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Das Todesspiel

Fortsetzung zu "Das Grauen"
von

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Wiedersehen mit Oliver

Der Abschied war Beyond wirklich nicht leicht gefallen und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte Rumikos Bitte nachgegeben, ihr nach Finnland zu folgen. Besonders, da er jetzt in Winchester und damit nur wenige Kilometer von diesem verhassten Waisenhaus entfernt war. Aber bevor er nicht herausgefunden hatte, wer Nummer 14 war und was für ein hinterhältiges Spiel er spielte, konnte er keinen Neuanfang machen. Würde er nämlich einfach das Feld räumen, hätte es vielleicht damit enden können, dass dieser Kerl Rumiko etwas angetan hätte. Und das konnte er nicht verantworten. Seine einzige Hoffnung war, in Winchester irgendwelche Antworten zu finden, auch wenn es sicherlich nicht viel bringen würde. Denn das Waisenhaus hatte er mit 15 Jahren verlassen, nachdem A Selbstmord begangen hatte. Und außer diesem Illusionisten Fear mit dem Gruselauge hatte er sonst nicht viele Kontakte gepflegt. Vielleicht fand er bei Roger ein paar Antworten, wenn er ihn ein wenig in die Mangel nahm. Es musste einfach jemanden im Waisenhaus gegeben haben, der einen Hang zu Mord und Intrigen hatte.

Zurzeit bewohnte er ein Apartment, das er für wenig Geld gemietet hatte und das seinen äußert geringen Ansprüchen genügte. Kurz nachdem er seine Sachen ausgepackt hatte, suchte er einen Supermarkt auf und sorgte erst einmal dafür, dass genügend Erdbeermarmelade da war. Wieder zurück kochte er sich einen Kaffee und holte seinen Laptop heraus. Er hatte Rumiko versprochen, ihr zu schreiben, sobald er in Winchester angekommen war und sie wollte ihm schon mal die Fotos von der Farm schicken. Tatsächlich brauchte er nicht lange zu warten, als Rumiko den Chatroom betrat und sich nach seinem Flug erkundigte. Wie immer beklagte sich Beyond darüber, dass zwischen den Sitzen zu wenig Platz war und seine Beine ständig eingeklemmt wurden. Das gleiche Problem hatte sie als fast 190cm große Frau übrigens auch. Sie war zwei Tage früher mit ihrer großen Liebe, dem 19-jährigen und sieben Jahre jüngeren Faith und der adoptierten Madeline Grey abgereist und war nun dabei, sich auf dem Land einzuleben. Sie hatte versprochen, Beyond freie Hand zu lassen und ihn nicht abzuhalten und dafür würde sie alles für seine Ankunft vorbereiten. So war der Deal. Dabei ging es Beyond nicht nur darum, seine Ruhe zu haben. Nein, er wollte auch Außenstehende nicht in diese Sache mit reinziehen. Rumiko, Faith und Madeline hatten schon durch die Bedrohung des Slender Man genug durchmachen müssen, da wollte er sie nicht mit einer persönlichen Angelegenheit belasten.

„Wir haben uns schon mit den Nachbarn bekannt gemacht, die ebenfalls eine Farm besitzen und Schafe züchten. Sehr nette Leute, sie können gut Englisch sprechen und sind sehr solidarisch. Sollten wir mal Schwierigkeiten haben, hätten wir schon mal eine Adresse. Es ist eine sehr nette Familie, Madeline versteht sich gut mit der Tochter und hat sich mit ihr zum Spielen verabredet. Sie kommt immer mehr aus sich heraus und auch Faith scheint seine Angst vor anderen Menschen zu verlieren. Wie sieht es bei dir aus?“

„Ich hab mir ein Apartment gemietet. Vielleicht werde ich heute Nachmittag im Waisenhaus vorbeischauen. Würde mir ehrlich gesagt diese Tour ersparen, ich hasse nämlich die Leute dort. Du weißt, was dort wirklich von statten geht und wie ich über die Sache denke. Aber würde es die Situation nicht erfordern, dann würde ich einen großen Bogen um Winchester machen.“

Beyond hasste das Waisenhaus, das war Realität. Er hatte es ab dem Zeitpunkt gehasst, an dem man ihm seine Vergangenheit, seinen Namen und seine Existenz nahm, ohne dass er etwas dagegen sagen konnte. Und er hatte es ab dem Zeitpunkt abgrundtief verachtet, als A den Leistungsdruck nicht mehr ertragen hatte, daraufhin Selbstmord beging und er einfach als Ersatz gewählt wurde. Da war ihm klar geworden, dass man ihn nicht mehr als ein eigenständiges Individuum ansah, sondern nur als eine billige Kopie, die jederzeit ersetzt werden konnte. Oh wie verachtete er Watari für all das und wie sehr hasste er L allein dafür, dass er da war. Hätte es diesen Phantomdetektiven nicht gegeben, dann hätte er nicht sieben Jahre lang eine schwere Identitätskrise gehabt und er hätte auch nicht die Mordserie in Los Angeles begangen. Dabei wollte er beweisen, dass L kein perfekter Mensch war und dass er selbst KEINE Kopie war. Und Wammys House war nichts weiter als das Produkt der kranken Fantasie eines fanatischen Wissenschaftlers. Eine Versuchsanstalt, die an Kindern herumexperimentierte. Durch strengste Erziehung sollten sie zu L’s herangezüchtet werden. Und die Abgänger, die zum Kreis der „26“ gehörten und Buchstaben trugen, waren doch nichts Weiteres als fehlgeschlagene Experimente, misslungene Kopien. Und genau das wollte er damals einfach nicht akzeptieren. Er wollte kein Versuchskaninchen und auch keine fehlerhafte Kopie eines Menschen sein, den er noch nicht einmal kannte. Deswegen hatte er Roger damals ins Gesicht gesagt „Aus einem B lässt sich nun mal kein beschissenes L machen!“ und war abgehauen. Und L hatte auch noch die Frechheit besessen, A’s Selbstmord einfach zu ignorieren und ihn, Beyond Birthday, einfach als Ersatz zu nehmen und ihn zum neuen Spitzenkandidaten für die Nachfolge zu ernennen. Sie alle hatten einfach getan, als wäre nichts gewesen. Jeder von ihnen hatte einfach über A’s Selbstmord hinweggesehen und so getan, als hätte es ihn nie gegeben. Zwar gab es eine Beerdigung und eine Trauerfeier, aber kaum lag sein bester Freund unter der Erde, da spielten alle Kinder weiterhin munter im Garten und lachten ausgelassen, als wäre es bloß eine Lappalie. Das war in seinen Augen einfach nur krank und verachtenswert. Und ihn hatte man zu einem Psychologen geschickt, der ihn wie einen Schwerkranken behandelte, so als gehöre er in die Klapsmühle. Dabei war er der Einzige gewesen, der sich normal verhalten hatte. Er hatte A’s Tod betrauert, sich während der Trauerzeit zurückgezogen und seiner gedacht, während die anderen Kindern wenige Stunden nach der Beerdigung Fußball spielten und ausgelassen lachten. Der Psychologe hätte besser die untersucht und nicht ihn. Und als er sah, wie alle über A’s Tod hinweggingen, als wäre es nur der Tod eines Insekts gewesen, da hatte er nur noch abgrundtiefen Hass für jeden von ihnen übrig. Und hätte er das Waisenhaus nicht über Nacht fluchtartig verlassen, dann wäre noch ein schweres Unglück geschehen. Doch anstatt, dass sich L nach all den Jahren bei ihm entschuldigte, erdreistete dieser sich auch noch, ihn einzusperren wie einen Kriminellen. Okay, er hatte drei Menschen umgebracht, aber er hätte doch zumindest das Gespräch mit ihm aufsuchen können, anstatt ihn durch eine suspendierte FBI Agentin verhaften zu lassen. Das hatte ihm bewiesen, dass L allem Anschein nach kein fühlendes Herz besaß und ihm Menschenleben nicht das Geringste bedeuteten. Mit solch einem Menschen konnte man einfach nicht reden. Und wenn es mit der Ausbildung zum Nachfolger bedeutet hätte, dass man die Wertschätzung von Menschenleben verliert und diese nur als Schachfiguren in einem Spiel betrachtete, dann war Beyond lieber ein Krimineller. Er hatte Menschen getötet, aber das hieß nicht, dass er keine Achtung vor Menschenleben besaß. Sonst hätte er genauso gut Rumiko in den Tod gehen lassen können, als sie sich bereit erklärt hatte, sich zu opfern. Dann hätte er nicht nachgegeben und sich dafür entschieden, ihren Platz einzunehmen. Er war nicht so wie L und darauf war er stolz. Er wollte NIEMAL so skrupellos, rücksichtslos, feige und selbstsüchtig werden wie er.

Ein Geräusch vom Laptop her signalisierte ihm, dass Rumiko antwortete.

„Du musst ja auch nicht für immer dort bleiben und mit L, Watari oder Roger Frieden schließen. Du kehrst ja nicht zu ihnen zurück, sondern bist ein freier Mann. Ich bin mir sicher, du schaffst das schon. Viel Glück, ich muss jetzt aufhören zu schreiben. Wir müssen uns um die Hunde kümmern.“

„Grüß die anderen von mir.“

Damit schloss er das Fenster und wollte gerade die Suchmaschine öffnen, um etwas nachzusuchen, da wurde plötzlich der Bildschirm weiß und ein schwarzes altenglisches „O“ erschien. Es war Oliver, ein alter Bekannter von ihm, mit dem er sich sogar recht gut verstanden hatte. Seine Stimme ertönte durch die Lautsprecher. „Hey B altes Haus, was verschlägt dich denn nach Winchester?“

„Oliver, musstest du dich extra in meinen Laptop hacken?“

„Keine Sorge, ich hab deine Schmuddelvideos nicht angeguckt.“

„Scherzbold. Bist du gerade ebenfalls hier?“

„Na klar, ich mach zurzeit Urlaub und wollte eigentlich zusammen mit den anderen die Fertigstellung des Hackschlüssels feiern. Aber wie es scheint, hat so gut wie niemand Zeit. Hast du schon was vor? Wollen wir uns nachher im Pub treffen und über alte Zeiten plaudern? Dann muss ich nicht allein feiern.“

„Gerne. Sagen wir um fünf? Und sei bitte das nächste Mal so nett und benutz das Telefon.“ Damit erlosch das Bild und Beyond hatte wieder vollen Zugriff auf seinen Laptop. Er konnte nicht anders als zu schmunzeln. Ausgerechnet Oliver war der Erste, der sich bei ihm meldete. Der wohl gefährlichste Hacker der Welt, der für eine Softwarefirma als Programmierer arbeitete und in einer anonymen Hackergruppe tätig war, die ihre Fähigkeiten nutzten um Cyberkriminelle zu schnappen. Angefangen von Onlinebetrügern, Diebstählen bis hin zu Kinderschändern, Datendieben und anderen Verbrechern im weltweiten Netz. Ihm hatte Beyond seine Computerkenntnisse zu verdanken und mit ihm hatte er sich fast genauso gut verstanden wie mit A. Vielleicht war es ja ganz gut so, dass Oliver sich bei ihm gemeldet hatte. Er könnte ihn ja fragen, ob ihm etwas einfiel, was damals im Waisenhaus passiert war. Seine eigenen Erinnerungen waren ein wenig… lückenhaft und es fiel ihm schwer, sich an Zusammenhänge zu erinnern. Vielleicht konnte sich Oliver an mehr erinnern und wer weiß. Vielleicht hatte er sogar eine Ahnung, wer hinter „Nummer 14“ stecken könnte. Man sollte keine Chance ungenutzt lassen, egal wie klein sie auch war.
 

Da Beyond nichts Weiteres vorhatte und seinen Abstecher zum Waisenhaus lieber auf morgen verschieben wollte, ging er bereits um halb fünf los und machte sich auf dem Weg zu „O’ Malleys“ Pub, wo um diese Zeit noch nicht viel los war. Dort bestellte er sich ein Bier, setzte sich in eine gemütliche Ecke und wartete dort auf Oliver. Auch dieser kam ein wenig früher als verabredet, nur knapp eine Viertelstunde später. Er sah gut aus, besonders da er diese furchtbar peinliche Brille von damals durch Kontaktlinsen ersetzt hatte. Sein Haar, das ein wenig ins rot überging, war länger geworden und zudem war er um einiges besser gekleidet als Beyond. Gut gelaunt begrüßte er ihn und bestellte sich erst mal ein Bier. „Mensch Beyond, du hast dich echt kein Stück verändert seit damals. Bist nur älter geworden.“ „Ich hätte dich fast gar nicht wiedererkannt Oliver, schön dich zu sehen.“ Mit dieser herzlichen Begrüßung war das Eis getaut und Oliver, der mit richtigem Namen Othan Ohlew hieß, begann munter zu erzählen, was er aus sich in den letzten Jahren gemacht hatte und wie es den anderen aus dem Kreis der „26“ ging. Gemeint damit waren die Buchstaben, die eine ähnliche Funktion wie L erfüllten und zur absoluten Elite gehörten. Jeder im Waisenhaus arbeitete daraufhin, irgendwann mal zu den „26“ zu gehören. Allerdings waren es im Grunde nur 25, denn nach dem tragischen Selbstmord von A wurde dieser Buchstabe nicht mehr vergeben. Und obwohl Beyond eine kriminelle Laufbahn eingeschlagen hatte, wurde ihm der „Titel“ nicht aberkannt und somit gehörte er offiziell immer noch zum Kreis der 26. Dabei war es ihm herzlich egal, die meisten hasste er sowieso, außer natürlich Oliver. Dieser war auch der Einzige, der überhaupt keine Energie und Motivation an den Tag legte, L irgendwann zu ersetzen. Diese Haltung hatte sich deutlich in seinen Noten widergespiegelt und er war derjenige mit dem schlechtesten Durchschnitt in der Klasse gewesen. Als man ihn deswegen schon gefragt hatte, da hatte er einfach geantwortet „Ich will mein eigenes Ding machen und mir ist es scheißegal, wer L ist und wer ihn ersetzen soll.“ Und da Roger und Watari mit dieser Entscheidung einverstanden waren, besserten sich seine Noten wieder und er blieb bis zu seinem 18. Geburtstag im Waisenhaus, um die Kinder in Sachen Computer zu unterrichten. Dann hatte er keine Lust mehr und fing in einer Softwarefirma an. Und mit seinem Job schien er sehr zufrieden sein, denn wenn er keine Lust mehr auf etwas hatte, hörte er ganz einfach auf, ohne es zu Ende zu führen. Das war Oliver.

„Ich war noch nie wirklich der Typ, der unbedingt zur Elite der 26 gehören wollte, aber im Nachhinein fand ich meinen Buchstaben echt cool. Nicht nur, dass das der Anfangsbuchstabe meines Namens ist, er trägt auch die Bedeutung „Operator“. Echt passend, findest du nicht?“

„Buchstaben machen einen noch lange nicht aus. Mich hat so was nie gekümmert.“

„Was bedeutet eigentlich dein Buchstabe?“

„Keine Ahnung. Ich hab das Waisenhaus verlassen, als man mich zu B gemacht hat. Es ist mir auch völlig egal, was die Buchstaben bedeuten.“

„Echt? Hast du dich denn nie gefragt, wofür das L eigentlich steht?“

„Muss ich das wissen?“ fragte Beyond mit betont genervter Stimme, weil er überhaupt keine Lust hatte, ausgerechnet heute über L zu sprechen. Doch Oliver sah nicht danach aus, als wolle er lieber den Mund halten. Nein, er wollte seine Antwort endlich loswerden. „Das L steht für Law, also für das Gesetz und gleichzeitig für Lie, die Lüge. L verkörpert also den Widerspruch, weil er auf der einen Seite für Gerechtigkeit kämpft, aber gleichzeitig auch kriminelle Methoden anwendet, um sein Ziel zu erreichen. Es steht aber auch für Legacy, das Erbe, das er an uns weitergeben will. Nämlich dass wir die Welt verbessern sollen.“

„Hat A super geholfen…“

Oliver sah Beyond mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck an und schien beunruhigt zu sein. Das entging dem Serienmörder natürlich nicht und deshalb fragte er nach. Oliver sah auf sein Bier und schien ein wenig nervös zu werden. „Weißt du, ich habe über damals nachgedacht. Über seinen Selbstmord und irgendwie hatte ich da so ein komisches Gefühl gehabt. Ich meine, A war ganz und gar nicht der Typ, der Selbstmord begangen hätte. Er war immer so cool drauf gewesen und er hat nicht einmal lernen müssen, trotzdem hatte er stets die volle Punktzahl. Erinnerst du dich noch, wie er während der Halbjahresprüfungen schon nach fünf Minuten rausgegangen war?“ Ja, daran konnte sich Beyond noch genau erinnern. A hatte völlig gelangweilt alles ausgefüllt, ein paar Sätze geschrieben und die Prüfungsbögen wieder abgegeben. Dann hatte er sogar laut gegähnt und gesagt „Ich komm mir vor wie in der Grundschule“ und war dann gegangen. Man hatte wirklich meinen können, er säße nur im Unterricht, allein damit er wenigstens keine Fehlstunden auf dem Zeugnis hatte. Viele der Kinder hatten ihn deswegen für einen ziemlichen Angeber gehalten. „Ehrlich gesagt habe ich mich echt gewundert, warum er aufgrund von Leistungsdruck Selbstmord begehen sollte. Aber vielleicht hatte er ja auch andere Gründe gehabt. Ich meine, es wusste ja niemand, was in seinem Kopf vorgeht.“

„In seinem Kopf ging vieles vor sich, aber sicher nicht das, was Kinder normalerweise im Kopf haben. Ich fand ihn irgendwie unheimlich.“

„Ach was, so ein Blödsinn. Eigentlich wäre dieser F doch der perfekte Kandidat dafür gewesen, dass man vor ihm Angst hat. Weißt du noch, wie er immer in der Ecke gestanden und wirres Zeug vor sich hingefaselt hatte? Und ständig trug er diesen Verband am rechten Auge, trotzdem hat es immer wieder geblutet.“

„Hör mir bloß mit dem auf. Der Kerl hat mich sogar in meinen Alpträumen verfolgt!“ rief Oliver und erschauderte. „Den hätte man besser in die geschlossene Anstalt einweisen sollen. Wäre er nicht so ein genialer Kopf gewesen, hätte Watari das auch sicher gemacht. Er war auch der Einzige mit Einzelzimmer.“

„Kein Wunder. Erinnerst du dich noch an Jacob, der das Pech hatte, sein Zimmergenosse zu sein? Als man ihn fand, war er total verstört gewesen und litt jahrelang unter Verfolgungswahn und Halluzinationen. Der arme Kerl konnte nur unter Medikamenteneinfluss schlafen. Vorletztes Jahr hat er schließlich Selbstmord begangen. Hat sich mit einer Überdosis Schlaftabletten umgebracht.“

„Das musste ja so kommen.“ Sie bestellten sich noch ein zweites Bier und redeten über die besten Momente in Wammys House. Angefangen damit, wie A Chinaböller in die Mülleimer und Briefkästen gelegt hatte und die dann ziemlich heftig geknallt hatten, bis hin zu der Mehlbombenschlacht im Speisesaal. Ja das waren schon lustige Momente gewesen. Und dann fiel Beyond noch eine Anekdote ein, die ihn immer wieder amüsierte. „Weißt du noch, wo A behauptet hat, dass die Kinder mit den schlechtesten Noten zu Hackfleisch verarbeitet würden? Ein paar haben ihm tatsächlich geglaubt.“

„Ja, das war echt der Hammer gewesen. Janice hat sogar gekotzt.“

„A hatte wirklich die besten Streiche auf Lager.“

„Ja, aber er hat auch sehr oft die Grenzen überschritten und dann war es überhaupt nicht mehr lustig. Zum Beispiel, als er sich an Jona gerächt hat, weil dieser aus Versehen seine Tasche kaputt gemacht hat. Ich weiß nicht mehr genau, was A getan hat, aber Jona kam schließlich ins Krankenhaus.“

„Hm, daran kann ich mich gar nicht erinnern. Ich weiß nur, dass A mal einen ziemlich heftigen Anschiss gekriegt hat, weil er ohne Erlaubnis im Chemielabor mit hochgefährlichen Chemikalien experimentiert hat.“

„Ja, da war was gewesen. Ich glaube, er hatte mit Substanzen herumgewerkelt, die hochexplosive Gase freigesetzt hatten. Hätte nicht viel gefehlt und er hätte uns ins Jenseits katapultiert. Er war schon etwas seltsam.“ Schließlich wechselte Oliver nach einer Schweigepause das Thema und erzählte von seiner verflossenen Liebe, einer attraktiven Schauspielerin, die ihn schließlich mit einem Kollegen betrogen hatte und seinem nächsten Projekt, nämlich ein eigenes Spiel zu programmieren. Er redete wie ein Wasserfall während Beyond ihm in aller Seelenruhe zuhörte. Nichts hätte diese Stimmung trüben können, doch dann fragte Oliver plötzlich „Warum bist du eigentlich zurückgekehrt?“

Das Inferno des Zorns

Beyond hatte Oliver sofort durchschaut, als dieser ihn diese unangenehme Frage stellte. Dieser ausgefuchste Kerl hatte die Stimmung mit witzigen Anekdoten gelockert, um ihn gesprächiger zu machen und dann im entscheidenden Moment diese Frage auszusprechen. Und er wusste, dass er jemandem wie Oliver nichts vormachen konnte. Dieser wusste nämlich nur zu gut, wie groß sein Hass auf L und Watari war und wie sehr er die Erziehungsmethoden in Wammys House ablehnte. Darum war es besser, ihm nichts vorzulügen. „Ich werde seit einiger Zeit von einem Typen verfolgt, der sich Nummer 14 nennt. Er kennt mich anscheinend noch aus meiner Zeit in Wammys House und wahrscheinlich ist er hier ebenfalls hingegangen, weil er von A’s Selbstmord weiß. Ich hatte gehofft, hier Informationen zu finden.“

„Was weißt du noch über ihn?“

„So gut wie nichts. Höchstens, dass er gerne Spielchen mit anderen Leuten spielt und sogar einen Menschen ermordet hat. Hast du vom Grinface Killer gehört?“

„Gehört? Natürlich. Ich hab diverse Online Berichte gelesen. Der Kerl ist die reinste Bestie gewesen.“

„Nummer 14 hat es geschafft, ihn zu kidnappen. Er hat ihm das Bein abgehackt, dieses dann in Geschenkpapier eingewickelt, ihn mit Nägeln an die Wand genagelt, mit Alkohol übergossen und dann per Fernschalter eine Vorrichtung ausgelöst, durch die er angezündet wurde. Und das vor meinen Augen. Er wusste nämlich, dass der Grinface Killer ein alter Bekannter von mir war, der früher bei uns in der Nachbarschaft gewohnt hat. Ja und jetzt versuch ich herauszufinden, wer der Kerl ist und warum er Spielchen mit mir spielt.“

„Klingt gefährlich…“, murmelte Oliver und trank noch einen kräftigen Schluck Bier. „Hast du schon einen Verdacht, wer es sein könnte?“ „Tja, ich bin mir nicht sicher. Aber ein viel versprechender Kandidat wäre Fear mit seinem Gruselauge. Dem würde ich ehrlich gesagt fast alles zutrauen. Aber ich brauche mehr Indizien. Und vielleicht finde ich sie im Waisenhaus.“ Schließlich begann Beyond von seiner Zusammenarbeit mit Naomi Misora zu erzählen und wie er zusammen mit ihr Jeff gestellt und ihn mit Mühe außer Gefecht setzen konnte. Nur leider war er nur ins Koma gefallen und recht schnell wieder aufgewacht. Daraufhin hatte er zwei Krankenschwestern getötet und hatte es sich dann zum Hobby gemacht, Beyond und seine Schwester zu verfolgen. Doch selbst der eigentlich tödliche Messerstich ins Herz durch Sam Leens hatte ihn nicht töten können, aber dafür Nummer 14. Dann erzählte er von seinem Kampf gegen den Slender Man, der tragischen Vergangenheit, die zu der Erschaffung dieses Monsters geführt hatte und wie sie es geschafft hatten, den Slender Man zu besiegen. Beyond erzählte alles ausführlich und Oliver hörte ihm interessiert zu. Vor allem ließ er sich gerne den Kampf gegen den Slender Man schildern. Als Beyonds Erzählung sich dem Ende zuneigte, war es schon fast sieben Uhr und sie waren beim dritten Bier angelangt. Oliver sah ihn staunend an. „Wow, du erlebst ja echt die krassesten Sachen.“

„Du glaubst mir?“

„Hey Beyond, du bist nicht der Typ, der sich irgendwelche Fantasiegeschichten ausdenkt. Und so detailliert, wie du das erzählst, kann es gar nicht erfunden sein. Mensch, ich wünschte ich hätte den Slender Man gesehen. Ich wusste, dass er real ist.“

„Und wie er real war. Immerhin hat er mehrmals versucht, mich und meine Adoptivschwester umzubringen.“

„Und wie genau ist er eigentlich erschaffen worden?“

„Die Kinder, die vor langer Zeit starben, waren Totenflüsterer. Sie hatten die Fähigkeit, die Erinnerungen und Emotionen der Verstorbenen, also so genannte Geister zu sehen und sie für ihre Zwecke zu benutzen. Und da ihr Zorn, ihr Hass und ihre Verzweiflung so stark waren, haben sich diese Geister zu einem Wesen manifestiert, das wie eine Art Rachegeist fungiert. Und diese hatte die Gestalt des Slender Man angenommen. Es hätte wirklich nicht viel gefehlt und ich würde mir die Radieschen von unten ansehen. Zum Glück ist alles vorbei. Meine Adoptivschwester hat einen netten Typen kennen gelernt und ein Mädchen adoptiert. Zusammen betreiben sie in Finnland eine kleine Farm und wenn ich die Sache hier geklärt habe, werde ich mich dort auch zur Ruhe setzen.“ Beyond zeigte ihm die Fotos von der Gegend und Oliver zeigte sich begeistert. „Das sieht ja klasse aus. Da hast du Natur bis zum abwinken auch deine Ruhe. Du warst ja früher schon der Typ, der nicht so gerne in einer Großstadt lebt. Ich hingegen könnte nicht einen Tag lang ohne Computer, Fernseher und Internet leben. Im Moment bin ich total süchtig nach gruseligen Internetlegenden- und Horrorgeschichten.“

„Bist du nicht ein wenig zu alt dafür?“

„Damit kann man sich die Zeit vertreiben, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Und Slender Man, Jeff the Killer, username: 666 als auch BEN DROWNED gehören zu meinen größten Lieblingen. Tja und dann kommst du an und sagst, du hättest sowohl Jeff the Killer als Slender Man persönlich getroffen. Mann, ich beneide dich echt.“ Das sagte Oliver mit solch kindlicher Naivität, dass er irgendwie nicht wie ein 24-jähriger wirkte. Eher wie ein 12-jähriger. So war Oliver schon immer gewesen. In der einen Minute war er ein vernünftiges und hochintelligentes Genie mit Visionen und in der nächsten Sekunde ein kleiner Junge, der sofort auf stur schaltete, wenn es um etwas ging, das er nicht wollte. Eine Eigenschaft, die nicht gerade für ihn sprach, aber Beyond hatte gelernt, ihn mit diesen Eigenheiten zu akzeptieren. Immerhin teilte er mit Beyond die gleiche Einstellung zu Wammys House: Sie hatten beide überhaupt keine Motivation dazu, jemand anderes zu werden, der sie zum einen nicht sein wollten und zum anderen nicht werden konnten. Und das verband sie trotz ihrer charakteristischen Unterschiede. Schließlich stellte Beyond seine entscheidende Frage: „Erinnerst du dich vielleicht an jemanden, der bekannt dafür war, hinterhältige Spielchen mit anderen zu treiben? Einen, dem du sogar zutrauen könntest, über Leichen zu gehen?“

Da musste Oliver nicht lange nachdenken und antwortete „Fear. Dem würde ich sogar zutrauen, dass er das ganze englische Königshaus killt.“

„Weißt du, wo er zurzeit ist?“

„Soweit ich weiß, war er zuletzt in Amerika. Er soll aber zurzeit in London sein und als Showillusionist arbeiten. Erinnerst du dich noch, wie er dir und A an den Fersen klebte? Irgendwie hatte er an euch beiden einen Narren gefressen, weiß der Teufel wieso. Den größten Klotz hatte er aber rausgehauen, kurz nachdem du abgehauen bist. Und zwar wurde ihm der Buchstabe I zugeteilt, weil es für „Illusory“ steht. Er ist vollkommen durchgedreht und wollte unbedingt das F haben, weil er seiner Meinung nach mehr die Furcht verkörpere als das Scheinbare. Und als L sagte, dass dieser Buchstabe vergeben sei, wurde Fear plötzlich ganz still. Und kurz darauf wurde F ermordet. Er wurde regelrecht niedergemetzelt und das ist noch untertrieben. Schließlich hat Fear seine Nachfolge angetreten, da er für diesen Mord ein wasserdichtes Alibi hatte. Aber inzwischen glaube ich, dass er sein Dienstmädchen Anne Hartmann als Attentäterin eingesetzt hat.“

„Meinst du etwa dieses seltsame Dienstmädchen, das mit ihm an der russischen Grenze aufgegriffen wurde?“

„Ja, sie folgt ihm wie ein treues Hündchen und ist sowohl sein Dienstmädchen als auch Leibwächterin und Auftragskillerin. Und er hatte schon immer einen Hang für das Bizarre und vor allem Brutale gehabt. Aber da war auch noch A, der ziemlich link und falsch sein konnte, nur leider ist er tot. Als letzte Alternative würde mir Jean Seeker einfallen, der einen ziemlichen Hass auf dich hat, weil du ihm bei einer Auseinandersetzung den Arm gebrochen hast. Aber ich würde eher Fear nominieren.“ Als sie schließlich beim vierten Bier angekommen waren, gingen sie noch ein wenig durch die Straßen um sich abzukühlen. Beyond war bereits ein wenig angeheitert und auch Oliver war deutlich lustiger geworden. Er hatte übrigens auch die witzige Angewohnheit, im angetrunkenen Zustand immer und immer wieder „Schatzi, schenk mir ein Foto“ zu singen. Und leider blieb es nur bei diesem einen Satz. Und Oliver hatte einen so ordentlichen Zug an den Tag gelegt, dass er nicht wie Beyond vier sondern acht Bier intus hatte und schon mehr als nur angeheitert war. Laut singend hatte er sich bei seinem alten Freund eingehackt und rief aus voller Kehle „Schatzi, schenk mir ein Foto!“ Dann begann er so zu lachen, dass er kaum noch Luft bekam und schließlich musste Beyond ihn stützen, da er schon bedrohlich zu wanken begann. Und genau dann begann er völlig sinnloses Zeug zu reden. Mit einem Male fragte er sich, warum plötzlich so viele Laternen da waren und er fand so einen Gefallen an der Ampel, weil diese sogar das Licht wechseln konnte. Beyond entschied sich, ein Taxi zu rufen, damit Oliver zurück ins Hotel kam, doch zuerst mussten sie sich irgendwo hinsetzen. Sonst kippte der arme Kerl noch komplett um und verletzte sich womöglich noch. Irgendwo musste es doch eine Bushaltestelle mit Sitzmöglichkeiten geben. Langsam gingen sie weiter und Beyond versuchte, Oliver genügend Halt zu geben. „Geht’s noch?“ „Na klar geht’s noch. Nur die Straße will offenbar nicht so wirklich.“ Schließlich bogen sie um die Ecke und Beyond erkannte die Straße wieder, die sie nun erreicht hatten. Hier war doch irgendwo das Tor zum Waisenhaus. Und genau dort gab es auch eine Bushaltestelle mit Sitzplätzen. Das traf sich doch wunderbar. „Na komm Oliver, das kurze Stück musst du noch schaffen.“ „Na logo…“

Ein scharfer Wind wehte ihnen ins Gesicht und kühlte Beyonds Gesicht und würde hoffentlich dafür sorgen, dass Oliver wieder nüchtern wurde. Schließlich erreichten sie das Tor und Beyond sah plötzlich ein helles Licht, als würde die Sonne aufgehen. Seltsam. Warum ging plötzlich die Sonne auf, wenn der Mond noch so hoch stand? Außerdem war es nachts. Er blinzelte und sah genauer auf das grelle Licht und erkannte mit Entsetzen, dass es nicht das Licht der aufgehenden Sonne war, sondern das der Hölle. Das Waisenhaus stand komplett in Flammen. Und als auch Oliver das sah, wurde er schlagartig wieder nüchtern und verlor jede Farbe im Gesicht. „Allmächtiger…“ war das Einzige, das er hervorbringen konnte. Einen Augenblick lang standen sie geschockt da und konnten nicht fassen, was sie da sahen. Doch dann fassten sie sich wieder und stürmten durch das Tor die kleine Anhöhe hinauf und rannten zur Eingangstür, die verschlossen war. Sie mussten sich beide dagegenwerfen, damit sie endlich aufging und schon rannten schreiende Kinder nach draußen und manche von ihnen hatten schwere Verletzungen. Ohne auch nur einen Moment zu zögern eilten sie hinein und sahen, dass wirklich überall Feuer war und viele Kinder von den Flammen eingeschlossen waren. Zum Teil krachten schon Teile von oben hinunter und begruben einen der Pädagogen unter sich. Schließlich fand Beyond einen blonden Jungen, dessen Gesicht zur Hälfte verbrannt war und dessen Fuß unter einem Trägerbalken eingeklemmt war. Ein rothaariger Junge versuchte verzweifelt, ihn herauszuziehen und rief um Hilfe. Gemeinsam gelang es ihnen, den Jungen zu befreien und während die Feuerwehr noch auf dem Weg war, retteten sie insgesamt zwölf Kinder aus dem Inferno. Den letzten, den sie vor dem sicheren Tod retten konnten, war ein verstört aussehender kleiner Junge mit schneeweißem Haar, der bereits das Bewusstsein verlor, als er zu viel Rauch eingeatmet hatte. Feuerwehr und Krankenwagen trafen recht schnell ein und mit vereinten Kräften versuchte man, das Inferno zu bekämpfen. Doch es war hoffnungslos. Das Feuer war einfach zu groß und so konnte man nur noch dafür sorgen, dass es sich nicht weiter ausbreitete. Oliver versuchte die völlig verstörten Kinder zu beruhigen, die noch nicht von Sanitätern behandelt wurden, doch Beyond hatte nur Augen für das Feuer. Irgendwie erinnerte es ihn an etwas. Es erinnerte ihn an seine eigenen Worte, als er damals gesagt hatte, als er zu L’s Nachfolger ernannt wurde. Damals hatte er vor versammelter Mannschaft gesagt „Am liebsten würde ich diese beschissene Anstalt bis auf die Grundmauern niederbrennen.“ Und nun hatte jemand seinen ausgesprochenen Wunsch, den er jetzt von ganzem Herzen bereute, erhört und in die Tat umgesetzt. Er hatte das Waisenhaus mit allen, die darin lebten, mit Ausnahme von einer kleinen Zahl Überlebender, bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Beyond stand da und sah zu dem Waisenhaus, bis das Feuer erloschen war und nur noch die verkohlten Trümmer zu sehen waren. Keine Träne und keine Gefühlsregung waren auf seinem erstarrten Gesicht zu sehen. Erst als man nach Überlebenden suchte und nur völlig verkohlte Kinderleichen ins Freie brachte, sank er in die Knie und rang sich einen Schrei der Verzweiflung ab. Insgesamt wurden 90 Kinderleichen geborgen, zusammen mit 12 Leichen, die eindeutig dem Nachtpersonal und den Pädagogen zugeordnet werden konnten. Die Feuerwehr brauchte nicht lange um festzustellen, dass es Brandstiftung war und vorsätzlich alle Türen und Fenster verschlossen worden waren, damit niemand entkommen konnte. Die Zahl der geretteten Kinder belief sich auf 17, jedoch erlagen drei entweder ihren Verletzungen oder ihrer schweren Rauchvergiftung und so betrug die Zahl der Überlebenden gerade mal 14. War das Zufall oder steckte mehr dahinter? Beyond konnte nicht darüber nachdenken, sein Kopf war völlig leer und teilnahmslos starrte er auf die Wand, als er und Oliver ebenfalls ins Krankenhaus gebracht wurden. Alles nahm er wie durch Watte gefiltert wahr und reagierte kaum auf die Stimme des Arztes, der sich nach seinem Befinden erkundigte. Oliver erging es fast genauso, doch war er nicht so neben der Spur wie Beyond. Er berichtete der Polizei, was vorgefallen war und betonte dabei auch, dass das Waisenhaus bereits gebrannt hatte, als er und Beyond das Tor erreicht hatten. Sie beide hatten Glück gehabt und konnten nach einer gründlichen Untersuchung auch wieder gehen. Doch der Schock saß noch sehr tief und keiner von ihnen konnte sich erklären, warum das passiert war.

