Zum Inhalt der Seite

As Long as the Mockingbirds Fly

Adventskalender '12 / Tag 15
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

As Long as the Mockingbirds Fly

Und trotzt getrost der ganzen Welt,

bewaffnet, doch als Friedensheld.

(Wilhelm Busch, dt. Dichter u. Zeichner, 1832-1908, ‚Fuchs und Igel’)
 


 

Salem war ein guter Ort, um aufzuwachsen. In dem verregnetem Städtchen, dessen Namen Frieden hieß, und direkt am Willamette River gelegen war, war es friedlich. Obwohl ich in dem Jahr geboren wurde, in dem in Vietnam der Krieg begann, bekam ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens gänzlich wenig davon mit. In Salem sprachen wir in der Schule nicht über Vietnam, wir gingen in die Kirche und beteten. Unsere Väter, die auch nach Fünfundsechzig nicht in den Krieg gezogen waren, hörten daheim Radio, aber drehten die Lautstärke runter, sobald Frank Sinatra von Nachrichten über Vietnam abgelöst wurde. Sie gingen mit ihren Söhnen am Fluss angeln, während wir Mädchen in bunten Kleidern mit unseren Müttern und ihren großen Hüten auf Decken saßen und Picknick machten. In Salem war der Krieg noch nicht angekommen und das zelebrierten die Einwohner mit Sekt, Bowle und Crackern.

Vater war ein wohlhabender Geschäftsmann, der das weiße Haus neben Salems größter Kirche schon in den Vierzigern kaufte und renovieren ließ. Er bot mir die beste Schulbildung, die sich ein Mädchen, geboren im Jahr 1946, nur wünschen kann. Er und Mutter hatten sich nie von irgendeinem Krieg dieses Jahrhunderts begeistern lassen. Ende der siebziger Jahre hatte ich ihn gefragt, warum es ihn so wenig scherte, dass Männer seines Landes kämpften, während er daheimblieb und Geld machte. Es war nie sein Krieg gewesen, antwortete er – nicht der gegen Hitler und seine Armeen und auch nicht der Vietnam-Krieg. Niemand hatte seine Familie persönlich bedroht, niemand sein sicheres, gutes Leben. Er wollte keine Kämpfe ausfechten, die Politiker machten und für die sie keine bessere Lösung fanden, als Blutvergießen in weit entfernten Ländern.
 

Dennoch zog der Krieg im Dezember 1966 in das Haus meiner Kindheit ein. Ich war seit über einem Jahr nicht mehr daheim gewesen. Im August des Vorjahres war ich nach New York gegangen, um dort die Universität zu besuchen und Mode zu machen. Ich hatte viel gearbeitet im vergangenen Jahr und wenig gegessen und Vater bestand darauf, dass ich für einige Monate Heim kam, um mich auszukurieren. Am Tag meiner Rückkehr begrüßte mich Mutter mit frischem Kaffee und Butterkeksen, die ich verschmähte. Mutter sprach von Theaterbesuchen, ihren Freundinnen und der Gemeinde. Sie erzählte mir nichts von dem jungen Mann in unserem Gästezimmer, den Vater mit hinunter zum Abendessen brachte. Ich hatte in New York mit vielen Männern verkehrt und mit so manchen das Bett geteilt. Das ziemte sich so als moderne New Yorkerin der sechziger Jahre. Ich kannte den männlichen Körper wahrscheinlich besser als Mutter, wusste wie Konversation zu führen und was zu tun, um begehrenswert zu sein, ohne billig zu wirken. Aber ich hatte nie zuvor solch traurige Augen gesehen.

Ich aß nur eine halbe Salzkartoffel und ein paar Böhnchen; mehr war ich nicht gewohnt und mehr würde mein Körper nicht wollen. Sprudelndes Wasser hielt mich beschäftigt, während der Fremde mit dem kurz geschorenen Haaren Mutters Essen würdigte.

Ich glaubte seinen Blick in meinem Rücken zu spüren, als ich Mutter nach dem Dinner ins Wohnzimmer folgte, wo sie rauchte und begann, Fensterbank und Schränke mit Porzellanfiguren für Weihnachten zu schmücken. Vater würde morgen den Baum machen und obwohl ich eine Frau war, hatte ich ihm als Kind immer dabei helfen dürfen.
 

