällt ist 'ähm danke'?!«

Sasuke duckte sich unter Narutos wild um sich schlagenden Gliedmaßen hinweg und hob schützend die Arme vor die Brust. »Tut mir leid, okay? Ich bin eben kein gefühlsduseliger Mensch, dreht mir daraus keinen Strick! Wenn ihr darauf besteht: ich hätte euch gegenüber meiner Familie viel mehr verteidigen müssen. Es wird nicht wieder geschehen, dass ein Uchiha ungestraft schlecht über euch redet, das verspreche ich euch.«

»Jaja«, winkte Sakura wenig überzeugt ab, entließ den sich beruhigen Naruto aus ihrem Würgegriff und legte ein paar Münzen auf den Tresen. »Es erscheint mir sehr utopisch von dir, unseren schlechten Ruf in einem kreisrunden Klan anzufechten, aber danke für den Versuch. Wenn wir ehrlich sind, ist Vieles nicht einmal gelogen.« Sie lachte unschuldig. Der Uchiha zu Narutos Linken stimmte nicht ein.

»Der Klan ist der Klan. Ihr seid meine Freunde; die Familie, die ich mir selbst aussuchen konnte. Bloß weil ihr Blut in meinen Adern fließt, gibt ihnen das nicht das Recht, jene zu diskreditieren, die in meinem Leben nicht minder wichtig sind. Vielleicht sogar wichtiger.«

»Jetzt werd' doch nicht pathetisch«, lenkte Sakura ein. Sie empfand fast etwas wie schlechtes Gewissen, weil der große Uchiha Sasuke ihnen eine Hymne zu Füßen trug. Selbst wenn sie durch Narutos Ausbruch womöglich etwas übertrieben war. »Ehrlich gesagt ist es uns egal, was der Klan über uns denkt. Nicht nur die Uchihas, eigentlich scheren wir uns bloß um wenige Meinungen. Wer mit dieser wandelnden Entropie befreundet ist, legt sich schnell ein dickes Fell zu.« Naruto nickte bekräftigend. Ob er verstanden hatte, dass sie ihn gerade beleidigt hatte? »Was zählt schon Ansehen und Respekt, wenn wir uns damit für Anstand verbürgen müssen?«

Wieder wollte sie ihre Hommage an das Chaos in einem Scherz ausklingen lassen, wieder reagierte niemand mit Lachen oder Lächeln auf ihren Witz, der kein Witz war, sondern die bittere Wahrheit.

»Wenn wir schon dabei sind, uns beieinander zu entschuldigen«, begann Sasuke, diesmal hörbar widerwilliger als zuvor, »Bringe ich es lieber hinter mich.« Ja, genau so klang er. Es machte sie neugierig, woraufhin sie sich ein Stück nach vorne beugte, um freien Blick auf den Uchihaspross zu haben, der in seinem Inneren einen Kampf ausfocht. Naruto war nicht weniger interessiert an dem, was sein bester Freund vorbringen würde.

»Ja?«, fragte sie in der Annahme, die Entschuldigung ginge an sie. Sie lag richtig.

»Was auch immer zwischen dir und meinem Bruder ist, Sakura, ich hätte mich nicht einmischen dürfen. Schon gar nicht derart … deplaciert. Ich wollte dich beschützen, weil ich Itachi kenne. Er nutzt Menschen wie Gegenstände, bloß taktvoller, um ein Ziel zu erreichen, das man erst erkennt, wenn er bekommen hat, was er wollte. Ich dachte, bei dir sei es genauso. Wenn er Gefallen an dir gefunden hat, ist mir das zwar unverständlich, weil ich nicht dachte, dass er Hormone und menschliche Gefühle besitzt, aber es ist eure Sache. Ihr braucht weder meine Einmischung, noch meinen Segen. Also … tut, was immer ihr nicht lassen könnt, bloß –« Seine Stimme wurde fordernder, rauer und verzweifelter. »– lasst es mich ja nicht wissen. Alleine die Vorstellung, er könnte irgendjemanden küssen, vor allem dich, treibt ein Gefühl der Übelkeit und Anwiderung in mir hoch, das zu beschreiben bloß einen weiteren Brechreiz zur Folge hätte.«

Sakura war im ersten Moment zu perplex, um etwas anderes zu tun als Sasuke fassungslos anzustarren. Hundert Gedanken preschten auf sie ein, der lauteste fragte sich, woher er von dem Kuss wusste. Erst nach reiflicher Überlegung kam sie zu dem Schluss, dass Sasuke es nicht wissen konnte. Vermutlich vermutete er es nicht einmal, sondern hatte einfach eine übergeordnete romantische Geste für die Beschreibung einer Beziehung, Affäre oder wie auch immer gearteten intimen Verbundenheit postuliert. Dass er mit seinem Raten ins Blaue mitten ins Schwarze getroffen hatte, konnte er nicht wissen. Sakuras aufgeregtes Herz, das ihr für einen Moment in die Hose gerutscht war, erklomm langsam wieder den Gipfel des Normalzustandes, wo es ein wenig schneller schlagend verblieb als zuvor. Die zweite laute Frage, die die erste nun übertönte, schrie vor allem eines: wie kam Sasuke auf die Idee, dass etwas zwischen ihr und Itachi lief, das mehr war als eine Nutzgemeinschaft? Und, noch viel wichtiger: wenn er es nicht nur annahm, sondern wusste, woher wusste er es?

All diese Fragen erhielten keine Antworten. Vorwiegend, weil Sakura sie nicht stellte. Es war irrelevant. »Hast du mich gerade wirklich implizit als die hässlichste Person auf Erden beschrieben, die Brechreiz in dir auslöst?«

»Was?«, fragte Sasuke unschuldig. »Nein! Aber … Itachi ist mein Bruder. Ich finde es schon widerlich, wenn er mit Frauen flirtet – nicht, dass er das oft machen würde – darum ist alleine die Vorstellung, er könne sowas wie ein ...« Er senkte die Stimme zu verschwörerischem Flüstern. »… Sexleben haben, ist …«

Sakura hob ihre Hand. »Bitte, sprich nicht weiter, Sasuke. Das aus deinem Mund zu hören ist wirklich etwas, auf das ich verzichten kann. Du bist nicht Ino. Nur fürs Protokoll: selbst wenn ich nichts auf das Bild gebe, das dein Klan von mir hat, Sasuke, der Klan tut es. Ich bin im Umgang mit Dōjutsus die versierteste Iryōnin Konohas, vielleicht sogar besser als Tsunade, aber ich bleibe eine weitgehend mittellose, standeslose, unadelige Kunoichi. Darum und nur darum sind Itachi und ich befreundet. Ich muss es wissen, nicht wahr? Du brauchst dir diese Freundschaft nicht schönzureden. Mir erst recht nicht.«

Dies war ihr Schlussplädoyer für die Akte Uchiha Itachi. Es war alles gesagt; nicht in tausend Jahren könnte sie gut genug für ihn werden. Das hatte sie akzeptiert.

Naja, fast.

 

 
 

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Paperchase


 

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In zwei Tagen würde das Gipfeltreffen der Kage stattfinden, in dem man klären würde, wie es weitergehen sollte. Eindeutig zu viele Konjunktive für Sakuras Geschmack. Wenn wäre hätte könnte, bräuchten sie nicht Krieg zu führen. Was bei einem Aufeinandertreffen von Sabaku no Gaara, Shimura Danzō und dem Raikage – Sakura weigerte sich diesen Menschen einfach nur A zu nennen; das war ein Buchstabe, kein Name! – wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. Sie hatte auch gar keine Zeit dafür. Überwiegend weil Naruto vor Motivation strotzte und weil er Sasuke in seinen impulsiven Strudel aus Training mit hineingezogen hatte. Sakura indes versuchte jede entbehrliche Minute für die beiden freizuschaufeln, was nicht einfach war. Shizune war als wichtige Vertreterin der Godaime Hokage zu Danzōs Sekretärin – Aufpasserin – abkommandiert worden, was die jüngere Schülerin der eigentlichen Leiterin des Krankenhauses nun zu genau dem machte, was sie hatte vermeiden wollen: der Erbin Tsunades. Nicht, dass man nicht allen Grund dazu gehabt hätte, sie hinter vorgehaltener Hand bereits seit Langem als solche zu bezeichnen. Wo Shizune immer noch an Tsunades Rockzipfel klammerte, war Sakura ihrer Rolle als Schülerin längst entwachsen. Sie hatte sich einen Ruf aufgebaut, vor allem durch ihre spontanen Heldenaktionen mit Naruto, der wiederum seinem Meister ähnlicher war als allen lieb war. Vielleicht nicht ganz so pervers, aber mindestens so tollpatschig und vulgär. Vielleicht war das der Grund, warum man so schnell Parallelen zwischen Senju Tsunade und Haruno Sakura gezogen hatte. Ob es Sakura wirklich angenehm war, mit einer spielsüchtigen Brutalo-Alkoholikern in eine Liga erhoben zu werden, blieb auszudiskutieren. In eine Schublade mit einem Hokage gesteckt zu werden war jedenfalls etwas, das sie ehrte.

Das war das Problem an der Sache. Diese Erwartungen. Man erwartete von ihr, mindestens so gut zu sein wie Tsunade, was, um ehrlich zu sein, beschissen schwer war. Berge von Akten, Verwaltungsarbeit monströser Ausmaße, Dutzende Bittsteller pro Tag. Das alleine, um das Krankenhaus am roulieren zu halten. Schichten, Bewilligungen, Medikamentenbestellungen und mittendrin Narutos und Sasukes nervendes Gezeter, in dem sie ihr vorwarfen, keine Zeit für teaminterne Aktivitäten zu haben.

Darum war sie hier. An ihrem einzigen freien Nachmittag, den sie nicht einmal frei hatte, sondern bloß die Verantwortung auf eine beliebige vorbeikommende Oberärztin abgewälzt hatte. Ihre Teamkameraden hatten sie kurz nach Mittag ins Uchihaviertel verschleppt, wo sie auf einem privaten Trainingsplatz eine Schriftrolle durcharbeiteten. Das bedeutete, Sakura arbeitete die Schriftolle durch und ihre männlichen Kameraden fochten einen kindischen Streit aus.

»Ich weiß nicht, wie Jiraiya-sama sich das vorgestellt hat«, seufzte sie erschlagen von der Detailreiche der angeführten Kampfformation. Sie diente weitgehend dazu, Naruto im Gefecht von dummen Aktionen fernzuhalten. »Für Naruto dürfte die Aufstellung mithilfe seiner Kagebunshin keine Probleme darstellen. Sasuke kann sie gleich danach kopieren. Aber was wird aus mir? Ich bin Taijutsuspezialistin. Die einzige Ninjutsu, die ich einwandfrei beherrsche, ist Kawarimi. Und Henge no Jutsu. Es hat einen Grund, wieso ich mich ein Jahrzehnt lang nur mit Taijutsu beschäftigt habe, wisst ihr?«

»Komm schon, Sakura-chan, wieso so pessimistisch?«, versuchte Naruto sie aufzuheitern. Erfolglos.

»Gegenfrage: wieso so optimistisch? Wir stecken im Krieg, der letzte vernünftige Mensch liegt im Koma, ich bezeichne Tsunade-sama als vernünftigen Menschen, ach ja, nicht zu vergessen Danzō, der an Jiraiya-samas Stelle Rokudaime ist. Man kann mich von mir aus wegen Hochverrat einbuchten, aber ich traue diesem Mann nicht einen Meter weit.«

Sasuke nickte bekräftigend. »Er ist ein Aasgeier. Sein Ziel waren schon immer die Uchihas. Die Götter, an die ich nicht glaube, wissen wieso. Um Danzō kümmert sich mein Vater. Zumindest was innenpolitisches Treiben angeht. Angeblich soll er versuchen, gegen den Beschluss, nach dem er bloß militärische Macht hat, anzukämpfen. Ein aussichtsloses Unterfangen, das er hoffentlich bald zugunsten einer militärischen Strategie aufgeben wird.«

»Du unterstützt dieses Massaker?«, fragte Sakura ungläubig. Sasuke war vielleicht kein Pazifist wie Itachi, aber er stand ebenso an der Front wie jeder andere arme Opferstein auf diesem Shogibrett. Uchiha oder nicht, er war nicht wichtig genug, um ihn aus einem Kampf abzuziehen. Zumal er sich nicht davon abhalten lassen würde, sich zu beweisen.

»Ich bin nur pragmatisch, Sakura«, berichtigte er sie mit verschränkten Armen. »Das solltest du auch werden. Der Krieg ist beschlossene Sache, also sollten wir uns dem Sieg verschreiben. Was bringt es uns, gegen ein unbezwingbares Faktum anzugehen, wenn wir mit dem Triumpf über unsere Feinde sehr viel mehr erreichen können?«

Sakura runzelte die Stirn, enthielt sich jedoch Gegenargumenten. »Du hast wohl recht. Mit dieser Formation steigen wenigstens unsere Chancen, diesen Krieg zu überleben. Wenn ich sie denn verstehen würde.« Resignierend breitete sie die Rolle auf dem staubtrockenen Erdboden aus, um jene Fingerzeichen zu versuchen, die haarklein am Anfang beschrieben standen. Mit dieser Jutsu sollten sie beginnen. Sie verharrte beim dritten In.

»Was ist denn, Sakura-chan?«

Langsam senkte sie den Blick auf ihre verknoteten Finger, zog ihre Augenbrauen empor und ließ den Kopf hängen. »Ich raff es nicht.«

Betretenes Schweigen, während ein metaphorischer Heuballen über die Wüste der Intelligenz kullerte. Dass sie den Tag erleben durften, an dem Haruno Sakura zugab, etwas nicht zu verstehen, war etwas, das sich weder Sasuke noch Naruto in ihren kühnsten Träumen hatten ausmalen können. Behutsam tasteten sich die beiden Shinobi auf das fahle Überbleibsel personifizierter mentaler Überlegenheit heran, um diesem das Pergament zu entziehen, das von unten herauf Schmach schrie. Zumindest was Sakura anbelangte, die nach wie vor kalkweiß auf  ihre Finger starrte. Ihre beiden Teamkameraden indes hockten sich einige Meter entfernt einander gegenüber auf den Boden, zwischen ihnen die Rolle, über die sich ein dritter Schatten ausbreitete.

»Yo.«

Der Shinobi, der gesprochen hatte, hob die Hand zum Gruß, seinen Oberkörper weit über die Schriftrolle gebeugt.

»Was machst du hier, Sai?«, fragte Naruto argwöhnisch. »Solltest du nicht vor dem Dorf patrouillieren?«

»Ein anderes Team kam eben als Ablöse. Jiraiya-sama bat mich, euch zu helfen. Ehrlich gesagt sprach er zwar von einer Bitte, es klang laut meinem neuesten Buch aber eher nach einem Befehl. Weiter meinte er, meine Absenz von Team Sieben sei bereits zu ausgedehnt. Bei was soll ich euch denn eigentlich helfen? Jiraiya-sama gab mir keine genaueren Instruktionen.«

»Du könntest damit beginnen, unser Superhirn aus ihrer Apathie zu lösen«, schlug Sasuke auf Sakura deutend vor. Diese hatte sich seit fünf Minuten keinen Millimeter bewegt. Von ihrer Position aus konnten die drei Männer nicht einmal beurteilen, ob sie noch atmete oder dies bereits die beginnende Leichenstarre war.

»Ich könnte euch aber auch erklären, wie ihr diese Jutsu hier richtig anwendet.«

Drei Paar Augenbrauen zogen sich fragend über drei Paar Augen zusammen. Mit großen Schritten war Sakura – quicklebendig wie zuvor – bei den Mitgliedern des rasant wachsenden Team Sieben. Ihre Fäuste ballten sich um Sais Kragen, an dem sie ihn so weit hochzog, dass nur noch seine Zehenspitzen den Trainingsgrund berührten. »Das sagst du erst jetzt?«, fauchte sie, ließ ihn los und stellte sich auf die letzten freie Seite des Quadrats, das sich um die ausgerollte Schriftrolle gebildet hatte. »Klärst du uns auf?«

Sai strich hüstelnd mit aller unverschämten Ruhe sein verrutschtes Oberteil glatt. »Liebend gerne, Sakura.« Sein Ton war glatt, was bedeutete, dass er ihr den tätlichen Angriff zwar nicht übelnahm – wie hätte er auch? Immerhin hatte er eben bewiesen, dass er etwas aus einer Schrift verstand, dass der Bücherwurm der Truppe nicht kapiert hatte – aber ihre aufbrausende Art keineswegs würdigte. Sie quittierte seine stumme Aufforderung mit einem ungeduldigen Schnalzen der Zunge, das keineswegs jene Entschuldigung war, die er sich erhofft hatte. Sai musste sich damit zufrieden geben, ob er wollte oder nicht.

»Heute noch?« Sasuke, dem der stumme Machtkampf um die Position der Intelligenzbestie innerhalb des Teams entgangen war, neigte ungeduldig den Kopf.

»Seht ihr dieses Abfolge von Zeichen?« Er deutete auf jene Beschreibung, an der Sakura gescheitert war. »Sie kann für einen Shinobi alleine nicht funktionieren. Unter erfahrenen ANBU ist diese Form von Techniken verpönt, weil sie anfangs ganz gut klingt, aber sehr großen Schaden bei ihren Anwendern verursacht, sofern sie falsch ausgeführt wird. Die Zeichen sind für zwei oder mehr Personen konzipiert. Je mehr Shinobi sich an der Jutsu beteiligen, desto effektiver und mächtiger wird sie. Auf Kosten der Stabilität.«

Naruto beugte sich mit geöffnetem Mund über die Rolle, als helfe ihm diese Haltung dabei, ihren Inhalt besser zu verstehen. Augenscheinlich ohne Erfolg. »Was bewirkt sie?«

Der Gefragte zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Das ist ja das Heimtückische an Mehrparteientechniken. Sie sind wie Onigiri: du weißt erst ob drin ist was draufsteht, wenn du reinbeißt.«

»Ein sehr bildhafter Vergleich. Wir können uns sicher sein, dass Naruto mindestens eine halbe Stunde lang an Ramen denken wird, anstatt uns zuzuhören«, kommentierte Sasuke. Er seufzte. »Nicht, dass er das mit einem weniger schmackhaften Essensmetapher nicht auch getan hätte.«

»Hey!«, brüskierte Naruto sich und stand auf, um mit dem Rest seines Teams auf Augenhöhe zu sein. »Bedeutet das, dass wir die Technik einfach anwenden müssen, um zu sehen, was rauskommt? Siehst du, Teme, ich kann mich konzentrieren.«

»Lobet und preiset die Kami, an die ich nicht glaube.«

Sakura sah ihn von der Seite her irritiert an. »Was hast du neuerdings mit deiner unorthodoxen Affinität zu Atheismus? Egal. Sai?«

Der Angesprochene bedankte sich für das Wort. »Jiraiya-sama hätte euch oder besser gesagt uns kaum die Abschrift einer Selbstmordjutsu gegeben, also können wir annehmen, dass sie wohl einen für uns willkommenen Effekt hat. Er möchte, dass wir zusammenbleiben, was wiederum bedeutet, dass er diese Jutsu für uns vier vorgesehen hat. Sie könnte etwas mit Kyūbi zu tun haben oder auch mit dem Krieg.«

»Oder mit beidem«, überlegte Sakura, zwei Finger am Kinn. Jiraiya war nicht dumm, im Gegenteil. Er war wie ein Vater für Naruto, sein offizieller Pate noch dazu. Wieso also gerade jetzt? Die Antwort lag auf der Hand. »Jiraiya-sama will Naruto in diesem Krieg beschützen. Er kann es nicht, indem er ihn irgendwo einsperrt. Naruto würde Kleinholz aus seinem Versteck machen, ehe die Armee sich an die Front bewegt hätte. Zumal Konoha nicht auf die Macht eines Bijū verzichten kann, nachdem sein Jinchūriki ihn einigermaßen kontrollieren kann. Ich schätze also, dass die Jutsu die stärkste ist, die Jiraiya-sama in petto hatte. Vermutlich weiß er selbst nicht genau, was sie bewirkt. Ist sie auszuprobieren wirklich der einzige Weg herauszufinden, was ihr Effekt ist?«

Sie fürchtete Sais Nicken, das wie auf Knopfdruck kam. »Ich schätze schon. Es wird schwierig werden, unsere Chakren abzustimmen, weil jeder von uns verschieden viel davon für seine Ninjutsus aufzuwenden pflegt.«

»Dann fangen wir an!«, rief Naruto, der sich die Ärmel längst hochgekrempelt hatte. »Es gibt noch einen verbleibenden Jinchūriki. Seinem Ruf nach soll er Hachibi vollständig kontrollieren können. Wenn ich auf ihn treffe, möchte ich eine eindrucksvolle Technik draufhaben, mit der ich ihm Feuer unter seinem Arsch machen kann!«

Vulgär wie immer, aber motivierend. Zumindest für den Anfang.
 

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Das Uchiha Haupthaus lag in produktiver Ruhe. Einige Shinobi trainierten nahezu lautlos, andere patrouillierten auf den unbefestigten Straßen, der Rest war entweder wortlos mit Aufräumarbeiten beschäftigt oder nicht zugegen. Mikoto rührte eine hübsche Melodie summend in einem großen Kessel, der auf dem offenen Feuer stand.

Was hätte Sakura gegeben, für ein paar Wochen keine größeren Sorgen zu haben als die richtige Prise Gewürze in einem guten Eintopf? Sie wollte nie eine Hausfrau sein, aber geschunden und verprügelt demütig vom Trainingsfeld in das Haus ihres blasierten Teamkameraden zu schleichen, war kein weniger unangenehmes Gefühl. Diese Technik war, wenn schon nicht die Hölle selbst, zumindest ein Vorhof davon. Sie war – und das hatte sie von vornherein postuliert – keine geübte Ninjutsunutzerin. Nicht selten war sie der Grund gewesen, weshalb die Technik nicht funktioniert hatte, dabei hatte sie die beste Chakrakontrolle. Vier Chakraflüsse aufeinander abzustimmen, dabei auch noch kontinuierlich zu halten, war harte Arbeit gewesen. Letzten Endes hatten sie es nicht geschafft. Vorerst nicht. Es hatte das Quartett dermaßen frustriert, dass sie in einen sinnlosen Trainingskampf verfallen waren, aus dem nur Verlierer hervorgegangen waren. Sakura hatte Naruto und Sai eine ordentliche Tracht Prügel verpasst, dafür hatte Sasuke rüpelhaft mit ihrem Gesicht den Boden aufgewischt. Sais Revanche für die Tracht war nicht minder brutal als Narutos und als dieser zusammen mit Sakura auf Sasuke losgegangen war, hatte Sai die Chance genutzt um ihnen allen zu zeigen, weshalb er in so jungen Jahren bereits ANBU geworden war.

Letztendlich tat ihnen allen alles weh. Sai hatte sich bereiterklärt, Jiraiya ausfindig zu machen, um den Inhalt der Schriftrolle zu diskutieren. Das ließ Naruto und Sakura übrig, die keineswegs vorhatten, sich Mikotos berühmten Eintopf entgehen zu lassen. Und wenn es zusätzlich auch noch Mochi abzustauben gab, konnte selbst Sasukes eiskalter Blick nichts daran ändern.

»Oh, Sasuke!«, rief Mikoto erfreut von der Küche auf die Veranda, wo sich die drei ihrer Schuhe entledigten, »Du hast deine Freunde mitgebracht!«

»Sie haben sich selbst eingeladen«, zischte er, winkte jedoch ab, als sie nachfragte, was er gesagt habe. »Ist Itachi da?«

»Sei doch nicht so unhöflich!«, tadelte seine Mutter ohne auf die obligatorische Frage einzugehen. Die Mochi standen bereits auf der Anrichte und Mochi gab es nur, wenn der ältere Sohn anwesend war. »Entschuldigt meinen Sohn, der trotz seiner makellosen Erziehung manchmal den unpassenden Drang verspürt, antisozial, taktlos und unhöflich zu sein. Ich weiß bei Kami-sama nicht, von wem er das hat.« Mikoto hob die Schultern und ließ sie seufzend wieder fallen. »Möchtet ihr ein wenig Tee oder vielleicht ein heißes Bad? Es wird bald dunkel draußen, also seid ihr herzlich eingeladen, die Nacht hier zu verbringen. Mir wäre nicht wohl dabei, euch zu so später Stunde nach Hause gehen zu lassen.«

»Okāsan, sie sind Ninjas«, versuchte Sasuke ihre Einladung abzuwehren. Erfolglos.

»Na und? Das macht sie nicht weniger zu Menschen, denen ich gerne meine Gastfreundschaft anbiete. Unser familieneigenes Badehaus ist die Straße runter links. Bitte benützt es, wenn ihr wollt. Handtücher und ein Yukata liegen zur freien Entnahme im Nassbereich verfügbar.«

Überwältigt von so viel Herzensgüte nickten Naruto und Sakura. Keiner von beiden brachte ein angemessenes Wort des Dankes über die Lippen, obwohl Uchiha Mikotos Freundlichkeit fast bekannter war als ihr Eintopf. Schließlich brachte Sakura eine angemessen tiefe Verbeugung zustande, die die ältere sofort unterbrach. Es sei nicht notwendig, ihr für etwas Selbstverständliches zu danken. Sakura fand, dass es durchaus nötig war, unternahm jedoch keine weiteren Anstrengungen, die Frau des Klanoberhauptes vom Gegenteil zu überzeugen. Mikotos Wort war hier Gesetz, damit wollte sie sich ja nicht anlegen.

Die Straße runter links war keine allzu präzise Beschreibung, tat allerdings ihren Zweck. Das Badehaus war vielmehr ein halber Onsen, der schöner eingerichtet war als so mancher Touristenschuppen in Yu no Kuni. Edelstes Holz, feinste Stoffe für die Badetücher, getrennte Bereiche für Damen und Herren. Ein Segen für Sakura, die sich vor der Gabelung von Naruto und Sasuke verabschiedete. Durch die Trennwand hörte sie die beiden dumpf reden, bemerkte in ihrer sorglosen Entspannung jedoch nicht, wann die Stimmen verstummten. Das heiße Wasser fühlte sich wohltuend auf ihrer geschundenen Haut an. Sie heilte beiläufig die Verletzungen, ehe sie sich vollends einem halbwachen Traum hingab, den sie niemandem jemals erzählt hätte. Nicht einmal Ino. Schon gar nicht Ino.

Wann genau sie das Badehaus verließ, ließ sich nicht mehr feststellen. Naruto und Sasuke waren längst gegangen, vermutlich saßen sie bereits bei Tisch, wo man ihre Anwesenheit hoffentlich nicht allzu sehr vermisste. Wenn Mikoto nur eine halb so extreme Glucke war wie Sakura vermutete, würde sie die Wände hochgehen und niemanden essen lassen, ehe die Abtrünnige nicht gefunden war. Deshalb und weil es nach dem heißen Bad durch ihre dünne Freizeitkleidung kalt wurde, beeilte sie sich die Straße hinauf zurück zum Haupthaus, in dem Licht brannte. Mikoto schien noch keinen Suchtrupp losgeschickt zu haben, was entweder bedeutete, dass sie mit dem Essen gewartet oder Naruto und Sasuke ihr eingeredet hatten, das einzige weibliche Mitglied von Team Sieben brauche immer so lange für ihre Abendtoilette. Was nicht unbedingt gelogen war.

Bereits als sie die Veranda betrat, spürte sie eine Präsenz. Seine Präsenz. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie zu minimieren, geschweige denn sie zu unterdrücken. Wieso sollte er auch, immerhin war es sein Haus. Sakura hingegen unterdrückte den Impuls, ihren Kopf an die Wand zu schlagen, weil sie damit eher die Wand ruiniert hätte als ihren Kopf. Um die Ecke am anderen Ende der Veranda kam Itachi gebogen, aufrecht, stramm, selbstbewusst. Nichts deutete darauf hin, dass er Sakura wahrgenommen hatte, obwohl es so sein musste. Wenn sie eines gelernt hatte, dann war es, dass er ein Kontrollfreak war. Er kannte seine Umgebung bis ins kleinste Detail. Eine Welle der Entrüstung, Unsicherheit und Wut ihn betreffend konnte er unmöglich übersehen.

In diesem Wissen ging sie erhobenen Hauptes die lange Veranda entlang, als wäre sie ein Laufsteg ihrer erschütterten Träume. Bloß nicht nachgeben, bloß nicht ausweichen. Es dauerte zwei Meter, dann erschien sein Gesicht im Mondlicht. Sie fixierte seine tiefgrauen Augen, die in seinem blassen Gesicht wie dunkelstes Granit glänzten. Einen Schritt nach dem anderen bewegten sie sich aufeinander zu, sich fokussierend, aber mit einer solchen Rigorosität, dass man meinen könnte, sie träfen nicht gleich auf ein menschliches Hindernis.

Es gab ein Sprichwort, das ihr just in dem Moment einfiel, als sie Uchiha Itachi grüßte – Und wenn die Menschheit alles weiß, vom Erdkern bis zu den Gestirnen, so wird uns eines immer unbegreiflich sein: wieso ein intelligenter Mensch, wissend, wie er ist, so viel Dummes an einem Tag tun kann. Wieso ihr dieses, genau dieses und nur dieses Sprichwort einfiel, wurde ihr bewusst, weil Itachi sie fassungslos anstarrte. Dass sie diesen Mann einmal ratlos erleben durfte, war Entschädigung genug dafür, dass sie mit ausgestrecktem Zeigefinder auf ihn deutend vor ihm stehengeblieben war wie ein Zinnsoldat.

»Du«, hatte sie gesagt. Mehr war nicht aus ihrem Mund gekommen, bis jetzt nicht. Wohlgemerkt zwei Minuten später. Itachi machte sich nicht die Mühe, weiter zu reagieren als verwirrt vor ihr zu verharren, völlig überfordert mit ihrer stummen Anschuldigung, deren Kern er sich offenkundig nicht im Entferntesten erklären konnte. Sakura fragte sich in jener stillen Minute insgeheim, was sie eigentlich an ihm fand, das sie so sehr zu ihm hinzog. Uchiha Itachi war stark, attraktiv, begehrt und reich. Aber er war ein vollständiger emotionaler Vollhorst, ignorant Gefühlen gegenüber, anmaßend, rechthaberisch, gebieterisch und niemals im Leben würde er ihr ein Kompliment über das hübsche Paar hypothetischer Ohrringe machen, das sie während ihrer hypothetischen Beziehung erworben hatte. Er war kein Mann, sondern ein Shinobi. Er war alles, weswegen sie Sasuke schon vor langer, langer Zeit aufgegeben hatte. Er war ein Uchiha.

Und doch stand sie vor ihm, den Finger immer noch erhoben, als erwarte sie etwas von ihm. Wie töricht.

»Hallo.«

Ob er ihr abkaufen würde, dass sie ihn geschlagenen drei Minuten schweigend angezeigt hatte, bloß um ihn zu grüßen, wollte sie lieber erst gar nicht wissen. Dass er sie durchschaut hatte, war unwahrscheinlich, eben weil er ein emotionaler Vollhorst war. Alles andere schob sie beiseite.

»Guten Abend«, erwiderte er nach einer Weile, während der er seine Möglichkeiten abgewogen hatte.

Sakura konnte unmöglich mit der Tür ins Haus fallen. Das Thema von sich aus aufzubringen war unklug. Sie hatte für heute genügend Dummes getan, da musste sie nicht auch noch ihre Gefühle in die Waagschale werfen, derer sich Itachi gar nicht bewusst war. Wie so oft, wenn der Überlegene nicht bemerkte, dass man sich gegen ihn wog. Für Itachi war es selbstverständlich, besser zu sein. Dass jemand damit nicht einverstanden war, es gar anfechten mochte, war unvorstellbar, zumindest soweit Sakura es eruiert hatte. Dass sie ihn ikonisierte, obwohl er gar nichts machte, war ihr ein Dorn im Auge. Apropos!

»Wie geht es dem Sharingan?« Innerlich lobte sie sich über ihre geistesgegenwärtige Überleitung, die dieser Begegnung endlich Konversation hinzufügen konnte.

»Besser, erstaunlicherweise.«

»Wie ich vermutet hatte«, lobte sie sich selbst ohne Rücksicht auf fehlgeartete Bescheidenheit. Wann immer man Uchiha Itachi etwas voraushatte, musste man es ihm verdeutlichen. Zumindest, wenn man Sakura hieß. Dieses Rivalitätsdenken erinnerte sie verstörender Weise an zwei Teamkameraden, die hoffentlich von ganz anderen Emotionen geleitet waren. »Mir kam die Idee vor einigen Tagen, als wir einem Diabetiker den Fuß abnehmen mussten.«

Itachi runzelte die Stirn. »Ich habe Diabetes?«

»Nein!«, rief sie schnell und korrigierte: »Es ist nur ein ähnliches Prinzip. Annähernd zumindest, wenn man einige Punkte weglässt. Das Sharingan braucht im Gegensatz zu normalem Ninjutsu sehr viel Energie, weil es kontinuierlich aufrecht erhalten wird. Die Techniken, die damit ausgeführt werden, gar nicht mit einberechnet. Das Mangekyō Sharingan ist noch verschwendungsfreudiger mit biologischen Ressourcen. Ausgehend von meiner Dōjutsuhypothese verschlingt es Unmengen an Sacchariden, vor allem Saccharose und Oligosaccharide. Stärke und Zucker, wenn du so willst. Deine Ernährung ist reich an Kohlenhydraten und Ballaststoffen, aber Zucker fehlt als wesentlicher Bestandteil. Dabei ist er ein wichtiger Antriebsstoff.«

»Ich soll also naschen?«

Wie banal er ihre bahnbrechende Teilerkenntnis zusammenfasste, warf sie kurz aus der Bahn. »Ähm … im Prinzip ja. Die Ausgangssperre ist seit Wochen aufrecht, was bedeutet, dass du oft zu Hause bist. Ich habe Sasukes Gezeter im Ohr, in dem er sich beschwert, dass es jeden Abend Mochi gibt. Zucker, um genau zu sein.«

Itachi nickte dankbar. »Das ist sehr aufschlussreich. Ich bin erstaunt über deine Kombinationsgabe, Sakura.«

Sie stemmte eine Hand in die Hüften. »Sag bloß, du hast mir meinen Erfolg nicht zugetraut«, neckte sie lächelnd, um ihren Worten den Vorwurf zu nehmen. Dann wurde sie wieder ernst. »Es ist nur eine provisorische Lösung. Die Fehlsichtigkeit wurde durch den Zuckermangel verstärkt, aber er hat sie nicht hervorgerufen. Ich habe noch eine andere Vermutung, die ich allerdings ungerne bestätigt sähe. Was das betrifft, möchte ich keine halbfertigen Prognosen postulieren. Dein Klan hat es dieser Tage nicht leicht. Salz in die Wunde zu streuen, das vielleicht bloß Schnee ist, wäre unnötig.«

Es war keine gute Ablenkung von ihrem Unwissen, doch Itachi verstand, wann sie lieber schweigen wollte. Er nickte bekräftigend. »Danzō versucht mit allen Kräften unter dem Deckmantel seines Feldzuges dem Klan die Privilegien zu rauben. Nichtsdestoweniger hat er in meinem Vater einen nicht minder verbissenen Gegner gefunden, der seinen unlauteren Mitteln um nichts nachsteht.«

»Welch optimistische Aussichten«, seufzte sie und rückte ihre Hüfttasche gerade, die sie nach dem ausgiebigen Bad nicht ordentlich befestigt hatte. Itachi rümpfte die Nase.

»Da ich nicht der Meinung war, meine Zeit damit verschwendet zu haben, gegen eine Wand gesprochen zu haben, überrascht es mich doch sehr, dass ich Sandelholz rieche.«

Sakura sah von ihrer Kunaihalterung zu ihm auf, bloß um ebenso schlau wie zuvor zu sein. Wie kam er auf Wände und Sandelholz? Sie versuchte aus seinen Augen zu lesen, doch darin spiegelte sich nur stummer, aber strenger Tadel wider. Schlimmer: stummer, aber strenger Tadel, der ihr galt. Was hatte sie nun wieder getan, das ihm nicht passte? Wieso hatte dieser Mann sie auf dem Kika? Als ihre Fingerspitze beiläufig über den allzeit bereiten Messergriff strich, verstand sie. Nun stieg ihr auch der blumige Duft in die Nase, woraufhin sie unterschwelliges Brummen ausstieß. Sie hatte ihre Kunai mit ihrem üblichen Pflegeöl eingerieben.

»Wir befinden uns nicht auf einer Mission, Itachi«, verteidigte sie sich entschieden. »Wir sind nicht einmal im Dienst. Wenn ich die Muße habe, meine Waffen mit meinen Ölen zu pflegen, ist es wohl meine Sache, nicht wahr? Wenn ich deswegen sterbe, werde ich an deine Worte denken. Bis es soweit ist, verbrauche ich die sündhaft teuren Öle, weil ich mir derzeit keine anderen leisten kann. Nicht jeder ist privilegiert und hat vermutlich seine eigene Raffinerie.«

Wenn sie gedacht hatte, Itachi mit ihrer klaren Ansage den Wind aus den Segeln nehmen zu können, wurde sie bitter enttäuscht. Er nickte als habe sie ihn eben nicht verbal angegriffen und deutete über seine Schultern. »In meinem Zimmer habe ich noch zwei verschlossene Fläschchen übrig. Du kannst sie gerne haben. Wir sollten dieses Gespräch sowieso nicht länger hier draußen fortführen. Deine Trainingskleidung bietet keinen ausreichenden Schutz vor diesen Temperaturen.«

 »Meine … Trainings … wie bitte?« Etwas regte sich in Sakura. Es war jener Frust, der sich seit Monaten unter der Oberfläche ihrer Bewunderung anstaute. Dieser Mäkler! Dieser pedantische, penetrante, besserwisserische Mäkler! »Meine Trainingskleidung ist in Ordnung.«

Itachis Lippen formten den hauchdünnen Ansatz eines amüsierten Lächelns über diese Herausforderung. Es war so schnell weg wie es gekommen war. »Jeder halbwegs anständige Ratgeber wird dir beweisen, dass diese Fasern nicht wärmedämmend genug für nächtliche Temperaturabfälle sind. Wir sind zwar nicht in Shimo no Kuni, aber auch nicht in Kaze no Kuni.«

»Meine Kleidung geht dich gar nichts an«, fauchte sie. An ihren Seiten ballten sich Sakuras Hände unwillkürlich zu Fäusten. Itachi bemerkte ihre aufkeimende Wut.

»Sakura –«

»Nichts 'Sakura'! Komm mir ja nicht so!« Sie wusste, dass sie für ihn unverständlich übertrieben emotional auf seinen Ratschlag reagierte. Es war ihr egal. Heute hatte sie so viel Demütigung eingesteckt, dass es ihr egal war, wie unfair sie sich ihm gegenüber verhielt. »Pass gut auf, denn ich werde nicht den Mut aufbringen, es ein zweites Mal zu sagen: Meine Kleidung geht dich gar nichts an. Ebenso wenig wie alles andere an mir oder um mich! Mein Leben lang war ich schwächer als alle anderen – musste mit ansehen, wie Naruto und Sasuke vor meinen Augen stärker wurden, sich Anerkennung erkämpften, und ich selbst immer weiter zurückfiel. Ich trainierte nicht bei Tsunade-sama, weil mir langweilig war, Itachi, sondern weil es meine einzige Chance war, zumindest Schritt zu halten, wenn ich schon niemanden einholen konnte. Und dann kommst du –« Tapfer hielt sie ihre Träne zurück. Um nichts in der Welt würde sie sich diese Blöße geben, wenn sie einmal den Mut zur Ehrlichkeit fand. »– und zeigst mir, dass das alles nichts wert ist! Ich wollte nie gut genug für dich sein, weil es mich nie interessierte, die Perfektion anzustreben, auf die du abzielst! Es ist mir egal, ob ich unbeherrscht und launisch bin, meine Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffe oder aus Lust und Laune meine Missionen bestreite, weil ich nicht nach einem dieser beschissenen Kodizes handle, sondern der einzige Grund, wieso ich ein Ninja geworden bin, der ist, dass ich die beschützen kann, die ich liebe! Aber du hängst dich an meinen Fehlern auf, zeigst mir, wie wenig ich doch verstanden habe und merkst nicht einmal, dass ich mich jeden Tag dagegen wehre, etwas auf deine Meinung zu geben!«

Itachi starrte sie mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Unglaube an. Es war das erste Mal, dass sie Uchiha Itachi starren sah. Punkt für sie, wenn sie nicht gewusst hätte, dass diese Irritation daher rührte, dass nie jemand mit ihm schrie. Diese Erkenntnis trieb ihr die Wut bloß noch weiter hinauf. Ärger war längst kein Ausdruck mehr für ihren Gemütszustand. Sie war verzweifelt. In ebendieser Verzweiflung zog sie die Augenbrauen unheilvoll zusammen und funkelte ihn an.

»Hat ein Genie wie du überhaupt eine Ahnung wie es ist, ständig kritisiert zu werden? Du bist mein Freund und Kollege, nicht mein Mentor! Es ist demütigend, jeden noch so kleinen Makel vorgeführt zu bekommen, selbst wenn man ihn nicht einmal als Manko sieht! Soll ich dir etwas verraten? Es ist mir egal! Es ist mir egal, dass ich unreif und kindisch bin und je nach Tagesverfassung blau als rot oder grün bezeichne, obwohl es verdammtes Blau ist, weil das eben das ist, was mich ausmacht! Wenn du damit nicht klarkommst, ignoriere mich wie in den letzten Wochen, nachdem ich –«

Sie brach ab, als Itachi einen Schritt auf sie zu machte. Sakura schluckte den Kloß im Hals hinunter, der sich gebildet hatte, bevor sie ihren Satz vollenden konnte.

Nachdem ich was, fragte sie sich, während Itachi weiterhin auf sie zuging, bis er vor ihr stand. Ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte? Das hatte sie nicht. Ihn geküsst hatte? Das auszusprechen wäre ein ungerechter Vorwurf gewesen. Wie das letzte Häufchen Elend vor ihm zusammengebrochen war? Hatte sie nicht eben noch erklärt, dass ihr seine Meinung egal war?

Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen. Itachi hatte ihr Handgelenk ergriffen und zog sie in Richtung Treppenabgang. »Komm mit«, befahl er, wofür sie ihm liebend gerne ihren ganzen Frust in den Hals gestopft hätte. Sie war doch nicht sein Hund!

»Was soll das denn jetzt?«, fragte sie perplex, wo sie doch wütend war.

»Ich möchte dir etwas zeigen.«
 

.

.

»Greif mich an.«

Sakura dachte sich verhört zu haben. Itachi hatte sie mit sanfter Gewalt bis auf ein Trainingsfeld gezogen, das in jenem Teil des Waldes war, den sie noch nie betreten hatte. Er grenzte an das Hoheitsgebiet der Uchihas, was ihn für Normalsterbliche unzugänglich machte. Dass dies ein absichtliches Trainingsfeld sein sollte, bezweifelte sie stark. Es sah eher nach einem Kahlschlag aus, den Itachi – oder ein anderer übereifriger Uchiha, vermutlich aber trotzdem Itachi – mehr oder weniger absichtlich gerodet hatte. Der Boden war zertrampelt, aber eben. Das Gras wuchs nur am Rande der künstlichen Lichtung, die von der Dämmerung beschienen wurde.

»Greif mich an«, wiederholte er.

Sakura stieß hohles Lachen aus. »Spinnst du jetzt komplett?«

Itachi verdrehte kommentarlos die Augen. Schon die zweite menschliche Reaktion, die sie ihm heute entlockt hatte. Ob sie sich dessen erfreuen oder verängstigt sein sollte, war unklar. Sie erinnerte sich jedenfalls ganz klar daran, ihr Gegenüber vor einigen Minuten haltlos angefahren zu haben. War dies der pseudowitzige erste Teil einer abstrusen Aggressionsbewältigungstherapie? Wenn ja, würde sie nicht einen Finger rühren. Dieser Mann konnte ruhig davon träumen, sie derart unbeherrscht zu erleben. Für ihn machte ihre Ansage von vorhin gewaltig emotional gewesen sein. Dabei war es eine laue Vorwehe jener Wutausbrüche gewesen, die Naruto und Sai zu spüren bekamen, wenn ihr etwas nicht in den Kram passte.

»Muss ich mich wiederholen?«

Sie zuckte über verschränkten Armen die Schultern. »Du kannst mir Befehle geben bis du schwarz wirst. Ich bin nicht deine Untergebene. Was soll das bringen? Denkst du im Ernst, du hättest auch nur einen leisen Ansatz dessen zu spüren bekommen, das jeden anderen Menschen winseln lässt: 'Hilfe, Sakura ist böse auf mich!'?« Mit einer wegwerfenden Handbewegung über ihre angespannten Schultern unterstrich sie die Absurdität dieser Annahme. »Wenn du es allerdings darauf anlegst, mich richtig zu provozieren, bist du auf dem richtigen Weg. Gratuliere. Allerdings muss ich dich warnen. Die Gewinner des Reize-Sakura-Spieles erhalten als Preis ein Freiticket ins Krankenhaus. Mehrmalige Sieger bekommen einen kostenfreien Einlauf.«

Dass diese Drohung widerlich war und – selbst wenn sie auch nur im Entferntesten nahe genug an Itachi herankäme, um ihn ernsthaft zu verletzen – sie ihm um kein Geld der Welt einen Einlauf verpassen würde, war ihr in diesem Moment, in dem Itachi ebenjene Drohung abwog, völlig egal. Er schien zu einem ähnlichen Ergebnis zu kommen; selbst wenn sie ihm ernsthaft drohte, sie würde ihre Drohung niemals wahrmachen können.

»Sakura, ich hasse es, mich zu wiederholen«, sagte er schließlich, breitete die Arme aus und festigte seinen Stand. »Ich werde mir jede deiner Tiraden auf mich anhören, sogar mitschreiben und auswendig lernen, was für ein inkompetenter Schwachkopf –« Sie hatte ihn weder inkompetent noch Schwachkopf genannt, aber angesichts seines Vorschlages ließ sie Fünf gerade sein. »– ich doch bin, falls dir in zehn Minuten immer noch der Sinn danach steht. Aber zuerst möchte ich, dass du mir die Gelegenheit dazu gibst, zwei Dinge klarzustellen.«

»Und die wären?«, wollte sie ein wenig neugierig geworden wissen. Itachi blieb standhaft.

»Greif mich an.«

Wie schnell sie wirklich gewesen war, wusste sie nicht. Das Training mit den Gewichten, das sie jahrelang mit Lee absolviert hatte, hatte sich jedoch spätestens jetzt bezahlt gemacht. Lee mochte in sie verliebt (gewesen?) sein, während ihrer Kämpfe hatte sie jedoch (vielleicht gerade deshalb?) nie geschont. Ihre Schnelligkeit erreichte nicht annähernd sein Maß, aber es kam zumindest ansatzweise an Sasukes Agilität heran. Genau dieser Vergleich schien Itachi zu überraschen. Als Sakura bei ihm angekommen war, war vielleicht der Bruchteil einer Sekunde vergangen. Seine Haltung war noch immer die lächerlich schutzlose Provokation. Erst als sie ausholte, was in Relation zu ihren Beinen sehr viel langsamer geschah, wandte er sich ihr zu. Ohne Rücksicht auf Verluste schmetterte Sakura ihre Faust in den Erdboden. Sie wusste instinktiv, dass sie Itachi nicht treffen konnte. Wie erwartet wich er mit einem geschmeidigen Sprung nach hinten aus, sodass ihr freigelassenes Chakra den trockenen Boden aufbrach. Seine schweren Brocken flogen ihr um die Ohren. Hinter ihr erspürte sie einen anormalen Luftzug, dem sie mit einer Flugrolle vorwärts entging. Es war Itachi, von dem sie erst jetzt bemerkte, dass sie ihn aus den Augen verloren gehabt hatte.

Das war Schnelligkeit.

Dass er ihr nicht beweisen wollte, wie viel besser er war, lag auf der Hand. Itachi würde sich kaum zu etwas derart Profanem herablassen. Jeder wusste, dass nur wenige eine reelle Chance gegen ihn hatte. Dementsprechend nicht verwunderlich war, dass er sie nicht angriff. Er gab ihr keinerlei aktiven Konter. Sein Befehl war zweifelsohne klar: angreifen. Warum auch immer er wollte, dass sie ihn bekämpfte, Sakura war es egal. Sie hatte Blut geleckt. Auf verstörende Weise war es berauschend, gegen eine Übermacht zu kämpfen. Alleine der Gedanke daran ihn theoretisch treffen zu können, jagte ihr einen Schauer der Erregung durch den angespannten Körper. Sie hatte ihn erst einmal geschlagen – damals, als sie in der Tsukuyomi gefangen gewesen war. Bei vollem Bewusstsein und mit voller Absicht machte es sicherlich mehr Spaß, jemanden wie Uchiha Itachi zu verdreschen.

Er wollte, dass sie ihn angriff?

Das konnte er haben.

Sakura fackelte nicht lange, nun, da sie ihre sture Weigerung über die Planke geschickt hatte. Sie suchte festen Halt auf dem kleinen Trümmerfeld, das keineswegs jene Größe hatte, die es erreichen hätte können. Nach allem war dies immer noch Uchiha Privatbesitz. Sie brauchte keine Anzeige wegen mutwilliger Sachbeschädigung. Es passierte nicht selten, dass sie auf wackeligem, zersprengtem Boden stehen musste. Ihre Balance war schnell gefunden, ebenso akkurat pumpte sie Chakra in ihre Beine, stieß sich ab und preschte auf Itachi zu, der unbewegt während ihrer Entscheidung gewartet hatte.

Erneut traf sie ins Leere, diesmal jedoch trat er bloß einen Schritt zur Seite. »Greif deinen Gegner nicht frontal an. Seitlich oder schräg hast du bessere Chancen, da du dich in seinem peripheren Sichtfeld bewegst. Seine Reaktion ist dadurch verlangsamt.«

Sie riss ihren zweiten Arm nach vorne, um sich abzustützen und mit einem Bein im Kopfstand auszuholen. Itachi duckte sich darunter hinweg, zog ihr jedoch nicht wie erwartet die Arme weg, um sie zu Fall zu bringen. Stattdessen drückte er seine Hand in ihren Rücken, sodass dieser eine perfekte Gerade bildete.

»Du hast mehr Körperspannung, wenn du die Wirbelsäule im rechten Winkel zur Oberfläche hältst«, riet er mit aller unverschämten Gelassenheit. Er war so schnell bei seiner Korrektur, dass sie kaum den Schwung verloren hatte, als er sich bereits wieder von ihr entfernte. Was auch immer das sollte, es nervte. Dies war keine verdammte Lehrstunde! Oder doch? Die Tipps waren gut, wieso sollte sie sie also nicht annehmen?

Mit vielleicht nicht neuer Motivation, wohl aber mit gesteigerter Entschlossenheit, startete sie einen neuen Versuch. Der geworfene Kunai, Sandelholzöl hin oder her, sauste direkt auf Itachi zu, sie selbst peilte eine Route seitlich an. Itachi neigte den Kopf, um das Wurfmesser vorbeizulassen. Genau diese Millisekunde Verzögerung hatte Sakura gebraucht. Sie füllte ihre Faust nicht mit Chakra – es hätte zu lange gedauert – sondern warf sich bar jeder Alternativen auf ihr Ziel. Erneut versuchte Itachi auszuweichen. Verstörender Weise schaffte er es. Sie sollte bereits innerlich stumm verzweifeln, als sie Widerstand auf ihren Knöcheln spürte.

Treffer!

Glückselig mit sich und der Welt realisierte sie, dass sie, Haruno Sakura, gerade eben Uchiha Itachis Schulter einen saftigen blauen Fleck verpasst hatte. Dann kam das Unerwartete.

Wie genau sie gen Boden prallte, wusste sie nicht mehr. Was sie wusste, war das: es tat weh wie die Hölle. Sie schmeckte Staub und Blut in ihrem Mund, dessen Inhalt sie achtlos auf damenhafte Etikette ausspuckte. Die Nachwirkungen von Itachis Ellenbogen, der sie niedergestreckt hatte, waren schmerzhaft in ihrem Rücken zu spüren. Dieser hinterlistige Mistkerl!

»Dafür, dass du kein Taijutsuexperte bist, schlägst du verdammt kräftig zu«, jammerte sie.

»Konzentrier dich.« Itachis Stimme ließ keinen Protest zu. Die Lektion war noch nicht vorbei. Sakura wollte am liebsten das Handtuch werfen, egal was er von ihr halten mochte. Das alles machte keinen Spaß mehr! Aber da war etwas in seinem Blick, das sie fesselte. Etwas in seinen Augen bannte sie an seine Seite. Darum rappelte sie sich auf, klopfte sich den Staub von der Schürze und parierte seinen nächsten Angriff, der vorhersehbarer gekommen war als erwartet.

Sie lieferten sich ein kleines Handgemenge, ehe sie auseinanderstoben, um wieder zusammenzuprallen. Wer die Oberhand hatte war klar, aber Sakura gab nicht auf. Während Itachi ihr immer wieder kleine Ratschläge zurief, die sie nach bestem Gewissen umsetzte, loderte ein Feuer des Ehrgeizes in ihr, das sie selten verspürt hatte. Bislang war es ihr bei Trainingskämpfen immer um den Sinn gegangen: wurde sie dadurch stärker, nützte ihr das Training etwas auf dem Schlachtfeld? In diesem Fall, so ungewöhnlich das auch sein mochte, ging es nur darum, sich selbst zu beweisen. Dass sie dennoch keine Chance gegen ein Genie hatte, merkte sie spätestens, als Itachi sie erneut niederschlug. Diesmal jedoch riss sie sich schneller wieder zusammen, entkam seiner Faust, indem sie sich wegrollte und trat ihn mit den Beinen so fest in den Bauch, dass sie ihn japsen hörte – ach, der honigsüße Klang der Vergeltung! Er schalmeite in ihren Ohren! Zu lange konnte sie sich ihres Treffers nicht erfreuen; Itachi war zurück und diesmal blitzten seine Sharingan für einen Wimpernschlag auf. Es verschaffte ihr Genugtuung, ihn aus der Reserve gelockt zu haben. Genau diesem Gefühl würde sie ihre nächste – weiß Gott dämlich fahrlässig und bescheuerte – Aktion zu verdanken haben.

Itachi hatte ihr einst einen Strick aus ihrer Achtlosigkeit gegen sich selbst gedreht. Nun würde sie den Strick umdrehen und ihn um seinen Hals legen.

Entschlossen zog Sakura die Schultern stramm. Sie suchte Itachis Blick, den sie am anderen Ende des Kampffeldes fand. Sie kniff ihre Augen unheilvoll zusammen, was für Naruto und Sai an sich schon ein Signal gewesen wäre, das Weite zu suchen. Ihr Gegner hatte den Vorteil einer langjährigen, nervenaufreibenden Freundschaft nicht, weswegen er die Herausforderung allzu leichtfertig annahm. Ihr finaler Schlag war gekommen. Sakura zog ihren Handschuh fester an, klopfte die Spitze ihrer Stiefel auf einen der Trümmer und sammelte Chakra in ihren Waden. Genau mit diesem Chakra stürzte sie auf Itachi zu, der es ihr gleichtat. Er wusste nicht, was sie vorhatte, aber er ließ sich darauf ein. Umso besser.

Mit mehr Schwung als notwendig stieß sie sich ab und schlug chakralos zu. Ihr Kontrahent erkannte ihre Absicht, parierte die Attacke und setzte seine eigene nach.

Sie hätte ausweichen können, wenn sie gewollt hätte. Damit hatte er gerechnet. In diesem Moment hatte Itachi nicht vorgehabt, mit chakrageladener Faust in Sakuras Gesicht zu schlagen. In diesem Moment hatte sie auch nicht gedacht, dass sie ihren Fluchtreflex angesichts der drohenden Gefahr unterbinden können würde. Allen Annahmen zum Trotz geschah letzten Endes das Unerwartete, aber Erhoffte. Zumindest auf weiblicher Seite. Itachis Schlag traf ihre linke Gesichtshälfte, die sich anfühlte, als zersplittere sie gerade in ihre Einzelteile. Anstatt sich jedoch dem Schmerz zu beugen, ignorierte Sakura ihn, blieb stehen und zog ihren eigenen Hieb nach oben, wo er auf Itachis Kinn traf, das sich mitsamt seinem restlichen Körper einen viertel Meter nach gen Himmel hob, ehe der Getroffene mitsamt der vorangegangen Getroffenen in halbhohem Bogen nach hinten fiel. Wenigstens eines hatte das Schicksal Sakura gegönnt: sie landete weich auf Itachi, der stöhnte, ächzte, jauchzte und das alles zugleich. Sie selbst weinte und jammerte sich wimmernd die Nase haltend.

»Du hast mir das Nasenbein gebrochen«, schluchzte sie. Vor Schmerzen wand sie sich auf ihrer menschlichen Unterlage, auf deren Shirt sich Blut mit Tränen vermischte.

»Du hast mir den Kiefer gebrochen«, konterte Itachi. Er rieb sich umsichtig die schmerzende Stelle. Entweder war es der Lichteinfall der untergehenden Sonne oder eine Träne schlich sich gerade in seine onyxfarbenen Augen.

»Verdammt, meine Nase«, hielt Sakura ihr nasales Gezeter, das ihm ein seichtes Lächeln entlockte. Sein Arm, der sich um ihre Taille gelegt hatte, war ein schwacher Trost, selbst wenn ihr Herz nicht nur vor Erschöpfung schneller schlug. Sie rollte sich von ihm, um im Schneidersitz ihre Verletzung abzutasten. Itachi setzte sich ebenfalls auf. Aus seinen Mundwinkeln rannen zwei dünne Rinnsale Blut, was ihr bedenklicher Weise ein Lächeln auf die Lippen zauberte. »Das ist zumindest ein Unentschieden«, sagte sie.

»Soll ich mir die Verletzung ansehen?«

Auch wenn sie gerne Itachis Berührung gespürt hätte, schüttelte sie den Kopf, was sie schmerzlich bereute. Ihre gebrochene Nase jubilierte schmerzhaft. »Ich bin die beste bei Bewusstsein seiende Iryōnin des Dorfes.« Das war Antwort genug. Vorsichtig legte Sakura den Kopf in den Nacken, um weiteres Nasenbluten zu unterbinden, hielt sich die Nase an der Spitze zu und begann eine starke Shōsen no Jutsu.

»Ich gebe zu, mit einer derart rücksichtslosen Strategie hätte ich nicht gerechnet.«

»Falls es dich beruhigt«, gab sie stöhnend in nasalem Ton zu, »Ich auch nicht. Weiter wird es dich freuen zu hören, dass ich es bereue. Du schlägst verflucht kräftig zu. Würdest du mir endlich erklären, was dieses ganze Malheur sollte?«

Itachi seufzte. Dritte menschliche Reaktion. Dies schien ein guter Tag zu sein. Oder ein schlechter … »Verstehst du es immer noch nicht?«

»Offensichtlicher Weise lautete die Antwort nein.«

Ebenso plötzlich wie sein Arm ihre Taille umfasst gehabt hatte, hielt er ihre chakrainfundierte Hand in der seinen, die verblassende grüne Handfläche nach oben gerichtet. »Ich bin strenger zu dir als zu allen anderen, außer vielleicht Sasuke und Asuka-chan, weil du etwas an dir hast, das ich bei vielen nicht sehe. Es wäre vermessen zu behaupten, dass ich ein Experte darin sei, aber bei dir hatte ich das große Glück, es von der ersten Sekunde an zu bemerken.« Er machte eine Pause, in der seine Worte wirkten. »Potenzial.«

Für Sakura brach eine Welt zusammen. Die Welt, in der sie der Meinung gewesen war, in seinen Augen schlecht zu sein. »Wie bitte?«

Itachi schloss ihre Finger über ihrer Handfläche und ließ die Faust los, sodass sie sie zwischen ihrer beider Oberkörper hielt. »Es mag Shinobi geben, die in deinem Alter oder mit ähnlichen Fähigkeiten stärker und schneller sind und mehr Jutsus beherrschen, aber dieser Zustand ist ihre Höchstform. An dir gibt es so viel, das sich noch entwickeln kann, selbst in einem Alter, in dem viele bereits den Zenit ihrer Möglichkeiten erreicht haben. Sakura, du sagst, du kämpfst, um zu beschützen. Du willst gerade so stark sein, dass du denen Schutz bieten kannst, die du liebst. Das ist eine lobenswerte, ehrenhafte Einstellung, aber sie hindert dich daran, deine Chancen auszuschöpfen. Ich sehe so viel in dir, mit dem du Hokage-sama in ein paar Jahren übertreffen könntest.«

Sakura starrte. Es war unhöflich, jemand Ranghöheres unverhohlen anzustarren, aber sie konnte nicht anders. Mal wieder. Was er ihr offenbarte, war ein Schock. Durchweg positiv, dafür aber nicht minder kräftig. So vieles an ihm machte endlich Sinn! Itachi war ein sinnvoller Mensch, der niemals etwas Sinnloses tun würde. Es wäre furchtbar unproduktiv, jemanden zu kritisieren, der sich durch diese Kritik nicht verbessern konnte.

»Wieso hast du es nicht von Anfang an gesagt?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.

»Du hättest mir nicht geglaubt.« Itachi stand auf, renkte sich knacksend seinen Kiefer wieder ein – der übrigens nicht gebrochen war, ganz im Gegensatz zu ihrem Nasenbein – und reichte ihr die Hand. »Außerdem … ist es vermutlich keine große Neuigkeit für dich, wenn ich zugebe, dass ich mich wenig auf derartige Konversationen verstehe. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dieses Thema aufbringen sollte, ohne dass du mich missverstehen würdest.«

Sakura stöhnte leidvoll auf. »Also hast du dich für den einzigen Weg entschieden, der mein Selbstbewusstsein untergräbt, mich an meiner Kompetenz zweifeln ließ und mich außerdem so sehr in die Enge trieb, dass ich mich mit dir anfreundete? Wie reizend.« Ihr Sarkasmus war deutlich zu hören, als sie seine angebotene Hand nahm und sich aufziehen ließ.

Dies war ein Friedensangebot.

 
 

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Serenity

 
 

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Wie gerne hätte Sakura ihr Unentschieden als Sieg verbucht, aber nein, ihre geheilte Nase strafte ihre Illusion Lüge. Sie war von Itachi nach allen Regeln der Kunst verprügelt worden. Was normalerweise ihr Part gewesen wäre. Seit wann wurde sie verprügelt? In einem Kampf als Sandsack herzuhalten und den Gegner so lange abzulenken, bis der Rest des Teams einsatzbereit war, war nichts Neues, aber im Training? Einzig und alleine Itachis Geständnis konnte ihr ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Kein seliges, glückliches. Es war eines, das ein kleines Junge hatte, wenn er nach der Schlafenszeit unter der Decke mit einer Taschenlampe die neueste Ausgabe des Icha Icha Paradise las. Bloß weniger pervers. Und weniger jungenhaft. Solange Itachi an ihrer Seite zum Haupthaus zurückgegangen war, hatte sie es sich verkneifen können. Nun allerdings, wo sie alleine die Veranda entlang in Richtung Sasukes Zimmer ging, musste sie es herauslassen, um nicht zu implodieren.

Es war ein wenig Schadenfreude. Aber nur ein kleines Bisschen.

Inzwischen war es dunkel und bis sie Sasukes sah, hatte sie nicht daran gedacht, dass sie ein verdächtiges Bild abgab. Sasukes Blick jedoch sprach Bände voller Fragen. Er stand auf und eilte zu Sakura, die zwischen Tür und Angel festgefroren war.

»Wolltest du nicht ein Bad nehmen?«, fragte er mit berechtigter Skepsis. Er rümpfte die Nase und musterte ihre geschundene Erscheinung. Nicht nur, dass die Trainingssachen dreckig waren, wies auch ihre Haut Kratzer, Blutergüsse und Striemen auf. Ihr Gesicht musste am schlimmsten aussehen, denn Sasukes Augen verengten sich bei seinem Anblick. Sie konnte nur raten, wie grausam zugerichtet sie anmutete; ein blaues Auge, vielleicht zwei, Dreck, Staub, Blut en masse. Letzteres visierte er mit seiner Fingerkuppe an, strich darüber und roch an der roten Flüssigkeit.

»Sasuke, du bist gruselig …«

»Ha!«, rief er düster. »Uchihablut! Wieso haftet Uchihablut an dir? Nein, wessen Blut ist die Fra –  …« Ein Groschen fiel. »Itachi!«

Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde Sakura grob am Handgelenk in eine ihr unbekannte Richtung gezerrt, diesmal fand sie sich in Itachis Zimmer losgelassen, in welchem sein Bewohner halbnackt bloß in Unterwäsche verwundert die unerwarteten Besucher musterte. Alleine dass er nicht minder zerkratzt war, war Beweis genug für Sasukes Annahme.

»Du!« Sasuke zeigte anklagend auf seinen Bruder. »Und sie!« Er wechselte aus Sakura, bloß um seinen anderen Arm erneut auf Itachi zu richten. »Ihr beide! Was zum Henker …«

»Sasuke!«, warf Sakura ein, der die Situation langsam peinlich wurde. Sie drückte seinen anklagenden Finger nach unten, zog ihn am Kragen zu sich und zischte leise: »Rein hypothetisch angenommen, diese durchaus bizarre Situation hätte zu bedeuten, was du denkst, und vorausgesetzt, mir läge etwas an deiner Meinung, warst du es doch, der uns vor wenigen Tagen deinen Segen gab?!«

»Das habe ich gesagt, damit Naruto mir nicht mit seiner Versöhnungslaier in den Ohren liegt! Wie kannst du … wie könnt ihr … das ist mein Bruder!«

Itachi räusperte sich im Hintergrund, in dem er sich unbemerkt einen Yukata übergeworfen hatte. »Würde mir jemand erklären wessen Segen wen nicht interessiert und, bevor wir klären, was das hier zu bedeuten hat, das andere 'das hier' zu bedeuten hat?«

»Du!«, wiederholte Sasuke fassungslos. »Hör endlich auf, dich ständig in mein Leben einzumischen! Sobald Sakura wieder in meinem Team war –«

»Deinem Team?!«, fuhr Sakura dazwischen.

»– hast du begonnen, dich einzumischen! Das nervt! Sie ist meine Teamkollegin und nicht irgendeines deiner … deiner … deiner … ach, zum Teufel damit!«

Heute war augenscheinlich Sakuras Glückstag. Itachis menschliche Reaktionen, sein Eingeständnis, nun Sasukes Sprachlosigkeit. Es wurde immer besser!

Der Beschuldigte zuckte indes unberührt die Schultern. »Wer denkst du, schlug Hokage-sama vor, dich wieder Team Sieben zuzuführen? Ich diskutiere nicht mit dir darüber, wer was mit wem hat und was ich mit wem wie mache, weil, wie du schon sagst, Brüder sich nicht einmischen sollten. Übrigens geht das hier nur Sakura und mich etwas an. Ich wäre dir also verbunden, wenn du Platz machen würdest …« Er trat an Sakura heran und wischte ein wenig Blut aus ihrem Gesicht, den Blick in all seiner Intensität auf ihr puterrotes Gesicht niedergeschlagen. »… damit Sakura und ich in Ruhe ein Bad nehmen können.«

Während Sasukes kalkweiß wurde, nahmen Sakuras Wangen eine tiefrote Färbung an, als Itachi seinen Arm um ihre Schultern legte und sie hinausführte. In ihren Gedanken hallte nur ein Satz wider.

Oh. mein. Gott.
 