Sie trafen sich in der Cafeteria des Krankenhauses und schwiegen die meiste Zeit über. Beyond starrte völlig apathisch aus dem Fenster und Oliver wusste nicht so recht, was er denn sagen sollte. Dann aber murmelte er ganz leise „Ich verstehe das nicht….“ Das schienen die einzigen Worte zu sein, die seine Gedanken wiedergeben konnten. „Ich verstehe das nicht. Warum nur ist das passiert?“

„Es war meine Schuld“, sagte Beyond und rührte in seinem Kaffee herum. „Ich hätte damals nicht sagen dürfen, dass ich das Waisenhaus am liebsten abgefackelt hätte. Ich hätte das niemals sagen dürfen!“

„So ein Unsinn. Das hat damit sicher nichts zu tun. Es kann auch ein Zufall gewesen sein.“ „Nein, war es nicht. Ich habe ihn nämlich gesehen. Nummer 14. Ich habe ganz eindeutig eine Gestalt mit einer Maske gesehen, wie sie in dem Film „V wie Vendetta“ getragen wurde. Es war dieselbe Maske, wie er sie in Amerika getragen hatte. Er hat das Waisenhaus meinetwegen niedergebrannt.“ Oliver sah ihn mit einem Ausdruck von gemischten Gefühlen an und es war schwer zu sagen, was er davon hielt. Von Vorwurf war aber nichts zu sehen und er schüttelte den Kopf. „Du darfst dir nicht die Schuld geben. Nicht du hast das getan…. Er will dich nur fertig machen.“ Er sah seinem alten Freund wirklich an, wie sehr er sich diese Tragödie zu Herzen nahm und sich schwere Vorwürfe machte. „Was sollen wir jetzt machen?“

„Ich weiß nicht…“, murmelte Beyond und starrte ins Leere. „Ich kann es nicht sagen….“ Er rührte nicht einmal seinen Kaffee an und war vollkommen neben der Spur. Obwohl er Wammys House immer gehasst hatte, ging ihm diese Tragödie doch sehr nahe. Kein Wunder, wenn hundert unschuldige Menschen gestorben waren und Nummer 14 es nur getan hatte, weil Beyond diesen Wunsch vor Jahren ausgesprochen hatte. Hätte er das damals nur nicht gesagt, dann hätten diese vielen Kinder nicht sterben müssen. Und als er sich dieser schrecklichen Tatsache bewusst wurde, war es so, als würde eine tief verborgene Erinnerung freigelegt werden oder zumindest nur ein winziger Bruchteil. Denn er sah keine Bilder, sondern hörte nur Stimmen. Er hörte laute schmerzerfüllte Schreie. Und da war noch jemand anderes gewesen, der ihm sagte „Du wolltest ihn doch loswerden. Also bring es zu Ende.“ Und dann riss diese Szene ab und er hörte wieder diese Stimme, die ihm so vertraut war. „Wenn du ihn nicht tötest, dann tue ich es!“ Und dann erhob sich ein lautes Stimmengewirr aus Schreien, die dann wieder abbrachen. Er hörte diese eine Stimme nur noch sagen „Lass mich nicht sterben….“ Damals hatte er auch einen verhängnisvollen Wunsch geäußert, an den er sich jedoch nicht mehr erinnern konnte. Damals musste auch jemand sterben. Und er hatte es einfach vergessen. Was war da nur passiert? Wollte Nummer 14 etwa, dass er sich an etwas Bestimmtes erinnerte? So viele Fragen und so wenig Antworten. Beyond fühlte sich im Moment vollkommen hilflos und wusste nicht, was er jetzt tun sollte.

Da Oliver seinen alten Freund nur ungern alleine lassen wollte, begleitete er ihn zu seinem Apartment und versuchte irgendwie mit ihm zu reden. Doch das war einfacher gesagt als getan, denn Beyond gingen diese Alptraumbilder von verbrennenden schreienden Kindern nicht mehr aus dem Kopf. Und die Tatsache, dass das alles nur seinetwegen passiert war, machte es auch nicht einfacher. Egal was Oliver auch sagte, Beyond war der festen Überzeugung, dass es allein seine Schuld war und so musste er sich etwas einfallen lassen. Er holte Beyonds Laptop und versuchte Kontakt zu seiner Adoptivschwester aufzunehmen. Ob es überhaupt etwas brachte, da war er sich nicht ganz so sicher aber Beyond hatte im Waisenhaus hin und wieder von ihr erzählt und er schien ein recht gutes Verhältnis zu ihr zu haben. Vielleicht konnte sie Beyond von seinen Schuldgefühlen befreien. Doch kaum hatte er den Laptop angeschaltet, öffnete sich plötzlich eine Seite. Cleverbot.com. Wirklich seltsam, dachte er sich, als er die Seite sah. Das war ja fast so wie in BEN DROWNED. Aus reiner Neugier schrieb er „Hallo“ und drückte Enter. Wenig später antwortete der Cleverbot und gab eine eher untypische Antwort.

„Hat euch meine Vorstellung denn gefallen?“

„Was meinst du mit Vorstellung?“

„Du weißt was ich meine.“

„Nein.“

„Es war ja auch nicht für dich bestimmt, sondern für Beyond.“

„Dann bist du gar kein Cleverbot?“

„Schlaumeier, was? Ich bin ein alter Freund von Beyond. Und ich wollte mich erkundigen, ob ihm mein Begrüßungsfeuerwerk gefallen hat.“

„Okay, das ist jetzt nicht lustig. Du weißt schon, dass Computer zu hacken illegal ist, nicht wahr? Und außerdem ist das, was du getan hast, unverzeihlich! Warum hast du das getan?“

„Das brauchst du nicht zu wissen.“

„Wer zum Teufel bist du?“

„Sag ich dir nicht.“

„Du elender Dreckskerl. Warte nur, L und Watari werden dich stoppen und dich in der finstersten Gefängniszelle verrotten lassen!“

„Pah, das glaubst du wohl nicht ernst. L und Watari sind ebenso unschuldig wie Beyond und ich.“

„Was meinst du damit?“

„Sie haben euch alle belogen und getäuscht. Und ihr steht immer noch zu ihnen. Das ist wirklich zu amüsant.“

„Wovon sprichst du?“

„Im Waisenhaus gab es einen schrecklichen Vorfall der zum Tod eines Kindes geführt hat. Und L und Watari haben diesen Vorfall vertuscht.“

„Und was hast du vor?“

„Beyond soll mit mir gemeinsam das beenden, was wir begonnen haben: Das siebte Requiem erklingen zu lassen.“

„Was soll das bedeuten?“
 

Doch in dem Moment schloss sich das Fenster und der Dialog war damit beendet. Mit einem wütenden Aufschrei schaltete Oliver den Laptop wieder aus und war froh, dass dieser Nummer 14 im Moment nicht in der Nähe war. Denn sonst hätte er ihn eigenhändig erwürgt!

Der Aufschrei der 26

Als Beyond nach einer schier endlosen Nacht aufwachte, fand er Oliver mit seinem Laptop auf dem Boden sitzend vor und wie er ein Mikrofon anschloss. Verschlafen rieb er sich die Augen und setzte sich auf. „Was machst du da?“

„Sorry, aber hier hab ich die beste Verbindung. Die anderen der „26“ haben eine Krisensitzung einberufen und da muss ich eben teilnehmen. Es geht sicher um den Brandanschlag auf Wammys House.“ „Meine Einladung haben sie wohl vergessen….“ Oliver sah ihn nur mit entschuldigender Miene an und lächelte beschämt. Beyond seufzte und verschwand ins Badezimmer. „Schon okay. Ich weiß, dass die mich nicht ausstehen können. Ich will von diesen Snobs auch nichts wissen.“ Doch Oliver war sich nicht so ganz sicher, ob das auch wirklich die ganze Wahrheit war. Er kannte Beyond zwar nur von früher her, aber er erinnerte sich noch sehr gut, wie gemein die anderen zu ihm gewesen waren. Sie hatten ihn wie einen Außenseiter behandelt, genauso wie Fear und A. Wahrscheinlich war das der Grund, warum die drei so gut zusammengehalten haben. Man hatte sie das Horror-Trio genannt. Wobei, wenn Oliver sich so richtig zurückerinnerte, war es eine wirklich seltsame Beziehung zwischen den dreien gewesen. A und Beyond waren die engsten Freunde, fast so wie Brüder und sie hatten immer zusammen abgehangen. A und Fear hatten da schon ein komplizierteres Verhältnis. Man konnte sie am besten mit einem Sado-Maso Pärchen vergleichen. Fear ließ sich gerne von A herumschubsen und klebte an ihm und Beyond wie Kaugummi an der Schuhsohle. Dabei war es nicht einmal richtige Freundschaft. Nein er bewunderte sie viel mehr und redete sich wahrscheinlich nur ein, dass es überhaupt eine Freundschaft zwischen ihm und den beiden gab. Im Grunde war Fear eigentlich zu bemitleiden, weil er so etwas mit sich machen ließ.

Oliver gab den Code ein, der ihn von der „Konferenz“ trennte, die von einem der Buchstaben einberufen wurde. Es war bis jetzt noch nie vorgekommen, dass die „26“ eine Versammlung abhielten und das zeigte, dass die Lage wohl ernster war als gedacht. Wahrscheinlich glaubten sie, dass der Anschlag eine Art Kriegserklärung gegen Watari war, der es vor Jahrzehnten selbst aufgebaut hatte. Und sicher hatten sie Beyond in Verdacht, weil dieser sie alle hasste. Dabei waren sie diejenigen gewesen, die ihm seine Zeit im Waisenhaus erschwert haben. Fast jeder der 26 hatte sich eingeloggt, mit der Ausnahme von M und N, die noch mit Verbrennungen und einer Rauchvergiftung im Krankenhaus lagen, K war erst letztes Jahr bei einem Bioterroranschlag ums Leben gekommen und L und Watari nahmen nicht teil (was ihnen überhaupt nicht ähnlich sah). Schließlich wurde die Sitzung von H, der engsten Vertrauten von L, für eröffnet erklärt und J, der wohl erfolgreichste Staatsanwalt der Welt, verlas die Punkte, die nun besprochen werden sollten. Tatsächlich ging es hauptsächlich um die Brandstiftung, bei der es offensichtlich Ziel gewesen war, die Kinder zu töten, da sowohl Türen und Fenster verschlossen waren. Es dauerte nicht lange, da begann eine heftige Diskussion. Oliver hielt sich vorerst zurück und wollte erst einmal verfolgen, wie sich das Ganze entwickeln würde. Nachdem alle wild durcheinander redeten, schaffte es C, sich Gehör zu verschaffen. C war neben J und H die Jüngste und arbeitete bei einem Bombenentschärfungskommando, das unabhängig auf der ganzen Welt Blindgänger entschärfte und Anschläge in Krisengebieten vereitelte. Dadurch hatte sich C einen sehr hohen Grad an Respekt verschaffen können. „Dieser Anschlag galt nicht nur Watari, sondern auch uns. Wer auch immer das getan hat, es muss jemand sein, der um die Bedeutung des Waisenhauses weiß! Das war keine gewöhnliche Brandstiftung. Es ging gezielt um die Tötung der Kinder.“

„Was ist wenn er dahintersteckt?“ warf E vorsichtig ein und sofort erhielt sie einen saftigen Konter von G. „Das ist doch lächerlich. Wir sollten bei Tatsachen bleiben und nicht irgendwelchen Geistern hinterherjagen.“

„Und was wenn er es ist?“ meldete sich überraschenderweise F, der sich bis jetzt noch kein einziges Mal zu Worte gemeldet hatte. „Wenn wirklich jene Person dahintersteckt, dann sind die Kinder nicht die Einzigen, die bluten werden. Er wird uns alle töten.“

„Von wem sprecht ihr da eigentlich?“ fragte Oliver nach und versuchte die anderen zum Schweigen zu bringen. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sie alle etwas verschwiegen und dass es nicht gerade eine Kleinigkeit war, das sie geheim hielten. „Von wem zum Teufel sprecht ihr da?“

„Du kannst dich zum Glück nicht mehr daran erinnern, was passiert ist, O“, sagte E mit ängstlich zitternder Stimme. „Damals wäre jemand aus unserer Reihe fast getötet worden. Es war schrecklich.“

„Aber er lebt nicht mehr und deswegen ist diese Geschichte nicht von Bedeutung“, sagte Z schließlich in einem kühlen und sachlichen Ton und schaffte es, wieder Ordnung zu bringen. „Fakt ist, dass nicht nur das Waisenhaus zerstört wurde, L ist spurlos verschwunden und wir können Watari nicht mehr erreichen. X und ich befürchten, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte oder aber, sie nehmen aus einem bestimmten Grund nicht an unserer Konferenz teil:nämlich weil sie um ihre eigene Sicherheit besorgt sind.“

„Vielleicht ist ihnen euer hirnloses Geschwätz einfach zu dumm und sie haben Besseres zu tun, als mit euch zu streiten.“ Als F das sagte, gingen die anderen lauthals und verbal auf ihn los und Oliver schüttelte den Kopf. F hatte Recht, diese ganze Aktion war doch total hirnlos. Er musste etwas tun, um diese Streithähne zum Schweigen zu bringen, nur fragte er sich, ob es wirklich ratsam war, von Nummer 14 zu berichten und Beyond in die Schusslinie zu schicken. Die anderen „26“ würden ihn glatt ins Gefängnis sperren, weil sie ihn verdächtigen würden. Was also sollte er am Besten tun? Er konnte aber auch nicht schweigen, das verbot ihm seine Pflicht, zumal er die anderen vielleicht in Gefahr bringen konnte. Also rief er dazwischen, damit er ihnen allen eine Standpauke halten konnte. „F hat ganz Recht. Diese ganze Diskussion führt zu rein gar nichts und ist absoluter Schwachsinn. Ich finde es sowieso unmöglich, dass keiner von euch es für nötig hält, B zu der Konferenz einzuladen. Dabei ist er es, der bereits eine Spur verfolgt und näher an der Wahrheit dran ist, als ihr alle zusammen!“

„B weiß, wer dahintersteckt?“

„Noch nicht, aber es ist nur eine Frage der Zeit. Und er hätte euch längst die Details gesagt, hättet ihr euch mal dazu überwinden können, auf ihn zuzugehen. Wenn euch also daran gelegen ist, mehr über den Brandstifter zu erfahren, dann würde ich vorschlagen dass ihr euch persönlich bei ihm entschuldigt und ihn ebenso persönlich darum bittet, seine Informationen an euch weiterzugeben. Ich für meinen Teil werde euch ganz sicher nicht helfen! Ich werde nicht mehr mit ansehen, wie ihr ihn ausgrenzt und ihn wie einen Freak behandelt. So, mehr werde ich dazu nicht sagen. Meinetwegen könnt ihr Mädels euch weiter anzicken, ich hab keine Lust mehr auf diesen Blödsinn. Tschüss die Damen!“ Und damit loggte er sich wieder aus und klappte den Laptop mit einem genervten Seufzer zu. Dabei hatte er gar nicht gemerkt, dass Beyond ihm die ganze Zeit über zugehört hatte. Und dieser war überrascht über Olivers Rede. „Wow Oliver, das hättest du wirklich nicht zu tun brauchen.“ „Mich kotzt es an, wie sie dich behandeln und es war längst überfällig, dass jemand ihnen die Meinung sagt!“

„Ist nett gemeint, aber ich brauch keinen Beschützer.“ Da das Treffen sehr abrupt beendet worden war, nutzten Oliver und Beyond ihre Zeit, um zum Bäcker zu gehen und dort zu frühstücken. Dabei erzählte Oliver auch von seiner merkwürdigen Konversation mit Nummer 14, der offensichtlich ein geschickter Hacker war und über die Seite Cleverbot.com Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. „Was meinst du, ist es wirklich Fear?“ „Ich will mich noch nicht festlegen, aber es sieht danach aus. Da ich wohl keine Informationen mehr in Winchester bekommen werde, muss ich wohl nach London und Fear in seinem Anwesen sprechen.“

„Dann komme ich mit dir. Dieser Dreckskerl hat unser Heim zerstört und hundert unschuldige Menschen auf dem Gewissen. Und wenn du mich nicht dabei haben willst, dann lauf ich dir einfach hinterher!“ Zuerst zögerte Beyond jedoch, da er es eigentlich gewöhnt war, alleine zu arbeiten. Wenn es hart auf hart kam, wäre Oliver sicher ein Klotz am Bein, aber andererseits war dieser sozial veranlagte herzensgute Mensch der wohl gefährlichste Hacker der Welt, der die Wall Street ins Chaos stürzen und an die geheimsten Geheimakten kommen konnte. Und seine Hilfe konnte er sicher noch gebrauchen. Der Zufall oder das Schicksal hatten sie nach all den Jahren wieder zueinander geführt, also sollte er die Gelegenheit nutzen und über eine Zusammenarbeit nachdenken. Erwartungsvoll und mit großen dunkelblauen Augen sah Oliver ihn an und wirkte irgendwie nicht mehr so ganz erwachsen. Eher wie ein 12-jähriger. „Na gut, aber wenn es brenzlig wird, dann ziehst du dich zurück und lässt mich alleine weitermachen. Ich will nicht, dass du hinterher noch als Geisel oder als Zielscheibe für Angriffe endest.“

„Ist versprochen. Und ich werde dir so gut helfen, wie es geht.“

„Dann kannst du mir gleich mal zeigen, wie gut du Personen ausfindig machen kannst. Ich stell dir mal einen „Einkaufszettel“ zusammen mit allem, was ich insgesamt brauche.“ Aus seiner Hosentasche holte Beyond einen Zettel und einen Kugelschreiber heraus und begann, eine Liste zusammenzustellen. „Richtiger Name, Geburtsort, Geburtsdatum, Adresse, Telefonnummer, E-Mail Adresse, Konten und entsprechende Auszüge der letzten sechs Monate, Passwörter, Vorstrafen und sonstige Schmutzwäsche, letzte Aufenthaltsorte, Kontakte über Mail und Handy, Kundenlisten und Vergangenheit.“ Stirnrunzelnd sah sich Oliver seine „Einkaufsliste“ an und lächelte ein wenig ungläubig. „Das ist alles? Nun, das müsste ich in knapp zwei Stunden mit einem funktionsfähigen Drucker, Internetempfang und einem Tasse Latte Macchiato komplett fertig haben. Allerspätestens!“

„Gut, ich verlass mich auf dich. Könntest du auch noch nachhorchen, was wirklich mit A’s Selbstmord auf sich hat? Ich werde das Gefühl nicht los, dass da noch viel mehr dahinter steckt.“

„Kein Problem, das mach ich auch noch. Ich muss allerdings noch vorher mit Watari Kontakt aufnehmen und ihm sagen, dass ich L’s Ware habe.“

„Seine Ware?“

„Mein Programm. Ich habe mit L eine Vereinbarung getroffen, damit ich in Ruhe meine Arbeit beenden kann.“

„Und was für eine?“

„Er hält mir diese Agenten, Spione, die ganzen Polizisten und was weiß ich noch, wer hinter mir her ist vom Leib. Im Gegenzug dafür händige ich ihm eine Kopie aus. Ohne L wäre ich sicher jetzt tot oder würde auf Guantanamo verrotten.“

„Übertreibst du da nicht etwas?“

„Du scheinst dir nicht im Klaren zu sein, welche Macht das Programm mit sich bringt. Damit könnte jeder Laie sämtliche Satelliten ausschalten, alle Sicherheitssysteme lahm legen und jeden einzelnen Computer in der ganzen Welt hacken und ihn vollständig einsehen. Damit beherrscht man quasi die Welt und wenn L nicht seine Beziehungen spielen lassen würde, dann hätte man mir längst irgendetwas angehängt und eine Hetzjagd gegen mich gestartet. Oder noch schlimmer: Sie setzen eine Summe auf meinen Kopf aus. Ich gehöre neben zu den führenden Terroristen zu den gefährlichsten Menschen der Welt. Allein schon weil ich besagte Ware produziert habe und in Händen halte.“ Oliver kam wirklich zugute, dass er überhaupt nicht wie ein Cyberterrorist aussah und so unscheinbar wie harmlos wirkte. Beyond konnte sich nicht vorstellen, dass sein alter Freund auch nur in Betracht ziehen würde, diese Macht zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen. Dazu war er einfach viel zu aufrichtig. So wie er ihn kannte, würde er den Hackschlüssel nicht einmal anrühren, es sei denn, die absolute Ausnahmesituation war gegeben. Einerseits ehrte ihn diese Aufrichtigkeit, aber andererseits war es auch eine echte Verschwendung. Er, Beyond Birthday, wäre sicherlich nicht so ehrlich und pflichtbewusst wie Oliver, sondern würde die Vorteile für sich nutzen, wenn sich solch eine Gelegenheit bot. Wenn er wirklich skrupellos und hinterhältig wäre, dann würde er Oliver durch einen Trick den Hackschlüssel abnehmen oder ihn umbringen, aber er würde so etwas nicht tun. Spätestens seit seinem Kampf gegen Jeff hatte er Freundschaften zu schätzen gelernt und er würde seine zu Oliver nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Außerdem war es auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, von jeder Regierung jeden Landes verfolgt und gejagt zu werden. Nein, er bevorzugte doch lieber das zurückgezogene Leben, wo ihn keiner störte. Das Leben unter Menschen hatte er schon lange satt.

„Sag mal Beyond, warum hast du eigentlich so einen Hass auf L?“

„Er ist der Grund, warum A tot ist und er ist einfach über seinen Tod hinweg gegangen und hat mich an seine Stelle gesetzt. Das konnte ich einfach nicht akzeptieren und deswegen wollte ich, dass L dafür bezahlt.“

„Letzten Endes warst es aber du, der mit Knast bezahlt hat.“

„Wäre mir dieser Fehler nicht unterlaufen, dann hätte ich diesen Mistkerl von seinem hohen Ross runtergeholt. Das mit A hatte mir gezeigt, dass ein Menschenleben für ihn keinerlei Wert hat und ich wollte kein billiges Ersatzteil sein, das man jederzeit wieder austauschen kann. Genau das kann ich ihm und Watari einfach nicht verzeihen.“ Eine Pause trat ein und es sah so aus, als wollte Oliver etwas sagen, doch er behielt es dann lieber für sich und schwieg. Bedrückt starrte er auf seinen Kaffee und fragte sich, warum L damals einfach so über A’s Tod hinweggegangen war, ohne Rücksicht auf Beyonds Gefühle zu nehmen. Normalerweise kannte er L als einen ganz anderen Menschen. Zwar nicht direkt persönlich, doch er hatte L als einen verschrobenen aber verständnisvollen und intelligenten Menschen gehalten, der zwar oft über die Stränge schlug, aber dabei nicht grundlos seine Mitmenschen benutzte. Das tat er meist nur, wenn er einen größeren Schaden verhindern wollte. Hätte er doch wenigstens das Gespräch mit Beyond gesucht, dann hätte es vielleicht nicht in drei Morden eskalieren müssen. „Entschuldige mich, aber ich hab noch ein paar Sachen zu erledigen. Ich schau später bei dir vorbei, wenn ich deine Liste abgearbeitet habe.“

„Okay, bis später.“ Damit packte Oliver seine Sachen zusammen, bezahlte seinen Kaffee und verließ die Bäckerei. Er musste noch schnell die Mini-Disk wegbringen, auf der sich L’s gewünschte Ware befand. Zwar stand „Urlaubsfotos“ drauf, aber das war nur ein Teil der Tarnung. Würde man die Disk ins Laufwerk eines Computers einlegen und die Dateien öffnen, würden insgesamt 666 Ordner mit diversen Programmen erscheinen, die allesamt Viren enthielten, die bei einem Fehlgriff sofort das Programm zerstören würden, wenn eines von ihnen gewählt wurde. Das Programm selbst hatte er in Ordner Nummer 17 versteckt und er vertraute darauf, dass L darauf kommen würde. Denn diesen Ordner hatte er aus einem bestimmten Grund gewählt: Nahm man nämlich A=1 und B=2 würde man für L 12 erhalten. Da aber das Vokal „E“ davor war, musste also 5 dazugerechnet werden und das bedeutete, das L gar nicht 12 sondern 17 ergab. Aber auch den Hackschlüssel selbst hatte er perfekt gesichert. Es musste nämlich ein 20stelliger Zahlencode eingegeben werden und wurde sie ein Mal falsch eingegeben werden, würde der Virus aktiviert werden und das Programm unbrauchbar machen. Und diesen Code kannten nur er und L. Selbst der Versuch, den Code durch Tricks zu knacken oder zu umgehen, würde nur dazu führen, dass der Hackschlüssel vernichtet würde. Oliver war ganz sicher nicht so unvorsichtig und würde das Programm so einfach zugänglich machen. Flüchtig sah er sich um, ging über die Straße und bog schließlich nach einem fünfminütigen Fußmarsch in eine Gasse ein. Er kam zu einem kleinen Waschsalon an, der ziemlich heruntergekommen aussah. Die Dame, die dort arbeitete, war keine Wäscherin sondern eine Eingeweihte, die für die Weitergabe zuständig war. „Guten Tag mein Herr, was kann ich für Sie tun?“

„Ich möchte gerne etwas abholen, nur leider hab ich den Abholschein vergessen.“

„Welche Nummer hatten Sie denn?“

„Die Nummer 15.“ Die Frau, die mit ihren 50 Jahren schon fast schneeweißes Haar besaß, suchte alles ab und holte schließlich eine Jacke heraus und reichte sie ihm. „Ist es die hier?“ Statt der Nummer 15 hatte sie ihm wie vereinbart die Nummer 17 gereicht. Das war Olivers Stichwort. Er nahm die Jacke entgegen und schmuggelte die Minidisk in die Innentasche, dann gab er die Jacke wieder zurück. „Tut mir leid, das war sie leider nicht. Meine Jacke war eine Nummer kleiner.“ Damit hängte sie die Jacke wieder zurück und ließ dabei die Disk unauffällig in ihre Schürze verschwinden. Dann holte sie die vereinbarte Nummer heraus und reichte Olivers richtige Jacke. Er bedankte sich, bezahlte und verließ die Wäscherei. Alles war glatt über die Bühne gegangen und es würde nicht lange dauern, dann hatte L den Hackschlüssel in Händen. Die Frau, die früher mal seine Lehrerin war, hatte nach der Übergabe die Aufgabe, mit der Disk in ihrer Kaffeepause in ein bestimmtes Cafe zu gehen. Dort würde sie besagte Ware an Watari oder einen anderen Gefolgsmann von L weitergeben. An einer verlassenen und abgelegenen Straßenecke blieb er schließlich stehen und wählte eine Nummer auf seinem Handy. Die elektronisch verzerrte Stimme von L meldete sich. „Ich bin’s: Oliver. Ich wollte nur sagen, dass deine Brieftaube unterwegs ist. Ach übrigens, vorhin haben die „26“ ein Treffen einberufen und über den Brandanschlag diskutiert. Weshalb haben du oder Watari nicht teilgenommen?“

„Weil wir verhindert waren. Jemand hat all unsere Computer und Handys lahm gelegt und wer auch immer dahintersteckt, er hat es auf die Verbliebenen der 26 abgesehen.“

„B hat mir erzählt, dass ein gewisser Nummer 14 ihn seit einiger Zeit verfolgt und auch einen alten Bekannten von ihm auf brutale Art und Weise vor seinen Augen ermordet hat. Und nicht nur das, er soll auch für das Feuer im Waisenhaus verantwortlich sein. Und als ich an seinen Laptop ging, da hat sich plötzlich die Seite Cleverbot.com geöffnet und in Wahrheit war es Nummer 14. Er sagte, dass es vor einiger Zeit einen schrecklichen Vorfall im Waisenhaus gab, der zum Tod eines Jungen geführt hat und dass du und Watari diese Tatsache vertuscht habt. Kannst du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?“

„An Details kann ich mich leider selber nicht mehr erinnern, es ist über zwölf Jahre her. Ich weiß aber noch, dass ich B mit einem Messer in der Hand gesehen habe. Er war völlig verstört und konnte nicht einmal mehr sprechen. Das Messer und auch seine Kleidung waren mit Blut verschmiert und ich selbst bin wenig später auf der Intensivstation im Krankenhaus aufgewacht.“

„Dann hat er damals versucht, dich umzubringen?“

„Nein, im Gegenteil. Die Geschichte war die, dass ich damals nach Wammys House kam um eine Auszeit zu nehmen. Da ich aber nicht erkannt werden wollte, hab ich B eingeweiht und wir haben gemeinsam die Rolle als B gespielt. Da wir uns zum Verwechseln ähnlich sahen, war es auch kein Problem. Allerdings ist irgendetwas passiert und ich weiß nur, dass B ein Messer in der Hand hielt und er mit Blut besudelt war. Er sah völlig verstört aus und konnte kein Wort mehr sagen. Er wollte mich schützen und hatte deshalb nach dem Messer gegriffen. Das ist aber auch schon alles.“

„Und wer wollte dich umbringen?“

„Das weiß ich nicht. Watari hat mir nichts gesagt und meinte nur, er habe dafür gesorgt, dass so etwas nie wieder vorkommt.“

„Dann hat er den Kerl beseitigt, der dich töten wollte?“

„Das würde Watari niemals tun.“

„Könntest du ihn bitte fragen, was damals passiert ist? Und wenn er nicht mit der Sprache rausrückt, dann mach ihm bitte klar, dass der Brand im Waisenhaus wahrscheinlich nur der Anfang war. Wenn wir Nummer 14 nicht schnappen, wird er wieder töten.“ L versprach, das Gespräch mit Watari zu suchen und sich schnellstmöglich wieder mit Oliver in Kontakt zu setzen. Jedoch musste er versprechen, sich nicht direkt an Beyond zu wenden, weil dieser ihm die Schuld an A’s Selbstmord gab. Es würde nur böses Blut geben und das wollte Oliver lieber verhindern. Nachdem er auch dieses Telefonat erledigt hatte, machte er noch einen Abstecher in einen Fachhandel für Computerzubehör und kaufte sich dort einen größeren Arbeitsspeicher für seinen Laptop und noch ein paar andere Kleinigkeiten. Danach ging er ins Hotel, um dort mit seinen Nachforschungen zu beginnen.