Der Fremde sprach nicht zu mir. Ich hörte ihn manchmal im flüsternden Ton mit Vater reden und Höflichkeiten mit Mutter auszutauschen, aber zu mir blieb er stumm. Ich erfuhr seinen Namen von Mutter und dass er Soldat war. Später erfuhr ich, dass unsere Väter zwar gemeinsam studiert hatten, seine Eltern aber früh verstorben und sein älterer Bruder nur wenige Jahre später fortgegangen war. Seine alte, kranke Großmutter hatte ihn aufgezogen und Vater gebeten, ihn in seinem Haus wohnen zu lassen, als sich ankündigte, er würde aus Vietnam zurückkommen. Vater, den der Krieg nicht hätte gleichgültiger sein können, scherte sich um diesen einen Soldaten, weil er der Sohn seines engsten und ältesten Freundes war. Sasuke litt unter dem, was in den achtzigen als PTBS bekannt wurde. Er litt an einer Kriegsneurose, an einem shell shock, an combat stress – oder wie auch immer man es nennen mochte.

Er war ein vom Krieg gebrochener Soldat und in meinem Elternhaus hatte er wieder lernen müssen, dass die Welt kein böser Ort war und dass sie vieles von dem bereit hielt, an das er zwischenzeitlich nicht mehr zu glauben bereit gewesen war.
 

In meinen Augen war Sasuke Uchiha ein höflicher und fleißiger Mann, der immerzu meiner Mutter seine Hilfe im Haus anbot und am Wochenende unseren Rasen mähte. Aber mich begann zu stören, dass ich für ihn nicht mehr als Luft zu sein schien. Ich war es nicht nur gewohnt, die Blicke der Männer auf mich zu ziehen – es war auch die Neugier. Deswegen bemühte ich mich um seine Aufmerksamkeit. Ich zog meine schönsten Kleider an, legte den teuersten Duft auf, warf ihm Blicke zu und kokettierte um ihn herum, ohne es Vater merken zu lassen.

Aber Sasuke Uchiha nahm keine Notiz von mir, bis zu dem Moment der größten Traurigkeit.

Ich erinnere mich an den Tag, als wenn es heute wäre. In jener Stunde saß ich im Morgenmantel auf den Verandastufen unseres Hauses. Es war unweit nach Mitternacht, als die Haustüre sich in meinem Rücken öffnete. Ich spürte seine Präsenz, seine Traurigkeit und die meine verflüchtigte mit jeder Sekunde. Wer war ich, verzweifelt zu sein über Mode, New Yorker Gepflogenheiten und meine eigene Dummheit, mich in ihnen zu verlieren, wenn junge Männer wie er in den Krieg zogen und mit gebrochenen Seelen heimkehrten.

„Guten Abend“, grüßte ich ihn, obwohl die Nacht schon längst angebrochen und es vielleicht kein guter Abend gewesen war. Ich trocknete meine Tränen mit dem Ärmel meines Morgenmantels und drehte mich zu Seite, um zu ihm rüber zu lächeln. Er nahm neben mir auf den Stufen Platz und zündete eine Zigarette an. Ich entschloss in jenen Moment, nicht mehr zu kokettieren. Ich war mir sicher, dass er mit mir spräche, sollte er soweit sein, wo wie ich erst wieder dann richtig aß, wenn ich dazu bereit wäre. Bis dahin, entschloss ich, reichte es mir, neben ihm zu sitzen und dem Rauch seiner Zigarette bis zu den Sternen zu folgen.
 

~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~
 

Vaters Filme übers Reisen und Mutters Bücher vermittelten mir früh das Gefühl einer gewissen Freiheit. Während sie mich fern hielten von Politik und Kriegen, fütterten sie mich mit fremden Kulturen, atemberaubender Landschaften und wundervollen Geschichten.

Ich hatte Sasuke viel zu erzählen und in den ersten Wochen unserer Freundschaft tat ich genau das. Am Weihnachtsabend sprach ich von vergangenen Festen und von meiner Großmama und ihren Schwestern, die am nächsten Tag zu Besuch kamen. Wenigstens war er vorbereitet gewesen auf ihre Küsschen, ihre Pralinen und den Gesang.

„Ich mag sie“, waren die ersten Worte, die er zu mir sprach. Wir hatten auf der Couch im Wohnzimmer gesessen und Großmama und ihren Schwestern beim Singen gelauscht. Wären wir nicht so nah beieinander gewesen, hätte ich seine Worte womöglich nicht verstanden. Ich glaube nicht, dass ich mir das je verziehen hätte.

„Sie sind merkwürdig“, flüstere ich mit Blick auf die üppigen, bunten Kleider der alten Damen und kam nicht umhin, entschuldigend zu klingen.

„Ihre Pralinen sind super.“ Ich nickte lächeln. Er hatte einige von ihren wertvollen Pralinen kosten dürfen. Großmama und die Tanten liebten ihn. Wie konnte man auch nicht? Ich hab’s schließlich auch vom allerersten Moment an getan.
 