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»Dass ich jemals Spaß daran finden würde, Sasuke heimtückisch zu triezen …. du hast wahrlich schlechten Einfluss auf mich«, tadelte Itachi halbherzig. Er hatte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken gelegt, ein Handtuch auf der Stirn platziert und die Arme auf dem Steinrand des dampfend heißen Beckens von sich gestreckt. Ein Bild purer Entspannung, das es Sakura nicht gerade leichtmachte, sich ebenfalls zu entkrampfen. Ob Itachi wusste, wie sein nackter, vom Dampf umspielter, muskulöser, attraktiver – sie schweifte ab.

»Natürlich bin wieder ich schuld«, meinte sie nicht minder halbherzig. »Mal was anderes: es ist wirklich unfair, dass ihr einen eigenen Onsen habt und ich nicht einmal meine eigene Badewanne. Wo bleibt die ausgleichende Gerechtigkeit?«

»Auf der Strecke, würde ich vermuten«, antwortete Itachi, der den Kopf wieder in die Vertikale brachte und sie dabei beobachtete, wie sie eine angenehme Sitzposition am anderen Ende des halbrunden Beckens suchte. Zum wiederholten Mal verdrehte er die Augen, als führe sie sich auf wie ein verzogenes kleines Kind. Dem war so, kein Zweifel, aber sie war nervös.

»Sieht so aus.« Sakura saß so tief im Wasser, dass die Hälfte ihres Satzes Blasen warf. Sie senkte den Blick auf Itachis Zopf, der halblose über seine linke Schulter nach vorne hing.

»Wir wollen nicht protzen. Nicht nur«, präzisierte er. »Es hat vor allem logistische Gründe. Ein öffentliches Badehaus ist groß, fasst aber zu der zivilen Bevölkerung nicht auch noch die Sippschaft meinerseits, wenn sie beschließt, gemeinsam zu entspannen. Es wäre der Entspannung aller anderen Besucher nicht förderlich, umringt von zwanzig Uchihas ein Bad zu nehmen. Nicht, dass wir uns dazu herablassen würden, mit dem gemeinen Volk zu baden.«

Sie grinste verhalten ob dieses subtilen Zynismus. Die Uchihas waren fürwahr ein sonderbares Völkchen. Das tröstete leider nicht darüber hinweg, dass ihr auserkorener Anführer ihr direkt gegenüber saß. »Willst du diesen Klan überhaupt jemals übernehmen?«

Ihre Frage verhallte im Onsen. Es dauerte Minuten, bis Itachi nicht mehr das ebene Wasser vor ihm anstarrte. »Ja.«

Was genau sie sich erhofft hatte, wusste sie nicht. Weiter als bis gestern hatte sie niemals gedacht. In ihrer Vorstellung hatte Itachi sie bis ans Ende ihrer Tage zur Weißglut getrieben, ohne jemals einen Funken Menschlichkeit und Interesse zu zeigen. Nun war sie hier und versuchte sich eine andere Zukunft auszumalen. Dass er interessiert war, lag nach diesem Abend auf der Hand. Bloß hatte Sakura nicht vor, in einen verkorksten Klan einzuheiraten – geschweige denn der verkorkste Klan ließe dies in einem weit entfernten Universum zu. Sie schüttelte den Kopf. Da saß sie nun, nackt und müde vor einem nicht minder nackten Itachi und das einzige, das ihr einfiel, was Heirat. Glänzende Basis. Wirklich glänzend.

»Muss ich dir alles weitere aus der Nase ziehen?«, seufzte Sakura nach einer Weile, in der sie auf eine weiterführende Antwort gewartet hatte. Vergebens, wie vermutet. Sie hatte keine Lust, ihm in die grundlegenden Regeln der harmonischen Koexistenz auszubreiten. Itachi wusste, was seine Gründe waren, darum hielt er es offensichtlich für irrelevant, sie unaufgefordert zu offenbaren. Ihre Frage blieb nebenbei bemerkt unbeantwortet. »Also schön. Wenn du im Klan bleiben möchtest, wieso bist du dann zur ANBU gegangen? Wäre es nicht vorteilhafter gewesen, dich aktiver in euer Exekutivmonopol einzubringen?«

Itachis glatte Fassade konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Es war ein schwacher Funken in seinen Augen. Verräterisches, tückisches Sehorgan.

»Genau das versuche ich zu vermeiden«, erklärte er beherrscht, als plaudere er über eine seiner vergangenen Missionen. »Es gibt exakt zwei Gründe, wieso ich mich dazu entschied, der ANBU beizutreten. Als Mitglied dieser Einheit steht es einem frei, sich für jeden Auftrag zu melden, der deinen Fähigkeiten entspricht. Es ist der einzige Status, der es mir erlaubt, über fünfundachtzig Prozent meiner Zeit jenseits der Grenzen Hi no Kunis zu verbringen, weit weg von meinem Klan.«

Sakura nickte verstehend. »Ständig von seiner Familie getrennt zu sein ist doch nicht gut ….«

»Der Klan, Sakura, ist nicht meine Familie«, korrigierte er entschieden. »Meine Familie besteht aus Sasuke, Shisui und meiner Mutter. Sasuke und Shisui sind auf diesen Missionen meistens dabei und Okāsan … sie muss damit leben, so wie sie mit allen Bürden des Klans leben muss. Ich weiß, was du sagen willst. Ich bin der Erbe und daher muss mir der Klan wichtig sein. Verstehe mich nicht falsch; er ist mir wichtig. Aber wichtiger ist mir Konoha. Genau dieses Denken ist der Fehler, den ich versuchen werde auszumerzen, sobald ich die Führung übernommen habe.«

»Der Klan und Konoha?«, hakte sie nach, weil sie nicht sicher war, ob sie alles richtig verstanden hatte.

»Wir mögen den Nachnamen Uchiha tragen, aber macht uns das weniger zu Konoha als jeden anderen? Wir sollten keine Privilegien genießen und Abschließungspolitik gegen alles außerhalb der Mauern betreiben, sondern uns stärker für unser Dorf einsetzen, eben weil wir eine starke Einheit sind. Das ist der zweite Grund, weshalb ich bei der ANBU und nicht bei der Polizei bin. Ich möchte einen Brückenschlag von Konohanin zum Klan und umgekehrt schaffen.«

»Sehr löblich.« Sakura wusste nicht mehr darauf zu sagen. Es waren edle, hochgesteckte Ziele. Wenn es jemanden gab, der die Kluft zwischen den Uchihas und dem Rest Konohas überwinden konnte, dann Itachi. Ein seliges Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Er war so gut, ohne gut sein zu wollen. In jeder Hinsicht. Frustrierend, aber bewundernswert. Irgendwann musste sie aufhören, sich mit ihm zu vergleichen. Dieser Zeitpunkt schien ihr angemessen zu sein. Konkurrenzdenken mochte bei vielen anderen leistungssteigernd wirken, in der Dyade, die sie beide hatten, hemmte es sie allerdings darin, ihn als Menschen zu sehen. Als Mann, in den sie nach wie vor verliebt war.

»Weswegen siehst du mich so an?«

Itachis Stimme riss sie aus ihren weiterführenden Gedanken, die in eine Richtung abgedriftet waren, die ihr unangenehm war. Zumindest in dieser besonderen Situation. »Es ist nichts«, winkte sie ab. »Bloß wie wir hier sitzen und reden … so …« Sie wollte vertraut oder harmonisch sagen, traute sich jedoch nicht. Ach, es war zum Verzweifeln! »Fast wie –«

»Ein Paar?«

Sakura stockte. Überrascht von dieser äußerst konkreten Formulierung nickte sie zustimmend, ehe er es sich anders überlegen würde. »Ähm, ja.«

Itachi zuckte kaum merklich die Schultern. »Es verwundert mich, dass es dich verwundert. Befinden wir uns nicht gerade in einer Phase, die man im Allgemeinen als Vorstufe zu einer Liebesbeziehung wertet?«

Wie so oft nahm ihr seine direkte Feststellung den Wind aus den Segeln. »So pragmatisch hättest du es nicht ausdrücken müssen … die Tatsache büßt an Romantik ein, wenn du es aussprichst. Dass es beide wissen und trotzdem keiner sagt, macht es doch erst spannend!«

»Ich mag keine Überraschungen und ich bin nicht romantisch, das weißt du.«

Ach, wie viel mehr schwang in dieser Aussage mit. Fast so wie damals, als er ihr seine Freundschaft angeboten hatte. Damals hatte sie gewusst, auf welch emotionalen Sonderling sie sich eingelassen hatte. Heute war sie sich dessen sehr viel mehr bewusst. »Es ist sehr nett von dir, dass du mir die Wahl lässt, umzukehren.« Wenn er direkt konnte, konnte sie das schon lange. »Das ist einer der Gründe, wieso wir heute hier sitzen. Du bist anders als alle anderen und bei weitem nicht perfekt, menschlich bist du nicht einmal nahe am Genügend, aber ich komme damit klar. Und falls es dir noch nicht aufgefallen ist, liegt die Wahl schon lange nicht mehr bei mir.«

Itachi musste einige Minuten über diese wirre Aussage nachdenken, ehe er sie für sich annehmbar interpretiert hatte. »Gut«, stimmte er zu.

»Das ist kein Vertrag!« Gespielt empört spritzte sie ein wenig Wasser in seine Richtung. Wie er seinen Kopf instinktiv drehte, um seine Augen zu schützen und das seichte Lächeln zu verbergen, ließ ihr Herz für einen Moment höher schlagen. Diesmal bei weitem nicht vor Aufregung. Sie wusste, was sein 'Gut' zu bedeuten hatte. Sie hatten sich entschieden. Füreinander. Selbst wenn sie sich den Anfang einer Beziehung immer romantischer vorgestellt hatte, konnte sie nicht unzufrieden sein. Ganz und gar nicht.
 

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Die Tage vergingen in erschlagender Langsamkeit. Die Monotonie war grausam. Kaum auszuhalten! Sasuke und Naruto trieben sich gegenseitig regelmäßig zur Weißglut und zogen Sakura und neuerdings auch Sai weiterhin jedes Mal aufs Neue in ihre Eskapaden mit hinein. Mal zerstören sie diesen Teil des Waldes, mal jenen, dann wieder einen willkürlichen Teil eines Hauses, das nicht ausgewichen war, meistens jedoch begannen die brutalsten Schlägereien im Esszimmer oder königlichen Schlafgemach ihrer Majestät der Kaiserin, wie Naruto Sasukes Zimmer treffenderweise bezeichnete. Dieser führte sich nämlich vor allem Sakura gegenüber auf wie eine verwöhnte Zicke, die ihren Blattsalat nicht bekommen hatte. Woran das lag war unschwer zu erraten, machte seine giftigen Blicke aber nicht erträglicher. Die Streitereien begannen stets beim Essen oder in den Trainingspausen, was den Kampfschauplatz an einen Ort legte, den Uchiha Mikoto gar nicht verunstaltet sehen mochte: ihren Garten. Am ersten Tag hatten sie drei Hortensien abgebrochen, was dazu geführt hatte, dass die ehemalige Kunoichi ihren Sohn und ihren blonden Gast durch das gesamte Uchihaviertel gejagt hatte.

»Keine. Kämpfe. im. Garten. Ist das so schwer zu verstehen?«, hatte sie am zweiten Tag gebrüllt, als Sai und Sasuke während eines handgreiflichen Konflikts – Sai hatte Sasukes Attitüde unverhohlen als weibisch bezeichnet – einen Fisch aus dem Teich ermordet hatten. So ging es weiter, Tag für Tag. Sakuras männliche Kollegen hatten jetzt, wo sie in Konoha eingesperrt waren, einfach zu viel Energie. Sakura hatte Naruto bereits mehrmals dazu geraten, seine Reserven sinnvoller zu investieren als Sasukes zu ärgern. Mit Shikamaru trainieren oder Hinata oder Lee oder »Herrgott, bitte einfach mit irgendjemandem, der nicht schnell genug weglaufen kann!«, was im Endeffekt dazu geführt hatte, dass sie eine Reihe neuer Patientin im Krankenhaus hatte. Unter anderem die von ihr genannte Hyūgaerbin, deren Knie sie vorsichtig abtupfte. Naruto hatte vor wenigen Minuten eine nicht ganz so liebevolle Behandlung bekommen; im Gegenteil: Sakura hatte ihm Vorhaltungen gemacht, wie er so grob mit Hinata hatte umgehen können. Dass sie sie ihm als Trainingspartnerin vorgeschlagen hatte, spielte keine Rolle.

»Du hast ihn ordentlich auseinandergenommen, Hinata«, lobte Sakura zufrieden.

»Ist er verletzt?«

Sie prustete abfällig. »Nicht mehr als wenn er etwas gegen meine Frisur gesagt hätte. Naruto hat schon wegen weniger mehr Prügel kassiert. Er ist zäh.«

»Wie kann er etwas Negatives über deine Haare sagen? Die Länge ist sehr hübsch.«

»Hm?« Sakura strich sich beiläufig über ihre Strähnen. Hinata hatte recht. Sie waren länger als üblich. »In letzter Zeit hatte ich keine Zeit für Frisörtermine. Vielleicht klingt es vermessen, das zu behaupten, aber ich finde, dass ich stark genug bin, um mir den Luxus von ein wenig Weiblichkeit zu gönnen. In einem Team mit drei Männern zu stecken, die sich aufführen wie eine tollwütige Welpenkiste, lässt mich oft genug vergessen, dass ich eine Frau bin. Kunoichi. Was auch immer.«

Hinata lachte mitleidig, während ihre Ärztin routiniert die oberflächlichen Wunden versorgte. »Wie hältst du es mit Sai-san und Sasuke gleichzeitig in einem Team aus?«

Sakura zuckte die Schultern. »Gar nicht. Die beiden sind wie Hund und Katz, fast noch schlimmer als Naruto und Sasuke. Bloß, dass es bei ihnen nicht darum geht, wer der Stärkere ist, sondern um … ehrlich gesagt weiß ich nicht, um was es geht. Ich denke nicht, dass es um etwas geht. Sai kommt wohl einfach falsch rüber. Und Sasuke nimmt Sais Aussagen viel zu persönlich. Wenn ich nicht im Krankenhaus bin oder mit den Jungs trainiere, spielen wir Karten. Allerdings versucht Naruto dauernd zu betrügen, was im Endeffekt immer auf das eine hinausläuft.«

»Ein Kampf im Garten. Die Geschichte hat sich rumgesprochen«, erklärte Hinata. »Obwohl wir nun alle im Dorf festgehalten werden, sehen wir einander trotzdem kaum. Es ist seltsam, wie viel ohne Missionen zu tun ist.«

Sakura hielt in ihrer Bewegung inne. Ihre Augen verengten sich ganz von alleine. »Es ist wegen Tsunade-samas Zustand. Niemand hat mehr Ahnung, was politisch auf dem Plan steht. Danzō und die Goikenban hüllen sich sogar Jiraiya-sama gegenüber in eisernes Schweigen. Ich wusste immer zumindest ansatzweise, was los war, wenn nicht durch Tsunade-sama, dann wenigstens über Shizune-san. Die allerdings wurde komplett aus dem Kagegebäude verstoßen. Sogar Izumo-san und Kotetsu-san hat man rausgeworfen. In Wahrheit warten wir nur mehr auf die Einberufung.«

»Ja«, pflichtete Hinata schwermütig bei. »Was ist eigentlich mit deiner Nase passiert?«

»… Itachi hat mir das Nasenbein gebrochen.«

»… Itachi«, überlegte ihre dunkelhaarige Freundin »Wie in Uchiha Itachi-san?«

Sakura überprüfte die eben angelegte Kompresse auf ihren perfekten Sitz und reichte der Patientin ein Glas Wasser und zwei Vitaminpillen. »Trink. Weißt du, Itachi hat eine sehr eigene Definition von Freundsch –« Sie brach ab. Wieso hinterm Berg halten? »Von Verabredungen. Beim ersten Date die Partnerin zu verletzen ist bei ihm wohl die gelungene Analogie zum Kuss vor der Haustüre. Dafür habe ich ihm den Kiefer ausgerenkt«, erzählte sie stolz. Hinata warf ihr einen zweifelnden Blick aus ihren hellen Augen zu.

»Sehr romantisch klingt das nicht.« Tiefes Seufzen entkam ihrer Kehle, durch die sie die Tabletten hinunterspülte. »Andererseits wurde ich gerade von Naruto verprügelt.«

Die Iryōnin konnte ihr Lachen nur hinter vorgehaltener Hand verbergen, besann sich jedoch darauf, wie schwierig unerwiderte Liebe sein konnte. Es war wirklich kein Thema, über das man lachen sollte, Hinata jedoch stimmte herzlich darin ein. »Manchmal sollte man einfach den ersten Schritt machen, auch als Frau. Machen wir uns nichts vor: wenn Naruto eines ist, dann dämlich, stur und ein Träumer. Wenn du möchtest, dass er nachts von dir anstatt dem Hokagemantel träumt, bring ihn dazu. Von alleine wird er niemals irgendetwas Vernünftiges tun.«

»Könntest du nicht …«

Sakura hob abwehrend die Hände. »Du willst nicht, dass ich dir helfe, glaube mir. Mein eigenes Liebesleben ist eine Katastrophe! Ich bin entweder in den Händen eines sehr besitzergreifenden Klanerben, dessen Bruder mir diese Beziehung ewig vorhalten wird und dessen Gefolgschaft mich abgrundtief verabscheut, oder in denen eines Psychopathen, der sich nur als normaler Mensch tarnt, dessen Bruder mich gewarnt hat und dessen Gefolgschaft mich abgrundtief verabscheut.«

Die Hyūgaerbin wusste darauf nichts zu erwidern. Ob Sakura nicht heillos übertrieben hatte – nicht ob, sondern eher wie heillos – stand gar nicht zur Debatte. Sich in Uchiha Itachi zu verlieben war an sich schon ein Armutszeugnis, das wahrlich nur kreischenden Fanatikerinnen ausgestellt werden sollte. Man verliebte sich nicht einfach in einen Uchiha! Man stand auf sie, man fand sie attraktiv, man stellte sich vor, was diese starken Hände und ausgeprägten Muskeln an bestimmten Orten leisten könnten, aber man verliebte sich nicht ernsthaft in sie. Sakura hatte sich wahrlich ihr eigenes Grab gegraben, das wussten sie beide. Mit einem Uchiha alleine kamen allerhand Probleme, gerade deshalb blieben sie ja unter sich. Sakura hatte das große Glück, gleich mit zweien verbunden zu sein.

»Ihr seid also offiziell zusammen?«, fragte Hinata plötzlich. Sakura blinzelte.

»Das … ist eine sehr gute Frage. Ich weiß es nicht. Dafür, dass Itachi dafür bekannt ist, keine halben Sachen zu machen, ist dieses Werk wahrhaft unvollendet.« Irritiert von dieser Erkenntnis, die ihr gestern gar nicht in den Sinn gekommen war, erhob sie sich und half Hinata auf. Ihr Stand war fest, ihre Verletzungen kaum mehr der Rede wert und ihr Lächeln ehrlich. »Wollen wir etwas essen gehen? Ich habe gestern das Abendessen meiner Schwiegermutter verpasst«, scherzte sie. Wenn sie da mal nicht den Teufel an die Wand gemalt hatte.
 

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Zum Essen waren sie vier Stunden später nicht gekommen. Naruto, dieser Bote des Unheils, hatte zusammen mit Sai vor dem Krankenhaus auf den Dienstschluss seiner Lieblingsärztin gewartet, um auf dem Weg zum Uchihaviertel, in dem sie sich häuslich einquartiert hatten – Mikotos Gastfreundschaft war Gold wert und Sasukes Misslaune deswegen nicht minder amüsant – ein paar Pläne auszuarbeiten, wie man Sasuke am besten ärgern könnte. In weiterer Folge war es nicht schwer gewesen, ihn auf eine Portion Ramen umzulenken. Unglücklicherweise waren sie auf dem Weg dorthin wiederum auf Lee, Neji und Tenten getroffen, die Naruto so lange provoziert hatte, bis es zu einem Trainingskampf gekommen war.

Zugegeben, Lee und Naruto hatten sich gegenseitig mit Eifer aufgeschaukelt. Sakura, Hinata, Sai, Neji und Tenten waren lediglich Kollateralschäden, die irgendwann aus Langeweile in den Kampf in den östlichen Wäldern eingegriffen hatten.

So saßen sie also beim Abendessen: verprügelt, verhauen, zerkratzt. Wer hätte gedacht, dass Neji und Hinatas Juuken auch ohne lebenswichtige Chakraknotenpunkte zu treffen so fies sein konnte? Und wer hätte gedacht, dass beide so lange Fingernägel hatten?

»Na«, machte Sasuke und setzte seine Reisschüssel auf dem Esszimmertisch des Uchihahaupthauses ab, »Mal wieder Prügel kassiert?«

»Du –«

»Naruto!«, fuhr Sakura dazwischen, drückte ihren blonden Kumpanen wieder in eine sitzende Position und aß gemächlich weiter. »Zu deiner Information, Sasuke, wir haben trainiert. Und wir haben gewonnen, auch wenn Sai in der ersten Minute k.o. gegangen ist.«

»Er hätte ja auch nicht fragen müssen, ob der Hyūgaklan inzestuöse Ambitionen verfolgt«, meinte Naruto leichthin. »Ich kann es Neji und Hinata-chan nicht verdenken, dass sie ihn halb getötet haben. Hinata-chan kann nämlich mindestens so furchteinflößend sein wie Sakura-chan.«

»Ich bin nicht furchteinflößend.« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Trotzdem tut Sai mir irgendwie leid. Seine Scherze kommen wohl nie wirklich gut an …« Damit verfielen alle wieder in Schweigen, das Sakura als angespannt empfand. Es war selten, dass Itachi mit ihnen am Tisch saß und in stummer Eintracht und Konzentration das Essen seiner Mutter genoss. Umso unangenehmer war ihr die Situation. Ein Glück, dass zumindest der Kopf des Klans wie immer verhindert war. Sasukes anklagende Augen, die ständig zwischen seinem Bruder und seiner Freundin wechselten, machte die Sache allerdings auch nicht merklich erträglicher. Itachi indes behielt sich vor, zu tun als bemerke er nichts von gar nichts. Er sprach vornehmlich mit Mikoto über alles und nichts, ehe er sich nach dem Essen sehr schnell entschuldigte, ohne ein einziges Wort an jemand anderen gerichtet zu haben. Sakura kam dieses Verhalten merkwürdig vor. Merkwürdiger als sonst, versteht sich. Am liebsten wäre sie ihm gefolgt, fand jedoch im passenden Moment keine glaubwürdige Ausrede. Es endete damit, dass sie der Hausherrin beim Abwasch half – wie auch immer sie sich da hineingeritten hatte – während Naruto und Sasuke sich irgendwo hin verabschiedet hatten. Trainieren, streiten, es war einerlei.

»Du machst das nicht oft, oder, Sakura-chan?«, erkundigte Mikoto sich, nahm ihr das Tuch aus der Hand und trocknete die Bambusschüssel fachmännisch ab. Was auch immer man beim Abtrocknen professionell machen konnte, die Frau des Klanoberhauptes konnte es. Sakura machte sich gar nicht erst die Mühe, ihr dabei zuzusehen. Sie würde hoffentlich nie wieder in die Verlegenheit kommen, Hausarbeit zu leisten.

»Nein. Ich kann Leben retten und beenden, das reicht mir. Teller abzutrocknen gehört nicht zu meinem Fähigkeitsrepertoire.«

»Das muss es auch nicht, wenn du diesen Weg weiterhin zu gehen gedenkst.«

Sakura horchte auf. Dies war die Vorstufe zu einer Predigt. Sie wollte Mikoto den Spaß nicht nehmen, ihren Erfahrungsschatz mit ihr zu teilen. Nach allem war sie nicht irgendeine Hausfrau und Mutter, sondern ehemalige Elitekunoichi und Matriarchin der einflussreichsten Familie Konohas. Und sie machte ihr ein wenig Angst. »Inwiefern?«, gab sie ihr die Vorlage, die die Uchiha gebraucht hatte, um loszulegen. Ihr mildes Lächeln konnte nicht über ihre Ernsthaftigkeit mit diesem Thema hinwegtäuschen. Sie war keine geborene Uchiha, darum sprach sie nicht mit den Augen. Das brauchte sie auch nicht. Die Fältchen um ihre Mundwinkel erzählten Bände.

»Ich bereute keine Sekunde meines Lebens«, begann sie in freundlichem Plauderton und reichte ihrer Gehilfin einen Teller. »Weder jenes, das ich vor meiner Ehe führte, noch das danach. Ich wurde nicht zu einer Kunoichi erzogen, sondern wählte diesen Weg für mich, weil ich nicht das schwächste Glied der Kette sein wollte. Als Tochter einer reichen Aristokratenfamilie fühlte ich mich niemals sicher, bis ich in der Lage war, mich selbst zu verteidigen. Ich war deshalb nicht glücklich, als man bei meiner Verlobung mit Fugaku von mir verlangte, meinen Status aufzugeben und den einer Hausfrau anzunehmen. Der Klan war damals noch traditioneller als heute. Keine Frau durfte einen Beruf ausüben. Es galt als vulgär, als Frau Geld zu verdienen. Es fiel mir nicht leicht, alles zu verstoßen, was zuvor mein Leben gewesen war. Glaube mir, wenn ich dir sage, dass es die schwierigste Entscheidung meines Lebens war. Wir trennten uns damals, Fugaku und ich, weil ich mich weigerte, meinem Leben als Kunoichi den Rücken zu kehren. Nichtsdestoweniger liebten wir uns. Dies gab den Ausschlag.«

Sakura erhielt den mittlerweile vierten Teller. Neben ihr begann sich ein Geschirrberg zu stapeln. Unbewusst hatte sie aufgehört abzutrocknen, um die Moral noch vor dem Ende der Geschichte zu erraten. Sie kam nicht darauf und Mikoto fuhr ungehindert fort.

»Fugaku bat mich nicht, ihn zu heiraten, sondern gab mich frei für meinen Beruf. Damals war er ein herzensguter, liebevoller Mensch. Die Zeit hat ihn verhärmt, was ihn kalt und unberechenbar erscheinen lässt. Irgendwo unter dieser Schale ist der Mann, für den ich damals alles über Bord warf, darum kann ich nichts bereuen. Dass er so selbstlos war, sein eigenes Glück zu opfern, damit ich meinen Weg gehen konnte, öffnete mir die Augen für die Zukunft, die wir miteinander haben konnten, wenn ich einwilligte, ihn so selbstlos zurück zu lieben, wie er mich selbstlos hatte gehen lassen.«

Sakura unterdrückte ihren Impuls zu seufzen, weil es unhöflich gewesen wäre, diese Geschichte herabzuwürdigen. Sie war schön, keine Frage, aber sie war maßgeschneidert für jemanden wie Hinata oder Ino. »Ich könnte mich nicht gegen meinen Beruf entscheiden.«

»Du vergisst dabei ein sehr wichtiges Detail, Sakura-chan«, korrigierte Mikoto nachsichtig. »Ich habe mich niemals gegen das Ninjaleben entschieden. Sondern für meine Familie.«

Sie ließ ihre Worte einige Zeit wirken. So gesehen musste Sakura ihr zustimmen. Jeden Tag konnte sie sehen, was mit Menschen passierte, die beides wollten. Kurenai und Asuma, Yūgao und Hayate. Sie kannte alle vier gut genug, um zu wissen, was sie durchgemacht hatten, aber nicht gut genug, um verstanden zu haben, was dieser Verlust bedeutet hatte. Wer ständig auf dem Drahtseil zwischen zwei Leben umherirrte, fiel irgendwann unweigerlich.

»Als ich deinem Alter war«, fuhr Mikoto fort, »Hatte ich gerade erfahren, dass ich mit Itachi schwanger war. Aber diese Zeiten sind vorbei. Heutzutage bekommt man nicht mehr so früh Kinder. Es ist seltsam, dass Kinder immer früher erwachsen werden, dafür aber immer später sesshaft werden. Oder habe ich nur das Pech, zwei Nachzügler als Söhne zu haben? Wenn es nach Itachi und Sasuke geht, werde ich niemals Enkelkinder haben.«

Sakura lachte und nahm ihre Arbeit wieder auf. Sie fand ein wenig Entspannung an der monotonen Hausarbeit. Fast wie nach einem guten Kampf. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wie es für den Klan schade wäre, wenn seine beiden Aushängeschilder niemals Familien gründen würden, wäre es ein Verlust für die Ninjawelt, wenn sie es täten und sich aus dem aktiven Dienst zurücksetzten. Ich denke nicht, dass sie es riskieren würden, ihren Nachwuchs nicht aufwachsen zu sehen. Zumindest Itachi nicht. Dafür ist er viel zu …« Sie suchte nach dem passenden Adjektiv, als Mikoto ihr ins Wort fiel.

»Stur? Ja, das sähe ihm ähnlich. Er würde sich schlicht weigern zu sterben.« Plötzlich breitete sich ein liebevolles Lächeln auf dem Gesicht der Endvierzigerin aus. »Ich denke ich weiß nun, weshalb meine Söhne dich so schätzen. Auf die eine und auch die andere Weise. Du weißt was du willst und gehst deinen Weg. Auch wenn ich mich damals für das entschied, was mir wichtiger schien, muss es nicht bedeuten, dass alle anderen meiner Meinung sind. Vielleicht ist es gerade das, weshalb Itachi dich in sein Leben gelassen hat. Für euch beide wird es immer zuerst die Arbeit geben. Ich weiß nicht, ob ich damit bei auch in der Zukunft richtig liegen werde, aber ich kann für Itachi sprechen, wenn ich sage, dass er sich niemals ändern wird.«

In Sakuras gespitzten Ohren klang es wie eine Warnung. Nein, eher ein gut gemeinter Rat und ein Ausblick, auf was sie sich eingelassen hatte. Für jetzt war es in Ordnung, die Arbeit allem anderen vorzuziehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr jemals anders gehen würde. Tsunade spiegelte ihrer Meinung nach viel mehr ihre Zukunft wider als Außenstehende annehmen konnten. Viel vordergründiger war die Tatsache, dass Itachis Mutter mehr zu wissen schien als der Rest der Welt, außer den beiden Betroffenen selbst, wobei Sakura sich nicht sicher war, ob Mikoto nicht tatsächlich mehr wusste als sie selbst. Ihr Sohn schien offen mit ihr gesprochen zu haben. Ein interessantes Detail. Ärgerlich, aber interessant.

»Wenn ich ehrlich bin, Mikoto-san, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie meine Zukunft aussehen könnte. Nicht auf diese Art. Ich wollte immer stark sein, eine herausragende Iryōnin, eine gute Teamkameradin, mit der man gerne arbeitet und die alles ihr Mögliche für Konoha leistet. Mehr als das wollte ich nie anstreben. Vielleicht sind wir uns sehr ähnlich, was unsere Wünsche betrifft. Wie wir sie uns erfüllen …« Sakura ließ die Worte ausklingen. Revidierend setzte sie neu an. »Sie fanden einen neuen Wunsch, der ihnen wichtiger war. Ich jedoch habe vor, meinen Weg zu Ende zu gehen, komme was wolle. Daran wird niemand etwas ändern können. Nicht meine Eltern, nicht der Klan, nicht Itachi. Wenn ich in vielleicht zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren auf mein Leben zurückblicke, möchte ich nicht bereuen, mein Ziel geändert zu haben.«

Sakura straffte unwillkürlich ihre Schultern. Sie wusste, auf was Mikoto angespielt hatte: Itachi hatte sie für sich erwählt, weil sie ihn nicht bedrängen würde. Sie war eine Kunoichi, ebenso wie er ein Shinobi. Sie würde niemals von ihm verlangen, eine Familie mit ihr zu gründen, das wusste er. Ob Itachi aus der Not eine Tugend gemacht hatte oder lediglich eine gute Chance ergriffen, blieb sich im Endeffekt gleich. Für jetzt und morgen genügte Sakura, was sie hatte. Was danach kam, stand nicht zur Debatte. Möglicherweise würde sie bereuen, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Doch eines würde sie niemals: Reue darüber empfinden, ihn bis zum bitteren Ende verfolgt zu haben. Dies war ihr Nindo. Dies war ihre Entscheidung.
 

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Mikoto hatte sie irgendwann aus der Küche entlassen und weggeschickt, damit sie den Rest alleine machen konnte. Sakura hatte sich wahrhaft ungeschickt angestellt. Sie würde Naruto ob seiner Tollpatschigkeit nie wieder Vorhaltungen machen. Das Gespräch mit Mikoto war aufschlussreicher gewesen als erwartet. Was Itachi betraf, sah sie klarer. Was noch wichtiger war, sie war sich über etwas klar geworden, das sie in den letzten Monaten außer Acht gelassen hatte. Alles, was sie tat, tat sie nicht, um sich zu beweisen. Es war unerheblich, ob Itachi oder jemand anderes sie akzeptierte – nachdem sie seine Akzeptanz erhalten hatte, war dieser Gedankengang natürlich durchaus einfach zu haben. Wichtig war sie. Es lag nicht in ihrer Verantwortung, anderen ihre Kompetenzen zu beweisen, sondern vor sich selbst nicht zu versagen. Es fing bei ihr als Kunoichi an und endete bei Team Sieben. Wie viel Zeit hatte sie damit verschwendet, bei Itachi einen guten Eindruck zu hinterlassen, obwohl sie diese Bestreben ruhig dem Zufall überantworten hätte können? Wie dem auch war, sie war hier. Und Itachi dort vorne, vertieft in eine Konversation mit jemandem, dessen Stimme nach Uchiha Fugaku klang.

Sakura wollte gar nicht erst versuchen sich anzulügen. Sie hatte unter dem Vorwand, Sasuke verloren zu haben, nach ihm gesucht, um ihre neu generierten Hypothesen zu testen. Das neue Gefühl von Selbstbewusstsein und Autarkie würde nicht ewig halten, darum wollte sie seine Präsenz ausnutzen. Doch das Gespräch schien mehr ein Zwist zu sein, der gedämpft durch die dünnen Papierwände des Haupthauses drang. Neugierig geworden durch den Fakt, dass Itachi seine Stimme erhoben hatte, unterdrückte sie ihr gesamtes Chakra, um sich unbemerkt zu dem einen Paneel zu schleichen, hinter dem sie durch die vorteilhafte Beleuchtung keinen verräterischen Schatten werfen würde. Es war das letzte vor der spaltbreit geöffneten Tür, die jemand nicht sorgfältig genug geschlossen hatte. Nahe genug, um jedes Wort zu hören, zu weit, um sich nicht anstrengen zu müssen.
 

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»Das soll wohl ein schlechter Scherz sein, Otōsan. Wie sollen wir das vor Konoha rechtfertigen? Wie sollen wir das vor unserer Moral rechtfertigen?«

»Sei kein Narr, Itachi«, schnaubte Fugaku grimmig. »Danzō will uns nur aus einem Grund an der Front sehen: um von seinem selbstgebastelten Thron aus zusehen zu können, wie wir der Reihe nach abgeschlachtet werden. Wir sind kein Opfervieh, sondern der stärkste Klan dieses Dorfes. Willst du unsere Auslöschung verantworten, indem du uns alle auf ein Serviertablett setzt, das dieser Bastard für seinen vermaledeiten Sabbat bereits vorgewärmt hat? Mich wird er nicht eiskalt mit seiner Hetze gegen uns erwischen, dafür habe ich gesorgt!«

Itachi spannte jeden Muskel seiner Arme an, mit denen er sich im traditionellen Seiza vor seinem Vater auf den Knien abstützte. »Indem du uns aus einem Krieg abziehst, der durch unsere Unterstützung gewonnen werden könnte? Wenn es einen Narren gibt, bist du es! Wir haben eine Verantwortung Konohagakure no Sato gegenüber. Möchtest du diese Verpflichtung von dir schieben, bloß um deinem Erzrivalen gegen Ende eurer Fehde einen letzten Dorn ins Auge zu rammen? Dass Danzō uns tot sehen will, steht nicht zur Debatte!«

»Weswegen diskutierst du dann mit mir ein festgelegtes Faktum?«

»Weil«, knurrte Itachi bedrohlich. Das kehlige Knurren verhallte in dem fast leeren Tatamizimmer, »Es nicht um den Grund für unsere Unterstützung geht, sondern um ihre Existenz! Hokage-sama hätte uns ebenfalls an die Front berufen, weil wir es dem Dorf schulden! Du kannst der Allianz nicht unsere Stärke entziehen, bloß weil du übergeordnete Gründe vorschiebst! Danzō hofft, uns während dieses Krieges ausradieren zu können, doch du benutzt seine Hofffnung, um uns aus Egoismus zurückzuhalten. Lieber sähest du uns in Verruf geraten, als auch nur einen deiner kostbaren Gefolgsmänner tot.«

Fugaku hämmerte seine Faust auf den wadenhohen Teetisch, der noch nie benutzt worden war. »Genau darum geht es!«, brüllte er seinen Sohn an, der nicht einen Millimeter zurückwich, geschweige denn eine Miene verzog. »Du sähest uns lieber alle tot, als auch nur einen Moment in Ungnade zu fallen! Das ist nicht der Grund, weshalb ich das Oberhaupt wurde! Du mit deinen idealistischen Vorstellungen, realitätsfremd wie deine Mutter! So lange wir existieren gab es Zeiten, in denen man abfällig unsere Gegenwart mied, weil wir uns aus Dingen wie Kriegen herausgehalten hatten. Es gibt einen Grund, weshalb ich 'so lange' am Anfang eines Satzes benutzen und eine ganze Ära meinen kann! Eben weil wir uns immer dafür entschieden hatten, unsere Sicherheit unserem Ansehen vorzuziehen! Ich werde meine Familie nicht bereitwillig dafür opfern, dass man an unserem Grab Tränen um uns weint!«

Itachi hielt dem finsteren Blick seines Vaters stand. Er war nicht Sasuke. Er kuschte nicht vor Entscheidungen, die ihm gegen den Strich gingen. Fugaku war verhärmt, aber er, Itachi, war das neue Oberhaupt. Er würde keinen Klan übernehmen, von dem er nicht überzeugt war. Die unterdrückte Chakrapräsenz außerhalb des Raumes erinnerte ihn daran, weswegen er diese Diskussion führte. Er hätte sie überall erkannt, selbst wenn sie gar kein Chakra gehabt hätte. Haruno Sakura war nur eine einzige Kunoichi, aber für die Dauer seines nächsten Argumentes repräsentierte sie alle Bewohner Konohas, die Hoffnungen an den Uchihaklan stellten. Mehr noch; die hofften, diesen Krieg zu überleben.

 »Dann frage ich mich, Otōsan, wie du unsere Stärke rechtfertigen willst, wenn du uns weiterhin abschottest. Die Reporte der ANBU haben sehr wohl entlarvt, wer hinter Akatsuki steht und wessen Armee nach der Vernichtung der Welt trachtet. Die Uchihas sind es der Allianz schuldig, in diesem Krieg Seite an Seite mit jenen Menschen zu kämpfen, die weit weniger schuld sind an dieser Farce, die sie Krieg nennen! Wir halten unsere Rechte, weil sie Konohas Verteidigungsgraben sind. Wie könnten wir unsere weitere Existenz konsolidieren, wenn wir gerade jetzt das Bollwerk verwaisen?«

Ein weiteres Mal donnerte das Klanoberhaupt auf den Tisch, fuhr auf und streckte einen Arm von sich. »Du bist nicht der Sohn, den ich großgezogen habe! Du solltest wissen, wo deine Prioritäten liegen! Wir sind nicht Konohas Sündenböcke für Taten, die ein anderer vollbringt, der längst nicht mehr Teil dieser Einheit ist!«

»Welche Einheit?«, fragte Itachi ruhig. Zu ruhig. Er stand auf. Augenhöhe war das mindeste, das er von seinem Vater verlangte. »Jene, die du verzweifelt versuchst zusammenzuhalten, während sie langsam zerbricht? Jene, die unter deiner Führung bereits einmal fast zerbrochen wäre, weil dir dein Machtwahn zu Kopf gestiegen ist? Jeder weiß es, Otōsan, und sie alle wetten hinter vorgehaltener Hand, bis der Klan seinen nächsten, vielleicht fatalen Fehler begeht und endgültig ausgelöscht wird. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du uns weiterhin in den Ruin treibst. Dies ist nicht die Zeit, in der du aufgewachsen bist. Standesstolz und Dünkel sind nichts, das blutige Hände wert wäre! Und glaub mir, Fugaku, es gibt mehr Menschen, die sich nach dem Tag sehnen, an dem ich diesem Klan sein wahres Ansehen zurückbringe, als Befürworter deiner Abschließungspolitik!«

Mit Genugtuung sah Itachi seinen Vater zornesrot werden. Die flammende Röte über dem blassen Teint des faltigen Gesichts vermittelte den Eindruck, als könne Fugaku jeden Augenblick explodieren. In Gedanken schmunzelte Itachi. Er war froh, dass Sakura lauschte. Sie sollte ruhig wissen, auf was sie sich einließ. Äußerlich war seine Miene unberührt von Genugtuung und Schmunzeln; sie war glatt wie immer, was Fugaku nur zusätzlich wütend werden ließ.

»Dass du es wagst mir zu drohen!«, wetterte er. Sein Oberkörper ruckte nach vorne, doch er konnte sich im letzten Moment zurückhalten. Itachi wusste, welchen Nerv er getroffen hatte. Dennoch …

»Dies war keine Drohung, sondern eine Vision«, sagte er betont langsam. »Ich nehme nicht an, dass du dich jemals ändern wirst, darum erteile ich dir einen Rat, Klanoberhaupt: finde dich damit ab, dass deine Zeit vorüber ist. Entweder du lässt uns Seite an Seite mit unseren Landsmännern kämpfen, oder du wirst in Kauf nehmen müssen, dass der Uchihaklan nach diesem Krieg nur mehr sehr, sehr, sehr wenige Mitglieder beherbergen wird. Selbst wenn kein einziger von uns stirbt.« Er hielt sein Gesicht blank. Glatt. Frei von allem, das ihn angreifbar machte. Bloß seine Augen wurden eine winzige Spur schmäler. »Das, Otōsan, war eine Drohung.«

Itachi konnte sehen, wie sein Vater um Worte rang. Seines Wissens nach hatte noch nie jemand gewagt, Uchiha Fugaku offen zu drohen. Er war nicht stolz darauf, ihn an die Wand gefahren zu haben, doch der Beschluss, dass die Uchihas sich gänzlich aus dem Krieg heraushalten sollten, war nur die Spitze des Eisberges, gegen den Itachi sein Leben lang gefackelt hatte. Er hatte versucht, durch guten Einfluss die Schichten zu schmelzen. Als das keine Früchte getragen hatte, hatte er sich dazu entschieden, das Rad weiterlaufen und seinen Vater von selbst zur Einsicht gelangen zu lassen. Nun stand er vor dem Ergebnis seiner hoffnungsvollen Ignoranz, bewaffnet mit einem Vorschlaghammer, um das Konstrukt aus Pflichtvergessen und Vermessenheit zu zertrümmern. Er ließ seine Worte ausklingen, verhallen im leeren Raum, der seit jeher für derartige Unterredungen genutzt worden war. Wie viel weitreichende Entscheidungen vor der heutigen bereits hier getroffen worden waren, ließ sich nicht zählen. Dass diese die letzte für sehr lange Zeit werden würde, war allen Anwesenden bewusst. Mehr als nur das.
 

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Sakura versuchte sich zu verstecken sobald sie Fugaku aus dem Zimmer stürmen hörte. Gebannt von dem Streit reagierte sie zu langsam, sodass das (noch) Klanoberhaupt sie beinahe umgerannt hätte. Geistesgegenwärtig tänzelte sie zur Seite, wo Fugaku sie zornig anstarrte. Er überlegte drei Wimpernschläge lang, ob er sie anschreien sollte, entschied sich dann aber dafür, wutentbrannt die Außenveranda zu verlassen. Sakuras Puls hatte sich während dieser Begegnung in ungesunde Sphären gesteigert, die noch einmal erhöht wurden, als sie jemanden neben sich spürte. Im ersten Schock dachte sie, Fugaku würde sie nun doch bei lebendigem Leib häuten. Glücklicherweise war es Itachi, der sie mit funkelnden Augen abschätzte. Es war kein Funkeln, das ihr sonderlich lieb war. Eher eines, das jemand hatte, ehe er jemanden zum Frühstück verspeisen wollte. Dass dieser Zorn nicht ihr galt, war zwar erleichternd, beruhigte sie leider dennoch kaum.

»Komm«, befahl er. Angesichts seiner Laune wollte sie ihm nicht widersprechen. Sie folgte ihm in schnellem Schritt in sein Zimmer, wo er die Tür hinter ihr schloss. Diese Wut war beängstigend, fast als würde eine dunkelrote Aura um ihn herum pulsieren. Was ihn aufgewühlt hatte, war aus dem Gespräch zu entnehmen gewesen. Bis auf einen Teil, den sie nicht verstand, war es nachvollziehbar. Das Verstörende war, dass Itachi nicht wütend aussah. Sie spürte die Wut, doch hätte man ihn fotografiert, sähe er aus wie immer. Bloß sein Körper war angespannter als normal, als wolle er alles in sich behalten.

»Itachi …« Ihre Stimme war ein leises Flehen. Sie wagte nicht, ihn zu berühren, aus Angst, er könne explodieren und sie mit sich in seine Abgründe reißen. Wenn es etwas gab, das sie um jeden Preis vermeiden wollte, dann war es, die Wut des Mannes vor ihr auf sich zu lenken. »Rede mit mir.«

»Du weißt alles Relevante, da du gelauscht hast.«

Wie er es sagte! Ruhig, beherrscht, als wäre nichts! Bloß sein Kiefer verriet übermäßige Anspannung, derer es bedurfte, um etwas in Zaum zu halten. Sakura legte gestikulierend ihre Hand auf ihre Brust.

»Ich werde mich nicht für meinen Lauschangriff entschuldigen! Er ist deine Schuld, weil du mir keine Wahl lässt, meine Informationen mithilfe unlauterer Mittel zu beschaffen! Du teilst dich niemandem mit! Nicht über das, was in dir vorgeht! Wenn du weiterhin alles in dich hineinfrisst, wirst du irgendwann an einem Infarkt sterben! Das sage ich als Ärztin, Freundin und besorgte Mitbürgerin, weil ich nicht in der Nähe sein möchte, wenn du explodierst! Itachi, ich bitte dich, rede mit mir

Plötzlich stand er vor ihr, hatte eine Hand in ihrem Nacken, mit der anderen umfasste er ihre Taille, um sie an sich zu drücken. »Reden ist gerade nicht, was ich will«, raunte er tief, ehe er sie leidenschaftlich küsste. Es war kein liebevoller Kuss, sondern jenem sehr ähnlich, den sie ihm damals gestohlen hatte, als sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs gestanden hatte. Damals hatte sie nicht mehr gebraucht als sie sich geholt hatte. Sie konnte nachempfinden, was er wollte. Sie hatte auch nicht reden wollen, weil es nichts gebracht hätte. Damals, so surreal es in ihren Erinnerungen sein mochte, hatte er ihr gegeben, was sie sich nehmen hatte wollen. Dasselbe war sie ihm schuldig. Sie hätte es auch für ihn getan, wenn es kein Equilibrium zwischen ihnen gegeben hätte. Auf der anderen Seite der Verzweiflung zu stehen war eine neue Erfahrung, in die sie sich bereitwillig treiben ließ.

Itachi war fordernder als sie gewesen war. Seine Hand in ihrem Nacken krallte sich Richtung Scheitel in ihr Haar, um ihren Kopf in den Nacken zu werfen, als er sich nach vorne drängte, um sich an sie zu pressen. Sakura schlang ihre Arme um ihn, sehr viel weniger passiv als er bei ihrem gemeinsamen ersten Kuss gewesen war. Die Situation war eine andere, ebenso ihre Beziehung zueinander. Itachis Hände begannen über ihre Oberarme hinunter zu ihren angewinkelten Ellenbögen zu wandern, über die sie ihren Weg die Konturen ihres weiblichen Körpers fortführten, bis er schlagartig an der Hüfte stoppte, Sakura von sich drückte und einen Schritt zurück machte. Die Distanz unwillig bemerkend, stieß Sakura einen Ruf der Ungläubigkeit aus.

»Itachi, du bist wirklich frustrierend!« Wenn es so weiterging war nicht er derjenige, der explodierte.

»Es tut mir leid.« Er seufzte kehlig und rau und drückte zwei Finger an die in Falten gelegte Nasenwurzel. »Ich möchte dich nicht benutzen, bloß weil mein Vater –«

Sakura verdrehte die Augen, überwand die unwillkommene Kluft zwischen ihnen und nahm sein Gesicht in ihre Hände, ungeachtet ihrer sonstigen Hemmungen. »Hör auf dich auszuschweigen. Wenn du etwas sagen möchtest, sag es. Wenn du etwas nicht sagen möchtest, sag es trotzdem. Zumindest mir. Es fühlt sich komisch an, es auszusprechen, aber wie ich es verstanden habe, sind wir in einer Beziehung miteinander. Dafür sind Partner da, verstehst du? Damit die Last auf zwei Paar Schultern verteilt werden kann. Ich bin keine Uchiha, aber ich bin deine Freundin. Wann immer es etwas mit dir zu tun hat, was immer dich auch beschäftigen mag, ich werde immer ein offenes Ohr für dich haben. Selbst wenn ich dir nicht immer helfen kann, tut es manchmal gut, einfach darüber zu reden. Ich weiß, wie du dich fühlst.« Sie versuchte streng zu ihm aufzublicken, aber Itachi machte es ihr schwer, nicht verzeihend zu lächeln.

Er brummte entmutigt. »Wie kannst du das wissen, wenn nicht einmal ich es weiß?«

Diese Blindheit gegenüber seiner Lage entlockte ihr ein tadelndes Schnalzen mit der Zunge sowie seinen Namen. »Itachi. Weil nicht jeder so verkorkst ist wie du. Und weil jeder Normalsterbliche sich schon einmal so gefühlt hat. Ich öfters als viele anderen. Da ist ein Druck, der dir das Atmen schwer macht. Die Angst vor dem nächsten Morgen. Das Ziehen in der Brust, als verkrampfe dein Herz, das an dem hängt, was du zu verlieren glaubst. Jeder hat sich ins einem Leben schon hilflos gefühlt. Du bist keine Ausnahme.«

»Hilflos, hm?«

Sakura beobachtete besorgt, wie Itachi die Augen schloss, um ihre Worte zu durchdenken. Dass Uchiha Itachi sich noch nie in seinem Leben hilflos gefühlt hatte, lag auf der Hand. Dass er noch niemals Angst gehabt hatte, ebenso. Es tat ihr weh zu sehen, wie seine Unerschrockenheit mit einem Mal zusammenbrach wie ein zu hoch gebautes Kartenhaus.

»Was wirst du tun?«, fragte sie nach einer Weile. Itachi lachte hohl, beinahe zynisch.

»Ich weiß es nicht. Ist das zu fassen? Zum ersten Mal habe ich keine Ahnung, was als nächstes kommt. Es ist alles unberechenbar geworden.«

Sakura umarmte ihn, wobei sie ihr Gesicht in seine Halsbeuge schmiegte. Erst tat er nichts. Sie Anspannung seiner Haltung gab ihr das Gefühl, als berühre sie einen Felsbrocken. Als wolle und brauche er sie nicht. Dann spürte sie wie er die Umarmung zögerlich erwiderte, seinen Kopf jedoch aufrecht hielt. Der sanfte Druck, mit dem er sie an sich hielt, war tröstlich.

»Jetzt kommt Krieg«, antwortete sie auf seine stumme Frage. »Ich habe Angst, Itachi.«

»Ich verspreche dir, dich zu beschützen. Immer. Du weißt, dass ich noch nie ein Versprechen gebrochen habe.«

Sie gehörte ihm, kein Zweifel. »Ich frage mich, ob ich dich jemals bereuen werde. Gesetzt dem Fall, es gibt ein jemals für dich und mich«, murmelte sie, die Umarmung aufrechterhaltend. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, während sie sich einer Wahrheit stellte, die wahrscheinlicher war als alle anderen. Er hätte versucht sie ihr auszureden, doch das war etwas, das sich nicht mit ihrem Weg vereinbaren ließ.

»Was meinst du damit?«

Sakura zögerte. »Ich werde an der Front kämpfen.«

Mit ihrer Antwort schwang jene Möglichkeit mit, die sie beide in Betracht ziehen mussten. Dies war der Scheideweg, vor dem Mikoto einst gestanden hatte. Die Gabelung, nach deren Wahl man nicht mehr zurück konnte. Es war der Grund, wieso sie zusammen waren. Weil sie beide dasselbe Ziel hatten: Konoha zu beschützen. Sakura würde keinen Rückzieher machen und Itachi akzeptierte es stillschweigend, weil er niemals anders entschieden hätte. Weil sie sich so ähnlich waren. Bloß mit einem Unterschied.

Statistisch starb jeder vierte in einem Krieg.

Itachi, Sasuke und Naruto gehörten nicht zu den Helden, deren Namen in den Grabreden nach dem Krieg genannt würden.

 
 

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Silver Lining


 

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Tränen überströmten sein Gesicht, als er den schlaffen Körper an sich drückte. Blut klebte an seinen Händen, verkrustet und verkohlt. Dass es nicht sein eigenes war, machte die Realität zu einer Katastrophe. Wie lange war es her, dass er das letzte Mal geweint hatte? Die Überreste der Gegner lagen zerfetzt auf dem gerodeten Schlachtfeld. Inos Augen waren gerötet, auf ihrer Stirn stand Schweiß, ihre Hände zitterten vor Erschöpfung. Sie hatte ihre letzten Energiereserven für die Heilung aufgebraucht. War dies alles umsonst gewesen? Seine Sharingan erloschen und er presste den Körper der Kunoichi enger an sich; es war ihm egal, dass sein rein weißer ANBU-Brustpanzer dadurch mit Dreck und Blut beschmiert wurde. Sie starb in seinen Armen.

»Uchiha-san«, wisperte Ino mit brüchiger, belegter Stimme. Tränen der Verzweiflung und Trauer rannen über ihre vor Erschöpfung geröteten Wangen. »Wir müssen zurück nach Konoha. Schnell.«
 

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―Vierzehn Stunden zuvor

Uzuki Yūgao schlief friedlich in ihrem Bett, dicht an Shiranui Genma gekuschelt, dem sie nach all den Wochen, in denen sie sich nun schon getroffen hatten, austreiben hatte können, mit einem Senbon im Mund zu schlafen. Die schmatzenden Geräusche, weil ihn die Gewohnheit im Land der Träume mit den Lippen nach dem fehlenden Stück greifen ließ, waren immer noch besser als mitten in der Nacht aufzuwachen und eine Nadel im Arm zu haben. Sie waren beide nicht daran gewöhnt, Gesellschaft im Bett zu haben. Nach dem Tod ihres Verlobten hatte Yūgao sich geweigert, jemals wieder eine Beziehung mit jemandem einzugehen. Sie weigerte sich immer noch. Dies war nicht mehr als eine Affäre aus Verzweiflung, eine Flucht nach vorne, um in einsamen Stunden nicht ganz so alleine zu sein.

Dann tauchte Shisui auf. Dass er so dreist sein konnte, überraschte sie in der Retrospektive nicht sonderlich, hatte ihr dennoch gegenwärtig einen Heidenschreck eingejagt. Als sie mit gezücktem Katana den vermeintlichen Angreifer zu Boden gerungen und ihm mit der geschärften Klinge an seinem Hals jeden Fluchtweg abgeschnitten hatte, konnte sie sich nur mehr vage an den Lufthauch erinnern, der sie geweckt hatte. Shisui musste ihr ins Gesicht gepustet haben. Was ihr in Erinnerung bleiben würde, war das leuchtende Rot der Sharingan, die wie Dämonenaugen im Dunkeln gelauert hatten.

»Y-Yūgao-tan!«, wimmerte Shisui, verzweifelt versuchend, sich aus seinem Gefängnis zu befreien.

Sie nahm das Katana von seiner Kehle und schlug stattdessen auf seinen Kopf. »Erschreck mich nie wieder so, du Armleuchter! Was fällt dir ein, dich um diese Uhrzeit in meine Wohnung zu schleichen?!«

Shisui rieb sich jammernd den Kopf. Yūgaos Kopfnüsse taten längst nicht mehr so weh wie zu Anfang, an dem er sich noch nicht darauf eingestellt gehabt hatte. »Ich wollte dein kleines Stelldichein mit Shiranui ja nicht stören – schläfst du immer mit einem Katana unter der Bettdecke?«

»Was unter meiner Bettdecke geschieht geht dich gar nichts an, Shisui! Was willst du hier?«, fauchte sie voller Entrüstung so leise, dass es heiser klang. Prüfend schickte sie einen Blick nach hinten. Genma schlief seelenruhig wie ein Stein. Und sowas nannte sich Jōnin …

»Itachi schickt mich.«

Yūgao ließ von ihm ab, richtete sich auf und stemmte die Hände in die Hüften. Dass diese bedrohliche Geste in ihrem hautengen Negligé weniger bedrohlich denn einladend wirkte, sagte ihr Shisuis Grinsen. »Was ist? Hast du noch nie eine halbnackte Frau gesehen? Nein, antworte bitte nicht. Ich will es nicht wissen. Was will Itachi von mir?«

»Von uns«, berichtigte Shisui sie ernst. »Es wurden feindliche Aktivitäten in der Nähe des Kitazamapasses lokalisiert. Eine Jutsu ohne Anwender. Wir vermuten Akatsuki dahinter.«

»Kitazama?«, wiederholte Yūgao ungläubig. Sie scherte sich nicht darum, dass Shisui noch immer anwesend war. Wenn Itachi nach ihr schickte, war jede Minute Verzögerung eine Minute zu viel. Sie hatte schon genügend kostbare Zeit mit ihrem tätlichen Angriff auf seinen Cousin verschwendet, darum war es ihr egal, dass sie sich vor diesem umziehen musste, um nicht noch mehr in Verzug zu geraten. Zu ihrem persönlichen Glück schien die Lage ernst genug zu sein, um Shisui seine Professionalität wahren zu lassen. Er gab keinen einzigen lüsternen Kommentar zum Besten, sondern fuhr mit dem Vorbriefing fort.

»Die Lage wäre ideal als Ausgangspunkt für eine Aufklärungsmission. Für beide Fronten. Die natürlichen Gegebenheiten auf beiden Seiten des Passes bieten guten Schutz für unentdecktes Eindringen in Feindgebiet. Sollte diese Jutsu tatsächlich etwas oder jemanden ausspionieren, müssen wir der Sache auf den Grund gehen.«

Sie rief sich die Karte um Kitazama in Erinnerung. Das stark bewaldete, bergige Gebiet markierte die geographische Grenze zwischen Hi no Kuni und Taki no Kuni. »Müsste Takigakure diesem Verdacht nicht nachgehen?«

»Nur, wenn Akatsuki nicht mehr Länder auf seine Seite gezogen hat als wir annehmen konnten«, schränkte er besorgt ein. »Die Jutsu ist mächtig. Sollte jemand aus der feindlichen Fraktion durch Taki marschiert sein, um sie zu wirken, hätte es darüber Meldungen geben müssen. Jedes Dorf hat Ausgangssperren verhängt, um seine Armeen zu staffeln, daher müsste ein ausländischer Ninja auffallen wie ein bunter Hund. Entweder kann er das Raum-Zeit-Kontinuum manipulieren, um Wurmlöcher zu erschaffen, was nebenbei bemerkt äußerst lächerlich klingt, oder Taki hat seine Neutralitätserklärung verletzt.«

»Oder er kam unbemerkt über sämtliche Grenzstationen, weil Takigakure seine Posten von den Wachtürmen abgezogen hat oder jeder, den er auf seinem Weg getroffen hat, konnte nicht lange genug überleben, um Bericht zu erstatten oder es waren mehrere, die zusammen eine Jutsu benutzten können, um unsichtbar zu werden«, komplettierte Yūgao die breite Palette an Möglichkeiten. »Ich schätze, man schickt uns dorthin, um genau das herauszufinden.«

»Vermutlich«, schloss Shisui. Seine Partnerin war fertig angekleidet, schulterte ihre Schwerter und nickte Richtung Fenster, durch das der Eindringling zuvor gekommen war. »Willst du ihm denn keine Nachricht hinterlassen?«

Yūgao sah auf Genma zurück, ehe sie sich abwandte und aus dem Fenster Richtung Nordtor hechtete. Shisui setzte ihr nach, die Antwort blieb sie ihm schuldig. Es ging ihn nichts an, was sie mit wem in ihrer Freizeit tat, ebenso wenig war er ihr Paartherapeut. Es gab Wichtigeres zu tun, vornehmlich diese Mission. Dass man trotz der Ausgangssperre einen ANBU Kader entsandte, um der Jutsu auf den Grund zu gehen, barg alle nötigen Informationen über die Dringlichkeit. Wenn sie sich beeilten, wären sie morgen wieder in Konoha.

Sie hielt auf das Tor zu, vor dem sich zwei Silhouetten abzeichneten, beide mit verschränkten Armen wartend. Yūgao hatte angenommen, Sasuke gehe mit ihnen auf diese Mission, doch die Person, die neben Itachi stand, war eindeutig weiblich. Ihre Kurven zeichneten sich deutlich in der anbrechenden Morgendämmerung ab. Yūgao runzelte die Stirn. Was ging hier vor sich? Auch Shisui schien reichlich verwirrt über diese unübliche Teamkonstellation. Was hatte eine Iryōnin auf einer Aufklärungsmission der ANBU zu suchen?

Zeitgleich hielten sie vor dem Duett an.

»Itachi?«, fragte Shisui wenig präzise. Sein Cousin verstand, auf was er hinauswollte.

»Es gibt neue Entwicklungen, daher musste ich das Team modifizieren.« Er deutete beiläufig auf die Iryōnin neben ihm, die zum Gruß die Hand hob. Auf ihrer Schulter saß ein Nachrichtenvogel. »Ich kann zur Zeit nicht riskieren, absent zu sein, darum wird euch meiner statt Yamanaka-san begleiten. Ihre Shintenshin no Jutsu wird euch nützlicher sein als ich. Ein Paar Sharingan ist für eine Aufklärungsmission ausreichend und wie es aussieht, ist dieser dressierte Vogel ebenfalls nützlich.«

»Zur Zeit?«, wiederholte Shisui die Phrase am Anfang der Erläuterung. »Hast du mit Fugaku-san gesprochen?«

Itachi nickte. »Ich nahm an, meinen Standpunkt deutlich gemacht zu haben, was die Rolle der Uchihas in diesem Krieg betrifft, doch offenbar scheint er nicht gewillt zu sein, Einsicht zu zeigen. Einige Mitglieder des Klans revoltieren gegen das Oberhaupt, andere stellen sich entschieden hinter dessen Haltung. Wir klaffen auseinander, Stück für Stück.«

Yūgao versuchte nicht zu lauschen, denn dieses Gespräch war nur für Uchihaohren bestimmt. Sie war kein Experte für komplexe Klanpolitik, umso mehr überraschte sie das Verständnis über das, was ihr Captain sagte. Itachi war im Hinblick auf klaninterne Konversationen in der Öffentlichkeit immer äußerst kryptisch – wenn er denn einmal darüber sprach. Die starke Einheit der Uchihas brach? Der Erbe versuchte den Anführer zu putschen? Itachis Versuch, Transparenz zu gewährleisten, war Zeugnis der Angespanntheit der Situation innerhalb der Familie. Shisui schien diese Neuigkeit weniger zu überraschen. Selbst wenn er größtenteils versucht hatte, sich aus den Angelegenheiten des Klans herauszuhalten, war er trotzdem ein Mitglied davon. Eines, das hinter dem Erben stand, nicht dem aktuellen Oberhaupt.

»Er will euch heraushalten?«, folgerte sie nachdenklich. Es war die einzige Möglichkeit, wieso die Uchihas zu einem solchen Zeitpunkt in Streit verfallen konnten.

»Soweit wird es nicht kommen.« Itachi schloss für einen Moment die Augen, bloß um sie entschlossener als zuvor wieder zu öffnen. Sein schwarzer Blick streifte durch die Runde, ehe er an Shisui haften blieb. »Du wirst der Anführer dieser Mission sein. Ich vertraue auf deine Kompetenz, Intelligenz und Integrität. Triff Entscheidungen nach deinen Maßstäben, nicht nach meinen. Du weißt alles Nötige über diese Mission, den Rest überlasse ich dir. Yūgao, ich zähle darauf, dass du ihn im Zaum hältst. Yamanaka-san, danke für deine Bereitschaft, dich dieser Gefahr auszusetzen.«

»Ich werde euch nicht enttäuschen«, versprach Ino, faltete ihre Hände und deutete eine respektvolle Verbeugung an.

»Dann los.«
 

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Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Sakura sich aus Sasukes Zimmer schlich. Diesmal waren es nicht Narutos Schnarchen und Sasukes träumerische Schimpftiraden gewesen, die sie wachgehalten hatten, nachdem sie Mikotos Gastfreundschaft zum wiederholten Mal schamlos ausgenutzt hatte. Immer und Immer wieder hatte sie versucht zu verstehen, was dieser Krieg für sie bedeutete. Die Antwort war ernüchternd.

Nichts.

Sie gewann dadurch nichts, das sie nicht gehabt hatte. Im Gegenteil; dieser Krieg würde ihr vielleicht Freunde rauben, Hoffnung und Glauben. Auf ihren Missionen hatte sie die Bösen getötet. Schwerverbrecher, Abtrünnige, Kriminelle. Sie war stets darauf bedacht gewesen, keine Kollateralschäden zu verursachen. Damit war es vorbei. Genau wie sie und ihre Kameraden, waren auch die Ninjas aus Iwa und Kiri nicht schuldig. Und doch würde man sich auf beiden Seiten achtlos auf diesen Umstand niedermetzeln, bis nichts mehr stand. Wie lange würde es dauern, um die Armeen auszurotten? Durch die Ernennungen in den Jōninrang hatte niemand die geringste Ahnung, welche Schlaggewalten aufeinander treffen würden.

Noch nie war die Chance zu sterben so real wie jetzt. Allgegenwärtig.

Darum trieb es Sakura früh aus dem Bett. Lautlos tapste sie den Flur entlang, um ihre spärliche Morgentoilette zu erledigen, wobei sie einen Blick in Itachis Zimmer riskierte, das ordentlich und verwaist so tat, als wohne niemand hier, und schlich sich danach aus dem Uchihaviertel. Wann immer Itachi aufgestanden sein mochte, sehr viel früher als sie konnte es nicht gewesen sein. Die Straßen waren menschenleer, nicht einmal die schlimmsten Frühaufsteher regten sich. Es war die ideale Zeit, ihrer Lehrmeisterin einen unangemeldeten Besuch abzustatten und sich unbemerkt von fremden Augen der stummen Verzweiflung hinzugeben, wie sie es seit Wochen pflegte.

Tsunades Suite wirkte aufgeräumt und steril. Eine Blume stand in einer Vase. Vermutlich war Jiraiya hier gewesen. Das Blümchen wirkte vertrocknet; kein Wunder. Der letzte wandelnde Sannin hatte in der Krisenzeit Wichtigeres zu tun als seiner ehemaligen Teamkameradin jeden Tag einen Besuch abzustatten. Sakura fühlte sich schuldig. Sie hatte weit weniger zu tun, dennoch hatte sie die Frau, die mehr Mutter für sie war als die Frau, die sie geboren hatte, bislang erst dreimal seit dem Überfall auf Konoha besucht. In diesem Wissen ergriff Sakuras das Klemmbrett, auf dem die aktuellsten Werte von Tsunades Vitalfunktionen verzeichnet hatte. Die Messungen waren neun Stunden alt. Hoffnungslos blätterte sie durch die Tabellen darunter, bloß um festzustellen, was sie befürchtet hatte: Tsunades Werte waren über die letzten Tage stabil gewesen. Die besten Chancen, nach einem schweren Trauma aus einem Koma zu erwachen, hatte der Patient kurz vor seiner vollständigen Genesung, wenn der Körper es nicht mehr für notwendig befand, das Bewusstsein von der Physis zu trennen. Der Heilungsprozess dieser besonderen Patientin war bereits weit vorangeschritten. Das Problem war, dass ihre Vitalfunktionen keinen Schwankungen mehr unterlagen. Sie waren kontinuierlich auf einem annehmbaren Level, bloß der Chakrawert war kaum vorhanden. Tsunade besaß fürwahr eine Menge Chakra, dies täuschte leider nicht darüber hinweg, dass es sich zumindest teilweise über die letzten Wochen regeneriert haben müsste.