Das Spiel beginnt

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ein grausiger Fund

Rogers Kopf lag auf dem Tisch und nachdem Beyond sich Handschuhe angezogen hatte, begann er mit einem Skalpell den Faden zu durchtrennen, mit dem Rogers Lippen zugenäht worden waren. Dann leuchtete er mit einer Taschenlampe in den Mundraum und sah sofort, was da faul war: Zunge und Zähne fehlten. Sie waren ihm post mortem entfernt worden und außer der Tatsache, dass seine Augenlider festgetackert waren, wies der Kopf keine Schäden auf. Nur eine Verletzung am Hinterkopf wies darauf hin, dass Roger niedergeschlagen worden war. L saß daneben und beobachtete Beyond bei der Arbeit. „Die Zähne wurden nicht sehr professionell herausgetrennt. Zum Teil ist das Zahnfleisch ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Wir können also ausschließen, dass Nummer 14 Zahnarzt ist. Dafür ist aber die Zunge wirklich fein säuberlich abgeschnitten worden. Mit dem Messer hat er jedenfalls mehr Erfahrung.“ Vorsichtig nahm Beyond den Kopf hoch und drehte ihn herum. Doch es fiel ihm wirklich nichts Weiteres auf, das in irgendeiner Art und Weise verdächtig sein könnte. Wenn also etwas einen Hinweis auf das nächste Opfer geben sollte, dann die Augen und der zugenähte Mund. Nachdenklich sah er in Rogers tote Augen und begann auf seiner Unterlippe zu kauen. „Augen… Mund… Zähne… Zunge… wo liegt da der Hinweis? Es muss etwas mit einem Wortspiel zu tun haben. Es gibt ja diese Rätselspiele, in denen verschiedene Gegenstände gezeigt werden und sie zusammen ergeben entweder einen Satz oder ein bestimmtes Wort. Meistens werden einzelne Buchstaben herausgestrichen oder ersetzt. Vielleicht verhält es sich hier genauso. Dann würde sich aber die Frage stellen, welche Buchstaben es zu streichen gilt. Wenn wir das Z streichen, hilft uns das auch nicht weiter, denn weder „Auge“ noch „Mund“ haben diesen Buchstaben. Sag mal L, hast du vielleicht die Liste mit den richtigen Namen der anderen der 26?“

„Nein, nur Watari. Ich rufe ihn an und bitte ihn, uns diese zu nennen.“ Und während L telefonierte, begann Beyond sich Notizen zu machen und versuchte herauszufinden, was sich für ein Rätsel dahinter versteckte. Es dauerte nicht lange, bis L das Handy wieder aus der Hand legte. „Die Leitung ist blockiert. Da wird nur am laufenden Bande „Bachs Badinerie“ auf dem Klavier gespielt. Ich versuch mal mit dem Hackschlüssel, Kontakt zu Watari aufzunehmen.“ Doch bevor L sich an den Laptop setzen konnte, klingelte das Telefon und Beyond ging ran. Es war Oliver. „Hey Beyond, ich hab fast alle Informationen zusammengeklaubt aber irgendwie kann ich weder Kontakt zu L noch zu Watari aufnehmen.“

„L ist bei mir. Wir versuchen gerade herauszufinden, wer das nächste Opfer von Nummer 14 sein wird. Aber auch wir können Watari nicht erreichen, die Leitung ist scheinbar blockiert. Wir wollten gerade den Hackschlüssel einsetzen.“

„Das hab ich auch schon versucht, aber kaum hab ich den Zugang, schon erscheint eine seltsame Nachricht. Der Computer ist offenbar durch Viren zerstört worden.“

„Und was für eine Nachricht war das?“

„Da stand auf Russisch: Die Anblicke der Hölle bringen ihre Betrachter wieder dorthin zurück. Ich fürchte Watari ist etwas zugestoßen. Während meiner Zeit im Waisenhaus hab ich nämlich L’s Computer so programmiert, dass man regelmäßig einen bestimmten Code eingeben muss, ansonsten werden sämtliche Daten vernichtet oder aber, wenn man einen bestimmten Knopf drückt. Frag L bitte, wo sich Watari aufgehalten hat.“

„L, wo hast du dich zuletzt mit Watari aufgehalten?“

„Im Princeton Hotel, Zimmer Nummer 301.“

Beyond gab das an Oliver weiter, der sich sofort auf die Suche machen wollte, um das Verschwinden des alten Mannes zu klären. L hatte in der Zwischenzeit Beyonds Notizen angesehen und versucht, sich sein eigenes Bild zu machen. Als Beyond das Telefon weglegte, lief er langsam auf und ab. „Ich hab mir noch mal Gedanken über dieses Rätsel gemacht. Ist es nicht seltsam, dass der Mund mit einem schwarzen Faden fein säuberlich zugenäht wurde? Als wolle Nummer 14 verhindern, dass ich die fehlenden Zähne und die herausgeschnittene Zunge bemerke. Was haben Zunge und Zähne gemeinsam? Sie sind die einzigen Körperteile, die mit Z beginnen. Oder aber auf Englisch mit T. Wir müssen also das „t“ aus einem bestimmten Wort herausstreichen.“

„Stellt sich nur die Frage, welches Wort.“

„Na was bedeutet Nadelstich auf Englisch? Stitch. Und das Auge ergibt auf Englisch „Eye“. Es gibt nur eine Person im Kreis der 26, deren Vorname mit E beginnt. Und diese heißt Elly Sitch. Denn bei Sitch fehlt nämlich ein „t“, damit es das Wort Stitch für Nadelstich ergibt.“

„Das klingt logisch. Wir müssen sie sofort warnen.“ L setzte sich an den Laptop, legte die Minidisk mit dem Hackschlüsselprogramm ein und loggte sich in E’s Computer ein. Auf diese Weise erhoffte er, Kontakt zu ihr aufnehmen zu können. Jedoch schlug der Versuch fehl und so meldete sich L bei X, der eng mit E zusammenarbeitete. „Kannst du mir sagen, wo sich E zurzeit aufhält?“ „Na zusammen mit mir in England, näher gesagt in London.“

„Ist sie bei dir?“

„Nein, sie ist vor knapp einer Stunde mit jemandem weggegangen.“

„Wie hieß er?“

„Genau weiß ich das nicht. Den Namen hat sie auch nicht erwähnt. Wieso fragst du? Ist etwas passiert?“

„Keine Zeit für Erklärungen. Ruf sie sofort an und sag ihr, dass sie in Lebensgefahr schwebt! Derjenige, der das Waisenhaus niedergebrannt hat, will nun sie als Nächste töten.“ X versuchte zwar, E zu erreichen, jedoch ging sie nicht an ihr Handy. L ließ sich die Nummer geben und versuchte, sie dadurch zu orten. Tatsächlich hatten sie das Glück, dass das Handy nicht ausgeschaltet war und so fand er heraus, dass sich Elly nicht sehr weit von ihnen aufhielt. Genauer gesagt, befand sie sich in einem Hotel, das gerade mal eine Viertelstunde entfernt von hier war. Nämlich das Princeton Hotel, in dem eigentlich Watari sein sollte. Und zufällig war Oliver auf den Weg dorthin.
 

Tatsächlich hatte Oliver es inzwischen zum Princeton Hotel geschafft. Er stand sogar schon vor dem Zimmer, welches die von L angegebene Nummer trug. Nach kurzem Zögern klopfte er an und wartete. Doch selbst nach erneutem und energischerem Klopfen kam keine Antwort, weshalb er die die Schlüsselkarte nehmen musste, die er heimlich eingesteckt hatte. Für das Aufbrechen von Türschlössern hatte er sowieso kein Händchen, da kamen ihm seine Fähigkeiten als Taschendieb ganz gelegen. Nachdem er die Karte ins Lesegerät gesteckt hatte und das Schloss sich automatisch öffnete, betrat er das Zimmer und fand es aufgeräumt und sauber vor, als wäre es bereits vom Reinigungspersonal besucht worden. „Watari? Sind Sie hier?“ Es kam keine Antwort und es sah auch nicht danach aus, als würde sich Watari oder sonst jemand hier aufhalten. Immerhin sah das Bett nicht benutzt aus und es lag sogar ein Stück Schokolade auf dem Kopfkissen. Nur eines deutete darauf hin, dass jemand hier gewesen war, nämlich eine Notiz, die an der Wand gegenüber der Tür befestigt war. Und darauf stand „Glück für dich, dass du geklopft hast.“ Ein Schrecken durchzuckte Oliver, als er diese Notiz las und nervös sah er sich nach allen Seiten um. Gerade eben war noch jemand hier gewesen? War er etwa noch hier? Sofort begann Oliver die Schränke zu durchsuchen, fand darin aber nur schwarze Anzüge und weiße Hemden, die offensichtlich Watari gehörten. Unter dem Bett fand sich nichts und selbst die Minibar war unangetastet. Als hätte Watari hier nur seine Sachen ausgepackt und wäre wieder verschwunden. Doch es gab noch etwas, das er noch untersuchen musste: das Badezimmer. Zwar glaubte er nicht, dort irgendetwas Hilfreiches zu finden, aber er durfte nichts unversucht lassen. Wie sollte er sich dann sonst vor L erklären? Schon als er die Türklinke ergriff, kam ihm ein leichter, aber unangenehmer Geruch entgegen, der beim Einatmen brannte. Trotzdem öffnete er sie und drückte sich ein Taschentuch gegen Mund und Nase. Er hatte auch allen Grund dazu, denn die Luft stank fürchterlich und der Anblick, der sich ihm bot, war auch nicht viel besser: In der Badewanne, die bis zum Rand mit einer nicht bestimmbaren dunkelroten Flüssigkeit gefüllt war, schwammen Überreste von Fleisch, Knochen und Haaren. Und überall auf den Fliesen klebte Blut. Olivers Augen tränten bereit, doch er ging vorsichtig näher und bekam die Haare zu fassen, die gerade noch so herausragten. Er zog daran, holte aber nur ein großes Stück Haut heraus, das sich sauber vom Knochen gelöst hatte. Erst jetzt dämmerte es ihm, was das für eine Flüssigkeit in der Wanne war: Hochkonzentrierte Säure. Und die Leiche da drin war nicht Watari, denn diese hier besaß langes brünettes Haar. Sofort verließ er wieder das Badzimmer, eilte zum Fenster, öffnete es und atmete tief durch. Er hoffte, somit wieder klar zu werden, doch sein Magen begann zu rebellieren und er konnte dessen Inhalt nicht mehr drin behalten. Das war einfach zu viel für ihn. Und als er das letzte bisschen Galle hervorgewürgt hatte, nahm er sein Handy und rief Beyond an. Mit zitternder Stimme sagte er „Komm schnell her… da liegt eine Leiche im Badezimmer. Sie löst sich gerade in Säure auf.“
 

Keine zwanzig Minuten später trafen L und Beyond den völlig neben der Spur stehenden Oliver in der Eingangshalle. Dieser war erschreckend blass und konnte kaum ein Wort sagen. Er weigerte sich strikt, das Badezimmer noch einmal zu betreten, reichte ihnen aber die Schlüsselkarte und erklärte, dass er hier warten würde. Beyond entschied sich dafür, die Leiche näher anzusehen während L das Personal näher befragen sollte. Und L war insgeheim froh, dass die Sache so geregelt wurde. Zwar hatte er schon mehr als oft genug Tatortfotos gesehen, allerdings war der Anblick einer richtigen Leiche ganz anders. Schon als er Rogers abgehackten Kopf erblickt hatte, da hatte ihn ein solcher innerer Schrecken ergriffen, dass ihm beinahe die Gesichtszüge entgleist wären. Und wie sehr hatte sich alles in ihm gesträubt, diesen Kopf auch anzufassen. Beyond hingegen tat dies, als wäre es nichts anderes als ein Kürbis vom Markt. Er hatte selbst Menschen getötet und furchtbar zugerichtet, für ihn waren solche Morde wie Kunstwerke, deren Kritiker er war. Je komplizierter und aufwendiger ein Mord durchgeführt wurde, desto faszinierter war er und nannte es ein „Meisterwerk“. War es jedoch ein plumper Mord, den jeder Laie durchführen konnte, wo man glaubte, dass ein Metzger getobt hatte, da nannte er diesen „stümperhaft“ und eine Geschmacklosigkeit an der Kunst. L hatte sehr schnell erkannt, dass über diesen Menschen der Schatten des Todes lag. Für ihn hatte der Tod eine ganz andere Bedeutung als für andere Menschen und es interessierte ihn überhaupt nicht, wann die Menschen starben, sondern einzig und allein wie. Genau darin lag die Kunst für ihn. Hätte er keine kriminelle Laufbahn eingeschlagen, hätte er mit Sicherheit groß Karriere in der Pathologie machen können. Doch selbst dort hätte er mit seiner Auffassung nur Anstoß erregt. Wann genau hatte er damit begonnen, den Tod mit diesen Augen zu sehen? Mit diesen unnatürlich roten Augen, die mehr sahen als nur das, was jeder sah. L hatten diese Augen schon damals fasziniert, als er ihn das erste Mal traf. Doch gleichzeitig hatte er eine gewisse Furcht Beyond gegenüber gehabt. Er hatte damals gespürt, dass in diesem zarten Kinderkörper eine wilde Bestie schlummerte, die niemals geweckt werden durfte. Und doch wurde diese Bestie geweckt, sonst hätte Beyond niemals diese drei Menschen getötet. Wenn es wirklich nur drei Menschen waren…. L hatte schon mit dem Gedanken gespielt, dass sein alter Freund und Feind mehr Menschen getötet hatte, als eigentlich bekannt war. Tatsächlich hatte die Polizei vermutet, dass er mindestens 18 weitere Menschen auf den Gewissen hat, aber keinen der anderen Morde konnte man ihm nachweisen. L selbst vermutete, dass Beyond während der Zeit zwischen seinem Verschwinden aus Wammys House und dem BB-Mordfall mehr als 20 Menschen ermordet hatte. Denn so wie er Rogers Kopf untersucht hatte… diese völlig gleichgültige und unberührte Art sprach dafür, dass er schon sehr viel Erfahrung hatte und dieser Anblick überhaupt nichts Neues für ihn war.

Nachdem er sich so durchs Hotel gefragt hatte, traf er auf eine Reinigungshilfskraft, einen etwas vertrottelt aussehenden jungen Mann mit blondem Haar und dunkelbraunen Augen. Er hatte ein fein geschnittenes Gesicht und so wie L vom Rest des Personals gehört hatte, war er erst vor kurzem eingestellt worden und sei ein furchtbarer Tollpatsch, den man wirklich nichts in die Hand drücken durfte. Es würde so oder so kaputt gehen. „Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht einen älteren Mann im schwarzen Anzug gesehen? Er war so um die 70 Jahre und hat in Zimmer 301 gewohnt.“

Ein kurzer Blick auf das Namensschild verriet, dass der junge Mann Benjamin Lake hieß, aber alle nannten ihn kurz „Ben“. Dieser hatte beim Sprechen die Angewohnheit, niemals das „St“ oder „Sp“ zusammen zu sprechen sondern immer getrennt. „Also heute Morgen hab ich gesehen, dass Sie das Zimmer verlassen und sich von dem älteren Herrn verabschiedet haben. Der ist wieder ins Zimmer verschwunden und hat Besuch bekommen.“

„Von wem?“

„Sorry aber in dem Moment bin ich über den Putzwagen gestolpert und dabei hab ich meine Brille verloren. Ich hab alles total verschwommen gesehen. Dummerweise bin ich auch noch drauf getreten.“

„Dann haben Sie also nichts erkennen können?“

„Nun, ich hab zumindest erkennen können, dass diese Person wohl älter und ein Mann war. Er hatte nämlich graues oder weißes Haar, außerdem hat er sehr vornehm und gehoben geredet und den älteren Herrn geduzt. Dann ist der Herr, den Sie suchen, gegangen und der andere ist ins Zimmer verschwunden. Als ich wenig später zurückkam, da ich noch meine Kontaktlinsen holen musste, hab ich diese hübsche Frau gesehen, die an der Zimmertür geklopft hat. Als sie geöffnet wurde, ist sie hineingegangen.“

„Und haben Sie dann die Person erkennen können?“

„Leider nein. Die Tür öffnet sich ja nach außen hin und da wurde die Sicht verdeckt. Ich hab aber gesehen, dass sich die Frau zunächst ziemlich erschrocken hat, dann aber wurde sie ganz ruhig und ist ins Zimmer gegangen.“ Dann war Elly auf den Weg zu Watari gewesen und war dann ihrem Mörder begegnet. Und dieser kannte sowohl sie als auch Watari. „Können Sie sich an die Uhrzeit erinnern, wann die Frau das Zimmer betreten hat?“

„Das war vor ungefähr einer Stunde. Ja genau, es war 13:45 Uhr, weil der Chef kam und mich ausgeschimpft hat, weil ich zu lange gebraucht habe.“ Um genau die Uhrzeit hatte es an Beyonds Tür geklingelt, als das Paket abgelegt worden war. Offenbar hatte es Nummer 14 sehr gut durchgeplant. Indem er nämlich die Aufnahme und den Kopf genau dann dort ablegte, musste er sich keine Sorgen machen, dass man nach ihm suchen würde. Er konnte in aller Seelenruhe arbeiten und sich ungefähr denken, wann jemand das Zimmer betreten würde. Das Reinigungspersonal kam nämlich nur einmal am Tag und wenn er genau wusste, wie lange die Videoaufnahme dauerte, hatte er ein genaues Zeitfenster. Demnach hätten sie Elly Sitch unmöglich retten können. „Warum fragen Sie das alles, Sir? Ist irgendetwas mit der Frau passiert? Soll ich die Polizei rufen?“ Da sie die Polizei nicht auch noch gebrauchen konnten, erfand L eine plausible Ausrede und verabschiedete sich von Ben. Dieser wünschte noch einen schönen Tag, drehte sich um und wollte gehen, jedoch stolperte er über seine eigenen Füße und fiel der Länge nach hin. „Scheiße verdammt“, murmelte er und rappelte sich auf. „Und zu spät bin ich auch noch dran. Der Chef dreht mir den Hals um!“ Damit eilte Ben den Gang entlang und drückte den Knopf für den Fahrstuhl. Als L weggegangen war, sah die tollpatschige Aushilfskraft ihm nach und ein unheimliches Leuchten war in seinen Augen zu sehen. Und ein Grinsen spielte sich auf seine Lippen, als er den Fahrstuhl betrat und direkt nach unten fuhr. Und dabei pfiff er die Melodie von Bachs „Badinerie“. Kaum hatte der Fahrstuhl das Erdgeschoss erreicht, trug Benjamin Lake nicht mehr seine Arbeitskleidung, sondern nun eine bequeme Jeans, einen Pullover mit Streifenmuster und eine schwarze Kapuzenjacke. Zielstrebig lief er in Richtung der Bar wo er auf ein sehr schönes und elegantes Zimmermädchen mit schwarzem Haar und goldgelben Augen traf. Sie schien auf ihn zu warten. „Es ist alles nach Plan verlaufen. Es dürfte noch eine sehr unterhaltsame Zeit werden. Und ich hoffe, du hältst dich an den Plan. Sollte L, O oder Beyond etwas zustoßen, dann…“

„Ich habe es nicht vergessen und werde mich daran halten.“

„So gefällst du mir, Anne. Nichts anderes hätte ich von dir erwartet. Und wenn wir uns an den Plan halten, hat keiner von uns etwas zu befürchten. Aber denk daran, Anne: Versuch niemals, mich zu hintergehen. Vergiss niemals, wessen Eigentum du bist.“

„Natürlich weiß ich das.“

„Dann ist ja gut. Also sei ein braves Spielzeug und tu, was man dir aufträgt. Ich habe dich gut genug instruiert.“ In einem Zuge leerte „Ben“ sein Glas, bezahlte und fuhr Anne durch ihr schwarzes Haar. „Wirklich eine Verschwendung…. Nun ja, wir werden noch unseren eigenen Spaß haben. Ich werde mich fürs Erste zurückziehen. Ich muss dringend meine Haare wieder umfärben. Denn nichts hasse ich mehr als blondes Haar! Es ist viel zu gewöhnlich. Also dann, ich verlasse mich auf dich, meine süße kleine Anne.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich „Benjamin Lake“ und verließ das Princeton Hotel. Es gab noch sehr viel vorzubereiten. Denn das Finale dieses Spiels sollte unvergesslich werden. Und als Ben sich das letzte Mal umdrehte, lächelte er zufrieden und sagte „Auf geht’s in unsere nächste Runde.“

Lügen, Verrat und vertuschter Mord

Als L seine Befragung beendet hatte, ging er zu Beyond um zu erfahren, ob dieser schon einen Schritt weitergekommen war. Dieser war damit beschäftigt, die noch nicht zerschmolzenen Leichenteile aus der Badewanne zu fischen und in den abgerissenen Duschvorhang zu legen. Es war leider nicht mehr viel, was noch zu retten gewesen war. Dafür, dass die Leiche noch nicht sehr lange in der Badewanne liegen konnte, war der Zersetzungsprozess schon weit fortgeschritten. Er hatte auch schon einige provisorische Tests durchgeführt und erwartete L bereits. Um sich vor den austretenden Gasen zu schützen, trug er eine Schutzbrille, einen Mundschutz und Spezialhandschuhe. Solange nicht sicher war, welche Dämpfe freigesetzt wurden, musste man vorsichtig sein und die Badezimmertür stand deshalb offen und alle Fenster waren geöffnet. Als L Schutzbrille und Maske aufgesetzt hatte und das Bad betrat, zeigte Beyond ihm eine goldene Armbanduhr, die kaum noch als solche erkennbar war. „Was fällt dir ein, wenn du diese Uhr siehst, die einen sehr hohen Goldanteil besitzt?“

„Es wird keine einfache Salzsäure sein. Und wenn du schon diese Frage stellst, hast du auch schon einen Verdacht, nicht wahr?“

„Ich musste mich an meine Zeit im Waisenhaus erinnern. Ich hatte mit A und F zusammen mit Säure herumgespielt. Hauptsächlich haben wir uns einen Spaß daraus gemacht, Sachen darin aufzulösen. Und es gab eine ganz besondere Säure, über die unser Chemieprofessor einen Vortrag gehalten hatte. Eine, die auch Gold lösen konnte und deswegen den Namen Königswasser trug. Sie besteht aus drei Teilen konzentrierter Salzsäure und einem Teil konzentrierter Salpetersäure. Zu der Leiche selbst lässt sich sagen, dass sie post mortem zersägt und dann in die Badewanne gelegt wurde. Man kann trotz der Zersetzung Spuren an den Knochen erkennen, dass eine Säge benutzt wurde. Die Arme wurden am Ellebogen zertrennt, die Beine an den Kniegelenken. Dann wurden die Oberschenkel an der Hüfte zersägt, der Torso blieb unversehrt. Die Arme hat der Mörder an der Schulter abgetrennt und den Kopf sauber vom Hals geschnitten. Und da er wohl noch nicht genug hatte, hat er auch noch die Hände abgetrennt. Sauber zerlegt, aber auch ziemlich übereilt. Sieh dir das mal an!“ Und damit hielt Beyond dem Meisterdetektiven den linken Unterarm hin. L kam jedoch nicht näher, denn allein der Anblick des Armes, von dem schon die Haut fehlte und das Fleisch und die Muskeln zu erkennen waren, löste Ekel in ihm aus. Für Beyond hingegen schien es das Normalste auf der Welt zu sein. Er deutete auf den Stumpf und erklärte, dass es nicht sauber durchgesägt worden war. Offenbar war die Säge mehrmals abgerutscht und hatte danebengeschnitten. „Hätte der Kerl besser eine Axt genommen, dann wäre es einfacher und schneller von statten gegangen. Und es wäre auch geräuschlos gewesen. Jedenfalls braucht es schon einiges an Kraft, diese Leiche auseinander zu kriegen. Entweder war es eine sehr kräftige Frau, oder aber ein Mann. Und was hast du in Erfahrung bringen können?“

„Die Aushilfskraft Benjamin Lake hat gesehen, wie Watari jemanden empfangen hat, der graue oder weiße Haare hatte und ihm oder ihr das Zimmer überlassen hatte. Wenig später kam E und hat das Zimmer betreten. Ben hat das Gesicht jedoch nicht erkennen können, seine Brille ist heruntergefallen und zerbrochen.“

„Verstehe. Dann müssen sowohl E als auch Watari den Mörder gekannt haben, aber das hab ich mir ja schon längst gedacht. Nur stellt sich die Frage, wer der Nächste ist. Ich schlage Folgendes vor: Ich versuche das Rätsel zu knacken und du schließt dich mit O kurz. Er hat von mir den Auftrag erhalten, alles über F herauszufinden. Ich vermute, dass er einen Rachefeldzug gestartet hat, weil er den 26 die Schuld an A’s Tod gibt. Wenn ihr herausgefunden habt, wo er sich aufhält, dann gebt mir sofort Bescheid.“ Mit dieser Regelung war L einverstanden und er ging sofort runter um mit Oliver zu sprechen. Beyond verließ das Bad und stellte sich ans Fenster, um tief durchatmen zu können. Dieses Mal befand sich der Hinweis nicht am Körper, so wie in Rogers Fall. Nein, das Geheimnis lag wahrscheinlich in der Säure, die verwendet wurde. Nummer 14 hätte doch andere Säuren nehmen können, um die Leiche zu vernichten. Aber stattdessen hatte er Königswasser genommen und es war relativ schwierig, da ranzukommen. Es gab also folgende Schlagwörter, die sich verwenden ließen „King“, „Gold“ und „Water“. Zum Schlagwort „King“ kam ihn G alias Gareth Kings in den Sinn, der in einer Spezialeinheit für Terroristenbekämpfung tätig war. Zu Gold fiel ihm spontan wenig ein, dafür aber zu „Water“: N alias Nate River und J, der mit richtigem Namen Jona Creek hieß. Aber war dies nicht ein wenig zu einfach? So wie er Nummer 14 einschätzte, hatte er sich etwas sehr Heimtückisches ausgedacht. Beyond musste noch mal alles in Erinnerung rufen, was er über Königswasser gelernt hatte. Während er überlegte, schloss er die Augen und ließ den Chemieunterricht Revue passieren:
 

„Königswasser oder auch Königssäure genannt, ist eine sehr aggressive Säure und erhält ihren Namen daher, dass sie die königlichen Edelmetalle wie zum Beispiel Gold und Platin lösen kann. Die Aggressivität von Königswasser kommt nicht von den Säuren her, sondern vom Reaktionsprodukt, das bei der Vermischung von Salz- und Salpetersäure entsteht. Dabei entstehen giftige und ätzende Gase wie Nitrosylchlorid und naszierendes Chlor. Diese sind in der Lage, Edelmetalle wie Platin und Palladium zu oxidieren, mit Ausnahme von Silber. Je höher die Chloridionenkonzentration ist, desto höher ist auch die Löslichkeit der Edelmetalle. Zirconium, Hafnium, Niob, Tantal, Titan, Ruthenium und Wolfram widerstehen dem Angriff von Königswasser bei Raumtemperatur. Königswasser zerfällt von selbst, wobei Chlor als Radikal, Nitrosylchlorid und -nitrose Gase frei wird. Deswegen wird Königswasser unmittelbar vor Gebrauch aus beiden Säuren frisch hergestellt! Die Beförderung von Königswasser auf europäischen Straßen ist gemäß des Europäischen Übereinkommens über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße verboten.“
 

Das waren die wichtigsten Informationen aus dem Chemieunterricht, aber Beyond konnte sich noch vage erinnern, dass es eine ganz besondere Geschichte über Königswasser gab. A hatte sie ihm mal erzählt, als er gerade dabei war, alte Goldringe in der Säure zu lösen. Die Geschichte hatte sich in den 40er Jahren zugetragen, näher gesagt im dänischen Kopenhagen. Nachdem ein Nazigegner 1935 zum Friedensnobelpreisträger ernannt wurde, hatte Hitler allen Deutschen das Annehmen oder Tragen von Nobelpreisen verboten und damals war Kopenhagen von deutschen Truppen besetzt gewesen. Der Chemiker George de Hevesy hatte die Medaillen von zwei deutschen Physikern in Königswasser eingeschmolzen, damit sie nicht von den Nazis konfisziert werden konnten. Nach Kriegsende hatte der Chemiker das Gold extrahiert und es der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften übergeben. Diese hatten daraus neue Medaillen für die beiden Physiker gemacht. An die Namen der beiden Physiker konnte sich Beyond nicht mehr erinnern, aber er wusste, dass die beiden der Opposition angehörten. Diese Anekdote hatte A besonders gefallen und das war auch der Grund, warum er so fasziniert von Königswasser war. War das etwa der entscheidende Hinweis auf das nächste Opfer? War das nächste Opfer ein Nobelpreisträger? Sofort rief er L auf dem Handy an und fragte, ob er von jemandem aus dem Kreis der 26 wüsste, der in der letzten Zeit einen Nobelpreis erhalten hatte. Und tatsächlich erinnerte sich L. „Es waren sogar zwei: I und U. Die beiden sind ein Paar und leben zusammen. Irene Malbourne ist Astrophysikerin und arbeitet mit Uriah Houston zusammen, der sich mit der theoretischen Physik beschäftigt. Sie arbeiten sogar im selben Institut.“

„Dann sind diese beiden unsere nächsten Kandidaten. Bei solch prominenten Persönlichkeiten wird es zum Glück nicht schwer werden, sie zu kontaktieren.“ Er rief die Vermittlung an und kam tatsächlich zu Uriah Houston durch. Als Beyond seinen Namen nannte, wollte er gleich wieder auflegen, aber zum Glück ließ er es bleiben als Beyond L erwähnte. „Jemand ist hinter dir und Irene her! Ihr müsst sofort verschwinden sonst seid ihr auch dran. Roger und E hat es bereits erwischt.“

„E ist tot?“

„Ja, der Mistkerl hat sie zerstückelt und versucht, sie im Säurebad aufzulösen. Sagt niemandem, wo ihr seid und macht, dass ihr sofort weg kommt.“

„Okay, ich sag Irene sofort Bescheid. Was ist eigentlich mit Watari?“

„Der ist wie vom Erdboden verschluckt und wahrscheinlich auch nicht mehr am Leben.“

„Das musste ja so kommen…“, murmelte U leise und klang nicht sehr erstaunt. Nein, anscheinend hatte er mit so etwas gerechnet und das machte Beyond mehr als misstrauisch. „Wusstest du etwa, dass E sterben würde?“

„Nicht direkt. Ich hatte eine dunkle Vorahnung. Aber jetzt ist es sowieso zu spät. Wir sind verloren.“