An einem Tag zwischen Weihnachten und dem Tag der drei heiligen Könige erkannte ich, dass ich nie wieder damit aufhören konnte ihn zu lieben. Es war der Tag, an dem ich seine Bilder fand. Es gab Fotos aus Vietnam und Zeichnungen, die er gemacht hatte. Es waren blutige Polaroids von Männern mit Waffen, Zeichnungen von durch Bomben zerstörte Orte und Hubschraubern. Aber auch Zeichnungen Einheimischer. Wunderschöne Bleistiftlinien, die mich zu Tränen rührten, weil ich mit ihnen durch Sasukes Augen schaute.

Jahre später erfuhr ich, dass er noch vor seiner Abreise gewusst hatte, welche fehlten und dass ich sie genommen hatte. Ich habe nur nie erfahren, ob er wusste, wofür ich sie genutzt hatte – und somit nie, ob er damit einverstanden gewesen wäre, sie in der Times zu finden. In späteren Jahren habe ich mich oft gefragt, welche Rolle seine Bilder und meine Worte in der Aufarbeitung des Vietnamkriegs gespielt hatten.
 

Eines Nachmittags Ende Januar, als die letzten Vögel in Richtung Süden flogen, fragte er mich, welcher er wohl wäre, wenn er statt Menschenhaut Gefieder trüge. Ich glaube, er erwartete, dass ich ihn mit einem Falken oder einem anderen dieser Raubvögel verglich. Aber ich erinnerte mich an die Northern Mockingbirds, die immer zu Jahresende rüber nach Mexiko flogen. Ich erinnerte mich an Harper Lees Buch ‚To Kill a Mockingbird’, dass ich in der High School gelesen hatte. Ich habe Atticus Finch und Miss Maudie vom ersten Moment an geglaubt, dass diese kleinen Drosseln unschuldig und großzügig seien. Sie fraßen nicht die Früchte in unseren Gärten und sie bauten keine Nester in unseren Silos. Sie taten nichts anderes, als für uns zu singen. Es war eine Sünde einen Mockingbird zu töten.
 

„Erzähl mir davon“, forderte er eines morgens einige Wochen vor Frühjahrsanfang, als ich im Wintergarten saß du zum Hundertsten Mal Ernest Hemingways ‚Der Mann und das Meer’ las. An jenem Tag erzählte ich ihm vom Fischer Santiago und dem größten Fang seines Lebens. Ich erfuhr, dass einer seiner Kameraden das Buch hütete wie ein Schatz und es ihm dennoch hatte leihen wollen. Doch bevor Sasuke es hatte beginnen können, saß er im Flieger Richtung Heimat. Ich entschuldigte mich ihm alles erzählt zu haben und meinte es so. Es war mein liebster Roman. Er sagte, dass sei nicht schlimm, meine Worte wären ohne Zweifel schöner als die von Hemingway. Und er hatte es ja hören wollen.
 

Sein Held war Bob Dylan, mit seiner unschönen Art zu singen, den klugen Worten und seiner offenen Abneigung gegen den Krieg. Ich glaubte seit jener Nacht, in der er mir ‚Blowing in the Wind’ auf Schallplatte in seinem Zimmer vorspielte, dass Dylan es nur für ihn geschrieben hatte. Ich verstand, dass Sasuke eine tiefe Abneigung gegen den Krieg hegte und dass er deswegen hinging. In meinen Augen machte ihn das zu einem Mann. Und es machte ihn unsterblich. Er wurde mein Held.
 

Sasuke sprach. Schon seit Wochen. Und er liebte wie ein Mann, der gefangen war, für zu viele Jahre und endlich, endlich wieder träumen durfte. Und er erzählte mir von seinen Träumen. Von dem Frieden und der Zukunft. Er glaubte an Unionen und an Windmühlen in Afrika.
 

Meine Stimme war zu laut gewesen in seiner Stille, gestand er am Tag, an dem der Frühling begann und konnte nicht aufhören mich anzusehen. Längst wollte er, er könne meine Worte bis in alle Ewigkeit hören.
 

~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~ ~*~
 

Sasuke heilte meine Krankheit der Appetitlosigkeit. Zunächst nur mit der herben Schokolade und den süßen Früchten, die er vom Laden mit in unser Haus brachte; später durch unser gemeinsames Kochen feinster Speisen und Soldatenessens und schlussendlich durch seinen Samen, der meinen Körper befruchtete.

Doch es wurde März und Sasuke ging zurück nach Vietnam, ohne von meiner Heilung zu wissen. Und ohne dass er je wirklich Heilung erfahren hatte. Vater hatte ihm eine Arbeit angeboten, doch er wollte für den Frieden kämpfen.