Sakura ließ sich mit dem Klemmbrett auf den Besucherstuhl am Krankenbett nieder, um die Checkliste abzuhaken. Wenn sie schon hier war, konnte sie auch arbeiten. Gewissenhaft überprüfte sie die Infusionen. Welche Schwester auch immer sie gelegt hatte, sie hatte Lob verdient. Die Versorgung der Hokage hätte nicht besser sein können, was leider nur geringen Trost spendete.

Dann zuckte etwas in Tsunades Gesicht.

Die Gelegenheiten, in denen das Gesicht der Frau fortgeschrittenen Alters Falten zeigte, waren rar, weswegen es schwierig war, unter den Furchen Reaktionen auszumachen. Aber sie war da gewesen: eine kleine Bewegung ihres Mundwinkels. Sakura fuhr auf, das Klemmbrett achtlos auf den Nachttisch werfend, und beugte sich über ihre Meisterin. Sie war keine Expertin für Aufwachphasen nach einem Tiefenkoma, doch ihre Grundausbildung darin ließ sie den erstbesten Stift greifen, den sie fand. Mit der Spitze streifte sie Tsunades Nase, nur hauchzart, als würde eine Fliege darüber wandern. Das zweite Zucken war von einem Rümpfen der Nasenspitze begleitet. Dies war, auf was Sakura abgezielt hatte: kein willkürlicher Nervenimpuls, sondern eine vom Gehirn in Auftrag gegebene Reaktion auf einen äußeren Reiz! Vollgepumpt mit Adrenalin hämmerte sie auf den roten Knopf über dem Bett, auf dessen Geheiß hin eine schlaftrunkene Nachtschwester ins Zimmer getaumelt kam, aschfahl, weil seit Tsunades Einlieferung noch niemand diesen Alarm getätigt hatte.

»Holen Sie Shizune!«, herrschte Sakura sie hektisch an. Die nicht minder aufgeregte Schwester mittleren Alters erstieß sich über ihre eigenen Füße, als sie sich umdrehte und den Gang entlang Richtung Shizunes Büro preschte. Ihre Schritte verhallten im stillen Gang, der leer und unwirklich wirkte, als Sakura der Nachtschwester nachsah, um ihre Paranoia zu tilgen. Sie wusste, welch großer Dorn Tsunade in Danzōs Augen war.

Immer noch in Ekstase stürzte Sakura zurück in das Krankenzimmer, in dem einer der vier Monitore Unregelmäßigkeiten anhand aufgeregter Pieptöne signalisierte. Sie überprüfte mit flinken Fingern die Versorgungsschläuche, den Blick hektisch zwischen den Gerätschaften und der Patientin wechselnd, um ja keine Bewegung beider Parteien zu übersehen. Die eng beieinanderliegenden Ausschläge flauten zu ihrer großen Erleichterung schnell ab. Hypersensibilität auf externe Reize? Es war kein Wunder, dass die Synapsen nach ihrer Reaktivierung eine grenzwertig niedrige Reizschwelle hatten. Sicherheitshalber notierte sie diesen Umstand auf dem Klemmbrett. Ein anderes Piepen erlahmte nicht so schnell.

»Was zum …?«, hauchte sie, befestigte die Akte am Fußende und tastete sich am Rand des Bettes entlang zu einem anderen Monitor. Sie las die grünen Lettern, die eine wohlbekannte Abkürzung ergaben. EKG.

Dann brach die Hölle los.

Sakura schmetterte ihre Handfläche auf den Schwesternknopf, diesmal mehrmals hintereinander, drei Mal kurz, einmal lang; der interne Code Zero. In ihren Ohren rauschte Blut, als sie sämtliche Infusionen bar jeder Rücksicht aus Tsunades Körper zog. Ihr war egal, dass Blut die Fliesen zu ihren Füßen bespritzte, ebenso ihre eigene Zivilkleidung, deren Ärmel sie beiläufig nach oben schob. Das erste Notfallteam kam in den Raum gestolpert, bewaffnet mit allen obligatorischen Ausrüstungen.

»Haruno-sensei!«, nannte der leitende Oberarzt überrascht ihren Namen. Sakura stand bereits über das Krankenbett gebeugt.

»Helfen Sie mir, Tsunade-samas Körper von allen Kabeln und Elektroden zu trennen!«

Während die begleitenden Schwestern an das Bett eilten, verharrte der Arzt in seiner Position zwischen Tür und Angel. »Sie kappen damit jede Zufuhr lebenswichtiger Nährstoffe!«

»Sie war bei Bewusstsein!«, fauchte Sakura. Ihre Finger werkten in geschäftiger Hektik an den komplizierten Verkabelungen. »Die erste physische Reaktion auf einen externen Reiz trat vor wenigen Minuten auf. Ihre Vitalfunktionen waren bis dahin stabil, aber nun hat sich etwas verändert. Vielleicht ein Nervengift, das durch die erwachten Synapsen im Gehirn über Semiochemikalien weitertransportiert wird. Verstehen Sie, was das bedeutet?«

»Ein Pneumothorax! Ihre Lunge kollabiert!« Es war Shizune, die den störrischen Arzt mit unordentlichem Haar und einem kräftigen Ruck beseite stieß, über ihrem Pyjama ein verknitterter weißer Kittel. Sie trat unter drängendem Alarm der Überwachungsgeräte in die Lücke, die die beiden Schwestern zwischen ihnen geschaffen hatten. Wendig und routiniert half sie Sakura dabei, die Infusionen fachmännisch, aber schnell zu lösen. »Orochimaru hatte schon immer eine Vorliebe für sonderbare Gifte. Es überrascht mich kaum, dass er für seinen Feldzug gegen Konoha den dramatischen Weg gewählt hat. Sakura.« Sie blickte auf, ihre entschlossenen schwarzen Augen blitzen im aufgehenden Licht der Morgensonne. »Wir konnten sie auf ihrem Schlachtfeld nicht retten. Gerade darum werden wir sie nun nicht auf unserem sterben lassen. Ich zähle auf dich.«

Sakura nickte. »Gut. Was sollen wir tun?«

»Wir müssen den Druck aus ihren Lungen lassen, ohne sie dabei zu perforieren«, erklärte Shizune. »Ich habe noch nie in einem akuten Fall mit dieser Methode gearbeitet, aber wenn wir es schaffen, das ganze System zu stabilisieren, müsste sich der Druck nach außen legen. Welche Organe haben den stabilsten Langzeitwert?«

»Die Nieren«, antwortete die Nachtschwester, die sie geholt hatte. Sie stand dicht neben Sakura auf der anderen Seite des Bettes, in dem Tsunades Oberkörper schlagartig nach oben zuckte.

»Halten Sie sie nach unten gedrückt!«, befahl Sakura. Es gab nur eine Methode, für die Shizune Werte außer denen des kritischen Organs erfragen würde. »Shizune, du bist verrückt! Wie soll das funktionieren? Wir haben weder die Zeit, noch das Equipment dafür! Stell dir vor –«

»Jetzt ist keine Zeit zum Zweifeln«, herrschte Shizune sie zähnebleckend an. »Wir schädigen die rechte Niere. Die punktuelle Läsion wird eine temporäre Dysfunktion auslösen. Um den Blutdruck wiederherzustellen, werden die umliegenden Organellen den überschüssigen Druck am Lungenstamm über die Lungenaorta zu den Nieren leiten. Denkst du, du schaffst das?«

Sakura sah sie entgeistert an. »Ich?!«, stieß sie entsetzt aus. Sie hätte argumentieren können, dass sie noch nicht erfahren genug war, ungeübt im Verursachen absichtlicher Läsion … wenn sie Zeit dafür gefunden hätte. Sie hatte instinktiv Chakra in Tsunades System geleitet, um die Vitalfunktionen gegebenenfalls auch ohne die lästigen Monitore überwachen zu können. Darum spürte sie, wie der Druck stetig zunahm. Bald würde er eine Perforation verursachen und die Lungenflügel würden kollabieren. Ein sicheres Ende.

»Sakura!«, schrie Shizune sie an.

»Ja doch!« Nun war nicht die Zeit für Panik. »Ach, Scheiße verdammt, Shizune, das wirst du mir büßen! Sie«, blaffte sie eine der Schwestern neben Shizune an, »Drücken Sie die linke Schulter der Patientin so fest Sie können auf die Matratze! Seien Sie nicht zimperlich, selbst wenn Sie ihr das Schlüsselbein brechen müssen! Sie dort fixieren die rechte Schulter und Sie setzen sich auf ihre Beine!« Sie schickte ein Stoßgebet in den Himmel. Alle Kami, die ihr gerade zusahen, mögen Erbarmen zeigen und sie ihre Lehrerin nicht umbringen lassen.

»Bereit?«, fragte Shizune obligatorisch. Der sturköpfige Arzt war der einzige, der Missfallen über ihr Vorhaben äußerte, dennoch half er mit, indem er sein ganzes Gewicht auf Tsunades Knie gestützt hielt. »Auf drei! Eins, zwei, drei

Sakura hatte noch nie absichtlich etwas mit einer Heiljutsu zerstört. Sie war nicht so naiv zu denken, Shōsen no Jutsu sei bloß zum Heilen da. Man konnte mit medizinischem Chakra allerhand Unfug im menschlichen Körper anstellen. Nervenbahnen zerstören, Rezeptoren verbrennen, neuronale Plastizität lenken oder auch Neurotransmitter umkodieren. Sie wollte niemals eine Iryōnin sein, die ihre Fähigkeit zu heilen für die Schädigung des menschlichen Körpers missbrauchen wollte. Einen Menschen zu Brei zu zerschlagen war eine Sache. Sich hinterlistig in seinen Kreislauf schleichen, um dort rigoros auszuräumen, eine ganz andere. Dementsprechende Schuldgefühle hatte sie, als sie einen geschärften Strahl Chakra durch eine Niere jagte, die unter der schneidenden Attacke zusammenbrach. Nur ein kleiner Riss in einem der Markkegel sorgte für eine gewaltige Umverteilung körperlicher Ressourcen. Sie spürte, wie Blut durch Tsunades Arterien hin zu der Stelle des Gebrechens schoss, wie der gesteigerte Puls gegen den Rippenkäfig hämmerte. Unter seiner humanen Last bäumte der kranke Körper sich auf. Nur mit Mühe gelang es den Schwestern und dem Arzt, ihn eben zu halten. Sakura würde die Niere heilen, sollte sich Tsunades Zustand nicht gleich stabilisieren. Irgendwo weit weg spürte sie vertrautes Chakra.

»Halten«, befahl Shizune ihr, während sie ohne Rücksicht auf Verluste Chakrawogen durch Tsunades Körper schickte. Sakura erkannte, was sie vorhatte. Eine schlichte Spontanheilung, um alle Mängel gleichzeitig auszumerzen. Sie wussten nicht, was die Ursache für den drohenden Kollaps der Lunge war, was diesen Weg zum effektivsten machte. Sakura stimmte in den Heilkanon ein, der Tsunade überschwappte. Nun, da sie sich nicht mehr auf den physischen Teil konzentrierte, spürte sie die Anomalie. Das Keirakukei der Sannin hatte sich noch nie so leer angefühlt. Es war nicht verwunderlich, dass ein Shinobikörper lange brauchte, um nach dem praktisch vollständigem Aufbrauch aller Chakraressourcen die nötigen Energiereserven wieder aufzubauen. Vor allem, wenn der Körper lieber damit beschäftigt war, nicht zu sterben. Ein Kampf, für den sämtliche spärliche neugebildeten Energien aufgewendet worden waren.

»Wir füllen es auf«, entschied Sakura. Shizune nickte nicht nur, weil sie dasselbe vorgehabt hatte. Die Idee war Gold wert – Leben wert. Zusammen schickten sie gebündeltes Chakra in das leere System, wo es in den verstaubten Kanälen herumfuhrwerkte, bis die klaffenden Lücken gestopft waren.

Tsunades Körper hörte auf, sich aufzubäumen. Ihre menschlichen Halterungen hielten ihre Positionen vorsichtshalber noch etliche Sekunden aufrecht, ehe Shizune ihnen bedeutete, dass es geschafft war. Schweißtropfen standen ihnen auf der Stirn, den Armen und im Nacken. eine Strähne fiel Sakura vor die Augen. Sie pustete sie aus dem Gesicht, mit ihr verschwanden die Schuldgefühle. Es war gut, dass sie dagewesen war. Dass sie alle dagewesen waren. Und sie musste zugeben, dass die zerstörerische Macht, die Iryōnin oft ganz unbewusst in den Händen hielten, berauschend war. Sich vorzustellen, wie sie das gesamte humane Zellgefüge so auf den Kopf stellen konnte, dass man am Ende nicht einmal mehr anhand seiner DNS erkennen könnte, wen sie zerstückelt hatte, war ein Gefühl, das ihr aufgeregtes Kribbeln in den Fingern verschaffte. Doch sie war viel zu erschöpft, um sich damit auseinanderzusetzen. Sobald das Adrenalin aus ihrem Körper gewichen war, würde sie hoffentlich keinen Gedanken mehr daran verschwenden.

Blutig und schweißgebadet mit einem Muskelkater sank sie erleichtert auf der Bank an der Wand nieder. Shizune hatte das Notfallteam damit beauftragt, angepasste Infusionen zu legen und sauber zu machen. Sie ließ sich nicht minder blutig und schweißgebadet neben Sakura nieder. Auf ihren Lippen war ein Lächeln. »Ich werde sie in den ersten kritischen achtundvierzig Stunden rund um die Uhr im Auge behalten. Das Komateam ist bereits verständigt. Sie können immer noch nicht fassen, was geschehen ist.«

»Wieso ich?«, fragte Sakura. Ihre Aufmerksamkeit galt der weiß gekachelten Decke über ihr.

Shizunes Hand auf ihrer Schulter spendete Wärme und Trost. »Tsunade-sama nahm mich als ihre Schülerin auf, weil sie sich schuldig fühlte, meinen Onkel nicht gerettet haben zu können. Es war ihre Art, um Vergebung zu bitten. Sie machte mich zu einer sehr guten Iryōnin, so wie sie jeden anderen dazu gemacht hätte. Doch du, Sakura, hast das Talent großartig zu werden. Als du sie anflehtest, ihre Schülerin zu werden, sagte sie zu mir, dass du es eines Tages sein würdest, die sie überträfe. In jeder Hinsicht.«

Sakura lachte rau. »Großartig, hm?«, wiederholte sie ironisch und legte ihre Fingerspitzen an die feuchte Stirn. »Sie hatte schon immer einen Hang zum Drama.«
 

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Es war weniger ein einzelnes Mitglied von Akatsuki denn einem ganzen Lager verschiedenster Ninjas, das drei Konohanin aus dem Schutz eines Hügels aus beobachten konnten.

Die Umgebung hatte sich seit ihrer letzten Durchreise kaum verändert; die Berge, zwischen denen der abgerundete Pass führte, waren rau wie eh und je und von der Klippe hatte man einen perfekten Blick auf das durch Umwelteinflüsse ausgehobene Becken, das einem abgesenktem Plateau glich, zu dem man über eine enge Schlucht Zugang hatte. Bloß, dass der feuchte Boden des Beckens nicht wie gewohnt von Moos überzogen, sondern von Miliz überwuchert war. Shisui konnte die Jutsu spüren, zumindest das pulsierende Chakra, das man dafür aufgewendet hatte.

»Was denkst du tun sie dort?«, wisperte Yūgao. Sie lag neben ihm flach auf dem Bauch inmitten eines ausgemergelten Busches. Sie versuchte den Kopf über die Klippe zu heben, um bessere Sicht auf das Geschehen unter ihr zu haben.

»Wie es aussieht, ist es eine Art Kuchiyose no Jutsu, bis auf dass sie nichts zu beschwören scheint. Ich habe keinen blassen Schimmer, weshalb sie aktiviert wurde. Warten wir, bis Ino-chan in ihren Körper zurückkehrt, dann wissen wir mehr.«

Yūgao sah ihn von der Seite an. »Ino-chan?«

Er erwiderte den Blick unberührt. »Ich pflege ein persönliches Verhältnis zu meinen Teamkameraden, Yūgao.« Seine Erklärung war dürftig, ebenso das Versöhnungsangebot, in dem er ihren Namen ohne Suffix sagte. Wenn es sie störte, ließ sie sich nichts anmerken. Shisui war froh darüber, nicht weiter über die Auswahl seiner Verniedlichungen diskutieren zu müssen. Es war immerhin Yūgao, mit der er sprach. Natürlich hatte es ihn gestört, sie mit Genma vorgefunden zu haben – immerhin waren sie Teamkameraden! Er sorgte sich um ihr Wohl. Jeder wusste, dass Genma eine äußerst verstrickte Beziehung mit Shizune pflegte. Dann war da noch die unbestreitbare Tatsache, dass Yūgao eben Yūgao war. Natürlich war sie eine Frau. Aber irgendwie war sie immer … einfach Yūgao gewesen. Von allem ein bisschen und doch nichts Konkretes.

»Spiel nur nicht mit ihr«, sagte sie plötzlich leise. Ihr Blick glitt zu Yamanaka Inoichis Tochter, deren bewusstseinsloser Körper neben ihr lag. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Die anderen Frauen, die nach eurer Trennung in der Hoffnung, ich könne dich beeinflussen, zu mir kamen, waren schon schwer genug abzuwehren. Ich würde dich nur ungerne zerhacken, weil du mir dieses blonde Gift auf den Hals gehetzt hast.«

»Wir sprechen von Yamanaka Ino«, korrigierte Shisui grinsend. »Sie würde mich zerfleischen, ehe ich mich von ihr trennen könnte. Von ihrem Vater ganz zu schweigen. Nur nebenbei erwähnt, ich habe nicht vor, mit einer zehn Jahre jüngeren Blondine etwas anzufangen. Falls es dich interessiert.«

»Tut es nicht.«

»Wenn du meinst …« Er ließ die Worte ausklingen, als besagte Blondine sich im unbequemen Dickicht regte. Hinter ihr landete der Falke, der bis zu dem Beginn ihrer Shintenshin no Jutsu keine Minute von ihrer Seite gewichen war. Soweit er es mitbekommen hatte, war er eine Art Ninken. Benommen strich sie sich eine blonde Strähne hinters Ohr und manövrierte sich in eine erträglichere Liegeposition. »Was hast du herausgefunden?«

»Nicht so viel wie ich wollte«, erstattete Ino ihren spärlichen Bericht. »Aus der Vogelperspektive konnte ich etwa zwei Dutzend Ninjas ausmachen, alle bewaffnet. Ihre Chakralevel sind in etwa gleichstark, was mich zu dem Schluss bringt, dass sie denselben Rang haben. Sollte es einen Operationsleiter geben, ist er nicht anwesend oder hält sich versteckt. Nichts deutet darauf hin, dass Akatsuki mitmischt. Ich konnte auf Versorgungskisten Kirigakure no Satos Wappen erkennen.«

»Terumī Mei also.« Shisui legte die Stirn in Falten. »Ich hätte mein letztes Hemd darauf verwettet, dass Akatsuki dahintersteckt, um unsere Ressourcen auszukundschaften.«

»Vielleicht ist die Wette noch nicht verloren«, vermutete Yūgao konzentriert auf die Szene unter ihr blickend. »Die Mizukage ist eine leichtgläubige Marionette von Akatsuki, hauptsächlich diesem Mann namens Pain und seiner Gefährtin. Es könnte mehr dahinter stecken.«

»Oder weniger«, warf er ein. »So kurz vor dem Aufmarsch über zwanzig überdurchschnittliche Chūnin auszuschicken, bloß um in Erfahrung zu bringen, was ohnedies irrelevant ist, macht keinen Sinn.«

Ino schob einen Zweig beiseite. »Eine Falle?«

Schweigen legte sich über das Trio. Jeder rechnete für sich alle ihm logisch erscheinenden Möglichkeiten durch, bis Shisui die Sharingan deaktivierte und kopfschüttelnd zum Rückzug ansetzte. »Eher ein Manöver. Oder … womöglich haben wir den falschen Ansatz. Ja. Ja, das wäre möglich.«

»Würdest du uns aufklären, Shisui?« Die Kenjutsuspezialistin reckte neugierig das Kinn nach vorne. Die Antwort blieb er ihr vorerst schuldig, während sie sich langsam durch das Unterholz des Bergwaldes ins bewaldete Innere zurückzogen. Zwischen drei Bäumen richtete Shisui sich auf, nachdenklich gen Himmel starrend. Die Fakten waren eindeutig, doch was bedeuteten sie? Was hätte Itachi vermutet?

Er schob diesen Gedanken beiseite. Itachi war nicht hier und er besaß bei weitem nicht dessen Maß an geistiger Brillanz, um sich in das abstrakte Denken eines perfekten Logikers hineinversetzen zu können. Wenn es nach ihm ging, war es auch gar nicht notwendig. Vielleicht war alles viel einfacher als gedacht. Er hatte viele Möglichkeiten in Betracht gezogen: Chūnin, die da waren, um die halbautomatische Jutsu mit Chakra zu speisen, oder als Wächter, um sie vor fremden Blicken zu schützen. Die Frage lautete: was bewirkte die Jutsu? War sie passiv oder aktiv, konnte sie der Allianz schaden oder ihren Feinden helfen? »Aber vielleicht ist die Frage nach dem 'Was?' gar nicht so wichtig.«

»Was meinst du?«, hakte Ino nach, die ihre Arme um sich geschlungen hatte. Es war kalt hier oben auf neunhundert Metern Seehöhe, wo der Frühling noch keinen Einzug gehalten hatte. Ein weiterer Punkt, der seine Annahme unterstützte.

»Wir können unmöglich herausfinden, was sie beschwören. Nur eines wissen wir mit Sicherheit: sie provozieren.« Ja, er war sich sicher. Dies war eine Provokation. »Akatsuki hält die Fäden immer noch in der Hand, genau wie du sagtest, Yūgao. Ich denke nicht, dass Kiri wirklich etwas damit zu tun hat. Akatsuki hat kein richtiges Interesse an diesem Krieg. Sie fädelten ihn ein, um etwas viel Höhergestelltes zu erreichen. Aber nun haben sie keine Lust mehr, das stille Wettrüsten der Nationen mit zu verfolgen. Sie sind das Warten leid, darum inszenieren sie eine kritische Situation, um uns aus der Reserve zu locken.«

»Akatsuki lenkt die Allianz zum Anfang des Krieges? Das ist doch widersinnig«, warf Yūgao kopfschüttelnd ein. »Kiri, Ame und Iwa stehen unter ihrer Kontrolle. Wenn sie den Krieg beginnen möchte, wieso greifen sie nicht alle einfach an?«

»Sie wollen die letzten verbleibenden Jinchūriki, verstehst du?« Aufgeregt nahm er seine Teamkameradin bei den Schultern. Er hoffte, dass sie in seinen Augen ablesen konnte, wie sehr er Recht hatte, auch ohne Akatsukis Strippenzieher zu kennen. Er konnte sie nicht in das tiefste Geheimnis des Klans einweihen. »Du weißt nicht, was hinter dem Ganzen steht, also vertraue mir bitte. Wir verschwenden hier unsere Zeit, Yūgao. Es bringt Akatsuki nichts, die Allianz getrennt anzugreifen. Ihre Armee ist stark genug, um es mit ihrer geballten Schlagkraft aufnehmen zu können. Wieso sich aufteilen und eine Niederlage riskieren, wenn man beide Bijū auf einen Fleck bekommen kann, in dem man irgendetwas tut, das Misstrauen in unseren Reihen erregt? Sie zählen darauf, dass wir Späher entsenden, um –«

Er brach ab, die Sharingan einsatzbereit aktiviert. Ein Luftzug hatte seinen Nacken gestreift wie die Vorwehe eines Hinterhalts.

»Um was?«, dränge Ino ungeduldig. Yūgao zückte neben ihr mit einer geschmeidigen Bewegung ihr Katana, dessen Klinge in der untergehenden Abendsonne bedrohlich aufblitzte.

»Um ein Exempel zu statuieren!«, brüllte Yūgao und ging mit einem wuchtigen Satz auf den Mann los, der hinter Shisui aufgetaucht war. Ihre geschärfte Klinge durchbohrte seinen Brustkorb, Blut bespritzte ihre wütende Grimasse darüber, dass man sie in einen so banalen Hinterhalt gelockt hatte. Nun gab es keinen Zweifel mehr: man wollte den Spähtrupp töten, ausweiden und Konoha als nettes Präsent schicken, um den finalen Showdown zu provozieren. Shisui verzog seine schmalen Lippen zu einer angriffslustigen Linie. Die Kirinin hatten bloß einen Fehler gemacht: er konnte nicht für Inos Fähigkeiten sprechen, doch Yūgao und er waren gewiss alles, bloß kein normaler Spähtrupp.

»Katon!«, brüllte er über die Köpfe seiner Mitstreiter hinweg, die blitzschnell in Deckung gingen. Etwas explodierte hinter dem Kirinin, das ganz bestimmt nicht zu der Feuertechnik gehörte. Shisui hielt inne, ein Fetzen Kibakufuda segelte vor seinen Augen gen Boden, wo er zu Arsche zerfiel. Die Erschütterung, die folgte, kam einem mittelstarken Erdbeben gleich. Felsen lösten sich vom Gipfel des Berges, kullerten nach unten und bäumten sich zu einer unüberwindbaren Mauer auf. Der Mistkerl hatte den Weg verbaut, von dem sie gekommen waren! Er hatte sie definitiv bereits vor seinem Auftritt entdeckt. Shisui ließ sich nicht beirren. Die Flammen in seinem Mund schwollen zu Hitze an, die nach außen drängte. »Hōsenka no Jutsu!« Ein gutes Dutzend Feuerbälle entkam seinem Mund. Sie flogen unter lautem Knistern auf den Angreifer zu, versengten die umliegenden Pflanzen und schlugen mit lautem Zischen ein. Wo der Rauch des Aufschlages sich lichtete, wurden knöcheltiefe Krater sichtbar. In ihnen gloste verbranntes Fleisch.

»Das nenne ich Feuerwerk …«, staunte Ino. Yūgao war weniger beeindruckt. Sie deutete auf das Lager unter ihnen. In ihm war helles Chaos ausgebrochen.

»Du hast ihn zwar verbraten, dafür sind nun alle anderen auf uns aufmerksam geworden.«

Shisui zuckte die Schultern. »Der Kirinin gab unsere Koordinaten bestimmt weiter, ehe er sich uns zeigte. Wenn wir schon dabei sind, seit wann scheut dein Kampfgeist vor einem guten Gemetzel zurück, Yūgao-tan?«

Sie zischte gespielt abfällig. »Eine Herausforderung? Fein, wie du willst. Unser Fluchtweg ist abgeschnitten, also bleibt uns wohl nur die Flucht nach vorne.«

»Yamanaka«, befahl Shisui an die blonde Chūnin gerichtet, »Du hältst dich westlich und versuchst eine Nachricht nach Konoha zu schicken. Ich hoffe, dein kleiner Kautz –«

»Sie ist ein Habicht!«

»– hat eine gute Orientierung. Wir versuchen dir Zeit zu verschaffen. Die Nachricht hat oberste Priorität. Sollten wir sterben, soll Konoha zumindest unsere Informationen bekommen.«

»Und dann?«, fragte sie panisch. Ihr schien der Plan nicht sehr zu gefallen. Hinter ihr ertönte Kampfgebrüll bewaffneter Ninjas, die ungeübt aber viel zu schnell den steilen Bergpfad erklommen, der das Becken mit dem Plateau verband.

»Dann versuchen wir nicht zu sterben.«

Ino stieß angesichts dieser nüchternen Antwort einen Laut der Entrüstung aus. Ihr Gesicht war kalkweiß, ihre Finger zitterten, dennoch versuchte sie ihr Nicken entschlossen aussehen zu lassen. »Verstanden. Soya wird den Weg nach Konoha sicherlich –« Sie hatte keine Zeit für die Komplettierung ihres Satzes, ebenso wenig wie Shisui Zeit hatte, sich über den dämlichen Namen des Habichts lustig zu machen. Die Kirinin waren zu nahe, als dass Shisui und Yūgao weiter tatenlos herumstehen hätten können. Zusammen warfen sie sich mit aller Kraft nach vorne – die Kenjutsukunoichi mit zwei gezückten Schwertern, der Uchiha mit aktiviertem Kekkei Genkei – mitten in die brüllende Horde. Shisui konnte mit prüfendem Seitenblick sehen, wie Ino sich seinem Befehl beugte. Sie visierte die Westseite an, um ein paar hundert Meter in den Wald zu flüchten. Er und Yūgao versuchten die nachdrängenden Kirinin abzuwehren.

Sie waren in der Tat besser als erwartet. Während seine langjährige Partnerin mit sieben Taijutsunutzern einen Kampf um Schnelligkeit ausfocht, war es an ihm, den Rest der Kohorte in Schach zu halten. Neun hielten ihn umzingelt, weitere zehn versuchten ihn großräumig zu umschiffen, um der Schriftführerin nachzusetzen. Nicht jetzt. Nicht mit ihm. Mit einem runden Taijutsutritt verschaffte er sich eine Lücke in dem Kreis um ihn, durch die er drei Kunai schoss. Sie schossen durch die von Kampfgeschrei erfüllte Luft, verfehlten ihre Ziele jedoch knapp.

»Weiter!«, rief der Frontmann der zehnköpfigen Gruppe. Just in diesem Moment verfing er sich in den dünnen Fäden, die von den Kunai vor ihm gespannt worden waren. Seine Kameraden waren dicht hinter ihm, sodass sie nicht mehr ausweichen konnten. Sie versuchten zu bremsen, traten fehl und verhedderten sich ebenso verfänglich in dem dreispännigen Netz. All das hatte Shisui aufgrund der nervigen Notwendigkeit konzentrierter aktiver Verteidigung gegen den Rest seiner aktuellen Gegner nicht mit verfolgen können. Er spürte nur die Spannung der Fäden, deren Enden in seiner Hand zusammenliefen. Siegessicher zurrte er sie fest, schickte zur Ablenkung einen Feuerball aus und setzte zur nächsten Jutsu an.

»Katon! Ryūka no Jutsu!«

Die blutroten Flammen, die die Szenerie erhellten, waren beinahe so majestätisch wie die goldglänzende Sonne, die sich über ihren Köpfen zum Sinkflug geneigt hatte. Sie züngelten in schmalen Striemen die Fäden entlang, unschuldig dünn und kraftlos, ehe sie auf ihren Zielen mit einem Knall explodierten. Yūgao musste ihre Augen schützen, um nicht vom gleißend hellen Licht der Explosion geblendet zu werden. Obwohl sie meterweit entfernt stand, spürte sie die tiefe Hitze die feinen Härchen an ihren Unterarmen versengen. Ihre Haut spannte sich unter dem plötzlichen Temperaturanstieg an, drohte zu verglühen, da traf ein Schlag sie in den Bauch und warf sie nach hinten. Selbst wenn sie nicht die Richtung abgeschätzt hätte, hätte sie ihre Flugbahn blind erkannt. Mit jedem Zentimeter wurde es heißer um sie herum, denn trotzdem sie sich im freien Flug nach hinten umdrehte, um Kontrolle über ihre Bewegung zu erlangen, war sie viel zu nahe an dem Feuerball, der sich immer noch wütend ausdehnte. Shisuis Schrei hallte in ihren Ohren, Inos Kreischen ebenfalls, das weit entfernt klang, aber doch ganz nah. Schweiß verklärte ihre Sicht.

Das metallische Schneiden, wann immer sie eines ihrer Schwerter aus der Scheide zog, wurde vom Lärm der Katonjutsu verschluckt. Mit aller Kraft rammte sie die Klinge in den Boden, spannte ihren Körper an und riss sich in einem fast perfekten rechten Winkel um den eigens geschaffenen Pfahl herum. Ein Stück Glut, das sich zu weit von seinem Epizentrum entfernt hatte, verrauchte auf ihrer Haut, die vom schneidenden Wind gekühlt wurde, als sie auf ihrer neuen Flugbahn Richtung Abgrund rauschte. Endlich berührten ihre Füße den Boden. Mithilfe des Widerstandes konnte sie die siebensekündige Endlosfahrt endlich beenden. Mit ihr verging die Explosion.

Konzentriert aber hektisch orientierte Yūgao sich neu. Vor ihr schlug Shisui zwei Kirinin nieder, unweit davon entfernt versuchte Ino ihren Gegner mittels dürftigster Taijutsu in die Knie zu zwingen. Wann immer sie traf, verwandelte sich der Körper des Ninjas in Wasser. Doch darum konnte Yūgao sich nun nicht kümmern. Sie spürte die stümperhaft unterdrückten Chakren von beiden Seiten auf sie zukommen, was ihr den Vorteil verschaffte, nach oben hin ausweichen zu können. Wo sie vor einem Blinzeln noch gestanden hatte, kollidierten zwei Suitontechniken, deren Tropfen ihre gerötete Haut wohltuend abkühlten. Unter ihr formten die vier letzten ihrer aktuellen Kontrahenten eine neue Jutsu. Sie waren viel zu langsam. Im freien Fall, dessen Ende sie direkt in der Mitte der vier landen ließ, fädelte sie zwei Kibakufuda aus der ledernen Aufbewahrungstasche. Ohne kraftverschwendende Kampfschreie klebte sie sie mittels Chakra am Boden fest, einen links von ihr, einen rechts, formte vier Fingerzeichen und rammte ihre Handflächen auf den Boden, auf dem der aus dem Nichts gekommene Kuchiyosekreis wadenhoch wie ein beleuchtetes Prisma aufflackerte. Die Explosionszettel fingen gleichzeitig an zu knistern, lösten eigenständig ihre Nordenden. Schnell wie sie gekommen war, sprang Yūgao über den Kopf des rechten Kirinin hinweg, geradewegs auf einen Ast zu, den sie ergriff –

Ergreifen wollte.

Sie spürte schweres Ziehen an ihrem Knöchel, doch es war zu spät. Ihre Finger verfehlten den Ast viel zu weit, als dass sie noch eine Chance gehabt hätte, der Falle, die sie gestellt hatte, eigenmächtig zu entkommen. Die Kibakufuda leuchteten weiß auf, dann taten sie, wofür sie geschrieben worden waren und Yūgao spürte zum ersten Mal die Kraft ihrer eigenen Explosion.
 

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Shisui erledigte Inos Gegner mit einem Wakizashi, als er die Chakrawoge spürte, die Yūgao immer dann aussandte, wenn sie eine höhere Explosion beschwor. Sie war ihre effektivste Waffe, möglichst viele Gegner in möglichst wenig Zeit möglichst endgültig zu vernichten. Nicht etwa metaphorisch. Es hatte selten Shinobi gegeben, die Erfahrungsberichte über das Erleben dieser speziellen Kuchiyose hätten verfassen können. Gerade noch rechtzeitig rammte er den letzten Kirinin in die Erde, um Yūgao zu Boden fallen zu sehen. Instinktiv wollte er nach vorne preschen, um sie von ihrem Angreifer zu befreien, doch es war zu spät. Er hatte noch keinen Schritt getan, als die Kibakufuda ihr Werk vollbrachten. Sie tauchten die Umgebung in erschreckend weitläufigem Radius in gleißendes Licht. Shisui deaktivierte vorsorglich seine Sharingan, um die empfindlichen visuellen Nerven nicht zu überreizen, Ino wandte sich komplett ab; ob aus Lichtempfindlichkeit oder Entsetzen war schwer zu sagen. Er selbst hatte schon viele Kameraden sterben sehen. Noch nie hatte er sich geweigert, diese Möglichkeit trotz der hohen Wahrscheinlichkeit in Betracht zu ziehen. Uzuki Yūgao konnte nicht so einfach sterben!

Die Druckwelle der Explosion ließ nach und damit ein gerodetes Feld zurück, auf dem verkohlte Leichen lagen. Durch Hitze getrocknetes Blut klebte überall. Es entstammte dem jener Körper, die es zerfetzt hatte. Shisui starrte fassungslos auf die Überbleibsel des Kampfes. Sein Körper fühlte sich taub an, wollte ihm nicht gehorchen, als er ihm befahl, auf die kläglichen Reste seiner Teamkameradin zuzugehen, die er dort vermutete, wo die Kuchiyose ein schwarzes Loch verkohlter Erde hinterlassen hatte. Darum war Ino die erste, die reagierte. Sie hatte Tränen in den Augen, doch ihre Ausbildung zur Iryōnin übernahm sofort das Kommando in ihr. Sie lief nach vorne und fiel vor einer Leiche auf die Knie. Zumindest sah es für Shisui so aus, als sei die Kunoichi, die von der Ärztin auf den Rücken gedreht wurde, tot. Alleine Inos grünglühende Handflächen rüttelten ihn aus seiner Trance. Ihre brüchige, verzweifelte Stimme tat den Rest.

»Uchiha-san! Sie lebt!«

Sofort war er bei den beiden Kunoichis, ließ sich neben ihnen nieder und nahm Yūgaos Hand. Verkohlte Haut blätterte davon ab. Er nahm es nicht wahr. Alles, was er bemerkte, war ihre flache, stoßweise Atmung. Unglaublich! Diese Frau war bei Bewusstsein!

»Sprich mit ihr!«, befahl Ino. »Frag sie irgendetwas oder erzähle ihr eine Geschichte, Hauptsache sie bleibt wach!«

»Was hast du vor?« Wenn er ehrlich war, war es eine Instinktivfrage. Eigentlich war es ihm egal, wie Ino das Leben seiner Kollegin – nein, seiner Freundin retten würde. Die Erklärung, die die Iryōnin ihm bot, flog durch seinen Kopf, ohne dass er sich auch nur eine Silbe davon gemerkt hatte.

»Sag etwas!« Diesmal war Inos Ton harscher. Shisui leistete augenblicklich Folge.

»Yūgao, hörst du mich?« Etwas Besseres fiel ihm nicht ein. In ihrem geschwärzten Gesicht konnte er nicht sehen, ob sie reagierte. Obgleich es ebenfalls zahlreiche Verbrennungen aufwies, war es wohl doch jener Teil, den sie am meisten schützen hatte können. Sie musste ihr Gesicht mit den Armen abgeschirmt haben.

»Weiter!«, fuhr Ino ihn an. Sie führte ihre Handflächen immer wieder von einem Körperteil zum nächsten. »Uchiha-san, es ist egal, was du sagst, wenn sie dadurch nur wach bleibt! Ihre inneren Organe scheinen halbwegs intakt zu sein, aber wenn sie in ein Koma fällt, stehen die Chancen schlecht, dass sie jemals wieder aufwacht! Du musst sie bei Bewusstsein halten! Hörst du?«

Diese grausame Prognose rüttelte ihn vollends wach. Mit was sollte er sie im Hier und Jetzt halten? Fieberhaft durchforstete er seine Gedanken, da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Wenn es ein Thema gab, das sie hierbehalten konnte, dann war es ihre latente Affinität zueinander. Yūgao würde sich schon alleine weigern zu sterben, um ihn für die nächsten Worte in den Hintern zu treten.

»Yūgao«, rief er, »Wenn du überlebst, gehen wir miteinander aus!«

»Vergisses …« Yūgaos Stimme war nur ein zarter Hauch, ein Röcheln durch ihre verunreinigten Lungen. Nichtsdestoweniger war es da. Hörbar. Ihre Hand drückte die seine nicht minder schwach. Sie hatte die langsam aufgeschlagenen Augen in die Abendröte gerichtet. Ihr Bewusstsein war so schwach, dass sie nichts fokussieren konnte, außer einen Gedanken: »Du beispielloser … Schwerenöter.« Dann schloss sie die Augen und ihre Hand erschlaffte.

»Yūgao! Yūgao! Verdammt, bleib hier! Ich bitte dich! Was bist du für eine Kunoichi, die an ihrer eigenen Technik krepiert?!«

»Uchiha-san …«, keuchte Ino. Schweiß, Tränen und Erschöpfung standen ihr ins Gesicht geschrieben. Ihre Hände werkten weiterhin geübt an Yūgaos Körper herum. Shisui konnte die stoßweisen Chakrainfusionen spüren, die sie entsandte.

»Ich weigere mich! Yūgao, ich weigere mich, dich sterben zu lassen! Du kannst doch nicht einfach … nicht so … das ist doch kein Ende für jemanden, der sogar jahrelang drei verrückte Uchihas überlebt hat …« Seine Augen fühlten sich feucht an. Wann hatte er das letzte Mal geweint? Ob er ebenso gerötete Lider hatte wie Ino, die sich ihre Lippe blutig gebissen hatte und nun ihr Chakra aus ihrer Patientin zog? Ihre kristallblauen Augen waren entschlossen verengt, als sie aufsah und seinen Blick suchte. Er drückte Yūgaos schlaffen Körper an sich, Tränen überströmten sein Gesicht. Ihm war egal, dass Dreck und Blut auf seinen weißen Brustpanzer übergriffen. Sie starb in seinen Armen. So durfte es nicht enden.

»Uchiha-san, wir müssen zurück nach Konoha. Schnell.«

 
 

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General Quaters

 
 

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Die Medikamente begannen zu wirken und Yūgao bäumte sich in ihrem Bett auf. Um sie herum schrien Ärzte und Schwestern wild durcheinander. Die Stimmen drangen kaum durch ihre inneren Schmerzensschreie. Wie durch zwei Zentner Watte hörte sie die Stimme der leitenden Iryōnin.

»Was ist passiert, Ino?«

»Es war nur eine Auskundschaftungsmission! Wir wurden in einen Hinterhalt gelockt!« Ino hatte ihre Shōsen no Jutsu auf Yūgaos Körper gelegt, der auf eine Rolltrage gebettet den Gang entlang in den Notoperationssaal geschoben wurde. Sie hielt perfekten Gleichschritt mit dem Tempo, das Sakura vorgab. »Uchiha-san konnte die meisten Angreifer erledigen, aber als Uzuki-san einen Explosionszettel zündete, wurde sie selbst in den Kern der Explosion gezogen! Kannst du sie retten, Sakura?« Es klang wie ein Flehen. »Bitte, Sakura!«

»Du weißt, dass wir keine Versprechungen machen«, erwiderte Sakura konzentriert. Sie hatte die oberflächlichen Wunden überprüft, die Inneren konnte sie sich erst in einem sterilen Bereich ansehen. Ihre Iryōninkameradin hatte ganze Arbeit geleistet. Die Verbrennungen waren fachmännisch versorgt, das Keirakukei fühlte sich stabil an, das Chakralevel der Patientin war überraschenderweise außerhalb des kritischen Bereiches.

Sie langten an der breiten Zweiflügeltür an, die von den beiden vorderen Assistenzärzten aufgehalten wurde, als die Rolltrage hindurch ratterte. Ino hielt dicht vor der Schwelle an, eine Hand ans Herz gelegt. Der Schweiß an ihrer Stirn war getrocknet, das Blut an ihrer Haut ebenso. Sie sah furchtbar aus. Nur die Hoffnung in ihren Augen strahlte. »Bitte«, wiederholte sie an ihre beste Freundin gewandt, die kurz hinter der roten Trennlinie angehalten hatte. »Bitte, rette sie.«

Sakura legte ihre Hände an Inos blutverkrustete Schultern. »Geh' nach Hause, Ino. Du hast hervorragende Arbeit geleistet. Falls sie überlebt, war es alleine dein Verdienst.« Sie wollte nicht dermaßen pessimistisch klingen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie selten so stabile Notfälle auf dem Operationstisch. Vielleicht hatte Ino doch mehr Talent in Heiljutsus als ihr jedermann zutraute. Die Erstversorgung war erstklassig und auch wenn Sakura es nur mit grimmigem Zischen zugeben konnte, sie hätte sie nicht besser machen können.

Sie wandte sich der zweiten Tür zu, welche die Pufferzone vom sterilen Bereich abtrennte. Hinter ihr wurde die Trenntür von den Assistenzärzten geschlossen. Aus ihrer Position sah sie nicht mehr, wie die Lampe an der äußeren Wand rot aufzuleuchten begann. Ihr Fokus lag alleine auf der Patientin, die sich in ihrem Bett gegen die helfenden Hände wehrte. Das Epinephrin, das sie zuvor injiziert hatte, würde nicht mehr lange wirken. Es bewirkte, dass die Rezeptoren, die normalerweise bei Bewusstlosigkeit ihren Dienst verweigerten, zur Arbeit gezwungen wurden. Bewusstsein zu erzwingen war eine heikle Sache, doch es war die einzige Möglichkeit, Yūgao zu retten. Der systolische Blutdruck, die Herzfrequenz und die Tenketsu mussten auf ihrem natürlichen Niveau arbeiten, um die dermale Rekonstruktion möglichst risikofrei verantworten zu können.

»Lösen Sie die Umschläge vom Hals- und Brustbereich«, befahl Sakura den beiden fähigsten verfügbaren Assistenzärzten. »Wir arbeiten uns von oben nach unten vor, Zentimeter für Zentimeter. Yamanaka-senseis Vorarbeit gibt uns ein wenig Spielraum, den wir für Genauigkeit nutzen werden. Ich werde von der Mitte aus die Tiefenschäden reparieren, Sie und Sie nehmen sich alles zwischen Chorium und Stratum Granulosum vor. Geizen Sie nicht mit Chakra, aber gehen Sie sorgfältig vor. Ich möchte tadellose Arbeit sehen. Sie drei –« Sie deutete auf die restlichen Ärzte. »– sind für die Nacharbeit zuständig. Sobald wir fertig sind, merzen Sie die plastischen Destruktionen der Epidermis aus. Ich möchte, dass grobe Narbenbildung verhindert wird, wo es uns möglich ist.«

»Jawohl, Haruno-sensei!«, eiferten das Verbrennungsteam im Chor.

»Dann machen wir uns an die Arbeit!«
 

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Shisui sprintete durch die Gänge. Sein Atem ging flach, stoßweise, seine Hände zitterten in den Fäusten, zu denen er sie geballt hatte. Jedes Mal, wenn die Sohle seiner Shinobistiefel auf die Fliesen traf, hallte ein repetitives Geräusch an den kahlen Wänden wider, durch die er den Flur ins Innere des Hokageturms hetzte. Sein Brustpanzer war blutbesudelt, sein Gesicht dreckig. Irgendwo auf seinem Weg durch Konoha war er Itachi begegnet, den er kommentarlos überrannt hatte. Yūgao war bereits vor den Toren von einem medizinischen Team in Empfang genommen worden, das er durch seinen geringen Vorsprung mittels Shunshin no Jutsu vor ihrer Ankunft verständigen hatte können. Er war die Strecke bis zum Hain dreimal gelaufen, ehe er sich auf den direkten Weg in das Zentrum des Dorfes begeben hatte. Seine Waden zogen kraftvoll an den überspannten Sehnen, seine Sharingan schmerzten vor Überbelastung. Er hatte sie den ganzen Sprint hindurch aktiviert gehalten, um auf alles vorbereitet zu sein. Ino war schneller als er erwartet hatte. Selbst mit der Last eines bewusstlosen – er war nicht leblos, noch nicht! – Körpers konnte sie ein ordentliches Tempo vorlegen, das er kaum zu halten vermochte, wenn sie ihn vom Krankentransport ablöste. Er hatte zu viel Chakra verbraucht. Der Lohn war eine Chance. Konohas medizinische Versorgung war erstklassig. Er durfte sich keine Sorgen mehr um sie machen. Sie war in den besten Händen.

Keuchend stieß er eine Tür im obersten Stockwerk auf. Im Büro der derzeit regierungsunfähigen Hokage hatten sich die beiden Goikenban häuslich eingerichtet. Danzō war irgendwo in ein unteres Büro verfrachtet worden, um ihm den Zugang zu geheimen Dokumenten, die in Tsunades Wirkbereich befindlich waren, zu verwehren. Dennoch – oder gerade deswegen – traf Shisui auch ihn an, als er mit reißerischem Schwung über die Schwelle stolperte.

»Hast du noch nie etwas von Anklopfen gehört, Junge?«, fauchte Utatane Koharu. In ihren Händen hielt sie einige wichtig aussehende Akten, die sie vor Danzō verstecken wollte.

»Keine Zeit … für … Förmlichkeit!« Shisui rang unter trockenem Hüsteln schwer nach Luft. Er hätte sich teleportiert, wenn er verflucht nochmal genügend Chakra dafür gehabt hätte! Dieses Bluterbe war manchmal ein Fluch! »… wurden … angegriffen!«

»Uchiha Shisui«, erkannte Homura das elende Abbild des Klanmitglieds endlich. Sofort war er alarmiert. »Wo?«

»Kitazama.«

»Kita – was hattet ihr in Kitazama verloren? Danzō, erkläre uns diesen Umstand!«, wetterte Koharu. Sie hatte die Augenbrauen über den müden alten Augen unheilvoll zusammengeschoben.

Danzō machte eine spöttische Geste. »Ich erhielt von einem Spion Informationen über eine Jutsu, die an der Grenze zu Taki no Kuni gewirkt wurde. Unsere Umstände dürften bekannt sein, deshalb entsandte ich einen Aufklärungstrupp dorthin, um ein Auge auf die Lage zu werfen. Ich hoffe, drei Paar Sharingan und ein Schwert konnten herausfinden, was es mit der Technik auf sich hat, Shisui-san?«

»Du!«, blaffte Shisui ihn an. Er tat einen weiten Schritt nach vorne und krallte seine blutverkrusteten Finger in den Kragen von Danzōs traditionellem Kimono. Mit gebieterischem Druck presste er ihn an die Wand. Seine Wut ließ ihn das Gesicht zu einer zornigen Grimasse verzerren, die Shairngan trotz Chakramangels bedrohlich glühend. Ohne nachzudenken schmetterte er seinen Unterarm gegen Danzous Kehle, um ihn an jeder noch so unwahrscheinlichen Flucht zu hindern.»War das dein Ziel? Uns in diesen ausgeklügelten Hinterhalt zu schicken?«, schrie er außer sich. Selbst die Goikenban wichen vor seiner Raserei zurück. »Jeder Späher hätte die Lage auskundschaften können, wieso wolltest du drei Uchihas schicken? Sehnst du dich so verzweifelt nach unserem Ableben, dass du die wenigen Tage bis zum großen Gemetzel nicht mehr erwarten kannst, du miese Ratte? Nenn mir einen Grund, wieso ich dich nicht mit meinen eigenen Händen auf der Stelle aufschlitzen sollte, Danzō! Das Blut, das jetzt schon an ihnen klebt, ist dein Verschulden!«

»Shisui!«

Die herrische Stimme war schneidend, aber ruhig. Zu ruhig. Shisui spürte eine Hand auf seiner Schulter, die ihn mit sanfter Bestimmtheit nach hinten zog, weg von dem Mann, den er um ein Haar gemeuchelt hätte. Auch wenn er es ihnen verbat, seine Hände lechzten noch immer nach seinem Leben.

»Sein Tod nützt niemandem etwas«, fuhr Itachi nüchtern fort, »Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.« Er wandte sich Danzō zu, der sich den geröteten Hals rieb. »Sollte es wirklich dein Plan gewesen sein, uns mit dieser geschickt eingefädelten, aber im Nachhinein reichlich verdächtigen Aktion in den Tod zu schicken, sei versichert, Danzō, dass dir kein Uchiha diesen Gefallen jemals erfüllen wird. Wir haben Wichtigeres innerhalb der Mauern zu erledigen, darum nahm ich einige Anpassungen des Teams vor. Überrascht, wie ich sehe? Dachtest du im Ernst, ich würde blindlings in deine Falle laufen?«

Shisui wusste, dass Itachis Provokation eine Lüge war. Nichts hatte er gewusst. Der einzige Grund für die Umstellung des Trupps waren die internen Spannungen des Klans gewesen. Itachi war nicht allwissend. Aber er machte es Danzō gekonnt glaubhaft.

»Du bist widerwertig und sollte ich jemals die Gelegenheit dazu haben, werde ich dich mit allem, das ich habe, bis auf den letzten Rest Knochenmehl auslöschen. Shisui!«, donnerte Itachi ungeduldig. »Ungeachtet der schäbigen Umstände, in der ihr nach Kitazama geschickt wurdet, konntet ihr etwas herausfinden. Ich möchte wissen, was!«

Shisui rüttelte sich selbst aus seiner unterschwelligen Rage, die sein Cousin für ihn fortgesetzt hatte. Danzō rieb sich noch immer die Stelle am Hals, was beiden Uchihas ein Gefühl oberflächlicher Befriedigung verschaffte. Erst die Erinnerung an Yūgaos Zustand ließ ihn den Ernst der Lage wieder ins Auge fassen. »Es war eine Falle von Seiten Kiris. Wir vermuten, dass die Jutsu eine Art Kuchiyose war, die langwelliges Chakra aussandte, um auf sich aufmerksam zu machen. Was sie beschwört oder ob sie überhaupt eine nutzbare Funktion hat, konnten wir nicht herausfinden, denn wir wurden nach der ersten Auskundschaftung von gut zwei Dutzend Kirinin angegriffen. Vermutlich auf Aktasukis Geheiß hin.«

»Sie fordern uns heraus«, folgerte Koharu sehr viel schneller als er ihr zugetraut hatte. »Sie brauchen die restlichen Bijū, derer sie sich wiederum nur im offenen Kampf der Nationen bemächtigen können. Danzō, wie steht es um die Schlagkraft unsrer Armee?«

»Ausreichend, wenn nicht sogar mehr.« Danzōs Vorfreude, mit der er diesen Satz aussprach, trief Shisui neue Wut hinauf. Er schluckte sie unter Itachis strengem Blick hinunter.

»Werden wir in den Krieg ziehen?«, fragte er, nur um Danzō nicht nochmals an die Gurgel zu gehen. Der Bastard würde seine Strafe schon früh genug erhalten. Während des eifrigen Gefechts konnte man Freund manchmal nicht von Feind unterscheiden …

»Es ist beschlossen«, entschied Homura nahezu feierlich. »Holt Hatake Kakashi, Nara Shikamaru und verständigt Sabaku no Gaara sowie Raikage-sama. Sie sollen unverzüglich ihre Strategie auf die neuen Gegebenheiten abstimmen. Geht!«

Die beiden Uchihas verließen das Büro der amtierenden Hokage zum ersten Mal ohne respektvolle Verbeugung. Shisui konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine solche Unverfrorenheit an den Tag gelegt hatte. Es gehörte sich nicht für einen ANBU, Regeln zu missachten. Andererseits war er nur einen Atemzug davon entfernt gewesen, dem General Konohas das schlagende Herz aus der Brust zu reißen. Auch dies gehörte im Normalfall nicht zum Standardverhaltensrepertoire eines ANBU. Plötzlich fand er sich mit dem Rücken gegen die Wand des verlassenen Treppenhauses gedrückt wieder. Vor ihm hatte Itachi die Hände neben sein Gesicht an das kalte Mauerwerk gestemmt.

»Was hast du dir dabei gedacht, Shisui?«

»Ich habe nicht gedacht! Ist es das, was du hören willst? Yūgao wird vielleicht sterben, weil uns dieser Scheißkerl unter einem Vorwand in ein Wespennest hat stochern lassen –«

Itachi schnitt ihm das Wort rigoros ab. »Das ist reine Spekulation! Wir wissen nicht, inwieweit er etwas damit zu tun hat! Wir werden ihn aus dem Weg räumen, wenn Zeit dafür ist und man den Klan damit nicht in Verbindung bringen kann. Tollwütig um dich zu schlagen bringt keinem etwas, schon gar nicht dir!«

Er konnte nicht glauben, was er da hörte. All die Sünden, die Danzō bereits begangen hatte, sein Hass gegen den Uchihaklan, alles war doch lächerlich gegen das, was Danzō in Wahrheit zu verantworten hatte! Ganz vordergründig, akut! »Hörst du mir eigentlich zu, Itachi?« Shisui befreite sich aus der bedrohlichen Nähe. Er war nicht gewillt, kleinbeizugeben. »Yūgao wurde von ihrer eigenen Explosion zerfetzt! Was interessieren mich diese beschissenen Intrigen, wenn der einzige Mensch, der mir außerhalb des Nachnamens Uchiha etwas bedeutet, wegen der wahnwitzigen Fehde zweier Irrer stirbt?! Hast du eine Ahnung, weshalb ich Danzō am liebsten die Kehle durchgeschnitten hätte? Er hat Yūgao auf dem Gewissen! Verdammt, Itachi, sie ist unsere Freundin!«

»Ich weiß«, antwortete Itachi knapp. »Ich habe jedes Wort davon gehört, selbst wenn du mir nicht zutraust, etwas wie Mitgefühl zu empfinden. Der Klan bedeutet mir nicht mehr als Yūgao, aber Konoha tut es. Hier geht es um die Sicherheit des Dorfes. Um unser aller Leben. Du bist ein Shinobi, Shisui, du hast längst gelernt, wie man sich in solchen Situationen verhält.«

»Würdest du dasselbe sagen, wenn er Sakura-sensei auf dem Gewissen hätte?« Shisui wusste, wie unfair seine Frage war. Alleine aufgrund der Tatsache, dass Itachi seine Antwort ihm gegenüber niemals indirekt über Ausflüchte wie 'das ist nicht dasselbe' ausweichen würde. Es war genau dasselbe. Und seinen besten Freund – seinen einzigen Freund – alleine mit der Vorstellung zu konfrontieren, er könne den einzigen Menschen, den er jemals auf romantische Weise geliebt und dessen Gefühle er im Gegenzug akzeptiert hatte, auf brutale Weise verlieren, stellte Shisui vor eine neue Sinnkrise. Er wusste, wie viel Haruno Sakura Itachi bedeutete.  Er schluckte, als er nach einer schweigsamen Pause wiederholte: »Würdest du, Itachi?«

Die Antwort kam unvermittelt. »Ja.«

Shisui ließ die Schultern nach unten fallen. War er überrascht über die Härte dieser Antwort? Wohl kaum. Es war immer noch Itachi, mit dem er sprach.

»Meine Gefühle für Sakura sind egoistischer Natur. Sie ist mir wichtig, aber ich bin ein Shinobi. Das sind wir alle. Auch Yūgao. Denkst du, sie würde dir verzeihen, wenn sie in einem Konohagakure no Sato überlebt, das aufgrund deiner Emotionen für sie in die Brüche geht?«

»Sie würde mich dafür hassen.«

Itachi nickte. »Wir werden tun, was Mitokado-sama uns aufgetragen hat. Du trommelst Nara, Kakashi-senpai und den Rest der Planer zusammen. Ich werde den Schriftverkehrt erledigen. Danach«, hielt Itachi ihn zurück, als er zum Gehen ansetzten wollte, »Gehst du zurück ins Uchihaviertel, um meinen Vater davon in Kenntnis zu setzen, dass er sich in den hintersten Winkel seiner Scheinheiligkeit verkriechen soll, wenn er weiterhin nicht vorhat, Seite an Seite mit jenen zu kämpfen, die den Klan erst zu dem gemacht haben, was er ist.«

»Und Yūgao?«

Itachi nickte. »Ich werde nach ihr sehen und dich sofort verständigen, wenn es Neuigkeiten hinsichtlich ihres Zustandes gibt. Soweit ich informiert bin, ist Sakura heute in der Klinik. Sie wird sie retten, vertraue darauf.«

Shisui hätte gerne die Zuversicht seines Captains geteilt. Er kannte Itachi lange genug, um zu wissen, dass er ein Realist war, der jeden möglichen Ausgang eines Ereignisses in Betracht zog. Entweder hatte diese Kunoichi ihm die Sinne vernebelt, oder Itachi war sich tatsächlich sicher, dass Haruno Sakura seine Teamkameradin um jeden Preis retten würde. Shisui wollte nichts lieber als dieser letzten Überlegung Glauben schenken. Er musste es einfach. Nur so konnte er auf das nächste Dach springen, zielstrebig geradeaus zum Haus der Naras.
 

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Erschöpft streifte Sakura ihren Kittel ab. Sie warf ihn achtlos in eine Ecke, wo ihn irgendwann die Putzkolonne aufsammeln würde. Die letzten zweiundfünfzig Stunden war furchtbar gewesen.

»Wie geht es ihr?« Ino stand von der gepolsterten Wartebank auf, auf der sie, statt sich auszuruhen, fünf Stunden lang gewartet hatte, bloß um diese eine Frage zu stellen. Neben ihr stand – zu Sakuras großer Überraschung – Itachi mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt.

»Den Umständen entsprechend«, antwortete Sakura bemüht, nicht müde zu klingen. Ein Fehlschlag.

»Du solltest dich ausruhen.« Es war Itachi, der ihr diesen gutgemeinten Rat gab, den sie auch befolgt hätte, wenn es in ihrem Möglichen gestanden hätte. Er ging auf sie zu und drückte sie an sich, sodass sie ihren Kopf kurzzeitig auf seiner Schulter ausruhen konnte.

»Geht es dir auch wirklich gut? Du siehst völlig erschöpft aus, Sakura«, hakte Ino weiter nach. Sie schien so sehr auf Yūgao konzentriert zu sein, dass sie den Umstand der neuen Intimität zwischen ihrer besten Freundin und dem Uchihaerben nicht mitbekam. Oder es war ihr schlichtweg egal. »Gab es Komplikationen?«

Sakura winkte ab. Itachis Stütze war Gold wert, doch sie würde nicht ewig währen. Ihre Intuition sagte ihr, dass er diesmal nicht ihretwegen hier war. »Nein. Deine Umschläge haben den Feuchtigkeitsverlust kompensiert, sodass wir nur einen minimalen Anteil abgestorbenen Gewebes fanden. Die Transplantation lief einwandfrei. Yūgao-san wird eine Menge Narben zurückbehalten. Ihr Gesicht blieb größtenteils verschont, für den Rest sieht es jedoch weniger glimpflich aus. Die Haut ihrer Unterarme ist so stark verkohlt, dass sie sich verschoben hat. Wir konnten sie zwar repositionieren, jedoch war eine Glättung unmöglich. Ihr Hals und die linke Schulter haben ähnliche Narben zu erwarten. Den Rest konnten wir wiederherstellen. Vielleicht hätten wir mehr leisten können, wenn ich die letzten achtundvierzig Stunden nicht an Tsunade-samas Krankenbett verbracht hätte, ohne zu schlafen …«

»Fang nicht so an«, bat Ino erleichtert. »Du bist eine großartige Ärztin. Seien wir froh, dass Uzuki-san lebt. Uchiha-san wird dir am dankbarsten dafür sein. Du hättest ihn sehen müssen, Sakura.« Sie schauderte und schlang die Arme um sich. »Diese Verzweiflung, diese Wut, dieser Blick, als würde er seine eigene Seele verkaufen, um sie zu retten. Es war ein furchtbares Gefühl, nicht zu wissen, ob ich in der Lage wäre, sie zu retten.«

Sakura kannte dieses Gefühl der Ungewissheit nur allzu gut. Jemanden neben sich zu haben, dessen Herz an dem Patienten hing, war ein beklemmendes Gefühl, das sie nicht gerne verspürte. Zu menschlich zu sein war fatal für Iryōnin. »Es ist alles gut gegangen, du kannst dich also entspannen. Überbring Shisui-san die Nachricht am besten sofort.«

»Das werde ich übernehmen«, mischte Itachi sich ein. »Ich musste ihm versprechen, ihn über jede Neuigkeit zu informieren.«

Ino nickte einverstanden. »Er ging zu den Goikenban, nicht wahr? Ich denke, nicht nur, weil er das Warten nicht ertragen hätte.«

»Die Goikenban haben bald nichts mehr zu melden«, meinte Sakura triumphierend. Itachi entließ sie aus seinem Griff, damit sie stolz das Kinn recken konnte. »Ich war bei Tsunade-sama, weil sie aus dem Koma erwacht ist. Sie ist noch sehr schwach und ihr Chakra muss sich erst erneuern, aber in ein paar Wochen ist sie wieder auf den Beinen. Wenn es soweit ist, kann dieser Krieg vielleicht doch –«

»Es ist zu spät«, fiel ihre Itachi ihr ins Wort. »Wir haben keine Wochen. Es ist nur mehr eine Frage von Stunden.«

»Stunden? Aber wie …«

Dass Ino sich auf die Lippe biss, anstatt gestikulierend nach Antworten zu verlangen, war ernüchternd und hinterließ ein schummriges Gefühl.

»Was ist am Kitazama-Pass passiert? Itachi?« Sakura konnte sehen, wie er mit sich haderte. Einerseits waren die Berichte, verbal oder nicht, geheim. Andererseits herrschte Ausnahmezustand im Dorf. Bloß wusste noch niemand davon. »Itachi, bitte! Ich muss es wissen!«

Die Ausweglosigkeit der Lage gab den Ausschlag. Er gab sich ob ihrer Eindringlichkeit geschlagen. Widerwillig, aber mit Versöhnlichkeit gegen sich selbst, weil er ihr zu viel verriet. »Kirigakure, vermutlich jedoch in Wahrheit Akatsuki, inszenierte ein Schauspiel, um uns auf eine falsche Fährte zu locken.«

»Laut Uchiha-sans, also Uchiha Shisui-sans Vermutungen«, setzte Ino fort, »Wollten sie unsere Leichen an Konoha senden, um uns zum Handeln zu zwingen. Sie wollen diesen Krieg um jeden Preis und sie wollen ihn sofort.«

Sakura konnte nicht glauben, was sie da hörte. Alles hätte gut werden müssen! Jetzt, wo mit Tsunades Rückkehr ein Lichtblick am düsteren Horizont erschienen war, war es trotz allem zu spät? Wie ironisch die Welt funktionierte. Der schwache Funke der Hoffnung erlosch auf der Stelle. »Niemand erwartete ein vorzeitiges Ende. Wieso also traurig sein über etwas, das man nicht ändern kann?«, fragte sie sich schließlich selbst rhetorisch. »Danke für eure Ehrlichkeit.«

»Ich werde Shisui über Yūgaos Rettung verständigen. Bist du in Ordnung?«, erkundigte Itachi sich.

Sakura hätte gerne verneint. Zur Hölle nein, sie war nicht in Ordnung! Alles ging sukzessive den Bach runter, jeder Hoffnungsschimmer wurde brutal weggespült. Nichts war in Ordnung, schon gar nicht sie! »Ja.« Die glatte Lüge ging leichter über ihre Lippen als erwartet. »Geh, damit Shisui-san nicht weiter leiden muss.« Noch bevor die letzte Silbe ausgeklungen war, verschwand er in einer Rauchwolke. Zurück blieb … nichts.

Plötzlich nahm Ino ihre Hand. »Ich danke dir dafür, dass du so eine großartige Ärztin bist.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Wie du weißt, war es nicht alleine mein Verdienst. Du solltest auf jeden Fall in Erwägung ziehen, dich im Bereich der Heilkunst zu spezialisieren. Dein Talent darin ist unbestreitbar.«

»Was?« Ino sah sie an, als habe ihre längste Konkurrentin ihr eben ein Kompliment gemacht. Sie konnte nicht glauben, dass dem so war.