„Warum? Was ist passiert? Hat Nummer 14 etwa jemand bestimmtes im Visier?“

„Da ist nichts. Das, was damals passiert ist, musste geschehen. Wenn wir es damals nicht getan hätten, wären wir alle jetzt tot! Wir hatten keine andere Wahl! Also hör auf nachzufragen und reiß keine alten Wunden auf.“ Beyond war ziemlich irritiert über diese abweisende Reaktion. Diese seltsame Andeutung ließ ihn nachdenklich werden. E, U und ein paar andere hatten etwas getan, das dazu führte, dass sich Nummer 14 an ihnen rächen wollte. Es war sicher etwas Schlimmes. „Hat es mit A’s Tod zu tun?“

„Er hat Selbstmord begangen.“

„Schwachsinn. Das ist doch bloß eine Lüge, die Watari in die Welt gesetzt hat.“

„Ja, weil er einen Mörder gedeckt hat: Nämlich dich! Und damit hat sich die Sache doch wohl.“

„Steckt da vielleicht mehr dahinter? Entweder du sagst mir jetzt, was Sache ist, oder ich werde L stecken, dass ihr überlebenswichtige Informationen zurückhaltet!“ Und diese Drohung schien zu sitzen, denn nun war U deutlich ruhiger geworden. „Also gut, ich erzähl dir alles. Dieser verdammte A hatte es nicht anders verdient. Er war ein gemeingefährlicher Psychopath. Er wollte uns alle umbringen!!!“

„Du lügst. A war der Beste im Waisenhaus und war mein bester Freund.“ Ein spöttisches Lachen kam von der anderen Leitung her, dann musste U husten. „Natürlich war so einer dein Freund. Du, A und F… ihr ward wie für einander geschaffen. Das Horror-Trio. Oh Mann, der Kerl war wirklich überall und hat uns allesamt terrorisiert. Er wusste alles von uns. Als ob er unsere Gedanken lesen konnte und er wusste sofort, wann wir lügen. A hat uns alle gegeneinander ausgespielt und eingeschüchtert. Wir hatten Angst! Und wir hatten immer wieder Pläne geschmiedet, wie wir euch drei umbringen sollten. Und als dann dieser Vorfall geschah, bot sich einfach die Gelegenheit.“ Beyond musste sich wirklich zusammenreißen als er hörte, dass die anderen Buchstaben wirklich geplant hatten, ihn umzubringen. Am liebsten hätte er jetzt einfach aufgelegt und seelenruhig abgewartet, bis Nummer 14 diese Dreckskerle tötete, aber das konnte er nicht machen. Wie sollte er ein besserer Mensch werden, wenn er jetzt aus persönlichen Gründen einen Rückzieher machte? „Was ist damals passiert?“

„A hat L erwischt und euer Trio des Schreckens hatte vorgehabt, ihn umzubringen. Dann gab es wohl Streit, A wurde mit Messerstichen ins Krankenhaus gebracht und wir alle hatten gebetet, dass er endlich stirbt. Aber nein, der verdammte Mistkerl überlebte auch noch. Wir wollten, dass er krepiert, ansonsten würde er wiederkommen und der Terror würde weitergehen.“

„A hat überlebt?“

„Ja verdammt!“ rief U gereizt. „Dieser Psycho ist mit einer Narbe davongekommen und E hat versucht gehabt, ihn im Krankenhaus umzubringen, aber sie hatte Schiss gehabt. Dann ist sie zu Watari gerannt und hat sich bei ihm ausgeheult. Dieser hat A in die Arroway Psychiatrie eingewiesen, damit man ihm helfen kann. Uns hat das aber nicht gereicht und deshalb haben wir ein wenig nachgeholfen.“ Beyonds Hand ballte sich zur Faust und er spürte diese unbändige Wut in sich aufsteigen. „Was habt ihr mit ihm gemacht?“ „Wir haben ein Feuer gelegt und dafür gesorgt, dass er nicht mehr rauskommt. Aber dann hat es sich ausgebreitet und die ganze Klinik abgefackelt. Zum Glück konnte seine verkohlte Leiche anhand einer Gebissanalyse identifiziert werden und wir haben drei Kreuze gemacht, dass dieser Freak endlich tot war. Wir wussten, dass Watari das verschweigen würde, weil er dich und Fear hinters Licht führen wollte indem er behauptet, A hätte Selbstmord begangen. Und ihr habt diese Show echt gut abgekauft und ebenso froh waren wir, als du endlich raus warst! Das hat uns wenigstens die Arbeit erspart, dich zu töten.“ „Ich wünsche dir viel Spaß beim Sterben, Uriah!“ damit beendete Beyond das Gespräch und legte auf. Sein Entschluss stand fest: Er würde die Morde nicht mehr verhindern wollen. Warum denn auch? Die anderen hatten echt vorgehabt, ihn umzubringen. Er hatte ihnen einiges zugetraut, aber niemals so eine Niederträchtigkeit. Und sie hatten seinen besten Freund auf dem Gewissen. Nur weil er, Fear und A anders waren als die anderen, galten sie gleich als Psychopathen. Es war gut, dass er das Waisenhaus verlassen hatte und gleichzeitig bereute er, dass er seinen Hass gegen die Falschen gerichtet hatte. Dieser sollte einzig und allein den anderen der 26 gelten, die alle dieses Verbrechen vertuscht haben. Sofort packte Beyond seine Sachen zusammen und er verließ auf schnellstem Wege das Zimmer. Jetzt hatte er lange genug Gnade walten lassen, er musste die Sache selbst in die Hand nehmen und U dafür bluten lassen für das, was er getan hatte. Und allein der Gedanke, dass vielleicht sogar Oliver Mitverschwörer sein könnte, ließ ihn überhaupt zweifeln, wer hier Freund oder Feind war. Konnte es etwa sein, dass jene, die er für seine Verbündeten gehalten hatte, die wahren Feinde waren und der Feind, den er bis jetzt gejagt hatte, in Wahrheit ein Freund war? Hatte Nummer 14 ihm nicht geholfen, Jeff loszuwerden und hatte dieser nicht seine Adoptivschwester vor dem Slender Man gerettet? Und war es nicht Nummer 14 gewesen, der einen der Menschen getötet hatte, der A auf dem Gewissen hatte und ihn töten wollte? Ja, Nummer 14 war kein Feind. Wie dumm war er doch gewesen, so etwas zu glauben. Aber jetzt sah er klarer. Jetzt waren die Karten neu gemischt und er würde sich nicht mehr täuschen lassen.

Er traf den immer noch ziemlich blassen Oliver in der Eingangshalle, der an seinem Laptop saß und noch ein paar Sachen erledigte. Als er Beyonds Schritte hörte, sah er auf und fragte, wie weit er sei. „Ich muss noch einige Nachforschungen anstellen. Hast du die Daten von Fear?“

„Ja, er hält sich zurzeit in einer Villa in Winchester auf. Chamber Street Nummer 212. Ich habe auch seine Telefonnummer.“ Und Beyond ließ sie sich geben. Oliver entging keineswegs, dass sich Beyond mit einem Male ganz anders verhielt als vorhin. Seine Stimme hatte einen harten und abweisenden Ton angenommen und er sah danach aus, als würde er am liebsten etwas zerschlagen. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Als ob du diese Frage nicht selbst beantworten könntest.“

„Was meinst du damit?“

„Spiel hier nicht den Unschuldigen. Du hast zusammen mit den anderen A umgebracht und ihr wolltet auch mich loswerden. Von euch lasse ich mich nicht mehr hinters Licht führen.“ Oliver sah ihn fassungslos an und verstand nicht das Geringste, was Beyond da eigentlich gesagt hatte. „Wovon zum Teufel sprichst du?“

„U hat mir brühwarm erzählt, dass ihr A umgebracht habt und ihr hattet sogar Pläne geschmiedet, mich um die Ecke zu bringen!“

„Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich würde dich niemals hintergehen und das weißt du doch. Ich dachte, wir sind Freunde.“

„Wer sagt mir, dass du auch die Wahrheit sagst?“

„Ich schwöre dir bei meinem Leben, dass ich nichts von so etwas weiß! Ich fand es doch auch total daneben, wie die anderen dich behandelt haben.“

„Nun gut, dann hoffe ich für dich, dass Nummer 14 das genauso sieht. Du und L, ihr könnt ja weiterspielen. Ich sehe nicht ein, warum ich jene Menschen retten sollte, die mich töten wollen.“ Und damit riss Beyond Oliver die Notizen aus der Hand und ging einfach. Und Oliver, der wirklich nichts von solchen Plänen wusste und nicht wirklich verstand, was das alles zu bedeuten hatte, ahnte Böses. Irgendetwas war an dieser Sache doch mehr als faul. Beyond war völlig durcheinander und wenn er nicht schnellstens etwas unternahm, machte dieser noch einen großen Fehler. Nun gab es nur noch eine Person, die ihm helfen konnte. Sofort verstaute Oliver seinen Laptop in die Tasche und ging los, um L zu suchen. Dieser befragte noch das Personal und empfing den beunruhigten Oliver. „Was ist? Ist etwas passiert?“

„Irgendetwas stimmt mit Beyond nicht. Er sagte, dass U ihm erzählt hatte, dass die anderen Buchstaben A ermordet haben und sie auch ihn töten wollten. Jetzt ist Beyond gegangen und will nichts mehr unternehmen, um Nummer 14 zu stoppen. Irgendetwas ist doch faul an der Sache. E hätte doch niemals bei solch einer Sache mitgemacht, sie war doch grundehrlich!“

„Tja, das ist wirklich ein sehr schwerer Vorwurf und wenn er sich bewahrheitet, kann ich Beyonds Reaktion verstehen. Aber du hast Recht. An dieser Sache stimmt etwas nicht und wir müssen die anderen fragen, inwiefern da etwas dran ist.“

„Dann willst du Beyond gar nicht aufhalten?“

„Das wird leider nicht viel bringen. Solange wir keine Beweise haben, wird er uns nicht glauben. Sein Vertrauen ist massiv erschüttert und das macht ihn umso anfälliger für die Lügen von Nummer 14. Uns wird er kein Wort mehr glauben.“

„Ich mache mir Sorgen um ihn. Sollten wir nicht seine Schwester kontaktieren?“

„Nein, sie hat nichts mit der Sache zu tun und sicher will er sie auch nicht mit hineinziehen.“

„Und was sollen wir dann tun?“

„Wir werden das Rätsel aufklären, wie A wirklich verstorben ist. Ob er von Beyond tödlich verletzt wurde, oder einer Verschwörung zum Opfer gefallen war.“

Zwei Versionen, eine Wahrheit

L hatte sich zusammen mit Oliver auf den Weg nach London gemacht, wo sich die beiden Physiker aus dem Waisenhaus aufhielten. Zuvor hatten sie sich über L’s Handy angekündigt und knapp eineinhalb Stunden später hatten sie das Haus endlich erreicht, das sich beide gekauft hatten. Irene Malbourne war zwei Jahre älter als L und hatte dunkelbraunes Haar und eine Brille mit dickem schwarzem Rahmen. Äußerlich sah sie wie Amy aus der Serie „The Big Bang Theorie“ aus und wie die Ironie so wollte, ähnelte Uriah Houston fast bis aufs Haar Leonard. Dabei entsprachen sie charakteristisch eher weniger diesen Rollen, sondern waren bodenständige Menschen, die glücklich zusammen waren und auch schon erste Familienpläne schmiedeten. Irene begrüßte die beiden herzlich und führte sie in den Wintergarten. Ihnen wurde Tee gebracht und während Uriah noch mit wichtigen Arbeiten beschäftigt war und deswegen keine Zeit für Oliver und L entbehren konnte, kümmerte sich Irene um sie. „Also, was verschafft uns die Ehre eures Besuches?“ „Es geht um den Tod von A. Es gibt wohl einige Ungereimtheiten und ich möchte die ganze Wahrheit hören. Ein Serienmörder, der sich „Nummer 14“ nennt, hat es speziell auf jene abgesehen, die Watari unter seine Fittiche genommen hat und offenbar gibt es einige Verbindungen zu A’s Tod.“ Irene sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und gab ein erstauntes „Hm“ von sich. „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Warum fragst du so genau nach?“

„Angeblich hat er Selbstmord begangen, aber Nummer 14 hat uns gesteckt, dass es in Wahrheit ganz anders gewesen war.“ Irene, die ein wenig verhalten wirkte, sah zu Uriah, der nicht weit von ihnen entfernt an einem Tisch saß und sich etwas auf dem Laptop durchlas. „Es stimmt schon, dass diese Selbstmordgeschichte eine Lüge war. Watari hat das damals so beschlossen und wir sollten uns alle an diese Version halten.“

„Warum?“

„A war nicht der brave Junge, den man sich vorstellen würde. Zwar hatte er stets die besten Noten und korrigierte sogar die Professoren, aber sein Charakter war eher… anders. Er hat sich nur mit Beyond sehr gut verstanden, während Fear hingegen eher geduldet wurde. A war ein sehr intriganter Mensch, der es liebte, alle gegeneinander auszuspielen und dann einfach nur zuzugucken. Beyond hat gar nicht gemerkt, was für einen verlogenen Freund er da hatte. Aber als die ganze Situation eskalierte, hat er es auch erkannt.“

„Als A versucht hat, mich umzubringen?“

„Genau. Ich war nicht dabei gewesen, aber ich kann mir denken, dass er völlig durcheinander war und von A unter Druck gesetzt wurde. Schließlich hat er sich gegen ihn aufgelehnt und ihn mit dem Messer attackiert. A überlebte diese Verletzungen und wurde nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in die Arroway Psychiatrie eingewiesen. Was er genau hatte, weiß ich nicht mehr, aber es bestand wenig Hoffnung auf Heilung. Schließlich musste er vollständig isoliert werden, weil er gefährliche Manien hatte. Schon im Waisenhaus hatte er eine stark ausgeprägte Pyromanie. Er hat mal sein eigenes Bett angezündet und hat sogar mit Gas gespielt, um Feuer zu machen. Ich wette, dass er damals mit dem Gedanken gespielt hatte, das Waisenhaus abzufackeln.“

„Wie ist er gestorben?“

„Es ereignete sich ein großer Brand. Um genauer zu sein, war es war Brandstiftung. A hatte versucht gehabt, ein Feuer zu legen und ist dabei selbst umgekommen.“ Sehr ähnliche Geschichten aber mit jeweils verschiedenen Versionen. U hatte Beyond am Telefon erzählt, er habe mit den anderen das Feuer gelegt, um A umzubringen und jetzt erzählte I, dass A selbst der Verursacher war. Was sollte man jetzt noch glauben? Genau das wollte L jetzt wissen. „Hat Beyond vielleicht vorhin angerufen?“

„Nein, nicht dass ich wüsste. Ich wäre nämlich die Erste gewesen, die am Hörer gewesen wäre. Uriah bekommt ja sowieso nichts mit, wenn er erst einmal am Arbeiten ist. Ich zeig’s mal.“ Und damit drehte sie sich ihrem Verlobten zu. „Schatz, ich bin schwanger!“ „Ja Liebes, ich komm gleich.“ Tatsächlich war Uriah komplett auf seine Arbeit konzentriert und bekam überhaupt nichts mit. Aber L war skeptisch und ging zum Telefon. Dort wurde automatisch eine Liste erstellt, welche Anrufe alle eingegangen waren. Beyonds Handynummer fand sich nicht in der Liste wieder und auch Oliver, der mit einigen Tricks sogar längst gelöschte Listen wiederherstellen konnte, fand nichts. Offenbar war der Anruf umgeleitet worden. Schließlich wandten sie sich an Uriah, der daraufhin kurz seine Arbeit unterbrechen musste. „Tut mir leid, aber ich hab höchstens heute Morgen mit Professor Wernström aus Schweden gesprochen. Es geht um ein sehr wichtiges Experiment, das vielleicht die wichtigste Erkenntnis des 21. Jahrhunderts bringen könnte. Streng geheim und von höchster Bedeutung also! Für solche Telefonate hab ich deshalb weder Kopf noch Zeit!“

„Dann formuliere ich meine Frage anders: Hattet ihr jemals Beweggründe, A oder Beyond etwas anzutun?“

„Um ganz ehrlich zu sein, hatten wir immer wieder vorgehabt, A loszuwerden. Wir hatten Angst vor ihm und er hat uns das Leben im Waisenhaus zur Hölle gemacht. Das waren nicht bloß übliche Mobbingaktionen, manchmal endete es mit schweren Verletzungen und Traumata fürs Leben. Der schlimmste Vorfall hatte sich ereignet, als Rufus ihm ein Bein gestellt hat. Erinnerst du dich noch, Irene?“

„Ja. A hat sich auf schreckliche Art und Weise an Rufus gerächt. Er wusste nämlich, dass Rufus ein Asthmatiker war. All seine Spraydosen hatte er geleert, selbst die Notreserven und dann dafür gesorgt, dass Rufus einen Anfall bekam. Es hätte nicht viel gefehlt und Rufus wäre erstickt. Er konnte nicht einmal mehr um Hilfe rufen. Keiner von uns hat sich jedoch getraut, etwas davon Watari und Roger zu erzählen. Jona hatte damals auch wirklich Glück gehabt. A hatte ihn an den Fahnenmast gefesselt und ihm gesagt, sein Essen wäre vergiftet und er würde ihm nur das Gegenmittel geben, wenn Jona sich ein Bein absägt. Zum Glück ist Professor Simpson vorbeigekommen und hat das Schlimmste verhindert.“ Oliver war fassungslos und konnte das nicht glauben. „Warum kann ich mich nicht an diese Dinge erinnern?“

„Das kann ich auch nicht sagen. Jedenfalls hat es A nie wirklich gefallen, wenn er dich und Beyond zusammen gesehen hat. Er war nicht nur ein Pyromane, sondern auch ein echter Kontrollfreak. Er hat Beyond keine Sekunde aus den Augen gelassen und ihn ständig verfolgt. Der hat den armen Kerl total abhängig gemacht. Mir hat Beyond wirklich leid getan.“

„Er war eben das Lieblingsspielzeug von A“, kommentierte Uriah und trank einen Schluck Kaffee, ohne von seinem Laptop aufzusehen. „A hat zwar hin und wieder seinen Spaß mit uns gehabt, aber an Beyond hatte er seinen größten Spaß. Er ließ sich wunderbar manipulieren, weil er wegen seiner Eltern schon vorbelastet war. A hat echt heftige Psychospielchen mit ihm getrieben. Meist hat er dafür Fear benutzt, der stand ja auf so was. Die beiden waren ja eh wie Sklave und Domina.“

„Uriah!“

„Ist doch wahr. Wir alle hatten Schiss gehabt und haben nichts getan. Deswegen waren wir alle so froh, als A sich selbst abgefackelt hat.“

„Warum hat Watari behauptet, es wäre Selbstmord gewesen?“

„Weil er Beyond schützen wollte. Kaum war A von der Bildfläche verschwunden, haben wir die Gelegenheit genutzt und alles erzählt. Angefangen von A’s Aktionen bis hin zu dem, was er mit Beyond gemacht hat. Watari wusste sich nicht anders zu helfen und hat dann eine Schmierenkomödie aufführen lassen, damit Beyond eine plausible Erklärung für A’s Verschwinden geliefert wird. Wir alle haben mitgespielt, nur Fear, Beyond und ihr beiden wusstet nichts davon. Solange es überzeugend wirkte, war alles in Ordnung. Aber niemand von uns hätte gedacht, dass Beyond dermaßen durchdreht und das Waisenhaus verlässt. Er hat uns alle zum Teufel gewünscht und so aggressiv, wie er drauf war, wollten wir ihm lieber nicht zu nahe kommen. Und dass er Jahre später Menschen umbringt, damit hätte keiner von uns gerechnet.“

So langsam aber sicher ergab sich für Oliver ein logisches Gesamtbild. Deshalb also hatte niemand Beyond zur Konferenz eingeladen: damit die Lüge nicht auffliegt. Und da er, Oliver, gut mit Beyond befreundet war und bereits mit ihm in Kontakt stand, wollte man ihm nichts sagen. Die Gefahr, dass er etwas ausplaudern würde, war zu groß. „Damit ich das richtig verstehe: Ihr hattet nie vorgehabt, Beyond zu töten?“

„Nein, wozu denn auch? Er hat uns nie etwas getan und hätten wir nicht so eine Angst vor A gehabt, dann hätten wir ihn auch nicht gemieden. Jeder im Waisenhaus wusste, dass man niemals mit A’s Spielzeug spielen darf.“

„Aber warum erzählt uns Beyond, dass Uriah gesagt hat, dass ihr alle ihn umbringen wolltet?“

„Jemand muss ihn verarscht haben.“ Nein, nicht Jemand, sondern Nummer 14 alias Fear Illusion. L war sich sicher, dass das zum Plan dieses verrückten Illusionisten gehörte, Beyond in dem Glauben zu bestärken, dass die anderen ihn hassten und verachteten. Und je näher L über diesen ganzen Fall nachdachte, desto ausgetüftelter kam dieser Plan ihm vor. Fear hatte alles sehr gut durchdacht. Er gab Beyond in Problemsituation Hilfestellungen, schaffte ihm problematische Individuen vom Hals und zeigte somit ganz deutlich, dass er kein Feind war. Die Aktion mit dem Waisenhaus war riskant, aber gleichzeitig geschickt eingefädelt. Stück für Stück offenbarte er Beyond die Wahrheit und behielt dabei entscheidende Informationen vor und nutzte seine Unsicherheit aus, um Einfluss auf ihn auszuüben. Und da Beyond all die Jahre nicht sehr viel für Wammys House übrig hatte, war es dementsprechend auch nicht schwer, ihn gegen die anderen „26“ aufzuhetzen. Es würde unglaublich schwer werden, Beyond wieder zur Vernunft zu bringen und ihm die Augen zu öffnen. Ernsthaft besorgt legte L die Stirn in Falten und begann an seiner Daumenkuppe zu knabbern. Sie mussten sofort etwas unternehmen, ansonsten könnte das noch ein sehr böses Ende nehmen. Es galt zu verhindern, dass Beyond in Kontakt zu Fear trat. „Wir müssen zu Fears Villa und Beyond abpassen!“

„Das kann ich nicht zulassen.“ Mit einem Male stand eine wunderschöne Frau mit schwarzem Haar und gelben Augen, die gekleidet war wie ein Dienstmädchen, in der Wohnung. Sie war lautlos hereingekommen und trug ein Samuraischwert bei sich. L kannte diese Frau. Es war Anne Hartmann, das Dienstmädchen von Fear. Seine Dienerin, seine Leibwächterin und seine persönliche Killerin. „Ich habe den Befehl, Irene Malbourne und Uriah Houston zu töten und ich werde diesen Auftrag ausführen. Othan Ohlew und L Lawliet soll ich hingegen am Leben lassen.“

„Und wie kommen wir zu der Ehre?“

„Wenn ich euch töte, scheitert der Plan meines Herrn. Aber trotzdem kann ich euch nicht gehen lassen.“ Und mit diesen Worten hob sie eine Pistole hervor und schoss damit direkt auf L und O. Es waren keine Kugeln sondern Betäubungspfeile. Anne hatte ja den Befehl erhalten, sie weder zu töten, noch zu verletzen. Also gab es nur diese Möglichkeit. Noch nie hatte sie einen Befehl missachtet und sie würde es auch jetzt nicht tun. Irene und Uriah sprangen auf und wollten fliehen, doch Anne verfolgte sie, holte mit dem Schwert aus und schnitt ihnen die Achillessehnen durch. Beide fielen zu Boden und konnten somit nicht mehr davonlaufen. „Keine Sorge“, sagte Anne kühl und zerrte Irene an den Haaren hoch. „Es wird schon bald vorbei sein.“
 

Beyond hatte die Villa erreicht, die Fear zurzeit bewohnte, aber wie sich herausstellte, war keiner da. Anscheinend war der Illusionist ausgegangen, oder aber die anderen hatten ihn gefunden und zum Schweigen gebracht. Momentan traute er den „26“ wirklich alles zu, immerhin hatte Uriah ihm gesagt, dass sie sowohl ihn als auch Fear umbringen wollten. Was, wenn sie das jetzt tatsächlich vorhatten und er der Nächste war? Allein der Gedanke, dass Fear in Gefahr sein könnte, motivierte ihn dazu, die Tür aufzubrechen und sich somit gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Schon als er die Eingangshalle betrat, sah er überall Spiegel. Große Spiegel, kleine Spiegel und welche, die alles verzerrten. Es gab sogar Spiegel, die zeitlich verzögert widerspiegelten. Das war Fears größtes Meisterwerk als Illusionist und beruhte dabei auf exakte Winkelberechnung. Diese zeitverzögerten Spiegel waren in Wahrheit Bildschirme, die als Spiegel getarnt wurden. Fear brachte versteckte Kameras zwischen den Spiegeln an und diese gaben das wieder, was in den anderen Spiegeln zu sehen war. Das funktionierte aber nur dann, wenn überall Spiegel hingen. Für diese Objekte hatte Fear schon immer eine gewisse Faszination gehegt. Alles, was überhaupt mit Sinnestäuschungen zu tun hatte, liebte er und er hatte sich in Kalifornien ein Anwesen aufgebaut, das voller Fallen und Täuschungen war. Unterirdische Labyrinthe, deren Wände sich verschoben, die unendliche Wendeltreppe und das Kopfüberzimmer. Die Nightmare Mansion war sein größtes Meisterwerk und sie war auf der ganzen Welt einzigartig. „Fear? Bist du hier irgendwo?“ Beyond betrat das Kaminzimmer, das völlig aufgeräumt und verlassen war. Auch in den anderen Räumen verhielt es sich so und schließlich betrat Beyond das Arbeitszimmer. Er begann in den Schreibtischschubladen und den Ablagen nachzusuchen und holte dabei Dokumente heraus. Eines davon enthielt Fotos von einem großen Feuer. Es war ein Zeitungsartikel und dieser berichtete von dem Brand in der Arroway Psychiatrie. Darin stand, dass es Brandstiftung war und es einen Toten gab. Der Leichnam war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, aber das Gebiss war noch intakt und dadurch konnte man die Leiche als den Waisenjungen Andrew Asylum identifizieren. Ein Foto des Jungen gab es nicht. Fassungslos sah Beyond den Zeitungsartikel an und fühlte sich schlecht. Es war also tatsächlich wahr. A, sein bester Freund war einem Brandanschlag zum Opfer gefallen. Insgeheim hatte er ja noch gehofft gehabt, dass es nicht so war und sich das alles ganz anders erklären könnte. Aber jetzt hatte er den Beweis schwarz auf weiß. „Scheiße…“, murmelte er und blätterte weiter. Es fand sich eine Todesanzeige, ein paar Briefe und eine seltsame Nachricht, die an Fear adressiert worden war. Sie besaß keinen Absender und bestand aus einer ziemlich unlogischen mathematischen Formel:
 

OX: => f(x)= 1^0,5+11x*14x+(7*180)x+1^0,5+ 1^0,5/(3*180)x
 

Beyond rechnete im Kopf nach, bekam aber keine Antwort auf das Rätsel. Nun gut, die Funktion war lösbar. Wenn man f(x)=1 setzte, bekam man x=0 raus aber das half auch nicht so wirklich weiter. Und außerdem kam dieses OX mit dem Pfeil darüber bekannt vor. Es war das Zeichen für einen Ortsvektor, so viel wusste er schon mal. Aber da war noch mehr gewesen. Ja genau, es war in seiner Heimatstadt gewesen. Als er nämlich kurz vor Abreise die Gräber von Jeff, Madelines Großvater und Jamie besucht hatte, da hatte Nummer 14 ihm eine Nachricht hinterlassen und da war auch das Zeichen für den Ortsvektor drauf gewesen. Und wenn Beyond bedachte, dass A alias Andrew Asylum diese Nachricht geschickt haben könnte, dann ließ sich die Funktion tatsächlich recht einfach auflösen. OX stand für den Aufenthaltsort, wo sich Andrew aufhielt. Wenn er das aus der Psychiatrie geschickt hatte, dann müsste das => einen Pfeil darstellen und ein Pfeil symbolisierte normalerweise einen Weg. Also „Arrow“ und „Way“, was zusammengeschoben den Namen der Psychiatrie gab. Und jetzt erinnerte sich Beyond auch, was es mit dem f(x) und den anderen Zahlen auf sich hatte. Das waren Buchstaben. Damals im Waisenhaus hatten er, Fear und Andrew ein System entwickelt, wie sie verschlüsselte Botschaften verschicken konnten, die als mathematische Funktionen getarnt waren. Fear war die Funktion, also das f(x). Die 1^0,5 war das I. Normalerweise hätte ja schlichtweg eine 1 gereicht, aber das wäre zu einfach gewesen. Beyond, Andrew und Fear hatten die Angewohnheit, ihre 1 ganz anders zu schreiben, als die anderen Kinder. Den Haken an der 1 schrieben sie nämlich so lang, dass es genauso tief ging wie der Strich. Da der Haken also doppelt so lang war, musste man die Hälfte abziehen, damit die 1 ein I ergeben konnte. Allerdings konnte man schlecht 1*0,5 schreiben, denn das Multiplikationszeichen wurde für Leerzeichen verwendet und wenn man die 1 mit 0,5 multipliziert hätte, dann wäre es keine 1 mehr gewesen, sondern nur die Hälfte! Wenn man aber 1^0,5 nahm, so behielt man rein rechnerisch immer noch die 1. Wenn einer von den dreien eine 11 geschrieben hätte, käme damit kein ii raus sondern ein M. Die 14 ergab den Buchstaben A, wenn man die 4 an die 1 lehnte. Drehte man die 7 um 180° (Wenn Zahlen gedreht wurden, schrieb man sie in Klammern und multiplizierte sie mit dem Winkel), sodass es ein L ergab. Der I-Strich, der durch 1^0,5 gebildet wurde, ergab mit dem /x den Buchstaben V und (3*180) ergab dann ein E. Und setzte man f(x)=1 ein, erhielt man x=0. Also verlor das x an jeden Wert und konnte gestrichen werden. So ergab die Botschaft, die für jeden anderen eine normale Funktion darstellte:
 

Ort: Arroway
 

Fear, IM ALIVE
 

Andrew hatte es damals geschafft, Fear in Kenntnis zu setzen, dass er noch am Leben war. Aber warum hatte Fear ihm nichts gesagt und warum hatte dieser A nicht gerettet? Oder hatte dieser es nicht geschafft, den Code zu knacken? Selbst da hätte er ihn fragen können. Beyond hätte es ziemlich schnell gelöst. Oder konnte es vielleicht sein, dass Fear diese Nachricht bereits entschlüsselt und er versucht hatte, Andrew zu retten? Jetzt wollte er mehr als sonst Fear sprechen und ihn fragen, was er nach Entschlüsseln dieser Botschaft getan hatte. Warum musste er ausgerechnet jetzt nicht im Haus sein? Sollte er vielleicht Oliver fragen und ihn bitten, Fear für ihn zu finden? Ach nein, er musste es alleine tun. Von jetzt an war er ganz auf sich alleine gestellt und er konnte niemandem trauen, außer sich selbst.

In der Gewalt von Nummer 14

Als Beyond das Haus von U erreichte, stand die Tür sperrangelweit offen und aus dem Inneren drang eine Klaviermusik her, die Beyond irgendwo schon mal gehört hatte, die aber dieses Mal nicht Bachs „Badinerie“ war. Nein, es war dieses Mal das Lied „Beware of the Friendly Stranger“. Die Musik hatte er gehört, als er als Jugendlicher rein zufällig auf die Salad Finger Videos gestoßen war. Das Lied jagte ihm einen Schauer über den Rücken und klang so fremdartig und seltsam, dass sie gar nicht von dieser Welt zu sein schien. Und die Heiterkeit, die in diesem Lied zu hören war, wirkte wie eine gefährliche Illusion. Sie war ungefähr genauso falsch wie das freundliche Lächeln einer gehässigen Person. Im Wohnzimmer war die Musik am lautesten und sie kam von einem Schallplattenspieler her, der genau in der Mitte des Raumes platziert war. An den Wänden waren die Körper von I und U genagelt und das in einer so bizarren Weise, dass der Serienmörder erst einmal sprachlos war. Man hatte ihre Leichen von der Haut befreit, die auseinandergebreitet an die Wand genagelt war und auch die Organe hingen aus dem Bauch raus und die Enden waren seitlich vom Körper an den Wänden mit rostigen Nägeln befestigt. Die Augen fehlten und der Kopf war vollständig von Haaren, Haut, Fleisch und Sehnen befreit, sodass der Schädel blank da lag. Die Arme waren ausgebreitet und sowohl Hände und Füße waren ebenfalls mit Nägeln versehen. Damit ähnelten sie einer absolut bizarren Version vom gekreuzigten Jesus. An der Wand gegenüber war mit Blut geschrieben „The sights of hell bring its viewers back in“, was in ungefähr so übersetzt werden konnte: Die Anblicke der Hölle bringen ihre Betrachter wieder dorthin zurück. Diese Botschaft hatte er schon mal gehört. Ja genau! Als Oliver versucht hatte, Wataris Computer zu hacken, war auf dem Bildschirm jene Nachricht erschienen. Aber was sollte diese Nachricht bedeuten? Was wollte Nummer 14 oder besser gesagt Fear Illusion damit sagen? „Die Anblicke der Hölle bringen ihre Betrachter wieder dorthin zurück.“ Schön und gut, aber wohin zurück? Und welche Hölle meinte er eigentlich? Und welche Betrachter meinte er damit? Etwa ihn oder die Buchstaben? Solange er dieses Rätsel nicht lösen konnte, würde die Schnitzeljagd weitergehen und er hatte nicht ewig Lust, durch die Gegend zu rennen und Leichen unter die Lupe zu nehmen. Moment mal, hatte Oliver nicht auch Fears Handynummer recherchiert? Dann müsste sie doch eigentlich bei den Notizen sein, die Beyond bekommen hatte. Er sah in seiner Tasche nach und überflog alles, was Oliver in Erfahrung gebracht hatte. Fear Illusion hieß mit richtigem Namen Dimitrij Ivanow und es war weder etwas über seine Familie noch über seine Zeit vor Wammys House bekannt. Man fand ihn halb verhungert nahe der russischen Grenze und er konnte sich nur auf Russisch verständigen und nur sehr mangelhaft lesen und schreiben, was er sich selbst beigebracht hatte. Er hatte eine Frau bei sich gehabt, die Anne Hartmann hieß, jedoch nicht mit ihm verwandt war. Während Fear im Waisenhaus lebte, besuchte sie verschiedene Kampfsportschulen und ließ sich auch zu einem Dienstmädchen ausbilden. Sie hatte in den bekanntesten Kampfsportarten schwarze Gürtel und konnte meisterhaft mit Schuss- und Klingenwaffen umgehen. Fear verließ kurz nach Beyonds Flucht das Waisenhaus und wurde ein berühmter Illusionist. Er war bekannt dafür, perfekte Illusionen zu erzeugen, indem er die Sinne seines Publikums manipulierte. Im Alter von 18 Jahren baute er sich die Nightmare Mansion und zog sich überraschend nach seinem 23. Geburtstag zurück, Gründe waren seine instabile psychische Verfassung. Der Stress war einfach zu viel für ihn und er ließ sich nur noch selten in der Öffentlichkeit blicken. Aufgrund seiner lockeren aber sehr eleganten Smokings, die dem Stil der Gründerzeit im Jahre 1880 nachempfunden wurde, nannte man ihn den einäugigen Gentleman. Fear trug stets eine Augenklappe, die mit einer weißen Rose verziert war und sein graues Haar ließ ihn gleichzeitig wie jemand wie aus dem 17. Jahrhundert erscheinen, wo alle noch weiße Perücken trugen. Auch die Innen- und Außenarchitektur seines Hauses entsprach dem des 19. Jahrhunderts. Fear liebte Spiele aller Art, er war ein Weinliebhaber und für gewöhnlich hörte er gerne Jazz. Kurzum, der Kerl war jemand mit Stil. Es war wirklich unglaublich, wie unterschiedlich sich die größten Freaks und Außenseiter in Wammys House entwickelt hatten. Fear war ein weltberühmter Illusionist, reich und hatte sich etwas aufgebaut, während Beyond zu einem gewöhnlichen Mörder verkommen war. Wie hatte es Fear bloß geschafft, sein Leben so zum Positiven zu gestalten, ohne völlig abzurutschen? Ach, alles erschien Beyond so schwer in diesem Moment und er wünschte sich nichts Sehnlicheres, als mit seinen beiden Freunden wieder zu sprechen. Er wollte wieder jung sein und zusammen mit Andrew Streiche spielen. Wie damals Chinaböller in die Briefkästen der Nachbarn legen oder Kaugummi in die Schlüssellöcher stopfen. Wie damals wollte er Reißzwecken auf die Stühle der Lehrer legen oder die Sitzflächen mit Kleber beschmieren. Oder aber sich an Lorraine zu rächen, die ihm im Essenssaal immer ein Bein stellte, indem er und Andrew sie fesselten und ihr mit einer Spritze harmlose Kochsalzlösung injizierten. Lorraine hatte panische Angst vor Nadeln und hatte furchtbar geschrieen, als sie allein schon die Nadel sah. Andrew hatte sogar noch einen drauf gesetzt, indem er ihr sagte, er würde ihr mikroskopisch kleine Parasiten spritzen, die zu langen Würmern heranwachsen und sie von innen auffressen würden. Zur Demonstration hatte er einen Bandwurm dabei gehabt, den sie im Biologieunterricht untersucht hatten. Danach hatte Lorraine es nie wieder gewagt, Beyond auch nur böse anzusehen. Ja, damals hatte sich Andrew jeden vorgeknöpft, der es gewagt hatte, Beyond herumzuschubsen. Und dann war er ganz plötzlich gestorben. Wie konnte alles nur so sehr eskalieren, dass Beyond seinen besten Freund mit einem Messer attackierte? Das machte doch überhaupt keinen Sinn! Oder war das nur eine Lüge gewesen, die L ihm eingetrichtert hatte? Konnte es vielleicht sein, dass L oder jemand anderes Andrew niedergestochen hatte und Beyond dann alles in die Schuhe geschoben hatte? Ja, das machte Sinn…. Was, wenn das die Wahrheit war, die Fear ihm als Nummer 14 enthüllen wollte? Nämlich dass nicht er, sondern jemand aus seinem Umfeld seinen besten Freund töten wollte? Als Beyond so darüber nachdachte, wurde ihm schlecht. Er nahm sein Handy und wählte Fears Nummer. Es ging jedoch nur die Mailbox ran und er hinterließ notgedrungen eine Nachricht. Vielleicht hatte er ja Glück und er erwischte Fear, wenn er es noch rechtzeitig ins Krankenhaus schaffte. Denn dort befand sich Fears nächstes Opfer: Die Chirurgin H alias Hester Holloway.
 

Als L und Oliver wieder erwachten, saßen sie auf Stühlen direkt gegenüber einem Gestell, worauf Watari geschnallt worden war und der von oben bis unten mit einer Art durchsichtigen Folie eingewickelt war. Selbst sein Kopf war fixiert und auch der Mund war mit Folie zugewickelt und nur Augen und Nase waren frei. Perfekt eingewickelt. L und Oliver hatte man nicht gefesselt, dafür aber stand Anne Hartmann neben der Tür Wache und hielt ihre Pistole bereit. Der Raum, in dem sie sich befanden, war kalt und steril, überall waren Fliesen und es war kalt. Irgendwie erinnerte dieser Ort an eine Art verlassenen Operationsraum. Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen und ein Maskierter mit schwarzer Kapuzenjacke trat herein. Es war Nummer 14, darin bestand kein Zweifel und er gab ein leises amüsiertes und durch und durch boshaftes Lachen von sich. „Wie schön dass ihr beiden wach seid. Ohne euch kann die große Vorstellung doch nicht von statten gehen!“

„Lass den Unsinn und erkläre uns, was du mit uns vorhast!“

„Immer noch derjenige, der den Ton angibt, nicht wahr L? Ahahaha, aber nicht mehr lange. Schon bald wird die liebliche Melodie des siebten Requiems erklingen und das Spiel wird sich dem Finale zuneigen. Da wäre es doch schade, wenn ausgerechnet ihr fehlen würdet! Ihr drei bildet doch die letzte große Runde unseres Spiels.“ Die Stimme klang so samtig weich und sanft und hatte doch so etwas Eiskaltes und Bösartiges in sich, dass selbst L erschauderte. „Warum bringst du uns nicht um?“

„Das liegt doch auf der Hand, mein lieber Oliver. Es liegt nicht an mir, euch zu töten. Nein, ihr seid sozusagen die Opferlämmer. Euch wird niemand anderes als Beyond Birthday umbringen.“

„Warum sollte er so etwas tun?“

„Stellst du immer so dumme Fragen? Na weil L ihm den Mordversuch an A in die Schuhe geschoben hat, damit dieser noch ein schlechtes Gewissen hat und daran zerbricht.“ Und damit brach Nummer 14 in schallendes Gelächter aus, als hätte er den besten Witz aller Zeiten gehört. „In diesem Moment ist Beyond doch so verwirrt, dass er nicht einmal seinen eigenen Erinnerungen glauben kann. Und da es doch äußerst unlogisch erscheint, dass er seinem geliebten Freund so etwas antun würde, sucht er die Schuld unbewusst bei jenen, die er sowieso immer gehasst hat. Und wer wäre ihm da willkommener als Watari, Roger, L und die anderen „26“? Und wenn ihm erst einmal klar wird, wie übel ihr ihm mitgespielt habt, wird sein Hass von neuem entfachen und er wird Rache nehmen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er den Weg zu mir gefunden hat.“

„Ich habe niemals versucht, Beyond ein schlechtes Gewissen zu machen!“ verteidigte sich L und stand von seinem Stuhl auf, doch als Anne mit der Pistole auf ihn zielte, setzte er sich lieber wieder hin. „Das weiß ich doch“, sagte Nummer 14 und lachte. „Aber weiß Beyond das? In diesem Augenblick zweifelt er wieder an deiner Aufrichtigkeit und wenn ich ihm auch noch den Beweis liefere, dass du ein hinterhältiger Lügner bis, dann wird er dir kein Wort mehr glauben. Ach ja, ich muss schon sagen: Mein Plan funktioniert bis ins kleinste Detail. Alles ist eingetreten, so wie ich es vorgesehen hatte. Bis auf diese Panne mit Uriah und Irene. Dieser verdammte Vollidiot hat fast alles ruiniert!“

„Was meinst du damit?“

„Vorgesehen war, dass Uriah und Irene sofort nach Beyonds Anruf getötet werden sollen, aber dieser Schwachkopf hat plötzlich über die Stränge geschlagen und ich musste seine Fehler wieder ausbügeln. Aber was will man von Fear schon anderes erwarten? Er ist ein Holzkopf!“

„Dann bist du gar nicht Fear Illusion?“

„Blitzmerker, was? Oh Mann, ihr hattet es alle die ganze Zeit vor Augen und habt es dennoch ignoriert. Es ist doch wirklich traurig, wie beschränkt der Horizont des großen L wirklich ist.“ Und damit nahm Nummer 14 seine Maske endlich ab. Zum Vorschein kam ein rothaariger junger Mann mit dunkelbraunen Augen und Sommersprossen im Gesicht. Er hatte Ähnlichkeiten mit Benjamin Lake, der tollpatschigen Aushilfskraft im Hotel. Nur die Haarfarbe war nicht mehr blond, das war auch schon alles. „Du?“ fragte L erstaunt und zum ersten Mal in seinem Leben entgleisten ihm sämtliche Gesichtszüge. „Das… das ist doch…“

„Wir haben uns seit langem nicht mehr gesehen, nicht wahr, L Lawliet?“

„Das gibt es doch nicht“, stammelte Oliver und das nackte Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Auch Watari sah fassungslos aus. „Du kannst es gar nicht sein. Du bist doch tot!“

„Naja, ich gebe zu, dass es ein bisschen schwierig war, aber dank Fear konnte ich die ärztlichen Dokumente vertauschen, sodass nicht die zahnärztlichen Informationen meiner Wenigkeit vorlagen, sondern die eines anderen Patienten in der Arroway Anstalt. Lange habe ich als Ben Lake gelebt und auf meine Rückkehr als A, oder besser gesagt als Andrew Asylum gewartet. Ihr glaubt nicht, wie unglaublich anstrengend es war, Ben Lake zu sein. Einen Trottel zu spielen, der selbst zu blöd zum Putzen ist. Aber wenn ich zurückblicke, dann war es mir Wert gewesen. Wenn Beyond kommt, gibt es erst einmal ein Tränenreiches Wiedersehen und ihm wird eine Szene geboten, die er nicht so schnell vergessen wird. Er wird sehen, wie Watari versuchen wird, mich umzubringen. Natürlich darf nichts darauf hinweisen, dass er gefesselt wurde. Deswegen hab ich auf Klebeband und Seile verzichtet und ihn in Folie eingewickelt. Die Idee kam mir übrigens mit der Serie „Dexter“. Eine gute Inspirationsquelle.“

„Warum sollte Watari versuchen, dich umzubringen?“

„Na das liegt doch auf der Hand: Fears besondere Gabe. Mit seinem rechten Auge kann er seine Mitmenschen hypnotisieren und sie dazu zwingen, alles zu tun, was er will. Sei es, am Telefon Dinge zu sagen, die er niemals sagen würde oder aber, sich wehrlos dem eigenen Mörder ergeben. So ist es ihm gelungen, E ohne Kampf zu überrumpeln, nachdem er Watari an den vereinbarten Ort geschickt hat. Ich hatte das Ganze überwacht und dafür gesorgt, dass Anne Watari unbemerkt hinausschleust. Eigentlich hatte ich gedacht, ich könnte Fear zutrauen, alleine weiterzumachen, aber die Panne mit Irene und Uriah hat mir gezeigt, dass man ihn nicht ohne Aufsicht lassen kann.“ Gut gelaunt setzte sich Andrew auf einen freien Stuhl und holte aus seiner Jackentasche Traubenzuckerwürfel, die er sich in den Mund schob und kaute. Schon im Waisenhaus hatte er sie stets und ständig gegessen. „Diese Dinger hier liebe ich fast genauso sehr, wie ich Spiele liebe. Wir beide sind gar nicht mal so verschieden, L. Wir beide manipulieren unsere Mitmenschen, benutzen sie wie Schachfiguren und belügen und betrügen.“

„Ich tue das aber, um Schwerkriminelle zu fassen und nicht zum persönlichen Vergnügen.“

„Ach komm schon. Jetzt erzähl mir nicht, dass du es nicht genießt, wenn alle tun, was du sagst. Gib es doch zu, dieses Gefühl ist doch herrlich. Da fühlt man sich ja fast wie ein Gott.“

„Sag bloß, du hältst dich für Gott.“

„Nein, ich halte mich für einen Spieler, der die Puppen an den Fäden zieht. Indem ich sie glauben lasse, dass sie sich frei bewegen können, lassen sie sich von mir führen. Nach diesem Paradoxon lebe ich und bis jetzt habe ich noch nie ein Spiel verloren. Ja, man kann schon sagen, dass ich schon fast süchtig nach Spielen bin. Zuerst habe ich kleine Tiere gequält, aber irgendwann war mir das nicht mehr genug. Und als ich meine Spiele dann mit den Kindern im Waisenhaus durchgeführt habe, war das purer Nervenkitzel. Das war besser als jede Theatervorstellung und spannender als jede Fußball WM, aufwendiger als jedes Rätsel und ich war der Game Master, der sich zwischendurch ins Spiel schleicht, um es zu seinen Gunsten zu manipulieren. Ich allein entscheide, wie dieses Spiel endet und wenn eine Spielfigur zu lahm ist, wird sie aussortiert, während die besten bevorzugt werden. Und Beyond ist mein absoluter Favorit, mein bestes Spielzeug. Fear ist zwar sehr nützlich und er tut alles, was ich sage, aber leider geben mir die Spiele mit ihm nicht den Reiz wie mit Beyond. Ich meine, mit Fear kann ich alles machen. Ihn demütigen, ihn foltern, der macht alles mit. Der steht ja richtig darauf. Beyond hingegen hat eine zerbrechliche Seele, ein angekratztes Selbstbewusstsein und es fällt ihm schwer, Vertrauen zu anderen aufzubauen. Er ist wie eine schöne Blume im Sumpf. Aber genug davon. Hier kann man doch nicht vernünftig reden. Ihr habt doch sicherlich Hunger! Kommt, wir gehen woanders hin, wo wir in entsprechender Atmosphäre miteinander reden können. Nur keine Sorge, ich tu euch schon nichts. Höchstens, wenn ihr auf den Gedanken kommt, wegzulaufen. Anne, du hältst hier bei Watari die Stellung.“ Da sowohl L als auch Oliver lieber nicht wissen wollten, was ihnen drohte, wenn sie Andrews Anweisungen nicht Folge leisteten, hielten sie es für besser, ihm zu folgen. Der tot geglaubte Wammy-Sprössling führte sie einen langen Gang mit mehreren Stahltüren entlang, bis sie um die Ecke bogen und nach einer Weile eine Art Cafeteria erreichten, die im Gegensatz zum Rest des Gebäudes frisch renoviert zu sein schien und einen sehr gemütlichen Eindruck machte. Es war für drei Personen gedeckt und jeder Platz war mit einem Namensschild versehen. Und für jeden war ein Gericht serviert. „Keine Sorge, das Essen ist nicht vergiftet. Es würde nicht zu meinem Plan passen, wenn ihr beide sterbt.“

„Schön zu hören“, murmelte Oliver als er sich an seinem Platz setzte. Ihm war ein Medium Steak serviert worden, mit Rosmarinkartoffeln und dazu passender Sauce. Dazu gab es einen Rotwein. Für L, der hauptsächlich nur an Süßem interessiert war, gab es eine Erdbeertorte und eine Mousse au Chocolat. Dazu noch Tee mit extra viel Zucker. Für Andrew gab es gebratenen Lachs mit Zitronenrisotto und dazu einen Weißwein. Das Essen sah vorzüglich aus und war gerade erst serviert worden. Nachdem sich L und Oliver gesetzt hatten, nahm auch Andrew Platz und trotz dieser mehr als ernsten Situationen, ließen sie sich das Essen schmecken. Es war nicht vergiftet, Andrew hatte da nicht gelogen. Und da er auch keinerlei Anstalten machte, sie zu bedrohen oder ihnen etwas anzutun, gab es auch keinen Grund, die angebotenen Konformitäten abzulehnen. Nach dem Essen wurde von Fear, der wie immer akkurat gekleidet war, das Dessert serviert und Getränke nach Wunsch. „So, damit wären wir gestärkt und die Stimmung hat sich gelockert. Ich bin ja kein Unmensch! Wenn ihr noch Fragen habt, beantworte ich sie euch gerne.“

„Ich hätte eine Frage“, meldete sich L sofort, „Warum wolltest du mich damals umbringen?“

„Tja… warum wohl?“ fragte Andrew sich selbst und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Weißt du, Wataris Waisenhaus ist ja eigentlich dazu da, um Nachfolger für L auszubilden. Aber irgendwann hat sich herausgestellt, dass ich im Grunde der bessere L bin. In allen Tests war ich besser als er und doch saß ich in Wammys House fest. Das erschien mir doch unlogisch, zumal Watari mir den Buchstaben A zugeteilt hat, der die Botschaft „Advancement“ für Verbesserung und Fortschritt enthält oder „Acme“ für Höhepunkt und Gipfel. Also schlussfolgerte ich: Wenn ich der bessere L bin, dann muss der schlechtere verschwinden! Das hab ich auch versucht, Watari klar zu machen, aber der alte Bock wollte nicht hören. Er sagte, dass ich charakteristisch nie an L heranreichen werde. Und das nur, weil ich gerne Feuer gelegt und kleine Tiere getötet habe.“

„Wie es scheint, hast du deine Pyromanie überwunden.“

„Ich wollte die Wartezeit in der Arroway Psychiatrie nicht ungenutzt lassen. Nun gut, ich hatte einen kleinen Rückfall gehabt, indem ich Jeff Blalock und das Waisenhaus abgefackelt habe, aber Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut! Wenn ich wieder den Drang habe, den Nachbarshund mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, denke ich mir ein neues Spiel aus. Allein schon die Planung erfordert viel Arbeit und Konzentration. Es muss ja alles stimmen, damit bloß nichts schief läuft. Aber solange man sein Lieblingsspielzeug entbehren und stattdessen mit billiger Massenware vorlieb nehmen muss, macht es keinen großen Spaß.“

„Warum hast du erst jetzt nach über 12 Jahren mit diesem Spiel begonnen?“

„Weil es erstens sehr viel Planung erforderte und weil es den perfekten Moment abzuwarten galt. Der Jäger springt ja auch nicht seine Beute sofort an, sondern lauert ihr erst einmal auf. Ich musste auf den geeigneten Köder warten, mit dem ich Beyond anlocken wollte und leider konnte ich seine Schwester nicht nehmen. Wenn ich Leute aus seinem engeren Umfeld nehme, mit denen er mal ein harmonisches Verhältnis hatte, funktioniert das nicht so gut. Und dieser Schwachkopf Jeff kam mir da gerade recht. Ja, ich habe ihn auf die Idee gebracht, Familien umzubringen und dabei besonders brutal vorzugehen, damit sich das FBI darum kümmert. Und die Tötungsweise musste unbedingt Beyond darauf aufmerksam machen und in ihm den Verdacht erwecken, dass Jeff der Killer ist. Von alleine wäre der Kerl doch gar nicht drauf gekommen!“

Der Turm, der König und die Rochade

„Du hast Jeffrey Blalock auf Beyond gehetzt?“ rief Oliver entsetzt und schlug mit den Fäusten auf dem Tisch, sodass das Porzellan klirrte. „Bist du wahnsinnig?“

Mit einem eiskalten Blick blitzte Andrew ihn an, doch er bewahrte die Fassung. „Ich sehe schon, ich muss euch alles einzeln vorkauen, damit ihr den Sinn und den bisherigen Spielverlauf versteht. Das Ganze ist doch wie ein Schachspiel, bei dem es an mir lag, den ersten Zug zu machen, um das Spiel zu eröffnen. Ich brauchte einen Bauern und Jeff kam mir da ganz recht. Ich hab ihm angeboten, ihm bei der Tötung von Beyond zu helfen, wenn er sich an das hält, was ich sage. Ich hab ihm die Wahl gelassen, welche Familien er abschlachtet, wenn er dafür im Gegenzug seine alte Heimatstadt aufsucht und dort auf Beyond wartet. Meine Wenigkeit sorgte dafür, dass Naomi Misora der Fall zugeteilt wurde und da mir klar war, dass Beyond selbst ermitteln würde, brauchte ich nur zu warten, bis beide aufeinander treffen würden. In seiner Heimatstadt habe ich dann darauf gewartet, dass Beyond sich wieder erinnert, sein Elternhaus aufsucht und dann mit Jeff in eine Kabbelei gerät. Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, dass er von selbst auf das Tagebuch stößt, das ihn zum Slender Man führt, aber zur Not hätte ich es ihm zugeschickt. Und eigentlich hatte ich erwartet, dass Jeff getötet wird aber nein, der Blödmann musste überleben. Ich hatte zwar noch gehofft gehabt, dass er mich ein wenig mehr unterhält, aber als er dann auch noch auf Rumiko losgegangen ist, stand ich kurz davor, ihn umzubringen. Und als Sam Leens es auch nicht geschafft hatte, ihm das Lebenslicht auszupusten, kam mir dann die Idee, diesen lästigen Quälgeist Beyond quasi zum Geschenk zu machen, indem ich ihn vor seinen Augen töte. Vorher habe ich ihn noch ein wenig bearbeitet und da Beyond und seine Adoptivschwester verletzt waren, hatte ich noch mal drei Monate Pause, um mich auf die nächste Runde vorzubereiten. Es galt ja gleichzeitig auch die Schnitzeljagd vorzubereiten und sowohl Fear als auch Anne zu instruieren. Ich habe mir Faith vorgeknöpft und ihn dazu bewegt, mir zu helfen, an das dritte Tagebuch zu kommen, indem er seine Fähigkeiten als Nekromant nutzt, um an Madelines Erinnerungen zu kommen. Dann habe ich die Leiche geklaut, das Grab der ermordeten ersten Madeline verwüstet, um somit Beyond auf Faiths Spur zu bringen. Fear hat schließlich seine Erinnerungen an unser Treffen gelöscht. Früher oder später mussten Beyond oder die anderen beiden „Musketiere“ darauf kommen, dass Faith ein Totenflüsterer ist und als ich die interessantesten Seiten herausgetrennt und sie zusammen mit Jeff auf dem Silbertablett präsentiert habe, musste ich mich auf den Ausflug zum Internat vorbereiten. Mir war klar, dass sie selbst zu viert kaum eine Chance gegen den Slender Man haben und es hat sich ja auch schnell gezeigt, dass sie auf meine Hilfe angewiesen waren. Tja, ich bin ja kein Unmensch und ich wollte ja auch nicht, dass Beyond dabei draufgeht oder unglücklich wird.“

„Aber was war mit dem Opfer? Wenn Sam sich nicht bereit erklärt hätte, dann…“

„Sam hatte es so oder so nicht zugelassen. Deswegen war es wichtig, dass er im Team dabei war. Damit konnte ein lästiger Bauer vom Feld geräumt werden, der obendrein noch versucht hatte, mein Spielzeug kaputt zu machen. Dass Rumiko sich sofort freiwillig melden würde, konnte ich mir auch so denken. Frauen sind einfach viel zu berechenbar!“ Mit einem Lächeln, das von Überlegenheit zeugte, genehmigte sich Andrew noch einen Schluck Wein und sah L mit einem eiskalten Blick an. „Man betrachte das Ganze wie eine Art Schachspiel. Ich selbst bin der König. Wenn ich verliere, dann ist das Spiel automatisch vorbei und ich besitze nicht die gleiche Bewegungsfreiheit wie meine anderen Figuren. Fear ist der Turm und solange er in Sicherheit ist, verkörpert Anne sowohl Dame als auch Springer. Jeff war der Bauer, den ich bis ans Ende des gegnerischen Feldes geschickt habe. Damit kann eine Umwandlung erfolgen, wodurch der Bauer mit der Dame auswechselt. Allerdings ist auch eine Unterverwandlung möglich, indem der Bauer durch einen Läufer, einen Turm oder durch einen Springer ersetzt wird. Gleichzeitig war er damit eine größere Gefahr, aber auch ein willkommenes Ziel, das von mehreren Seiten angegriffen werden konnte. Indem ich den Bauern umgewandelt habe, hab ich das FBI auf den Plan gerufen und meine anderen Figuren losgeschickt. Wie beim Schach wurden die Bauern geopfert und während ich mich im Hintergrund gehalten und Fear losgeschickt habe, um die Buchstaben als auch Roger Ruvie aufzuspüren und zu töten, hab ich schon mal die finalen Züge geplant. Es gab nur drei wichtige Regeln, die es zu halten gab: Erstens, Beyond durfte mich nicht sehen. Zweitens: Niemand nahe stehendes durfte verletzt oder getötet werden und drittens: Beyond durfte zu keinem Zeitpunkt in eine Situation geraten, die eskalieren könnte.“ So wie Andrew das erklärte, war sein komplexer Plan tatsächlich einfacher zu verstehen, auch wenn es unglaublich erschien, wie genau er alles mit eingeplant hatte. Alle Entscheidungen, alle Handlungen und alle zufälligen Begegnungen waren mit einberechnet. Jetzt erkannte selbst L, dass Andrew nicht übertrieben hatte. Er war wirklich besser als er. Selbst er hätte niemals alles so haargenau über solch einen Zeitraum planen können. „Natürlich ist zu betonen, dass es eigentlich nicht geplant war, dass ihr jetzt hier seid. Eigentlich sollten I und U sofort getötet werden, aber als Fear dann erst einmal Mist gebaut hatte, musste ich umdenken. Und da sich Beyond von euch verabschiedet hatte, kam mir das gerade Recht. Ich hab also gewartet, bis ihr bei den beiden Physikern aufkreuzt und habe Anne beauftragt, die beiden zu töten und euch hierher zu bringen. Ich möchte nämlich nicht, dass das Spiel vorschnell beendet wird.“

„Warum ist Fear der Turm und nicht die Dame?“

„Ganz einfach: Anne ist eine ausgebildete Killerin und kann perfekt schauspielern und sich ebenso gut tarnen. Eben weil sie die größte Schlagkraft in dem Sinne hat, macht sie das zur Dame und damit zur stärksten Figur im Spiel. Fear hingegen macht sich da besser als Turm, weil er zusammen mit mir die Rolle von Nummer 14 gespielt hat. Im Notfall also könnte ich eine Rochade ausführen!“

„Rochade?“ fragte Oliver, der leider so gut wie nichts vom Schach verstand und damit auch nicht viel mit diesem Begriff anfangen konnte. L erklärte es ihm schließlich. „Die Rochade ist ein Doppelzug, bei der König und Turm der gleichen Farbe gleichzeitig bewegt werden. Ziel ist es, den König in eine sichere Position zu bringen. Der König bewegt sich dabei weiter als nur ein einziges Feld und der Turm darf den König überspringen und die Plätze werden getauscht. Bedingungen sind, dass das Feld zwischen beiden frei steht und sowohl der König als auch der Turm noch nicht gezogen wurden.“

„Ganz recht. Genau aus dem Grund ist Fear der Turm. Damit wäre die Frage ja wohl geklärt.“

„Nur begreife ich nicht, wie Anne auf dich hören kann. Ich dachte, sie würde nur auf Fears Befehle hören und auch niemanden sonst.“

„Der gute Fear hat mir sein Lieblingsspielzeug ausgeliehen, solange ich auf meines verzichten muss. Und Anne hört auf mich, weil sie verhindern will, dass ich ihrem geliebten Herrn etwas antue. Sie würde wirklich alles für ihn tun und da sie über eine ganz besondere Fähigkeit verfügt, ist sie so gut wie unbesiegbar. Aber ich habe ihren Schwachpunkt gefunden und wenn sie nicht spurt, werde ich sie ausschalten und dann Fear umbringen.“ Und das sagte Andrew so ganz nebenbei, als wäre es überhaupt nichts Besonderes, zwei Menschen einfach so umzubringen. Andrew, der wohl genug vom Wein hatte, warf sein Glas weg und ließ es auf dem Boden zerbrechen. Dieses gleichgültige Wegwerfen von Gegenständen unterstrich seine Skrupellosigkeit, wie er einfach so Menschenleben verwarf, bis sie genau wie das Weinglas auf dem Boden zerschellten und unrettbar kaputt waren. „Wusstet ihr, dass Fear und Anne in einem russischen Forschungslabor gefangen waren? Man entfernte Fear im Alter von vier Jahren ein Auge ein, das zwar seinen Verstand zerfraß, ihm aber dafür die Fähigkeit gab, Menschen zu hypnotisieren und Illusionen real werden zu lassen. Anne ist ein Hybrid, eine Art Kreuzung aus Mensch und einer Turritopsis nutricula, einer Quallenart, die sich selbst erneuert und somit unsterblich ist. Annes Körper regeneriert sich in solch rasender Geschwindigkeit selbst, dass sogar abgetrennte Körperteile nachwachsen und keine Waffe der Welt sie töten kann. Man hatte an ihr brutale Experimente durchgeführt, ihr bei vollem Bewusstsein Organe entfernt oder Amputationen vorgenommen. Fear gelang es dank seines rechten Auges, zusammen mit Anne zu entkommen und da er sie vor einem grausamen Schicksal bewahrt hatte, beschloss Anne, für immer an seiner Seite zu bleiben und ihn zu beschützen. Sie ist sein Dienstmädchen, sein Spielzeug, seine Killerin, seine Leibwächterin und seine Bezugsperson. Eine unbesiegbare Killermaschine, die nicht mal altern kann. Ein wahres Wunderwerk der Genforschung.“

„Aber du hast einen Weg gefunden, sie zu töten?“

„Jep!“ Und damit präsentierte Andrew eine Spritze, in der eine bernsteinfarbene Flüssigkeit war. „Dieses Schätzchen habe ich während meiner Zeit in Wammys House entwickelt. Es programmiert sozusagen Annes Zellen so um, dass sie den Regenerationsprozess aufhalten und sich dann selbst zerstören. Ich habe es an Versuchspersonen getestet und alle zeigten das gleiche Merkmal: Multiples Organversagen, innere Blutungen und schließlich werden die Lungen löchrig und füllen sich mit Blut. Schließlich kriegt man keine Luft mehr und erstickt. Innerhalb von zehn Minuten ist der Betroffene tot.“ Andrew schwieg und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Dann aber leuchtete etwas in seinen Augen auf, so als habe er eine Idee und sofort stand er auf. „Ich sehe, es war sehr gut, mit euch zu sprechen. Mir kommt da eine wunderbare Idee, wie wir das Finale perfekt machen können. Fear!“ Und der Illusionist mit der Augenklappe, der mit irgendwelchen Dingen beschäftigt war, wandte sich ihm zu. „Hast du eine Idee?“

„Oh ja, eine brillante Idee! Wir werden eine Rochade durchführen. Ich werde sofort alles vorbereiten und dir alles später erklären. Kümmere du dich um unsere beiden Gäste, aber mach nicht schon wieder einen Fehler.“

„Was hast du mit uns vor?“ fragte L und stand nun ebenfalls auf. Die ganze Sache gefiel ihm überhaupt nicht und ihm beschlich ein ziemlich mieses Gefühl. Was auch immer Andrew vorhatte, es würde nichts Gutes bedeuten. „Keine Angst, ich werde euch nicht töten lassen. Aber ihr wisst mir leider viel zu viel. Deswegen muss ich sicher gehen, dass ihr mir keine Probleme machen werdet. Fear, ich überlass sie dir.“ Und damit verließ Andrew den Raum, ohne die beiden noch eines Blickes zu würdigen und warf die Tür hinter sich zu. Fear kicherte hämisch und grinste breit. „Na dann wollen wir mal!“ Vorsichtig nahm er seine Augenklappe ab, die er stets zu tragen pflegte und offenbarte das, was er vor der Öffentlichkeit geheim hielt: Sein rechtes unmenschliches Auge. Im Grunde war es nichts Weiteres als ein schwarzes Loch, in dem ein rotes pulsierendes Licht leuchtete und kaum hatte er es entblößt, floss ein kleines Blutrinnsal heraus. Oliver schrie entsetzt auf, als er das sah und L fiel vor Schreck nach hinten. Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas Scheußliches und Bizarres gesehen und am liebsten hätte er gar nicht hinsehen, aber wie bei einem Unfall konnten beide nicht anders, Sie starrten beide in das pulsierende rote Licht und sie hatten nicht einmal drei Sekunden darauf geschaut, schon wurde ihnen schwummrig und ihr Bewusstsein setzte aus.
 