»Du hast mich schon verstanden. Auf dem Schlachtfeld kannst du gut sein, aber im Krankenhaus hast du die Chance, sehr gut zu werden. Die Basistechniken beherrschst du einwandfrei, wieso erweiterst du dein Repertoire nicht einfach? Es gibt genügend Praktikumsstellen und nachdem ich Tsunade-samas Leben inzwischen mehrmals gerettet habe, wird sie sich bald eine neue Lieblingsschülerin suchen. Ich würde nichts lieber tun, als dir meinen Posten anzubieten.«

»Du meinst, ich hätte das Talent dazu, Tsunade-sama Sake zu holen und mich anschreien zu lassen?«, rekapitulierte sie den Vorschlag.

Sakura lachte. »So in etwa.«

Inos Gesicht hellte sich ob dieser Worte auf. Dass die Meisterschülerin der Hokage ihr diese Bürde zutraute, war – selbst wenn sie es sich ungerne eingestand – ein Lob, das ihr ein warmes Gefühl in der Brust verschaffte. Egal ob Sakura ihre Erzrivalin war, sie war ebenso die beste Iryōnin Konohas und ein Lob einer solchen Koryphäe war etwas, das Ino nicht einfach ignorieren konnte.

»Danke, Sakura. Tausend Dank.« Glücklich zog sie ihre beste Freundin in ihre Arme und stimmte in das fröhliche Lachen ein, das ihnen der gemeinsame Sieg über Yūgaos Verletzungen bescherte. Es sollte für lange Zeit das letzte Mal sein, dass irgendjemand von ihnen lachte.
 

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»Du bist blutig und du stinkst.«

»Du bist unfreundlich und riechst nicht besser.«

Uchiha Sasuke ließ sich neben seiner liegenden Teamkameradin ins Gras sinken, dicht gefolgt von Naruto. »Was denn, keine Gewaltandrohung? Keine Gewaltausübung? Hattest du einen guten Tag?«

Sakura seufzte tief. Hatte sie einen guten Tag gehabt? Sie hatte ein Leben gerettet, ein anderes verändert, dennoch … »Nicht wirklich.«

Sie konnte nicht abwägen, ob die Information über Kitazama geheim war oder nicht, darum hatte sie sich in den hinteren Winkel eines spärlich benutzten Trainingsfeldes verzogen. Hier hatte sie ihre melancholische Stimmung bis zum Gefechtseinsatz aussitzen wollen. Wie immer hatte Naruto sein übersinnliches Talent bewiesen, sie zufällig aufzuspüren. Egal wie er das machte, es war gruselig.

»Sasuke und ich haben an der Technik von Ero-sennin gearbeitet. Wir beherrschen sie fast perfekt. Du warst nicht bei den letzten Trainingsstunden, Sakura-chan.«

»Ich weiß.« Als könnte sie es nicht wissen. »Viel zu tun im Krankenhaus. Ward ihr auch nett zu Sai?«

Die beiden Shinobi sahen sich mit geschürzten Lippen an, dann zuckten sie die Schultern. »So lala. Vielleicht haben wir ihm ein oder zwei blaue Flecken verpasst.«

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass 'ein oder zwei' eine repräsentative Schätzung war, ging jedoch nicht näher darauf ein. Sie wollte den Moment nicht zerstören.

»Was gibt es da oben zu sehen?«, fragte Sasuke argwöhnisch. Er ließ sich nach hinten fallen, erneut gefolgt von Naruto, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen nicht minder misstrauisch auf das tiefe Azur über ihnen starrte. Sakura antwortete nicht. Dort gab es nichts zu sehen. Sie versuchte die Tränen der Schwäche zurückzuhalten. In Inos Umarmung hätte sie beinahe zu weinen begonnen. Jede Silbe, jeder Blick, jede Berührung hatte das Etikett der Endgültigkeit an sich haften. Festgeklebt mit Leim, gebeizt und getrocknet, damit man das Gefühl, dieser Tage alles zum letzten Mal zu tun, ja nicht loswurde. Nahm sie ihre männlichen Teamkollegen als Referenz, war sie wohl die einzige, die sich so fühlte.

»Hast du Angst, Sakura-chan?«

Ihre Augen wurden feucht, weil Naruto sie so gut kannte. Sie riss sich zusammen, sammelte sich, um ihre Stimme weniger belegt klingen zu lassen. »Ja«, sagte sie ernster und gefasster als erwartet. Die Angst war seit Wochen allgegenwärtig. Sie hatte gelernt, damit zu leben. »Es wäre dumm, keine Angst zu haben.«

»Es wäre dumm, sich dieser Angst zu ergeben«, zischte Sasuke abfällig. Sie wusste, worauf er hinauswollte. »Mein Vater hat allen Uchihas verboten, sich in den Krieg einzumischen. Wir sollen mit den Zivilisten hinter den Barrikaden geschützt bleiben, wenn alle anderen aufmarschieren.«  

»Wirst du gehorchen?«

Sasuke zögerte. Kalter Frühlingswind strich über ihre Gesichter hinweg, die nach oben gen Himmel gerichtet waren. Sein makelloses Blau wurde von dunklen Wolken eingenommen, die graue Schatten auf Konoha warfen.

»Ich weiß es nicht.«

Wie lange das Schweigen andauerte, vermochten sie am Ende nicht mehr zu sagen. Es wurde erst gebrochen, als ein Vogel mit einer Nachricht auf Narutos Knie landete. »Es geht los«, sagte dieser düster.

Sakura ergriff seine Hand, die er ihr zum Aufstehen angeboten hatte. »Dann lassen wir sie nicht warten.«
 

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Der Besprechungsraum war die Akademie, die von allen Auszubildenden geräumt worden war. Dutzende Ninjas drängten sich in verschiedene Räumlichkeiten, bloß geleitet von ungeduldigen Platzanweisern. Sie hatten sich von Sasuke getrennt. Als Mitglied der ANBU, wenn auch nur auf dem Papier, war ihm ein anderes Stockwerk zugewiesen worden. In dem Trubel versuchte Sakura Itachi zu erspähen. Ihr Versuch misslang und sie wurde mit dem Strom an Shinobi weitergezogen, bis sich die breite Masse auffächerte. Sie fand sich in einem Lehrzimmer wieder, das ihr aus Kindertagen bekannt vorkam, hätten nicht alle Klassen sowieso gleich ausgesehen. Am Lehrerpult fand sie Kiba, Lee, Sai und Tenten mit Shikamaru sprechen, der seine Miene zu einer Maske der blanken Emotionslosigkeit geglättet hatte.

»Er könnte mit Sasuke konkurrieren«, merkte Naruto an, den Mund unleidig verzogen. »Yo, Shikamaru!«

»Mach nicht 'Yo', als wäre das ein allgemeines Gruppentreffen vor einem Freizeitausflug«, schalt Tenten ihn. Ihre Stimme wirkte fahrig vor Nervosität. Sie wandte sich an Shikamaru. »Sind das alle?«

»Wir warten noch, bis sich die allgemeine Aufregung gelegt hat.«

Tenten hatte die Arme verschränkt und tippte ungeduldig mit dem Zeigefinger auf ihren Oberarm. »Würdest du uns trotzdem endlich erklären, was diese blanke Panik soll? Shikamaru, wir sind alle angespannt bis zum Äußersten. Wenn du uns nicht gleich sagst –«

»Wir rücken aus, habe ich recht?«,  unterbrach Sakura. Sofort waren alle Augen auf sie gerichtet. Shikamarus wachsame Haltung verriet ihn. »Dachte ich es mir doch. Vor einigen Stunden kam ein Notfall auf meinen Operationstisch. Uzuki Yūgao, die bei Feindkontakt schwer verletzt wurde. Itachi sagte, dass Akatsuki hinter all dem steckt, um Konoha zum Angriff zu zwingen. Sie hatten Erfolg, nicht wahr?«

Shikamarus Schweigen war Antwort genug. Neben ihm japste Tenten erschrocken auf. Sie verengte ihre Augen und biss sich auf die Lippe, damit die vielen Flüche, die sie parat hatte, ungesagt blieben. Lee versuchte sie zu beruhigen, indem er ihr aufmunternd die Schulter tätschelte. Ihm war anzusehen, dass er bereits darauf brannte, seine Heimat zu beschützen. Naruto war nicht anders. Wie gerne hätte Sakura ebenfalls auch nur einen positiven Gedanken an die nahe Zukunft verloren.

»Wir fangen an. Schließt die Türen!«, befahl Shikamaru den Jōnin, die dem Eingang am nächsten waren. »Sucht euch alle irgendwo einen Platz, von dem aus ihr gut sehen könnt. Dies ist die einzige und letzte strategische Besprechung, die euch gegeben wird. Ich möchte, dass jeder sich seine Aufgabe lückenlos verinnerlicht.«

Angespanntes Schweigen überflutete den Raum. Sakura ließ den Blick schweifen. Sie kannte die meisten der etwa fünfzig Shinobi entweder vom Sehen her oder sogar persönlich. Dies war der Kreis, in dem sie seit etlichen Monaten verkehrte. Jōnin. Sie alle starrten auf Shikamaru nach vorne. Er nahm ein Stück Kreide zwischen seine Finger und tippte damit an die Tafel. Das Klackern war lauter als jedes andere Geräusch des Klassenraumes.

»Diese Einheit, so wie sie hier versammelt ist, bildet den Fronttrupp der sechsten Division. Diese Division untersteht meinem Kommando und sie wird den Krieg nach Westen hin bestreiten. Wir sind zweiundfünfzig hochrangige Shinobi und Kunoichis. Konohas Elite. Der Fronttrupp wird sich in dritter Reihe positionieren –« Er zeichnete einen Balken auf, der die gesamte Division darstellte, füllte das vordere Viertel mit breiten Strichen aus und trug eine gesprenkelte Linie gefährlich weit oben ein. »– verteilt über die gesamte Breite der Front. Die Stoßtrupps in der ersten Reihe werden die feindlichen Linien vor euch auseinanderreißen und versuchen, möglichst weit nach vorne zu dringen, die Brechereinheiten in den hinteren Reihen werden die Nacharbeit erledigen. Eure Aufgabe wird es sein, den freigeräumten Weg zu nutzen, um hinter die gegnerische Verteidigung zu gelangen.« Er tippte weiße Punkte auf das Kreideschlachtfeld, die sich langsam an die obere Kante vorarbeiteten. »Ihr seid nicht da, um zu dezimieren, dafür sind die Eliminationsgruppen hinter euch zuständig, haltet euch daher nicht mit unnötigen Kämpfen auf. Am effektivsten ist eine Fortbewegung in Kleingruppen, die ihr unbedingt zusammenhalten müsst. Jeweils drei Personen werden eine Triade bilden, die unbedingt ihre Formation halten muss. Diese Triaden werden zwischen eine zweite Reihe Stoßtrupps positioniert, ähnlich einem Mosaik. So gewährleisten wir die Verschleierung der Aufteilung. Sobald ihr gemeinsam hinter die feindlichen Linien gedrungen seid, ist eure nächste Aufgabe nur eines: Zerstörung und Unruhe. Die Befehlshaber werden sich kaum in den erreichbaren Camps aufhalten, daher ist es wahrscheinlicher, auf niedrigere Kommandanten und Strategen zu treffen. Leute, die zu unwichtig für den Kader, aber wichtig genug sind, um für uns nützliche Informationen zu haben.«

»Inwiefern Unruhe?«, rief ein unbekannter Shinobi nach vorne. Sakura versuchte ihn auszumachen, doch sie war zu sehr von Shikamarus plötzlich veränderter Miene fasziniert. Sie wechselte von Ernst zu verhaltener Reue in weniger als einem Wimpernschlag.

»Egal wie. Jede Form ist uns nützlich. Brennt ihre Lager nieder, jagt ihre Nahrung in die Luft, zerstört ihre Waffen, ihre Lazarette … wenn es sein muss zwingt sie mit Folter zum Reden. Dies wird keine normale Mission, in der wir die Option haben, auf Ethik achten zu können. Dies ist Krieg. Denkt immer daran: wenn ihr sie nicht tötet, werden sie euch töten.«

Der schwache Seufzer, der ihm entkam, verriet ihn. Solche Worte nur zu sagen war schwer genug. Wie sollten sie blutrünstig alles niedermetzeln, ohne sich selbst zu hassen? Die Antwort lag auf der Hand. Sie würden spätestens zu gnadenlosen Mördern werden, wenn der erste Freund vom Feind getötet würde. Soweit wollte es keiner kommen lassen. Auf beiden Seiten nicht. Ein Teufelskreis, der in seiner banalen Grausamkeit nicht zu durchbrechen war. Sie würden sehen, zu was sie fähig wären.

Shikamaru wechselte das Thema zurück auf die eigentliche Strategie. »Obwohl dieser Fronttrupp nur aus Konohanin besteht, werden die zwei anderen Nationen ebenfalls Ninjas für die sechste Division stellen, deshalb ist es Pflicht, unabhängig von Rang und Funktion, die Konohaweste zu tragen. Der Vorteil darin besteht, dass ihr somit weniger als dezidierte Zielscheibe für den Feind dienen könnt. Hat er eure Intention erst erkannt, wird er alles daran setzen, euch an eurer Mission zu hindern. Versucht daher wenig Aufmerksamkeit auf euch zu lenken.«

Jeder konnte sehen, dass er dabei Naruto ansah. Dieser ballte zwar eine Hand zur Faust, verblieb ansonsten jedoch kommentarlos.

»Iryōnin«, fuhr Shikamaru fort. Diesmal galt sein Blick Sakura, »Sind das vornehmliche Ziel der Feinde. Sie werden gerne als Geiseln genommen oder getötet, um die medizinische Versorgung zu kappen. In dieser Division wird es daher unter meiner Leitung keine aktive Iryōninfront geben, sondern ein mobiles Lazarett, das hinter unserer Verteidigungslinie von einer eigens dafür abgestellten Einheit geschützt wird. Solltet ihr verletzt werden, kämpft weiter bis zum Tod oder versucht euch nach hinten zu retten. Es steht euch frei, zwischen diesen beiden Optionen zu wählen. Alle Iryōnin, die nicht Teil dieses Lazaretts sind, sind dazu angehalten, auf dem Feld keine Heiltechniken auszuüben. Wir können nicht riskieren, wertvolle Ärzte inmitten des Gefechts zu verlieren. Sie bieten während der Heilung ein zu leichtes Ziel.«

Shikamaru strich einen Kreis durch und zog eine Linie an das untere Ende der bemalten Tafel.

»Unsere Strategie ist einfach, aber knapp. Simpel, aber effektiv. Konzentriert euch nicht auf die kleinen Fische. Ihr wollt das Essentielle. Nahrung, Waffen, Information. Keine, ich wiederhole: keine Heldenaktionen. Naruto. Lee. Genma-senpai.«

»Tsk, Spielverderber«, murmelte Genma gut vernehmlich für alle Ohren aus der zweiten Reihe. Er spuckte sein Senbon auf den Boden und zertrat es, die geballte Faust vor der Brust angewinkelt. »Ich werde nicht zulassen, dass diese Bastarde meinen Kameraden Schaden zufügen. Das wird niemand von uns!«

»Gerade darum«, präzisierte Shikamaru ruhig, aber eindringlich, »Werden alle diesen Befehlen gehorchen. Das Planungsteam hat diese Strategie nicht entworfen, weil es uns Spaß macht, sondern weil sie die beste Chance bietet, diesen Krieg zu gewinnen. Die Fronten werden in der Donsōschlucht zwischen Kusa no Kuni und Hi no Kuni aufeinandertreffen. Die Allianz entschied sich für diese Ebenen, weil sie uns die besten Möglichkeiten bietet, als übergeordnete Einheit zu agieren. Die Lager werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von beiden Seiten auf den Anhöhen aufgeschlagen, stellt euch also auf Klettern ein, wenn ihr die letzten Defensiven überwunden habt. Das Gebiet um die Dansōschlucht ist Niemandsland. Wir werden nicht noch einmal den Fehler begehen, unsere Kämpfe auf dem Rücken der kleineren Nationen auszufechten. Kusa no Kuni unterstützt die gegnerische Seite zwar nicht offiziell, eine Beteiligung kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Solltet ihr in Feindkontakt mit ihnen geraten … löscht sie aus.«

Die Dansōschlucht war kein schlechter Schauplatz für den größten Krieg, den es jemals gegeben hatte. Sakura rief sich eine mentale Umgebungskarte dieses Beckens in Erinnerung. Es war umsäumt von zwei ansteigenden Plateaus, zwischen denen kilometerweite Grasflächen wucherten. Sie war erst einmal an diesem Ort gewesen, dessen Zugehörigkeit durch jahrelange Bürgerkriege zwischen Kusa, Ame und den westlichen Kleindörfern Hi no Kunis so weit verschoben wurde, dass am Ende niemand mehr gewusst hatte, wessen Grenzen wo verliefen. Jahrzehntelang hatte es als Pufferzone fungiert, neutraler Boden, auf dem man sich auf Augenhöhe begegnen konnte. Die einstige Versicherung gegen Eskalationen für die Austragung einer ebensolchen zu missbrauchen war ein Statement für sich. Dies war kein Konflikt zwischen ein paar Nationen. Dies war ein Weltkrieg.

Shikamaru hatte indes eine Karte der Dansōschlucht ausgerollt, um die Positionen der anderen Truppen zu erläutern. Sie war übersät von Kreuzen, Kreisen, Farbtupfern und Linien verschiedenster Strukturen. »Das Gebiet um Dansō zu erreichen, erfordert großen logistischen Aufwand«, fuhr er nach der Zusammenfassung der Gesamtstrategie fort. »Noch nie trafen so viele Fraktionen mit so vielen Soldaten aufeinander. Um den Kampfschauplatz möglichst schnell zu erreichen, bewegen wir uns in Staffeln bis zu fünfzig Mann im Abstand von einer halben Stunde zügig nach Westen. Unabhängig von Rang und Status werden die Staffeln durchwachsen sein von verschiedensten Nationen, Aufgabenbereichen und Endpositionen. Sollte eine Kohorte angegriffen werden, gehen wir damit nicht das Risiko ein, ein halbes Bataillon auf einen Schlag zu verlieren. Morgen Früh um fünf Uhr bricht die erste Staffel auf. Kommt es zu keinen Zwischenfällen, sollte das gesamte Heer in zwei Tagen aufgestellt sein. Ein letztes noch, ehe ich euch zu euren Familien entlasse: von euch können Sieg oder Niederlage abhängen. Handelt gewissenhaft im Sinne Konohas.«

 
 

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Decampments


 

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Nicht viele wussten von dem Kellergewölbe im unteren Bereich der Ninjaakademie, zu dem nur ausgewählte Mitglieder Konohagakure no Satos Zugang hatten. Sasuke war noch nie hier unten gewesen. Aus gutem Grund. Itachi hatte stets alle Bemühungen unternommen, seinen Otōto möglichst weit von den Untergründen der Akademie fernzuhalten. Hier wurden jene Missionen, geplant, die man nicht in offiziellen Reportbüchern nachlesen konnte. Vor Jahren hatte ein ANBU Captain genau hier, wo Itachi nun mit Komachi stand, die Auslöschung eines ganzen Dorfes geplant. Zum Schutz Konohas, wenn man seinen letzten Worten hatte Glauben schenken dürfen. Er war noch vor der Ausführung dieses Massakers gestoppt worden.

»Wie geht es ihr?«, erkundigte die dunkelblonde ANBU sich.

»Laut ihrer Ärztin den Umständen entsprechend gut. Wieso weißt du davon?«

Sie verschränkte die Arme vor ihrem Brustschutz. »Ich habe meine Quellen, Itachi-san. Yūgao war jahrelang mit Towa und mir in einem Team, ehe du sie mir gestohlen hast. Lass mich nicht bereuen, nicht mehr um sie gekämpft zu haben.«

»Das werde ich nicht. Sie ist zäh, wie du weißt. Ich denke, sie weigert sich schon alleine zu sterben, um mir zu beweisen, dass ich sie ständig unterschätze.«

»Dabei tust du das gar nicht«, kommentierte Komachi. Sie warf ihre Porzellanmaske hoch und fing sie geschickt mit einem Finger wieder auf. »Ich weiß noch, als du damals zu mir kamst und mir von Yūgaos außergewöhnlichem Talent in der Kenjutsu vorschwärmtest. Du gingst mir eine Woche lang auf die Nerven, bevor ich sie die überließ. Damals dachte ich, ich könnte einen Fehler gemacht haben. Jemanden wie sie, stur und unnachgiebig, jemandem zu unterstellen, der diese Eigenschaften als Disziplin neu erfunden hat.«

»Sie ist nicht so stur wie du denkst. Man muss ihr nur manchmal klarmachen, wer die Befehle erteilt.«

»Sprichst du von Sakura?«, mischte Sasuke sich ein. »Die habe ich gerade nach oben gehen lassen. Sie sah entmutigt aus. Es hat nicht zufällig etwas mit dir zu tun, weil du mit anderen Frauen redest? Sie kann sehr eifersüchtig werden. Denke ich.«

Itachi ließ seinen Bruder in die Konversation mit Komachi einsteigen, die ihre Maske erneut hochwarf. Das Warten war das Schlimmste an dieser Versammlung. Sie hätten bereits vor einer viertel Stunde anfangen sollen. Er schob seine Ungeduld beiseite. »Diesmal liegst du falsch, Sasuke. Es geht um Yūgao.«

Schlagartig verfinsterte sich Sasukes Miene. »Ich hörte davon. Einfach unfassbar, wie weit dieser Abschaum bereit ist zu gehen.«

»Auch wenn ich Yūgao als meine Untergebene sehr schätze, ist der Hinterhalt nicht einmal ein schwaches Abbild jener grenzenlosen Moralverstöße, zu denen Akatsuki fähig ist. Glaub mir, Sasuke, ein paar Tote sind in ihren Augen nicht der Rede wert. Global gesehen sind sie das für uns ebenfalls nicht.« Er wusste, wie herzlos es klang, den Beinahe-Tod einer Freundin als Lappalie hinzustellen, doch das machte es nicht weniger wahr. Sasuke wusste das.

»Würdest du über Sakura ebenfalls so reden?«

Itachi zögerte keine Sekunde. »Ja. Meine persönlichen Bindungen machen keine Unterschiede in diesem Krieg. Mach nicht denselben Fehler wie Shisui und verlier die Kontrolle, weil einer deiner Freunde verletzt wurde.«

Sein Bruder hob skeptisch über diese von ihm gewählte Bezeichnung die Augenbrauen. »Du hast echt keinen Plan von gar nichts, wenn es um Zwischenmenschliches geht, nicht wahr? So blind kannst doch nicht einmal du sein, Itachi. Shisui und Yūgao sind weit mehr als Freunde. Ich kann nicht für dich sprechen, ebenso wenig wie ich weiß, was vorgefallen ist, jedoch kann ich dir versichern, dass jeder normale Mensch die Kontrolle verlieren würde, wenn ein geliebter Mensch vor seinen Augen verletzt wird.«

Itachi hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob und wenn ja was zwischen seinen beiden privaten Streithähnen vorging. Er fand nicht einmal die Muße, über sein eigenes Liebesleben nachzudenken, wieso hätte er es über ein anderes tun sollen? Shisui hatte nie etwas erwähnt. Aber nun, da Sasuke es angesprochen hatte, klang es logisch. Er entschied sich, diese neue Erkenntnis zu übergehen. Sein Bruder hatte Sakura getroffen. »Wie viel von dem, was vorgeht, hat Sakura dir erzählt?«

»Nichts«, erwiderte Sasuke. »Ich wollte es vor Ort hören, um keine voreiligen Schlüsse ziehen zu müssen.«

Sie verfielen in angespanntes Schweigen, jeder für sich mit seiner eigenen Welt beschäftigt. Irgendwann gesellte sich Shisui zu ihnen, der keine Silbe über seinen Verbleib verlor. Jeder wusste, dass er bei Yūgao gewesen war. Itachi brachte es nicht übers Herz, ihm Vorwürfe über seine Insubordination zu machen. Er war in den letzten Monaten weich geworden. Wer dafür die Verantwortung übernehmen musste, lag auf der Hand. Wenn sie an der Kippe zum Tod im Krankenhaus gelegen hätte, hätte er vielleicht ähnlich gehandelt.

»Werte Kollegen«, schallte eine tiefe Stimme durch den Raum. Hatake Kakashi war in einer Rauchwolke inmitten der Versammlung aufgetaucht. Unüblich für ihn trug er eine ANBU Uniform, die maßgeschneidert aussah. Itachi konnte sich sein grimmiges Lächeln nicht verkneifen. Allem Anschein nach war der Kopierninja wieder an Bord der Attentätereinheit, der er vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Das erklärte auch die Zeitverzögerung.

»Kakashi-kun!«, rief Komachi hin- und hergerissen zwischen Verwunderung und Freude.

»Leibhaftig, bloß bringe ich keine guten Nachrichten. Bitte, tretet näher.« Er wartete geduldig, bis seine Kameraden sich um ihn herum in einem Halbkreis aufgestellt hatten. Konohas gesamte ANBU Schlagkraft schien sich hier eingefunden zu haben. Es waren insgesamt fünfundvierzig Ninjas, die sich aneinanderdrängten.

»Wir hörten von dem Attentat«, berichtete jemand, der seine Maske bereits aufhatte. Selbst hinter ihr konnte Itachi ausmachen, dass es Uchiha Izuya war. »Wie wird Konoha reagieren?«

»Es liegt auf der Hand, nicht wahr?«, entgegnete er ohne auf Kakashis Autorität zu achten. »Wir ziehen zum Schlachtfeld, darum hat man uns herbestellt.«

»Richtig«, bestätigte Kakashi. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, darum werde ich mich kurzfassen. Uns wird eine äußerst wichtige Aufgabe zuteil. Während die Fronten ineinander sprenkeln, werden wir am hinteren Ende der Horden warten, bis ausreichend Chaos herrscht, um weitgehend unbehelligt hinter die feindliche Verteidigung zu gelangen. Der Fronttrupp, bestehend aus ausgewählten Jōnin, wird damit beschäftigt sein, in den Lagern Unruhe zu stiften. Diese Unruhe nützen wir, um den Befehlskader ausfindig zu machen. Es muss Leute geben, die diesen Krieg steuern. Unser Auftrag lautet, jeden Strippenzieher zu töten, den wir ausfindig machen können. Tsuchikage, Akatsuki, die Daimyō der Kleinstaaten.«

»Was ist mit Terumī Mei?«, fragte Izuya nach.

»Mizu no Kuni liegt östlich von Konoha, der Stellungskrieg wird westlich davon ausgetragen. Wir nehmen an, dass Terumī Mei und ihre Armee daher über den Wasserweg an die Küste Taki no Kunis reisen, um von dort aus an der Grenze zu Tuschi no Kuni entlang gen Süden zum Dansōgebiet zu gelangen. Die Allianz wird daher in zwei Himmelsrichtungen arbeiten; erstens nach Westen, zweitens nach Norden. Mizu no Kuni ist uns jedoch egal. Sie sind kleine Fische, kaum der Rede wert. Die erste und dritte Division wird sich ihrer annehmen, der Rest konzentriert sich auf den Westen. Ebenso wie wir. Über die äußere Bahn südlich des Kampffeldes gelangen wir am schnellsten nach hinten. Um agil zu bleiben, bewegen wir uns in acht Kleingruppen zu je fünf Shinobi vorwärts. Tötet alles und jeden, der euch in die Quere kommt. Spielt mit unfairen Mitteln, wenn es sein muss. Ihr wisst, wie es funktioniert. Die Einteilung der Truppen wird vor Ort vorgenommen. Ihr kennt die Zeit eures Aufbruchs morgen bereits, seid pünktlich.«

Es brauchte keine großen Ansprachen, um die ANBU zu etwas zu befehligen, für das sie ausgebildet worden waren. Jeder wusste, wie der Hase lief. Dies mochte eine drastische Form, aber nichts Neues für sie alle sein.

»Es steht euch frei, zu gehen. Allen, außer euch«, fügte er hinzu. Itachi hätte seine Ehre darauf verwettet, zurückgehalten zu werden. Er hatte rechtgehabt. Sasuke, Shisui, Izuya und er blieben zwischen den vielen Rauchwolken und Teleportationsjutus in dem kalten Keller zurück. Kakashis Absicht zu entschlüssel wäre schwieriger gewesen, wenn er nicht sämtliche Uchihas in diesem Raum behalten hätte.

»Wir werden kämpfen«, antwortete Itachi noch vor der Frage.

»Gut. Damit sind wir der erfolgreichen Ausführung unserer Missionen einen großen Schritt näher gekommen. Sharingan sind bei dieser Aufgabe außerordentlich nützlich, daher werdet ihr, Itachi-san, Shisui-san und Izuya-san, jeweils einen Trupp anführen. Ich selbst werde ebenfalls einen leiten. Pain ist zwar nicht der Anführer von Akatsuki, doch nach allem, was wir durch Jiraiya-samas Spionage wissen, stellt er nichtsdestoweniger eine potentielle Gefahr dar. Dōjutsu bekämpft man immer noch am besten mit Dōjutsu. Ist bei euch alles in Ordnung? Es gibt Gerüchte.«

Natürlich gab es die. »Gerüchte«, meinte Itachi, »Gibt es immer. Die Frage ist, inwieweit sie sich mit der Wahrheit decken.«

»In diesem konkreten Fall zum Beispiel …?«

»Kongruieren sie erschreckend genau damit.« Es war Izuya, der diese Realität aussprach. »Fugaku-san wird unsere Entscheidung, den Klan zu 'verraten', wie er es nennt, keineswegs gutheißen und ich bin mir sicher, dass Mikoto-san ihn dieses eine Mal zusammen mit den Ältesten unterstützt.«

»Was mich zu der Frage bringt, weswegen du dich danach erkundigst, Kakashi«, unterbrach Itachi, ehe sein Verwandter mehr ausplaudern konnte. Der Gefragte tippte gegen seine linke Schläfe, die von seinem Hitai-ate verdeckt war.

»Ich weiß mehr über euch als ihr denkt. Uchiha Madaras Absichten, in welcher Form auch immer er zurückgekehrt sein mag, sind lange nicht so geheim wie ihr gerne hättet. Es gibt ausgewählte Mitglieder Konohas, die über den wahren Feind in Kenntnis gesetzt wurden. Ich fand schon vor dem Winter zusammen mit Neji und Yamato-san verdächtige Indizien, die nach und nach bestätigt werden konnten. Madara ist Auslöser dieser ganzen Misere. Darum brauchen wir so viele Uchihas wie möglich im Boot, die Konoha gegenüber loyal sind. Sollte jemand von uns auf ihn treffen –«

»Sollte?«, fiel Sasuke ihm ins Wort. Er machte eine ausladende Geste vor der Brust. »Wir werden ihn finden und für seine Taten bezahlen lassen!«

»Das werdet ihr nicht, Sasuke! Als dein ehemaliger Sensei, dein Vorgesetzter und der operative Leiter der ANBU Staffel verbiete ich dir, dezidiert nach Uchiha Madara zu suchen. Mach nicht den Fehler, Vergeltung über das Wohl Konohas zu stellen. Madara kann immer noch ausgeschaltet werden, sobald wir in den vorderen Reihen der feindlichen Führungsebene aufgeräumt haben. Lieber bringe ich den Tsuchikagen oder ein Mitglied Akatsukis um, anstatt an dem Versuch, Madara zu töten, zu scheitern. Dasselbe muss für euch gelten.« Kakashi ließ die Worte wirken. Es sah seinen einstigen Schüler an, wie sehr er darauf brannte, dem wahren Verräter des Klans ein Grab zu graben. »Ich kann nachvollziehen, wie du dich fühlst, Sasuke, aber bleib rational.«

»Haben Sie mir deswegen keinen eigenen Trupp übertragen? Ich bitte Sie, es geht hier genauso um meine Familie wie um Itachis, Shisuis und Izuyas!«

Kakashi schüttelte den Kopf. »Das ist nicht der Grund. Die Wahrheit ist, du wirst nicht im ANBU Corps mitkämpfen.«
 

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Wenn sie jemals behauptet hatte, ihr täte alles weh, revidierte Yūgao am heutigen Tage. Ihr schmerzten Körperteile, von denen sie nicht sicher war, sie überhaupt zu haben. Ihre Haut spannte und prickelte an vielen Stellen, als sei sie taub geworden. Es mussten die Medikamente sein, die langsam nachließen. Ihre Sinne waren vernebelt, ihr Geist bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Bewusstsein und Traum. Am Rand dieses Drahtseils nahm sie wahr, wie jemand ihre Hand hielt. Ganz weit weg, als habe sie vier Paar Handschuhe an. Sie beschloss, sich nicht zu regen. Egal wer es war, er konnte warten. Zuerst brauchte sie Schlaf. Viel Schlaf. Hinter geschlossenen Augenlidern konnte sie nur erkennen, dass es um sie herum dunkel sein musste. Es war Nacht. Die ideale Zeit zu Schlafen.

Als sie zum zweiten Mal erwachte, war die Hand noch immer da. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Dem Stand des Mondes nach zu urteilen, den sie nun, da sie ihre Augen geöffnet hatte, durch das Krankenhausfenster erblicken konnte, waren es kaum mehr als drei oder vier Stunden gewesen. Sie konnte sich nur einen Menschen vorstellen, der beharrlich genug war, sie nicht einmal in Ruhe aufwachen zu lassen.

»Hast du nichts Besseres zu tun?«, murmelte sie. Ihre Stimme war rau wie ein Reibeisen und schwach wie nach einem Koma, belegt und brüchig, als hätte sie jahrelang nicht gesprochen.

»Itachi sagte, wir sollen die letzte Nacht vor dem Aufbruch mit denen verbringen, die uns wichtig sind.«

»Vielen Dank.« Sie wollte sarkastisch klingen, wie sie es seit über drei Jahren jeden Tag getan hatte. Heute brachte sie es nicht übers Herz, Shisui vor den Kopf zu stoßen. »Wie ironisch, dass ich erst beinahe sterben musste, um meinen Dank zum ersten Mal ernst zu meinen.«

»Du kannst dich an alles erinnern?«

Yūgao nickte. Sie hörte auf, aus dem Fenster zu sehen, und wandte sich ihrem Kameraden zu. Nun wusste sie auch, wieso sich seine Hand so weit weg anfühlte. Sie trug keine Handschuhe, sondern Bandagen. »Jede Sekunde dieser Explosion hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.«

»Weißt du, Yūgao, du kannst weinen, wenn du willst. Ich kann verstehen, dass du aufgewühlt und mitgenommen sein musst.«

»Bin ich nicht.« Zur Bekräftigung schüttelte sie ihren Kopf auf dem Kissen, das ihren Nacken gerade hielt. »Ehrlich gesagt habe ich seit Hayates Tod damit gerechnet, dass auch mir irgendwann etwas Ähnliches passiert. Ich bin überraschter, dass ich überlebt habe. Hast du mich gerettet?«

Er kratzte verlegen seinen Hinterkopf. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er keine Uniform mehr trug, sondern sein charakteristisches schwarzes Oberteil, auf dessen Rücken das Uchihawappen gestickt sein musste. »Ich würde gerne die Lorbeeren dafür einheimsen, allerdings war es Ino-chan, die dich rettete. Sakura-sensei übernahm die stationäre Behandlung. Du solltest eher ihnen danken als mir. Meine Aufgabe bestand darin, dich anzuschreien, damit du bei Bewusstsein bleibst.«

Ja, jemand hatte sie forsch angeschrien und ihre Kunoichiqualitäten infrage gestellt. Wie sie an ihrer eigenen Technik verrecken konnte oder etwas Ähnliches, wenn ihre Erinnerungen sie nicht betrogen. Es passte zu Shisui, sie sogar in ihrer vermeintlich letzten Minute auf dieser Welt zu beleidigen.

»Soll ich Shiranui holen?«, fragte Shisui plötzlich. Dabei ließ er ihre Hand los. Es war, wie sie zugeben musste, kein schönes Gefühl. Auch nicht, dass er aufstand und sich zum Gehen wandte. Dieser Kindskopf.

»Sei nicht albern.« Instinktiv langte sie nach seinem Handgelenk, wobei sie ihren Körper zu schnell bewegte. Sie sank stöhnend zurück, ohne ihr Ziel berührt zu haben. Shisui war dennoch sofort an ihrer Seite, um ihr beruhigend über den Oberarm zu streichen, der weder bandagiert, noch sonderlich in Mitleidenschaft gezogen worden war.

»Gut. Ich hatte sowieso nicht vor, ihn zu verständigen.« Sein Geständnis kam wenig unerwartet. »Er war nicht einmal hier, um dich zu besuchen.«

»Das hätte ich auch nicht von ihm verlangt. Genma war …« Wenn sie gewusst hätte, was Genma gewesen war, hätte sie den Satz nicht pausieren müssen. »… nicht wichtig.«

Shisuis selbstbewusstes Grinsen verhieß nichts Gutes. »Sondern?«

Sie verdrehte die Augen. »Sehr subtil, wirklich. Hilf mir lieber, mich aufzusetzen. Mein Hintern fühlt sich an, als sei er wundgelegen – eine falsche Bemerkung und du fliegst drei Stockwerke nach unten.«

»Eigentlich sind wir im vierten«, berichtigte er, kam ihrer Bitte aber dennoch behutsam nach. »Deine Schätzungskünste haben nachgelassen. Da wir gerade davon sprechen, wann gehen wir miteinander aus?«

Es hatte keinen Sinn, sich zu fragen, wann sie nun davon gesprochen hatten. Viel wichtiger war: »Wann hatten wir jemals eine Verabredung ausgemacht?«

»Hast du es vergessen, Yūgao?«, neckte Shisui. »Als du im Sterben lagst, versprach ich dir ein Date, wenn du überlebst.«

In der Tat konnte sie sich daran erinnern. Allerdings nicht, zugestimmt zu haben. Seine blanke Zuversicht, in der Nacht vor dem Aufbruch zum größten Gemetzel, das die Menschheit jemals gesehen hatte, ein Date klarzumachen, war bemerkenswert. Sie wollte ihm die Freude nicht nehmen. »Wenn es uns am Ende dieses Krieges noch gibt, gehe ich mit dir aus«, versprach sie. Sie hatte gehofft, Shisui würde das Pronomen angesichts ihres Einlenkens überhören.

»Wir? Was bedeutet 'wir'? Du … du wirst auf keinen Fall mit uns an die Front ziehen!«

»Natürlich werde ich das! Wieso sollte ich auch nicht? Ich werde mein Heimatland nicht im Stich lassen!«, brüskierte sie sich über dieses anmaßende Verbot, das er ihr verhängen wollte. Er wollte widersprechen, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nein, Shisui, ich bin eine erwachsene Frau, die ihre Entscheidungen selbst treffen kann! Ich bin keine Kunoichi geworden, um Konoha in Zeiten der Not von meinem Bett aus anzufeuern! Ich ging auch nicht zur ANBU, um mir schönes Leben zu machen! Würdest du einfach still sitzenbleiben und um das Leben derer bangen, die du liebst?«

»Verletzt in eine Schlacht zu ziehen hilft niemandem etwas! Yūgao, sei nicht dumm! Du wirst nur unnötig sterben!«

Shisui konnte manchmal so stur sein! Wie gerne hätte sie diese Diskussion, die nur in seinen Augen eine war, kommentarlos beendet. »Ich habe diese Explosion überlebt, obwohl sie mich in Stücke hätte reißen sollen. Ich glaube an Höhere Mächte, die uns leiten. Vielleicht hat mich eine davon beschützt, damit ich an eurer Seite kämpfen kann. Selbst wenn nicht … versuch zu verstehen, dass ich in erster Linie eine Kunoichi bin. Was stellst du dir in deinem verträumten Kopf vor? Dass du als Held zurückkehrst, wir eine schöne Verabredung haben, eines zum anderen führt und wir beide in fünf Jahren mit unseren Kindern auf der Veranda eines Hauses im Uchihaviertel Shogi spielen? Wenn du dich um unsere Zukunft sorgst, kann ich dir nicht helfen. Versteh mich nicht falsch, du bist mehr als ein Freund für mich und meine Nahtoderfahrung hat mir gezeigt, dass dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns Zeitverschwendung ist, aber ich werde niemals weiter gehen als bis zu einem gewissen Punkt. Nämlich dem, an dem ich mich zwischen dir und der ANBU entscheiden muss.«

Shisui zog betreten seine Hand von ihrer Schulter. »Du würdest die ANBU wählen.«

Es tat ihr leid, diese Wahrheit auszusprechen. Sie konnte es nicht. »Ich hatte meine Chance auf ein sorgenfreies Leben. Wäre mein Verlobter nicht vor neun Jahren gestorben, hätte ich vielleicht irgendwann meinen Beruf aufgegeben und eine Familie gegründet. Aber Orochimaru nahm ihn mir und damit meine Wahl. Es ist zu spät für mich. Shisui, ich bin zweiunddreißig Jahre alt! Erwartest du von mir, mein Leben jetzt noch von Grund auf zu ändern? Du und ich hätten vielleicht eine richtige Zukunft gehabt, wenn wir uns vor fünfzehn Jahren getroffen hätten, ehe ich mich in Hayate verliebt hatte. Nein, lass mich ausreden. Es geht nicht darum, dass ich ihn immer noch liebe. Es geht darum, dass mein Zug abgefahren ist. Ich habe mich Konoha verschrieben, weil mein Dorf alles ist, was mir nach Hayates Tod geblieben ist. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie die Gemeinschaft, die mich auffing und mir eine Aufgabe gab, mit der ich neuen Mut schöpfen konnte, blutig in ihre Scherben zerschlagen wird. Das kannst und darfst du nicht verlangen. Nicht, nachdem diese Gemeinschaft der einzige Grund ist, wieso ich heute überhaupt daran denken kann, jemals wieder mit einem Mann auszugehen, zu lachen, zu leben. Wir werden nie enger zusammen sein als eine Affäre. Du kannst nicht aus dem Blauen heraus erwarten, dass alles ein gutes Ende nimmt.«

»Wieso nicht?«

Sie nahm seine Hand, die warm und vertraut in der ihren war, und zog ihn zu einer Umarmung heran. »Weil wir gar nicht wissen, wie es weitergeht. Vielleicht verstehen wir uns ja auch gar nicht und sind gezwungen, für immer Freunde zu bleiben?«

»Das werden wir nie erfahren, wenn du stirbst.«

Yūgao drückte ihn wieder von sich, um ihn empört anzusehen. »Bloß weil ich einmal dem Tod nahe war, muss das nicht bedeuten, dass ich anfällig für gewaltsames Ableben bin. Selbst wenn ich sterbe, werden weder du noch ich es bereuen, wenn ich auch nur einen einzigen Feind dadurch daran hindern kann, unsere Leute zu verletzen.«

»Das ist genau was du nicht tun sollst!«

Ehe sie etwas erwidern konnte, glitt die Tür auf und eine junge Ärztin steckte den Kopf hinein. »Bitte seien Sie leiser. In den Nebenräumen schlafen Patienten.«

Yūgao stieß ihn in die Seite. »Siehst du, was du angerichtet hast?«

»Ich?!«, flüsterte Shisui empört. Die Ärztin schüttelte den Kopf, verschwand jedoch wortlos. »Du posaunst deine Sturheit doch hinaus. Aber … ich verstehe dich. Wenn die Ärzte sagen, dass du einsatzbereit bist, werde ich kein weiteres Wort gegen deine Entscheidung sagen. Es ist immerhin für Konoha.«

»Für Konoha.«

Niemand hatte behauptet, ein Ninja verdiene das private Glück.
 

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Schlecht zu schlafen war etwas, an das Sakura sich bereits gewöhnt hatte. Zwischen Nachtschichten und unbequemen Waldböden hatte sie kaum Gelegenheit, in einem richtigen Bett mit Matratze zu nächtigen. Auch hier im Uchihaanwesen auf dem Futon konnte sie kaum genügend Ruhe finden, um sich eine letzte erholsame Nacht zu gönnen. Sie hatte ihren Eltern nach dem Briefing den Evakuierungsweg im Falle eines Angriffes erklärt, hatte mit ihnen zu Abend gegessen und sich dann verabschiedet. Naruto hatte darauf bestanden, dass sie alle – das gesamte Team Sieben – diese letzte ruhige Nacht zusammen verbrachten. Es sollte Glück bringen. In Wahrheit wollte er nicht alleine in seinem Appartement bleiben. Sakura und Sai konnten es ihm nachempfinden, weswegen sie eingewilligt hatten. Sasuke hatte zum ersten Mal nicht von seinem Vetorecht Gebraucht gemacht und sie bereitwillig in seine Privatsphäre gelassen, in der sie sich bereits seit Wochen zu seinem Missfallen aufhielten. Er war der einzige, der nicht in ihrer Staffel war, geschweige denn in ihrer Division. Was genau bei dem Briefing der ANBU geschehen war, hatte er nicht erzählt, aber Sakura verstand, dass sie diesen Kampf nicht als komplettes Team Sieben bestreiten würden. Wozu sie dann diese elendig lahme Technik hatten lernen müssen, war ihr immer noch ein Rätsel. Sai, Naruto und sie konnten sie zwar auch zu dritt ausführen, mit Sasukes Chakra wäre sie jedoch um ein Vielfaches effektiver. Nicht, dass sie Jiraiyas Intention nicht verstanden hätte: Zusammenhalt lernen, Teamwork festigen. Die Jutsu diente nur diesem einen Zweck, sie aufeinander abzustimmen, damit sie auf dem Schlachtfeld wie ein Uhrwerk funktionierten. Sie strich eine Strähne aus ihrem Gesicht, während sie dankbar an Jiraiyas nette Geste dachte.

Die Widersinnigkeit einiger teaminterner Aspekte war nicht das einzige, das sie wachhielt. Vielmehr war es der dringende Wunsch, Itachi an ihrer Seite zu haben. Zum ersten Mal seit sie einander kannten, verspürte sie dieses innere Verlangen, ihm körperlich nahe zu sein. Seine Duft zu riechen, seine Hand in ihrer zu spüren, Trost bei ihm zu suchen, wie man ihn nur bei jemanden fand, den man aufrichtig liebte. War dies ihre persönliche Erfahrung mit diesem Krieg? Hätte sie sich ihre Liebe niemals eingestanden, wenn das Damoklesschwert nicht über ihr geschwebt hätte? Wenn es so war, hätte sie lieber auf alle Liebe dieser Welt verzichtet. Sie hätte sich beide Beine und ihr Herz ausgerissen, um den Krieg zu verhindern. Wie lächerlich das klang. Als hätte sie Schuld an irgendeinem Geschehnis, das dazu geführt hatte. Liebe hin oder her, es ging mit keiner Silbe darum. Ihre Sehnsucht wurde damit allerdings nicht gestillt. In Wahrheit hatte zu dieser Pyjamaparty auch nur zugestimmt, weil Sasukes Zimmer im selben Flur lag wie Itachis.

Sie wusste, dass Sasuke neben ihr wach war. Das Tragische daran war, dass niemand etwas sagte, obwohl auch er sich ihrer geöffneten Augen gewahr war. Es gab keine Worte, die ausdrücken konnten, was sie hätten sagen wollen, stünde ihnen das Vokabular dafür zur Verfügung. Vielleicht war zwischen ihnen auch alles gesagt. Vielleicht verstanden sie sich auch ohne Worte. Vielleicht würde Sasuke sie zu einem willkürlichen späteren Zeitpunkt dafür massakrieren, dass sie aufstand und das Zimmer verließ. Vielleicht hatte er aber auch nur akzeptiert, dass es nichts gab, das in seiner Macht lag.

Sakura schlich völlig unnötig den Gang entlang. Nicht nur das Haupthaus, nein das ganze Uchihaviertel war vor wenigen Stunden geräumt worden. Die kampfunfähigen Mitglieder wie ältere Personen, Kinder und Hausfrauen, waren in ein sicheres Versteck außerhalb Konohas evakuiert worden, wo sie von heute an auf die Nachricht des Kriegsendes warten würden. Die Chance, dass Konoha überfallen werden würde, war gering. Jede Nation stellte sein gesamtes Heer an der Front ab, woher also sollte man genügend Shinobi hernehmen, um ein ganzes Dorf zu belagern? Die Gefahr war, so klein sie auch war, gegeben und die Uchihas weigerten sich, auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Zurückgeblieben waren nur ein paar wenige Mitglieder der Exekutivgewalt, die die Stellung bis zum endgültigen Ausrücken hielten, und jene, die sich gegen das Klanoberhaupt gestellt hatten. Sie hatte gegen Abend nach Yūgao gesehen, die aus der Narkose erwacht war, weswegen sie den Streit zwischen Sasuke und seiner Mutter nicht mitbekommen hatte. Es musste um ihre Forderung gegangen sein, Sasuke mit sich in das Versteck zu nehmen. Sie hatte wie erwartet verloren.

Das verwaiste Anwesen wirkte so leer, dass es einem Geisterhaus glich. Persönliche Gegenstände waren verstaut, Türen verschlossen worden. Nur eine im ganzen Flur ließ sich öffnen: Itachis. Sakura schlüpfte durch den schmalen Spalt, den sie minimalistisch freilegte, um Itachi durch das Geräusch einer aufgleitenden Tür nicht zu wecken. Sie hätte wissen müssen, dass er ihre Anwesenheit trotzdem bemerken würde, obwohl er mit dem Rücken zu ihr gedreht lag. Rein äußerlich ließ er es sich nicht anmerken. Er war mit ihr ebenso wortkarg wie mit Sasuke, als sie sich neben ihn auf den Futon niederließ. Sobald sie sich hingelegt hatte, drehte er sich zu ihr, warf die dünne Decke über sie und legte einen Arm über ihre Taille. Sie konnte nicht anders als ihm ihr Gesicht zuzuwenden, doch er hielt die Augen geschlossen. Es war kein Zeitpunkt zum Reden. Dass er sie an seiner Seite akzeptierte, war mehr als sie verlangte. Wenn Leute dem Tod ins Auge blickten, taten sie sehr viel eher was sie wollten. Bei ihnen war es nicht anders. Sie hielten sich nicht länger aufgrund banaler Gründe zurück.

Sakura hätte gerne geweint, um vor sich selbst zu beweisen, dass sie ein Mensch war, kein blutrünstiger Mörder. So oft hatte sie geweint, bloß nicht in Situationen, in denen es ihr wichtig war, sich ihre Schwächen einzugestehen. In der Angst, nach diesem Massaker nicht mehr Mensch zu sein, schob sie sich fester an ihn. Itachi ließ es zu. Er empfand dieselbe Angst, wenn auch völlig anders. Der Auslöser dafür war ein anderer, obwohl sie sich gegen dieselbe Person richtete. Sakura hatte diese fatalen Gedanken schon einmal zu Ende gedacht, nun hatten sie auf Itachi übergegriffen. Er hatte keine Angst um sein Leben, so wie sie ebenfalls nicht um das seine bangte. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass Uchiha Itachi sterben würde. Sie fürchtete um ihr Leben. Und er mit ihr.
 

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Es war das erste Mal, dass Itachi nicht vor ihr aufgestanden war. Als Sakura erwachte, spürte sie seinen Herzschlag und seine Wärme. Ihr Gesicht lehnte an seiner nackten Brust, sein Arm war über sie gelegt und in einer physiologisch eher ungewohnten Haltung waren ihre Hände ineinander verkeilt. So waren sie gewiss nicht eingeschlafen. Wer wessen Hand genommen hatte, würde für immer ein Rätsel bleiben. Für den Moment war Sakura froh, dass er hier war. Seine entspannten Gesichtszüge zusammen mit seiner regelmäßigen Atmung ließen darauf schließen, dass er tatsächlich noch schlief. Itachi wirkte mit lockerer Miene und ohne seine wachsame Haltung tröstlich menschlich. Sakura wusste, dass diese Wärme, diese Geborgenheit vorbei war, sobald sie sich aus seiner Umarmung schälte. Wann sie einander wiedersehen würden – ob – war ungewiss. Die ANBU hatte ein anderes Aufgabengebiet als der Fronttrupp der Jōnin. Es war unwahrscheinlich, dass sie in derselben Staffel nach Westen reisen würden. Ein wenig wahrscheinlicher, aber immer noch weit genug vom Annehmbaren entfernt, war, dass sie einander im Zeltlager begegnen würden. Ihre Kompetenzen waren anders verteilt; sie wurden gebraucht, wo der andere unnütz war.

Sakura versuchte nicht weiterzudenken. Es tat nicht gut, sich zu viele Gedanken zu machen. Hier waren sie nur Marionetten, das Denken blieb der Führungsebene vorbehalten. Sie entfernte sich behutsam aus Itachis Radius, was sich als schwierig gestaltete. Sie wollte ihn nicht wecken, weil sie dieses Bild von ihm gerne noch länger vor ihrem inneren Auge behalten mochte. Itachi als Mensch, wie verrückt es klang. Dass er jemanden wie sie derart tief in seine Privatsphäre, in sein Leben, in sich eintauchen ließ, war eine Ehre, die sie nicht zurückzahlen konnte. Dies waren die Gedanken, die sie zu wahren versuchte, während sie in ritueller Langsamkeit im frühesten Morgengrauen zum vielleicht allerletzten Mal eine ausgiebige Morgenprozedur vollziehen konnte. Sie putzte sich acht Minuten lang die Zähne, nahm ein viertelstündiges Bad, bürstete ihr Haar länger als gewöhnlich und band die mittlerweile schulterblattlangen Strähnen zu einem Pferdeschwanz zusammen, der gerade so lang war, um sie im Nacken zu kitzeln, als sie sich im Ankleidezimmer des privaten Onsens der Uchihas mit äußerster Bedacht vornüberbeugte und das erste Kleidungsstück aufhob, das sauber gefaltet auf dem hölzernen Schemel neben dem Badeschrank lag. Ihre Hose war vertraut, das hautenge schwarze Oberteil mit dem halbhohen Rollkragen eher weniger; die grüne Shinobiweste fühlte sich schwer an auf ihren Schultern. Das Hitai-ate mit dem Zeichen der Shinobiallianz, das extra angefertigt worden war, saß als Haarband fürchterlich, weswegen sie es wie vom Erfinder vorgesehen um die Stirn band. Ebenso unnatürlich war es, keine Schürze zu tragen. Ab jetzt war sie nur mehr zweitrangig Iryōnin. In erster Linie fungierte sie als Jōnin. Ihre Handschuhe und Schuhe waren außer der Hose das einzige, das nicht falsch war.

Skeptisch begutachtete sie das Gesamtwerk im mannshohen Standspiegel. Sie sah in ihrer Uniform ungewöhnlich professionell aus. Etwas störte sie an diesem Bild, auch wenn sie noch nicht wusste, was das war. Womöglich die Gesamtsituation. Sie brauchte nicht lange überlegen, um zu wissen, was ihr auf den Magen schlug.

Bis zur äußersten Grenze ihrer Lastkraft bewaffnet, verließ sie das leergefegte Badehaus. Im gepflegten, aber nicht minder verwaisten Vorgarten der Uchihas hatte sich bereits eine Ansammlung verschiedenster Shinobi gebildet. Itachi stand mit seinem regulären ANBU Team etwas abseits von Sai und Naruto, die sich gemeinsam mit vier weiteren Uchihas gegenseitig anschwiegen. Sakura hatte zwei von ihnen noch nie gesehen, der dritte war Sasuke und den vierten erkannte sie als Izuya wieder, den Schönling des Klans, auf den selbst sie nach Sasuke mal mehr mal weniger ein Auge geworfen hatte. Itachi war weiter hinten in eine Diskussion mit Shisui und Yūgao vertieft. Ausnahmslos jeder außer den ANBU war war in grüne Ninjawesten gekleidet, die – wie Shikamaru prophezeit hatte – keinen Aufschluss über Rang und Funktion gaben. Uchihas sahen sowieso alle ein wenig gleich aus; Izuya erkannte sie nur aufgrund seines offenen Lächelns, das ihn von allen, wirklich allen anderen Uchihas unterschied. Es galt ihr, wie sie nach ihrer Analyse bemerkte.

»Guten Morgen, Izuya-san. Naruto, Sai«, grüßte sie, jedem einzeln zunickend. »Wir reisen in der fünften Staffel. Machen wir uns lieber auf den Weg.«

»Ich komme mit euch«, sagte Izuya. Er deutete auf seine weiße Porzellanmaske, die einen Affen darstellte. »Staffel fünf klingt nicht weniger schlecht als alle anderen Nummern. Jede Reisegruppe darf laut Kakashi-senpais Anordnung höchstens einen ANBU beherbergen.«

Während Sakuras Teamkameraden ihm einen skeptischen Blick zuwarfen, sah sie unwillkürlich zu Itachi, der eine Diskussion mit Yūgao im Hintergrund beendete und zu ihr herüberkam. Sakura schenkte der violetthaarigen ANBU einen flüchtigen Blick. Dank Inos Vorarbeit und des hervorragenden Operationsteams hatten sie es, nicht zuletzt durch Sakuras präzise Anleitung, geschafft, die inneren Verletzungen der Patientin nahezu vollständig zu heilen. Mit ein paar Soldatenpillen alle paar Stunden würde nichts außer die Brandnarben im Gesicht und am Hals an den katastrophalen Zustand erinnern. Das war der Vorteil von Patienten, die gut ausgebaute Chakrasysteme hatten: wenn nicht gerade diese in Mitleidenschaft gezogen wurden, war die Heilung ein Katzensprung.

Itachi war mittlerweile bei ihr angelangt, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Es war ein leidenschaftlicherer Kuss als die letzten beiden Male, ungewöhnlich emotionsgeladen, zumindest für die Maßstäbe eines apathischen Stoikers. Die fast schon liebevolle Geste, mit der er sich zu ihr hinabbeugte, um seine Stirn gegen ihre zu lehnen, war mehr als sie ertragen konnte. Er bemerkte ihren Rückzug, hielt sie jedoch fest in dieser Berührung.

»Du kannst manchmal zum Kotzen stur sein«, wisperte sie mit geschlossenen Augen. Trotz der Schwere des Gefühls versuchte sie, jeden Moment auszukosten, ihn in ihr Inneres aufzusaugen, wo sie ihn bewahren konnte. Wenn ihr Gefühl sie nicht betrog und dieser Morgen mit Itachi tatsächlich ihr letzter sein sollte, wollte sie sich wenigstens während dem Sterben an dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit erinnern, um zu wissen, dass sie nicht unglücklich ihr Ende fand.

»Pass auf dich auf«, riet Itachi ihr, halb befehlend, halb besorgt. »Ich möchte meine ganzen Maßregelungen nicht umsonst ausgesprochen haben.« Dann ließ er von ihr ab und trat zurück zu Shisui, der mit angebrachter Masken auf ihn wartete.

Sakura beobachtete, wie Itachi seine Rabenmaske über seinem von Emotionen blankgefegten Gesicht platzierte. »Wir beide werden nicht mit den Staffeln reisen«, sagte er zu seinem Cousin, »Sondern den Weg südlich der Zivildörfer sichern. Du kennst die Route?« Shisui nickte, jedoch nicht ohne einen zweifelnden Seitenblick auf Yūgao zu werfen, die ohne weitere Worte zu verlieren zur dritten Staffel aufbrach.

»Lass uns gehen«, sagte er zu Itachi. Mit einem Blinzeln waren sie verschwunden.

»Seid ihr jetzt offiziell zusammen?«, wollte Sasuke wissen. Sakura hatte ihn nicht einmal an sie herantreten hören. Sie wollte erst keine Antwort geben, entschied sich aber dazu, die Schultern zu zucken.

»Mach dir darüber keine Gedanken.« Ihre Aufmerksamkeit wurde auf die aufgehende Märzsonne gelenkt, die zwar noch nicht sichtbar am Himmel stand, jedoch bereits ihren leuchtenden Halo am dunklen Horizont erkennen ließ. »Es wird Zeit.«
 

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Sasuke tat nicht kund, welcher Staffel er sich anschließen würde. Dass er nicht mit seinem Bruder und seinem Cousin in seiner ANBU Truppe reiste, war verdächtig, andererseits maß Sakura sich nicht an, in Shikamarus gewieften Verstand blicken zu können. Sie bildete sich ein, Sasuke bei Kakashi gesehen zu haben. Auf den zweiten Blick waren beide allerdings nicht mehr zu sehen, weswegen sie es als Einbildung abstempelte. Sai und Naruto waren genügend Gesellschaft, wenn sie ehrlich war. Wenn sie noch ehrlicher war, hätte sie sich mit Sasuke trottzdem sicherer gefühlt. In den letzten Wochen hatten sie eine neue Dynamik für ihr außergewöhnliches Quartett erarbeitet. So merkwürdig es klang, sie verstanden sich auf ihre sehr spezielle Art und hatten eine absurde, dafür aber nicht weniger reale und wertvolle Freundschaft entwickelt. Genau diese hätte Sakura gebraucht, um positiv zu denken.

»Es wird schon alles gut gehen, du wirst sehen«, überschlug Naruto die Gefahr pauschal wie eh und je. Wäre ein sonnengroßer Meteorit im Inbegriff auf Konoha zu stürzen und wäre er nur wenige Meter von der Spitze des Hokageturms entfernt, hätte er dasselbe gesagt. Seine Zuversicht war nicht zuverlässig, aber zumindest zulässig.

»Ich bin schon auf diesen Killer B gespannt«, plauderte er weiter. Sie hielten lockeres Lauftempo, das nur den wenigsten zu schaffen machte. Aufgrund ihres Ranges hatte das dreiviertel Team Sieben die Führungsposition am Kopf der fünfzigköpfigen Staffel übernommen. Die letzte Pause hatten sie vor zwei Stunden angeordnet, um geringfügige Modifikationen an der Formation vorzunehmen. Seitdem liefen sie nahezu lautlos durch den Wald in Richtung Westen, direkt hinter ihnen die ächzenden Gepäckträger, die mit allerlei Material beladen waren.

»Vermutlich ist er wie alle aus Iwagakure«, meinte Sakura. »Die drei S.«

»Skurril, schrullig, spleenig.« Es war Izuya, der ohne seine Maske zu der Führungsspitze aufgeholt hatte. »Wisst ihr, dass man diesen Begriff in Konoha um einen Buchstaben erweitert hat? Skurril, schrullig, spleenig, notorisch. So wie Sai, Sasuke, Sakura, Naruto.«

»Was?!« Sakura hätte sich fast an etwas verschluckt, das gar nicht da war. Wie kam man darauf, sie mit diesen Attributen auszuzeichnen? Nicht, dass es tatsächlich eine Auszeichnung wäre, spleenig genannt zu werden. Sie hatte keinen Spleen. Nicht einen! »Wer sagt sowas?«

Izuya hob abwehrend die Hände vor den Brustpanzer. »Niemand wichtiges. Meine Familie wohnt neben Asuka-chan. Sie ist sehr redselig, darum bekomme ich den Tratsch der Jüngeren eben mit. Ihr seid Ikonen für den Nachwuchs. Kaum jemand wird so oft als Vorbild angegeben wie ihr vier.«

»Ach ja?«

»Taijutsu und Heilkunst waren bei Mädchen noch nie so beliebt wie heute. Es gibt viele Genin, die aus Jux blaue Bälle werfen, um zu tun, als beherrschen sie das Rasengan. Manche schlagen sich absichtlich ins Auge, um beim Ninjaspielen Sasukes Sharingan zu imitieren, einige andere malen kleine Gemälde, die sie gegeneinander antreten lassen.«

»Wie cool!«, jubelte Naruto grinsend. »Wir sind sowas wie Berühmtheiten, ja? Beliebter als die Densetsu no Sannin?«

»Das ist wohl Auslegungssache«, schränkte der Uchiha ein. »Für die Jüngeren seid ihr greifbarer, aktueller, insofern kann man sagen, dass ihr wohl beliebter seid. Es gibt hunderte Geschichten, die sich die Akademieschüler erzählen. Soweit ich weiß, stimmen aber nur wenige davon wirklich.«

Naruto ließ sich in seinem Eifer nicht dämpfen. Er weitete sein Grinsen bis zu den Ohren aus, wo es blieb, bis sich der Weg teilte. »Meine eigene Fangemeinde«, schwelgte er. »Was ich damit wohl anstellen kann?«

Mit verklärtem Blick folgte er der Gruppe nach links bis zur nächsten Abzweigung, bei der er nach einem Murmeln, das sich anhörte wie »Ein Harem voller Henge« wieder ernst wurde. Von hier an galt das Gebot der äußersten Vorsicht. In zwölf Kilometern hätten sie das Basislager nach zwei Tagesmärschen endlich erreicht. Es war nur mehr ein Katzensprung, der sie von allem trennte. Sakura spürte Izuyas Blick auf ihr, mit dem er versuchte, sie abzuschätzen. Es war nicht schwer zu erraten, dass er sich fragte, was Itachi an ihr fand, außer dass sie die Adeptin Senju Tsunades und die Heldin der Akademī-sei war. Es waren jene kleinen, unwichtigen Gedanken, die ihn wie jeden anderen ablenkte.

Zehn Kilometer noch.

Sakura schickte ein letztes Stoßgebet an die Götter, die es irgendwo geben sollte. Sie sah Itachis Gesicht vor sich, entspannt und menschlich, wie sie ihn gestern Nacht angestarrt hatte. Sie sah Narutos grundloses Grinsen, Sais peinlich berührte Miene, Sasukes herablassend-arrogantes Lächeln, das in Wahrheit gar nicht so arrogant und herablassend war, wie jeder glaubte.

Fünf Kilometer.

Sie sah Team Sieben, vereint inmitten eines Trainingsplatzes stehen, auf dem sie einander bis zum Äußersten trieben. Sasukes Rage, weil Sai ihn unwillkürlich beleidigt hatte. Narutos Einmischung, bloß weil er auf einen Kampf scharf war. Ihr eigener Ärger über das kindische Benehmen ihrer Teamkameraden, der sich so weit steigerte, bis sie ebenfalls einstieg.

Vier Kilometer.

Sie sah Inos gerötete Wangen, weil sie ihre herausragende Arbeit an Yūgao gelobt hatte. Shizunes blindes Vertrauen in Sakuras Fähigkeiten.

Drei Kilometer.

Sie sah Hinata, wie sie vor Naruto stotterte, bloß um ihn anschließend im Training zu verprügeln, weil er sie um den vollen Einsatz des Byakugans gebeten hatte.

Zwei Kilometer.

Sie sah die furchterfüllten Gesichter ihrer Eltern, von denen sie sich immer weiter entfernt hatte, und die dennoch jede Sekunde um ihre Tochter bangten.

Ein Kilometer.

Sie sah gleißendes Licht, wo der Wald aufhörte und der Krieg begann.

 
 

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Slaughter Fields


 

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Zu behaupten, das Kriegslager der Alliierten Shinobinationen wäre das größte bewohnte Areal, das sie jemals gesehen hatte, wäre eine Untertreibung Sondergleichen gewesen. Sakura war erstaunt, wie viele Ninjas bereits umherliefen, obwohl sie doch eine der ersten Staffeln angeführt hatten. Es waren nicht nur Ninjas der drei Nationen, sondern auch Zivilisten. Natürlich, was hatte sie erwartet? Kämpfe waren nur ein kleiner Teil des Krieges. Scharen von Köchen, Schmieden, Ärzten und Handwerkern errichteten ihre Werkstätten. Alleine der Nahrungsmittelvorrat, den sie in einem offenen Zelt ausmachen konnte, war gigantisch. Dabei war dies bestimmt nur ein kleiner Teil dessen, das man insgesamt mit sich gebracht hatte.

»Stellt es dort drüben ab und meldet euch bei den Koordinatoren!«, befahl sie ihrer Staffel, deren Mitglieder nun nicht länger ihrem Kommando unterstanden. Die Träger luden ihre Güter auf einer freien Fläche ab, wo sofort zuständige Shinobi mit der Sortierung begannen. Hunderte Zelte standen auf dem Plateau verteilt, an dessen Rand Sakura trat. Der Ausblick war überwältigend. Er reichte über eine kilometerlange und endlos breite Grasebene gut sechzig Meter unter der Klippe bis hin zum nächsten Plateau, das ebenso steil anstieg. Wenn sie schnell wäre, würde sie vielleicht zwanzig Minuten brauchen, um die Kluft zwischen den Lagern zu überqueren. Die nervigen Hindernisse wie Gegner nicht mit einbezogen.