Beyond hatte das Krankenhaus erreicht und fragte direkt nach, ob sich die Chirurgin Dr. Hester Holloway im Hause befand. Doch dem war bedauerlicherweise nicht so. Sie war nach ihrer Schicht mit einer Frau weggegangen, deren Namen die Schwester von der Aufnahme leider nicht wusste. „Ich weiß noch, dass ein junger Mann auch dabei gewesen ist und sie dringend sprechen wollte.“ „Können Sie sich noch an das Aussehen erinnern?“

„Tut mir leid, aber ich habe heute so viele Leute gesehen und gesprochen, dass ich mich nicht mehr erinnere.“ Verdammt, Fear war ihm zuvor gekommen und wahrscheinlich schon längst mit seinem blutigen Werk fertig. Er musste also zu Hesters Wohnung und an ihren Überresten herauslesen, wo Fear auf ihn warten würde. Und da die Schwester eine von der misstrauischen Sorte war, wollte sie die Privatadresse nicht angeben und so war Beyond gezwungen, sich heimlich an den Computer zu setzen und die Datenbank zu durchforsten. Und als er sie herausgefunden hatte, rief er sich sofort ein Taxi. Während der Fahrt versuchte er noch, Hester auf dem Handy zu erreichen, aber dann erhielt er die Nachricht, dass das Handy ausgeschaltet war. Verdammt, so war Hester schon immer gewesen. Hilfsbereit bis zur Selbstaufgabe aber nie zu erreichen! Schon als sie im Waisenhaus als Medizinstudentin gearbeitet hatte, konnte sie es sich niemals angewöhnen, ihr Handy mitzunehmen oder es wenigstens anzuschalten. Das konnte ja noch echt heiter werden. Und als er versuchte, L und Oliver anzurufen, meldete sich nur die Mailbox. Na super, die beiden waren auch nicht zu sprechen und mit Sicherheit hatten sie schon längst Fears Spur aufgenommen. Nachdem Beyond dem Taxifahrer noch zwanzig Pfund bot, damit der Penner endlich aufs Gaspedal trat, erreichte er endlich Lancester Street, wo Hester wohnte. Wie zu erwarten, reagierte sie nicht auf die Klingel und da kam wieder Beyonds Geschick zum Einsatz, indem er das Türschloss mit seinem eigenen „Ersatzschlüssel“ öffnete. „Hester?“ rief Beyond, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Hester!“ Beyond hoffte insgeheim, dass er nicht zu spät war. Zwar hatte er nie ein richtiges freundschaftliches Verhältnis zu ihr gehabt, aber sie hatte ihn niemals ausgegrenzt, ignoriert oder gemieden. Sie war immer diejenige gewesen, die als Einzige aus der Gruppe gefragt hatte, ob er vielleicht mitspielen möchte und sie hatte ihm mit den lateinischen Vokabeln geholfen. Gegen sie hatte er gar nichts und deswegen wollte er auch nicht, dass Nummer 14 sie tötete. Zu seiner Erleichterung war die Wohnung verlassen und es sah auch nicht danach aus, als hätte es einen Kampf gegeben. Nirgendwo ein Anzeichen von Blutspuren, keine Leichenteile und auch keine Nachrichten, die extra für ihn hinterlassen wurden. Stattdessen fand er neben einem Laptop einen Notizzettel, auf dem mehrere Zahlen geschrieben waren:
 

T: 24.01.12.06.32 G7 RK
 

Die Nachricht trug Hesters Handschrift und nach der Art zu urteilen, wie sie schrieb, hatte sie es in aller Hast geschrieben. Dieses Kauderwelsch musste wohl eine Art Kürzel sein, wahrscheinlich für einen Patienten, den es zu operieren galt. Jedenfalls stand schon mal fest, dass Hester noch nicht getötet worden war… zumindest nicht hier. Aber vielleicht war sie ja gar nicht das nächste Opfer und er hatte sich ganz einfach geirrt. Womöglich war diese Nachricht, die Fear für ihn hinterlassen hatte, der Hinweis auf seinen Aufenthaltsort. „Die Anblicke der Hölle bringen ihre Betrachter wieder dorthin zurück.“ Was konnte er damit nur meinen? Die Anblicke der Hölle…. Was konnte man denn in der Hölle sehen? Tote Menschen, Dämonen, das Fegefeuer…. War etwa das Feuer der Hinweis? Musste er zurück nach Wammys House und dort nachsuchen? Nein, das Haus war bis auf die Grundmauern niedergebrannt und außerdem abgesperrt. Sicherlich würde sich Fear nicht dort verstecken, das war auch unter seiner Würde. Aber welche Hölle meinte er denn? Es musste eine Hölle sein, die auch Beyond kannte, sonst hätte er nicht diesen Hinweis hinterlassen. Mal überlegen, was konnte man alles andere mit der Hölle in Verbindung bringen? Sie war der Wohnort von Luzifer und den anderen gefallenen Engeln, vor seinem Tod musste man eine Beichte ablegen damit man nicht in die Hölle kam, wer sündigt kommt in die Hölle und Hexen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Moment mal… Hexenverbrennung? Aber ja doch, das war es! Mit den Anblicken der Hölle war der grausame Feuertod von Andrew gemeint. Und die Betrachter waren alle, die davon wussten oder beteiligt waren. Also musste es die Arroway Psychiatrie sein, die seit einigen Jahren verlassen war. Nur um sicherzugehen, schaltete er Hesters Laptop an und öffnete die letzten Seiten, die sie zuvor geöffnet hatte. Statt aber Informationen über die Psychiatrie zu finden, öffnete sich die Homepage des Heathrow Airport. Offenbar hatte Hester kalte Füße gekriegt und wollte sich ins Ausland absetzen oder aber, sie erwartete jemanden. Ach Quatsch, Hester hatte weder Familie noch andere Verwandte und mit Sicherheit gab es auch niemanden, den sie aus dem Ausland kannte. Sicher wollte sie abhauen, als sie die Lunte gerochen hatte. Naja, ehrlich gesagt war das auch ganz gut so. Hester war ein grundehrlicher Mensch, der niemals etwas so Furchtbares tun würde. Zumindest darin konnte er sich tausendprozentig sicher sein. Da er schon den Laptop angeschaltet hatte, konnte er auch genauso gut die Adresse der Arroway Psychiatrie suchen. Diese befand sich sehr abgelegen und scheinbar wurde auch nichts geplant. Damit lag das Gebäude für lange Zeit leer. Nur stellte sich die Frage, warum die Psychiatrie eigentlich geschlossen wurde. Beyond forschte näher nach und fand einige Artikel über einen Arzt, der von den Medien „Dr. Tod“ genannt wurde. Dieser hatte Patienten als Probanten für gefährliche Medikamente benutzt, überflüssige Schocktherapien und sogar Lobotomien durchgeführt. Als die Polizei ihn verhaften wollte, war er von einem Patienten umgebracht worden und aufgrund des daraus resultierenden schlechten Rufs und den Skandalen musste die Psychiatrie geschlossen werden. Die Patienten wurden daraufhin verlegt. Dann war das Feuer also gar nicht der Grund für die Schließung zuständig, sondern die Schandtaten von Dr. Tod. Hatte Watari das etwa nicht gewusst, als er Andrew in diese Psychiatrie einweisen ließ? Und überhaupt: Warum zum Teufel war er nicht in eine Jugendpsychiatrie eingewiesen worden, wo er doch zu dem Zeitpunkt fast 15 Jahre alt war? Die Arroway Psychiatrie war eine Art Spezialklinik für Psychopathen und unheilbare Fälle. Konnte es etwa sein, dass Watari Andrew bewusst dorthin geschickt hatte, weil er ihn auf diese Weise loswerden wollte, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen? Nein, das konnte doch nicht sein. Aber andererseits würde nichts anderes Sinn machen! Man hatte gehofft, dass Andrew ein weiteres Opfer von Dr. Tod wird und als dieser getötet wurde und Andrew einer der wenigen Überlebenden war, schlossen sich die Buchstaben zusammen und übten den Brandanschlag aus, der ihm schließlich das Leben kostete. Wie hinterhältig und kaltblütig konnte man nur sein, dass man so etwas tat? Mit jeder weiteren Schlussfolgerung wuchs der Hass in Beyond immer weiter heran und es würde nicht viel fehlen, dann würde sich seine Klinge wieder dunkelrot färben.

Extra: Zwei Herzen, ein Schicksal

Es war kalt und die einzige Lichtquelle in der Zelle kam von den flackernden Neonröhren. Die Wände waren weiß gefliest und noch immer hing hier der Gestank von Blut in der Luft. Die namenlose Frau, die mit nichts weiterem als einem weißen Hemd bekleidet war, hatte sich noch immer nicht von den Strapazen der letzten Experimente erholt und fühlte sich völlig erschöpft. Noch immer hatte sie diesen metallischen Geschmack im Mund und spuckte die letzten Reste Blut aus. Diese elenden Mistkerle hatten ihr mal wieder ein paar Organe entfernt und es nicht für nötig gehalten, ihr eine örtliche Betäubung zu geben. Nieren, Leber, Gebärmutter und Milz waren ihr dieses Mal entfernt worden und diese schreckliche Tortur wollte einfach nicht enden, bis sie schließlich ohnmächtig wurde, als sie ihr im Unterleib herumschnibbelten. Tag für Tag war es das Gleiche, seit sie geboren wurde. Jeden Tag wurden ihr irgendwelche Medikamente gespritzt, die sie krank machten oder Organe entfernt oder Gliedmaßen amputiert, die nach minutenlangen andauernden Schmerzen und Höllenqualen wieder nachwuchsen. Aber sie konnte schreien und weinen so viel sie wollte, diese Menschen würden kein Mitleid mit ihr haben. Sie würden morgen wiederkommen und ihr etwas herausschneiden. Und es würde bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Denn sie würde ja sowieso nicht sterben. Das hatten diese Menschen ja schon versucht. Sie hatten ihr Giftspritzen verabreicht, ihr Kugeln durch den Körper gejagt und sie unter Strom gesetzt. Und als wäre das noch nicht genug, hatte man ihr noch letztens den Kopf abgeschlagen oder mit dem Messer auf sie eingestochen um zu sehen, ob sie verbluten würde. Ach, es würde nie enden und die namenlose Frau würde niemals etwas anderes als diese weiß gefliesten Wände zu Gesicht bekommen. Noch nie hatte sie die Sonne oder den Mond gesehen, geschweige denn Kontakt zu Menschen gehabt. Natürlich mit Ausnahme von denen, die die Experimente an ihr durchführten, sie mit dem Schlauch abspritzten oder ihr Essen brachten. Und dann gab es noch die Sorte Menschen, die genau dann in ihre Zelle kamen, wenn die Kamera zufällig nicht funktionierte und sich an ihr vergingen. Ganz zu Anfang hatte sie sich noch gewehrt und jeden umgebracht, der ihr zu nahe kam, aber inzwischen nahm sie es einfach hin. Wenn sie sich wehrte, würden ihr zur Strafe noch mehr Schmerzen zugefügt werden.

Die schwere Stahltür öffnete sich und drei uniformierte Männer kamen herein. Sie warfen ihr Handtuch und Seife hin und befahlen ihr, sich auszuziehen. Die namenlose Frau gehorchte und bekam einen eiskalten Wasserstrahl ab. Doch sie versuchte, die Zähne geschlossen zu halten und begann sich nun mit der Seife zu waschen. Reste von getrocknetem Blut wurden abgewaschen und dem schweren Blutgeruch gesellte sich noch ein leichter Seifenduft hinzu, der ersteren Gestank abschwächte. Nachdem sie sich komplett eingeseift hatte, wurde sie noch mal mit dem Schlauch abgespritzt. Sie warf die Seife wieder zurück und begann sich abzutrocknen. Während der Zeit zielten die Männer mit Gewehren auf sie und überwachten jeden einzelnen ihrer Schritte. Oh wie sehr hasste sie diese Menschen, die ihr diese grausamen Dinge antaten. Hätte sie nicht solche Angst vor Schmerzen, würde sie sofort auf sie zurennen und sie allesamt umbringen. Aber selbst wenn sie es schaffte, ihrer Zelle zu entkommen, würde man sie sofort wieder einfangen und einsperren.

Als sie ihr Handtuch zurückgegeben hatte, zog sie sich ein frisches Hemd an und bewegte sich nicht, bis die Männer wieder draußen waren und die Tür ins Schloss fiel. Da sie sich schlecht in die nasse Ecke setzen konnte, wählte sie einen anderen Ort, um sich hinzulegen und zu schlafen. Ja, sie schlief auf dem Boden das bevorzugt in einer Ecke, wo sie das Gefühl hatte, ein wenig geborgen zu sein. Sie legte sich auf den kalten Boden und zog die Beine an. Warum nur war sie hier eingesperrt? Warum nur gab es niemanden, der ihr helfen wollte? Wenn es doch nur diese widerlichen Menschen nicht gäbe, die sie hier gefangen hielten und quälten. Dann würde sie so etwas nicht durchmachen müssen. Sie hasste die Menschen! Gerade wollte die namenlose Frau ihre Augen schließen und ein wenig schlafen, da hörte sie plötzlich ein Geräusch und sie setzte sich ruckartig auf. Hatte sie da gerade etwa eine Stimme gehört? Nein, das war sicher nur Einbildung…. Aber als sie sich näher an die Wand lehnte, konnte sie tatsächlich eine Stimme hören, die sehr jung klang. „Hallo, kannst du mich hören?“

„Wer ist da?“

„Ich heiße Dimitrij!“ Na toll, da war ein neuer Nachbar, der auch spätestens übermorgen verlegt wird oder im Leichensack endete. Und überhaupt: Was zum Henker wollte dieser Jemand von ihr? Auf Gesellschaft konnte sie gerne verzichten. Die namenlose Frau wollte sich wieder hinlegen und schlafen, aber die Stimme auf der anderen Seite der Wand sprach weiter. „Wie heißt du?“

„Ich habe keinen Namen.“

„Aber wie soll ich dich dann nennen, wenn du keinen Namen hast? Hast du keine Mama und keinen Papa?“

„Nein, ich wurde künstlich gemacht. Nenn mich wie du willst.“

„Ist es okay, wenn ich dich Anne nenne?“ Na gut, der Name war viel besser als diese entwürdigenden Dinge, als die sie von den Menschen außerhalb der Zelle bezeichnet wurde. Und je länger sie über diesen Namen nachdachte, desto mehr gefiel er ihr sogar. Dieser Name gab ihr so etwas wie eine Identität. „Warum bist du denn hier, Anne?“

„Weil ich nicht sterben kann und weil alles nachwächst, was mir abgetrennt wird.“

„Oh. Mir haben sie auch etwas herausgetrennt: Mein rechtes Auge. Sie haben es mir rausgeschnitten und mir dafür ein anderes eingepflanzt. Es tut aber ziemlich oft weh. Tun diese Leute dir auch weh?“

„Ja, sehr sogar. Oft will ich lieber sterben, als weiterhin solche Schmerzen zu spüren.“

„Hast du jemals deine Zelle verlassen? Ich jedenfalls kam in einem Krankenhaus zur Welt, aber diese Menschen haben mich meinen Eltern weggenommen.“ Soso, ein Außenweltler also. Soweit sie wusste, gab es in diesem Gebäude viele Versuchsobjekte, die in der Außenwelt zur Welt gekommen waren und nun hier waren. Anne lehnte sich mit dem Rücken zur Wand und schloss die Augen. Manchmal versuchte sie sich vorzustellen, wie die Außenwelt wohl aussah. „Sag mal, willst du hier raus?“ fragte der Junge auf der anderen Seite der Wand, der jetzt so klar und deutlich zu hören war, als säße er direkt Rücken am Rücken zu Anne. Diese seufzte und sagte einfach „Ja.“

„Dann werde ich dich befreien, wenn ich hier raus komme!“ Doch Anne lachte nur spöttisch und entschloss sich dazu, diesen Träumer lieber zu ignorieren. Aber trotzdem redeten sie jeden Tag miteinander, meist abends wenn die Lichter ausgingen. Dimitrij war ein kleiner Junge, gerade mal vier Jahre alt, der erst vor kurzem in die Zelle verlegt wurde. Und obwohl der Kleine nicht gerade Annes Altersklasse entsprach, so freute sich Anne doch, seine Stimme zu hören. Nun hatte sie das Gefühl, einen Leidensgenossen zu haben. Jemanden, der ihr einen Grund gab, die Qualen der Experimente weiter zu ertragen. Immer und immer wieder ließ sie sich gerne die Dinge beschreiben, die der Junge von der Außenwelt wusste. So verging fast ein Jahr und Anne hatte das Versprechen längst vergessen. Aber das war ihr auch nicht mehr so wichtig gewesen. Es war für sie schon ein Geschenk, dass sie jemanden zum reden hatte. Aber dann ereignete sich etwas, womit niemand gerechnet hatte und dass das Schicksal dieser beiden verändern sollte: Eine Generatorexplosion, die fast den kompletten Strom lahm legte. Viel bekam Anne in ihrer perfekt gesicherten Zelle nicht mit, nur einen dumpfen Knall und eine leichte Vibration, aber mehr auch nicht. Doch dann öffnete sich plötzlich die Tür und ein kleiner Junge mit silbergrauem Haar, der völlig blutüberströmt war, stand auf einmal da. In seiner einen Hand hielt er einen Schlüsselbund, in der anderen ein Messer. Sein rechtes Auge war eine Art schwarzes Loch, in der ein rotes Licht pulsierte. Ein dünnes Blutrinnsal floss heraus und bot einen entsetzlichen Anblick. Freudestrahlend lächelte er sie an. „Siehst du Anne? Ich hab mein Versprechen gehalten! Ich hab mein Versprechen gehalten! Jetzt können wir raus. Komm schon Anne!“ Zuerst glaubte sie zu träumen, aber Anne sah tatsächlich, dass da der kleine Dimitrij stand, neben dem die Leiche eines Wachmanns lag. „Nun komm schon, wir müssen gehen!“

Anne stand auf und lief ein wenig unbeholfen zur Tür und sofort nahm Dimitrij ihre Hand. Es fühlte sich mehr als seltsam an, Körperkontakt zu jemandem zu haben aber es war auch nicht unangenehm. Nein, es fühlte sich wie das Gegenteil von Schmerzen an, nämlich gut. Und als Anne diese kleine zarte Kindergestalt sah, wurde es ihr plötzlich ganz warm ums Herz. „Komm schon, lass uns gehen, bevor weitere Wachen kommen.“ Der Junge zerrte sie einen Gang entlang, wo überall Wachen regungslos auf dem Boden lagen. Sie alle hatten Schussverletzungen und lebten anscheinend nicht mehr. „Was ist hier passiert?“

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich habe es inzwischen geschafft.“

„Was hast du getan?“

„Ich habe sie dazu gebracht, sich gegenseitig zu erschießen. Nur habe ich es nie richtig geschafft, mein rechtes Auge einzusetzen. Aber jetzt können wir endlich nach draußen. Und ich verspreche dir, dass du die Außenwelt sehen wirst, Anne! Egal was auch kommt.“ Doch das Gebäude entpuppte sich als ein gewaltiges Labyrinth und überall herrschte Chaos. Aber dann trafen sie auf eine Frau im Laborkittel, die drei verstört aussehende kahl rasierte Kinder bei sich hatte. Diese Frau arbeitete als Wissenschaftlerin und trug den Namen Wednesday Weather. Dank ihr konnten sie unbemerkt an den Soldaten vorbei nach draußen, bis sie den gut gesicherten Innenhof des Instituts erreichten. Dort stand ein Fahrzeug bereit, das sie fortbringen würde. Doch leider kam es anders als erhofft, denn der Wagen bekam nach einer viertelstündigen Fahrt eine Reifenpanne, sodass sie ihre Flucht zu Fuß fortsetzen mussten. Dr. Weather und die drei Kinder setzten ihre Flucht nach Norden fort, während Dimitrij und Anne sich in den Wäldern versteckten. Sie liefen, bis die Erschöpfung sie in die Knie zwang und in einer kleinen Erdhöhle versteckten sie sich dann. Dort harrten sie frierend aus und hatten sich fest umschlungen, um sich gegenseitig zu wärmen. Sie beide waren völlig verdreckt, blutverschmiert und hatten nicht die geringste Ahnung, wohin sie gehen sollten. Das alles hier war völlig fremd für sie. Sie hatten niemals Bäume, geschweige denn Gras, Blätter und Erde gesehen. Sie wussten nicht mal, was eine Straße oder ein Auto war. Jetzt, da sie die Grenzen des Instituts überquert hatten, waren sie in eine völlig fremdartige Welt übergetreten, in der sie Fremde waren. Als es schließlich abends wurde und die Sonne unterging, wagten sich die beiden aus ihrer kleinen Höhle hervor, um sich den Sonnenuntergang anzusehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Außenwelt so fremd sein würde“, murmelte Anne und sah hinauf zum Himmel. „Sie erscheint mir so unendlich groß und weit zu sein.“

„Irgendwo wird es einen Ort geben, wo wir wirklich hingehören. Ich werde ein Haus bauen, nur für dich und mich und diese bösen Menschen werden dir nie wieder wehtun!“ Und mit diesen Worten kuschelte sich Dimitrij fest an sie und umarmte sie. Anne sah auf ihn herab, lächelte und streichelte zärtlich seinen Kopf. Dieses kleine Wesen hatte sie befreit, obwohl er nur ihre Stimme kannte. Ohne irgendwelche Hintergedanken oder bösen Absichten hatte er sie aus ihrer Zelle befreit, was niemand sonst für sie getan hätte. Aber warum nur machte er das? Als sie ihn das fragte, lächelte der kleine Dimitrij bloß und sagte „Weil wir Freunde sind!“ Als es dunkel wurde, setzten sie ihren Marsch fort und glaubten sich bereits in Sicherheit. Warum denn auch nicht? Es war so dunkel, dass man nichts sehen konnte und wenn sie beide etwas wussten, dann war es, dass Menschen nachts schliefen. Es würde also recht unwahrscheinlich sein, dass man sie fand. Und tatsächlich schafften sie es bis zu einer alten Jagdhütte, in der sie fürs Erste blieben. Ihre Füße waren wund gelaufen und sie waren völlig erschöpft und ausgekühlt. Doch auch in der Jagdhütte war es kalt und sie wussten nicht, wie sie für Wärme sorgen konnten. Zwar war dort ein Kamin, aber sie hatten so etwas noch nie gesehen und keine Ahnung, wozu er eigentlich da war. Aber dann fand Dimitrij ein Magazin, wo ein Bild mit einem Kaminfeuer zu sehen war und nach diversen Versuchen fand er schließlich eine Möglichkeit, Feuer zu machen. Eine helle Flamme prasselte im Kamin und wärmte ihre durchgefrorenen Körper. Sie fanden sogar Decken und Kissen, mit denen sie sich auf den Boden auf einem Bärenfell gemütlich machten und schließlich einschliefen. Es war ihre erste Nacht in Freiheit und obwohl es für jeden normalen Menschen unvorstellbar wäre, auf solch einem Nachtlager zu schlafen, kamen sich die beiden Flüchtlinge vor wie im Paradies. Wie in der Erdhöhle lagen sie eng umschlungen zusammen und fühlten sich so glücklich, wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Gleich am nächsten Morgen begannen sie, nach etwas Essbarem zu suchen. Da sie leider nichts in der Jagdhütte fanden, mussten sie das essen, was sie finden konnten. Sie versuchten wirklich alles, um nicht verhungern zu müssen. Angefangen von Beeren (die Anne vorsichtshalber vorkostete um zu überprüfen, ob sie giftig waren) bis hin zu kleinen Tieren, die sie nach unzähligen Versuchen fangen konnten. Hasen, Füchse, Vögel und sogar Mäuse und Ratten verschmähten sie nicht. Das nötige Wasser gewannen sie aus einem kleinen Bach, der nicht weit von der Hütte floss. Während Anne die Tiere ausnahm und ihr Fleisch über dem Feuer briet, holte Dimitrij Wasser und hielt nach Feinden Ausschau. Sie wussten, dass diese Menschen immer noch nach ihnen suchten und die Hütte als Erstes unter die Lupe nehmen würden. Aber solange es draußen einfach zu kalt war und sie nicht die geringste Ahnung hatten, wohin sie gehen sollten, mussten sie hier bleiben. Als der Tag sich dem Ende zuneigte und ihre hart erarbeitete aber dennoch karge Mahlzeit endlich fertig war, setzten sie sich ans Feuer und genossen jeden einzelnen Bissen. Im Vergleich zum Leben in der Zelle war dieses Leben hier der Himmel!

In der Nacht jedoch vergaßen sie, das Feuer zu löschen und so währte ihr Frieden nicht lange, als vier Männer mit Gewehren die Tür eintraten und die beiden Flüchtlinge direkt ins Visier nahmen. „Keine Bewegung! Hände hinter dem Kopf! Wir werden es kein zweites Mal sagen!“ Anne verlor jegliche Farbe im Gesicht und konnte nicht fassen, dass diese Menschen sie gefunden hatten. Jetzt war alles vorbei. Diese Menschen würden sie wieder dorthin zurückbringen und sie wieder quälen. Es war auch zu schön gewesen um wahr zu sein, dieses Leben in Freiheit. Jetzt würde sie das Tageslicht nie wieder sehen und der Gedanke daran, nie wieder die Sonne, den Mond, die Sterne, die Tiere und Bäume wiederzusehen und nie wieder das Zwitschern der Vögel, das Plätschern eines Baches zu hören oder die Erde unter ihren Füßen zu spüren, war unerträglich. Ihre Augen begannen sich mit Tränen zu füllen und hätte sie die Möglichkeit besessen, würde sie lieber hier und jetzt sterben, als wieder in ihre Zelle zurückzugehen.

„Wir werden nicht mitgehen!“ rief der kleine Dimitrij entschieden und stellte sich direkt vor Anne. „Diejenigen, die eingesperrt werden sollen, seid ihr!“ Und damit riss er sein rechtes Auge auf, um die bewaffneten Soldaten dazu zu bringen, sich gegenseitig zu töten. Doch leider waren es zu viele auf einmal und leider schaffte er es nicht, den vierten Mann zu hypnotisieren. Dieser feuerte einen Schuss ab und traf den Jungen in die Schulter. Dimitrij schrie vor Schmerz auf und sank zu Boden. Blut quoll aus der Schusswunde und trotzdem biss er die Zähne zusammen. Anne war sofort bei ihm und fing ihn auf. „Warum hast du das gemacht? Du weißt doch, dass ich nicht sterben kann! Warum tust du nur so einen Unsinn?“

„Ich wollte nicht, dass sie dir wieder wehtun. Ich hab es doch versprochen.“ Aber Dimitrij konnte dieses Versprechen nicht halten, denn Anne fühlte sehr wohl einen Schmerz. Er saß ganz tief in ihrem Inneren und fühlte sich fast genauso schlimm an, wie diese unsagbar grausamen Amputationen, nur auf andere Weise. Dieser kleine Junge, der gerade erst sein Leben begonnen hatte, riskierte trotzdem sein Leben, weil er ihr helfen wollte. Er wollte verhindern, dass sie wieder durch die Hölle ging und das nur, weil er sie „Freundin“ nannte? Noch nie hatte jemand sie so genannt. Niemals hatte man ihr etwas Nettes gesagt, ihr geholfen, sie getröstet oder sie beschützt. Dieser kleine Junge war der Einzige und er würde jederzeit sein Leben riskieren, damit sie keine Schmerzen mehr spüren musste. Und als Anne sich dessen bewusst wurde, da fasste sie einen Entschluss. Wenn dieser Junge sein Leben jederzeit für sie hergeben würde, dann würde sie es auch tun. Sie war es nun, die immer für ihn da sein würde, wenn er jemanden brauchte und sie würde alles für ihn tun und alles riskieren, weil er ohne Hintergedanken bereit war, das Gleiche für sie zu tun. Und als Anne diesen Entschluss fasste, da war es ihr im Moment egal, welche körperlichen Schmerzen sie erwarten würden. Jetzt besaß sie die Kraft, es auszuhalten, denn sie wusste, dass Schmerzen irgendwann vorbei waren. Nachdem sie den verletzten Jungen auf den Boden gelegt hatte, sprang sie wie eine Raubkatze auf, rannte furchtlos auf die Soldaten zu, die sie mit ihren Gewehren in die Beine, in die Arme und in den Kopf, ja sogar in die Brust trafen. Aber Anne war so entschlossen, dass sie den Schmerz gar nicht mehr registrierte und sich einfach nur auf ihre Angreifer stürzte und sie alle tötete. Niemanden ließ sie am Leben. Und als sie ihr blutiges Werk getan hatte, eilte sie zu Dimitrij, versuchte so gut es ging die Blutung zu stoppen und überlegte, was sie nun tun sollte. Sie wusste, dass die Wunden von anderen Menschen nur sehr langsam verheilten und eine Schusswunde besonders gefährlich war. Wenn Menschen zu viel Blut verloren, konnten sie daran sterben. Aber wie sollte sie die Wunde denn schließen, wenn der Körper einen dermaßen langsamen Heilungsprozess besaß? Schließlich kam ihr eine Idee: Wenn sie ihr Blut mit seinem vermischte, dann müsste sich der Heilungsprozess beschleunigen lassen und die Wunde müsste sich demnach schneller schließen können. Sofort nahm Anne das Messer und stach sich so tief es ging in den Arm, dann ließ sie ihr Blut in die Schusswunde tropfen. Sie betete, dass es funktionieren würde und tatsächlich konnte sie sehen, wie sich langsam aber deutlich erkennbar, die Wunde schloss. Erleichtert atmete sie auf und schloss den kleinen Jungen in ihre Arme. „Von nun an werde ich dich beschützen. Wenn du es willst, dann werde ich mit dir überall hin mitgehen oder dich alleine ziehen lassen. Ich werde jeden töten, der dich bedroht oder Böses will und jeden beschützen, der dir wichtig ist. Das schwöre ich dir.“ „Das musst du nicht tun“, sagte der Kleine mit leisem Schluchzen und wischte sich seine Tränen weg. „Es reicht auch, wenn wir Freunde sind.“

„Das weiß ich. Eben deswegen will ich es tun!“ Und dieser Schwur wurde zu Annes Lebensaufgabe. Egal was Dimitrij ihr sagte, sie tat es ohne zu zögern und sie brachte jeden um, der es wagte, ihrem geliebten Menschen auch nur ein Härchen zu krümmen. Doch dann eines Tages, nachdem fast vier Jahre ins Land gezogen waren und sie völlig erschöpft und ausgehungert die Grenze Russlands erreichten, da trafen sie auf einen alten Mann, der sich Watari nannte. Und dieser erkannte, dass der Junge ein sehr intelligentes Köpfchen besaß. Allein die Tatsache, dass er sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht hatte und in dieser Einöde so lange Zeit überleben konnte, sprach für sich. Dieser Mann nahm sie beide mit nach England, wo sich ihre Wege trennen sollten. Am Tore von Wammys House, wo Dimitrij die nächsten Jahre leben sollte, nahmen sie voneinander Abschied. „Ich verspreche dir, dass ich uns ein Haus bauen werde, in dem wir glücklich zusammen leben werden, Anne“, versprach der nun neunjährige Dimitrij und umarmte seine Beschützerin. Diese küsste ihm die Stirn und streichelte ihm den Kopf. „Und ich verspreche dir, alles Mögliche zu tun, damit ich dich auch in Zukunft beschützen und deine Wünsche erfüllen kann. Wann immer du mich brauchst, ich werde da sein! Immer!“

Extra 2: Die Maid und der Trickster

Es war wirklich harte Arbeit gewesen, dahin zu kommen, wo Anne jetzt war. Als sie nach England kam, war sie eine verwilderte schmutzige Frau gewesen, die nur russisch sprechen konnte, aber kaum in der Lage war, sich schriftlich zu verständigen. Lesen und Schreiben hatte sie nur dank Dimitrijs Hilfe oberflächlich gelernt, rechnen war ihr aber nach wie vor fremd. Kaum hatte sie von ihm Abschied genommen, hatte sie alles daran gesetzt, ihr Versprechen einzuhalten und dabei hatte ihr dieser alte Mann geholfen, der sich Watari nannte. Dieser vermittelte sie an eine Art Schule, wo Bedienstete für Adelsfamilien und andere wohlhabende Personen ausgebildet wurden. Ihr erster Tag war schon hart genug. Ihr Haar, das ihr fast bis zum Boden reichte und zudem schrecklich verfilzt war, wurde ihr abgeschnitten und auch ihre Nägel wurden gekürzt. Und dann musste sie dieses unbequeme und ziemlich altmodisch aussehende Kleid anziehen, welches diese Dienstmädchen zu tragen pflegten. Als wäre das schon nicht genug gewesen, wurden ihr auch noch seltsame Fragen gestellt. Angefangen davon, wie sie mit vollem Namen hieß (sie gab Anne Hartmann an), ihr Geburtsdatum (sie nannte den 14. Februar) und ihr Alter. Da alle sie für 25 Jahre hielten, gab sie dies an und erklärte, dass sie keine Familie habe, da sie bei einem Autounfall vor 4 Jahren ums Leben gekommen wäre. Ein reicher Wohltäter habe sie hierher geschickt, damit was aus ihr werde. Und sie wollte nun in seine Dienste treten. Was das Lügen anbetraf, so schien Anne doch nicht so ungeschickt, wie sie gedacht hatte. Ihre Lehrerin, eine Mrs. Nowood, schien ihr diese Lügen abzukaufen, allerdings erwies sie sich als äußerst streng und anspruchsvoll. Sie erklärte Anne, dass sie eine sehr schöne junge Frau sei mit einem zierlichen Körper, aber ihre Haltung, ihre Ausdrucksweise und alles andere war die eines Bauerntölpels. Und die Tatsache, dass sie weder lesen noch rechnen und richtig schreiben konnte, war inakzeptabel. Sie nahm Anne nur unter der Bedingung in die Schule auf, wenn sie diese Fehler schnellstens beheben würde.