Sai trat an sie heran. »Es erinnert mich an eine Wunde«, sagte er mit Deut auf die grüne Ebene. »Als hätte die stumpfe Kralle eines berggroßen Ungeheuers eine Kratzspur auf dem Plateau hinterlassen.«

»Sieht so aus.« Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Sakura wandte sich vom Rand ab und begann ziellos das Lager zu durchstreifen. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, während über ihren Köpfen der Himmel sonnig und klar war, wie man es sich für ein Picknick gewünscht hätte. An manchen Stellen wurden Zelte aufgebaut, an anderen saßen Menschen, die ihre Aufgabe bereits erledigt hatten, um noch nicht entfachte Lagerfeuer und erzählen sich heroische Anekdoten, die gar nicht so heroisch waren, sondern bloß in tiefer Stimme rezitiert wurden, sodass man annehmen konnte, es stecke ein halber Epos dahinter. Irgendwo zwischen Kisten, Zelten und Kartonagen fand sie Ino und Chōji sich gegenseitig anschweigen. Ino präparierte wortlos eine Medizintasche. Soweit Sakura wusste, war sie eine von viel zu wenigen Iryōnin, die im mobilen Lazarett tätig waren. Das war gut. Es bedeutete, dass sie eine größere Chance hatte, das alles lebend zu überstehen, sollte sie sich nicht zu weit nach vorne wagen. Sunagakure hatte dank Tsunades Bestreben und Gaaras Kooperationsbereitschaft einen fundierten medizinischen Sektor aufgebaut. Die Ärzte dieses Systems werkten eifrig an ihrem Basiszelt, in dem sie nach der ersten Schlacht die Verletzten versorgen würden. Inmitten des Aufbaus saß Yūgao, deren Brandnarben von Shizune mit Chakra behandelt wurden, um die letzten oberflächlichen Verletzungen zu eliminieren.

Sakura setzte ihren Weg widerwillig fort. Sie versuchte nach Sasuke oder Itachi Ausschau zu halten, doch außer Izuya fand sie keinen einzigen Uchiha. Bis auf …

»Was zum Henker tust du denn hier?!«, fauchte sie entrüstet. Sie zog das schwarzhaarige Mädchen vom Eingang eines großen Zeltes weg und wollte sie schelten, doch Asuka legte ihren Finger an die Lippen, um Sakura zu bedeuten, still zu sein. Aus Reflex leistete sie Gehorsam. Das Gespräch, das Asuka belauscht hatte, war es wert, sich von einem minderjährigen Genin befehligen zu lassen. Sie hatte Danzōs letzte Worte zwar nicht mitbekommen, was er gesagt hatte war jedoch nicht schwer zu erraten. Es ließ Tsunade anklagend auf ihn deuten.

»Wir werden Naruto nicht bitten, Kyūbi zu benützen!«, fauchte sie mit jener Schärfe, die sie gegen Shizune gerichtet hatte, als diese ihr ausreden hatte wollen, so kurz nach dem Wiedererlangen ihres Bewusstseins mit an die Front zu reisen.

»Denken Sie, wir hätten ohne den Bijū eine Chance? Seien Sie nicht töricht!«

»Der einzige Tor bist du, Danzō!«, wetterte Tsunade weiter. Sie befreite sich aus ihren zwei Decken, warf sich den Hokagemantel um die Schultern und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Jiraiyas und Kakashis Stütze wehrte sie rigoros ab. »Ich bin keine senile alte Frau, ebenso wenig eine Invalide! Ich bin die Godaime Hokage Konohagakure no Satos und ich verlange, dass meine Entscheidungen respektiert werden!«

»Aber Tsunade-obāchan!«

Sakura hatte Naruto in der Ecke des Führungszeltes gar nicht gesehen. Er stand zwischen Gaara, Temari und einem muskulösen Mann, der, braungebrannt wie er war, nur aus Kaminari no Kuni kommen konnte. Naruto trat mit von sich gestreckten Armen aus ihrer Mitte. »Ich kann es schaffen, ihn zu kontrollieren! Wenn der Typ hier mir hilft, kann ich Kyūbis Stärke für unsere Seite nützen!«

»Hör' auf mich 'Typ' zu nennen, du Dreikäsekoch! Mein Name ist Jinchūriki-sama!«

Naruto warf ihm einen skeptischen Blick über die Schultern zu. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es 'Dreikäsehoch' heißt … wie auch immer. Tsunade-obāchan, bitte! Geben Sie mir ein paar Stunden! Ich weiß, dass ich es schaffen kann!«

»Red' keinen Schwachsinn!«, fuhr Tsunade ihn an. »Wie willst du binnen einer Nacht Kyūbi unter deine Kontrolle zu bringen? Dieses Biest hat uns schon einmal fast vernichtet, ich werde es nicht auf einen zweiten Versuch ankommen lassen!«

»Sie werden es bereuen, Hokage-sama.«

»Spar' dir deinen Zynismus, Danzō, und schaff deinen Hintern aus meinem Zelt! Wenn du weiterhin versuchst, meinen Shinobi Flöhe ins Ohr zu setzen, lasse ich dich evakuieren! Ich bin aufgrund deiner immer noch währenden Position als Heerführer zwar nur pro forma hier, aber ich bin immer noch Hokage! Wenn ich es darauf ankommen lasse, zählt mein letztes Wort hundertmal mehr als deine ganze Rede.«

Sakura wollte bereits einschreiten, um den Mann, der ihre Meisterin mit grimmigem Blick zu bedrohen versuchte, eigenhändig aus dem Zelt zu werfen, doch Danzō zog von Dannen, ehe sie einen Fuß in das Zelt setzen konnte. Die Stimmung darin kippte schlagartig.

»Hokage-sama.« Gaara trat neben Naruto und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich respektiere Ihre Bedenken. Nichtsdestoweniger denke ich, dass Sie Naruto unterschätzen. Lassen Sie ihn versuchen, was B-san bereits schaffte. Es mag schwierig sein, aber nicht unmöglich. Wenn ich jemandem zutraue, etwas zu erbringen, das uns allen derart unwahrscheinlich erscheint, dann ist es Naruto.«

Tsunade biss sich auf die ausnahmsweise ungeschminkten Lippen. Schweigen kehrte ein. Minutenlang. »Von mir aus. Trainiert unten am Fluss, am besten talwärts bei den Wasserfällen, mindestens zehn Kilometer weit weg. Morgen Früh kommen die letzten Einheiten an, dann werden wir weitersehen. Naruto«, hielt sie ihn zurück, »Du sollst wissen, dass ich Gaaras Meinung teile. Wenn es jemanden gibt, der bewerkstelligen kann, was du dir vorgenommen hast, dann bist du derjenige, auf den ich setze.«

»Es wäre ein größeres Lob, wenn du nicht immer verlieren würdest, Tsunade-hime«, bemerkte Jiraiya neckisch. Der Blick, den er Naruto zuwarf, und sein anschließendes Nicken ließen keine Zweifel aufkommen, dass auch er die Entscheidung der Hokage unterstützte. »Geh lieber, bevor sie es sich anders überlegt, Naruto.«

»Danke, Tsunade-obāchan, Ero-sennin!«

Sakura zog Asuka an der Schulter um die Ecke, als Naruto zusammen mit B in gewohntem Übereifer hinaus sprintete. Um ein Haar hätte er die beiden Kunoichis auf seinem Weg nach draußen umgerannt. Ein junger Shinobi hatte weniger Glück. Er stand ihm zwar im Weg, jedoch nicht lange. Im Inneren des Zeltes brach eine heftige Diskussion über Tsunades Entscheidung los, die Sakura nicht mehr mit verfolgen wollte.

»Nun zu dir, Fräulein!«, brummte sie Asuka an. Die Uchiha hatte sich klammheimlich davonschleichen wollen. Sakura schnitt ihr den Weg ab. »Was denkst du dir dabei, hier zu sein?«

»Ich bin eine Kunoichi Konohas, Sakura-sensei! Fugaku-san stellte jeden Uchiha vor die Wahl, mit der Familie zu gehen oder in den Krieg zu ziehen. Meine Entscheidung war es, meinem Heimatland beizustehen, selbst wenn ich dabei sterbe!«

Sakura fuhr sich unwirsch durch ihren Pferdeschwanz, der sie nervtötend die ganze Zeit über im Nacken gekitzelt hatte. »Dein Cousin hat viel zu viel auf dich abgefärbt. Ehrlich, Asuka-chan, ich bewundere deinen Mut, aber das ist kein Spielplatz. Genin haben auf dem Schlachtfeld nichts zu suchen, freiwillig hier oder nicht. Du hast dich widerrechtlich einer Reisegruppe angeschlossen, hältst dich in einer verbotenen Zone auf und hast du dir schon einmal überlegt, welchen kollektiven Herzinfarkt deine Familie bekommen wird, wenn du nicht da bist, wo du sein solltest?«

»Ich bin genau da, wo ich sein sollte! An der Front, um meinem Land zu dienen!« Asuka stampfte auf dem Boden aus, wobei der rechte Kragen ihres Trainingskimonos verrutschte. Sakura konnte nicht anders, als ein wenig unangebrachtes Amüsement über die Naivität der Jüngeren zu empfinden. Asuka war talentiert, keine Frage. Seit dem Erwachen ihres Sharingans war sie weit über das Level eines Genin hinaus. Sie konnte nichts dafür, dass die Prüfungen wegen der internationalen Krise ausgesetzt worden war.

»Hast du überhaupt eine Ahnung, was du da sagst?«, tadelte Sakura. Es spielte keine Rolle, wie gut Asuka war. Sie war Genin. Punkt. »Ich will dich nicht diskreditieren. Du hast ein Talent, von dem viele andere nur träumen können, aber du bist erst zwölf Jahre alt. Das ist kein faires Duell, bei dem der Stärkere gewinnt! Es ist ein brutales Abschlachten, in dem Erfahrung und Skrupellosigkeit über Ehre siegt.«

»Andere haben auch in diesem Alter gekämpft! Yondaime-sama, Kakashi-san und Asuma-san zum Beispiel! Sie waren jünger als ich und durften mitkämpfen!« Asuka machte keine Anstalten, einzulenken. Dieses Uchihagen! Stur bis zum Schluss! Als wären Namikaze Minato, Hatake Kakashi und Sarutobi Asuma ein Maßstab! Es war eine andere Zeit, in die sie geboren worden waren. Härtere Zeiten, in denen es keine Kindheit gegeben hatte. Sie hatten Furchtbares erlebt; wieso war Asuka so versessen darauf, ihnen nachzueifern? Ein Rascheln im Busch brachte Sakura auf eine Idee. Sie fand den Gedanken nicht schön, ganz und gar nicht, aber sie hatte keine andere Wahl.

»Im Unterholz hat sich ein Hase versteckt, weil wir seinen Lebensraumzertrampelt haben. Wenn du ihn tötest, werde ich dich nicht nach Hause schicken.«

»Was?« Das Mädchen schlug sich entrüstet die Hände vor den Mund. Ihre Augen verrieten ihre Verweigerung. »Ich kann doch kein unschuldiges Tier töten, bloß um etwas zu beweisen! Das ist nicht –  … es ist nicht …«

»Das ist nicht fair, ja?«, vollendete Sakura den begonnen Satz. »Natürlich ist es das nicht. Ebenso wenig fair wird dort draußen gekämpft werden. Nahezu jeder Ninja, den du hier töten wirst, ist ein Unschuldiger. Im Gegensatz zu diesem Hasen, sind Shinobi nicht wehrlos. Sie hätten dich bereits dreimal massakriert, bevor du auch nur den Mut aufbringen könntest, einen von ihnen zu töten.«

»Yondaime-sama, Kakashi-senpai und Asuma-senpai mögen bereits in einem einstelligen Alter ihre ersten Schlachten geschlagen haben –« Dass sie nicht gehört hatte, wie derjenige, dem die Stimme gehörte, sich lautlos genähert hatte, war nicht verwunderlich. Asuka erschrak mehr als Sakura. Sie wandte trotzig den Blick ab, als Itachi an sie herantrat. »– aber sieh dir an, was aus ihnen geworden ist. Zwei tot, einer verfolgt von den Geistern dieser furchtbaren Jahre. Keiner von ihnen hätte auch nur einen Augenblick gezögert, diesen Hasen mit bloßen Händen zu erschlagen. Keiner. Ich will nicht, dass du dieses Elend erlebst, diese Verbitterung, die dir alles nehmen wird, was du hast.« Itachi kniete sich vor seine Cousine und nahm ihre schmalen Schultern zwischen seine Hände. »Wir schätzen deinen Mut, aber du wärst uns hier nur im Weg. Sakura, würdest du sie zu Hokage-sama bringen? Ich möchte nicht, dass sie unbeaufsichtigt herumstreunt.«

»Natürlich.«

Itachi stand auf und nahm Sakura zur Seite, das Gesicht halb von Asuka abgewandt, die schmollend gegen einen Stein trat. Er senkte seine Stimme besorgt. Seine Hand an ihrem Oberarm, an dem er sie zur Seite geschoben hatte, nahm sie kaum wahr. »Wie kam sie hierher?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Sakura überfragt. »Ich fand sie lauschend an Tsunade-samas Zelt. Deine Familie weiß nichts davon, nehme ich an?«

Itachi schüttelte den Kopf. »Hätten wir es geahnt, hätten wir es verhindert. Dieses störrische Mädchen. Sie lässt sich von niemandem etwas sagen.«

»Möglicherweise hat dein Sharingan selbstständig ein Raum-Zeit-Kontinuum verschoben, durch das du in der Zeit zurückgereist bist, um mit eine Affäre mit ihrer Mutter zu haben, anders kann ich mir nämlich nicht erklären, wieso sie haargenau so ist wie du, Itachi: überheblich, arrogant und stur.«

»Wie charmant«, tadelte er. »Ich finde es überaus reizend, dass du das Team-Sieben-Teamwork stärken willst, indem du Sai-sans unangemessen obszöne Inzestwitze mit einer attributiven Komponente zu einer hinreichend kränkenden Beleidigung formulierst, um mir zu sagen, dass ich lockerer werden soll.« Er schüttelte den Kopf. »Wie auch immer, wir reden später darüber. Bitte kümmere dich darum, dass Asuka-chan versorgt wird. Ich möchte sie mit keinem Fuß auf dem Schlachtfeld sehen.«

»Ich werde sie unter Tsunade-samas Aufsicht stellen, wenn dir das recht ist«, schlug Sakura vor. Sie wartete sein Nicken ab, ehe sie über seine Wange strich. Wieso sie es tat, wusste sie nicht. Ihr war einfach danach. Itachis stoische Miene, die sich keinen Millimeter verzog, hinderte sie nicht daran, bis zu seiner Halsbeuge zu streichen und bei seiner Schulter zu stoppen. Sie drückte sie liebevoll durch den Schulterpanzer der ANBU Uniform. »Danke für dein Vertrauen.«

Itachi nickte erneut. Sie ließ von ihm ab, ging an ihm vorbei und nahm Asuka bei der Hand.

»Du kommst mit mir. Tsunade-sama hat sicherlich eine Aufgabe für dich, bei der du dich nützlich machen kannst.«

Unter Protest zog sie die jüngste Uchiha mit sich in das Zelt. Itachi sah den beiden nach, dann verschwand er ebenso lautlos und unbemerkt, wie er gekommen war.
 

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Es dauerte noch exakt zwei Tage, bis alle anderen Staffeln eingetroffen waren. Länger als geplant. Die gegnerische Seite hatte ebenfalls Verzögerungen aussitzen müssen. Es war besorgniserregend, dass niemand vorzeitige Angriffe versuchte. Akatsuki als fairer Gegenspieler war ein Gedanke, den Tsunade nicht gerne hatte. Vermutlich brauchten sie den Trubel des Krieges, um an die beiden Jinchūriki zu kommen. Akatsuki war inzwischen so weit dezimiert worden, dass sie kaum mehr eine Gruppierung genannt werden durften. Uchiha Madara alias Tobi hatte mit ansehen müssen, wie seine wertvollen Schäfchen Stück für Stück auseiander genommen worden waren. Sasori, Deidara, Kakuzu, Hidan, alle getötet von Konohahin während verschiedener Missionen. Sie hätten keine Chance gegen zwei Jinchūriki, die ihre Bijū kontrollieren konnten.

Naruto hatte es einmal mehr geschafft, alle zu überraschen. Inwieweit er Herr über Kyūbi war, war schwer zu sagen. Laut eigener Aussage waren sie nun beste Freunde, mehr oder minder zumindest.

Alles war bereit an diesem kristallklaren Morgen. Sieben Divisionen standen zu Tsunades Füßen Spalier, neben ihr auf der majestätischen Anhöhe der Kazekage und der Raikage. Direkt hinter ihr standen Danzō und Jiraiya. Erster hatte sein Amt nur widerstrebend niedergelegt. Er hatte keine andere Wahl gehabt, nachdem sie ihn in den Boden gerammt hatte. Wortwörtlich. Das Veilchen prangte noch immer über jenem Auge, das nicht einbandagiert war. Von ihrer Position aus konnte sie kaum Gesichter sehen. Nur die gegnerische Front, die immer näher rückte.

Der Himmel war immer noch strahlend blau. Ungetrübt. Heiter.

Ein krasser Gegensatz zu der Szene vor ihr. Sie hielt den Brief, in dem man sich auf den Beginn der Schlacht auf jetzt geeinigt hatte, noch immer in der Hand. Genau diese riss sie nach oben, ihr Mantel wehte ihm Wind. Dies war der Anfang.

Dies war Krieg.
 

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»Wie lange haben wir uns bekriegt bis aufs Blut?«, schallte Tsunades Stimme über ihre Köpfe hinweg. Sakura stand zwischen Sai und Naruto, die ihre Gesichter wie jeder andere nach oben gerichtet hatten, wo sich drei Gestalten abzeichneten.

»Wie lange kämpften wir um das Anrecht, eine Nation zu sein? Vor diesem wurden schon viele Kriege geführt. Kriege, in denen es um Macht ging, um Boden, um Anerkennung, um Reichtum und um Gold. Seit Anbeginn unserer Tradition fließt Blut, gefordert von Waffen. Weil wir Shinobi sind! Weil es unsere Aufgabe ist, zu kämpfen! Doch hier und heute geht es nicht um Juwelen und Land!«

Hinata presste in der vierten Division zwischen hunderten Sunanin die Hand auf ihr Herz, das vor Aufregung wild pochte. Nejis Hand, die ihre Schulter drückte, bot keinerlei Beruhigung. Hinter ihr murmelten ein paar Kunoichis etwas über den Kazekage, der mit verschränkten Armen neben der Hokage stand.

»Es geht nicht um Gold und Souveränität! Es geht um viel mehr! Es geht um unsere Zukunft, die heute in euren Händen liegt! Ihr habt die Macht, die Zukunft dieser Welt zu verändern, indem ihr alles gebt, um zu bewahren, was wir über Jahrzehnte hinweg geschaffen haben! Wir alle versuchten diesen Krieg zu verhindern, jeder einzelne strengte jede Bemühung an, um es nicht so weit kommen zu lassen.«

Shikamaru fühlte Reue. Er und Temari hatten ihren Teil nicht erfüllt. Darum stand er hier, inmitten der sechsten Division, zusammen mit der Schwester des Kazekagen. Sie würden hier nicht sterben, das durften sie nicht. Immerhin hatten sie noch eine offene Shogipartie.

»Doch wir sind hier. Als Einheit. Es geht nicht um den Willen des Feuers, der den Shinobi von Hi no Kuni innewohnt, es geht nicht um den Geist Kaze no Kunis oder die Kraft Kaminari no Kunis, es geht um die Einheit, die wir bilden, zum Wohle des Friedens! Wir werden uns nicht unterkriegen lassen!«

Gaara trat einen Schritt nach vorne. »Wir werden nicht kleinbeigeben!«

A setzte ihm nach. »Wir werden ihnen zeigen, was es bedeutet, sich mit uns anzulegen!«

Zu dritt rissen sie ihre Arme in die Luft und schrien. Der Ruf fand Resonanz in der Armee, die mit emporgehobenen Händen das Echo bildeten. Tenten spürte, wie ihre Kraft rein durch den Schrei zunahm, wie sie unruhiger wurde, ungeduldiger, weil sie nicht mehr warten konnte. Sie hatte stundenlang ihre Waffen sortiert, anstatt wie einige andere mit ihrem Team zusammen gemeinsame Erlebnisse revuepassieren zu lassen. Lee, Neji und sie hatten nicht tun wollen, als sei dies ihr letztes gemeinsames Lagerfeuer. Auf ihrer nächsten Mission würden sie die Erinnerungen an ihre Anfänge nachholen. Vollzählig.

»Wir kämpfen gemeinsam, Seite an Seite!«, brüllte Gaara. »Wir werden Akatsuki und seine Drahtzieher nicht ungeschoren davonkommen lassen!«

Temaris Schrei verebbte wie die tausend anderen um sie herum. Sie würde zusammen mit Shikamaru und den Kumonin der sechsten Division als Brechereinheit fungieren. Seit Monaten hatte sie versucht, etwas Positives an der Misere zu finden. Sie hatte es gefunden. Noch niemals in ihrem Leben hatte sie die wahre Reichweite ihrer Fernkampfjutsus ausprobieren können. Immer hatten Bäume, Häuser oder Zivilisten im Weg gestanden. Diesmal war die Eben frei für die wahre Zerstörungswut, die längst kein Vergleich mehr zu jenem Level war, das sie bei der Chūninauswahlprüfung gehabt hatte, in der sie gegen Shikamaru verloren hatte. Kankurō las ihre Gedanken und reckte den Daumen in die Luft.

»Machen wir sie fertig, Nee-chan.«

»Nee-chan?«, wiederholte Shikamaru. »Wie niedlich.«

»Halt deine Klappe«, fauchten die beiden Geschwister zeitgleich.

Auf dem Kopf des Plateaus hatte Gaara seine Motivationsrede zu Ende gehalten. Nun hieß es Warten.
 

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Von ihrer Position in der dritten Reihe aus beobachtete Sakura, wie die gegnerische Seite – durch die Entfernung ameisengroß wirkend – ihre Formation einnahm. Sie waren etwa gleichstark, zumindest was die Anzahl ihrer Soldaten anbelangte. Sechstausend Mann gegen etwa sechstausendfünfhundert. Der Feind mochte einen kleinen zahlenmäßigen Vorteil haben, dafür hatten sie zwei Jinchūriki und mehr ANBU als irgendjemand sonst. Die maskierten Einheiten waren nirgendwo zu sehen. Soweit Sakura mitbekommen hatte, hielten sie sich für den Anfang im Hintergrund bei dem mobilen Lazarett auf. Hoffentlich versuchte Ino ihre Nervosität nicht mit dummen Fragen zu überspielen, die in dieser Situation unangebracht waren. Sie kannte Itachis Maske, was Sakura sehr begrenzt ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Sofort als es aufkam, verblasste es wieder.

Naruto und Sai standen neben ihr und hatten ihre Hände ergriffen. Instinktiv mussten sie ihre neue Welle an Angst gespürt haben. Mit der vertrauten, wenn auch ungewöhnlich platonisch liebevollen, Berührung, hatten sie die aufkommende Panik im Keim erstickt. Die beiden sahen nicht aus, als verspürten sie Angst.

»Tief durchatmen, Sakura-chan«, riet Naruto ihr. Sie tat wie ihr geheißen. Die beklemmende Furcht verschwand, zurück blieb ein Gefühl, das sie nur zu gut vor einem Trainingskampf kannte. Der Wille, zu gewinnen.

»Alles in Ordnung?« Sai drückte ihre Hand. Sie wollte antworten, doch jemand unterbrach sie mit seiner Anwesenheit. Erst sahen sie nur den schwarzen Schopf, dann das bekannte emotionsblanke Gesicht, das sich durch die Menge schob. Wie selbstverständlich stellte er sich zwischen Sakura und Naruto. Sai war der erste, der etwas sagte. »Von wo kommst du plötzlich her, Uchiha?«

Sasuke warf ihm einen vernichtenden Seitenblick zu. »Das ist mein Team, verdammt! Ich werde also an seiner Seite kämpfen! ANBU hin oder her, Kakashi-senpai war der Meinung, dass ihr Loser mit mir bessere Chancen hättet.«

»Charmant«, kommentierte Sakura, sich Sais Frage in Erinnerung rufend. Ob alles in Ordnung war? Sie lächelte ihn entschlossen an. »Jetzt schon.« Mit ihren drei besten Freunden an ihrer Seite konnte nichts schiefgehen. »Lasst uns ein paar Akatsuki aufmischen, ja?«

»Und zwar zusammen!« Naruto nahm Sasukes Hand, was dieser erfolglos versuchte abzuwehren. »Zier' dich nicht so, Prinzessin, wir sind ein Team! Komme was wolle, wir bleiben zusammen, nicht wahr?«

»Ja!«, stimmten sie einstimmig ein.

Die Silbe verklang. Minuten vergingen, in denen Gaara noch mehr bewegende Worte über seine Männer schallte, doch Team Sieben hörte nicht mehr hin. Sie fokussierten sich aufeinander, stellten sich darauf ein, zu viert eine Einheit zu werden. Jede Bewegung, jeder Handgriff, jeder Schlag und jeder Tritt musste perfekt abgestimmt werden. Sie würden es schaffen.

Dann stand ihnen die Armee gegenüber. Etwa achthundert Meter trennten sie noch. Der Akatsuki namens Tobi, der zwischen Terumī Mei und Onoki stand, kicherte schadenfroh von seiner Position ganz hinten aus. Die beiden Plateaus trennte gut vier Kilometer, dennoch konnte jeder sehen, wie die drei den anderen drei Heerführern zunickten. Zeitgleich hoben sich sechs Arme. Sie verweilten etliche Sekunden oben, umhüllt von absoluter Stille, ehe sie synchron nach unten gezogen wurden.

»Angriff!«, brüllten sechs Stimmen.

Naruto, Sakura, Sasuke und Sai lösten ihre Hände.
 

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Sie preschten los. Sakura konnte den Wind stumpf auf ihrem Gesicht spüren, als sie sich hinter dem Stoßtrupp nach vorne kämpfte. Sai und sie fielen neben Naruto und Sasuke zurück. Die beiden Shinobi rannten wie Geisteskranke nach vorne, überholten die erste Front und sprengten ohne Rücksicht auf Verluste die ersten Reihen der Angreifer. Sekunden später trafen die wahren Streitkräfte aufeinander. Sakura rannte an den ersten Kämpfen vorbei, die zwischen den Stoßtrupps beider Parteien ausgetragen wurden. Hinter ihr holten die Brechereinheiten auf, der Rest der Armeen verkeilte ineinander. Immer mehr schreiende Shinobi bahnten sich ihre Wege bis ganz nach vorne, wo in den hinteren Reihen der Feinde die stärkeren Krieger aufeinander treffen würden.

Von oben starrte Tsunade hasserfüllt auf Terumī Mei, die auf dem gegenüberliegenden Plateau ihre Shinobi befehligte.

Sakura konnte das Spektakel aus ihrer Position mitten im dichter werdenden Gewirr nicht verfolgen. Sie hörte Schreie, Rufe, Parolen, aufeinander prallende Waffen, konnte jedoch keine Richtung ausmachen. Die Laute schienen von überall zu kommen. Neben ihr hatte Sai den Blick starr nach vorne gerichtet. Beinahe beiläufig wischte er einen Kirinin von sich, der von der Seite auf ihn zugetaumelt war. Sie hatten erst ein knappes Drittel ihres Weges zurückgelegt und doch hatten sie ihre beiden Teamkameraden bereits aus den Augen verloren. Die Geschwindigkeit, mit der Naruto und Sasuke losgestürmt waren, war beeindruckend gewesen. Furchterregend, zu welchen physischen Leistungen diese beiden jungen Männer in der Lage waren, nichtsdestoweniger beeindruckend.

Sakura zückte einen Kunai, als zwei Amenin frontal auf sie zuliefen. Sie tauchte unter dem einen hindurch, trat dem anderen in den Rücken und ließ beide achtlos zurück. Sie hatte keine Zeit für die kleinen Fische. Hinter ihr räumte eine Brechereinheit aus drei Chūnin mit ihrem negierten Opfer auf.

»Wie weit noch?«, fragte sie.

»Drei Kilometer schätze ich. Wo sind Naruto und Uchiha hin? Unser Befehl lautete, zusammenzubleiben!« Sai verengte konzentriert die Augen. Er fädelte sich grazil durch eine Woge Iwanin hindurch, die ihm den Weg versperren wollte.

»Wir sollten uns beeilen, wenn wir sie aufhalten wollen«, schlug sie vor. Ihre Schritte wurden schneller. Mit dem angesammelten Schwung sprang sie über eine Horde Ninjas hinweg, die so schnell an ihr vorbeizog, dass sie nicht einmal das Zeichen auf deren Hitai-ate hatte identifizieren können. Sie spürte bereits die ersten Ermüdungserscheinungen in ihren Waden. Sie rührten vom übersteigerten Sprint ohne Aufwärmen. Sakura ignorierte das schwache Ziehen. Es würde irgendwann von selbst verschwinden.

»Da vorne!«, schrie Sai. Zwei Ninjas hatten es geschafft, einen Keil zwischen ihn und seine Partnerin zu treiben. Sakura stieß sich ab, schlug einen der Ninjas von hinten nieder und erkannte gerade noch so ein rotweißes Wappen – kein einziger Uchiha hatte es sich nehmen lassen, auf die Einheitsuniform das Emblem des Klans sticken zu lassen. Doch es war nicht wie erhofft Sasuke, dessen schwarzes Haar in einer Drehung um die grazile Silhouette wirbelte. Sakuras Herz setzte für die Dauer eines Augenblinzelns aus; »Asuka-chan!«

Ihre Stimme war ein ersticktes Keuchen. Sie wollte zu dem Mädchen laufen, sie am Genick packen und gewaltsam zurück zum Lazarett hinter den Angriffslinien zerren. Ihr Teamkamerad hielt sie zurück.

»Wir haben keine Zeit dafür, Sakura. Wie willst du einen Uchiha wirkungsvoll belehren?«

»Du hast recht«, gab sie zu, ohne zu meinen, was sie sagte. Es gab Situationen in einem Krieg, in denen man sich entscheiden musste. Asuka hatte sich entschieden, zu kämpfen. Im Gegensatz zu ihrem eigenen zwölfjährigen Ich war das Wunderkind des Uchihaklans kein schwaches, wehrloses Kind. Die Effizienz, mit der sie den Haufen bewusstloser oder toter Ninjas um sich herum sukzessive vergrößerte, war Beweis genug. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, setzten sie ihren Weg nach vorne fort. Manchmal dachte Sakura, altbekannte Gesichter in dem Meer aus Ninjas zu erkennen; Feinde und Verbündete, die längst tot sein müssten. Immer weiter folgte sie der Spur der Verwüstung, die Naruto und Sasuke rücksichtlos hinterlassen hatten. Es war unmöglich zu schätzen, wie weit die beiden bereits vorgedrungen waren, gleichzeitig wurde es unnötig, es zu errechnen. Als sich eine neue Angriffswelle um sie herum lichtete, bremste sie abrupt ihren Schwung ab, mit dem sie zwei Angreifer ohne ersichtliches Hitai-ate in den Boden betoniert hatte. Schwer atmend wich sie zurück, die Augen weit aufgerissen.

»Wie –«, stammelte sie fassunglos. Ja, wie? Wie war es möglich, dass Naruto und Sasuke mit gefletschten Zähnen vor einem rothaarigen Mann standen, dessen genaues Ebenbild sie vor Monaten mit eigenen Händen getötet hatte?

»Akasuna no Sasori, hm?« Es war Sai, der unberührt von seinem paradoxen Gegenüber die Stimme erhob. Sein harter Ton ging im umliegenden Tumult beinahe unter; inzwischen war die sechste Division der Alliierten Shinobi Mächte bis zu den Verteidigungslinien der Akatsuki-Union vorgedrungen.

»Wie kann das sein?«, schrie Sakura aufgebracht. »Ich habe dein Blut an meinen Händen, ich habe dir das Herz aus der Brust gerissen und es mit meinen eigenen Fingern zerquetscht!«

»Ist das nicht egal?« Sasuke zog sie an der Schulter zurück und stellte sich als Barriere vor sie. »Reiß dich zusammen, Sakura! Das ist ein Kriegsschauplatz und kein Kinderspielfeld! Wir erledigen ihn und machen weiter, womit wir angefangen haben.«

Er hatte recht. Sakura schüttelte ihren Kopf frei von der biologischen Unmöglichkeit. Kabuto. Es musste Kabutos Werk sein, wer sonst wäre dazu fähig, den Tod auszutricksen? »Wie auch immer, ich habe ihn schon einmal erledigt. Ein zweites Mal dürfte kein Problem sein. Geht schon mal vor, ich komme nach, sobald ich hier fertig bin.« Zur Untermalung ihrer Motivation zog sie ihre Handschuhe fester an. Naruto blauer Blick glühte voll Zustimmung, dann preschte er nach vorne, an dem regungslosen Sasori vorbei, dicht gefolgt von Sai. Sasuke blieb mit einem herausfordernden Grinsen zurück.

»Was soll das werden?«, fragte Sakura überrascht.

»Naruto schafft es auch alleine, Chaos in das Hauptlager zu bringen, dazu braucht er mich nicht.«

Sie lachte in sich hinein – welch unpassender Zeitpunkt für Uchiha Sasuke, um so etwas wie kollegial zu werden. Sie würde sich nicht beschweren. Wenn er ihr helfen wollte, durfte er es gerne tun, selbst wenn seine vermeintliche Kameradschaftlichkeit eher von der Neugierde herrührte, sie endlich in Aktion sehen zu wollen.

Auf sein Zeichen hin – die Aktivierung des Sharingans – pumpte sie Chakra in ihre Fäuste und rammte eine davon in den Erdboden. Teller- bis tonnendeckelgroße Trümmer brachen heraus, begleitet von Staub, durch den Sasuke nach vorne schnellte und eine Katonjutsu auf seinen Gegner abfeuerte. Sie schlug mit voller Kraft ein, versengte die karge Vegetation. Er hätte schwören können, getroffen zu haben! Sein Sharingan erfasste automatisch eine Jutsu, die hinter Sakura generiert wurde und der Beweis für seinen Fehlschlag war.

»Sakura!«

Sie hörte Sasuke nur am Rande. Selbst ohne seine Warnung hätte sie das Geräusch vernommen; es klang wie dünne Drahtschnüre, die man synchron fest zurrte. Ihre Vermutung war richtig; bevor die Fäden sie fangen konnten, sprang sie hoch, wo sie fast mit Sasuke zusammenprallte, der mit einem Schrei gleich vier Kunai durch die Luft schickte. Sasori wich mit einer fließenden Bewegung aus, die glatte Miene kaum verändert, kappte seine eigenen Schnüre und erstarrte in einem Handzeichen. Unter dem wallenden Rauch erspähte Sakura unnatürlichen Schatten – sie wusste genau, was hier gespielt wurde. Mit Schwung stieß sie sich an Sasuke ab, um ihre Flugbahn zu korrigieren und schmetterte ihre chakrainfundierte Faust auf den bewegungslosen Gegner, der in seine Einzelteile zerschellte. 

»Shikamaru!«, rief sie teilweise erleichtert. Ihre Landung wurde von ihren ächzenden Gelenken abgefedert, neben ihr kam Sasuke zu Boden. Er beäugte prüfend die verblassende Kagemane no Jutsu. »Gute Arbeit.«

Weder Shikamaru noch seine Begleiter – Ino, Temari, Shino und Kankurō – gingen auf dieses Lob ein. »Wo ist Naruto?«, fragte er barsch. »Die Dritte und Sechste Division wurden deformiert, inzwischen macht hier jeder was er will! Wir brauchen zumindest Eckpfeiler, die die Ordnung stützen!«

»Naruto und Sai sind vorne –«

»Dann steht nicht rum und genießt euren Sieg, sondern geht ihm nach! Wenn wir ihre Vorräte heute vernichten, wird dieser Krieg keine zwei Tage mehr dauern!«

Sakura bedankte sich mit einem Kopfnicken für die Rettung, ehe sie zusammen mit Sasuke in die Richtung lief, die ihre anderen beiden Kameraden zuvor eingeschlagen hatten. Sie hätte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde, zusammenzubleiben. »Denkt du, sie sind schon eingedrungen, Sasuke?«

»Ich frage mich eher, wieso uns ein totes Mitglied von Akatsuki über den Weg gelaufen ist«, meinte er nachdenklich, die sharinganroten Augen wachsam auf die Umgebung gerichtet, in der die Reihen immer lichter wurden. Sie hatten den Hauptschauplatz also bereits verlassen. »Wieso konnten wir ihn so einfach vernichten?«

Sakura zog ihre Augenbrauen unheilvoll zusammen. »Kabuto mag ein Genie sein, aber Tote wiederauferstehen zu lassen ist eine riskante Sache. Augenscheinlich ist er nicht o gut, wie er denkt.«

»Du meinst, er hat wirklich einen Toten ins Reich der Lebenden zurückgeholt?«

Sie nickte. »Anders kann ich es mir nicht erklären. Wir werden es herausfinden. Ich dachte, Itachi und ich hätten Kabuto getötet, aber scheinbar war das ein Irrtum. Wenn ich diesen Bastard erwische, wird er dafür bezahlen, die Ehre der Iryōnin besudelt zu haben. Das schwöre ich bei meinem Leben.«

Sasuke erwiderte nichts. Der Himmel über ihnen hatte zugezogen, das gedimmte Sonnenlicht hüllte den Fuß des Plateaus in tristes Grau. Der Kampf fand weit hinter ihnen statt. So weit, dass er nur mehr in einem dumpfen Echo zu hören war. Sie waren immer weiter an den Rand gelaufen, wo sie nicht auffielen, als sie sich schleichend dem Basislager näherten. Versteckt hinter kargen Büschen deaktivierte Sasuke sein Sharingan, während Sakura tief Luft holte. Sie hatte gedacht, nervös zu werden. Stattdessen erfüllte sie eine eiserne Ruhe. Etwas abseits ihres notdürftigen Verstecks patrouillierten obligatorisch drei Ninjas. Niemand in der Akatsuki-Union rechnete mit eine Angriff auf ihre Naturalien.

Mit einem Handwink bedeutete Sasuke ihr, ihm nach vorne zu folgen. Geschmeidig wie Katzen schmiegten sie sich an der rauen Felswand entlang, immer weiter nach vorne, bis die drei Patrouillen laut- wie leblos zu Boden gingen. Sasuke machte sich nicht die Mühe, seine Kunai zurückzuholen. Er drückte Sakuras Hand, nickte ihr aufmunternd zu, was sie entschlossen erwiderte, und gemeinsam betraten sie unbemerkt das feindliche Lager. Sieg oder Niederlage. Zum Teil lag es an ihnen.

Und Sakura hatte nicht vor, Konohagakure no Sato zu enttäuschen.

 
 

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Death And Dying


 

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»Hinata-chan!«

»Naruto-kun!«

Noch nie war eine schüchtern-überraschte Begrüßung so fehl am Platz. Sakura verdrehte die Augen. Sie und Sasuke hatten im Inneren des Feindlagers schnell zu Naruto und Sai aufgeschlossen. Die ertönenden Sirenen im nicht weit entfernten Hintergrund hatten sie sicherheitshalber hinter einem leeren Zelt in Deckung gehen lassen, wo sie unverhofft auf Hinata, Kiba und Akamaru gestoßen waren.

»Was macht ihr hier?«

»Frag nicht so blöd, Dumpfbacke! Wir haben denselben Auftrag wie ihr«, feixte Kiba angespannt. Er hatte seine für den Inuzukaklan typischen Farbstreifen im Gesicht zu einer beeindruckenden Kriegsbemalung ausgeweitet. Über Hinatas Nase prangte bis zu beiden Ohren ebenfalls ein lilafarbener breiter Streifen, der bedrohlich wirken sollte, in Wahrheit aber aussah, als habe eine Horde Akademieschüler sie während eines Kindergeburtstags in die Finger bekommen.

»Nenn mich nicht Dumpfbacke, Köter …«

»Ruhe, alle beide!« Die Anwesenden wandten sich der verärgerten Sprecherin zu. Hinata hatte ihre Byakugan aktiviert, was eine ganze Ecke bedrohlicher wirkte als ihre dezente Gesichtsbemalung. Mit ihrer Anspannung besann sich synchron der Rest der Truppe auf ihren Fokus. »Im Radius von achtzig Fuß befinden sich insgesamt neunzehn Shinobi mit mittlerem Chakraniveau, drei mit hohem. Kiba-kun und ich haben uns bereits ein Bild von der Struktur des Lagers gemacht.« Sie zeichnete mit ihren Fingern ein Quadrat in den Boden, darin zog sie sieben unterschiedlich große Kreise.

»Was ist das, Hinata-chan?«, fragte Naruto. In jeder anderen Situation wäre sie in Ohnmacht gefallen aufgrund seiner Nähe, in der seine Schulter gegen die ihre stieß, weil sechs Menschen und ein lächerlich großer Hund sich um ein sechzig Mal sechzig Zentimeter Quadrat drängten. Nicht so heute. Die Hyūgas waren bekannt dafür, durch den Vorteil ihres Kekkei Genkai schnell passende Kriegsstrategien entwerfen zu können.

»Das ist eine Skizze des gesamten Lagers. Sie haben es in Themenbereiche gegliedert: hier, hier und hier sind die Schlafplätze. Außerdem gibt es zwei Nahrungsspeicher und drei Waffenarsenale, wobei das nördliche für große Waffen dient, das nordöstliche für Schriftrollen und das westliche für kleinere Behelfswerkzeuge. Die Arsenale werde von jeweils acht bis zwölf Shinobi auf Chūninlevel bewacht. Die beiden Nahrungsspeicher liegen etwa fünfzig Meter auseinander und werden nur von einer dreiköpfigen Patrouille abwechselnd im viertelstündigen Takt überprüft.«

»Wahnsinn, Hinata!«, bemerkte Sakura beeindruckt. Sasuke lehnte sich neben ihr nach vorne, einen Finger vom obersten zum nächsten Kreis ziehend.

»Kiba und Akamaru veranstalten ein Ablenkungsmanöver hier, nahe des Eingangs, um die meisten Wachen von ihren Posten wegzulocken. Naruto, Sai und ich nehmen uns jeweils ein Waffenlager vor. Die zurückgebliebenen Wachen dürften kein Problem für uns darstellen. Hinata und Sakura, ihr übernehmt die Nahrungsspeicher. Danach treffen wir uns westlich vom Ausgang hinter dem Felsvorsprung.«

Hinata deaktivierte ihre Byakugan. »Wie sollen wir vorgehen?«

»Das liegt doch auf der Hand«, meinte Sakura. »Wir platzieren ein paar Sprengfallen. Und dann … jagen wir einfach alles in die Luft.« Hinter ihrem diabolischem Gesichtsausdruck erschrak sie ein stückweit darüber, dass sie an dieser Aktion tatsächlich sowas wie Freude empfinden konnte. Die Vorstellung, mit einem Haufen Kibakufuda Berge von Essen in seine einzelnen Proteine und Kohlenhydrate zu erlegen, war eine, die sie mit äußerster Genugtuung auskostete.

»Klingt nach einem Plan! Radau kann ich am besten!« Kiba erhob sich, zog einen Kunai aus der Halterung und kraulte seinen Ninken aufmunternd hinter den Ohren. Mit einem Satz sprang er auf Akamarus Rücken über das Zelt, hinter dem sie sich versteckt gehalten hatten, direkt auf den Vorplatz hinter dem Eingang. Sein Ablenkungsmanöver bestand in erster Linie aus einem: Krach. Während Akamaru lautes Gejohle von sich gab, schrie sein Besitzer provokante Parolen durch die Gegend. Er blieb keine zwei Sekunden unbemerkt; binnen kürzester Zeit hatte sich eine ansehnliche Truppe aus Kirinin und Amenin um ihn geschart. Wie viele seiner Gegner seine Gatenga in einer Runde ausradierte, bekam Sakura nicht mehr mit. Sie und Hinata hatten, ebenso wie ihre Teamkameraden, den ersten Moment des Chaos dafür genützt, unbemerkt hinter den Zelten zu den Nahrungsspeichern zu gelangen.

Die so genannten Nahrungsspeicher waren nicht mehr als mehrere zusammengestoppelte Zelte. Von ihrer Position aus konnte sie Hinatas Ziel sehen, das ebenfalls kaum größer war als sieben Dreimannzelte. Die Patrouille war nirgends zu sehen, was mehr als nur verdächtig war. Angesichts eines solch offensichtlichen Ablenkungsmanövers hatte sie zumindest mit Sicherheitsposten gerechnet. Nada. Ohne ihre Deckung fallen zu lassen, belegte sie einen Kagebunshin mit einer einfachen Henge no Jutsu, die ihn als Amenin tarnte. Aus ihrem Versteck beobachtete sie angespannt, wie der Schattendoppelgänger die Sprengfallen an den Außenwänden positionierte, dann verschwand er im Inneren der Vorratszelte. Eine Minute lang geschah nichts.

Ein kurzes Ziehen ihres Chakras ließ sie aufspringen – ihr Klon war vernichtet worden. Alarmiert preschte sie nach vorne, aktivierte die erste Sprengfalle und tappte damit genau in die Falle. Die Zeltwand neben ihr wurde durch einen schneidenden Windstoß zerfetzt, der sie nach rückwärts schob, noch bevor sie die zweite Sprengfalle aktivieren konnte. Die erste explodierte in einer schwachen Druckwelle, durch die sie weiter zurückgeschoben wurde. Fetzen von Verpackungsmaterial segelte durch die Luft, durch sie hindurch zurrten zwei Kunai. Sie duckte sich, rollte sich ab und stieß sich nach vorne, mit einem unterdrückten Schrei auf den Shinobi zu. Er trug kein Hitai-ate, aber es war egal. Sie hatte schon so viele Menschen getötet, einer mehr machte keinen Unterschied, unerheblich aus welchem Land er kam.

»Sakura!«

Beinahe schneller als die Kunoichi es durch den dank der ergebnislosen Explosion aufgewirbelten Staub wahrnehmen konnte, fing Hinata den auf Sakura zulaufenden Ninja von der Seite ab. Sie hätte fast einen seiner Tenketsu getroffen, hätte er ihre auf ihn zu schnellende Hand nicht mit einem Kunai abgewehrt. Durch den unerwarteten Druck von oben verlor sie das Gleichgewicht, fiel vornüber über und landete auf dem Boden, niedergetreten von dem Ninja.

Sakura schluckte. Sein Chakraniveau war vielleicht das eines Chūnin, sein Umgang damit aber gewiss nicht. Selbst aus ihrer Entfernung hatte sie seine chakrainfundierten Finger bemerkt.

»Wieso nur die Finger?«, wisperte sie. Vor ihr rappelte sich Hinata auf, die Byakugan aktiviert, und startete einen neuen Angriff, der wie jener zuvor ins Leere ging. Ein kurzer aber schneller Nahkampf entbrannte zwischen den Kontrahenten, in den Sakura nicht einsteigen konnte. Die beiden bewegten sich so schnell, dass selbst ein präzise geschossener Kunai nur durch Glück getroffen hätte – mit noch mehr Glück auch den richtigen Ninja.

Am anderen Ende des Lagers ertönte eine Kette von Explosionen. Dicke Rauchschwaden kringelten sich nach oben, dicht gefolgt von weiteren Explosionen, deren Druckwellen den Boden vibrieren ließen. Dass Naruto, Sasuke und Sai ihren Part erledigt hatten, motivierte Hinata noch mehr. In einer flüssigen Bewegung tänzelte sie um den Ninja, schlug ihm gegen den Rücken, trat mit ihren Shinobistiefeln nach und rammte ihre Handfläche auf seine Brust. Sie sank keuchend zu Boden, der Gegner musste sich nach Luft ringend auf seine Knie stützten. Das war genau die Lücke, auf die Sakura gewartet hatte. Mit chakrainfundierten Fingerspitzen griff sie nach seinem Hals, drückte zu und schleuderte ihn zu Boden. Bevor er sich aufraffen konnte setzte Hinata wie aus dem Nichts den finalen Schlag gegen sein Herz. Er sank in sich zusammen, dicht gefolgt von der Hyūgatochter, die von Sakura mit einem Arm aufgefangen wurde. Ihre Byakugan waren erloschen, ebenso ihr Kampfeswille.

Behutsam lehnte Sakura ihre erschöpfte Freundin gegen den erstbesten Felsen, den sie fand, aktivierte die restlichen Sprengfallen und half Hinata wieder auf wackelige Beine. »Wir verschwinden besser.«

Hinter ihnen erschütterten acht Explosionen den östlichen Teil des Lagers. Noch weiter dahinter ging die Sonne in warmen Goldtönen unter. Von Rauchschwaden, bröckelndem Gestein und wutentbrannten Schreien begleitet, schleppte Sakura sich und ihre Kameradin hinter der Deckung mehrerer Zelte nach draußen, die paradox friedliche Sonne in ihrem Rücken.

»Hat ja ziemlich lange gedauert«, beschwerte Sasuke sich. Er saß zwischen Naruto und Sai hinter dem Felsvorsprung und polierte seinen gebrauchten Kunai. Sakura beachtete ihn nicht weiter, sondern übergab Hinata an Naruto, der sie protestlos an seine Schulter lehnte, einen Arm um sie geschlungen, damit die bewusstlose Kunoichi nicht umfallen konnte. Von der anderen Seite näherte sich Akamaru, das Fell blutgetränkt, dahinter ein mit Kratzern übersäter Kiba.

»Ihr hättet ihn sehen müssen!«, jubelte er. »Er hat sie alle fast im Alleingang fertig gema – oh nein, was ist mit Hinata passiert?«

»Sie hat bloß zu viel Chakra verbraucht«, wehrte Sakura schnell ab. Erst jetzt bemerkte sie, wie schwer ihre Kameraden atmeten. Sie waren allesamt erschöpft, ausgezehrt, von zahlreichen oberflächlichen Verletzungen, die ihren Teil zum großen Ganzen beitrugen, ganz zu schweigen. »Was sollen wir jetzt tun? Kaum einer von uns kann noch stehen.«

»Wir gehen heim. Hört ihr das?« Sai deutete in die Luft, die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt. Die Sirene, die das Ende der ersten Schlacht markierte, war nach dem Ächzen sterbender Menschen die schönste Melodie seit langem.

Sakura ließ den aufkommenden Frühlingswind ihre geschundene Haut kühlen. Für heute war es vorbei.
 

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Seit einer halben Stunde hatte sie den kleinen Ring, den Neji, Hanabi und sie gegen eine Pflanze gebildet hatten, nicht verlassen. Sie waren drei Leute, dennoch konnte man die Formation ob ihrer Flüssigkeit nicht als Dreieck bezeichnen – sie hatte keine Ecken. Die flüssigen Bewegungen der beiden Hyūgas waren geschmeidig wie ein glasklarer Bach. Sie tänzelten um den fürwahr abstrusesten Akatsuki – die abstruseste Lebensform, die sie jemals gesehen hatte – immer wieder wechselnd zwischen Offensive und Defensive. Die beiden Stimmen, die aus dem Akatsuki drangen, waren kaum so verwirrend wie seine paradoxe Erscheinung, lenkten mit ihren unangebrachten Zwiegesprächen jedoch von der Absurdität ihres Körpers ab.

»Links!«, schrie Neji von seiner Position hinter Zetsu. Der Akatsuki hatte sogar die Dreistigkeit gehabt, sich vorzustellen. Es war nie gut, wenn Ninjas sich für so gut hielten, Atem auf Floskeln zu verschwenden.

Hanabi reagierte sofort. Sie brach ihre Attacke ab, korrigierte ihre Haltung und sandte einen Tritt nach Zetsu aus. Er duckte sich darunter hinweg, indem er ein Stück weit in die Erde sank. Nejis Handfläche kamen wie aus dem Nicht. Mit einem Schrei schlug er sie für ungeschulte Augen an acht Stellen gleichzeitig auf. Unter den Treffern sank Zetsu in eine unförmige Masse zusammen.

»Was ist das?«, fragte Hanabi angewidert. Um sie herum waren alle Parteien mit ihren eigenen Kämpfen beschäftigt, sodass sie vor Nejis Rückendeckung an das klebrige Etwas herantreten konnte. »Es sieht wie Leim aus.«

»Hanabi-sama, geht lieber nicht zu nah ran«, riet ihr Cousin ihr. Sein Arm zog sowohl sie zurück als auch Tenten, die damit fertig war, ihre Waffen einzusammeln. Sie steckte die blutigen Metallgegenstände ungereinigt zurück in die Taschen. Ihre gesamte Kleidung war dreckig, da kam es auf das bisschen Feindblut auch nicht mehr an. Aus Angst, Neji würde sie ob ihrer mit seiner verglichen schlechten Kondition schelten, versuchte sie zwanghaft ihre Atmung zu regulieren, was jeden Atemzug schmerzhaft machte. Vorhin hatte sie einen kräftigen Tritt von einem Amenin gegen ihre Rippen einstecken müssen, der ihre unangenehm Lungen pochen ließ. Jede Bewegung war wie ein Messerstich.

»Geh nach hinten, Tenten«, befahl Neji. »Du kannst dich ja kaum mehr auf den Beinen halten.«

»Die Sonne geht bald unter«, entgegnete sie. Ihre braunen Augen taxierten ihn entschlossen. Sie würde nicht kuschen, nicht, bis die Sonne nicht gänzlich verschwunden war. Mit der Schuhspitze stieß sie die Masse am Boden an. Verdrehte Augen schwammen darauf herum, gelb wie Katzenaugen. »Was denkt ihr war das?«

»Es sieht aus wie eine Chimäre, wenn ihr mich fragt.« Hanabi richtete sich wieder auf. »Diese Mischkreaturen aus der Mythologie. Bloß dass bei dieser etwas schiefgegangen zu sein scheint. Erinnert ihr euch an Hoshigaki Kisame? Er hatte ebenfalls etwas Chimärenhaftes an sich. Sieht so aus, als sammle Akatsuki Freaks?«

»Darüber macht man keine Scherze, Hanabi-sama.«

Sie schüttelte sowohl den Kopf als auch Nejis Hand von ihrer Schulter. »Ich scherze nie, das solltest du wissen. Habt ihr das gehört?« Zeitgleich wandten sich die drei in die Richtung des matschenden Geräusches. Es klang, als würde man etwas aus feuchter Erde ziehen. Etwas Großes, Breites.

»Wie ist das möglich? –«, stammelte Tenten, ungläubig auf Zetsu deutend, dessen Körper sich aus dem Boden presste. Zu ihren Füßen lag immer noch die verkümmerte Masse zum Beweis ihres Sieges. Sie vermutete alles: Genjutsu, Genmanipulation, mehr fiel ihr nicht ein. Während Tenten noch Vermutungen anstellte, hatte sich Hanabi ohne Rücksicht auf Verluste auf den neuen Zetsu gestürzt, begleitet von Nejis warnendem Ruf und einem durch die Luft zurrendem Shuriken. Ihr Cousin folgte ihr in das Nahkampfgefecht, das Wurfgeschoss traf mit beispielloser Präzision in Zetsus Gesicht. Hanabis Hieb gab ihm den Rest; er zerschmolz wie auch der Zetsu zuvor in eine undefinierbare Masse aus dickflüssiger Farblosigkeit.

»Du!«, fauchte Hanabi in die Richtung, aus der der Shuriken gekommen war. Am Ende ihres bitterbösen Blicks stand Asuka. Sie ließ viel zu lässig für diesen Tag einen Kunai um ihre Finger rotieren. Neben ihrer erhobenen Hand glühten ihre Sharingan.

»Stiehl mir nicht die Show, Hyūga«, gab sie patzig zurück. »Ich habe bereits vier von denen erledigt. Auf meinem Weg zurück nach hinten waren noch mehr. Es müssen Dutzende sein, wenn nicht gar hunderte.«

»Hunderte?« Tenten schauderte bei dem Gedanken daran.

Die junge Uchiha zuckte die Schultern. »Oder tausende. Sie sind überall. Auch wenn sie nicht stark sind, halten sie ziemlich auf. Ich kann mit meinen Sharingan zwar eine Jutsu an ihnen feststellen, allerdings kann ich nicht sagen, welche es ist. Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen – Achtung!« Zusammen mit Tenten schleuderte sie ein zufällig gewähltes Wurfgeschoss zwischen Hanabi und Neji, der immer noch ihre Deckung war, hindurch. Beide trafen den ersten Zetsu, der aus dem Nichts gekommen war. Der zweite verschwand.

»Er taucht gleich wieder auf«, rief Neji. Wie alle anderen war auch er in eine kampfbereite Stellung verfallen. Er behielt recht. Zetsu Nummer Vier schoss wie wucherndes Unkraut aus dem trockenen Erdboden. Seine Hand fasste Hanabis Knöchel und zog sie nach unten. Ihr Gesicht schlug hart auf dem Boden auf, was Neji nur noch wütender machte. Er schlug mit seinem Jūken auf die gegnerische Hand ein, die sofort losließ. Ehe er reagieren konnte, traf ihn Zetsus Attacke von hinten. Während Hanabi sich bereits wieder aufgerappelt hatte und zusammen mit Asuka in den aktiven Kampf einstieg, schmetterte er in den dreckigen Boden. Tenten war sofort bei ihm und zog ihn auf, doch er wehrte sich gegen ihren Griff.

»Du hast keine Kraft mehr, Neji! Bitte!«, beschwor sie ihn. Erst jetzt schien Neji die klaffende Wunde an seiner Wade zu realisieren. Er verzog angesichts der tiefen Fleischwunde angewidert das Gesicht.

»Hanabi-sama!«  Er versuchte sich von Tenten loszureißen. Sie wagte nicht, ihn weiterhin zurückzuhalten. Egal wie verletzt Hyūga Neji sein mochte, er würde ihr niemals vergeben, wenn Hanabi durch seine kurzfristige Handlungsunfähigkeit etwas geschehen würde. Zu Tentens großem Schock sank er statt nach vorne zu laufen an ihr nieder. Sie versuchte sein Gewicht zu halten, irgendwie auf den Beinen zu bleiben, aber es war unmöglich. Er begrub sie halb unter sich, Schweiß war auf seiner Stirn ausgebrochen. Tenten nahm sein Handgelenk; selbst dieses schwitzte. An ihrer Seite konnte sie sein rasendes Herz an ihrer Haut spüren, so nah waren sie sich. Wann auch immer sie sich vorgestellt hätte, wie es wäre, wenn Nejis Herz in ihrer Gegenwart schneller schlagen würde – bei allen Kami, das hatte sie nicht damit gemeint. Sein Puls raste, sein Atem ging stoßweise. Indes fochten Asuka und Hanabi Seite an Seite einen tobenden Kampf aus. Beide waren gut im Taijutsu, beide schenkte ihrem Gegner nichts.

Tenten wandte den Blick von dem Gemetzel ab. Sie hatte Shikamarus Planungsentscheidung, keine mobilen Sanitätsteams in den aktiven Kampf zu schicken, zugestimmt. Hatte es befürwortet. Jetzt hasse sie ihn dafür. Sie hielt Ausschau nach Sakura, Ino, Shizune, mehr Iryōnin kannte sie nicht beim Namen. Egal wie sie hießen, sie brauchte hier jemanden! Wie konnte sich der Zustand eines Menschen binnen weniger Minuten so sehr verschlechtern?

»Ich … muss …«, presste Neji hervor. Sein Gesicht war aschfahl, die Partie um seine Augen dunkellila gefärbt wie Augenringe von jahrelangem Schlafentzug. Er wirkte wie im Fieberwahn. Zur Überprüfung wollte Tenten ihre Hand an seine Stirn legen, doch just in diesem Moment schallte ein Schrei zu ihnen. »Hanabi-sama!«

Tenten wusste nicht, wie ihr geschah. Bloß aus Reflex half sie Neji dabei, sich selbst auf zu zerren. Sie wusste, sie hätte dasselbe für ihn getan wie er für Hanabi, darum konnte sie ihm im Nachhinein keine Vorwürfe machen. Auch sich selbst nicht, weil sie nicht schnell genug gewesen war. In ihrer Panik versuchte sie ihren Kameraden einzuholen, doch selbst als er beim vierten Schritt stolperte und fast niederbrach, konnte sie Hanabi nicht mehr vor ihm erreichen. Ein zweiter, diesmal männlicher Schrei vermengte mit dem Donner der Schlacht, schwoll auf zu einem Schrei aus Qualen und platzte schlussendlich jäh wie eine Seifenblase.

Blut spritzte über das Feld. Nejis Blut. Es klebte in Hanabis Gesicht, das mit Horror auf den niedergehenden Körper ihres Cousins starrte; so sehr erstarrt, dass sie nicht bemerkte, wie Asuka Nejis Ablenkung für den Entscheid des Kampfes nutzte. Die Uchiha sandte eine Feuerschwall auf den Akatsuki hernieder, langte durch ihn hindurch und stach eine Kunai mitten in seinen Kopf. Die lodernden Flammen spiegelten sich in Hanabis weißen Augen, deren Byakugan unbewusst erloschen war. Tenten fiel auf die Knie, begleitet von einer Sirene.

»Neji …«, wimmerte sie. Es konnte nicht real sein. »Neji!« Es durfte nicht real sein. Sie spürte ihr Herz in tausend Scherbe zerspringen. Sie schnitten von innen in ihr Fleisch, machten ihr das Atmen unmöglich. Sie wollte, nein, sie konnte nicht verstehen, was eben geschehen war. Am Rande ihres Bewusstseins sah sie, wie Asuka auf Hanabi und Nejis leblosen Körper zu taumelte, eine Hand an ihre Taille gepresst. Überall war Blut. Ihre Augen waren ebenso blutunterlaufen wie Nejis, ihre Haut aschfahl, ihr Gesicht schweißgebadet. Krause schwarze Haarsträhnen klebten an ihrer Stirn. Das Geräusch, als sie sich erbrach, war eines der mitleidserregendsten, das Tenten jemals vernommen hatte.

»Asuka-chan …«, wisperte Hanabi fassungslos. Sie kniete auf dem Boden, vor ihr der leblose Körper ihres Cousins, noch weiter davor ihre einzige Freundin, die sich wieder aufrichtete, sich die Überreste von Erbrochenem vom Mund wischte und sie anlächelte.

»Tut mir leid … Hanabi … chan …«, flüsterte sie. Wie in Zeitlupe kippe sie vornüber, eine Hand immer noch an ihre Seite gepresst. Wie ihr Körper dumpf vor Nejis auf dem Boden landete, konnte Tenten nicht mehr sehen. Ihre braunen Augen hatten sich mit Tränen angefüllt. Stumme, unbewusste Tränen. Hanabis Stimme vermischte sich mit der Sirene in der Dumpfheit in Tentens Ohren zu einem surrealen Klang.

»Wir müssen ihn zu Tsunade-sama bringen.« Hanabis war gefasster als sie hätte sein dürfen. Sie wankte an den Leichen ihrer Freunde vorbei, aktivierte ihre Byakugan erneut und setzte den halbverkohlten und doch wundersamer Weise noch lebenden Zetsu mithilfe ihres Jūken außer Gefecht. Irgendwo her kamen Shinobi, die ihn abtransportierten, doch Tenten konnte die episodischen Bilder ihrer Umgebung, die vereinzelt durch ihre Tränenschleier drangen, zu keinem sinnvollen Konstrukt zusammensetzen. Wer sie aufzog und zurück ins Lager brachte, wusste sie nicht. Sie wusste nur eines: dieser Krieg hatte schon jetzt mehr Opfer gefordert als sie verkraften konnte.
 

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Sakura hatte kaum das Lager betreten, als ihr zwei Krankenschwestern entgegen stolperten. »Sakura-sensei!«, keuchte die eine atemlos. »Bitte kommen Sie schnell, es ist ein Notfall!«

Sie hatte sich bereits gedacht, dass es so kommen würde. Nach allem war dies kein Krankenhaus, sondern ein Lazarett. Heute Nacht würde es nur Notfälle geben. Sie machte zwei stramme Schritte nach vorne, wurde jedoch von einer Hand zurückgehalten. Kakashi musterte sie abschätzig. Sie war voller Blut, ihr Haar war zerzaust, aber sie fühlte sich in Ordnung. Der Schmerz ihrer überanstrengten Glieder war zu einer gleichklingenden Partitur mit Müdigkeit und Erschöpfung geworden, Note für Note ganz leise hinter ihrem Eid versteckt. Entschlossen schüttelte sie Kakashis Hand ab und folgte den beiden Schwestern.

»Es ist jemand aus dem Uchihaklan …«, wisperte die eine so leise, dass Sakura erst dachte, sich verhört zu haben. Sofort erhöhte sie ihr eiliges Schreiten zum gehetzten Laufschritt. Wieso hatten sie das nicht früher gesagt? Die schlimmsten Bilder flackerten vor ihrem inneren Auge hoch – sie wusste nichts über die Aufgaben der ANBU in diesem Krieg, darum waren ihre Schreckensvisionen von Itachi brutaler als sie ihrer Fantasie zugetraut hatte. Verstümmelt, entstellt, mit hundert gebrochenen Knochen, die Augen aus ihren Höhlen gepuhlt wie wertvolle Apfelkerne, einen totenschädelgleichen Kopf auf einem verrenkten Körper zurücklassend, alles garniert mit literweise Blut und Dreck.

Ob sie erleichtert war oder nicht, als sie eine sehr viel kleinere Gestalt auf dem unsterilisierten Behandlungstisch liegen sah, konnte sie nicht sagen. Als Ärztin hatte sie schon Schlimmeres gesehen. Auch als Kunoichi. Aber nicht als Cousine. Sie war so geschockt über Asukas grauenhaften Anblick, dass sie sich nicht einmal darüber ärgern konnte, sich mit Itachi eben als rechtliche Einheit gesehen zu haben. Ihr Schock wurde binnen eines halben Herzschlage von medizinischer Professionalität abgelöst.

»Acht Milligramm Penizillin!«, befahl sie der am nächsten stehenden Krankenschwester. Während die Assistentin das passende Medikament aus dem ungewohnt sortierten Arzneischrank suchte, bereitete Sakura chirurgische Fäden vor. Noch als sie die sterile Nadel aus der Hülle riss und die provisorische Kompresse von der stark blutenden Wunde entfernte, bemerkte sie die Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens. Dies waren keine gewöhnlichen Stichwunden. Um die größte davon zog sich einen dicker, auberginefarbener Rand. Dieselbe Farbe wie faulendes Fleisch. Die kleineren, weniger tiefen Stichwunden wiesen ebenfalls dünne Farbränder auf. Sofort legte sie ihre Hände auf Asukas Bauch und begann, stoßweise Chakra in das System ihrer Patientin zu pumpen. Kopfschüttelnd revidierte sie ihre Anweisung. »Zwei Ampullen Dimethylaminophenol und Hämoglobinblocker!«

»Sie hatte bereits eine Dosis von beidem, sensei!«, informierte die erfahrenere Krankenschwester sie hektisch. »Als sie hier ankam, gaben wir ihr sechs Milligramm Antidot und lokale Blutgerinnungsmittel zum Stoppen der Blutung, aber die Verletzung blutet immer noch! Was sollen wir tun, sensei?!«

»Habt ihr die Dosis verdoppelt?«

»Ja!«, raunte die jüngere Schwester verzweifelt.

Sakura war es nicht gewohnt, hilflos zu sein. In jedem anderen Fall würde sie den Patienten aufgeben, vor allem in einer Ausnahmesituation wie dieser – nein, das konnte sie nicht. Itachi würde ihr niemals verzeihen. Sie biss sich so fest auf die Lippen, dass sie fast ihre Zähne aufeinander spüren konnte. »Ich …« Tränen standen in ihren Augen. Tränen, die nicht in die Augen einer Ärztin gehörten. »Helf den anderen«, wies sie die beiden Krankenschwestern an. Unter ihren Händen spürte sie Asukas ohnehin schon schwachen Puls langsam verschwinden. Sie drückte die Tränen weg, jedoch ohne Erfolg. »Geht Ikuno-sensei zur Hand oder Shizune-san. Ich werde das hier alleine beenden.«

Die beiden verstanden. Mitleid flackerte über ihre Gesichter, ehe sie an Sakura vorbei zu den nächsten ankommenden Verletzten eilten. Sie selbst blieb zurück, umringt vom Weinen anderer Patienten. Sie weinten aus Schmerz, aus Angst, aus Verzweiflung. Sie konnte sich zu allen drei Kategorien zählen. Sie war nicht mehr rational. Nur deswegen setzte sie die medikamentöse Behandlung fort. Sechzehn Milligramm, dreißig Milligramm. Immer weiter pumpte sie Arzneimittel zusammen mit heilendem Chakra in Asukas Kreislauf. Immer und immer wieder, mit Tränen in den Augen und blassen, zittrigen Fingern. Es durfte nicht sein! Aber es war so.

Ihre Tränen versiegten mit Asukas letztem Herzschlag, der so unwirklich wirkte. Das einzige, das sie tun konnte, war, eine Hand auf den Rücken einer jungen Kunoichi zu legen, die auf dem Nachbarbett seit Sakuras Eintreffen über einen erkaltenden Körper gebeugt war und hemmungslos schluchzte, wie Sakura es gerne gekonnt hätte. Sie spürte, wie der Zorn gegen sie selbst und den Krieg ihr den Atem raubte, sich über ihre Brust legte und sie zusammenzog. Wenn sie nicht bald einen Weg fand, ihren kochenden Emotionen Luft zu machen, würde sie kollabieren. Vorert jedoch streichelte sie sanft über Tentens Rücken, mit einer Hand immer noch Asukas kleine Hand haltend, um zu überwachen, ob nicht doch noch ein Lebenszeichen erschien.

»Es ist nicht fair«, schluchzte Tenten rau. »Wir haben gekämpft und gesiegt und trotzdem musste er sterben.«

Erst jetzt bemerkte Sakura das Gesicht des Leichnams. Hyūga Neji. Auf der anderen Seite des Bettes war Hanabi zu einer Salzsäule erstarrt, aus deren ausdrucklosen Augen sich mühsam winzige Tränen quälten. Kein Laut kam über ihre Lippen, während Tenten sich an Nejis Brust die Seele aus dem Leib schrie. Wie viel hatte sie noch ausgeblendet? Es war schwierig, den Fokus auf das meterlange Zelt aufzuteilen, wo die heute Morgen noch leeren Betten allesamt mit Schwerverletzten besetzt waren. Die restlichen Verwundeten saßen auf Tragen am Rand, zwischen den Krankenbetten oder einfach nur auf dem Boden.

Verletzte … Sakura ließ von Tenten ab, die bereits notdürftig behandelt worden war. Sie und Hanabi waren mehr dreckig als verletzt, der Rest der Patienten jedoch wartete ungeduldig auf einen behandelnden Arzt. Einige von ihnen waren, gemessen an den träumerischen Blicken, unter starke Schmerzmittel gesetzt worden, um sie bei Bewusstsein zu halten. Die weinende Kunoichi bekam gar nicht mit, wie sie sich von ihr entfernte. Sakura bekam es selbst nicht richtig mit. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als fiele sie gleich in Ohnmacht, aber ihr Kreislauf arbeitete weiter wie gewohnt. Der erste Patient war schnell versorgt, der zweite ebenso, beim dritten war sie bereits in eine tranceartige Routine, gefallen, die sie immer übermannte, wenn sie den Tod eines Patienten nicht verkraften konnte.

Neji war tot. Asuka war tot. Wer wusste, wer noch gestorben war? Diese Frage war genau jene, die Sakura nicht zu fragen wagte. Solange es Verletzte gab, war alles gut. Solange es Verletzte gab, gab es keine Toten. Solange es Verletzte gab, hatte sie Ablenkung.
 

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In dieser Trance wurden Minuten allmählich zu Stunden. Immer und immer wieder wiederholte Sakura die eine Prozedur bei dutzenden und aberdutzenden Patienten. Die Frage nach dem Leiden, das Schmerzmittel, weil die Anästhetika längst aufgebraucht waren, die – sogar unter Einfluss der starken Schmerzmittel äußert schmerzvolle – Behandlung, die Verordnung von Bettruhe, die nicht eingehalten werden würde und konnte.

In diesem immer gleichen Trott ging es weiter, Patient um Patient, bis einer davon ihre Frage nach seinen Beschwerden nicht beantwortete, sondern seine Hände auf ihre Schultern legte und sie von oben herab besorgt ansah. Bis zu diesem Zeitpunkt war es ihr nicht komisch vorgekommen, dass der vermeintliche Patient nicht wie alle anderen leidend auf dem Boden saß, sondern sogar im Stehen einen fidelen Eindruck machte.

»Sakura?«, fragte er leise, als könne es gefährlich sein, sie abrupt aus ihrer Trance zu reißen. Vielleicht war es das auch. Sie hätte es gewusst, wäre ihr Bewusstsein nicht irgendwo hinter Routinefragen eingekapselt gewesen.

»Art der Verletzung?«, wiederholte sie ungeduldig. Sie sah starr geradeaus auf seinen Hals auf ihrer Augenhöhe, ohne zu realisieren, mit wem sie sprach.

»Sakura, sieh mich an.« Seine starken Finger zwangen ihr Kinn nach oben, sodass sie in seine tiefschwarzen Augen sehen musste.

»Itachi?«, wisperte sie, langsam zu sich kommend. Er wischte eine Träne, die sie gar nicht gespürt hatte, von ihrer Wange.

»Wie lange machst du das schon? Dein Chakra ist kaum noch spürbar.« Keine Antwort. »Sakura, du musst dich ausruhen, hast du verstanden? Es ist schon nach Mitternacht.«

Nach Mitternacht? Sie schüttelte den Kopf. Sie heilte bereits seit über fünf Stunden pausenlos und immer noch war Wehklagen zu hören. In frustrierter Perplexität schüttelte sie vehement den Kopf. »Ich kann nicht aufhören. Es sind immer noch Verletzte hier. Ich kann nicht … nicht …« Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg nach draußen. Ihre Schultern bebten unter Itachis stützenden Händen, ihre Unterlippe zitterte. »… nicht noch eine verlieren«, stieß sie aus und wandte sich schluchzend ab. Nun, da ihr Bewusstsein die körperliche Erschöpfung wieder mitbekam, gaben ihre wackeligen Beine unter der Bewegung nach. Sie taumelte und schaffte nur zwei Schritte, ehe sie zusammenbrach. Sofort war Itachi bei ihr, drückte sie an sich und flüsterte ihr Trost ins Ohr, doch sie konnte nicht. Seine Berührung war so grausam wie hundert Messerstiche; nicht nur, weil ihre überreizten Nerven jeden Hautkontakt als Bedrohung wahrnahmen. Sie hatte seine Cousine sterben lassen. Und er versuchte sie auch noch zu trösten, unwissend wie er war!

Sakura hätte es ihm lieber gleich gesagt, ihm alles erklärt, doch sie schaffte es nur, einen zittrigen Finger auf eine Tafel am Ende des Zeltes zu halten. An ihr waren die Namen jener Ninjas aufgeschrieben, die bald in den IKA Felsen eingraviert würden. In ihrem apathischen Schockzustand erwartete sie, dass Itachi sie von sich stoßen, anschreien und zurücklassen würde, doch als er den Namen las, presste er sie enger an sich und vergrub den Kopf in ihrem Haar, sodass der ihre in seiner Halsbeuge lag. Binnen weniger seiner für sie fühlbar erhöhten Herzschläge war seine warme Haut nass von Sakuras Tränen. Sie versuchte sich immer wieder kraftlos von ihm zu schieben, aber Itachi hielt sie weiterhin, bis sie aufgab und die Arme um ihn schlang. Sie konnte das Blut riechen, das an ihm klebte. Feindblut vermutlich, denn er hatte keine einzige sichtbare Verletzung. Seine Tränen waren ebenfalls nicht sichtbar, weil er keine vergoss. Nicht offensichtlich.

»Sag es schon«, fauchte und weinte sie wütend auf sich und die Welt in seine Kleidung. Ihre Fingernägel krallten sich so stark in den schwarzen Stoff seines Oberteils, dass sie seine Haut zerkratzten. »Sag es! Ich flehe dich an Itachi!« Ihr Schrei wurde zu ersticktem Kreischen. »Sag es!«

Plötzlich stieß er sie von sich. Nun war es so weit. Sie würde ihre Strafe bekommen. Seine Finger gruben sich so stark in ihre Schultern, dass sie die Blutergüsse förmlich wachse spürte. Sie begrüßte es. Er hatte das Recht, ihr noch so viel mehr anzutun.

»Was willst du hören, Sakura?!«, fuhr er sie an. Noch nie in ihrem Leben hatte Sakura Uchiha Itachi jemanden anschreien gehört. Selbst bei seiner Schelte in dem Onsen in Yu no Kuni war seine Empörung in normaler Lautstärke gewesen. Itachis Stimme donnerte so laut, dass sie die Luft um sie herum vibrieren ließ. Voll Zorn, voll Hass. »Was. erwartest. du. von. mir? Dass ich weine, dass ich vor dir zusammenbrechen und dich verantwortlich mache? Du bist schuld! Du hast sie sterben lassen! Du warst unfähig sie zu retten! Ist es das, was du hören willst? Vorwürfe, damit du dich in Selbstmitleid suhlen kannst? Sakura, sieh. mich. an!«

Sie tat wie ihr geheißen, hob den gesenkten Blick in sein vor  Wut verzerrtes Gesicht. Noch nie hatte sie ihn so wütend erlebt. Dass diese Wut ihr galt, machte es paradoxerweise leichter, damit umzugehen. Sie hatte Konflikte immer schon gelöst, in dem sie alles auf sich geladen hatte; sich die Schuld gegeben hatte. Itachi tat ihr nicht den Gefallen, diesen Abwehrmechanismus zuzulassen. Er ließ seine Hände von ihre Schulter auf ihre Oberarme gleiten, immer noch zu kräftig, um tröstlich zu sein.

»Selbstmitleid ist hier fehl am Platz«, sagte er streng. Tonlos. Entgegen ihrer Erwartung war er nicht wütend. Er war verletzt. Und es schmerzte sie noch viel mehr, ihn so zu sehen. Verletzlich, offen. Trauernd.

»Ich hätte sie eigenhändig nach Konoha schleifen sollen … Itachi, ich …«

»Sakura. Es ist bewundernswert, wie sehr du dir nach einem Jahrzehnt in unserem Geschäft immer noch so viel Humanität behalten kannst. Mehr Menschlichkeit als manche, die viel weniger Grausames erlebt haben. Darum beneide ich dich, aber dreh mir daraus keinen Strick. Ich werde mich nicht in eine Ecke werfen und aufgeben. Wir wurden mit dem Tod vor Augen für dieses Leben geboren, ich mehr noch als du, darum lass mir meine Sicht der Dinge. Wir sind im Krieg, nicht im Kindergarten, also reiß dich um unser aller Willen zusammen. Wir können nicht riskieren, noch mehr Leute zu verlieren, bloß weil du schwach wirst.«

Sakura wollte weinen. Wie gerne hätte sie geweint! Doch sie hatte keine Tränen mehr. Von wo sollte sie noch mehr hernehmen, wenn sie in ihrem Leben schon so oft geweint hatte? Ja, sie war schwach. Wie um alles in der Welt sollte sie die Kraft aufbringen, noch eine weitere Träne zu vergießen? Dieser Krieg hatte ihr schon jetzt alles genommen, was sie jemals besessen hatte: den Glauben an das Gute, das Vertrauen in die Menschheit, die Unangreifbarkeit von Loyalität und Freundschaft. Nun nahm er ihr auch noch den einzigen Menschen, der ihr vertraut hatte.

»Du hast recht. Itachi. Ich bin schwach.« Es war eine Feststellung. Eine Wiederholung dessen, was er gesagt hatte.

»Das habe ich nie gesagt. Niemals.« Itachi zog sie erneut an sich in eine Umarmung. »Ich werde nur nicht zulassen, dass du dich selbst aufgibst.«

Wie er es sagte, nüchtern und ohne zu schmeicheln, war die beste Medizin, um Sakura wach zu rütteln. Sie befreite sich aus seinen Armen. Verbaler Dank war unnötig. Sie konnte ihm am besten Danken, wenn sie stark blieb. Sie wusste, irgendwann würde er ihr seine Trauer über Asukas Tod zeigen. Es würde der Tag kommen, an dem er ihr Vorwürfe machte, weil auch Uchiha Itachi seine emotionale Menschlichkeit zugunsten seiner rationale Fassade nicht ewig wegsperren konnte. Dieser Tag war nicht heute. Er wäre nicht morgen, nicht übermorgen. Darum drängte sie alles nach hinten, wie auch er es tat. Sie hatten immerhin einen Krieg zu gewinnen.
 

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»Ein Klon?«, wiederholte Sakura perplex. Sie war eine verflucht gute Iryōnin, aber … ein Klon?

»Dieses Subjekt hat zweifelsohne denselben DNA-Code wie Yamato«, erklärte Shizune. »Damit bleibt nur eine Möglichkeit: er ist ein Klon des Shodaime.«

Wie genau es möglich war, von der Identifikation einer Übereinstimmung mit Yamatos Erbmaterial auf eine gleichbedeutende Übereinstimmung mit jenem des Shodaime zu kommen, war Sakura schleierhaft. Wenn sie ehrlich war, wollte sie die zwielichtige Geschichte Konohagakure no Satos gar nicht so genau wissen. Die offiziellen Annalen aus Geschichtsbüchern reichte ihrem Wissensstand komplett, darum besann sie sich darauf, alles Wesentliche aus Shizunes Erkenntnis zu filtern: dieser pflanzenähnliche Akatsuki war ein Klon von Senju Hashirama. Diese Tatsache beschrieb sich ihr nicht nur als äußerst prekär, sondern auch als beklemmend und schlichtweg falsch.

»Wenn er ein Klon ist, Shishō, wieso …«

»Ich weiß, Sakura, mir ist es auch aufgefallen«, unterbrach Tsunade ihren ausklingenden Satz. Sie schritt um die Trage, auf der Zetsu sediert und festgeschnallt worden war. Man konnte der Hokage ansehen, dass sie ihn lieber ins Koma geprügelt hätte als ihm ein starkes Anästhetikum zu spritzen. 

»Und was wäre?« Itachi stand am Rande der Szene, peinlich darauf bedacht, die drei Iryōnin bei ihrer Analyse nicht zu behindern. Neben ihm standen Shisui und Yūgao, die allesamt nicht viel abbekommen hatten. Im Hintergrund versuchten Jiraiya und Kakashi einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Beide waren von Tsunade höchstpersönlich aus dem von ANBU bewachten Zelt verbannt worden, weil sie zu unruhig geworden waren. Dass Sakura einen Tag erleben würde, an dem der Stoiker namens Kakashi unruhig werden würde, hätte sie nicht gedacht. Genau genommen zeigte jeder seine Nervosität. Außer Itachi natürlich. Das wiederum machte sie nur noch nervöser. Dieser Gleichmut, diese scheinbare Apathie, während sie im Inneren tausend Tode starb. Naruto war irgendwo mit B abhanden gekommen, Tenten war in trauernde Lethargie verfallen, Ino war nicht auffindbar. Es gab niemanden, mit dem sie sich hätte verrückt machen können. In ihr brodelte es, sie wollte schreien, ausflippen, einfach nur alles Quälende herauslassen, sinnlos Dinge zerstören. So ein Mensch war sie; spontan, impulsiv, emotional. Von Menschen umgeben zu sein, die ihre Gefühle perfekt unter Kontrolle hatten, war wie ein Käfig, der immer enger wurde.

»Das Chakra ist auffällig«, beantwortete Tsunade Itachis Frage nach gefühlten Stunden. »Sakura?«

Ihr Protegé fuhr mit dem Finger Kreise über Zetsus Körper. »Es zirkuliert anders als gewöhnlich. Mal schneller, mal langsamer, mal in andere Richtungen. Der Chakrafluss ist etwas Kontinuierliches. Wir benötigen diese unabdingliche Kontinuität, um das Chakra effektiv nutzen zu können. Je mächtiger ein Ninja, dessen kontinuierlicher sein Chakrafluss. Akatsuki nimmt keine Schwächlinge auf, trotzdem fließt Zetsus Chakra wie das eines Neugeborenen.«

»Das bedeutet?«

Sakura sah hilfesuchend zu ihrer Shishō, die statt ihr zu helfen eine treibende Geste in ihre Richtung machte. Sie sah von dem Pflanzenmann zu Shizune, dann über Yūgao zu Itachi. »Das bedeutet, dass dieses Ding kein erwachsener Ninja ist.« Sie wandte sich mittels einer ausholenden Handbewegung an alle Anwesenden. »Stellt euch vor, ein Mensch wird geboren. Er hat kein Wissen, keine Kontrolle, keine Orientierung, die Lungen müssen sich entfalten, das Herz selbstständig schlagen. Für den Körper des Säuglings ist es das reinste Chaos, ebenso für das Chakrasystem. Es hing bislang am Fluss der Mutter, doch sobald es davon getrennt wird, wabert es in alle möglichen Richtungen. Mit wachsender Selbstregulation findet auch das Chakra seinen eigenen, einzigartigen Rhythmus. Das ist, was wir als Chakrasignatur wahrnehmen; weswegen wir beurteilen können, welches Level der zugehörige Shinobi hat. Vertraute Chakren können wir so über gewisse Distanzen wiedererkennen. Doch dieser Körper hat keinen Rhythmus. Er ist chaotisch, wie gerade erst geboren. Um auf die eigentliche Frage zurückzukommen: genetisch mag dies ein Klon sein, aber chakrabezogen ist es eine Hülle, infundiert mit der Lebensenergie eines anderen.«

»Kabuto«, konkretisierte Shizune. »Niemand sonst verfügt über das Wissen, die Macht und die Skrupellosigkeit.«

»Bloß haben Itachi und ich Kabuto beim Überfall auf Konoha getötet.«

Itachi löste seine verschränkten Arme, um das Kinn nachdenklich zwischen seine Finger zu nehmen. »Wenn er so ein überragender Iryōnin ist wie ihr sagt, sollte es uns weniger wundern, ihn noch am Leben zu wissen. Er könnte uns getäuscht haben. Orochimaru starb, als wir Kabuto angriffen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Kabuto als anderes Ende der Lebensverbindung ebenfalls starb. Ich weiß nicht, in wie weit es medizinisch möglich ist, aber es könnte doch sein, dass Kabuto Orochimaru über die Jutsu getötet hat und sie kappte, bevor sie ihn treffen konnte.«

Stille legte sich über das Zelt. Die drei anwesenden Iryōnin verfielen in angestrengtes Schweigen über diese These. Keiner der drei hatte jemals von einer derartigen Leistung gehört.

»Wenn es einer bewerkstelligen kann«, resümierte Shizune, »Dann Kabuto. Ich traue ihm mittlerweile alles zu. Selbst, dass er sein eigenes Chakra in diesen Klon gespeist hat, um ihn zu kontrollieren. Die Frage ist, wozu?«

Sakura studierte den Klon vor sich minutenlang. Die Frage war berechtigt. Wozu? »Wozu zweigt Kabuto sein wertvolles Chakra in Klone ab, die nicht einmal sinnvoll sind, weil ihre Armee unserer zahlenmäßig überlegen ist?« Fast schon herausfordernd beugte sie sich über den Zetsuklon, als läge die Antwort in ihm.

»Ich habe eine Vermutung«, postulierte Itachi vage. »Shisui, finde Sasuke und leiste ihm Gesellschaft, bis ich da bin.« Es war ein nicht sehr subtiler Wink mit dem Zaunpfahl, dass Shisui nicht länger erwünscht war. Yūgao ging mit ihm, weil sie wusste, wo sie in der Hierarchie stand. Wenn Uchiha Itachi etwas nicht mit Uchiha Shisui besprechen wollte, war es höchste Zeit für sie zu gehen.

»Die wäre?«, hakte Tsunade ungeduldig nach. Ihre beiden Schutzbefohlenen linsten gespannt über ihre Schulter.

»Im Nachhinein betrachtet erscheint Akatsukis Einmischung in den Shinobikrieg unlogisch. Ihnen ging es immer nur um die Bijū – wieso also in Interessenskonflikten anderer Nationen Partei beziehen? Wenn sie gewollt hätten, hätten sie Hachibi und Kyūbi so geholt wie alle anderen. Wie Sie wissen, Hokage-sama, gehen manche Berichte über den wahren Anführer Akatsukis über die Glaubwürdigkeit von Gerüchten hinaus.«

»Uchiha Madara?«

Sakura sog scharf Luft ein. Sie konnte sich an das Gespräch zwischen Fugaku und Itachi erinnern; plötzlich verstand sie den tieferen Sinn, weswegen die meisten Uchihas sich aus diesem Krieg heraushielten.

»Uchiha Madara«, bestätigte Itachi. »Der Tag vor dreizehn Jahren, an dem sich der Klan Konoha verschrieb – sich auf Sarutobi Hiruzens Seite schlug – war der Tag, an dem wir unsere Wurzeln verrieten. Madara wird darüber nicht sehr glücklich sein. Er ist ein Anführer, der Illoyalität nicht duldet.«

Sakura nickte. Es erschien einleuchtend: Uchiha Madara benutzte Akatsuki zwar, um die Bijū zu sammeln, aber den Krieg benutzte er, um seinen abtrünnigen Klan zu bestrafen. Fugaku musste es gewusst haben. Geahnt zumindest. Darum hatte er sich so vehement gewehrt, seine Familie an die Front zu schicken. Danzō war bloß die passende Ausrede gewesen. Doch … »Wieso erst jetzt? Über ein Jahrzehnt später?«

»Gelegenheit?«,  vermutete Itachi. »Der Konflikt war da. Er musste nur auf die Spitze getrieben werden. Dann ist da noch die uralte Fehde zwischen Madara und Senju Hashirama. Die Uchihas ordneten sich nicht nur dem Hokage unter – jenem Titel, den Madara für seinen Klan vorgesehen hatte – sie fügten sich der Enkelin seines Erzfeindes. Das alles hat sehr viel mit symbolischem Wert zu tun.«

»Du unternimmst nichts.« Tsunade funkelte Itachi mit all ihrer Autorität an. »Das ist ein Befehl. Wir geben diesem Wahnsinnigen nicht auch noch die Zündschnur in die Hand. Du und dein Team, ihr geht wie geplant vor. Keine Heldentaten.«

Sakura wusste, was in diesem Moment in Itachi vorging. Noch nie hatte sie ihn besser verstanden als jetzt; schon gar nicht, nachdem sie sich vor wenigen Stunden angeschrien hatten. Er wollte keine Heldentat begehen. Er wollte seine Familie beschützen. Tsunade musste es auch wissen, denn sie hielt ihren bedrohlichen Blick minutenlang aufrecht. Zu ihrer aller Überraschung erkannte er ihre Autorität diesmal einwandfrei an. Itachi verbeugte sich vor der Hokage mit einem Kopfnicken.

»Natürlich nicht, Hokage-sama. Darum schickte ich Shisui fort. Sasuke darf ebenfalls nichts davon erfahren.«

»Einverstanden«, beschloss Tsunade. Ein Pakt war besiegelt, den Sakura nicht im Mindesten erahnen konnte. Sie versuchte hinter all den subtilen Gesten zu verstehen, was ihre Lehrmeisterin und ihr Freund eben ausgemacht hatten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Tsunade einen ihrer besten Shinobi einfach so in den Tod schickte. Aber vielleicht war es auch genau das. Sie selbst kam weniger subtil davon. »Sakura, du bleibst bei Naruto, Sasuke und Sai und siehst zu, dass sie keinen Unfug machen. Wir halten uns an Nara Shikamarus Schlachtplan. Der erste Tag verlief einigermaßen vorteilhaft für uns, der zweite könnte alles entscheiden.«

»Jawohl, Tsunade-sama.« Ganz unbewusst ließ sie ihre Hand in Itachis gleiten und sich von ihm hinausziehen. Die ganze Nacht hindurch schlief sie an seiner Seite, bis auf die drei Stunden, die er zusammen mit vier anderen ANBU an der westlichen Lagerseite patrouillieren musste. Als er wiederkam, strich er über ihre nackte Schulter und küsste ihren Hals. Sie tat, als schliefe sie und er akzeptierte ihr Schauspiel wortlos in stummem Einverständnis. Sie wollte nicht reden, weil sie ihn nach seiner Übereinkunft mit Tsunade gefragt hätte. Er hätte sie belogen, indem er beschworen hätte, dass es keine Übereinkunft gab und sie hätte ihm die Lüge erzählt, dass sie es ihm glaubte. Sie wollte keine Lügnerin sein, wenn sie schon eine Regelbrecherin werden würde. Denn eines stand fest:

Um keinen Preis der Welt würde sie nach Shikamarus Plan spielen und Itachi alleine in den Märtyrertod rennen lassen.
 

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»Wie … interessant.« Ein schmaler Mund grinste hinter einer orangefarbenen Maske. »Sie wissen mehr als ich dachte.«

»Es scheint so«, bemerkte Kabuto unbeeindruckt. Er schenkte sich Wasser aus einer bronzefarbenen Karaffe ein, die auf einem verzierten Abstelltisch stand. Er war eines der wenigen Möbelstücke im Gremium, wie die Soldaten die aus stabilem Holz gebaute Unterkunft der Feldherren nannten. Niemand aus dem Kader hatte es für nötig befunden ihnen zu erklären, dass man mit Gremium keinen Ort, sondern eine Personengruppe bezeichnete. Sei es, wie es sei, das Gremium hatte etwas Düsteres an sich. Still, bedrohlich. Jeder Schritt hallte an den Wänden der kurzen Gänge wider. Vom Haupttrakt – dem einzigen Trakt – gingen mehrere Ruhezimmer für die Feldherren ab, am Ende war durch eine Dōtonjutsu ein kreisrunder Raum erschaffen worden, in dem ein ovaler Tisch mit abgezählten Stühlen stand. Ein Stuhl für jeden Feldherren der Akatsuki-Allianz.

»Wer hätte gedacht, dass die Godaime in einem einfachen Zelt haust wie der Rest ihrer minderwertigen Ninjaschaft?«, summte Madara dunkel amüsiert.

Kabuto grinste seicht. »Wer hätte gedacht, dass sie so leichtfertig sind, den Klon bei solch wichtigen Gesprächen nicht zu entfernen? Dabei hat die talentierte Schülerin von Tsunade doch eindrucksvoll aufgezeigt, welches Chakra durch sein System fließt. Und wessen Sinne daran knüpfen.«

»Fürwahr, ein dummer Fehler, aber nicht ungünstig für uns.«

»Was meinst du, Uchiha?« Kabuto zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Von draußen erhellte eine brennende Laterne kurz das Innere des Gremiums. Seine Sinne waren auf Wanderschaft immer besonders reizbar für Wahrnehmungen in seiner physischen Umgebung. »Sie haben ein Drittel unserer Vorräte in die Luft gejagt, ein Viertel unserer Armee zerstört. Sie sind im Vorteil.«

»Was den Krieg betrifft vielleicht, aber –« Madara machte eine wegwerfende Handbewegung. »– was interessieren mich Mei und Onoki und deren lapidare Ziele. Mich interessiert nur einer. Dieser Uchiha«, zischte er verächtlich. »Bei all seinen Talenten doch des Nachnamens unwürdig. Er will mich ködern, dieser Uchiha Itachi. Nun, das hat er geschafft. Stellt sich nur die Frage, ob das wirklich eine seiner klügeren Entscheidungen war.«

 
 

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Remnant


 

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Zum zweiten Mal an der Front zu stehen war schlimmer als beim ersten Mal. Alles war realer. Wo gestern alles dumpf und unwirklich gewirkt hatte, nahm Sakura heute alles viel detailreicher war. Alles war so nah. Der Duft der morgentaufrischen Gräser, das Klirren von Waffen, der bestialische Gestank von frischem Blut, das sich mit getrocknetem vermischte. Heute war ein furchtbarer Tag zum Kämpfen. Ein vergleichsweise kalter Sturm peitschte über die schutzlose Ebene, die zwischen den Plateaus als Windkanal fungierte. Immer wieder pressten sich Böen hindurch, fast im Minutentakt.

Sakura schützte ihre Augen mit ihrem Arm vor dem Staub, den sie aufgewirbelt hatte und der nun von einem Windstoß in alle Richtungen davongetragen wurde. Die Reihen der Gegner hatten sich gelichtet, ebenso die eigenen. Immer wieder sah sie Soldaten, die gestern noch ihre Risikopatienten gewesen waren. Wie viele sie in ihrer Trance behandelt hatte, vermochte sie nicht mehr zu sagen, doch sie erkannte viele Gesichter wieder. Tenten war vorhin an der Seite von Ino, Shikamaru und Hanabi an ihr vorbeigerannt, immer weiter Richtung Westen, wo die stärkeren Gegner auf ihre Beute warteten. Sie selbst war nicht erpicht darauf, an diesem Tag an ihre Grenzen zu gehen. Nach allem war ihre beste Freundin doch aus einem anderen Holz geschnitzt; wo Sakura vor Depression am liebsten einfach liegengeblieben wäre, um das Tageslicht zu ignorieren, sprintete Ino mit einem Elan in de Horde, der Naruto alle Ehre machte.

Sakura hatte Itachi nicht aufstehen gehört. Irgendwann war sie eingeschlafen, beim Aufwachen war er bereits weg gewesen. Bloß ihre Wange hatte ein wenig gekitzelt, obwohl sie es sich bestimmt nur eingebildet hatte. Itachi war kein Mann, der seiner schlafenden Freundin einen Gutenmorgenkuss gab. Die Vorstellung wäre trotzdem schön gewesen, wäre sie nicht jetzt – drei Stunden später – in ein Duell mit einem Zetsuklon verfallen. Gestern hatte sie keinen einzigen zu Gesicht bekommen; heute sprießten sie aus dem Boden wie Pilze nach einem Regentag.

»Sai!«, rief sie ohne sich umzudrehen über ihre Schulter hinweg. Sie erhielt keine Antwort. Sie raunte und machte kurzen Prozess mit dem Amenin. Ein Hieb, ein Tritt; sie hatte keine Zeit für kleine Fische. »Nicht schon wieder.« Sie hatte sich schon gedacht, dass sie ihre übereifrigen Kameraden erneut verlieren würde. Naruto, wie auch immer er von Kabutos Involviertheit erfahren hatte, war sofort erpicht darauf gewesen, den Iryōnin endgültig zur Strecke zu bringen. Und Sasuke zog mit. Sai war wohl eher ein Mitläufer, der nicht mit Sakura zurückgelassen werden wollte. Sie zischte abwertend. Wie reizend.

Wie auch gestern war sie vor ihrer Trennung von Naruto an seiner Seite recht weit an den Rand gekommen. Die Feinde waren dünn gesät, vor allem nachdem sie die Hälfte der mutigen Freiwilligen in den Erdboden geschmettert hatte. Sie machte sich nichts vor; auch sie war scharf darauf, Kabuto ein für allemal zu beseitigen. Als Ärztin hatte sie einen Eid geschworen, Leiden zu lindern wo immer sie welche fand – Yakushi Kabuto war eindeutig ein Leiden. Noch nie hatte sie jemandem so sehr den Tod gewünscht. Fast schon hatte sie ein schlechtes Gewissen. Fast. Sie empfand normalerweise zumindest irgendwie Empathie für jeden Menschen, gleich seines Hintergrundes, doch Kabuto war so weit von Menschlichkeit entfernt … hätte jemand einen Stein nach ihm geworfen hätte sie mehr Mitgefühl für den Stein aufbringen können als für sein Ziel. Es machte ihr fast Angst, so sehnlichst gierte sie nach seinem Leben. Fast. Wie er sich auf Akatsukis Seite geschlagen hatte, fragte sie sich erst gar nicht, während sie eine Kohorte Iwanin zur Seite schlug. Hier am Ende der Schlacht gab es keine Gegner für sie. Sie war Jōnin, keine Dilettantin.

»Hey, du da!«

Sakura blieb mehr oder weniger abrupt auf ihrem Weg nach vorne stehen. Kein Fremder hatte es jemals gewagt, sie auf dem Schlachtfeld anzusprechen, schon gar nicht so. In ihrer Drehung holte sie aus und rammte ihre Faust in den Mann hinter ihr – zumindest hatte sie das vorgehabt. Er hielt ihren kräftigen Schlag mit einer Handfläche auf. Obwohl seine bullige Statur einige Zentimeter nach hinten rutschte, zeigte er sich sonst unbeeindruckt. Sie hatte keine Zeit dafür! Wenn Naruto tatsächlich auf Kabuto treffen würde, brauchte er ihr medizinisches Wissen. Ebenso unbeeindruckt wie der von ihr attackierte Shinobi von ihr gewesen war, lief sie ohne ihn zu beachten weiter nach vorne. Überraschenderweise lief er ihr nach und passte sein Schritttempo sogar an das ihre an.

»Netter Schlag, Jōchan. Bemerkenswerte Chakrakonzentration. Du bist eine von Narutos kauzigen Freunden, oder?«, fragte er. Er war hochgewachsen, seine Haut war dunkel, sein Haar hell, seine Gestik und Mimik sowie seine Intonation derart merkwürdig, dass sie ihn sofort einordnen konnte.

»Kumogakure«, entgegnete sie.

»B, stets zu Diensten.«

»Gyūki?«

»Einsilbig unterwegs, eh?«

»Gyūki hat zwei Silben«, korrigierte sie trocken. »Kumogakure sogar fünf. Wieso sind Sie hier, B-san? Sollten Sie nicht zusammen mit der ersten Division am anderen Ende des Feldes sein?« Sakura musterte ihn skeptisch. Sie hatte den schräg aussehenden Ninja einige Male durch das Lager streifen sehen, immer irgendwie beschäftigt mit nichtssagenden Tätigkeiten. Die restliche Zeit war er mit Naruto und den beiden Bijū, die er, schräg wie er war, als eine Art eigenständige Existenzeinheit betrachtete, fernab jedweder zerstörbarer Zivilisation gewesen.

»Fertig?«, fragte B. Hinter ihm sprangen zwei Shinobi auf ihn, die er fast schon fröhlich ohne hinzusehen von sich schleuderte, wo sie mit ihren Kameraden zusammenprallten. Es war so schnell gegangen, dass Sakura nicht einmal deren Hitai-ate hatte identifizieren können.

»Ja. Ich halte Sie für echt.« In einem Krieg, in dem es Klone von toten Hokage gab, war alles möglich, das wussten sie beide. Sakura war nicht leichtsinnig genug, jedem blindlings zu vertrauen. »Was machen Sie hier? Die Schlacht tobt weiter drinnen, wo man Ihre Hilfe besser gebrauchen könnte.«

»Dasselbe könnte ich dich fragen …«

»Sakura.«

»Sakura-chan also, eh?« Ob der einundzwanzigjährigen, erwachsenen Kunoichi auf Jōninrang dieses Suffix passte, war B merklich egal. »Ich kenne den Plan. Solltet ihr nicht die Vorräte ausräuchern?«

»Haben wir gestern schon«, erwiderte sie zu patzig für den Respekt, dem sie ihm gegenüber empfinden sollte. »Einige andere versuchen es heute wieder. Naruto hat andere Pläne. Sie sind auf der Suche nach ihm, nicht wahr? Ich ebenfalls. Er hat einen Gegner ins Auge gefasst, bei dem mehr schiefgehen kann als er mit seinem schamlosen Glück ausmerzen könnte.«

B hob plötzlich das Tempo an, Sakura folgte auf dem Fuße. »Dann helfe ich dir, ihn aufzuspüren. Immer mir nach, Sakura-chan!«

Sie war über diese Hilfe zu erleichtert, um zu fragen, was er von Naruto wollte. Er war ein Jinchūriki. Irgendeinen Grund würde es schon haben.
 

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Am anderen Ende, fernab der Front, bewegte sich ein ANBU Trupp schnell und lautlos mit unterdrückten Chakrapräsenzen durch das Dickicht, mit dem die Ebene zum Nordende hin abschloss. Itachi war noch nie so weit von einem wichtigen Kampf entfernt gewesen. Er war kein Feigling, versteckte sich niemals. Zu gerne hätte er an Sasukes Seite die feindlichen Reihen weiter gelichtet als die tapferen Allianzshinobi es ohnehin schon getan hatten. Doch er und sein Team hatte eine weit wichtigere Aufgabe. Sie würden den Kader dieser Farce zerschlagen. Je eher, desto weniger unschuldiges Blut würde vergossen werden. Wäre er an Naras Stelle gewesen, er hätte sämtliche ANBU an die Front geschickt und der Krieg wäre binnen weniger Stunden zu Ende gewesen. Niemand hatte Konohas Attentätereinheit etwas entgegenzusetzen. Genau darum war er nicht der strategische Kopf; er hätte es in Kauf genommen, noch mehr Gegner zu töten, die ebenso wenig dafür konnten wie Konoha, Suna oder Kumo. Unschuldige. So schwer es ihm auch fiel, diese Menschen als Unschuldige zu bezeichnen, sie saßen alle im gleichen Boot – bloß nicht im selben. Neben ihm drang Yūgaos Stimme durch ihre Porzellanmaske zu ihm.

»Ist es wirklich in Ordnung, sich dem direkten Befehl von Hokage-sama zu widersetzen?«

Shisui lachte hohl. »Als hätten wir jetzt noch eine andere Wahl! Wir haben den Sichtkontakt zu Trupp fünf und acht schon vor fünf Minuten verloren. Reichlich spät, sich erst jetzt darüber Gedanken zu machen.«

»Ich wollte ja nicht …« Unter ihrer Maske biss sie sich auf die Lippen. Uzuki Yūgao war ein Regelfanatiker. Sie war akribisch und genau, bloß weniger pedantisch als ihr Captain. Jeder konnte nachvollziehen, welche Bedenken sie hatte. Sie hatten bereits einen Mann ihres fünfköpfigen Teams aus den Augen verloren, den anderen hatten sie sterbend zurücklassen müssen. Nun, da sie es aus der ersten Gefahrenzone geschafft hatten, konnte sie nicht anders, als nachzudenken.

»Wir sind im Krieg«, sagte Itachi. Wie oft hatte er diesen Satz nun schon gedacht, gesagt, evaluiert? Zu oft für seinen Geschmack. »Hier gibt es keine Regeln mehr. Hokage-samas Anordnungen sind Richtlinien. Wenn dir wohler dabei ist, denke an unsere eigenmächtige Aktion nicht als Widersetzen offizieller Befehle sondern als Eigenermessen. Das Ziel der ANBU sind die Generäle der Akatsuki-Allianz. Wir picken uns nur einen speziellen heraus.«

»Du denkst wirklich, dass Uchiha Madara noch am Leben ist?«

»Wir wissen es«, korrigierte Shisui. Seit sie absichtlich den Kontakt mit ihren Flügeltrupps unterbrochen hatten, hatte er seine Sharingan aktiviert. Zur besseren Nutzung trugen weder er noch sein Cousin eine Maske. Sie brauchten sie nicht. Madara würde ohnehin wissen, wen er vor sich hatte. »Alles spricht dafür. Er ist der Drahtzieher der Konfrontation, wenn auch nicht der Initiator. Ein Mitläufer, der auf die allgemeine Welle der Antipathie zwischen den Dörfern aufgesprungen ist, um sich einen Vorteil zu sichern.«

»Welchen?«

»Wissen wir nicht«, sagte Itachi. Er beschleunigte seine Schritte, sobald das Ende des Waldes in Sicht kam. »Nur um den Uchihaklan zu bestrafen wäre diese Aktion zu groß. Er ergötzt sich vielleicht einfach am Leid anderer, oder die Bijū spielen eine übergeordnete Rolle. Ich habe darüber nachgedacht. Wir nahmen an, Akatsuki sammle diese Monster als Druckmittel. Trotzdem bestünde die Möglichkeit eines höheren Ziels. Macht ist nicht das einzige, wonach eine kranke Existenz streben kann.«

»Hast du eine Vermutung?«, hakte Yūgao nach.

Er gab ihr dieselbe Antwort, die er Shisui heute Morgen im Vertrauen fernab von Sasukes und Izuyas Augen gegeben hatte. »Keine, die mir sonderlich gefällt.« Mehr hatte er dazu nicht zu sagen. Der Wald lichtete sich vor ihnen und gab den Blick auf einen breiten Aufgang am Nordende des westlichen Plateaus frei. Der Weg war steinig, staubig und sie nahmen ihn ohne sich die Mühe zu machen, die schroffen Begebenheiten zur Kenntnis zu nehmen. Den gesamten gestrigen Tag lang hatten sie unentdeckt das Gebiet abgekämmt, um eine Route festlegen zu können, über die sie die Station des gegnerischen Kaders erreichen konnten. Während andere gekämpft hatten – während Asuka ihr Leben gelassen hatte – hatte Itachi mit seinen Leuten Kartograph gespielt. Der rationale Teil in ihm wusste, dass er Asukas Tod nicht hätte verhindern können. Sie hatte sich ohne seine Erlaubnis aus Tsunades Obhut gerissen. Egal wo er gewesen wäre, er hätte sie nicht retten können, weil sie nicht an seiner Seite gewesen wäre. Sein emotionaler Teil, kontrolliert wie er sonst auch war, wollte die Fassade der Unterdrückung durchbrechen und um sich schlagen wie Sakura es gestern getan hatte. Die Wut, die er in sich gegen Madara, seine Familie und sich selbst verspürte, war für sich schon schwer zu ertragen. Es kostete ihn das höchste Maß an Überwindung, sie unter der Oberfläche zu halten. Heute war kein Tag für Gefühle. Schon gar keine negativen. Vorwürfe hin oder her, er würde Asukas Tod rächen, indem er den Impresario dieser Tragödie zur Strecke brachte.

Der Aufgang wurde seichter, bis er sich gänzlich ebnete. An seinem Kopf zeigten sieben Kirishinobi, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden.

»Terumī Meis Leibgarde«, zischte Yūgao. Man hörte nicht viel von den Gardisten der Godaime Mizukage. Was man hörte, war dafür imposant.

»Sie werden uns nicht vorbeilassen, Itachi.« Sein Cousin wechselte an Yūgaos Seite, einen Kunai im Anschlag. »Du gehst weiter, wir holen auf, sobald wir diese Hampelmänner erledigt haben!«

Itachi widersprach nicht. Aus Vertrauen in seine Kameraden, aus Ignoranz der Möglichkeiten gegenüber. Sein Ziel war Madara. Er hatte keinen Sinn für irgendetwas anderes. Shisui wusste das, Yūgao ebenso. Zusammen wandten sie nahezu gleichzeitig Shunshin no Jutsu an, tauchten hinter der Garde auf und feuerten gemeinsam eine mittelstarke Katonjutsu ab. Itachi glitt unbeachtet vorbei. Hinter ihm wurde der Tumult, den seine Teammitglieder veranstalteten, immer lauter. Yūgao und Shisui würden es schon schaffen. Sie brauchten ihn nicht. Immerhin waren sie in seinem Team. Und in seinem Team waren nur die Besten.

Wie lange er von etwas wie Instinkt geleitet über das Plateau lief, konnte er nur vage abschätzen. Der staubige Boden wechselte irgendwann zu einer kargen Wiese, an schütteren Stellen von unbewachsenem Stein unterbrochen. Wo er zuvor den Lärm des Schlachtfeldes zumindest noch ansatzweise gehört hatte, konnte er nun nur mehr bedrohliche Stille vernehmen. Es war zu ruhig. Als hätte jemand die Lautstärke der Natur willentlich auf Minimum gestellt. Nicht einmal die Ratte, die ihm vor die Füße huschte, schien mit ihren kleinen Pfoten Lärm im Gras zu machen. Itachi ahnte, auf wen er treffen würde. Er brauchte nicht nach vorne zu blicken, um einen mittelhochgewachsenen Mann zu erkennen. Die roten Wolken auf der schwarzen Robe verrieten den Maskierten, wäre seine orangefarbene Gesichtsverhüllung noch nicht genug gewesen. Itachi hatte Phantombilder des angeblichen Anführers von Akatsuki gesehen. Seine Position konnte nie bestätigt werden, doch der Mann auf den Kohlezeichnungen sah genauso aus wie jener vor ihm.

»Uchiha Madara«, sprach Itachi seine erste Vermutung aus. Es gab nur Gerüchte um die Identität des Maskierten, laut denen er sich selbst Tobi nannte. Ein reichlich unspektakulärer Name für einen gefürchteten Shinobi. Schon vor Monaten hatte man spekuliert, ob es ein Alias war oder eher ein Scherz.

»Nicht ganz«, erwiderte Tobi. Seine Stimme war ungewöhnlich hoch und quirlig für den blutrünstigen Anführer eines Massenmörderverbandes wie Akatsuki. Itachi kam nicht umhin sich zu wundern. Er war es nicht gewohnt, überrascht zu werden, weswegen er Mühe hatte, zu dem emotionalen Sturm in seinem Inneren nun auch noch Irritation zu verbergen. Der fehlenden Reaktion seines Gegenübers nach zu urteilen gelang es ihm.

Schweigsame Minuten verstrichen. Itachi wusste nicht, was er zuerst fragen sollte. Tobi nahm ihm die Entscheidung ab.

»Madara, Obito, ein paar andere Uchihas vielleicht«, summte er vergnügt. »Wer weiß schon, was alles in mir steckt? Eine ganze Menge, würde ich sagen. Bloß frage ich mich, was wohl in dir stecken mag, Uchiha Itachi. Ist dir Konohagakure no Sato so egal, dass du deine Zeit mit mir verschwendest? Während deiner Suche nach mir hättest du hunderte abschlachten können, die dafür nun deine Freunde töten. Deine Familie vielleicht? Wenn sich ein paar dieser illoyalen Verräter dazu herabgelassen haben, eurem schäbigen Dorf beizustehen.«

»Geht es dir nur darum?«, fragte Itachi möglichst unberührt. Er hatte fast drei Jahrzehnte darauf verschwendet, sich zu kontrollieren. Auch heute würde er seine Beherrschung behalten. »Du bemitleidenswerte Kreatur. Reicht deine Verbitterung so tief, dass du eine Familie bestrafen willst, die dich nicht einmal mehr als ihre Begründer akzeptieren will? Die ihren größten Schandfleck unter all den Fehlern am liebsten aus ihrer Familiengeschichte streichen würde wie einen Brandfleck in einem teuren Teppich?«

»Denkst du, du kannst mir drohen, Jushi?«

Itachi verzog keine Miene, auch wenn ihm danach war. »Du hast den nächsten Patriarchen des Uchihaklans vor dir – keinen schwachen Jüngling.«

»Oh, ich weiß, wen ich vor mir habe. Patriarch des Klans, ja? So siehst du dich?« Tobi trat einen Schritt nach vorne und kicherte wie ein ungezogener Junge. »Du willst in Madaras Fußstapfen treten? Dann beweise, dass du es wert bist!«

Vorhin noch war Tobi zehn Meter weit entfernt gewesen, nun fand Itachi sich in einer reflexartigen Parade seinerseits. Er griff um, schleuderte seinen Gegner nach hinten und hielt ihm das gezückte Katana an den Hals. »Welches Recht nimmst du dir, die Bedingungen zu stellen? Du bist nicht Madara, welches Spiel spielst du hier? Ich will Antworten, keine leere Floskeln! Wer bist du und wozu dienen die Bijū wirklich?«

»Nicht Madara?«, wiederholte Tobi amüsiert. Itachi konnte sehen, dass das Zittern seiner Knie ekstatisch, nicht ängstlich war. »Du kleinkarierter Mensch. Denkst du, ein Mensch hat nur eine Seite? Nur ein Leben? Du denkst die Grenzen der Möglichkeiten zu kennen, wagst es  in deiner Überheblichkeit nicht über die Ränder deines Verstandes zu greifen, aber ich habe ihn gesehen! Den Tod in seiner reinsten Form und ich werde ihn bezwingen! Du verlangst Uchiha Madara? Das lässt sich arrangieren!«

Tobi riss die Arme in die Luft. Ohne Beschwörung, ohne Fingerzeichen verdunkelte sich der Himmel über ihm zu einem grauen Strudel. Ein Sturm zog auf, beißender als die kühlen Böen von vorhin. Plötzlich wurde der Akatsuki von seinen Füßen gerissen. Seine Konturen verschwammen in einem riesigen Feuerball, den Itachi nur durch einen Schild abwehren konnte. In seiner Fixation auf diesen Geisteskranken hatte er die sich nähernde Chakrasignatur nicht bemerkt – was ein fataler Fehler hätte werden können, hätte sie zu jemand anderes gehört.

»Was zum Teufel tust du hier, Sasuke?«, bellte er vorwurfsvoll. Er hatte seinen Otōto  nicht grundlos außenvorgelassen!

»Du Idiot!«, donnerte Sasuke nicht minder vorwurfsvoll zurück. Er landete neben seinem älteren Bruder und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Was denkst du, wer du bist? Hältst du mich im Ernst für so dumm, dass ich nicht verstehe, um was es hier geht, Niisan? Das hier ist eine Familiensache, falls du es noch nicht bemerkt hast! Ich werde nicht vom Logenplatz aus zusehen, wie du den Helden spielst!«

»Niemand spielt den Helden, Sasuke«, beschwor Itachi ihn. Beide wagten nicht, den Blick von dem sich aufrappelnden Tobi zu nehmen. Dieser verfolgte das Schauspiel amüsiert. Der Himmel blieb verdunkelt, sodass die länglichen Schatten vom zuvor herrschenden Sonneneinfall mit der ergrauten Welt verschmolzen waren. Ton in Ton war der sonnige, wenn auch stürmische Tag zu einem einzigen grauen Schleier geworden, sehr viel eher die Trostlosigkeit der Szenerie widerspiegelnd.

»Dann schließ mich nicht aus, so wie du es sonst immer tust. Wir sind ein Team, kapier das endlich!«

Noch nie hatte Itachi seinen Bruder so entschlossen gesehen, so emotional, ohne unbeherrscht zu wirken. Der Wille des Feuers schien in ihm aufzuflackern, leidenschaftlich wie ihn jeder Konohashinobi in sich trug. Itachi war keine Ausnahme. Sasuke hatte recht. Dies war kein ehrenhafter Kampf Mann gegen Mann.

»Bevor ihr mich mit vereinten Kräften angreift«, flötete Tobi, in seiner falschen Fröhlichkeit kein Stück beschnitten, und deutete nach links, wo das Plateau in einer halben Meile Entfernung sein jähes Ende nahm, »Solltet ihr euch das lieber ansehen.«

Die beiden Brüder spannten sich im Kanon an. Itachi machte vor lauter Schock keinen Laut, Sasuke hingegen ließ kehliges Brummen vernehmen. »Dieser Dummkopf!«, fluchte er. Seine Sharingan taxierten Naruto, der sich schemenhaft im Hintergrund abzeichnete. Niemand hätte den Jinchūriki aus dieser Distanz identifizieren können. Wäre nicht orangefarbenes, unmeschliches Chakra um seine entfernte Silhouette gewabert. Itachis Verstand rechnete blitzschnell nach. Tsunade hatte ihrer Schülerin einen unmissverständlichen Befehl gegeben, den diese nicht ignorieren würde: wo Naruto war, war Sakura. Und wo ein außer Kontrolle geratender Naruto war, war Sakura in Gefahr.

Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.
 

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Sakura kam gerade noch rechtzeitig zusammen mit B bei Naruto an, um Kabutos konfuse Worte zu hören: »Dieser schizophrene Narziss ruiniert noch alles!«

Dass er damit nicht Naruto meinte, war klar. Seine Aufmerksamkeit galt dem zugezogenen Himmel über ihm, der ihr erst jetzt auffiel. Das viele Grau um sie herum hatte so natürlich gewirkt, dass sie nach oben sehen musste, um zu überprüfen, ob es nicht nur Einbildung war. Doch es war wahr: Wolken hatten sich aus dem Nichts über den heiteren Himmel geschoben und vermengten sich nun zu einem zähflüssigen Strudel mit pechschwarzem Auge. Kabuto schien es beunruhigend zu finden, was nur bedeuten konnte, dass einer seiner Verbündeten eigenmächtig handelte. Unter seiner Kapuze blitzte das von Schuppen entstellte Gesicht hasserfüllt auf. Hätte Sakura nicht schon allerhand Furchtbares bis Unmögliches gesehen, wäre sie von seiner äußerlichen Veränderung schockiert gewesen. Sein Charakter war derselbe abstoßende geblieben. Inzwischen traute sie ihm alles zu.

»Haben dich deine Gefährten aus ihrem Spielchen ausgeschlossen, Kabuto?«, provozierte Sakura. Sie kannte Kabutos Schwäche; seine Überlegenheit hatte ihn arrogant gemacht. Er würde niemanden in den Tod schicken, ohne vorher seinen genialen Masterplan in die Welt posaunt zu haben.

»Was weißt du schon?«, fauchte er zurück. Neben ihm hielt Nagato seinen Arm hoch, um Kabuto zurückzuhalten. Sakura hatte ihn hinter Narutos Kyūbichakra gar nicht gesehen, so unscheinbar wirkte der gepiercte Mann im Vergleich zu einer Macht wie Kyūbi, auf dem die allgemeine Aufmerksamkeit lag. Sie konnte sich an den Herrscher Amegakures erinnern; seinen Kampfstil, mit dem er und seine anderen Körper Itachi Schwierigkeiten bereitet hatten.

Nicht an Itachi denken, mahnte sie sich. Es würde nur Sorgen hervorrufen, die sie nicht verantworten konnte. Sie festigte ihren Stand und wandte sich an Kabuto. Einen zweiten Versuch würde sie noch riskieren. »Ich weiß, dass es um Uchiha Madara geht!«

Kabutos Überraschung ehrte sie, verblasse jedoch viel zu schnell.

»Nimm dich zurück«, mahnte Nagato streng. Es war klar, wer das Kommando für sich beanspruchen wollte. Immerhin war er der offizielle Anführer eines Dorfes, Pseudokopf einer Verbrecherorganisation und Besitzer des mächtigsten Dōjutsus, von dem die Menschheit jemals gehört hatte. Kabuto gedachte nicht zu gehorchen.

»Wage es nicht, mir Befehle zu erteilen, Nagato! Wir sind gleichberechtigte Partner. Hast du vergessen, wem ihr Zetsus Klone zu verdanken habt? Wer die Macht hat, den wahren Madara wieder auferstehen zu lassen? Die Macht der Bijū zu nutzen? Ich werde mich von dir nicht herumkommandieren lassen!«

»Sakura!«, unterbrach Sai ihren nicht sehr subtilen Lauschangriff von der Seite. Er war blutverschmiert und kaum noch bei Bewusstsein. »Wo ist Sasuke? Wir brauchen das Sharigan!«

»Brauchen wir nicht!«, fauchte Naruto bitter. Er stand gekrümmt zwischen den Parteien, die Augen zu Schlitze verengt, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Hände zitterten. »Ich habe es unter Kontrolle!« Es klang nicht sehr überzeugend. Seine Stimme war rau, fast schon heiser und drohte jede Sekunde unter enormem inneren Druck zu brechen. In ihrer Ratlosigkeit wandte Sakura sich an B.

»Sie haben doch mit ihm trainiert! Das dort kann man doch nicht als Kontrolle bezeichnen!«

»Vertrau mir, Sakura-chan! Solange ich noch einen klaren Kopf habe, ist alles in Ordnung. Ich komme für den Moment bloß nicht mehr aus diesem Stadium raus, das ist alles. Trotzdem kann ich diesen Scheißkerl besiegen!«

»Mach dich nicht lächerlich, Naruto, bitte!«, flehte sie. Das Chakra um ihren Freund wurde immer dicker. Es verpestete die Luft, wo auch immer seine pulsierenden Wellen hinreichten. In Sakuras Augen standen Tränen. Sie hatte schon einmal erlebt, wie Naruto war, wenn er nicht mehr Herr seiner Selbst war – es war eine Erfahrung, die sie niemals wieder machen wollte. »Spiel nicht den Helden, nicht schon wieder! Wir brauchen Kyūbi nicht, um Kabuto aufzuhalten!« Sie wollte nach vorne laufen, doch B hielt sie mit festem Griff zurück, sodass sie schwungvoll gegen seine Brust prallte. Nur seiner Reaktion, in der er sich vor sie stellte, die Arme um sie schlang und mit seinem Rücken die Druckwelle abfing, war es zu verdanken, dass sie noch bei Bewusstsein war um zu sehen, wie Naruto mit tosendem Gebrüll auf Nagato zuschoss. Sai hatte weniger Glück gehabt; er war von der Chakraexplosion zurückgeschleudert worden, wo er erfolglos versuchte aufzustehen.

»Jetzt sind es sogar drei«, wisperte Sakura unheilvoll. Narutos Ausbruch hatte ihm zu den beiden bestehenden einen weiteren Schwanz aus der brodelnden Chakraaura um ihn herum angeheftet. Drei war das Maximum, das sie jemals erlebt hatte. Sie wollte keinen vierten sehen.

»Steh' nicht rum, Sakura-chan!« B ließ sie los und ging in Angriffsposition. »Wenn der Knirps kämpfen kann, können wir das schon lange!«

Bs Motivation brauchte nur einen Herzschlag, um auf sie überzuschwappen. Er hatte recht! Sie stand vielleicht chakramäßig in Narutos Schatten, aber sie stand ihm deswegen um nichts nach! Sie war ebenso ein Konohanin wie er! Wenn es jemanden gab, der sich mit Kabuto messen musste, dann sie! Sie war die einzige, die medizinisch bewandert genug war, um ihn zu besiegen! Mit einem weniger imposanten Schrei als Naruto tat sie das, womit sie jeden Kampf eröffnete: sie schlug ihre Faust in den Boden und zwang Kabuto somit, sich mit ihr zu beschäftigen anstatt Nagato widerwillig mit unterstützende Jutsus zu umschmeicheln. B indes stieg johlend in den Taijutsukampf zwischen dem Jinchūriki und dem Akatsuki ein.

»Er braucht meine Hilfe sowieso nicht«, bemerkte der Iryōnin. Nun, da er näher an Sakura stand als zuvor, erkannte sie seine ungewöhnlich spitzen Gesichtszüge. Seine ganze Mimik erinnerte sie an jemanden, den sie lieber vergessen wollte.

»Welche Abscheulichkeit hast du getan, dass du aussiehst wie dein Meister?« Es war nicht nur die äußerliche Ähnlichkeit mit dem toten Sannin. Es war sein Chakra, das ihr Sorgen bereitete. Es war mindestens doppelt so groß wie bei ihrer letzten Begegnung.

»Nur ein paar kleine Fehler korrigiert, nichts weiter. Uchiha Itachis Attacke war stärker als ich dachte, darum musste ich handeln. Ein Leben für ein anderes, das ist äquivalenter Tausch, findest du nicht? Orochimaru-sama war alt und schwach, ein Krüppel, der es nicht wert war, länger unterhalten zu werden. Ich habe sein Leben recycelt. Wusstest du, dass Lebensverbindungen bilateral sind? Man kann sie nicht nur verbinden, sondern auch fusionieren. Nett, nicht wahr?«

Krank – das war, was Sakura am ehesten dazu einfiel. Sie biss sich auf die Lippen; jeder Satz an Kabuto war verschwendeter Atem. Ohne Rücksicht auf Verluste kickte sie einen losgelösten Erdbrocken in seine Richtung, setzte einen zweiten nach und nutzte Kabutos offensichtliches Ablenkungsmanöver für einen ersten direkten Angriff. Er parierte wie erwartet und wehrte auch ihren nachkommenden Tritt ab. Seine Gegenattacken waren präzise, aber viel zu langsam. Sie hatte ihren Kampf mit Itachi auf dem Trainingsgrund der Uchihas nicht vergessen. Kabutos Tempo war kein Vergleich zu Itachis wendigen Bewegungen. Niemals hätte sie gedacht, wie sehr er ihr damit geholfen hatte, sie zu kritisieren. Ja, sie empfand Abscheu vor dem Iryōnin vor ihr. Ekel, Hass. Itachi würde ihr niemals austreiben können, ihre Emotionen zu unterdrücken. Aber er hatte ihr ganz unbewusst gezeigt, wie sie diese Emotionen als Antrieb nutzen konnte.

»Du und deine Visage, ihr widert mich an!«, blaffte sie, die Zähne gefletscht, die Nasenflügel aufgebläht. Diesmal war es Kabuto, der den ersten Zug machte. Mit medizinischem Chakra in seinen Händen ging er auf sie los, präzise auf ihre Schulter gezielt. Sie war erfahren genug, um zu wissen, welcher wichtige Knotenpunkt sich dort befand. Und sie war gut genug, um ihn zu verteidigen. Auf Kabutos Lippen breitete sich höhnisches Lächeln aus.

»Armes, kleines Mädchen.«

Den Treffer, den er landete, spürte sie erst gar nicht. Er rammte seine chakrainfundierte Hand so stark in ihre Brust, dass sie das Gefühl hatte, er greife durch sie hindurch. Den Herzschlag lang, den ihr Herz aussetzte, breitete sich eine Druckwelle in ihrem Körper aus. Erst Sekunden später, so schien es, folgte dieser den physikalischen Gesetzen. Sakura bekam nicht einmal mit, wie sie vor Schmerze aufschrie und nach hinten flog. Sie spürte auch den Aufprall nicht. Genau genommen spürte sie unter dem kranken Pochen in ihrer Brust gar nichts. Es war eine Mischung aus Übelkeit und Herzrasen, bis auf dass ihr Herz viel langsamer schlug als gesund war. Sie rang nach Luft, übergab sich dabei und brach röchelnd zusammen. Irgendwo weit weg am Rande ihres Bewusstseins hörte sie, wie Naruto den Köder schluckte. Er hatte den Akatsuki B überlassen und stürzte sich mit einem furiosen Wutgebrüll auf Kabuto. Sakura hatte keinen Atem, um ihn vor der Falle zu warnen, die Kabutos Handflächen boten. Sie spürte Blut aus ihrer Brust treten, Schwärze überrolle ihre dumpfen Sinne, ihre Sicht verschwamm in ihre Augen. 

Es war zu spät.

Ihr letzter Blick galt Naruto, aus dessen Chakraaura ein vierter Schwanz gesprießt war. Er stürzte sich blindlings in sein Verderben. Die unwillkommene Ohnmacht drohte sie zu übermannen, immer weiter. In der Ferne hörte sie jemanden Narutos Namen schreien, dicht gefolgt von einer Katonjutsu.
 

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.

Hätte man Yūgao vor wenigen Sekunden gefragt, hätte sie weder an Reinkarnation noch an Widerbelebung geglaubt. Nein, hätte sie gesagt. Dem Unmöglichen die Unmöglichkeit bescheinigt. Und doch … sie schüttelte den Kopf. War dies ein Traum? Sie konnte sich deutlich erinnern, wie sie Meis Leibgarde an Shisuis Seite getötet hatte. Sie hatte zwei erwischt, Shisui fünf. Sie konnte sich ebenso deutlich erinnern, wie sie ihn vor seinem vermeintlich sechsten Opfer gerettet hatte und dieses zu ihrem zweiten gemacht hatte. Shisui war am Ende seiner Kräfte. Auch daran konnte sie sich deutlich erinnern: seine dankbaren Augen, die nicht einmal mehr die Kraft hatten, die Sharingan zu halten. Er hatte sie angelächelt, ehe er begonnen hatte, mit ihr zu diskutieren. Sie hatte keine Widerworte geduldet; »Ich bringe dich ins Lazarett, danach werde ich Itachi suchen«, hatte sie gesagt. Entschlossen. Kompromisslos. Ob es war, weil sie Itachis Ton imitiert hatte oder weil sie nun einmal sie war, Shisui hatte ihr danach jedenfalls nicht mehr widersprochen.

Soweit konnte sie die Realität als wahr beurteilen. Gestern Abend hatte sie einige Shinobi schwören hören, ehemalige Konohanin getroffen zu haben – Sarutobi Asuma beispielsweise. Sie hatte es als pietätlose verfrühte Kriegsanekdoten abgestempelt. Erstunken, erlogen. Und doch …

Shisui fiel neben ihr zu Boden, weil sie gänzlich vergaß, ihn festzuhalten. Müde sah er zu ihr hoch, von ihr weiter zu Gekkō Hayate, der die Kunoichi aus seelenlosen Augen anstarrte.

»Wie …?«, wisperte sie. Hayate schüttelte den Kopf.

»Yūgao …«

Bis jetzt hatte sie es angezweifelt. Sich gewehrt gegen diese Wahrheit. Genjutsu, Hypnose, alles schien ihr glaubwürdiger zu sein als das. Und doch … als er ihren Namen aussprach … niemand konnte diesen Klang fälschen. Er hatte ihren Namen schon immer ausgesprochen, als sein er etwas Kostbares. Als sei sie etwas Kostbares.

»Yūgao!« Shisuis Stimme verhallte ungehört.

»Wie ist das möglich?« Sie spürte Tränen in ihren Augen aufsteigen, zusammen mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust, das ausgelöst wurde durch das Wissen, dass ihre Hoffnungen unbegründet waren. Seine schwarzen Augen, in denen weiße Iriden saßen, die Risse in seiner ungesund gefärbten Haut, als hätte er jahrelang unter der Erde gelegen. Auch wenn er real war, dies war nicht ihr Hayate. Er war nicht der Mann, den sie hatte heiraten wollen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er. Sehnsucht, Schmerz, Verbitterung in jedem Wort. Hätte er weinen können, hätte er es getan. »Ich weiß es nicht«, rief Hayate lauter. Er fasste sich an den Kopf, vergrub seine Fingernägel im Stoff seines Hitai-ate, das er als Mütze missbraucht hatte. »Yūgao, er kann unseren Willen boykottieren. Von irgendwo, wenn er sich konzentriert, kann er uns steuern. Uns alle – jede arme Seele, die er aus dem Totenreich beschworen hat.«

Yūgao wich zurück. Das durfte nicht sein. Sie spürte Shisuis Hand um ihren Arm, schüttelte ihn jedoch ab. Ihr ANBU Kollege schrie etwas, das sie durch das Rauschen in ihren Ohren nicht verstand. Selbst Hayates Stimme war schwer zu verstehen. Er sagte etwas von Versiegelung. Erinnerungen, die sie lieber nicht gehabt hätte, brachen über sie herein – Hayate und sie zusammen mit ihrem dritten Teammitglied, Hyūga Kō, mitten auf einer Wiese; ihr Sensei grinste zu ihnen herab.

»Wenn ich groß bin, will ich ein Kenjutsumeister werden!«, hatte er gesagt und sie hatte geantwortet: »Wie öde! Hayate, du bist so lahm! Ich gehe zur ANBU und dann zeige ich dir, was ein wahrer Ninja ist!«. Sie erinnerte sich an die Schrimp-Wette; den Tag, an dem er sie hatte gewinnen lassen; seine Liebeserklärung; ihre Liebeserklärung, die ihr so lange peinlich gewesen war: »Was soll ich schon damit meinen, du Ochse?! Wenn du mich zwingen willst, es auszusprechen, bitte! Ich – ach, Kami, ich liebe dich!«. Ihr erster Kuss; der missglückte erste Antrag, der missglückte zweite Antrag, der dritte Antrag, den sie schließlich angenommen hatte – sie hatte so lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. So lange, um weiterleben zu können. Um Shisui an ihrer Seite akzeptieren zu können.