Sofort, nachdem Anne ihr zugesichert hatte, dass sie dies tun würde, begann auch schon ihr Unterricht mit den anderen Frauen. Es waren nicht viele aber sie würden in Zukunft für das Königshaus arbeiten und das war schon eine große Ehre. Junge Frauen aus aller Welt kamen an diese Schule und bis jetzt hatte jede von ihnen bestanden. Deswegen würde Mrs. Nowood auch nicht dulden, dass eine dahergelaufene Russin die tadellose Quote dieser Schule ruinieren würde. Da Anne so gut wie gar nichts wusste und konnte, hatte sie es besonders schwer und zog immer wieder den Unmut der Lehrer auf sich. Sie wusste nicht, wie man einen Staubsauger bediente, wie man Essen kochte und was zum Henker Töpfe waren. Von Filet Wellington hatte sie nie etwas gehört und dass man Wäsche vorher trennte, bevor man sie wusch, das wusste sie auch nicht. Sie brachte Mrs. Nowood an den Rand der Verzweiflung mit ihrem Unwissen und hätte sie nicht so einen Ehrgeiz besessen, alles richtig zu machen und schnell zu lernen, dann hätte die Lehrerin sie sofort rausgeschmissen. Und das bekam Anne mehr als deutlich zu spüren. Immer musste sie Strafarbeiten oder Dienste erledigen, die zum Teil demütigend und hart waren. Aber sie tat sie ohne zu murren, ohne Widerworte zu geben und immer wenn Mrs. Nowood ihr sagte „Man sollte Sie auf eine Schule für Zurückgebliebene schicken, so dumm und unwissend sind Sie!“, dann pflegte Anne zu sagen „Bitte verzeihen Sie. In Zukunft werde ich noch härter an mir arbeiten.“ Und sie hielt sich an diesem Versprechen. Morgens um vier Uhr stand sie auf, erledigte die Arbeiten, die man ihr auftrug und in ihrer Freizeit bis in den Abend lernte sie alles, was ein normal gebildeter Mensch wissen sollte. Sie erlernte sehr schnell die englische Sprache, in gleicher Geschwindigkeit lesen und schreiben und nur mit dem Rechnen tat sie sich ein wenig schwer. Aber diese Kenntnisse reichten aus, um die wichtigsten alltäglichen Dinge zu tun. In der Zeit, in der Dimitrij im Waisenhaus lebte, lernte sie zu kochen, zu putzen, Wäsche zu waschen, einzukaufen, sie erlernte das aufrechte und elegante Gehen, alle Verhaltensregeln für Dienstmädchen und was sonst noch von Nöten war, um aus ihr ein Dienstmädchen für Adlige zu machen. Letzten Endes musste Nowood einsehen, dass sie sie mit ihrer Behauptung, aus Anne Hartmann würde nie etwas Vernünftiges werden mit ihrer Dummheit, falsch lag. Tatsächlich bestand genau die gleiche Person, die noch nicht einmal wusste, wie man Messer und Gabel benutzte, als Jahrgangsbeste. Am Ende des dritten Jahres sprach sie fließend Englisch, besaß eine sehr vornehme Ausdrucksweise und tat jeden Handgriff mit der Eleganz und Diskretion, die man von ihr erwarten würde. Aus ihr war eine wunderschöne und kultivierte Dame geworden und Mrs. Nowood war so überwältigt von dieser Verwandlung, dass sie Anne als Beispiel für alle nachkommenden Schülerinnen nehmen würde, dass durch harte Arbeit und Fleiß selbst die dümmsten und verwilderten Menschen zu Dienstboten erzogen werden konnten. Doch kaum hatte Anne ihre Ausbildung abgeschlossen, verließ sie die Schule und suchte verschiedene Schulen auf, in der Kampfsport und der Umgang mit Waffen gelehrt wurde. Sie hatte ja lediglich gelernt, Dimitrij eine gute Dienerin zu sein, aber noch konnte sie ihm keine gute Leibwächterin und Auftragskillerin sein. Und dies würde sie nicht in einer Schule für Dienstmädchen lernen. Aber zumindest würde sie dort nicht als dummes Ding anfangen, wie in Mrs. Nowoods Schule.

Schließlich machte Anne einen einmonatigen Ausflug nach Amerika, den sie sich mit einigen Nebenjobs zusammengespart hatte und trat für einige Zeit der NRA bei, wo sie den Gebrauch von Pistolen, anderen Handfeuerwaffen, Granaten und Sturmgewehren lernte. Sie erweiterte ihren Aufenthalt auf zwei Monate, um ihr Wissen so zu vertiefen, dass sie jede Waffe sogar blind auseinandernehmen und wieder zusammenschrauben konnte. Sicher war sicher und auch hier erwies sie sich zunächst als völlig untalentiert und dumm, doch ihr Ehrgeiz und ihr Wille zum Weitermachen ließen sie niemals im Stich. Nachdem sie nichts mehr lernen konnte, was ihr noch Hilfreich sein könnte, kehrte sie der NRA und den USA den Rücken zu und flog stattdessen nach China, um dort den Kampfsport zu erlernen. Doch da die chinesische Sprache ihr völlig fremd war, ebenso wie die Kultur, musste sie sich zunächst der neuen Umgebung anpassen. Ihr gelang es dank ihres Besuchs an Mrs. Nowoods Schule einen Job als Dienstmädchen im Hause eines Politikers zu bekommen und von dem Geld besuchte sie eine Schule um Chinesisch zu lernen. Hierbei merkte sie schnell, wie kompliziert diese Sprache eigentlich war und dass es lange brauchen würde, um sie zu lernen. Doch Anne war ein äußerst geduldiger Mensch. So viele Jahre hatte sie in einer Zelle gelebt und Experimente über sich ergehen lassen und vier Jahre mit Dimitrij in der Wildnis verbracht, da war dies vergleichsweise einfach. Ein Jahr lang arbeitete Anne im Hause des Ministers und da sie sich als tüchtig, sehr loyal und arbeitswillig erwies, war die Bezahlung auch großzügig. Nur sehr ungern ließ ihr Arbeitgeber sie gehen, damit sie endlich ihr eigentliches Ziel weiterverfolgen konnte. Nach einem Jahr der Suche fand sie endlich eine Schule, in der man sie aufnehmen würde. Ihr Lehrer war ein strenger aber gerechter Mann, der ihr allerdings nicht sehr viel Freundlichkeit entgegenbrachte, weil er Ausländer und besonders Frauen verabscheute. Aber er war bereit, sie zu unterrichten, wenn sie alle Anweisungen befolgte, die er ihr erteilte. Geduldig, bescheiden, ehrgeizig und tüchtig wie sie war, hatte sie gute Voraussetzungen, doch ihr Lehrmeister wollte sie nicht so einfach unter seine Fittiche nehmen. So fragte er sie mit strengem Blick „Was will eine Frau wie du in meiner Schule?“

„Ich will den Menschen beschützen, der mir wichtig ist. Für ihn möchte ich zum Schwert und zum Schild werden.“ Doch der Meister schüttelte den Kopf und erklärte ihr mit kalten Worten „Es ist die Aufgabe des Mannes, Schwert und Schild für sein Weib zu sein, nicht umgekehrt.“

„Aber ein Junge kann weder Schwert noch Schild sein. Das ist die Aufgabe einer Mutter und einer Frau, die für ihn zu sterben bereit ist.“ Und Annes Hartnäckigkeit und ihre Argumentation konnten den Meister tatsächlich überzeugen. Auch wenn er immer noch nicht viel von ihr hielt, sie hatte ihm gezeigt, dass sie die Entschlossenheit und den Willen besaß, den es erforderte.

Anne tat alles, was ihr befohlen wurde und erledigte jede Aufgabe, die der Meister ihr auftrug. Das Training war anstrengend und hart, sie musste ziemlich viel einstecken und hätte sie nicht die Fähigkeit der Regeneration besessen, dann würde sie morgens gar nicht mehr aufstehen können. Überall hätte sie blaue Flecken und sie hatte sich sogar schon den Arm beim Training gebrochen. Anne wusste, dass die Menschen sie sofort wieder einsperren würden, wenn diese Fähigkeit zu Tage kam und deswegen versuchte sie alles, um dies geheim zu halten. Sie gipste sich den Arm ein und gab sich alle Mühe, doch leider kam es anders als erhofft. Als sie nämlich mit dem besten Schüler trainierte (nämlich mit echten Schwertern), setzte er ihr ziemlich übel zu und trennte ihr mit der Klinge eine Hand ab. Als der Meister davon erfuhr, wollte er sofort einen Notarzt rufen, doch dann sah er, dass die Hand wieder nachwuchs. Ganz langsam aber eindeutig zu sehen, wuchs sie wieder nach und nicht einmal eine Narbe blieb zurück. Da sie das Risiko nicht eingehen durfte, dass jene Menschen aus dem Institut davon erfuhren, erschoss sie ihren Lehrmeister und den Schüler und verließ China in Richtung Japan, wo sie ihre Ausbildung fortsetzte. Und dort blieb sie so lange, bis sie eines Tages eine Nachricht von Dimitrij erhielt, der sie bat, nach England zurückzukehren. Sofort folgte Anne seiner Bitte und nahm den nächsten Flieger nach London und fuhr mit dem Zug direkt nach Winchester. Als sie ihren geliebten Dimitrij wiedersah, hätte sie ihn beinahe nicht wiedererkannt. Er hatte sich völlig verändert. Er war viel größer geworden, seine Stimme war tiefer als sonst und er wirkte viel erwachsener als früher. Und sie hingegen war so jung wie damals geblieben, als sie aus der Zelle entkommen konnten. Aus dem fünfjährigen kleinen Jungen war jetzt ein Dreizehnjähriger geworden. Aber die Freude über ihre Rückkehr war immer noch so kindlich wie damals und als er sie überschwänglich umarmte, da atmete sie erleichtert auf. Es war immer noch der gleiche Dimitrij. „Du siehst wunderschön aus Anne. Das Kleid steht dir wirklich. Wo warst du die letzten Jahre?“

„Ich habe die USA, China und Japan bereist, um zu deinem Schwert und Schild zu werden, Dimitrij.“

„Ich heiße jetzt übrigens nicht mehr so. Im Waisenhaus hier tragen wir alle einen falschen Namen. Für die Menschen heiße ich jetzt Fear Illusion. Kein Mensch darf mich Dimitrij nennen. Nur du darfst mich weiterhin so nennen, wenn es kein anderer hört. Mit den Menschen will ich nichts mehr teilen müssen. Nur mit dir, Anne.“ Und damit gab er ihr einen Kuss. „Jetzt wo du schon mal da bist, möchte ich dir meine Freunde vorstellen! Du wirst sie sicherlich auch mögen.“ Anne folgte ihm ins Waisenhaus in sein Zimmer, welches sehr gemütlich aussah und mit allerlei Bildern mit optischen Täuschungen dekoriert war. An einem Tisch saßen ein rothaariger Junge mit dunkelbraunen Augen, der ein T-Shirt mit dem Auftrug „Life is a Game“ trug und einen sehr aufgeweckten aber auch sehr listigen und verräterischen Eindruck machte und ein in sich zusammengesunkener Junge im gleichen Alter, der schwarzes zotteliges Haar und leuchtend rote Augen hatte. Sie beide spielten Schach gegeneinander und so wie es aussah, gewann der rothaarige Junge. „Das sind meine besten Freunde im Waisenhaus. Der Rothaarige heißt Andrew Asylum und der andere Beyond Birthday. Und sie ist…“

„Anne Hartmann, sehr erfreut. Ich bin das Dienstmädchen des gnädigen Herrn.“ Mit einer leichten Verbeugung grüßte Anne die beiden und sah nur kurz zu Dimitrij, der erst nicht ganz verstand, was das zu bedeuten hatte, doch er reagierte schnell darauf. „Anne ist seit Jahren in meinen Diensten und ist auch so etwas wie mein Kindermädchen gewesen.“ Dem schwarzhaarigen Jungen, der ziemlich verschüchtert und introvertiert zu sein schien, war es nach seiner Reaktion zu schließen herzlich egal und er konzentrierte sich lieber auf das Schachspiel. Doch Andrew hatte sichtliches Interesse an Anne. Dieser war dies nicht entgangen und es brauchte bereits ein Blick und sie hasste ihn jetzt schon. Dieser Andrew bedeutete Ärger, das wusste sie sofort und niemand machte ihrem „Herrn“ Schwierigkeiten. Doch da Dimitrij ihn als Freund betrachtete, durfte sie ihm nichts antun. Als die Partie vorbei war, sagte Beyond kleinlaut, dass er noch etwas Wichtiges zu tun habe, dann verabschiedete er sich. Erst als er das Zimmer verlassen hatte, begann Dimitrij den Grund zu erklären, warum er Anne hergerufen hatte. „Anne, ich möchte, dass du für meinen Freund einen Gefallen tust.“

„Was immer Ihr mir befiehlt, Herr.“

„Es ist ganz einfach: Du musst in die Zahnarztpraxis von Dr. Fletcher rein und die Dokumente von Andrew mit einem bestimmten Patienten austauschen. Andrew hat ein tolles Spiel geplant, bei dem ich ihm aber helfen muss, damit das klappt. Glaubst du, du schaffst das, Anne?“

„Ich werde jeden Eurer Aufträge zu Eurer vollsten Zufriedenheit ausführen, Herr.“

„Wunderbar. Ach ja und noch etwas: Es kann sein, dass Andrew mal unsere Hilfe braucht, ich allerdings nicht da sein kann. Deswegen möchte ich, dass du ihm hilfst.“ Anne war nicht wohl bei diesem Gedanken. Sie hatte diese Dienstmädchennummer nur abgezogen, um Dimitrij zu schützen. Wenn sie aufflog, dann konnte sie immer noch sagen, dass Dimitrij lediglich ein Brotsherr war und nichts von all dem wusste. Aber dass sie jetzt auch noch diesem Jungen namens Andrew helfen musste, das war unfassbar. Allein schon wie er sie ansah. Es war der gleiche Blick, mit dem die Menschen in dem Institut sie angesehen hatten: Sie sahen in ihr nicht einen Menschen mit Grundrechten, sondern irgendein Schlachtvieh. Ein Spielzeug, das man nach Lust und Laune kaputt machen konnte. Und für solch einen Jungen zu arbeiten, verstieß gegen ihre Grundprinzipien. Aber wenn Dimitrij sagte, dieser Junge wäre sein Freund, dann musste sie tun, was er sagte. „Herr, dürfte ich bitte mit dem jungen Mann in Ruhe sprechen, um genauer instruiert zu werden?“

„Natürlich, ich muss sowieso zur Schwester, um den Verband zu wechseln.“ Und damit ließ Dimitrij sie beide alleine. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, setzte sich Anne dorthin, wo Beyond zuvor gesessen hatte und sah den Jungen mit ernstem Blick an. Dieser grinste verschlagen und lehnte sich zurück. „Soso, das Dienstmädchen unseres einäugigen Adligen. Bist du seine Mami oder was?“

„Ich bin die Bedienstete des jungen Herrn. Meine Aufgabe ist es, all seine Wünsche zu erfüllen und ihn zu beschützen. Vor allem vor jenen, die ihn ausnutzen und ihm schaden wollen.“ Den letzten Satz sagte sie mit besonders starkem Nachdruck und sah ihn noch ernster und drohender an. Doch der Junge ließ sich nicht beeindrucken. „Wenn du das tust, was ich dir sage, dann wird deinem geliebten Herrn überhaupt nichts passieren. Ich habe alles gut durchdacht und mit dir müsste eigentlich alles perfekt klappen.“

„Was für ein Spiel treiben Sie?“

„Ich hab hier ein paar Schwierigkeiten und Watari will mich in die Klapse abschieben. Ich sei angeblich gestört und hätte ernsthafte psychische Probleme. In Wahrheit wollen sie mir meine Spielzeuge wegnehmen und darauf habe ich keine große Lust. Also werde ich eine kleine Inszenierung machen und dafür sorgen, dass das gesamte Waisenhaus die Quittung für sein Handeln gegen mich bekommt. Wenn ich schon gehen muss, dann wenigstens mit einem großen Finale. Der Plan ist folgender: Du brichst wie gesagt in die Zahnarztpraxis ein und tauschst meine Dokumente mit einem gewissen Lloyd Simons aus. Aber pass ja auf, dass da keine Namen darauf stehen, sonst fliegt alles auf. Ich werde Dimitrij eine codierte Nachricht zuschicken in der steht, dass ich noch lebe. Wenn er die Nachricht entschlüsselt hat, wirst du dich auf den Weg zur Psychiatrie machen. Ich werde ein kleines Feuerwerk veranstalten, aber zuvor wirst du mich befreien, egal wie du das anstellen willst.“

„Verstehe ich das richtig? Sie wollen Ihren Tod vortäuschen?“

„Ganz richtig. Nur so habe ich die nötige Freiheit, um alles weitere vorzubereiten und gleichzeitig habe ich mir diese lästigen Maden vom Hals geschafft. Wer würde schon jemanden verdächtigen, der tot ist? Das ist einfach genial!“ Je mehr dieser Junge sprach, desto mehr hasste Anne ihn. Nun gut, sie hasste die Menschen auch und es war ihr trotz dieser fünf Jahre nicht gelungen, Sympathien für sie zu entwickeln, aber dieser Junge da war der Schlimmste von allen. Er war nicht besser als diese Leute aus dem Institut, die ihr bei vollem Bewusstsein die Arme amputierten und ihren Spaß dabei hatten. Innerlich verkrampfte sich alles bei ihr und es brauchte unglaubliche Selbstbeherrschung, damit sie ihn nicht auf der Stelle tötete. „Solange meinem Herrn nichts geschieht, werde ich tun, was nötig ist. Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, aber ich möchte mich jetzt empfehlen!“ Damit stand sie auf und wollte auf dem schnellsten Wege das Zimmer verlassen, doch dann sagte der Junge etwas, das sie erschaudern ließ. „Hast dich ja richtig hochgearbeitet. Vom Versuchskaninchen zum perfekten Dienstmädchen. Dein so genannter Herr muss ja richtig stolz darauf sein, dass er so eine treue Dienerin wie dich hat.“

„Wer zum Teufel bist du?“

„Sag bloß, du erinnerst dich nicht an die Wissenschaftlerin mit den drei Kindern.“ Und Anne erinnerte sich sehr gut an diese drei kahl rasierten völlig verstörten Kinder, die diese junge Frau damals in dem ganzen Chaos retten konnte. Das konnte doch nicht möglich sein. Andrew war also auch ein Experiment aus dem Institut? Aber wie konnte es nur so kommen, dass sie sich hier wiedersahen? Das war doch nicht möglich. Zumindest hatte sie das geglaubt. Was sollte sie bloß tun? Dieser Junge hatte indirekt angedeutet, Dimitrij etwas anzutun, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzte. Und sie konnte ihn nicht umbringen, weil Andrew ein Freund war. Er war Dimitrij wichtig und sie hatte versprochen, solche Menschen zu beschützen. Aber sie musste auch ihn beschützen, das war in erster Linie von Bedeutung. Was also sollte sie tun? „Wenn ich merke, dass du Dimitrij in ernste Gefahr bringst oder versuchst, ihm etwas anzutun, dann wirst du mich kennen lernen! Ich werde nicht zulassen, dass ihm etwas passiert.“

„Wie schon gesagt: Solange du spurst, ist dein Schatz sicher. Ich finde übrigens, dass das Dienstmädchenkleid dir echt super steht. Du solltest dir wirklich mal überlegen, ob du bei diesem einäugigen Freak bleiben willst. Jemanden wie dich könnte ich gut gebrauchen.“

„Tut mir leid, aber lieber gehe ich freiwillig ins Institut zurück!“ Und mit einer enormen Wut im Bauch verließ Anne das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Dieser elende Dreckskerl benutzte Dimitrij doch bloß für seine Zwecke. Und wenn er ihn nicht mehr brauchte, würde er ihn einfach fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Doch sie konnte Dimitrij nicht in den Rücken fallen, immerhin hatte er sie damals aus der Zelle geholt und sie vor einer schrecklichen Zukunft bewahrt. Aber sie konnte diesen Andrew auch nicht so einfach machen lassen, was er wollte. Und sie hatte auch keine Lust, als Spielzeug dieses Bengels herzuhalten. Sie musste sich etwas einfallen lassen, wie sie ihn loswerden konnte, ohne ihr Versprechen zu brechen.

Ein doppeltes Spiel

Beyond hatte endlich die Mauern der Arroway Psychiatrie erreicht und sah auch, dass da noch zwei Wagen in der Nähe geparkt standen. Ein roter Seat und ein schwarzer Rolls Royce. Der Rolls Royce gehörte, soweit er wusste, Fear und Anne. Aber was suchte der Seat hier? Naja, das konnte ihm jetzt auch egal sein. Wichtig war nur, dass Fear ihn hier erwartete und irgendwas mit ihm vorhatte. Durch das Tor, das so weit geöffnet war, dass man sich hindurchquetschen konnte, ging er zum Haupteingang der Anstalt. Der ganze Hof war verwildert und überall lag Schrott und zersplittertes Glas. Die Fenster waren schon vor einiger Zeit eingeworfen worden und mit Graffiti hatte man Initialen oder Schimpfwörter und Hakenkreuze gesprüht, man fand sogar rassistische Parolen an den Wänden. Auch an der Tür war etwas geschrieben worden, und zwar mit roter Farbe, die teils heruntergetropft war und wie Blut aussah. „Dieser Ort macht aus Menschen Ungeheuer!“ Von außen sah Beyond bereits die Stelle, wo das Feuer ausgebrochen war. Sie befand sich im Ostflügel im Erdgeschoss. An allen Fenstern waren zusätzlich Gitter befestigt und oben an der Mauer hing noch Stacheldraht. Die Arroway Psychiatrie war in zwei Bereiche eingeteilt: Im Ostflügel waren die jugendlichen Patienten untergebracht und im Westflügel alle, die älter als 21 Jahre alt waren. Hauptsächlich hatten sich unter den Jugendlichen Psychopathen, Soziopathen, welche mit Persönlichkeitsstörungen und anderen schweren Psychosen befunden. Viele von ihnen waren Mörder, Vergewaltiger, Serienbrandstifter und Amokläufer. Aber warum hatte man Andrew damals hier eingesperrt? Ohne Grund hätte man ihn doch nicht hier aufgenommen. Vielleicht wusste Fear ja die Antwort und würde ihm alles ausführlich erklären. Andererseits… warum bestellte er ihn an einen solch verlassenen Ort? Sicherlich hatte dieser Freak irgendwelche Hintergedanken, die ihm nicht sonderlich gefallen würden. Vielleicht wollte er auch ihn umbringen. Nein, nicht nachdem er sein Leben riskiert hatte, als er ihm und Rumiko im Kampf gegen Jeff und dem Slenderman geholfen hatte. Vielleicht wollte er sich einfach mit ihm aussprechen oder aber etwas von ihm verlangen. Aber sich den Kopf zu zerbrechen, half auch nicht weiter. Beyond würde so oder so nicht um ein Treffen herum kommen und er war sich sicher, dass schon alles gut gehen würde. Wenn er nur nicht das Gefühl hätte, von irgendwo her beobachtet zu werden.

Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend stieg er die Treppen hinauf und stieß die Eingangstür auf. Diese schlug so schnell auf, dass sie laut gegen die Wand knallte und sie sah fast danach aus, als würde sie gleich aus den Angeln fallen. Das Innere der Anstalt war dreckig und sah aus, als wäre es die Kulisse einer neuen Silent Hill Verfilmung. Die Fliesen waren zum Teil zersprungen, der Schimmel hatte sich in den letzten Jahren ausgebreitet und es gab noch diverse andere dunkle Flecken, die verdächtig nach altem Blut aussahen. Die Farbe blätterte ab, überall lagen umgeworfene Stühle, zerbrochene Möbelstücke und Betonbrocken. Vorsichtig stieg der Serienmörder über diese Hindernisse hinweg und sah sich überall um. In den Zimmern waren Betten mit alten, vermoderten Matratzen, wo Ratten hausten und zum Teil Tierkadaver verwesten. Es stank furchtbar nach Moder und Urin und Beyond konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand in den letzten Jahren hier war. Nicht mal obdachlose Penner. Als er sich aber in den Badezimmern umsah, fiel ihm auf, dass es aus den Wasserhähnen tropfte. Seltsam, dachte er, als er sich das näher ansah. Normalerweise wurde das Wasser doch abgestellt. Ob der Strom auch funktionierte? Beyond ging zum Lichtschalter und tatsächlich: als er ihn betätigte, flackerten die Neonröhren auf. Sie gaben ein kränklich gelbes blasses Licht ab und flackerten, aber der Strom funktionierte. Offenbar hatte sich Fear hier verschanzt, oder aber… konnte es möglich sein? Lebte hier etwa jemand?

Beyond rekapitulierte noch mal die letzten Ereignisse im Kopf und dachte scharf nach. Andrew wurde im Alter von 13 Jahren in diese Anstalt eingewiesen, er hatte Fear eine Nachricht zukommen lassen und fiel dann diesem Brandanschlag zum Opfer. Oder war es vielleicht möglich, dass er noch lebte? Hatte er mit Fear einen Plan geschmiedet, um seinen Tod vorzutäuschen, damit er keine weiteren Mordanschläge mehr fürchten musste? Aber warum hatte Fear ihm das nicht mitgeteilt? Wollte er es ihm etwa als letzte Überraschung bereithalten? Oder hatte er es gar nicht vor? Noch mehr Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Zumindest noch nicht.