Und nun stand Hayate vor ihr.

Endlich schnappte sie aus ihrer Starre, die Augen immer noch geweitet. Ihre Finger glitten langsam an ihre Katzenmaske und setzten sie ab. Die ANBU trug Masken, um Distanz zwischen sich und ihren Opfern zu schaffen. Wie konnte sie bei Hayate Distanz vortäuschen?

»Wer kontrolliert dich?«, fragte sie.

»Sei nicht dumm, Yūgao!«, schalt Shisui. Er versuchte sich aufzuraffen, sank an dem Baumstamm, den er dafür zu Hilfe nahm, aber wieder kraftlos in sich zusammen, eine Hand auf die tiefe Fleischwunde gepresst. »Ich weiß, was du denkst, aber er ist tot!«

»Wenn wir denjenigen finden, der –«

»Nein!«

»Halt den Mund, Shisui! Du hast keine Ahnung, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren!« Noch nie zuvor hatte sie so verzweifelt gekreischt. Ihr fiel nicht einmal auf, dass Shisui vor wenigen Tagen sehr wohl erlebt hatte wie es war, einen geliebten Menschen verloren geglaubt zu haben. Die angestauten Tränen schwollen aus ihren Augen wie Sturzbäche, obwohl sie nicht schluchzte. Ihre Stimme versagte, ihre Schultern bebten, ihre Beine zitterten, ihr Kopf schmerzte. Es war zu viel. »Du stehst vor mir, Hayate! Du bist hier!«

Hayate starrte fassungslos auf seine Handflächen. »Ja, Yūgao, ich bin hier … aber auf welche Weise? Ich –« Seine Antwort verging in einem Raunen, das ihm entfuhr. Als hätte man ihm in den Bauch geschlagen, sank er in sich zusammen. Yūgao schloss die Entfernung zwischen ihnen und fing ihn auf, begleitet von Shisuis Warnung. Wütend starrte sie ihren Kameraden an, Hayate dicht an sich gepresst. Endlich schaffte Shisui es, sich aufzurichten. Unsicheren Standes taumelte er auf sie zu.

»Bleib zurück, ich warne dich! Du willst ihn doch nur loswerden, um mich für dich zu haben! Shisui, ich werde nicht zulassen –« Weiter kam sie nicht. Ein Stoß erfasste sie und schleuderte sie gegen die Felswand. Ihr ANBU Panzer fing den Aufprall größtenteils ab, jedoch nicht ihr Entsetzen, als sie in Hayates leere Augen blickte. Aus Reflex hatte sie sein Schwert mit ihren Armschienen abgewehrt, sonst hätte er sie durchbohrt. Hayate starrte sie nicht minder entgeistert an.

»Yūgao, ich … es tut mir leid … ich …«

Es war schmerzhaft, den letzten surrealen Funken Hoffnung zu verlieren. Einen geliebten Menschen zu Grabe tragen zu müssen war eine Sache. Ihm danach als Gegner gegenüberzustehen eine andere. Doch sie hatte verstanden. Etwas wie zweite Chancen gab es nicht. Für einen Moment schämte sie sich für ihre Naivität. Zu glauben, es bestünde die reelle Möglichkeit, ihren Verlobten an ihre Seite zurückzuholen, war dumm gewesen. Sie musste Shisui rechtgeben. Einfältig und töricht. Hayate sah sie nach wie vor konsterniert an. Seine Entschuldigung war ehrlich gemeint gewesen, das konnte sie ihm nicht absprechen. Sie hoffte, er würde die ihre verstehen.

»Es tut mir leid«, wiederholte Yūgao seine Worte auf den Laut genau. Nichtsdestoweniger klangen ihre anders. Er hatte sich für das entschuldigt, was er getan hatte. Sie sich für das, was sie tun würde. »Es gibt keine Chance für uns, nicht wahr?«

»Nein. Ich habe meine Befehle. Ob ich will oder nicht –« Yūgao unterbrach ihn, indem sie ihn mit einem Hieb von sich warf. Mit der anderen Hand zückte sie ihr Katana und setzte ihm nach. »Bleib zurück, Shisui! Das ist mein Kampf!«, fuhr sie ihn an, ehe er sich einmischen konnte. In seinem Zustand hätte er sich nur selbst umgebracht. Sie hieb mit ihrer geschärften, blutbesudelten Klinge auf Hayate ein, der ihren Angriff mühelos blockte. Zusammen verfingen sie sich in ein Knäuel, das über den Boden rollte, ehe sie sich voneinander trennten.

»Wir beenden es«, sagte Yūgao, das Schwer auf ihn gerichtet. »Hier und jetzt. Ich werde nicht zulassen, dass du Konoha und seinen Bewohnern Schaden zufügst!«

»Ich lebe nicht mehr, Yūgao«, sagte er. »Du kannst mich so nicht töten.«

Yūgao nickte. »Das weiß ich«, antwortete sie mit zittriger Stimme, dann griff sie erneut an.

Yūgao war in diesem Kampf klar von Vorteil. Hayates Kampfkunst, das realisierte sie schnell, war auf dem Level vor seinem Tod. Sein Chakra war anders, aber seine Bewegungen waren gleich. Sie kannte seine Paraden, die Abfolge seiner Schrittkombination – Radoppio, Flèche, Ballestra – sowie die dazugehörige Klingenaktion. Seine Arretstöße waren immer noch viel zu fein für die robuste Klinge eines Katanas, das hatte sie ihm jahrelang erklärt. Über ein Jahrzehnt hatten sie wöchentlich trainiert, jedes Mal um dieselbe Uhrzeit, jedes Mal um denselben Einsatz. Selbst nach so vielen vergangenen Jahren konnte sie sich haargenau an die Schrittfolge erinnern, mit der er sie immer wieder besiegt hatte. Mit dem Unterschied, dass sie nicht dieselbe war wie vor elf Jahren. Sie war stärker geworden. Mutiger.

Und sie hatte abgeschlossen. Selbst wenn gerade alte Wunden aufrissen, sie würde sich davon nicht in ihrer Integrität untergraben lassen. Hayate war ein Feind Konohas.

Beinahe hätte sie seinen wirbelnden Schlag übersehen. Nur mit viel Glück konnte Yūgao sich darunter hinweg ducken und mit dem Griff ihres Katanas ihren Weg nach oben frei machen. Hayates Kiefer knackte bedrohlich, als er mit dem Katana in Kontakt kam. Sie hatte dieses hinterlistige Manöver oft angewandt, wann immer sie gewinnen hatte wollen. Einmal hatte sie so fest zugeschlagen, dass sie ihn ins Krankenhaus hatte bringen müssen – es war der Nachmittag gewesen, an dem sie ihm ihre Gefühle gestanden hatte. Ihr darauf folgender Kuss war peinlich gewesen, weil dabei sein Kiefer noch weiter verletzt worden war.

Den nächsten Schlag sah sie nicht kommen. Zu sehr war sie in diese glückliche Erinnerung versunken, als dass sie rechtzeitig hätte ausweichen können. Sie sah noch Hayates reuevolle Augen, das blanke Entsetzen, als sein Schwert ihre Schulter traf, genau dort, wo kein Panzer sie schützte. Die Klinge schnitt durch ihr Fleisch wie durch Butter, ein Tritt folgte und sie fand sich benommen auf dem Boden wieder, Shisuis Schrei dicht bei ihr.

Shiusi!

Emotionen preschten auf Yūgao ein. Shisui war hier; er hatte sie aufgefangen! Sie hatte ihre letzte Mission nur überlebt, weil sie seinetwegen nicht hatte sterben können. Um nichts auf der Welt hatte sie an seiner Trauer schuld sein wollen. Ihr Wille zu leben basierte auf ihm. Seinetwegen war sie am Leben, ganz im Gegensatz zu Hayate, der nur mehr unter ihnen wandelte als schwaches Abbild jenes Mannes, den sie schon einmal verloren hatte. Wie sollte sie ein zweites Mal ertragen?

Mit all ihrer verbleibenden Kraft rappelte sie sich auf, wackelig gestützt auf ihr Katana. Sie spürte Shisuis Hand auf ihrer heilen Schulter. Auf der anderen Seite breitete sich ein taubes Gefühl als willkommene Abwechslung zu dem allgegenwärtigen Schmerz aus.

»Es tut mir leid«, wisperte sie leise. Diesmal galten die Worte Shisui. Sie hatte sich umgedreht, um ihm in die Augen sehen zu können. Sogar durch ihren Tränenschleier konnte sie sein verwirrtes Gesicht ausmachen. Yūgao legte eine Hand auf seine Wange und zwang sich zum Lächeln. Es fiel ihr leichter als gedacht; sie hatte abgeschlossen. Endgültig.

»Es tut mir leid, Shisui«, wiederholte sie. »Ich habe ihn immer geliebt und ich werde ihn immer lieben.«

Ehe er etwas sagen konnte, das sie in ihrem Entschluss wankelmütig hätte werden lassen können, löste sie ihre Hand, mit der sie einen blutigen Abdruck auf Shisuis Wange hinterlassen hatte, und griff ihren Gegner erneut an.

»Oborozukiyo!«, rief sie, sprang in die Luft und beschrieb zur selben Zeit den Radius um sich mit ihrem Schwert, als Hayate seinen Mikazuki no Mai ankündigte. Das Schellen, das beim Aufeinandertreffen der zwei chakrageführten Klingen ertönte, hallte donnernd über das Feld. Yūgao landete auf wackeligen Beinen und warf ihr Schwert weg.

»Du hast nicht getroffen.« Hayate Feststellung war begleitet von Irritation. Sie konnte sehen, wie er sie verurteilte, weil sie ihn absichtlich am Leben gelassen hatte. Er wollte sterben, weil er ihr nicht wehtun wollte. Aber es war, wie er gesagt hatte: ein einfaches Schwert konnte ihn nicht aufhalten. Sein Ausdruck wechselte und er warf sich erneut auf sie. Yūgao machte keine Anstalten auszuweichen, womit er sichtlich nicht gerechnet hatte. Im letzten Augenblick lenkte er seinen Angriff ab und gab ihr die Möglichkeit, ihn mit bloßen Fäusten zu treffen. Neue Tränen quollen aus ihren Augen, als sie ihre Faust in seinen Bauch rammte. Es war dieselbe Aktion gewesen, mit der er sie vor über fünfzehn Jahren zum einzigen Mal hatte gewinnen lassen.

»Schrimp«, flüsterte Hayate in ihr Ohr. Das Gewicht seines Körpers, den sie mit ihrer Faust gestoppt hatte, lag auf ihrer verletzten Schulter. Es war egal. Weinend schlang sie ihre Arme um ihn. Er hatte sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr so genannt. Mit diesem Spitznamen hatte es angefangen, mit diesem Spitznamen würde es enden. Er erwiderte die Umarmung nach kurzem Zögern. »Wieso hast du mich verfehlt, Yūgao?«

»Weil ich es nicht ertragen kann, dich ein zweites Mal zu Grabe zu tragen.« Yūgao hob ihren Kopf und küsste seine kalte, erdigen Lippen. Sie hatte falsch gelegen. Nicht Shisui war der Grund gewesen, wieso sie überlebt hatte. Er hatte ihr nur die Kraft gegeben, es bis hierhin zu schaffen. Ihre Hand wanderte von seinem Rücken hinauf in seinen Nacken, strich sanft über ihn und fand ihr Ende an dem Kibakufuda, das sie während ihrer Oborozukiyo an seiner Schulter angebracht hatte, und an dem eine zwölfgliedrige Kette weiterer Explosionszettel hing. »Danke, Hayate. Für alles.«

Die Explosion, die den Boden erschütterte, war die heftigste, die dieser Krieg jemals erlebt hatte.
 

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Shisui sank auf seine aufgeschürften Knie, eine Hand nach vorne gestreckt, wo die einzige Frau, die er jemals aufrichtig geliebt hatte, von einer Wolke aus Staub, Rauch und Flammen umhüllt wurde. Bis zuletzt hatte er gehofft, sie würde sich losreißen; dass der Kuss, den sie Hayate gegeben hatte, ein Abschiedskuss gewesen war. Er hatte sich nicht geirrt. Es war ein Abschied gewesen.

Aber nicht von Hayate.

Er hatte keine Kraft, den Blick abzuwenden, darum war er dankbar für die Wolke, die es ihm unmöglich machte zu sehen, wie Uzuki Yūgao von der Druckwelle zerfetzt wurde – endgültig und unwiederbringlich. Alles um ihn herum verschwamm, wurde dumpf, trostlos. Sein Herz vergaß zu schlagen. Dann setzte die späte Hoffnung ein. Sein Schock machte ihn unempfänglich für die Protestrufe seines ausgelaugten Körpers. Er zwang sich aufzustehen und nach vorne zu gehen; mehr zu stolpern als zu gehen. Die Flammen waren heiß, verloschen jedoch schnell, weil sie kein Brennmaterial hatten. Der Wind vertrug Rauch und Staub und hielt ihn davon ab, weiterzugehen.

»Hoffnung?«, hauchte er tonlos.

Es gab keine Hoffnung mehr. Niemals wieder. Seine Hoffnung war mit Yūgao gestorben. Er spürte es, so wie er am Kitazama Pass gespürt hatte, dass sie noch am Leben gewesen war.

»Du machst es dir so einfach, Yūgao«, sprach er gen Himmel. »Wie kannst du behaupten, ich wisse nicht wie es sei, einen geliebten Menschen zu verlieren?«

Seine Frage blieb für immer unbeantwortet.

 
 

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The Sacrifice


 

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Die Chakrawelle war sogar aus der Entfernung zu spüren. Itachi wusste, dass es Narutos Chakra war, das langsam aber sicher außer Kontrolle geriet. Aus irgendeinem Grund war er ausgerastet, anders ließen sich die flammenden Impulse nicht erklären. Itachi konnte sich nur ein Szenario vorstellen, in dem Uzumaki Naruto derart die Beherrschung verlor: einer seiner Freunde war verletzt worden. Die Zusammenstellung seines Teams ließ nur wenige Möglichkeiten zu, wer diese Person war. Der Uchihaerbe beschleunigte seine Schritte unbewusst. Er war nicht stolz darauf, den Kampf mit Tobi ausgangslos verlassen zu haben. Sasuke war nicht minder unzufrieden.

»Wieso rennst du weg? Dein Ziel war es, Madara zu töten, hast du das schon vergessen? Naruto hat Sakura und Sai bei sich, er wird schon klarkommen!«

»Dein Ziel war es ebenfalls, Madara zu töten«, rief Itachi seinem Bruder in Erinnerung. »Dennoch bist du hier.«

»Ja«, brummte Sasuke, »Weil meine Freunde wichtiger sind als alles andere!«

»Da hast du deinen Grund, Otōto . Außerdem … dieser Tobi war nicht Madara. Nicht nur. Hast du diesen eigenartigen Mix aus Chakren nicht auch gespürt? Etwas daran war nicht menschlich.«

Sasuke erwiderte nichts. Er hatte es tatsächlich gespürt, aber er hätte es lieber ignoriert. Teils Madara oder ganz, dieser Akatsuki hatte ihm eine Gänsehaut über den Rücken gejagt. 'Nicht nur menschlich' traf die Beschreibung für dieses Ding haargenau.

Itachi richtete seinen Blick wieder nach vorne, die Sharingan immer noch aktiviert. Der Chakrasturm um Naruto war nicht durch eine Jutsu hervorgerufen worden, was bedeutete, dass sie sich auf Taijutsu beschränkt hatten, was wiederum für die Anwesenheit von Taijutsuspezialisten sprach. Alle Fakten summiert ergab die Sachlage nur eine Person, die bei ihm sein konnte. Sakura.

Soweit es möglich war, beschleunigte Itachi seine Schritte. Seine Sharingan schmerzten bereits, doch er drückte das unangenehme Ziehen unter sein bewusstes Schmerzempfinden. In den letzten Tagen hatte er zu wenig Zucker zu sich genommen; er spürte förmlich, wie sein Bluterbe die Kräfte aus seinem Körper zog. Es war ihm egal. Vor allem jetzt, wo das verwüstete Schlachtfeld in Sicht kam. Ihm stockte der Atem.

Haruno Sakura lag blutüberströmt auf dem Boden, reglos wie eine kaputte Puppe, während der Jinchūriki von Gyūki mit seiner bulligen Statur einen unwahrscheinlich wendigen Kampf gegen Nagato führte. Itachi war so abgelenkt von seiner leblosen Freundin, dass er zu spät bemerkte, welch fatalen Fehler Naruto im Inbegriff war zu begehen. Das raue Kampfgebrüll des Fuchsjungen drang gedämpft in seine Ohren. Nur am Rand bemerkte er, wie Sasuke eine seiner mächtigeren Katonjutsus in Kabutos Richtung schleuderte, ihr nachsetzte und Naruto mit all seiner Kraft niederrammte. Sasuke schrie auf, sobald er mit Kyūbis Chakra in Berührung kam. Zusammen mit dem Jinchūriki donnerte er gegen einen herausragenden Felsen, der unter dem Schwung der beiden Shinobi breite Risse bekam.

Itachi vergewisserte sich nur kurz, dass sein Bruder nicht mehr als oberflächliche Verbrennungen davongetragen hatte, ehe er auf Sakura zustürzte. Er drehte sie um und schlug ihr auf die Wange. Ihr Chakralevel war niedrig, aber nicht bedrohlich minimal, wie er es in Amegakure erlebt hatte.

»Sakura, wach auf«, befahl er in normaler Lautstärke. Es reichte, um die Kunoichi aus ihrer Erschöpfung zu holen. Ohne ihn zu beachten warf sie mit einer mechanischen Geste eine Soldatenpille ein. Während sie langsam begann zu wirken, wurde Itachis Gesicht vor ihren Augen scharf.

»Was tust du hier?«, fauchte sie fast vorwurfsvoll, ließ sich jedoch widerstandslos aufziehen und von ihm stützen.

»Dich retten«, antwortete er knapp.

Im Hintergrund hatten Naruto und Sasuke sich aufgerappelt; um den Jinchūriki befand sich mittlerweile ein fünfter Schwanz. Dass er immer noch die Selbstkontrolle hatte, den richtigen Gegner anzugreifen, war gleichsam bewundernswert wie beängstigend.

»Du Scheißkerl hast meine Freunde zum letzten Mal verletzt! Das ist für Sakura!«, brüllte er mit rauer Stimme.

Itachi hielt sie nicht zurück, als Sakura sich von ihm losriss und nach vorne stürmte. »Meine Vergeltung hole ich mir immer noch selbst!«, schrie sie mit erhobenen Fäusten. Flankiert von Naruto und Sasuke formte sie eine lange Abfolge von Fingerzeichen, die von ihren Nebenmännern ergänzt wurde. SSie hatten den Iryōnin eingekesselt; inmitten ihrer Formation war er der gewaltigen Jutsu, die auf ihn niederschlug, schutzlos ausgeliefert. Obwohl sie stundenlang zusammen mit Sai geübt hatten, tat seine Abwesenheit der Wirkungsweise der Technik keinen Abbruch: während von Sasukes Seite aus ein Feuerwirbel ins Innere des Dreiecks schoss, fegte Narutos materialisierte Fūtonkraft in Form eines Sturms dagegen. In der engen Schneise sprengte Sakuras rohes Chakra in seiner Reinform nach vorne. Die drei separaten Attacken vermengten sich zu einem dichten Kegel – bloß für wenige Millisekunden, dann zog sich das instabile Gemisch zusammen und riss seine nähere Umgebung mit sich in eine schallende Implosion. Zurück blieb ein Häufchen Asche.

»Geschafft …«, hauchte Sakura ungläubig. Sie sank auf die Knie, unfähig weiterhin zu stehen, wurde jedoch von starken Armen aufgefangen. Itachi richtete sie wieder auf, ihre wackeligen Beine gänzlich ignorierend. Sasuke sah zweifelnd auf den versengten Fleck, an dem Kabuto gestanden hatte, Naruto zitterte am ganzen Leib.

»Geschafft?«, wiederholte eine höhnische Stimme. Sakura fuhr herum und sah in Kabutos gelbe Schlitzaugen, die hinter der Reflexion seiner Brille aufblitzten. »Rechne noch einmal nach, Sakura. Denkt ihr, brachiale Gewalt wie diese könnte mich vernichten?« Er nickte in Bs Richtung, wo der stämmige Jinchūriki seinen Kampf gegen Nagato gewonnen hatte. »Akatsuki kann vielleicht so ausgeschaltet werden, aber ich bin besser als diese Nichtsnutze. Das, was von ihnen noch übrig war, war nicht mehr als ein Häufchen Elend. Allesamt niedergestreckt von Konoha und Suna, was soll man davon halten? Ich bin anders. Ich bin erhabener!«

Itachi streckte seinen Arm vor Sakura aus, um sie vor einer vermeintlichen Attacke zu schützen, doch sie kam nicht. Naruto hatte sich dank Bs mentaler und subtil chakratechnischer Unterstützung wieder unter Kontrolle und starrte zusammen mit ihm und Sasuke ebenso entgeistert auf den wahnsinnigen Iryōnin wie die beiden. Kabuto hatte seine Arme nach oben gerissen, wobei sein Mantel seinen chimärenartigen Körper enthüllt hatte. Über seinem Kopf beschleunigte sich der Wolkenstrudel zu einem tosenden Orkan, dessen Ausläufer bis nach unten über das Kampffeld fegten. Von der Position am Kopf des Plateaus konnte Sakura sehen, wie die Armeen unten auf der Ebene gegen den plötzlich aufgekommenen Sturm ankämpfen mussten, um ihre aktuellen Kämpfe weiter bestreiten zu können. Sie hatte während der Finalrunde ihres ersten Chūninexamens gesehen, wie Orochimaru den toten Senju Tobirama beschworen hatte – spätestens als sich ein hölzerner Sarg aus dem Boden erhob, gab es keinen Zweifel mehr. Sie wusste, wie Edo Tensei funktionierte. Itachis Anspannung verriet ihr, wessen Körper sich in dem Gefäß befand.

»Sasuke«, sagte er.

»Ich weiß, Niisan.«

Kabuto verfiel mit so stark geweiteten Augen, dass sogar die feinen Äderchen darin platzten, in Gelächter. Es kombinierte Wahnsinn, Hysterie und Hohn in einem einzigen Ton. Sakura wünschte, er würde daran ersticken und tot umfallen, doch diesen Gefallen tat er ihr nicht. Sein nur leicht in Mitleidenschaft gezogener Umhang wurde gnadenlos vom starken Sturm in alle möglichen Richtungen geworfen, kalte Luft peitschte in engen Wirbeln um ihn und die ganze Szene, in der der Himmel noch dunkler wurde und im Sekundentakt von unwirklich weißen Blitzen über der dicken Wolkenschicht dumpf erhellt wurde. Das Licht drang nicht einmal ansatzweise durch die Barriere.

»Ihr sprecht von Krieg?! Krieg ist, was ihr haben sollt!«
 

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Tobi lachte in sich hinein. Kabuto, dieser Narr, hatte den Wink mit dem Zaunpfahl also verstanden. Er hatte seine Hilfe gerne angenommen, als der ehemalige Schüler des legendären Sannin vor den Toren Amegakures gestanden hatte – alleine die Tatsache, dass er sich zu ihnen getraut hatte, sprach Bände für seine blinde Naivität, in der er gleichsam Rache wie Macht anstrebte. Dieser Träumer. Immerhin war er nützlich. Er hatte Zetsu geklont, damit die Armeen gestärkt, was Terumī und Ōnoki aus Dankbarkeit streichelweich gemacht hatte; er hatte die Sinne der Klone mit seinen eigenen gekoppelt und Echtzeitinformationen beschafft, außerdem hatte er Tote beschworen, was recht nützlich war, zumal er diese Kraft seiner Gedanken kontrollieren konnte. Und nun beschwor er auch noch Madara herbei. Den echten, wahren Madara, nicht nur dessen verbliebenen starken Willen, der sich in einem bunt durchwachsenen, zusammengeschusterten Körper festgesetzt hatte.

Nützlich bis zum letzten Atemzug.

Tobi beobachtete eine Zeit lang aus der Ferne das Spektakel. Die Zeremonie war fürwahr schön. Zufrieden mit dem Ergebnis wandte er sich zum Gehen. Es war Zeit, zur Feier des Tages ein paar Bijū zu beschwören.
 

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Naruto traute seinen Augen nicht. Er hatte noch nie ein Bild von ihm gesehen, dennoch wusste er, dass es Uchiha Madara war, der aus dem hölzernen Sarg stieg. Der große, schwarzhaarige Mann hatte seine Augen entspannt geschlossen, fast als würde er friedlich in seiner Holzkiste schlafen. Der friedliche Ausdruck in seinem Gesicht änderte sich schlagartig, als er die Lider aufschlug.

Blutrot.

Blutrot starrten Naruto diese Augen entgegen. Er hatte keine Angst vor Sasukes Sharingan, auch nicht vor Itachis oder irgendjemandes anderen. Doch er hatte sie vor Uchiha Madaras. Alles an diesem Mann – dieser Leiche, die wider aller Naturgesetze auf seine Freunde zugeschritten kam – schrie nach abstrakter Perversion. Und das, obwohl jedes Organ, jedes Glied an seinem rechtmäßigen Platz saß. Nur kurz erhaschte Naruto einen Blick auf Kabuto, der siegessicher seine Brille nach oben schob.

Bastard, fluchte er in Gedanken, übermannt von einer neuen Welle Bijūchakra. Naruto hatte gedacht, Kurama zu seinem Verbündeten gemacht zu haben, doch obgleich das Monster in seinem Inneren nicht länger gegen ihn arbeitete, waren die enormen Chakramassen, die stoßweise durch seine Keirakukei pressten, nicht ohne weiteres so einfach zu handhaben. Mit immensem Kraftaufwand versuchte er die Chakraaura um ihn herum einzuschließen, was mehr schlecht als recht gelang. Vorhin hatte er die Kontrolle verloren, das durfte nicht wieder passieren. Kurama mochte sein Freund sein, aber sein Chakra war ein Risiko. Naruto spürte, wie seine Tenketsu unter ihm litten. Der kurze Augenkontakt mit Sasuke teilte ihm mit, dass sein Kamerad Narutos Dilemma verstanden hatte.

»Von allen Toten auf dieser Welt, wieso Madara?«, fragte Sasuke an Kabuto gewandt. Dieser zuckte provokant nonchalant die Schultern.

»Nicht meine Idee. Ich habe den Körper nicht gemacht, sondern nur die finale Beschwörung durchgeführt. Aber, Sasuke-kun, liegt es nicht auf der Hand?«

Sasuke zischte verächtlich. Es lag eben nicht auf der Hand, sonst hätte er nicht gefragt. Er ließ sich seine Verbitterung über die kargen Antworten des Iryōnin nicht anmerken. Zur Belohnung sprach dieser, angespornt von dem unverhohlenen Interesse des jungen Uchihas: »Deine Familie. Der Klan. Es geht immer um den Klan, verstehst du?«

»So ein Unsinn! Wir haben keine Schuld an diesem Krieg!« Blitzschnell hatte Sasuke ein Chidori in seiner Handfläche geformt, mit dem er unter kreischendem Tönen hinter Kabuto auftauchte. Dieser machte einen lockeren Ausfallschritt, schlug Sasukes Hand nach unten und stieß ihn zur Seite, wo er fast in Narutos wallende Chakraaura gefallen wäre.

»Sasuke!«, rief Itachi aus dem Hintergrund, wo er nicht hingehörte. Er wollte auf Kabuto losgehen, doch dieser hob unter einem süffisanten Grinsen seinen Arm.

»Die Uchihas«, sagte er bedeutungsschwer, »Haben diesen Krieg vielleicht nicht erschaffen, soweit stimme ich dir zu. Er wurde geboren aus den territorialen Bestreben der Großmächte, dem Machtwahn der kleineren Nationen und der jahrzehntelangen Unterdrückung der Zwergstaaten. Dennoch wurden all diese Schnüre zu einem vernichtenden Netz verwoben – von Akatsuki, wie bekannt sein dürfte. Die Frage ist, wieso? Macht? Rache? Ich interessiere mich nicht für ihre wahren Beweggründe. Mein Ziel ist die Allmacht und die haben sie mir zugesichert, wenn ich Uchiha Madara beschwöre. Er steht unter meiner Kontrolle, wisst ihr? Ich sollte ihn als eigenständiges Wesen handeln lassen, so lauten meine Befehle. Vielleicht werde ich sie befolgen, sobald ich ein wenig damit gespielt habe.«

Ein lauter Knall echote über das Plateau hinunter in das blutbesudelte Becken, das vormals eine Grasebene gewesen war, gefolgt von einem Schub, als hätte die Erde einen Sprung zur Seite gemacht. Naruto konnte sich an einem benachbarten Felsen festhalten, Sasuke fand seinen festen Stand gerade noch rechtzeitig, Itachi hatte ihn nie verloren und stützte auch noch Sakura, die andernfalls von ihren ohnedies schon schwachen Beinen gefallen wäre. Dem Ruck folgten Donnertosen und ein Blitz. Sämtliche Köpfe fuhren herum, direkt gerichtet auf das Epizentrum der nachfolgenden Bodenvibration. Naruto konnte nicht glauben, was er dort sah. B neben ihm brüllte eine unverständliche Parole.

Bijū – exakt sieben davon erhoben sich zu ihrer beeindruckenden Größe. Er erkannte Shukaku, die anderen waren jedoch nicht minder unverkennbar. Ihrem langsamen, kraftvollen Aufstand entwich dumpfes Brüllen in unregelmäßigen Abständen.

»Du bist einfach nur krank!«

Naruto schenkte der neuen Stimme keinerlei Beachtung; sie war unter dem Zetermordio kaum auszumachen. Er war wie gebannt von dem Schauspiel, das sich vor seinen Augen abspielte. Die Bijū wirkten erhaben wie Götter, größer als er sie sich jemals vorgestellt hatte, dabei waren sie fernab seiner Position. Wie musste es erst sein, vor ihnen zu stehen? Er wollte es herausfinden. Shizunes finsteres Gesicht versperrte ihm die Sicht auf die Bijū. Er erschrak nicht, obwohl sie praktisch aus dem Nichts aufgetaucht war. Nach diesem Bild konnte ihm nichts mehr Schreck einjagen.

»Naruto, du und B-san müsst zu den Bijū, hast du verstanden? Tsunade-sama und die anderen sind bereits auf dem Weg dorthin. Nur ihr beide könnt diese Katastrophe noch verhindern.«

Naruto nickte seicht, B war weit enthusiastischer. Mit einer neuen Parole zog er den immer noch perplexen blonden Konohanin mit sich, geradewegs auf die verschlafen wirkenden Monster zu. Naruto sah nicht zu seinen Freunden zurück, wo Sasuke und Itachi einen Kampf gegen Madara begonnen hatte, während Shizune und Sakura sich Kabuto annahmen. Er musste darauf vertrauen, dass sie es schafften.

»Denkst du, wir haben überhaupt eine Chance?«, fragte er.

»Aber natürlich!«, antwortete B etwas zu motiviert für Narutos Geschmack. Dabei war er normalerweise der Motivierteste von allen. Auf der anderen Seite der Absperrung zu stehen war weder ein sonderlich schönes Gefühl, noch war dies der richtige Zeitpunkt, es neu zu entdecken. Er schüttelte alles von sich ab, alle Zweifel, alle Sorgen; er hatte Kuramas Unterstützung. Was um alles in der Welt konnte schon schiefgehen.

»Okay, B-san, wie treten wir diesen Bijū am besten in den Arsch?«

»Unser Glück ist die Unvollständigkeit der Reihe. Sie haben nur Eins bis Sieben, Nummer Acht und Neun fehlen ihnen. Und das sind nun einmal die mächtigsten davon, schätze ich. Die Schwäche liegt im Geist der Jinchūriki, wenn ich nicht irre. Soweit ich die Wechselwirkung zwischen Wirt und Bijū verstanden habe, braucht ein Bijū ein starkes Gefäß, sonst kann er nicht richtig agieren.«

»Aber die Jinchūriki von sechs der sieben Bijū sind tot?«

B deutete zur Antwort nach vorne, wo Tsunade, Gaara, Jiraiya und einige Jōnin aus Kumo und Konoha ihr Möglichstes gegen die sieben Übermächte vor ihnen aufbrachten. »Dort vorne stehen ihre Jinchūriki. Beschworen durch Edo Tensei. Ein solcher Körper mag stark genug sein, aber sein Geist ganz sicher nicht, geschweige denn seine Seele. Wir sollten uns auf die Jinchūriki konzentrieren und was danach noch von ihren Bijū übrig ist, mit einem Schlag wegräumen.«

Der Weg war zu Ende und Naruto blieb langsam stehen. Sieben Bijū einfach so wegräumen? Ja, er hielt sich für einen der besten Shinobi aller Zeiten. Ja, er hatte bisher jede Schwierigkeit gemeistert. Ja, er hatte Kurama. Trotzdem, dies war kein Frühlingsputz! In seiner plötzlichen Apathie war er weiter nach vorne gegangen als die anderen. Er sah nicht bis in die Augen der Bijū, weil er so dicht vor ihnen stand, dass er nur die Unterseite ihrer Kiefer sah. Jiraiya hatte Gamabunta beschworen, Tsunade stand an Katsuyus Seite, doch die beiden vertrauten Geister wirkten schmächtig gegen die Monster vor ihnen.

»Naruto! Wage es nicht, deine Selbstzweifel gerade jetzt zu entdecken!« Tsunades Stimme echote kräftig gegen die tobenden Druckwellen, die von den Bijū ausgingen. Mit einem einzigen Faustschlag sprengte sie sich und ihren Begleitern den Weg frei – Gaara, Jiraiya, Kakashi und A standen in einer Reihe hinter ihr. Wie lange hatte er reglos hier gestanden?

»Wir alle halten dir den Rücken frei, Naruto!«, rief Gaara in seiner tiefen Stimme, die Naruto bereits zu Anfang dieses Krieges Mut gegeben hatte. »Wir vertrauen euch, hört ihr? Nutzt einfach eure Kraft! Diese Bijū sind Monster, keine Kami!«

Gaara hatte recht. Dieser Sandkerl hatte recht. Naruto schüttelte unwirsch den Kopf und riss unter einem lauten Schrei die Arme auseinander. Kuramas Chakra zog sich von der Sphäre außerhalb seines Körpers zurück in sein Inneres, wo es ihn sengend heiß durchströmte, Vene für Vene brannte es sich durch, bis er erfüllt war von dem Wissen, dass er es schaffen konnte. Diese Bijū waren ein schwacher Abklatsch jener Mächte, die B und er in sich trugen – die Fusion eines Jinchūriki mit seinem Bijū war mächtiger als alles andere.

»Wenn ich das richtig verstanden habe, liegt die Schwäche dieser Viecher in den toten Jinchūriki, ja? Ein wirtloser Dämon ist stärker als einer, dessen Wirt schwach ist, aber schwächer als einer, dessen Wirt stark ist, korrekt, B?«

Naruto wartete seine Antwort erst gar nicht ab. Er hörte die Stimmen seiner Freunde, die ihm Mut zusprachen. Sakura, wie sie ihm ihr Vertrauen zusicherte, Sasuke, wie er ihn brüderlich beleidigte, Sai, wie er in seiner gewohnten sozialen Inkompetenz einen aufmunternden Spruch versuchte, und all die anderen, die in einem vertrauten Wirrwarr durch seinen Kopf schallten. Dass er sich diese Stimmen einbildet, wusste er selbst. Das machte sie nur nicht weniger real.

»Tsunade-obāchan, Ero-sennin und alle anderen, wir können gewinnen, wenn wir zusammenarbeiten! Kümmert euch um die toten Jinchūriki, B und ich werden mit den Bijū aufräumen.«

»Naruto, du kannst doch nicht –« Tsunade kam nicht mehr dazu, ihm den Wahnwitz seines Unterfangens dazulegen. Geleitet von Mut und begleitet von unmenschlicher Stärke rannten die beiden letzten lebenden Jinchūriki nach vorne. Ihr Kampfgebrüll wurde nur von Kakashi, Gaara und A überboten, die sich an beide Flanken aufteilten.

»Er kann, Tsunade«, sagte Jiraiya und formte ein Fingerzeichen. »Und er wird es schaffen.«

Sie lächelte grimmig. Wenn alles vorbei war, würde sie ihn wegen Insubordination belangen. Für den Moment spannte sie ihren Körper an, sammelte ihr Chakra und folgte Jiraiya nach vorne. Diese toten Jinchūriki würden bald schon Geschichte sein.
 

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Ihr Rücken prallte so stark gegen die Steinwand hinter ihr, dass sie schwer nach Luft schnappen musste. Ihr erstickter Schrei ging in dem Knall unter, den das Aufeinandertreffen ihres Rückens mit dem Stein machte. Der Schwung war so enorm gewesen, dass eine beachtliche Menge Geröll aus dem Vorsprung bröckelte. Sakura rutschte mit ihm zu Boden, eine Hand an ihrer Kehle, die vom Schreien trocken geworden war. Ihre Stimme versagte mit dem Wutgebrüll, das sie hatte ausstoßen wollen. Vornübergebeugt stützten ihre wackeligen Arme ihren schwer gewordenen Oberkörper – wieso er so schwer war, wenn doch schon gefühlt die Hälfte davon fehlte, wagte sie sich nicht zu fragen. Ihre grüne Shinobiweste war schon vor Stunden zu unbrauchbarem Ballast geworden, ihr schwarzes Oberteil war löchrig und hing in Fetzen an ihren Schultern hinab. Es verlangte äußerste Selbstüberwindung, damit sie es schaffte, aufzustehen. Jede Faser ihres Körpers protestierte gegen die kraftintensive Bewegung aufwärts. Sie wankte, torkelte nach hinten und fand Halt an der lädierten Felswand.

Wenn Sakura ehrlich war, verstand sie den Mut von Helden inzwischen ein wenig besser. Sich für das Wohl der Allgemeinheit zu opfern war weniger unvorstellbar, wenn man sowieso nicht mehr am Leben sein wollte. Sie wollte Nationalikonen wie Namikaze Minato oder Sarutobi Hirzuen keineswegs den Wert ihrer Leistungen absprechen, bloß hatte sie sich immer gefragt, welche Empfindungen einen Menschen dazu trieben, sein Leben wider jedes biologischen Reflexes einfach aufzugeben. Heute hatte sie die Antwort gelernt. Und nichts daran war einfach. Kein Opfer der Welt war einfach.

Sakura sah nach oben, wo der düstere Himmel sich weiter mit dicken Wolken anreicherte. Sie wartete auf Regen. Es kam keiner. Nicht ein wehmütiger Tropfen löschte ihre brennende Haut. Die Soldatenpillen verloren langsam ihre Wirkung und riefen ihr in Erinnerung, dass sie schon vor deren Einnahme am Ende ihrer Kräfte gewesen war. Es war der Überlebensinstinkt, der sie jede verstreichende Sekunde vor der drohenden Ohnmacht rettete. Die Augen fest geschlossen, unterdrückte sie das verräterische Würgen, das in ihr hochstieg. Sie war so knapp vor dem Zusammenbruch, dass alles in ihr gegen den wachen Bewusstseinszustand rebellierte. An Perzeption hatte sie bereits eingebüßt. Alles war ein grauer Schleier, monoton wie ein vergilbtes Blatt Papier. Über ihre Sinne hatte sich ein Schleier gelegt, sodass sie alles um sich herum nur mehr gedämpft wahrnehmen konnte; wie Kabuto sie verhöhnte, das Donnergrollen über ihr, Sasukes tönende Katonjutsus und Itachis Kommandos, hie und da durchbrochen von Madaras süffisanten Provokationen.

»Schon am Ende, Sakura-sensei?«

Das oder etwas Ähnliches sagte Kabuto, während er sich seine Brille zurecht schob, die bei seiner letzten Attacke verrutscht war. Nicht nur das; Sakura hatte ihn zwar verfehlt, aber die Gläser seiner Sehhilfe mit dem Luftdruck ihres chakraverstärkten Faustschlages zersplittert. Vier davon, wenn sie ihrer verschwommenen Sicht getraut hätte.

»Am Ende?«, hauchte sie gen Himmel. »Vielleicht. Aber noch lange nicht fertig.« Sie stieß sich von der Felswand ab und taumelte zwei Schritte nach vorne, bis sie festen Halt fand. Der Stoff ihres Oberteils brannte aufgrund des Drecks, der sich darin verfangen hatte, bei jeder Bewegung auf ihren offenen Wunden, darum riss sie die losen Fetzen ab. Es war ihr egal, dass bis auf ihr Netzbustier ihr gesamter Oberkörper frei lag. Sie war sich sicher, einige blutige Hautfetzen mit abgezogen zu haben, aber weil sie es nicht einmal gespürt hatte, war es ihr egal. So egal wie es ihr gewesen wäre, splitterfasernackt vor Kabuto zu stehen.

»Mutige Worte, kleine Kunoichi«, summte Kabuto herausfordernd. »Mal überlegen, wie kann ich dich für dein übersteigertes Selbstbewusstsein bestrafen? Zuerst oben?«

Sakura zuckte zusammen, wurde jedoch von einer kräftigen Hand an ihrem Kiefer festgehalten. Sie hatte den Iryōnin keinen Schritt machen sehen, dennoch stand er plötzlich direkt vor ihr und drückte zu. »Die Mitte?« Seine freie Faust traf ihren Magen, der sich rückwärts geleert hätte, hätte sich irgendetwas darin befunden. Er bleckte die Zähne zu einem erkenntnisreichen Lächeln voll grausamer Vorfreude. »Vielleicht auch etwas weiter unten?«

Sakura keuchte auf und fiel zu Boden. Es war ein Reflex gewesen, denn mehr Schmerz zu empfinden als sie ohnehin schon verspürte, war kaum möglich, selbst nicht durch Kabutos gezielten Tritt gegen ihre Knie. Dennoch musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzuheulen, als seine Fußsohle auf ihr Knie traf. Das ohnehin schon bis zum Brechen angespannte Kugelgelenk knackte unter dem Tritt; irgendwo zwischen überall und nirgendwo spürte Sakura Knochen bröseln. Sie rollte sich weinend auf dem Boden zusammen, den Oberkörper schützend um ihr Bein gewunden. Es war nicht so, dass sie nicht wusste, was Kabuto vorhatte. Zeitschinden war ihr Metier – wie oft schon hatte sie Gegner hingehalten bis Verstärkung eingetroffen war? Dieser Bastard spekulierte darauf, dass die Uchihabrüder ihm keine Beachtung schenkten, solange er so tat, als sei er vollauf in einen Kampf verwickelt. Um seinen sicheren Sieg hinauszuzögern, ließ er ihr sogar genügend Zeit, um den zersplitterten Knorpel notdürftig zusammenzuflicken. Wenn er dachte, sein Schatten über ihr mache sie nervös, hatte er sich geschnitten. Vielleicht lachte er sie gerade aus, weil eine versierte Iryōnin wie sie die einfachste aller Techniken anwandte. Sollte er ruhig. Ein Heiler versuchte einen anderen Heiler zu töten – dieser Umstand war sowieso schon pietätlos genug.

Sakura ließ von dem notdürftig reparierten Knie ab und zog sich zurück in die Hocke, von wo aus sie sich langsam in den Stand zurück arbeitete. Zeit für einen Belastungstest hatte sie nicht, sie würde sich einfach darauf verlassen müssen, dass ihr medizinisches Provisorium ihrer nächsten Attacke standhielt. Kabuto war in seiner Selbstherrlichkeit derart arrogant, dass er außer Acht ließ, wie viel seiner Strategie sie bereits durchschaut hatte. Er musste Madara kontrollieren, was für Sasuke und Itachi ein Vorteil war, sobald Sakura es schaffte, Kabutos Konzentration zu schwächen.

Sie schoss einen unbemerkten Seitenblick zu ihrer Rechten, um zu überprüfen, ob sie die Regung dort hinten nicht falsch interpretiert hatte. Kabuto war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er gar nicht wahrnahm, wie Shizune sich aus ihrer Bewusstlosigkeit zurück kämpfte. Wider ihrer ächzenden Glieder richtete sie sich zu voller Größe auf, das Kinn nach vorne gereckt, ein überlegenes Funkeln in ihren smaragdgrünen Augen. Es irritierte Kabuto, gerade lange genug, damit Shizune ihre Fingerzeichen komplettieren konnte.

»Wofür ist das, Shizune-san?«

»Das, Sakura-chan, ist unser letzter Ausweg. Wenn wir Iryōnin sogar die letzte Alternative verloren haben, ist dies das Letzte, das uns übrig bleibt.«

Der Film spielte sich bloß wenige Millisekunden in Sakuras Kopf ab, nur ein Aufflackern eines Bildes, einer Erinnerung. Shizune und sie hinter verschlossenen Türen in Sakuras Büro, kurz nachdem Sakura Oberärztin im Krankenhaus geworden war. Shizune war zu ihr gekommen, ohne Tsunades Wissen, um ihr die Technik zu erklären, die sie niemals einsetzten durfte. Es war keine bloße Umkehrung eines sowieso schon verbotenen Prinzips – ein Leben für ein anderes. Es war das Gegenteil: zwei Leben ohne Gegenleistung.

Sakura war zu sehr in ihrem Automatismus gefangen, als dass sie realisieren hätte können, dass sie Shizune soeben die Erlaubnis erteilt hatte, die einzige verbotene Jutsu anzuwenden, die im Repertoire der erfahrenen Iryōnin vorkam. Nicht nur das, sie hatte es ihr ermöglicht. Und doch kam das schlechte Gewissen nicht auf, selbst nicht als Shizune die Arme von sich streckte, um beide Hände grünglühende, in sich rotierende Chakrascheiben. Kabuto war zu perplex um zu reagieren. Selbst wenn, wäre Sakura darauf vorbereitet gewesen, sich mit all ihrer Macht auf ihn zu werfen und ihn festzuhalten. Aber Shizune war schnell. Sie donnerte ihre offenen Handflächen zusammen, wonach sich die vergrößerte Chakrascheibe zu einem Strahl nach vorne formierte. Er schoss unter hellem Zurren aus Kabuto zu, der zu sehr von dem Lichtschauspiel einer Technik gebannt war, die er sehr gut kannte. Als er sich endlich aus seiner Starre lösen konnte, war es zu spät.

Sakura wollte ihre Augen schließen, wegsehen, bloß nicht mitbekommen, wie eine Frau, die über die Jahre wie eine große Schwester geworden war, vor ihr niederging, bloß weil sie selbst nicht stark genug gewesen war. Im Endeffekt konnte sie sich nicht abwenden – vor Entsetzen, vor Ungläubigkeit. Sakura spürte eine breite Woge des Hasses in sich aufbegehren, dicht gefolgt von einem Sturm der Verzweiflung. Kabutos Grinsen – sein sehr lebendiges Grinsen – über dem seine triumphalen Augen sie für einen Moment streiften, gaben ihr den Rest.

»Schachmatt«, sagte er, dann lenkte er seinen Blick auf Itachi, der, versunken in seinem Kampf gegen Madara, nicht mitbekam, was um ihn herum geschah. In Entsetzen und Ungläubigkeit war es für Sakura schwer zu verstehen, was vor ihren Augen geschah. Funken sprühten gegen eine unsichtbare Barriere, Shizune kippte wie durch einen Windstoß umgeworfen um, ein Knall, ein Zischen, das Gefühl kam ihr seltsam bekannt vor.

Es war wie ein Déjà-vu.

Sie hatte Shikamarus Stimme im Kopf; keine Heldentaten. In letzter Zeit hatte sie schon so viele Regeln gebrochen, diese eine spielte keine Rolle mehr, wenn eine Handlung, basierend auf selbstsüchtigen Motiven und ausgeführt in einer Umgebung voller Unehrenhaftigkeit, überhaupt als solche bezeichnet hätte werden können. Sollten die Erzählungen wahr sein und man sich selbst vor seinem Ende wie aus einer außerkörperlichen Position aus in seinen letzten Sekunden beobachten können, wäre dies der passende Zeitpunkt dafür gewesen – so hätte Sakura empfunden, hätte sie Zeit dazu gehabt. In Wahrheit ging alles furchtbar schnell. Noch ehe der Knall zu Zischen verdünnte, setzten sich ihre Beine in Bewegung. Sie konnte sich an den Tag erinnern, als sie sich in Itachis Tsukuyomi geworfen hatte, damit Kabuto das dafür aufgewendete Chakra nicht in seine eigenen Jutsu speisen konnte – dieser Punkt war längst geschehen. In einer pittoresken Symphonie verschwamm Shizunes vertrautes Chakra zur selben Frequenz, auf der Kabutos sie zu einer Jutsu generierte. Sie missachtete die Warnungen ihres bis über seine Grenzen gepushten Körpers, schaltete den Überlebensinstinkt aus; was war ihr Leben gegen das des besten Mannes, den der Uchihaklan in seiner langen Tradition hervorgebracht hatte? Was war das Leben einer unbedeutenden Iryōnin gegen den stärksten, loyalsten Shinobi Konohagakure no Satos?

Wenn man sie vor fünf Minuten gefragt hätte, hätte Sakura geglaubt, die letzte Sekunden eines Lebens liefen wie in Zeitlupe ab. Die harte Realität verging so schnell, dass sie nicht einmal Zeit hatte, sich ihrer eigenen Gedanken bewusst zu werden, obwohl sie hundertfach durch ihren Geist schnalzten wie zu fest gespannte Drahtschnüre – vielleicht waren dies all die Gedanken, die sie aus Scham, Verleumdung oder Irrelevanz niemals gedacht hatte. Welche auch immer es waren, Fakt war, dass sie keinen einzigen davon fassen konnte, als sie wider aller ihrer tiefsten Instinkte nach vorne preschte, einen warnenden Schrei auf den Lippen und der Hoffnung, dass Sasuke wisse, was zu tun war. Es war der einzige Gedanke, den sie halbwegs zu Ende denken konnte: ihr Glaube an ihren Teamkameraden; Sasuke würde den Schockmoment zu nutzen wissen und damit diese Farce zu Ende bringen können.

Wie lange war es her, dass sie den ersten Schritt getan hatte? Stunden oder Millisekunden? Sie konnte es nicht sagen. Dafür, dass alles brechend schnell ging, prägte sie sich jedes Detail ein: die genaue Betonung jeder Silbe von Itachis Namen, den sie schrie, Itachis entsetzter Gesichtsausdruck – es war die stärkste Emotion, die sie jemals an ihm gesehen hatte – Kabutos höhnisches Gelächter, den Klang des Windes – war es überhaupt windig? – das Säuseln der Blätter, die Biegung jedes einzelnen verkümmerten Grashalms, auf den sie trat, als sie sich in die Flugbahn von Kabutos formloser Jutsu warf, die er nur erschaffen hatte können, weil Shizune sich im falschen Moment geopfert hatte. Ihr Opfer war schon vergebens, doch Sakura würde nicht zulassen, dass es ihrem Freund das Leben kostete.

Sasuke brüllte hinter ihr einen unverständlichen Laut, in Sakuras Rücken loderten heiße Flammen, während sich vor ihr das materialisierte rohe Chakra seinen Weg durch die tränenerfüllte Luft schnitt. Sakura hatte abgeschlossen. Ihr Tod war Itachis Leben wert, würde es immer wert sein, egal wie gut sie war. Sie war bereit für ihre Liebe zu sterben; für ihr Land zu sterben.

Statistisch starb jeder vierte in einem Krieg. Sie hatte sich längst damit abgefunden, hinter Itachi, Naruto und Sasuke immer nur Nummer vier zu bleiben.

Der raue Stoß kam unverhofft und mit solch brutaler Gewalt, dass sie nicht wusste, wie ihr geschah. Sakura hatte mit unsäglichem Schmerz gerechnet oder mit der endgültigen Erlösung all ihrer Leiden; was sie spürte unterschied sich so krass von ihrer Erwartung, dass sie rein instinktiv reagierte. Den Schmerz in ihrer Schulter ignorierend, so wie sie alle anderen körperlichen Signale ignoriert hatte, sprang sie auf – wie war sie außerhalb der Schusslinie auf dem Boden gelandet? – und machte einen Satz auf Kabuto zu, der mit einer Mischung aus Überraschung, Freude und Wahnsinn auf seine Technik starrte. Sie explodierte in schillerndem Weiß an ihrem Ziel. Er erlebte nicht mehr, was seine Jutsu mit ihrem Opfer anstellte. Sakuras chakrainfundierter Schlag traf ihn wie aus dem Nicht. Indem sie die Chakrakonzentration von Shōsen no Jutsu auf ihr mögliches Maximum hob, versengte sie seine Nervenbahnen, kappte sämtliche Kapillaren und schlug aus reiner niederträchtiger Rache in sein widerwertiges Gesicht, das sich unter der Krafteinwirkung zu einer grotesken Fratze verzog. Es verschaffte ihr selige Befriedigung, hochkonzentriertes Heilchakra durch ihre auf sein Herz gepresste Handfläche zu pumpen, unregelmäßig und stoßweise, damit nichts von seiner verwerflichen Existenz übrig bleiben konnte. Keine funktionsfähige Adern, keine jemals wieder einsetzbaren Tenketsu, keine Nerven, kein Blut, nichts. Sie versengte alles, was ihr in die Quere kam vom Scheitel bis zu Sohle.

Irgendwo erlosch das Feuer.

Dann war es still.

Herzschlag um Herzschlag verging, bis ihre Rage erloschen war und Sakuras Verstand sich soweit klärte, dass sie das Paradoxon verstand: wie hatte sie Kabuto töten können, wenn sie doch eigentlich längst hätte tot sein müssen? Sie ließ von Kabuto ab, bloß um zu sehen, dass das Unmögliche weiterhin unmöglich war. Doch das war es nicht. Das erste, das sie sah, war Sasukes kalkweißes Gesicht. Seine glühendroten Sharigan waren zu plattem Schwarz erloschen, zu seinen Füßen lag Madaras Körper, der nun, da sein Marionettenspieler tot war, wie im Zeitraffer zu Dreck verweste. Sasukes Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, dass er sich irrte; dass er ein Idiot war, weil er annahm …

Sakura stand auf, irgendwo in einem geistigen Stadium zwischen hellwach und Trance. Ihr Bewusstsein schaltete für einen Moment ab, als sie Itachi erblickte. Reglos. Auf dem Boden liegend. Tot. Sie konnte es nicht glauben. Wie hätte sie auch? Es war Itachi. Langsam sickerte die Erinnerung durch, der Stoß an der Schulter, der sie niedergeworfen hatte. Er hatte sie gerettet.

Und er hatte dafür sein Leben gegeben.

Sie hatte nicht gedacht, nach allem noch Tränen oder Kraft zu haben. Trotzdem rannte sie mit wässrigen Augen und kraftvollen Schritten auf Itachi zu. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde die Gewissheit, die Sakura abzuwehren versuchte. Sie brach neben ihm zusammen, nahm seine Hand in ihre und begann unter hemmungslosem Weinen das einzige, zu dem sie sich imstande sah. Mit der diesmal richtigen Chakrakonzentration begann sie Shōsen no Jutsu auf seine Stirn anzuwenden, wo sie den größten Schaden vermutete, wanderte über seinen Hals zu seiner Brust bis zu seinen Hüften, ehe sie die Prozedur wiederholte. Immer und immer und immer und immer wieder, bis auch noch der letzte Rest Chakra aus ihrem Körper gewichen war. Sie hatte es bei Jiraiya geschafft. Wieso spürte sie bei Itachi kein Lebenszeichen?

»Du bist nicht allmächtig, Sakura«, wisperte Sasuke. Er war in einen apathischen Schockzustand verfallen.

Sakura hörte den Vorwurf darin. Immer weiter schickte sie kontrolliert wechselnde Chakrastöße durch Itachis Körper, doch sie konnte schon lange nicht mehr. Heute war sie weit hinter jede menschliche Grenze gewandert. Dies war das Ende. Eine Sackgasse. Sie konnte nicht mehr weiter gehen. Die Nachwirkung der Soldatenpillen hielten sie gerade noch so im Reich der Wachen, dass sie merkte, wie ihre Bemühungen fehlschlugen.

»Hör auf«, mahnte Sasuke. »Du bringst dich um.«

Sie hätte es, hätte sie die Kraft dafür gefunden. Sie spürte das allerletzte Fitzelchen Chakra in ihr; es hatte sich in den hintersten Winkel versteckt, wo es sie irgendwo zwischen Leben und Tod hielt. Sobald die Nachwirkungen der Soldatenpillen abgeklungen war, würde sie ohnmächtig werden. Ob sie danach jemals wieder aufwachen würde, war eine Sache des Glücks. Es gab Shinobi, die es überlebten. Es war ihr egal. Nach all dem Tod, den sie gesehen hatte, was war da das Leben noch wert? Bis sie in Ohnmacht fallen würde, klammerte sie sich an Itachis Oberteil, das durchnässt war von etwas, das wie Blut roch.

»Sakura …«

Sie hörte Sasukes Stimme von irgendwo ganz weit weg. Er schien langsam zu realisieren, über wem seine Teamkameradin zusammengebrochen war. Sakura wünschte, er würde sie noch hier und jetzt dafür bestrafen, dass sie seinen Bruder umgebracht hatte.

Einfach nur sterben.

Es erschien ihr so willkommen wie noch nie. Langsam ließ sie ihre Körperspannung fallen. Es war vorbei. Alles war vorbei.

 
 

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Heroes

 
 

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Tsunade starrte auf das Schauspiel vor ihr. Die reinkarnierten Jinchūriki hatten mit einem Mal an Kraft verloren, was es leicht gemacht hatte, sie binnen eines Satzes zu erledigen. Jiraiya hatte nicht einmal Gamabuntas Hilfe angefordert, sondern die Kröte gleich wieder zurück in deren Reich geschickt, wo sie weniger Platz wegnahm. Platz, der nun sowieso wieder en maß zur Verfügung stand. Narutos Kräfte waren unglaublich. Noch nie hatte Tsunade etwas Derartiges gesehen und sie war sich sicher, dass sie etwas Derartiges auch nie wieder sehen würde: Uzumaki Naruto stürmte, umgeben von einer gewaltigen Chakraaura, die wie die orangerote Silhouette Kuramas aussah, wenige Schritte vor B, dessen Körper eine ähnliche Form bloß in einem kühlen Eisblau umgab, auf die durch die Vernichtung ihrer Jinchūriki geschwächten Bijū zu. Inmitten der riesiegen Aura war der Shinobi kaum zu erkennen. Tsunade musste ihre Augen zusammenkneifen, um sehen zu können, wie Naruto – sein Körper war immer noch meterweit von den Bijū entfernt – seine Faust zum vernichtenden Schlag hob. Die Kurama-Form tat es ihm gleich. In perfekter Synchronität schlugen sie zusammen mit B und Gyūki auf ihre Gegner ein. Tiefes, tosendes Johlen laut wie Donner folgte einem schrillen Aufschrei.

»Was zum Teufel tut der Junge da?!«, brüllte sie gegen die Chakrawirbel, die von den heftigen Attacken der Jinchūriki nach hinten wehten und ihrer Haut feine Risse zufügte. »Jiraiya! Er bringt sich um!«

»Tut er nicht!«, entgegnete der Sannin zufrieden. Stolz schwang in seiner Stimme mit und sie wusste, was er getan hatte. Ob er es geplant hatte oder nicht blieb fraglich. In mittlerer Ferne sah sie Naruto, der mit mehr Händen als er haben dürfte in präziser Abfolge Fingerzeichen formte. Sie hatte diese Kombination zuvor nur auf dem Papier gesehen.

»Wie ist das möglich?!«

Jiraiya lehnte sich gegen die neue Druckwelle. Mit dem Ärmel seines erhobenen Arms schützte er seine Augen vor dem herumwirbelnden Dreck; darunter zeichnete sich begeistertes Grinsen ab. »Ich habe keine Ahnung!«, rief er in Ekstase verfallen. »Ich gab ihnen die Technik, um sie als Team zu stärken … wer hätte gedacht, dass er dazu imstande ist eine Jutsu auszuführen, die normalerweise mindestens drei Parteien braucht? Das ist der helle Wahnsinn!«

Tsunade erkannte durch den umherfliegenden Staub, Dreck und durch die dunkle Landschaft nicht genau, was Narutos Technik bewirkte – eine Technik, die er unmöglich meistern können dürfte – und sie würde es nie erfahren, denn selbst Jahre später schwieg er darüber in der festen Behauptung, sich nicht erinnern zu können. Was sie sah, waren die Auswirkungen und sie war sich sicher, dass selbst wenn Jiraiya, Itachi und sie in Kombination diese Technik unter allem möglichen Chakraaufwand vollführt hätten, sie niemals so stark geworden wäre. Der gleißend helle Lichtblitz rief tiefes Tosen hervor, erblindete alle Umstehenden und weiter Entfernten für ein Augenblinzeln. Ihm folgten einen Herzschlag andauernde, unerträgliche Hitze sowie etwas, das aussah wie grünlich-blaue Blitze, die die Luft in schwach elektrischer Ladung verbleiben ließ. Tsunade spürte das Knistern auf ihrer Haut, während Naruto und B im Toben der Jutsu ihren finalen Schlag ausführten. Ebenso schwer wie die Bijū auferstanden waren, sanken sie formlos in sich zusammen. Jede halbe Minute einen Zentimeter weiter, während die Erde unter ihnen erzitterte.

Tsunade war wegen ihres langen Komas immer noch wackelig auf den Beinen, der Kraftaufwand für ihren kurzen Kampf gegen sieben tote Jinchūriki war ihrer Genesung auch nicht gerade förderlich, dennoch lehnte sie Jiraiyas stützende Hand kategorisch ab. Sie hatte keine Zeit für Schwäche. Vor den niedergehenden Bijū fiel Naruto aus beachtlicher Höhe krachend  zu Boden. Die Aura um ihn hatte sich gänzlich aufgelöst, zurück blieb sein lädierter Körper. Unter Husten protestierte er schwach gegen Tsunades Heilung.

»Es geht schon … Obāchan …«, nuschelte er, verlor jedoch kurz darauf sein Bewusstsein. Tsunade versorgte notdürftig die schweren Verbrennungen seiner Haut, die durch das nach außen gedrungene Kyūbichakra zustande gekommen waren, ehe Jiraiya sie auf die Beine zog.

»Es bringt nichts, schon vergessen, Tsunade?«, belehrte er sie. »Wunden, die durch Kyūbis Chakra entstehen, heilen von selbst am schnellsten. Spare deine Kräfte lieber.«

Sie antwortete nicht. In Gedanken rechnete sie nach; dass alle durch Edo Tensei und seine damit einhergehende weiterführende Jutsus erschaffenen 'Lebens'formen an Kraft verloren hatten, konnte nur bedeuten, dass Kabuto erledigt war. Tobi war längst verschwunden nachdem er gemerkt hatte, wie aussichtslos die Lage für ihn war und der Rest von Akatsuki war ihres Wissens nach gestern und heute gefallen. Ein schmales Lächeln zuckte über ihre Lippen. »Wir haben gewonnen«, stellte Tsunade fest. Sie befreite sich aus Jiraiyas Griff und ging langsam nach vorne.

»Wo willst du hin?«

Ihr zweites Lächeln währte länger. Die Gewissheit griff langsam. »Zu Mei und Onoki, um ihnen genau das klarzumachen: wir haben gewonnen.«
 

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Fünf – fünf – von den Dingern und Sabaku no Temari wusste ganz genau, wo ihr Fächer lag: dort hinten, ganz weit außerhalb ihrer Reichweite. Sie sah die halbe Kleinarmee an grünen Menschenpflanzenreplikationen auf sich zu rasen, schnell und immer schneller werdend. Sprach man normalerweise in solchen Fällen nicht sein letztes Gebet? Ihr fiel keines ein, außer –

»Shikamaru!«

Er war vor sie gesprungen, die Arme ausgebreitet, in einer Hand ein Kunai, die andere formte zum Angriff bereit ein Fingerzeichen. Temari konnte nicht einmal schreien, so tief saß der Schock. Ein Knall, ein Beben, ein Schrei aus dem Hintergrund, eine Explosion. Die fünf Zetsuklone stolperten und fielen zu Boden. Noch bevor sie aufkamen, waren sie zu klebriger Masse zerflossen.

Dann war alles still.

Temari spürte ihr Herz bis in ihren Hals hinauf schlagen. Bum. Bum. Bum. An der Art, wie Shikamaru seine Schultern angespannt hielt, konnte sie sehen, dass er in demselben Schockzustand war wie sie: hervorgerufen durch Irritation und Unglauben. Erst nach und nach realisierten sie, was geschehen sein musste. Er sagte kein Wort, half ihr bloß schweigend auf und führte sie zu ihrem Fächer, an dem sie nichtmenschlichen Halt fand, den ihr Stolz tolerieren konnte. Immerhin konnte sie so gut wie alleine stehen. Das reichte ihr vorerst.

»Sie sind verschwunden!«, rief Hyūga Hanabi endlich. Sie war die erste, die es wahrhaben wollte. Tenten war neben ihr auf die Knie gefallen, perplex von dem plötzlichen Ende. Dort wo sie standen zitterte der Boden nur schwach und die Bijū waren in weiter Ferne, dennoch konnte man deutlich sehen, wie sie besiegt in sich zusammen schrumpften.

»Bloß wieso?« Temari wog die wahrscheinlichste Erklärungsmöglichkeit gegen alle Alternativen ab.

Shikamaru zuckte die Schulter. »Ich weiß es nicht, aber …«

»Ja«, komplettierte sie, »Diese Theorie würde mir auch gefallen.« Sie spürte, wie ihre Beine wieder schwach wurden – aus irgendeinem Grund hatten ihre Gegner es vornehmlich auf diese abgesehen gehabt. Sie drohte zu fallen, wurde jedoch von Shikamaru einarmig aufgefangen. Sein Gesicht sprach genervte Bände, nichtsdestoweniger beschwerte er sich nicht.

»Du bist schwer.« Naja, fast nicht.

»Du bist einfach schwach«, fauchte sie und machte sich trotz ihrer protestierenden Glieder von ihm los, ehe Kankurō Shikamaru dafür verprügeln konnte, dass er seiner Schwester zuleibe gerückt war. Selbst wenn ihr Bruder schwer damit beschäftigt war, seinen Gegner zu verprügeln – wohlgemerkt der letzte in diesem Bereich der Schlucht – würde er den strengen Vater spielen wollen. Temari konnte sich nicht erinnern, seit wann sie wie jemand aussah, der beschützt werden musste. Vor allem vor Nara Shikamaru.

»Dafür gewinne ich im Shogi. Allein mein Gehirn wiegt so viel wie dein Körper.«

»Verwechsle deinen Dickschädel nicht mit Intelligenz«, feixte sie unbeeindruckt von seiner Attacke gegen ihre durchschnittlichen Shogikünste.

»Kami, könnt ihr einem vielleicht auf die Nerven gehen«, mischte Ino sich vom Rand des geklärten Rings aus ein. Irgendwo hatte sie Sai aufgegabelt, der vor wenigen Minuten in ihren Armen zusammengebrochen war, gleich nachdem er etwas von »Sa … ra« und »Hilfe auf Pla …« gemurmelt hatte. Von wo er gekommen war und was das zu bedeuten gehabt hatte, wusste niemand, Ino jedoch hätte sowieso keine Zeit gehabt, seinen spärlichen Hinweisen nachzugehen. Sie kniete nach wie vor neben ihm und versuchte ihr Möglichstes, um ihn wieder in den aktiven Bewusstseinszustand zurückzuholen, damit er sich erklären konnte.

»Du!« Shikamaru deutete anklagend mit dem Finger auf sie. »Hörst du mir eigentlich jemals zu? Es ist verboten, jemanden auf dem Schlachtfeld zu heilen!«

»Dir zuhören und auf dich hören sind zwei unterschiedliche Dinge. Außerdem ist es vorbei, hast du das noch nicht bemerkt? In unserem Bereich ist niemand mehr, wo also liegt dein Problem, Shikamaru?«

»Mein Problem liegt nirgendwo, es sitzt dort vorne und missachtet meine Befehle!«

Ino sah sich unschuldig um, konnte aber niemanden entdecken, auf den die Beschreibung ihrer Meinung nach zutraf. »Du halluzinierst.«

Temari verdrehte die Augen und bewegte sich samt ihrem Fächer, den sie kurzerhand als Stützstock missbrauchte, nach vorne, wo Kankurō mittlerweile aufgeräumt hatte. Beinahe schon selig packte er seine Marionette zusammen; die Sirenen waren noch nicht ertönt, aber Temari wusste, dass sie gewonnen hatten. Sie sah erleichtert in den dunklen Himmel, der sich langsam wieder klärte. Hinter ihr ging Shikamarus und Inos nichtiger Streit mittlerweile auf ein persönliches Level über. Sie schüttelte den Kopf. »Aber er und ich nerven, ja? Ich erkenne eindeutig Shikamaru-san als gemeinsamen Nenner.«

»Ich bringe ihn um«, schlug Kankurō schlicht vor, weniger als Scherz gemeint als es geklungen hatte. Temari winkte seinen Satz nonchalant ab.

»Morgen, wenn wir geduscht sind, ja?« Es war ihr egal, wie schwach und erschöpft und elend sie dabei aussah, sie ließ sich zu Boden sinken und legte sich hin, den Blick erneut hoch in den Himmel schickend. Zum ersten Mal seit Monaten waren die Falten nicht mehr auf der Stirn von Sorge geprägt, sondern um ihre Mundwinkel vor Freude. Sie lachte. Seit so langer Zeit empfand sie Freude. Kankurō hockte sich neben sie, nahm ihre Hand und zog sie wieder in eine sitzende Position.

»Eine starke Kunoichi liegt nach einem Sieg nicht herum.«

»Er hat recht, Temari«, stimmte Shikamaru zu. Er hatte seinen Disput mit Ino beendet, besser gesagt ignorierte er ihre auf ihn abzielenden Flüche mittlerweile einfach. Ungefragt setzte er sich neben sie.

Temari brummte missmutig. »Wann habe ich dir jemals die Erlaubnis gegeben, das Suffix hinter meinem Namen zu streichen, Shikamaru

Er antwortete nicht, sondern beobachtete die sich auflösenden Wolken. Bald schon würde der Himmel wieder klar und heiter sein. Temari langte nach seiner Hand, lenkte sie jedoch schnell wieder ab und schlug ihm stattdessen gegen die Schulter. Der unverhoffte Schlag brachte ihn kurz aus dem Gleichgewicht, bevor er seine Balance wieder fand.

»Wofür war das denn, Temari-sama

Sie zischte gespielt abfällig. »Dafür, dass du ein Blödmann bist. In wirklich jeder Hinsicht.«

»Dann musst du noch viel blöder sein, weil du diesen Blödmann nicht im Shogi schlagen kannst –«

»Halt einfach deine Klappe.«

»Dann gib mir keinen Zündstoff.«

»Ich geb dir gleich –« Temaris Drohung verhallte unausgesprochen. Die Zeit würde kommen, da würde er seine Retourkutsche schon bekommen. Nun, da bald alles wieder seine gewohnten Bahnen gehen konnte, hatte sie genügend Zeit, sich ihre Vergeltung auszudenken. Sie lächelte verheißungsvoll. »Rache wird am besten kalt serviert.«

»Auch das noch …«
 

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Terumī Mei fiel auf die Knie, was sie immer noch größer bleiben ließ als den ungläubigen Tsuchikage neben ihr. Er starrte entgeistert ins Nichts, während die Mizukage sich so hart auf die Lippen biss, dass Blut aus ihnen trat. Ihre Faust traf lautlos auf dem Erdboden auf, Tränen der Verbitterung folgten.

»Die Kapitulation«, stieß sie widerwillig aus zusammengepressten Zähnen hervor. »Die Kapitulation … ist ... rechtskräftig. Mizu no Kuni ergibt sich und … erkennt seine Niederlage … mit allen Konsequenzen … kompromisslos an.«

»Ich hatte nichts anderes erwartet.« Tsunade gab einem provisorisch zusammengesuchten ANBU Team den stummen Befehl zum Abführen der Vertragsbrecherin. »Was ist mit dir, Onoki?«, fauchte sie so respektlos wie möglich. Selbst wenn sie ihn vor ihren Vertrauten immer beim Vornamen nannte, hatte sie ihn offiziell immer höflich mit 'Tsuchikage-sama' adressiert. Ab heute war er dieses Privileg los. Sollte sie auch nur irgendein Mitspracherecht beim Ausmaß seiner Strafe haben, würde sie darauf bestehen, ihm seinen Titel abzuerkennen. Ein so törichter, machtbesessener seniler Mann war viel zu lange Kage eines mächtigen Dorfes gewesen.

»Tsuchi no Kuni …«

»Ja?«, drängte sie ungeduldig.

»… ergibt sich bedingungslos.«

Tsunade nickte zufrieden. »Abführen«, lautete ihr letztes Wort, das sie bis zu dem Tag, an dem er sich vor Gericht für seine Verbrechen verantworten musste, an ihn richtete. Im Hintergrund ertönte endlich das Horn, das den Sieg der Alliierten Shinobimächte verkündete. Suna, Kumo und Konoha. Sie hatten gewonnen. Mei und Onoki würden vorerst in Gewahrsam verbleiben, bis man über ihr Schicksal entschieden hatte. Es lag in der Hand der Siegermächte, die Strafe zu bemessen. Sie würde schon gerecht ausfallen.

Vielleicht.
 

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Der Himmel war strahlendblau. Es wurde wärmer, der Wind ließ nach. Das Wetter war heiter geworden, schlagartig, von einer Sekunde auf die andere. Der Kampf war vorbei. Von der letzten Minute auf diese hatte sich alles geändert. Nur das eine nicht: dass Itachi regungslos unter ihr lag und sie nicht einmal schalt, weil sie ihren Emotionen freien Lauf ließ.

Sakura schrie. Sie hörte ihren Schrei, der gedämpft von seiner Brust an ihre Ohren drang. Spürte ihre Hände, die unter all dem Druck, den sie gegen den Stoff seiner Uniform ausübte, in einen Krampf verfallen waren. Wie ironisch, dass sie gerade noch so viel Energie übrig hatte, um sich ihrem Schmerz hinzugeben. Verglichen mit dem seelischen Leiden war ihr körperliches kaum der Rede wert. Irgendwo kroch die Erschöpfung über sie, wollte sie einhüllen in einen Mantel der Empfindungslosigkeit, weil sie es nicht ertragen konnte, Itachi tot zu wissen. Hätte sie einen Wunsch frei gehabt, nur einen und für immer nur diesen einen, sie hätte sich gewünscht, Tsunades Sōzō Saisei zu beherrschen. Seit Jahren trainierte sie dafür, doch ihre Shishō hatte bis jetzt nicht erlaubt, ihr diese geheime Technik anzuvertrauen. Wie sehr sie Tsunade gerade dafür hasse. Das Wissen zu haben, theoretisch über eine Technik verfügen können zu haben, die einen geliebten Menschen – den geliebten Menschen – hätte retten können, war so sehr von Konjunktiven durchzogen, dass es in Sakuras Brust zog. Ihr Herz fühlte sich an, als zerspringe es auf der Stelle. Der Adrenalinstoß war das einzige, was sie noch bei Bewusstsein hielt.

Wieso war sie nicht gestorben?

Man konnte an Erschöpfung sterben, wenn man das Leben aufgab. Statt in einen erlösenden Schlaf zu sinken, wie sie es sich gewünscht hatte, weinte sie. Weinte immer weiter, bis sie nicht mehr konnte. Ihr Hals war rau, ihre Augen brannten, ihre Kehle angeschwollen und ihre Lippen blutig gebissen von dem verzweifelten Versuch, den unkontrollierten Heulkrampf und die spontane Wutattacken gegen alle Kami und die Welt zu ersticken. Jemand legte seine Hand auf ihre Schulter, federleicht und schwach – Sasuke. Er stand über ihr, die Augen schwarz gleichsam wie ausdruckslos mit einer Mischung aus Anklage und Unglaube auf sie niedergeschlagen. Sie schaffte es nur für wenige Sekunden, den Blick zu halten, dann verschleierten ihr die neuen Tränen ihre ohnehin schon trübe Sicht.

»Itachi …«, sagte er lautlos in die Luft hinein. Sie schien dünn geworden zu sein, kaum zu atmen ohne Gefahr zu laufen zu ersticken, oder war es Sakuras Kehle, die sich immer weiter zuschnürte? Sie brach erneut über Sasukes Bruder – dem Klanerben, dem Eliteshinobi, dem Ausnahmetalent, dem Mann, den sie liebte – zusammen. Mit der Zeit versiegten ihre Tränen vor Erschöpfung und weil sie einfach keinen Sinn mehr darin sah. Weinen, was würde es ändern? Wenn sie noch ein wenig länger durchhielt, vielleicht würde dann alles von alleine aufhören. Sakura schüttelte den Kopf an Itachis Brust. So naiv war nicht einmal sie.

»Kannst du gar nichts tun, Sakura?«, fragte Sasuke ohne Hoffnung auf Bejahung. Sakura wusste, dass er nie sonderlich viel auf ihre Fähigkeiten als Iryōnin gegeben hatte, weil in Sasukes Augen nur kämpfende Ninjas gute Ninjas waren. Ebenso wusste sie, wie sehr er sich jetzt wünschte, diese stets von ihm belächelten Heilkräfte seien allmächtig. Seine Erkenntnis spendete kaum Trost, stattdessen trieb sie sie weiter in diese eine Frage: wieso konnte sie in diesem Krieg niemanden retten? Sie war nutzlos, schwach, ihre Fähigkeiten gegenstandslos im Angesicht der ernstesten Situation. Nicht einmal das Märtyrer-Spielen konnte sie richtig machen.

Erneut legte sich Sasukes Hand auf sie, diesmal auf ihr Haar. Er wollte ihr Trost spenden, obwohl er selbst den größten Schmerz verspürte. Es war etwas, das sie ihm für alle Zeit immer höher anrechnen würde als jeden anderen Dienst, den er ihr jemals würde erweisen können. Getrieben von diesem Trost, der keiner war, bildete sie sich unter ihr einen Herzschlag ein, der trügerisch echt wirkte.

Ba-dum]. Sakura versuchte die Hand mit Kopfschütteln von sich zu schubsen, doch Sasuke war hartnäckig. Wie gerne würde sie ihn von seinen Füßen reißen, bloß um ihm zu zeigen, wie wahr diese Situation hier war! Er schien es immer noch nicht zu verstehen, denn er begann seelenruhig und zittrig über ihr Haar hinab zu ihrer Schulter zu streichen.

Die Erkenntnis dämmerte nur langsam: Sasuke stand links von ihr. Sie wusste, wie er aussah, darum wusste sie auch, dass er nicht jene anatomischen Abstrusitäten aufweisen konnte, die es verlangte, um sie von seiner Position aus in einer derartigen Bewegungslinie zu trösten. Dann der Herzschlag – Ba-dum – sie konnte sich die feine Muskelbewegung, die sie an ihrer Wange spürte, doch nicht einbilden. Während ihre Gedanken rasten, schlug ihr eigenes Herz schneller. Ihre Kehlte schnürte sich komplett zu, sodass sie unter akutem Luftmangel nach Luft japsen musste. Als sie sich aufrichtete, um atmen zu können, rutschte die Hand von ihrer Schulter, streifte ihre Wange und fiel schwach von ihr. Im letzten Moment fing Sakura sie am Handgelenk auf, fassungslos in das zugehörige Gesicht starrend. Es sah toter aus als das einer Leiche und doch …

»Unbe –« Röchel. »– herrscht wie –« Hust. »– immer, Sakura.«

Sakura ließ in ihrer Perplexität Itachis Hand samt Arm fallen. Das war … er war … sie hatte gesehen … und doch … sie konnte nur an eines denken –

»Du dämliches Arschloch!«, kreischte sie aus heiserer Kehle und warf sich erneut auf Itachi, der sich eben versucht hatte aufzurichten. Sie umschlang seinen Hals, während immer neue Tränen ihren Weg nach draußen fanden. Ihr Schluchzen über seinen Tod war nichts im Vergleich zu jenem über seine Lebendigkeit. Sie spürte ihn unter ihrer Umarmung leise lachen. Irgendwo am Rand ihrer Aufmerksamkeit bemerkte sie, wie Itachi seinem zu Stein erstarrten Bruder eine Art Zeichen gab, das dieser schal nickend zur Kenntnis nahm.

»Du mieser Scheißkerl«, fluchte sie weiter. Sie war sich sicher, dass sogar die Shinobi hinten im Basislager ihren Schrei gehört haben mussten. Tsunade färbte immer mehr auf sie ab, wie es schien. Zuerst mit ihrer Genialität in Sachen Heilkunst, danach in Taijutsu und zuletzt wohl auch charakterlich. Sakura hätte zu gerne dem Himmel gedankt, dass Itachi noch am Leben war, wäre ihr gerade sowas von nicht nach Demut zumute gewesen. »Mich in dem Glauben zu lassen, du seist tot!«, fauchte sie und schlug auf Itachis Brust. Er ächzte unter ihrer Schelte, die ihr noch nicht wirklich leid tat.

»Sakura …«

»Klappe!« Sie richtete sich auf, um sichergehen zu können, dass sie nicht komplett den Verstand verloren hatte. Es sollte bereits Fälle gegeben haben, in denen Menschen einer Posttraumatischen Belastungsstörung wegen Halluzinationen gehabt hatten. Der Mann unter ihr sah jedoch nicht aus wie eine Halluzination. Dafür war sein überlegener Gesichtsausdruck viel zu Uchiha. Unter ihren neuen Flüchen drangen immer mehr Tränen aus ihren Augen. »Uns so zu erschrecken, was denkst du dir, du Idiot? Mistkerl! Einfach so den Helden spielen!«

Trotzdem Sakura liebend gerne weitergeschimpft hätte, weil sie so viel Glück nicht anders verarbeiten konnte, streifte sie unter Itachis entschuldigendem Blick ihre Handschuhe ab, um die schwerwiegendsten Wunden schnellstmöglich zu heilen.

»Tut mir leid.«

»Das ist das Beste, was du zu sagen hast? Idiot.«

Itachi lachte. Obwohl es weh tun musste, verzog er keine Miene. »Gehen dir langsam die Schimpfwörter aus?«

»Nicht im Geringsten. Ich bin noch nicht einmal ansatzweise fertig.«

Er schüttelte tadelnd den Kopf, während sein Bruder ihm half, sich aufzusetzen. »Ich wusste, du würdest mich irgendwann übertreffen, Sasuke.«

»Bitte«, murmelte Sasuke irgendwo zwischen betreten, stolz und verblüfft. »Ich konnte Madara nur ausschalten, weil seine Bewegungen durch deine Attacke gestoppt worden ist.«

»Könntet ihr das später ausdiskutieren?«, empfahl Sakura. Der Adrenalinstoß hatte sie wieder hellwach gemacht, ihr scheinbar neue Chakraressourcen gegeben, sodass Itachis Heilung unter ihren geübten Händen schnell voranging. Sie kannte sein Chakrasystem inzwischen so gut, dass sie kaum suchen musste, um die zerstörten Stellen auszumachen.

»Sakura hat recht. Wir werden zu Hause entscheiden, wem der Ruhm gebührt, Sasuke. Fürs Erste: gut gemacht, Otōto .« Nachdem Itachi Sasuke gedankt hatte – ein Handschlag war das absolute Höchstmaß an offen gezeigten Emotionen, zu dem die beiden Uchihas fähig waren, was Sakura stumm bekrittelte – legte er seine Finger an ihre Wange und sie revidierte. Sollten ruhig alle Uchihas der Welt ihre emotionale Seite verbergen; solange Itachi ihr die seine nicht verweigerte, sollte ihr alles recht sein.

»Ich muss mich konzentrieren«, wehrte sie ab. Sie wusste nicht, wie sie so viel Freude auch nur ansatzweise fassen konnte, darum wollte sie nicht von ihrer Arbeit ablassen. Irgendwie konnte sie Itachis Fixation auf sein Training und seine Missionen damit besser verstehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie absolut nicht, was sie tun sollte. »Dein Körper hat wohl einfach ein paar Minuten gebraucht, um sich von dem plötzlichen Schock zu erholen und ich habe geweint, darum konnte ich den leisen Herzschlag nicht hören und –«

»Sakura …« Der tadelnde Unterton, mit dem er ihren Namen sagte, lockte ihre Aufmerksamkeit von der Routineheilung auf ihren Patienten, der sie mit hochgezogener Augenbraue ansah.

Sie hatte keine Ahnung, was er erwartete. Verlangte. Wissen wollte? Sie wusste ja noch nicht einmal, was sie selbst wollte! Itachi nahm ihr die Entscheidung ab, indem er sie in eine Umarmung zog und küsste. Es war kein leidenschaftlicher Kuss oder gar ein fordernder, ebenso wenig wie unschuldig. Er war die einfache Bestätigung, dass er sie liebte. Mehr brauchte sie für den Moment nicht.

 »Würdet ihr bitte kurz unterbrechen, damit die einzige medizinisch Versierte sich auch um andere Verletzte kümmern kann?«, unterbrach Sasuke die beiden genervt.

Sakura rollte mit den Augen, ließ jedoch nicht von Itachi ab.

»Hallooo? Nehmt euch ein Zimmer!«

Erneutes Augenrollen, diesmal jedoch löste Sakura den Kuss auf, um Sasuke vorwurfsvoll anzufunkeln. »So schwer kannst du nicht verletzt sein, wenn du blöde Scherze machst.« Er wollte protestieren, zog es dann schlussendlich aber doch vor, nichts weiter zu erwidern. Egal was er gesagt hätte, nichts hätte Sakura in ihrem Glücksgefühl trüben können. Itachi lebte. Sie würde einige Stunden brauchen, um sich von dem Schock seines Todes bis hin zum unverhofften Schock seines Doch-nicht-Todes zu erholen. Bis dahin würde sie einfach seine Hand halten, um sich langsam wieder daran zu gewöhnen.
 

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Fünf Tage später fiel sie ihren Eltern überglücklich und weinend um den Hals. Wie auch jeder andere Zivilist hatten sich Mebuki und Kizashi vor den Toren Konohas versammelt, um die Heimkehrer zu empfangen. Während Sakura sich nicht einmal darüber brüskieren konnte, dass ihre Eltern viel zu überrascht über ihre faktische den Umständen entsprechende Unversehrtheit waren, wanderte Itachi an Sasukes und Shisuis Seite zu den restlichen Uchihas. Seit sie nach seinem Beinahe-Ableben ins Lager zurückgekommen waren, hatten sie einander nicht mehr angesehen. Sakura war nach ihrer eigenen Genesung, die von Tsunade höchstpersönlich übernommen worden war und nur wenige Stunden gedauert hatte, viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Verletzte zu heilen, der Hokage zu helfen und Shizunes Aufgaben zu übernehmen, als dass sie Zeit für Privates gehabt hätte. Nur am Rand hatte sie mitbekommen, dass Yūgao gestorben, Uchiha Izuyas gesamte Einheit von einem Trupp Oinin Butai ausgelöscht und neben Neji auch noch Chōji einer Herde Zetsus zum Opfer gefallen war. Maito Gai und Rock Lee galten seit der gegnerischen Kapitulation als vermisst; vermutlich hatten sie sich verlaufen, eine Wette verloren oder jagten noch einigen obskur anmutenden Gestalten hinterher, bis sie endlich begriffen, was diese Kapitulation eigentlich bedeutete.

»Komm schon her«, heulte sie, löste sich von der Brust ihres Vaters und zog den unsicher danebenstehenden Naruto in eine Umarmung.

»Sakura-chan, keine Tränen mehr, sonst fange ich auch noch an zu weinen …«, bat er mit wässrigem Blick, der seine blauen Augen glänzen ließ. Irgendwo hörte er Iruka nach sich rufen.

Sakura beendete die platonische Zärtlichkeit und schubste ihn in Richtung Menschenmenge. »Geh, bevor er sich noch Sorgen macht. Aber dass du mir spätestens morgen ins Krankenhaus kommst, ja? Naruto, hey, hörst du? Du bist noch nicht wieder ganz gesund!«

Er winkte bloß grinsend ab und sie fühlte sich erneut von ihrer Mutter in Beschlag genommen. Die nächsten vier Stunden brachte Sakura damit zu, Mebukis aufgebrachte Fragen zu ihrem Wohlbefinden höflich aber bestimmt abzuwehren, ehe sie sich mit der Ausrede, Tsunade brauche sicherlich Hilfe, loseisen konnte. Itachi sah sie an diesem Tag nicht mehr.

Die nächste Woche verging schleppend, als sie jedoch vorbei war, fragte Sakura sich, wo die Zeit geblieben war. In routinierter Schnelligkeit war der Papierkram der Hokage erledigt – Shizunes Fehlen war eine menschliche Katastrophe und vielleicht kam es Sakura nur so vor, aber sie bildete sich ein, Tsunade öfters als sonst trinken zu sehen, trotzdem fügte sich die junge Jōnin hervorragend in die bürokratischen Vorgänge ein. Das Krankenhaus lief nach anfänglichen Führungsstreitigkeiten wie ein Uhrwerk – Tsunade hatte beschlossen, Sakura die Leitung der Klinik zu übertragen, nicht zuletzt weil ihre akribische Schülerin die pathologische Pedanterie eines gewissen Uchihas übernommen hatte, womit sie der nicht ganz so akribischen Hokage, die es nie lernen würde, tierisch auf die Nerven ging – und überhaupt verlief die Woche bis hin zum Begräbnis in farbloser Monotonie. Jeder funktionierte. Irgendwie zumindest. Manchmal verspürte sie das Bedürfnis zu weinen, ihren Frust herauszulassen, doch ihre Wut gegen das Leben in Energie für ihre Arbeit zu investieren, erschien ihr produktiver. Dann kam der Tag der feierlichen Beisetzung, an dem ihr die erste Träne aus Trauer und nicht aus Verzweiflung, Erschöpfung oder Wut aus dem Augenwinkel rollte.

Es war einer jener Tage, der nicht zur allgemeinen Stimmung passte: hell, klar, heiter. Der Himmel an diesem Nachmittag war alles, was Sakura nicht empfand. Er strahlte, war freundlich, als könne man unter ihm heute wie immer einen unbeschwerten Tag begehen. Sie hasste ihn dafür. Sie hasste ihn von der Sekunde, in der sie nach dem Aufstehen zum ersten Mal aus dem Fenster sah, über jene, in der Naruto, Ino und Tenten sie vom Krankenhaus abholten, bis hin zu der, in der sie neben ihren Freunden in einer der vordersten Reihe stand. Um sie herum war das Schluchzen väterloser Kinder, verwitweter Ehepartner. Nicht nur das; es gab niemanden im ganzen Dorf, der um niemanden trauerte. Freunde, Familie, Kollegen, Partner, Kameraden. Dieser Krieg hatte jedem jemanden genommen, vom Jüngsten bis zum Ältesten, vom Stärksten bis zum Schwächsten, jeder weinte um jemanden, und als Sakura in den falschen schönen Himmel sah, hasste sie das Leben. Das Leben, das einem genommen werden konnte. Das Leben, in dem man so viel Leid erfuhr. Das Leben, das nicht mehr wert zu sein schien als ein paar Tränen in den Augen eines Menschen. Während erst Jiraiya, dann Utatane Koharu und zuletzt Tsunade bewegende Reden hielten, hinterfragte Sakura zum ersten Mal den Sinn des Lebens. Während Rose um Rose vor den IKA Felsen gebettet wurde, warf sie immer wieder einen Blick zu Itachi, zu Sasuke, zu Hinata und zu Hanabi. Da standen sie: im Schutz ihres Klans, Unbesiegbarkeit vortäuschend.

»Aber wozu?«, fragte sie sich selbst ganz leise. Wozu tun, als sei man unbezwingbar, wenn doch ein jeder hier wusste, wie zerbrechlich ein Menschenleben war. Sakura legte ihre Rose für Shizune vor das Grab. Nicht nur für sie, auch für Asuka, Izuya und Neji. Für jeden Ninja, der jemals irgendwo gestorben war. Als sie sich zurück in die Reihe fügte, fing sie zuerst Tsunades Blick auf – inzwischen konnte sie sehr viel besser den unbehelligt-egalitär wirkenden Stoizismus verstehen, den erfahrene Shinobi dem Tod gegenüber nach außen kehrten – danach traf sie auf Itachis. Er nickte ihr zu, doch sein Vater schnitt den Sichtkontakt ab. Ob unbeabsichtigt oder nicht, Sakura verstand das Zeichen. Sie machte Itachi keinen Vorwurf, dass er keine Bemühungen angestellt hatte, sie zu sehen. Die hatte sie ebenfalls nicht angestellt. Es wäre falsch gewesen, Trost bei ihm zu suchen, wo sie doch nicht einmal wusste, ob Trost das war, was sie wollte.

Es stimmte: er stand dort, sie war hier. Sein Platz war bei seiner Familie, nicht beim gemeinen Volk. Schon gar nicht an der Seite einer Kunoichi, die gerade erst wirklich verstanden hatte, was es bedeutete, ein Ninja zu sein.

Die Zeremonie klang mit einem Lied aus, das sie leise und jeder für sich summten. Jede einzelne Stimme fügte sich zusammen wir ein geübter Chor, obwohl jeder in seinem eigenen Rhythmus sang. Vielleicht kam es ihr aber auch nur so vor, weil Naruto ihre Hand hielt, was eine ungeahnt beruhigende Wirkung auf sie ausübte. Wäre er nicht an ihrer Seite gewesen, hätte sie angefangen zu weinen. Dabei war sie sich sicher, inzwischen keine Tränen mehr übrig zu haben. Niemals wieder für niemanden, außer vielleicht für sich selbst, wenn sie sich bedauerte, weil aus ihr dasselbe geworden war wie aus Itachi, Kakashi oder Sasuke: ein Shinobi, der den Glauben an das Gute verloren hatte.

Ino drückte tröstlich ihre Hand, doch Sakura befreite sich sowohl aus dieser Berührung, als auch aus Narutos, dessen Aufmerksamkeit instinktiv zu Hinata wanderte. Die Hyūgaerbin kam flankiert von Kiba und Sasuke auf die geschrumpfte Truppe zu, vor der sie weinend stehenblieb, bis Naruto sich erbarmte und einen Arm um sie legte, was sie bloß noch mehr aufzuwühlen schien. Den inneren Konflikt, den sie durchmachen musste, wollte Sakura sich lieber gar nicht erst vorstellen. Daneben versuchte Tenten Teil der Umarmung zu werden.

»Wir sollten etwas trinken gehen«, schlug Shikamaru vor. Den missbilligenden Blick, den Ino ihm zuwarf, lenkte er mit einer Geste gen Boden. »Verurteile mich ruhig dafür, aber ich für meinen Teil möchte Chōji und Neji nicht still gedenken. Auf sie anzustoßen halte ich für eine der angebrachtesten Arten eines Abschieds.«

»Wenn du das so sagst …« Ino schnaubte und schluchzte zugleich. »Sakura?«

Die Angesprochene wehrte kopfschüttelnd ab. »Ich habe noch so viel im Krankenhaus zu tun. Jemand muss auch noch nach Tsunade-sama sehen. Sobald ich fertig bin, komme ich nach.« Sie ließ ihren Freunden keine Zeit zum Protest, sondern machte auf den Zehenspitzen Kehrt und lief Richtung Krankenhaus, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Vielleicht kamen Shikamaru und Ino in Gesellschaft besser klar, für Sakura verhielt sich die Sache anders. Es gab nur einen Menschen, mit dem sie reden wollte, doch der –

Itachi löste die Verschränkung seiner Arme, als er sich von der Wand, an der er gewartet hatte, abstieß. 

»Sollte ich mich bei deinem Vater entschuldigen?«, war das erste, das zu fragen Sakura in den Sinn kam. Sie konnte sehen, wie Itachis erster Impuls – wir sehen uns sieben Tage lang nicht und du erkundigst dich nach meinem Vater? – zu einer ernsthaften Antwort verpuffte.

»Lass es lieber auf sich beruhen. Asukas Tod war nicht deine Schuld, das weißt du. Otōsan ist kein sehr fairer Mensch; er würde keine Sekunde lang zögern, ihn dir anzukreiden, wenn du ihm die Chance bietest.« Er schluckte seinen nächsten Satz, mit dem er bestimmt noch expliziter auf Fugakus Veranlagung eingegangen wäre, hinunter, und streckte seine Hand aus. »Komm her.«

Es war weniger eine Aufforderung als eine Bitte, doch Sakura weigerte sich. »Wir sollten nicht hier draußen rumstehen. Du bist immer noch in ambulanter Behandlung. Ich nehme an, du hast einen Termin?« Sakura brauchte seine Bestätigung nicht. Als neue Leiterin des Krankenhauses wusste sie alles, was darin vorging. Sie wusste auch, dass die behandelnde Ärztin eine gute Iryōnin war und ihren Sohn im Krieg verloren hatte, weswegen sie Doppelschicht um Doppelschicht schob. Rein rechtlich war es verboten. Sakura hatte als erste Amtshandlung beide Augen zugedrückt, sonst hätte sie sich ebenfalls ermahnen müssen. Sie hatte zuvor die Akte der Iryōnin studiert, immerhin überließ sie Itachi nicht jeder x-beliebigen Angestellten. Er mochte gesund aussehen, aber sie wusste, wie seine inneren Organsysteme aussahen. Mit diesen Überlegungen vergingen Minuten, in denen sie sich gegenseitig anschwiegen.

»Möchtest du weinen?«

Ohne zu überlegen schüttelte Sakura den Kopf. Der Hintereingang des Krankenhauses war kein geeigneter Platz für emotionale Ausbrüche. Ihre Mitarbeiter sollten sie niemals so sehen. Nicht nur das … »Wenn es etwas gibt, das ich nicht mehr möchte, dann ist es weinen.«

»Jeder hat eine andere Form der Trauerbewältigung. Verdrängung ist eine der schlechtesten, schätze ich.«

»Mag sein«, lenkte sie behutsam sein. Solange sie selbst nicht wusste, inwieweit das Erleben von Tod und Sterben Auswirkungen auf ihre Psyche hatte, wollte sie lieber keine Pferde scheu machen. Sie verstand, wieso Itachi ihre menschliche Seite an ihr schätzte. Diese zu verlieren bedeutete jenen Teil einzubüßen, der ihm an ihr am wichtigsten war.

»Möchtest du lieber darüber reden?«

Erneutes Kopfschütteln. »Lieber nicht. Ein andermal vielleicht.«

»Weißt du, an wen du mich erinnerst?«, fragte er, nahm ihr Gesicht in seine Hände und senkte seinen Kopf, sodass seine Stirn an ihrer lag. »An Sasuke nach einer unserer Missionen bei der ANBU. Ich erkenne die Anzeichen, wenn ich sie sehe, Sakura. Ich werde nicht schlechter von dir denken, wenn du wirst wie wir anderen, aber solange es eine Möglichkeit gibt, es zu verhindern, würde ich sie an deiner Stelle ergreifen. Es gibt nichts Schlimmeres als zu verlieren, was uns menschlich hält.«

Sakura versuchte zu lächeln, doch sie brachte es nicht über sich. Seine Nähe ließ sie ihre Augen schließen, vor deren Lider ein Bild aus Blut tanzte. Es war in Ordnung. Sie war eine Kunoichi. Irgendwann wurde jeder so. Der Shinobi, der sein Mitgefühl nicht verlieren konnte, hatte in seinem Beruf nichts verloren. Diese Erkenntnis behielt sie für sich. Dass es nie wieder werden würde, wie es war, wussten sie beide. »Ich möchte nicht darum nicht nicht weinen«, log sie, »Sondern weil du der einzige Mensch bist, der mich wirklich glücklich macht.«

Er verstand, was in ihrer Beschwörung mit schwang. Die Bitte, sie nicht zu verlassen. Die Angst vor dem Klan, seinem Klan, seiner Familie, die sie nicht dulden würde. »Vergiss sie für einen Moment, Sakura«, bat er sie und küsste ihre Stirn. »Vergiss alle Uchihas nur für einen Augenblick und was bleibt ist das, was uns niemand nehmen kann.«

Sakura nickte, selbst wenn sie es nicht ganz glauben konnte. Doch sie lächelte, weil die Vorstellung, er könne rechthaben, für diesen Herzschlag genügte.
 

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Es war einer jener sonnigen Nachmittage, die einem schöner vorkamen als sie sein sollten. Sakura hatte ihre Schicht im Krankenhaus früher als geplant beendet, hatte bei Ino Blumen gekauft, sich ihre wöchentliche Portion Sticheleien abgeholt und ihr dafür kein Trinkgeld gegeben. Es war wie immer. Die Leute, das Wetter, die Straßen, die Arbeit. Alles war wie immer. Nur sie nicht. Die letzten Wochen hatten sie verändert, ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf gestülpt. Ein Teil von ihr war in diesem Krieg gestorben. Ein wichtiger Teil, den sie sich geschworen hatte niemals zu verlieren. Es war das, was sie Itachi niemals beichten würde verloren zu haben. Mitgefühl.

Vor Shizunes Grab zu sitzen und zu trauern fühlte sich falsch an, wo sie doch hätte froh sein müssen, überlebt zu haben. Doch was gab es Positives am Leben zu sehen? Positiveres als den Tod? Für sie als Iryōnin war es eine Katastrophe, diesen Teil von sich eingebüßt zu haben. Welcher Heiler hieß den Tod ebenso willkommen wie das Leben?

Jemand setzte sich wortlos im Schneidersitzt neben sie, die Hände auf die Knie gestützt und die Augen geschlossen. Sie schwiegen sich eine Weile an, bis Sakura die Stille nicht mehr ertrug. Es gab viele Menschen, mit denen sie nicht reden musste. Uzumaki Naruto gehörte nicht dazu.

»Schöner Tag heute.«

»Hmm …«, gab er ungewöhnlich einsilbig zurück. Ohne sie anzusehen öffnete er die Augen. »Ich habe schon schönere erlebt.«

»Es wird wieder bergauf gehen«, meinte Sakura zögerlich und setzte nach einer Weile hinzu, »Hoffe ich.«

Er nickte wenig überzeugt von ihrer Überzeugung. Die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend in ihren eigenen Gedanken, ohne den jeweils anderen wirklich wahrzunehmen. Als Naruto seine Stimme auf ein glattes, für seine Verhältnisse leises Level erhob, klang er ernster als ihr gefiel. »Was wirst du nun tun, Sakura?«

Das fehlende Suffix hinter ihrem Namen war nicht, was sie störte. Es war die Frage selbst, mit der sie überfordert war. Normalerweise war Naruto ein Garant für Ablenkung von trostloser Stimmung. Egal wie hoffnungslos die Lage jemals erschienen war, er hatte immer ein aufmunterndes Wort auf den Lippen gehabt. Dass selbst ihm nichts mehr einfiel, ließ ihr Herz sich schmerhaft zusammenziehen. Sie waren beide erwachsen geworden, doch zu welchem Preis?

»Na was wohl?«, seufzte sie schlussendlich. »Weiterleben.«

»Einfach so? Ich wünschte es wäre möglich, ich jedenfalls kann es nicht. Wie soll man leben, wenn man schon so oft hätte sterben können? Mir kommt diese Welt vor wie Verschwendung.«

»Es wird besser werden«, hoffte Sakura ohne selbst daran zu glauben. »Mit der Zeit werden wir die guten Dinge wiederfinden und die schlechten werden in den Hintergrund rücken. Veränderungen sind unaufhaltsam. Uns war seit dem ersten Tag an der Akademie klar, dass wir irgendwann werden würden wie alle anderen. Es sollte uns nicht überraschen, dass genau das nun geschehen ist.«

Naruto ließ seinen Blick auf die weißen Grabblumen fallen, die sie für Shizune deponiert hatte, dabei sah er sie nicht einmal richtig an. Irgendwann nahm er ihre Hand in seine, tröstend und schützend wie der Freund, der er war. Es war dieser Moment, an dem Sakura realisierte, dass es Dinge gab, die sich nie ändern würden. Narutos Optimismus mochte gedämpft sein, doch er würde bald wieder lachen und scherzen wie zuvor.

»Weißt du, was ich denke, Naruto?« Sie machte eine kurze Pause, um in den Himmel zu sehen und Worte zu suchen. »Egal wie viel man uns auch nimmt, egal wie viel Tod wir jemals sehen werden, eines wird uns immer bleiben: wir selbst. Und auch wenn wir andere Ansichten bekommen, Teile von uns verlieren und andere dazubekommen, sind wir trotzdem noch wir selbst. Oder?«

Er antwortete nicht auf ihre Frage, was sie beide wieder ins Grübeln zurückwarf. Vielleicht war ihre Annahme zu pauschal formuliert gewesen, das hinderte sie nicht daran, sie als die für sie wahre zu erachten. Es war wie es war. Wieso die Gegenwart hassen, wenn sie doch das einzige war, das man hatte?

»Ich bin jetzt übrigens bei der ANBU«, murmelte er nach einiger Zeit abwesend. So unzusammenhängend dieses Gespräch auch war, sie hatten einander immer noch nicht angesehen. »Meine Bewerbung liegt auf Tsunade-obāchans Schreibtisch. Ich hoffe trotzdem, dass wir irgendwie ein Team bleiben können.«

Nach Sasukes Austritt aus Team Sieben hatte Sakura tagelang geweint. Aus Frust, Enttäuschung, Trauer. Wann immer sie sich das schlimmste nur denkbare Ereignis ausgemalt hatte – dass nach dem einen nun auch der andere Pol des Teams eigene Wege gehen würde – hatte sie erwartet, die Tränen wochenlang nicht stoppen zu können. Der Gedanke, alleine zurückzubleiben, war grauenhaft gewesen. Umso überraschter war sie, dass sie keine Tränen mehr übrig hatte. Weil sie alle geweint hatte und weil sie verstand, dass sie den Entschluss über ihre Zukunft längst getroffen hatte.

»Ich wollte nie zur ANBU, weil ich Iryōnin bin. Ich dachte immer, alle Werte der ANBU gingen gegen meine Überzeugungen. Bloß denke ich nun, dass sich meine Überzeugungen geändert haben …« Sie ließ ihre Augen ebenfalls auf die Blumen sinken.

Wer einmal tausend Tode gestorben war, der hatte keine Skrupel mehr, sie zu bringen. Das war, was sie tief in ihrem Herzen dachte, aber niemals aussprechen würde. Die letzten Monate hatte sie eine Menge verstanden, nun auch die Wahrheit hinter jedem ANBU. Es waren keine Ninjas, die ein Menschenleben nicht schätzen. Es waren jene, die sein Ende akzeptiert hatten. Die Reise zu diesem Punkt war lange gewesen und sie hoffte, dass viele, viele Shinobi sie nie bis hierhin machten.  Von hieran gab es kein Zurück mehr.

Ohne dass sie es merkte, waren Minuten vergangen, ehe sie weitersprach. Ihre Überzeugungen hatten sich geändert … »… darum ist es wohl das Beste, ebenfalls zur ANBU zu gehen. Ich kann Itachi, Sasuke und dich den Laden doch nicht alleine auseinander nehmen lassen.« Sakura lachte tonlos und eine Oktav zu tief, um vorzutäuschen, dass es echt war. Narutos Lachen hingegen war hell und freundlich. Das Hellste und Freundlichste, das sie seit langem, so schien es ihr, gehört hatte.

Er stand auf, legte seine Hand auf ihre Schulter und drückte sie kurz an sich, ehe er die einzigen Worte flüsterte, die sie hören wollte. Als er weg war, wiederholte sie seine Worte immer und immer wieder und würde es immer und immer wieder, bis sie selbst daran glauben konnte.

 
 

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Where The Sun Is Shining

 
 

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Tage vergingen, wurden zu Wochen, zu Monaten, bis der Hochsommer die Bewohner Konohagakure no Satos dazu veranlasste, ihre Fenster sperrangelweit zu öffnen, um die frische Luft in ihre Behausungen zu locken. Die Planung für die nächste Chūninauswahlprüfung war in vollem Gange, sodass wenig Zeit für anderweitig Administratives blieb. Kirigakure no Sato und Iwagakure no Sato hatten sich durch ihre derzeitige Führungslosigkeit für die diesjährige Teilnahme selbst disqualifiziert; jedoch … selbst wenn nicht, hätte man unter keinen Umständen kostbare Shinobi in Länder geschickt, die den Friedensvertrag gebrochen hatten. So zogen die Tage ins Land, bis vier Monate um waren und alles wieder in seinen gewohnten Bahnen roulierte. Die Akademie verzeichnete einen signifikanten Anstieg an Absolventen – nicht zuletzt, um die Verluste durch den Vierten Shinobiweltkrieg schnellstmöglich zu kompensieren – Missionen wurden verteilt, erledigt und zu den Akten gelegt. Konohas Wirtschaft florierte durch den gesteigerten Bedarf an allem, das der Krieg verschlungen hatte, der Handel mit Kumogakure hatte sich zum Positiven intensiviert und das Bündnis mit Sunagakure war so stark, dass der Kazekage für das nächste halbe Jahr seine Schwester als politische Korrespondentin nach Konoha geschickt hatte – mehr oder weniger mit deren Einverständnis. Eher mehr, wenn Tsunade sich die vermehrten Shogipartien ansah, die Sabaku no Temari mit Nara Shikamaru im Aufenthaltsraum des Kageturms spielte. Nicht, dass sie spitzelte. Die Wutschreie der Kunoichi, wenn sie mal wieder verlor, waren einfach nicht zu überhören.

»Gibt es etwas Neues?«

Tsunade sah nicht von dem Bericht auf, den sie gedankenverloren durchgeblättert hatte. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Tür benutzen? Mein Büro ist noch immer kein Taubenschlag.«

»Obwohl es hier aussieht wie in einem«, murmelte Jiraiya beleidigt, ohne auf ihre rhetorische Frage einzugehen. Er stieg durch den Fensterrahmen ins Innere des kreisrunden Raumes und nahm der schwer beschäftigten Hokage die Schriftrolle aus der Hand. »Ein recht undetaillierter Abriss der Geschehnisse, nicht? Unsere Bürokraten werden eindeutig überbezahlt.«

»Tatsächlich?« Tsunade machte eine abwinkende Geste in seine Richtung. »Ich habe ihn nicht wirklich durchgesehen. Lies ihn vor.«

»Sehr wohl, Hokage-sama.« Jiraiya deutete unter Augenrollen sarkastischen Salut an. »Hiermit berichten die Schreiber des Gerichtstribunals zusammenfassend von den rechtlichen Schritte bis zur und den Ergebnissen der Verhandlung gegen Onoki-sama, Sandaime Tsuchikage, und Terumī Mei-sama, Godaime Mizukage. Nach der Kapitulation der gegnerischen Partei wurde Onoki-sama in das staatliche Gefängnis Konohagakure no Satos in Hi no Kuni überstellt, Terumī-samas Verwahrung oblag dem staatlichen Gefängnis Kumogakure no Satos in Kaminari no Kuni. Die Befragung der Gefangenen ergab keinen übergeordneten Zusammenhang mit den Zielen Akatsukis. Die Bestreben der Gefangenen beschränkten sich auf territoriale Erweiterung und ressourcenorientierte Machtvergrößerung … bla, bla, bla … wurde offiziell eine Empfehlung an das Gerichtstribunal übergeben, in der man von der Todesstrafe absieht Das Urteil gegen die beiden Shinobigroßmächte unter Onoki-sama und Terumī-sama sanktionierte die betroffenen Personen mit Enthebung aller Ämter und weltlicher Macht, dem immerwährenden Verbot gegen die Wiederaufnahme jedweder politischen Aktivität und einer durch die Siegermächte kontrollierte Bewährungsstrafe, die in ihrem Heimatland zu verbüßen ist. Weiter verhängt das Kriegsgericht die unter die Führung der betroffenen Personen auf gegnerischer Seite mitgewirkten Dörfer folgende Strafen: überwachter Handel mit sämtlichen Nationen, Reparationszahlungen an die Siegermächte, Unterzeichnung eines neuen Friedensvertrages, sobald ein neuer Vorstand für die betroffenen Dörfer gewählt wurde, Mitspracherecht und Veto hinsichtlich der internen Wahl eines neuen Mizukage und Tsuchikage, sowie die gänzliche Zerschlagung aller paramilitärischen Einrichtungen, die nicht in den offiziellen Büchern verzeichnet sind. Ein sehr faires Urteil, ein wenig zu mild, wenn ich ehrlich bin. Früher hätte man jeden Kriegsverbrecher geköpft.«

»Wir leben nicht im Mittelalter, Jiraiya«, tadelte Tsunade ernst. »Zudem wurden Mei und Onoki nicht als Kriegsverbrecher verurteilt. Wir haben die Oberhand, das muss uns reichen. Direktes Einsehen in die Angelegenheiten der Verlierermächte ist etwas sehr viel Effektiveres als rohe Gewalt gegen deren Oberhäupter. Es ist diplomatisch auf jeden Fall klüger, die Sache nicht allzu sehr aufzubauschen.«

»Es wundert mich, dass die Entscheidung so schnell kam. Sie hätten die beiden auch jahrelang ohne Verhandlung einsperren können. Kein Hahn hätte danach gekräht.«

»Diplomatie«, erklärte sie schlicht. »In dieser milden Entscheidung liegt die Hoffnung, Kiri könne sich unter einem verträglicheren Führer wieder annähern. Aber ob Iwa jemals gänzlich sein Kriegsbeil mit Suna begraben kann bezweifle ich. Die Devise lautet abwarten. Wer weiß, was nächstes Jahr sein wird?«

Jiraiya gab ihr den Bericht zurück, den er mehr schlecht als recht überflogen hatte. Er hatte als einer der Vertreter Konohas hinter Tsunade gestanden, als diese mit Gaara und A die Verhandlung geführt hatte. Die drei Kage der Siegermächte hatten darauf bestanden, die Entscheidung gemeinsam zu treffen, anstatt die Angelegenheit an einen unabhängigen Kriegsrat zu übergeben. Wenn es eines gab, das sie teilten, dann war es der Wunsch auf neuen Frieden. Als er den Bericht ablegte, fiel Jiraiyas Blick auf die beiden Formulare, die unberührt am Rand des Schreibtisches lagen. »Was ist das?«

»Anträge«, meinte Tsunade knapp. Sie tippte auf das Emblem des Briefkopfes. »Allem Anschein nach wollen Naruto und Sakura zur ANBU.«

»Ach?« Jiraiya hob überrascht eine Augenbraue. Er versuchte zu entscheiden, ob er dieses Gesuch gutheißen sollte oder nicht. Vorteilhaft war es auf alle Fälle. »Wirst du sie bewilligen?«

Die Hokage stieß einen langgezogenen, flachen Seufzer aus. »Vermutlich. Sakura, Naruto, Sasuke und Sai haben das Potential, zusammen alle dagewesenen ANBU Kader zu übertreffen. Gerade jetzt brauchen wir fähige ANBU, denen wir blind vertrauen können. Ganze Teams wurden ausgelöscht und es ist schwierig, geeignete Shinobi für die ANBU zu finden. Ich hätte mir dieses Leben für Sakura zwar nicht ausgesucht, aber es ist ihre Entscheidung. Auch für Naruto. Doch ich habe nicht das Recht, diese Entscheidung zu bewerten. Als Hokage kann ich mir keine besseren Neuzugänge wünschen. Apropos, wo ist Sakura eigentlich? Sie sollte schon vor einer Stunde hier sein.«

Jiraiya zuckte die Schultern. »Vermutlich hält ein wichtiger Patient sie auf.«

Damit lag er gar nicht mal so falsch.
 

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»Hypertensive Retinopathie«, wiederholte Sakura zum vierten Mal, »Und du hast sie mit deiner kopflosen Aktion sogar noch verschlimmert.«

»Du nennst mich kopflos?« Itachi schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Sakura, meine Liebe, du bist allem Anschein nach einer wahnwitzigen Illusion auf den Leim gegangen.«

»So bezeichnet man das also heutzutage, wenn sich ein Shinobi mitten in eine gefährliche Jutsu wirft, um seine Freundin zu retten? Wie konnte ich das nur mit Leichtsinn verwechseln?«

»Im Prinzip war es eine überlegte Aktion«, verbesserte Itachi. »Immerhin habe ich diese Jutsu überlebt.«

»Mit verflucht viel Glück!« Sakura bohrte ihren Zeigefinger in seine Brust, wo er einige Momente lang bedrohlich verweilte. »Du kannst mir nicht einreden, dass das geplant war! Uchiha Itachi-kun, du. warst. kopflos

Er runzelte die Stirn über ihren horrenden Vorwurf. »Darum stufst du mich zu 'kun' ab? Das ist bitter. Ich müsste mir langsam Notizen machen, was ich in deinen Augen alles bin. Wie war das noch gleich? Verschroben, unverschämt genial, arrogant, mit dem pathologischen Drang, Leute zu maßregeln, tadellos und perfekt nicht zu vergessen. Nun auch noch kopflos und leichtsinnig.«

»Trifft es doch auf den Punkt, oder?« Sakura schnaubte und suchte in einer der Arzneischubladen nach einer Blutdruckmanschette. Es war nicht einfach gewesen, eine korrekte Diagnose zu Itachis Mangekyō Sharingan zu stellen. Die letzten Monate hatte sie sich vermehrt dem Krankenhaus gewidmet, um sich darüber klar zu werden, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Sie hatte die Manschette längst gefunden, jedoch weigerte sie sich, zurück an Itachis Untersuchungsbett zu treten. Sie hatte sich heute Morgen ein Versprechen geben: wenn der passende Moment gekommen war, würde sie ihm ihre Pläne mitteilen. Dieser Zeitpunkt war mehr als nur perfekt. Sie wollte nur noch ein wenig länger so tun, als sei alles in Ordnung.

»Sakura?«

Regungslos mit dem Rücken zu ihm zu stehen musste ja seinen Argwohn wecken. Sie wunderte sich, dass er acht Minuten gebraucht hatte. »Bluthochdruck führt zu Spasmen der Blutgefäße. Bei einer hypertensiven Retinopathie kann es infolge dessen zu einem Austritt von Blut in die Netzhaut kommen, wodurch Ischämie entsteht – Sauerstoffmangel. Ich kann es behandeln, aber es ist nicht heilbar. Da es sich nur auf dein Mangekyō Sharingan bezieht, vermute ich, dass deine Augen der erhöhten Blutzirkulation während seiner Aktivität nicht standhalten können, weswegen –«

»Sakura.« Starke Arme legten sich auf ihre Schultern und zwangen sie, sich zu ihrem Besitzer umzudrehen. »Was ist los?«

»Ich gehe zur ANBU«, platzte es aus ihr heraus. Sakura biss sich auf die Lippen. »Das bedeutet, wenn Tsunade-sama es erlaubt.«

Itachi ließ sie los und setzte sich wieder zurück auf den Behandlungstisch, wo sie ihm die Blutdruckmanschette anlegte, um irgendetwas zu tun zu haben. Er schwieg, bis sie mit der ersten Messung fertig war. »Ich bin ehrlich gesagt bloß erstaunt darüber, dass es mich nicht sehr viel mehr überrascht. Du hast den Tod gesehen. Sehr oft in sehr kurzer Zeit über die Abgründe der Menschheit hinausgeschaut. Niemand kann es dir verübeln, dass du einen Weg suchst, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Manche hören auf, Ninjas zu sein. Andere verkriechen sich in sich selbst. Du versuchst es aus dir herauszuarbeiten. Ich kann es dir nachempfinden.«

»So berechenbar bin ich selbst in meiner Unberechenbarkeit, hm?«, murmelte Sakura flach. Ohne ihn anzusehen trug sie den Wert ein und wiederholte die Messung zur Sicherheit. Nicht, dass es nötig gewesen wäre. »Gerade ich, die das Prinzip vertritt, Menschenleben zu retten, anstatt sie zu beenden, bewerbe mich um einen Posten in der Attentätereinheit – nicht bewegen!« Reflexartig drückte sie seine ebenso reflexartig zu ihr hochgeschnellte Hand nach unten. Sie wollte die Messung kein zweites Mal wiederholen.

»Es hat wenig mit Berechenbarkeit zu tun. Ich maße mir bloß an, dich mittlerweile zu kennen. Du bist nicht gerade ein offenes Buch und sogar der Titel ist schon schwer zu entziffern, aber ich habe gelernt, deine unordentliche Schmierschrift zu dechiffrieren. Zumindest in Teilen. Sakura, ich möchte nicht arrogant klingen, wenn ich das sage: du bist völlig anders als ich. Unbeherrscht, launisch, emotional, aufregend.« Ungeachtet ihres vorhin ausgesprochenen Verbots hob er seine Hand und strich ihr sanft über die Wange.

Sakura wollte seine Hand wegwischen. Seine Wärme, seine Nähe, sein Duft, alles schmerzte, weil sie eines wusste: »Du bist der Klanerbe. Irgendwann wirst du das Oberhaupt, dann wirst du eine passende Frau heiraten, mit ihr einen neue Erben zeugen und dein Leben leben.«

Er legte seine zweite Hand auf ihre Wange, stand auf und küsste sie sanft auf ihre Lippen.

»Hör auf«, wisperte sie, küsste ihn jedoch zurück. Leidenschaftlicher, ehe sie sich besann. Darum hatte sie sich gefürchtet, ihm ihr Vorhaben zu gestehen; weil sie wusste, dass sie damit eine Zukunft mit ihm aufgab; auch nur die kleinste Chance, an seiner Seite zu bleiben aufgab. »Ich kann nicht diese Frau sein. Mein Shinobileben bedeutet mir so viel, dass ich es niemals aufgeben werde, schon gar nicht für eine Familie.«

»Wer hat jemals behauptet, ich würde dich als diese Frau haben wollen, Sakura?«

Bittere Tränen stiegen in ihr auf. Sie wusste, was kommen würde. Und doch konnte sie  es nicht bereuen. Es war ihr Weg und wenn er nicht dazu passte, musste diese Beziehung – diese berauschende, wunderbare Beziehung – ein Ende finden. Ein normales Leben kam einfach nicht mehr infrage. »Das ist ein Abschied, ja?«

Itachis seichtes Lachen ließ ihr Herz zusammenkrampfen. Ihn auch noch Amüsement darüber empfinden zu sehen, war schmerzhafter als der Abschied an sich. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht für immer sein konnte, darum konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. Wann endete eine solche Romanze jemals gut?

»Sakura«, erreichte seine sanft tadelnde Stimme sie. »Soll ich beleidigt sein, weil du so schlecht von mir denkst? Ich habe mich nicht in dich verliebt, weil ich dich als Ehefrau und Mutter meiner Kinder an meiner Seite haben möchte. Ganz im Gegenteil: ich liebe dich, weil du alles bist, was ich nicht bin. Weil ich den Weg, den ich mit dir gehe, nicht alleine gehen kann. Du machst mich menschlicher, vielleicht auch kopfloser, aber ganz sicher mehr zu dem Menschen, der ich sein möchte.«

»Menschlicher, hm?«, wiederholte sie lächelnd. Die aufkommenden Tränen waren versiegt. »Trotzdem musst du irgendwann eine Familie haben, damit deine Blutlinie den Klan weiter führen kann.«

»Du denkst viel zu schnell, Sakura.« Erneut hatte seine Stimme etwas Tadelndes. Sie küsste es mit einem hauchzarten Kuss weg. Itachi schüttelte den Kopf über ihre offensichtliche Erleichterung. »Viel zu schnell. Den Klan kann ich auch ohne eine Frau führen und was Nachkommen betrifft …«

Sakura hob eine Augenbraue, als sie seine Hand spürte, die ihr Schulterblatt entlang nach unten wanderte und an ihrer Hüfte stoppte.

»… wird Sasuke schon irgendwann eine nette Frau finden, mit der er einen Neffen produziert, den ich nach Herzenslust verziehen kann.«

Sie lachte laut über den Gedanken, Sasuke könne irgendwann Kinder haben. Dieser Tag schien in weiter, weiter Ferne. So wie alles andere, das ihr Sorgen bereitete. Itachi hatte recht, sie dachte zu schnell. Was heute war, war fest, und auch morgen würden sie noch zusammen sein. Und übermorgen und überübermorgen. Und was danach kam, war noch so weit weg. Für heute war alles gut.

»Ich bin erleichtert. Es wäre wirklich nervig gewesen, seinen Ex-Freund regelmäßig in Behandlung haben zu müssen. Zufällig bin ich nämlich die einzige Iryōnin in Konohagakure, die hypertensive Retinopathie behandeln kann. Stell dir nur vor, wie furchtbar unangenehm es gewesen wäre, bis ich endlich jemand anderes dafür eingeschult hätte! Das würde Monate dauern!«

Zum wiederholten Mal schüttelte Itachi seinen Kopf. Er ließ sich auf den Behandlungstisch zurücksinken und nahm sich selbstständig die überflüssig gewordenen Manschette ab. »Im Nachhinein mutet das fast wie Erpressung an.«

Sakura pfiff unschuldig durch die Zähne. Ihre gute Laune war hell genug für sie beide. Sie würde in Itachi niemals den Strahlemann finden, den sie sich als kleines Mädchen als Mann gewünscht hätte. Auch nicht den hingebungsvollen Romantiker. Dafür hatte sie etwas Echteres gefunden, etwas Wahres. Etwas, das sich trotz Itachis vieler charakterlicher Mängel richtig anfühlte. Was hätte sie sich mehr wünschen können? Sie legte ihm die Manschette unter seinen protestierenden Blicken erneut um – wenn sie ihn schon einmal hier hatte, würde sie ihm die volle Prozedur abverlangen. Das nächste Mal hatten sie gewiss Besseres zu tun als eine langwierige Untersuchung durchzuführen.

Wer wusste schon, was die Zukunft brachte? Vielleicht wurde sie dem Job bei der ANBU wirklich irgendwann überdrüssig, gewann ihr Vertrauen in das Gute zurück, wenn sie nur lange genug suchte. Vielleicht.

Aber selbst, wenn nicht, sie hatte Itachi. Komme was wolle.

 
 

.:: E N D E ::.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und da wären wir, am Ende einer unnötig langen fanfic. Ich hoffe, ihr hattet ein paar (viele) unterhaltsame Stunden. Fanfics sind etwas sehr Besonderes für mich und werden es immer bleiben. Und auch wenn ich mittlerweile nicht mehr im Naruto-fandom aktiv bin, werde ich diese vielen Jahre immer in besonderer Erinnerung behalten. Die Serie und das fandom haben mich fast ein Jahrzehnt begleitet, während ich erwachsen geworden bin. Ich hoffe, mit dieser Geschichte etwas im fandom zurückzulassen, das euch noch lange Zeit Freude bereitet.

Vielen Dank für's Lesen!

Mein besonderer Dank gilt Pamina, die mich in den letzten Kapiteln als hervorragende, unkomplizierte und zuverlässige Beta-Leserin begleitet hat, und Dark-san, deren Kommentare immer etwas ganz Besonderes für mich waren.

Machts gut,
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Von:  Itachi89
2020-03-04T20:55:20+00:00 04.03.2020 21:55
Tolle FF.
Hab sie fast am Stück gelesen :)
Du hast einen tollen Schreibstil, man kann sich richtig in alles hineinversetzen.
Lg
Von:  MiezMiez
2019-11-28T19:01:40+00:00 28.11.2019 20:01
Nach langer Zeit lese ich deine Fanfiction wieder...bin nun am überlegen ob ich die nächsten Kapitel gleich weiter lese oder auf die Updates warte. Schwierig...es ist so toll!
Von:  Jinja2
2019-10-24T06:30:42+00:00 24.10.2019 08:30
So Story in einem halbe Tag durchgelesen und jetzt schau ich alle zwei Minuten ob das neue Kapitel schon überarbeitet wurde😅.
Also ich mag und lese eigentlich alle deine FFs, einfach weil ich deinen Schreibstil so liebe und du es schaffst es mich bei jeder Geschichte mit der Handlung zu überraschen und zu fesseln😍😉. Aber diese Story ist echt nochmal was anderes👏🏻.
Zusammenfassend: Love it😍😍😍

Antwort von:  4FIVE
26.10.2019 21:52
Hallo Jinja2!
vielen Dank für das tolle Lob! Ich versuche, so schnell als möglich weiter zu überarbeiten. Ist dank real life gerade nicht so einfach, aber die neuen Kapitel werden kommen!

LG
4FIVE
Von:  -SnowBerry-
2019-10-17T11:53:13+00:00 17.10.2019 13:53
Lese gerade die überarbeitete Kapitel. Liest sich noch besser als die Version.

Bitte nicht aufhören da du ja auch die Handlung leicht abgeändert hast, was nicht schlecht ist, aber wenn man das nächste Kapital liest passt das ja nicht mehr zusammen..

Viele Grüße Snowberry
Antwort von:  4FIVE
17.10.2019 19:39
Hallo -SnowBerry-,
Evenfall wird definitiv weiter überarbeitet, damit sich die Plot-Inkonsistenzen auflösen. Es dauert nur leider immer ein wenig. Ich geb mein Bestes!

Lg
4FIVE
Von:  Caroo
2019-06-12T08:01:10+00:00 12.06.2019 10:01
Ich bin begeistert!! Habe deine Geschichte schon früher gelesen und fand sie super toll! Aber die überarbeiteten Kapitel sind einfach der Wahnsinn, dein Schreibstil ist wirklich gut und ich freue mich schon auf die nächsten Kapitel <3
Von:  Guardian
2019-05-06T09:10:24+00:00 06.05.2019 11:10
Ich liebe das Kapitel 😍 es war leider viel zu schnell gelesen. Es 0asst einfach, die Chemie zwischen Itachi und Sakura. Das gerade Ino diejenige ist, die Sakuras Verliebtheit merkt, finde ich nahc wie vor passend. Und Naruto und Sasuke... 🤣 Ohne Worte. Manchmal wie ein altes Ehepaar
Von:  Guardian
2019-05-03T09:34:31+00:00 03.05.2019 11:34
Huhu, 😍 wirklich toll. Ich liebe dieses Kapitel. Das Hana jedes Haar an Itachi für einen Streber hält ist schon amüsant, da sie zumal die ältere ist, er jedoch der bessere. Und als Sakura am Ende mit Itachi so am Feuer saßen und redeten, das fand ich schön. Zumal er seine Hilfe, wenn auch etwas unsicher, anbietet - süß. Sicher, Sakura ihren Albtraum möchte ich nicht haben. Freue mich schon auf das nächste Kapitel. Lg
Von:  Guardian
2019-04-22T19:30:30+00:00 22.04.2019 21:30
Sehr gut. Team 7 hätte nicht chaotischer sein können und doch war es sehr realistisch und zumal immer wieder erstaunlich, das sie die Uchihas durchsetzen, wie hier eben Sasuke. Möchtegern Chef xD Aber süß fand ich Itachi, wie er ganz dezent die dreien zurechtwies und klarstellte, wie es eigentlich luafen sollte :) und auch das Gesüräch am Lagerfeuer mit Sakura. Ach hoffentlich gehts bald richitg los und die zwei werden nich einige interaktionen haben. Auch schlußendlich die Gedanken, die Itachi hatte, was er an informationen an Sakura weiterleiten würde. Sehr gut :D Ahh ich warte jetzt gespannt, wie es weiter gehen wird. Freue mich sehr, wenn es weiter geht. Liebe Grüße
 
p.s
 
»Und da hat sich eure Route zufällig mit unserer überschnitten?«, fragte Sakura wenig überzeugt. Arbeit. Das war wenigstens besser als Itachis Tadel.
»Kein Zufall. Wir sind deinetwegen hier, Sakura.«
 
Würde Itachi Sakura nicht mit sensei oder san adressieren? Oder war das absicht?
Von:  Guardian
2019-04-22T18:49:54+00:00 22.04.2019 20:49
Hey :D
 
Endlich konnte ich weiter an deinem Kapitel lesen. Hier hat mir besonders gut Gefallen, wie Sakura und Sasuke ein fast klärendes Gespräch führten. Ab er auch nur fast, und ebenso die Einsicht, das Sasuke nicht alleinig Schuld ist für das auseinanderbrechen von Team 7. Hat eigentlich nur noch Naruto gefehlt xD kommt sicher aber noch. Ebenso amüsant, wenn auch kurz, war die Situation mit dem Salat :)
 
Was ich auch begrüßte, war Tsunade und ihren politischen Eifer und Gedankengang. Sehr sehr gut fand ich auch, das hier nicht Itachi persönlich Tsunade vorführte und zur Erlärung brachte, warum Team 7 reanimiert gehört. Ach, ich bin sehr gespannt was im nächsten Kapitel steht.. ich les gleich weiter
 
 
 
Von:  Guardian
2019-04-19T12:00:52+00:00 19.04.2019 14:00
Huhu, endlich schaffe ich es, deinen Story erneut weiter zu verfolgen und ich bin noich immer begeistert. Deine FF Ist und bleibt mit abstand mit die beste und liebste Story mit Itachi und Sakura. Hier in diesem Kapitel kommt die Trunkenheit um einiges besser zur Geltung und amüsierte mich sehr :D Mich iritierte bloß, das Sakura genau wusste, das sie zwanzig Minuten bei Saske war, ehe sie nach draußen ging und den Mond sah. Wieso hatte Itachi nicht eher nach ihr oder eher nach seinem Bruder gesehen? Das Gespräch das Itachi und Sakura dann in dem Garten führen fanmd ich sehr schön, auch die Gedankengänge von Sakura, die für eine halb besoffene sehr gut waren. Ihr Chakra hätt' ich gerne xD
Auch die interaktion mit Itachi und seiner Mutter war schön und normal, das es fast schon untypisch für einen Shinobi wirkte, jedoch fand ich die Szene sehr passend und vor allem nötig, damit man aufzeigen kann, wie normal so mancher Uchiha doch war.
 
Das einige was ich bisher vermisst habe ich die Freundschaft oder zumindet einige Szenen in dennen Shisui und Itachi interaggieren oder zumindest gemeinsam unternehmen. Itachis liebe zu Sasuke ist klar, aber eine Freudschaft zu seinem sonstiges antisozialverhalten wäre schön :)
 
 
 
Hier ein kleiner Fehler, den ich entdeckt hatte:
Hier fehlt bei Sakuras Rede am Ende ein "«"
 
»Das war doch pure Absicht«, meinte sie nicht minder trocken, wenn auch nicht annähernd so nüchtern. »Ist Leute zu erschrecken eines deiner verborgenen Hobbies, Itachi-san?
Er sah sie abschätzig an.
 
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Vielleicht klingt hier zerstückel oder zerstückle besser? Ist nur für mich subjektiv einfacher zu lesen.
 
»Vergiss es. Drei Meter Abstand jetzt, sonst zerstückele ich dich mit meinem Katana in dreiundvierzig feinsäuberlich getrennte Einzelportionen – eine für jeden Monat, den du mir schon auf den Geist gehst!«
»Du bist so herzlos«, kommentierte er ihre Drohgebärde. Gespielt niedergeschlagen verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und sah in den klaren Morgenhimmel, auf dem eine einzige Wolke die heitere Stimmung störte.
 
 
Im gesamten jedoch, liebe ist dein Kapitel und freue mich jetzt auf die nächsten beiden Parts. Und danke noch für die Ens. Schönen Freitag noch. LG
 


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