Schließlich ging er in Richtung Ostflügel und hoffte, dass er dort etwas fand, was ihm weiterhelfen würde. Doch kaum hatte er den Flur betreten, hörte er von irgendwo her ein leises Stöhnen. Es klang gequält und kam aus einem der Zimmer. „Hallo?“ rief er und beschleunigte seine Schritte. „Ist da jemand?“ Es kam ein leises Murmeln und konzentriert versuchte Beyond diese Stimme zu orten. Sie kam aus einer Zelle mit einem kleinen Schiebefenster. Dieses öffnete er und als er hindurchsah, konnte er jemanden erkennen, der auf dem Boden lag. Sofort riss er die Tür auf und fand Oliver und L vor, die gefesselt und schlimm zugerichtet aussahen. Oliver hatte mehrere Schnittwunden und sah aus, als wäre er verprügelt worden. In einem ähnlichen Zustand befand sich auch L. „Oliver, was ist passiert? Wer hat euch das angetan?“

„Es war… Fear.“ Die Antwort kam von einer Gestalt, die zusammengekauert in der Ecke hockte und am ganzen Leib zitterte. Es war ein junger Mann, in Beyonds Alter und mit rotem Haar. Als Beyond seinen Namen erkannte, weiteten sich seine Augen vor Fassungslosigkeit und er wich zurück. „Das… das kann doch nicht sein. Bist du das wirklich?“ Hastig nickte der Rothaarige und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. „Du musst sofort von hier verschwinden. Er wird gleich zurückkommen, er will dich umbringen!“

„Was ist passiert? Warum sind L und Oliver hier?“

„Er hat sie geschnappt, als er Irene und Uriah umgebracht hat. Fear ist vollkommen durchgedreht. Er ist total wahnsinnig geworden! Du musst so schnell wie möglich von hier weg.“

„Warum will er mich umbringen? Und was hat das Ganze mit dir zu tun?“

„Ich brauchte seine Hilfe, um dem Mordanschlag zu entkommen, den sie geplant hatten. Aber dann hat er mich hier eingesperrt und will dich als auch die anderen Buchstaben töten. Er ist eifersüchtig auf dich. Ihm hat es nie gepasst, dass wir uns beide besser verstanden haben. Ich hab es erst gemerkt, als er mich hier eingesperrt hat.“ Das konnte doch nicht wahr sein. Fear hatte ihm eine Falle gestellt und wollte ihn umbringen? Er wollte auch seinen Freund Oliver töten? Dann war das alles nur ein krankes Psychospiel von ihm gewesen, um ihn zu manipulieren? Und er hatte Andrew über all die Jahre eingesperrt, damit er ihn nicht warnen konnte? So ein elender Mistkerl. Und wenn er die restlichen Buchstaben getötet hatte, dann würde er mit Sicherheit auch Rumiko etwas antun, nur um sich dafür zu rächen, dass er nur die Nummer 2 war. Dabei hatte Fear all die Jahre als jemanden eingeschätzt, den man nach Lust und Laune herumschubsen konnte und der es selbst noch toll fand. Aber anscheinend hatten sich sowohl Beyond als auch Andrew geirrt. Der gruselige Freak war zum lebensgefährlichen Serienmörder geworden. Ein Monster, das völlig außer Kontrolle war. „Wo ist Fear gerade?“

„Ich weiß es nicht. Aber er wird gleich zurückkommen. Du musst sofort weg, sonst wird er dich umbringen. Schnell!“

„Nein, ich werde nicht ohne euch gehen.“ Beyond half ihm hoch und nach einigen Versuchen gelang es ihm, L und Oliver zu wecken. Diese waren vollkommen orientierungslos und konnten sich nicht erinnern, wo sie waren und was genau passiert war, nachdem sie Irene und Uriah umgebracht hatten. Zum Glück konnten sie noch laufen und so machten sie sich auf den Weg zum Ausgang, um die Anstalt schnellstgehend zu verlassen, doch dann stellte sich ihnen jemand in den Weg. Es war Watari und zu ihm gesellte sich niemand anderes als Hester Holloway und Tarara Jones alias T, die eine Waffe auf sie richtete. „Keine Bewegung und schön die Hände hinter dem Kopf!“ Beyond verstand die Welt nicht mehr. Was zum Teufel sollte das? Warum war Hester hier und was suchten Tarara und Watari hier? Das alles wurde immer verworrener und völlig undurchschaubar. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“

Andrew wich zurück und versteckte sich hinter Beyond. „Andrew Asylum, du bist verhaftet wegen Brandstiftung, mehrfachen Mordes sowie Anstiftung zum Mord und Entführung!“ „Das ist Schwachsinn, ich habe nie etwas Falsches getan!“

„Wir haben ausführliche Zeugenaussagen, die bestätigen, dass Sie Fear Illusion dazu angestiftet haben, Roger Ruvie, Elly Sitch, Uriah Houston und Irene Malbourne zu töten und sowohl Watari als auch L und Oliver zu entführen.“

„Das ist Blödsinn“, rief Beyond empört und machte direkt einen Schritt auf Tarara zu. „Andrew ist doch auch ein Opfer von Fear, er hat nichts damit zu tun.“

Er stand kurz davor, seine Pistole zu ziehen und zu schießen, doch dann trat Hester auf ihn zu und legte beschwichtigend eine Hand auf seine Schulter. „Beyond, bitte du musst mir jetzt genau zuhören: Andrew hat dich all die Jahre belogen. Er hat dich manipuliert und wollte dich wieder zu seiner Spielfigur machen. Watari hat ihn damals aus gutem Grund in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Er leidet unter einer schweren antisozialen Persönlichkeitsstörung und war eine Gefahr für uns alle.“

„Antisoziale… Willst du mir etwa damit sagen, er ist ein Psycho? Warum zum Teufel sollte ich euch glauben? Ihr habt immerhin versucht, Andrew umzubringen!“

„Das haben wir nicht und wir haben auch Beweise. Die Leiche, die damals verbrannt wurde, war die eines Patienten aus der Anstalt, der von Andrew getötet und dann bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. Und Fear hat er als seine Spielfigur benutzt, um dich zu manipulieren. Er war es auch, der Jeff auf dich gehetzt hat!“

„Alles Lügen!“ rief Andrew mit Angst in den Augen. „Uriah selbst war dabei, als ihr mein Zimmer angezündet habt.“

„Und außerdem habe ich ganz eindeutig seine Stimme gehört, als ich mit ihm telefoniert habe. Uriah hat gestanden, dass ihr Andrew und auch mich umbringen wolltet.“

„Das war ein ganz hinterhältiger Trick“, erklärte Hester mit beschwichtigender Stimme, um Beyond ein wenig zu beruhigen. „Fear hat Uriah hypnotisiert und ihn dazu gebracht, so etwas zu sagen.“

„Ach ja? Und wie wollt ihr das beweisen?“

„Wir haben Andrews Geständnis auf Tonband und die Zeugenaussagen von Fear Illusion und Anne Hartmann.“

„Wie bitte?“ rief Andrew plötzlich und verlor jegliche Farbe im Gesicht. Das kann doch nicht wahr sein, das ist ein ganz mieser Trick, dachte Andrew und versuchte die Fassung zu wahren. Fear würde ihm niemals schaden wollen und Anne wusste, dass Fear sterben würde, wenn sie sich nicht an die Spielregeln hielt. Das war ein Trick, um ihn aus der Reserve zu locken. „Das ist blanker Unsinn, ich habe niemals mit den beiden gemeinsame Sache gemacht.“ Doch dann trat Anne hervor und mit ihren bernsteinfarbenen Augen, die er an ihr so bewundert hatte, schaute sie ihn eiskalt und verachtend an. Sie gesellte sich zu Watari und lächelte ihn mit einem siegessicheren Lächeln an. In diesem Moment wurde ihm klar, dass es kein Trick war. Anne, die eigentlich damit beauftragt worden war, Watari in die Folterkammer zu bringen, hatte ihn befreit! Und sie hatte mit ihm zusammen einen Plan ausgearbeitet, um ihn, Andrew Asylum, in seinem eigenen Spiel zu schlagen. Dieses hinterhältige Miststück hatte er gewaltig unterschätzt und das war wohl sein Fehler. Unter ihrer Schürze holte Anne ein kleines Diktiergerät hervor und spielte es ab. Und was da abgespielt wurde, ließ Andrews schlimmste Befürchtungen wahr werden:
 

„Eigentlich sollten I und U sofort getötet werden, aber als Fear dann erst einmal Mist gebaut hatte, musste ich umdenken. Und da sich Beyond von euch verabschiedet hatte, kam mir das gerade Recht. Ich hab also gewartet, bis ihr bei den beiden Physikern aufkreuzt und habe Anne beauftragt, die beiden zu töten und euch hierher zu bringen. Ich möchte nämlich nicht, dass das Spiel vorschnell beendet wird.“
 

Mit einer selbstgefälligen Miene drückte Anne auf Stopp und während sie diese Aufnahme abgespielt hatte, trat Fear hinzu. Wie immer war sein Auftreten elegant und vornehm und er legte beinahe zärtlich eine Hand auf Annes Schulter. Andrew sah abwechselnd beide an und versuchte zu verstehen, was hier eigentlich vor sich ging. Dann aber sagte Anne „Du hast mir mal gesagt „Vergiss nicht, wer momentan dein Besitzer ist“. Ich weiß es sehr wohl: Ich bin mein eigener Besitzer und ich bin auch nicht Fears Spielzeug. Ich bin ich, Anne Hartmann und der einzig wichtige Mensch in Fears Leben. Genauso wie er der einzig Wichtige in meinem Leben ist. Und ich tue alles, um ihn zu beschützen. Vor allem vor Subjekten wie dir.“ Und damit wandte sie sich an Beyond. „Er hatte zuerst vorgehabt, dich dazu zu bringen, L und Watari zu töten. Dann aber hatte er sich anders entschieden und wollte eine Rochade durchführen. Das heißt: Er wollte Fear als wahren Nummer 14 hinstellen, der ihn über Jahre eingesperrt hielt und nun Rache nehmen wollte. Damit hatte er nun vorgehabt, dich auf Fear zu hetzen, um ihn loszuwerden. Mich hätte er auch umgebracht. Als ich diesen Plan durchschaut hatte, habe ich Fear über alles in Kenntnis gesetzt und Watari befreit.“

„Aber was haben Hester und Tarara hier zu suchen?“

„Ich habe Hester angerufen“, erklärte Anne beiläufig, als sie nun ihr Diktiergerät an die FBI Agentin übergab. „Ich habe gewusst, dass Hester neben Oliver die Einzige war, zu der Beyond kein angespanntes Verhältnis pflegte und es traf sich auch gut, dass sie auch nicht Teil des Spiels war. Ich habe sie angerufen und sie davon in Kenntnis gesetzt, dass du hinter dem Mord an Roger Ruvie und Elly Sitch steckst und Hester hat daraufhin Tarara alarmiert, die ja beim FBI arbeitet.“ Die Notiz! Beyond erinnerte sich wieder an diese merkwürdige Notiz, die er neben ihrem Laptop entdeckt hatte und die letzte Internetseite, die sie besucht hatte. Dann hatte Hester gar nicht das Land verlassen, sondern Tarara Jones vom Flughafen abgeholt und sich lediglich informiert, wann und wo sie ankam.

Alles um ihn herum begann sich zu drehen und Beyond fühlte sich völlig benommen. Er wusste nicht mehr, was eigentlich noch wahr oder falsch war, wer hier log und ein Spielchen spielte und wer hier die Wahrheit sprach. Der Mensch, den er all die Jahre für seinen besten Freund gehalten hatte, war ein gefährlicher Soziopath, der in ihn nur eine nützliche Spielfigur sah und ihn nach Strich und Faden benutzte? Und jener Mensch, den er all die Jahre gehasst und für alles Unglück in seinem Leben verantwortlich gemacht hatte, war in Wirklichkeit kein Feind sondern jemand, der ihn beschützen wollte? „Du elender Mistkerl“, rief nun Fear und riss Beyond wieder aus seinen Gedanken. „Du hast meine geliebte Anne bedroht und wolltest mich umbringen! Dabei habe ich all die Jahre alles für dich getan. Alles, was du von mir verlangt hast, habe ich für dich getan und habe mir alles gefallen lassen. Aber dass du Anne, meine geliebte Anne bedrohst und erpresst, ist das Letzte.“

„Dieses dreckige Miststück lügt doch wie gedruckt“, entgegnete Andrew und verlor nun endgültig seine Beherrschung. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze und er ließ sich nicht im geringsten von Tararas Pistole einschüchtern. „Die ist doch bloß eifersüchtig!“ „Ganz und gar nicht. Anne würde mich niemals belügen. Mithilfe meines Auges habe ich die Erinnerungen in ihrem Unterbewusstsein gelesen und gesehen, dass sie die Wahrheit sagt. Und überhaupt: Ich habe nicht den geringsten Grund, Annes Worte überhaupt anzuzweifeln. Ihr vertraue ich blind und als ich erkannt habe, was für ein mieses Spiel du hier eigentlich spielst, habe ich beschlossen, den Spieß einfach umzudrehen. Als du mich nämlich beauftragt hast, mich um Oliver und L „zu kümmern“, hab ich ihre Erinnerungen gar nicht manipuliert, sondern sie lediglich erst mal schlafen geschickt und ihnen Instruktionen gegeben, was sie zu tun haben. Sie haben also lediglich so getan, als könnten sie sich an nichts mehr erinnern, um dich so ins offene Messer laufen zu lassen. So wie es aussieht, haben wir dich in deinem eigenen Spiel geschlagen.“

„Nein“, knurrte Andrew mit zusammengepressten Zähnen und funkelte seinen ehemaligen Verbündeten hasserfüllt an. „Ich lasse mich niemals in meinem eigenen Spiel schlagen. Weder von dir noch von irgendjemand anderem.“ Und damit warf er ein kleines Röhrchen zu Boden aus dem explosionsartig beißender gelblicher Qualm hervorkam und alles einnebelte. Es brannte in den Augen und alle mussten husten. In diesem Moment waren sie alle Andrew schutzlos ausgeliefert. Watari rief irgendetwas, stieß dann aber einen schmerzerfüllten Schrei aus und Beyond hörte, wie er zu Boden fiel. „Sofort raus aus der Rauchwolke!“ rief Hester und laut klapperten ihre Absatzschuhe. Als Beyond dieses markante Geräusch hörte, wusste er, dass sie die Nächste sein würde. Sofort sprintete er los in Richtung der Geräuschquelle und sah nur undeutlich durch seine tränenden Augen, wie irgendjemand ein Messer zog. In dem Moment zog er seine Pistole und richtete sie auf den Bewaffneten. Doch er drückte nicht ab. Irgendetwas in ihm hielt ihn einfach davon ab. Wie konnte er den Menschen erschießen, den er wie einen Bruder geliebt hatte? Auch wenn Andrew ihn nach Strich und Faden benutzt, belogen und betrogen hatte, konnte er ihn nicht so einfach hassen. Er hörte einen weiteren schmerzerfüllten Aufschrei und fühlte sich schrecklich. Seinetwegen war Hester jetzt tot. Dabei hatte er nie etwas gegen sie gehabt.

Doch als er weiterhin das Geräusch von Absätzen hörte, wurde ihm klar, dass es gar nicht Hester war. Langsam verflog der Rauch und als Beyond wieder klar sehen konnte, war es Andrew, der auf dem Boden lag. Er versuchte aufzustehen, konnte aber nicht laufen, da Anne ihm mit ihrem Schwert die Achillessehnen durchgeschnitten hatte, um ihn an der Flucht zu hindern. Tarara holte ihre Handschellen hervor und legte sie Andrew an, dann zerrte sie ihn hoch. „Andrew Asylum, Sie sind hiermit wegen Mordes, versuchten Mordes, Anstiftung zum Mord, Anstiftung zur Freiheitsberaubung und Körperverletzung sowie Dokumentenfälschung und zahlreicher weiterer Delikte verhaftet. Alles, was Sie jetzt sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, wenn Sie keinen haben, wird Ihnen von der Strafverteidigung einer gestellt.“

Völlig hilflos sah Beyond mit an, wie sein bester Freund aus Kindertagen an Handschellen abgeführt und von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, sank er zu Boden und starrte ins Leere. Er konnte es einfach nicht glauben. Andrew war ein krimineller Soziopath, der ihn all die Jahre nur belogen und manipuliert hatte? Nur weil er geglaubt hatte, Andrew sei das Opfer einer Verschwörung geworden, hatte er Wammys House verlassen und diese BB-Mordserie begangen. Seinetwegen war er zum Verbrecher geworden. Und jetzt wurde er so enttäuscht. Alles, woran er bis jetzt geglaubt hatte, erwies sich als eine große Lüge. Wem konnte er denn jetzt noch glauben? Was sollte er jetzt glauben? „Du glaubst, du hättest den wichtigsten Menschen verloren, nicht wahr?“ Beyond sah auf und bemerkte erst jetzt, dass Anne vor ihm stand. Sie, die das Schlimmste verhindern und die Wahrheit offenbaren konnte, stand jetzt direkt vor ihm und sah ihm mit ihrem typisch kühlen Gesichtsausdruck an. Und doch konnte Beyond so etwas wie eine Spur Mitleid in ihren wunderschönen Augen erkennen. „Es ist sicher ein Schock für dich, die Wahrheit auf diese Weise zu erfahren.“

„Natürlich. Ich erfahre, dass mein bester Freund, der für mich immer wie ein Bruder war und für den ich alles getan habe, in Wahrheit ein selbstsüchtiger und skrupelloser Lügner und Mörder ist. Ich hab echt das Gefühl, eine Welt bricht über mir zusammen.“

„Aber du weißt jetzt, wem du wirklich vertrauen kannst. Und solange du einen Menschen in deinem Leben hast, der dir alles bedeutet und für den du alles tun würdest und der das Gleiche auch für dich jederzeit tun würde, hast du auch einen Ort, zu dem du zurückkehren kannst.“

Als Anne das sagte, dachte Beyond an Rumiko. Ja, sie hatte ihn niemals benutzt und betrogen. Sie hatte ihn immer vor seinem gewalttätigen Vater beschützt und ihm oft genug das Leben gerettet. Dank ihr konnte er das Gefängnis als freier Mann verlassen und ohne zu zögern hatte sie ihm ihre Unterstützung im Kampf gegen Jeff und dem Slenderman zugesagt. Er hatte tatsächlich einen Ort, wo er hingehörte und wo er zuhause war. Die Farm, die sie aus ihrem Wunsch nach Freiheit und Abgeschiedenheit aufgebaut hatten. Und L und Watari, die er all die Jahre für seine Todfeinde gehalten hatte, hatten versucht, ihn vor Andrews Einfluss zu schützen… Sie waren jetzt Freunde. „Was wird jetzt aus Andrew und Fear?“

„Wenn Andrew verurteilt ist, wird er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen und von der Außenwelt komplett isoliert werden. Er wird nie wieder das Tageslicht sehen, keinen anderen Menschen als seinen Pfleger zu Gesicht bekommen und nie wieder Kontakt zur Außenwelt aufnehmen können. Fear und ich werden verschwinden. Indem wir die Wahrheit offenbart haben, haben wir auch gleichzeitig gestanden, dass wir Menschen entführt und getötet haben. Wir haben den Deal mit T abgeschlossen, dass wir in einem unbemerkten Moment entkommen können. Jetzt, da Andrew weg ist, besteht weder für mich noch für Fear der Grund, jemals wieder einen Menschen aus niederen Beweggründen zu töten.“ Und mit einem perfekten Knicks verabschiedete sich Anne und schritt davon.
 

Beyond wurde von Oliver und L ins Hotel gebracht und sie hielten lange Gespräche über das, was passiert war, was Andrew alles eingefädelt hatte und welche Absichten er verfolgte. Er erfuhr, dass Anne schon seit Anbeginn dieses „Spiels“ das Ziel verfolgte, Andrew das Handwerk zu legen und hatte Watari kurz nach seiner Gefangennahme in ihren Plan mit einbezogen. Dieser habe ihr angeraten, Hester zu kontaktieren und sie zu bitten, mit ihrer alten Freundin T zu sprechen, die beim FBI arbeitete. Da aber noch nicht ganz klar war, worauf Andrew hinaus wollte und wie er das Finale geplant hatte, konnten weder Watari noch Anne etwas unternehmen. Und da Anne ja von Andrew erpresst wurde, konnte sie sich nicht seinen Befehlen widersetzen. Doch die Sorge um Fear war größer und so hatte sie sich ihm kurz nach ihrem Gespräch mit Andrew, der im Hotel als Ben Lake als Aushilfskraft gearbeitet hatte, anvertraut. Sie bot sogar an, dass Fear ihre Erinnerungen lesen könnte, wenn er ihre Worte anzweifelte. Und als klar war, dass Andrew nicht mehr zu trauen war, besprachen sich Fear und Anne, was zu tun war. Anne befestigte heimlich eine Wanze an L’s Kleidung, um das Gespräch aufzeichnen zu können. Und als Andrew davon sprach, dass er eine Rochade durchführen wollte, war Anne sofort klar, dass Andrew Fear aus dem Weg räumen wollte und klärte ihren „Herrn“ darüber auf. Als er L und Oliver das Gedächtnis löschen sollte, hatte er sie stattdessen nur schlafen geschickt, sie aber vorher noch ermahnt, so zu tun, als wüssten sie von nichts. Alles andere sollten sie ihm und Anne überlassen. Und während Andrew sich voll und ganz dem Höhepunkt des Spiels widmete, nahm Anne erneut Kontakt zu Hester auf, bestellte sie zur Arroway Psychiatrie und befreite Watari. Sie alle wollten Andrew in einem Überraschungsmoment erwischen, damit die Situation nicht eskalierte. „Hätte er das Weite gesucht, dann hätte das FBI ihn draußen abgefangen. Das gesamte Gebäude war bereits umstellt und ein Krankenwagen für den Ernstfall hatte auch bereit gestanden.“

Beyond nickte schweigend und starrte mit trübem Blick ins Leere. „Ich kann einfach nicht fassen, dass ich mich so sehr in Andrew getäuscht habe. Ich habe ihm blind vertraut und er hat mich dermaßen verarscht. Ich komm mir wie der letzte Idiot vor.“

„Ich weiß, es ist hart“, sagte Oliver und legte ihm aufmunternd einen Arm um die Schulter. „Aber du kannst wirklich nichts dafür. Wenigstens haben wir diesen Wahnsinnigen aufhalten können, bevor er dich noch zu irgendetwas gebracht hätte, was du später bereuen könntest. Ehrlich gesagt, hatte ich echt Sorge, dass du auf einen von uns losgehst.“

„Ich stand auch kurz davor. Es hätte wirklich nicht viel gefehlt. Oh Mann, ich fasse es einfach nicht. Weil ich dachte, Andrew sei ermordet worden, habe ich Menschen umgebracht! Scheiße… ich bin so ein Vollidiot. Das alles tut mir so Leid. Ich habe dir wirklich Unrecht getan, L und auch den anderen.“

„Schon okay, ich weiß ja, dass es nicht deine Schuld war. Vergessen wir die alten Feindseligkeiten einfach und machen einen Neuanfang.“

„Danke L. Hört mal, ich fühl mich echt nicht gut. Ich brauch ein wenig Zeit für mich selbst… um über alles nachzudenken.“
 

Beyond blieb den ganzen Tag über weg und als er den dritten Tag nicht auftauchte, begannen L und Oliver nach ihm zu suchen. Sie erfuhren, dass Beyond den nächsten Flieger nach Finnland genommen hatte und nun zusammen mit Rumiko, Madeline und Faith auf der Farm lebte. Zwar hatte er mit L und Watari Frieden geschlossen, doch er wollte nie wieder mit den Leuten aus Wammys House Kontakt aufnehmen. Dieses Kapitel war für ihn abgeschlossen und er wollte sich auch nicht mehr damit beschäftigen. Die Sache mit Andrew war einfach zu viel für ihn gewesen und er würde lange Zeit brauchen, um über diesen Schock hinwegzukommen. Fear und Anne verschwanden inzwischen vollkommen von der Bildfläche und trotz polizeilicher Suche konnte man sie nicht finden. Fears Haus, die Nightmare Mansion, fiel einer Gasexplosion zum Opfer und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Weder Beyond noch L hörten jemals wieder etwas von ihnen und wussten auch nicht, wo er sich aufhalten könnte. Gerüchten zufolge sollte sich aber in einer prachtvollen Villa in Thailand ein aristokratisch aussehender grauhaariger junger Mann mit Augenklappe und ein Dienstmädchen mit bernsteinfarbenen Augen niedergelassen haben. Aber das waren nur Gerüchte. Ob dem wirklich so war, musste die Polizei herausfinden.

Andrews Verurteilung zog sich über zwei Monate hinweg und verschiedene psychologische Gutachten wurden ausgestellt, die sich sehr widersprachen. Schließlich aber wurde er für voll zurechnungsfähig erklärt und kam in die Hochsicherheitsverwahrung. Als er dort aber einen manischen Anfall bekam und das halbe Gefängnis abbrannte, verlegte man ihn in die Woodley Nervenheilanstalt für gefährliche Straftäter. Dort endete er schließlich in der Gummizelle, ohne Aussicht darauf, jemals wieder das Tageslicht zu sehen.
 

Und doch…
 

L erhielt knapp ein paar Monate später die Nachricht, dass sich in besagter Nervenheilanstalt ein furchtbares Massaker zugetragen hatte. Mehrere Patienten und Pfleger wurden brutal niedergemetzelt und mehrere gefährliche Patienten konnten entkommen. Darunter befanden sich die „Mörderprinzessin“ Molly Stone, der Chirurg Dr. Yugure Heian, der Familienkiller Steven Red und niemand anderes als Andrew Asylum. Letzterer hatte eine blutige Nachricht hinterlassen, die offensichtlich an L gerichtet war. „Ready for the next Game?“

Eine neue Hoffnung

Unruhig lief Rumiko am Flughafen auf und ab und sah ständig auf die Uhr. Sie war sichtlich nervös und hatte schon fast der Versuchung nachgegeben, sich eine Zigarette anzuzünden. Bis jetzt hatte sie nur der eiserne Wille davon abgehalten. Und außerdem hatte sie ihren Vorrat entsorgt und die Notreserven hatte Madeline die Toilette hinuntergespült. Immer schneller ging Rumiko auf und ab und kaute dabei auf ihrem Daumennagel herum. „Nun komm mal ein bisschen runter, Rumiko.“ Faith, der die kleine Madeline an der Hand hielt, ging zu seiner 7 Jahre älteren Freundin hin und ergriff ihren Arm. „Du machst dir einfach viel zu viele Sorgen. Ihm wird es schon gut gehen und du weißt, dass du dich nicht so aufregen darfst!“

„Ich weiß, aber ich finde es sehr beunruhigend, drei Tage nichts von ihm zu hören und erst vor knapp zwei Stunden zu erfahren, dass er auf dem Weg hierher ist. Da muss doch etwas passiert sein! Wer weiß, was da in England los war.“

„Du musst ihm ein bisschen mehr vertrauen. Er ist ein erwachsener Mann und kann auf sich selbst aufpassen.“ „Ja schon“, gab Rumiko zu und errötete. „Aber er ist nun mal mein kleiner Bruder und der Anruf von diesem L war eben ein wenig beunruhigend. Beyond ist nach der Verhaftung seines besten Freundes einfach spurlos verschwunden und das sieht ihm eigentlich nicht ähnlich. Und als er selbst vorhin angerufen hat, klang er irgendwie so bedrückt, als wäre da was.“

„Ich kann dich schon verstehen, aber man kann sich da auch in irgendetwas hineinsteigern.“

„Es wird alles gut werden!“ rief Madeline plötzlich und nahm nun auch Rumikos Hand, wobei sie abwechselnd ihre Adoptiveltern mit einem Lächeln ansah. „Es wird alles gut werden!“ Offenbar hatte das kleine Mädchen gespürt, dass sowohl Faith als auch Rumiko gestresst waren und wollte mit diesem optimistischen Spruch beide Gemüter wieder besänftigen. Seit Faith den Geist ihrer Großtante entfernt und der Slender Man für immer verschwunden war, hatte sie sich immer mehr geöffnet und verhielt sich inzwischen wie ein ganz normales Kind. Sie war trotzdem sehr sensibel und immer, wenn sie den Beginn eines Streites spürte, rief sie einfach „Es wird alles gut werden!“ Und das half sogar manchmal.

Eine Durchsage ertönte und kündigte an, dass der Flug aus London eintreffen würde. Erleichtert atmete Rumiko auf und lachte sogar. „Kommt, lasst uns zu ihm gehen.“ Und so gingen sie Hand in Hand zu der Menschenmenge, die sich bereits versammelt hatte und zum Teil Schilder mit Namen von Personen und Unternehmen hochhielten. Rumiko drängelte sich bis ganz nach vorne und achtete dabei darauf, Madeline nicht loszulassen. Und tatsächlich dauerte es keine fünf Minuten, bis Beyond endlich zu sehen war. Laut rufend winkte Rumiko ihm zu, eilte auf ihn zu und Madeline hatte Mühe, Schritt zu halten. „Beyond, Mensch bin ich froh, dass es dir gut geht. Ich hatte mir schon solche Sorgen gemacht, dass dir etwas passiert wäre. Als du vorhin angerufen hattest, habe ich schon mit dem Schlimmsten…“ doch Rumiko konnte den Satz nicht beenden, denn Beyond ließ seine Tasche fallen und schloss seine Adoptivschwester in die Arme. Rumiko, die so etwas gar nicht von Beyond gewohnt war, da er eher der zurückhaltende und verschlossene Mensch war, war völlig überrumpelt und wusste zuerst nicht, was sie davon halten sollte. Das letzte Mal, als er sie so stürmisch umarmt hatte war vor über sechzehn Jahren gewesen, als sie seinen Vater erschossen hatte. „B-Beyond. Was ist denn los?“

„Nichts… ich bin einfach nur froh, dass die ganze Sache endlich vorbei ist. Mir ist endlich klar geworden, wer die wirklich wichtigen Menschen in meinem Leben sind. Und ich bin einfach nur froh, dass ich einen Ort habe, an den ich gehen kann und dass ich jemanden habe, der dort auf mich wartet.“ Als Rumiko das hörte, konnte sie die Tränen der Wiedersehensfreude einfach nicht zurückhalten und erwiderte die Umarmung. „Du wirst immer einen Ort haben, an den du zurückkehren kannst. Nämlich bei uns!“ Obwohl die Trennung der beiden nur wenige Tage angedauert hatte, war es ihnen wie Monate vorgekommen und noch nie waren sie so froh gewesen, einander zu sehen und sich in den Armen zu liegen. Rumiko küsste ihm auf die Wange und drückte ihn fest an sich. Dann lösten sie sich wieder voneinander und gingen in Richtung Parkhaus, wo sie den Rumikos dunkelblauen Opel geparkt hatten. „Demnächst wird es auf der Farm ziemlich viel Arbeit geben“, sagte Faith schließlich, als das Gepäck verstaut war und sie sich alle in den Wagen gesetzt hatten. „Wenn Rumiko nicht mehr arbeiten kann, müssen wir alle mehr anpacken.“

„Warum kannst du nicht mehr arbeiten? Bist du etwa krank?“ fragte Beyond und sah Rumiko fragend an, die sich hinter das Steuer gesetzt hatte und die Zündung betätigte. Wieder errötete sie und kicherte. „Ach Quatsch, es ist nur so, dass… ich… ähm…“

Die blonde Halbasiatin wurde ganz verlegen und brachte nur leises Gestammel hervor. Beyond verstand erst gar nicht, was das zu bedeuten hatte und sah nach hinten zu Faith, der ihm mit einem alles sagendem Lächeln zunickte. Da klappte Beyonds Kinnlade runter und er sah wieder zu Rumiko. „Nein, oder? Das glaub ich ja mal nicht. Wie… wie lange?“

„Der Arzt meint, es wären schon drei Wochen. Das heißt, es ist gleich nach meinem ersten Date mit Faith passiert. Zuerst waren wir beide echt überrumpelt gewesen, aber andererseits… Du weißt ja wie ich darüber denke.“

Und mit einem Male, als er nämlich diese wunderbare Nachricht gehört hatte, verflogen all der Kummer und die Sorgen, die ihn bedrückt hatten und er war so überwältigt, dass sogar er emotional wurde. Noch nie in seinem Leben war er so glücklich gewesen, auf der Welt zu sein und jemanden zu haben, der ihn aufrichtig liebte. Madeline, die direkt neben ihm saß und ihn weinen sah, nahm seine Hand und sagte wie so oft „Es wird alles gut werden.“

„Ja… das wird es.“ Und mit dieser Gewissheit fuhren die vier, die durch schwere Schicksalsschläge zusammengeführt und zu einer Familie zusammengeschweißt worden waren, ihrer neuen Zukunft entgegen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  RK9OO
2013-02-27T10:45:48+00:00 27.02.2013 11:45
Hoooh, sehr spannendes Ende.

Der Schluss lässt aber noch ein paar Dinge offen. Sieht mir ja schwer nach einer weiteren Fortsetzung aus, in der es um L und A (und diese anderen Schwerverbrecher, die mit ihm ausbrechen) gehen könnte. :D
Von:  Fearless15
2013-02-26T20:30:13+00:00 26.02.2013 21:30
Das Ende ist voll schön *-* <3
Und Rumiko ist Schwanger????
Von:  Fearless15
2013-02-22T13:45:51+00:00 22.02.2013 14:45
Hi ^^
Ich hab da mal so ne kleine Frage..
Wann kommt denn das nächste Kapitel?
Von:  RK9OO
2013-02-04T13:31:06+00:00 04.02.2013 14:31
Oi, oi, oi - das wird ja immer besser!

Mittlerweile weiß man nicht mehr so recht, welcher Seite man trauen soll - den Wammy's, oder doch lieber Nummer 14?
Das bringst du wirklich super rüber. Man wird als Leser quasi zwischen zwei Stühle gestellt, kriegt von jeder Seite ein bisschen was zu sehen (lesen), und weiß trotzdem nicht, wer denn jetzt lügt, und wer die Wahrheit sagt.
Und es ist auch toll, wie du darauf eingehst, dass selbst Beyond ziemlich verwirrt ist - und dadurch manipulierbar.

Das Ende des Kaps ist wirklich ziiiemlich kompliziert und verwirrend, wegen den ganzen Zahlen. XD Aber wenn man sich vorstellt, dass es nunmal um Beyond und A geht, ist es auch wieder nachzuvollziehen. XD
Die lieben Rätsel schließlich. Und wie könnten sie geheime Nachrichten besser entschlüsseln, als sie in ein Rätsel, das nur die lösen können, die es auch sollten, umzuschreiben? Man merkt, dass du dir Gedanken über die FF machst, das ist tolli. <3
Von:  Fearless15
2013-02-03T16:54:12+00:00 03.02.2013 17:54
Die vorletzte Seite ist sehr kompliziert gewesen.
Überall nur Zahlen xDD
Von:  Fearless15
2013-02-01T12:36:38+00:00 01.02.2013 13:36
Deine Kapitel sind immer so schön blutig und kreativ ^^
Bei jedem neuen Kapitel lässt du dir was neues einfallen
Von:  RK9OO
2013-02-01T10:32:33+00:00 01.02.2013 11:32
Whoooah, das wird ja richtig makaber. *_* Das Kap ist (für mich persönlich) bis jetzt das beste von all deinen FFs.
Es hat fast ein bisschen was von Saw - gemischt mit diesen bizarren und kranken Ami-Shows.
Also Hut ab, sowas kannste ruhig öfter bringen. XD
Von:  Fearless15
2013-01-31T13:05:06+00:00 31.01.2013 14:05
Mist ich kann das viert Kapitel nicht lesen :(
Von:  RK9OO
2013-01-26T13:53:46+00:00 26.01.2013 14:53
Ahh, da ist ja schon die Fortsetzung :D

Ich glaube ja immernoch, oder immer mehr, dass sich hinter der Nummer 14 A verbirgt, aber ich bleibe gespannt
Wenn man aber nach seinem Stecki geht, könnte man glatt meinen, dass es Matt oder Near sein könnte... wegen der Vorliebe für Spiele


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