Ich verabschiedete ihn am Ende der Straße mit süßen Küssen und bitteren Tränen. Ich trauerte um meinen Liebsten, dessen Krankheit noch nicht publik genug war, um von seinen Vorgesetzten bedacht zu werden. Es herrschte Mangel an Männern und er war ein guter Soldat, der den Willen hatte für den allgemeinen Frieden sein Leben zu riskieren. Knapp fünfzehn Jahre später hätte man ihn nicht so einfach zurückkehren lassen. Mitte der Achtziger war PTBS eine ernstzunehmende Krankheit geworden, die Soldaten auch noch begleitete, lange nachdem sie wieder daheim in den United States of Amerika waren. Aber wir waren noch nicht in den Achtzigern und Sasuke ging. Ich vermisste seine Küsse, den feinherben Geschmack der Schokolade und den milden Tabak seiner Zigaretten, die er nachts mit mir teilte.
 

Ich dankte ihm still, dass er mein Leiden geheilt hatte und entschied zurück nach New York zu gehen, um meine Träume zu verwirklichen, ohne mich kaputt machen zu lassen von dem, was New York auch war. Ich arbeitete hart an meiner Mode und erinnerte mich jeden Tag an Sasuke, seinen warmen Körper und seine klugen Worte. Während mein Bauch wuchs besuchte ich nicht bloß Vorlesungen in Modedesign, sondern auch in Politik, Journalismus und Psychologie.
 

Vater hatte beschlossen den Krieg auf keinen Fall in sein Leben zu lassen und bis auf Sasuke war ihm das ganz ordentlich gelungen. Ich entschloss bewusst am Krieg teilzuhaben – auf welche Art auch immer. Ich machte mich kundig und entschied mich für eine Seite, ohne die Liebe aufzugeben, die ich für Sasuke empfand. Ich fand mich bei Protesten gegen den Vietnamkrieg ein, schloss Freundschaften mit jungen Aktivisten die ebenfalls in New York studierten. Ich erstellte Plakate für Demonstrationen und half mit beim Erstellen von Flugzetteln gegen den Krieg. Ich begann mich mehr für Fair Trade zu interessieren als für Haute Couture und mehr für ernsthafte Politik als für Coco Chanel und Karl Lagerfeld. Ich machte eine Wandlung durch an deren Ende ich 1971, vier Jahre nach der Geburt meiner Tochter, einen siebenseitigen Artikel in der New York Times veröffentlichte.

Im selben Sommer machte ich meinen Bachelor of Fine Arts in Modedesign und gab die Mode auf. Ich besuchte in den folgenden Jahren weiterhin Vorlesungen in Politik und Psychologie, ging zu Protesten gegen den Vietnamkrieg, schrieb meine Artikel für die Times und verbrachte Zeit mit meinen Freunden, die meine Tochter selbst mit dem Wissen, dass ihr Vater ein Soldat in Vietnam war, vergötterten. Jeder hatte seine eigenen Gründe gegen den Krieg zu sein und einer der meinen war Sasuke.

Es war nicht so als würde ich ihn nicht lieben. Jedes Plakat und jeder Flugzettel war zu Beginn nur für ihn gedacht gewesen.
 

„Sakuraaahhh, wann ist denn der Truthahn fertig?“ Ich lachte.

„Einen Moment noch, Naruto. Suki, würdest du Hände waschen, Schätzchen? Und nimm Onkel Naruto mit. Der hat auch immer ganz dreckige Hände.“ Ich bückte mich runter zu meiner sechsjährigen Tochter, um ihre Stirn zu küssen. Sie war unverkennbar Sasukes Kind. Sie war meine Heilung. War mein Leben. Meine größte Liebe.

Ich holte den Truthahn aus dem Ofen und stellte ihn zu den gebackenen Süßkartoffeln, den grünen Bohnen und der Preiselbeersoße auf den Tisch. Ich liebte Weihnachten in New York. Die ganze Stadt war geschmückt und in Weihnachtstimmung. Schaute man aus dem Fenster, sah man überall den Schnee und von unserem Appartement aus hatte man sogar einen Blick auf einige der Lichter des Baumes, der auf dem Platz vor dem Rockefeller Center stand. Und selbst wenn ich nicht im Haus meiner Eltern feierte und mein Geliebter nicht bei mir war, fühlte ich mich umgeben von Familie. Als ich Neji beim Anschneiden des gebackenen und gefüllten Vogels beobachtete, glaubte ich mit allem was ich hatte, daran, dass irgendwann Sukis Vater dieses Job übernehmen würde. Der Vietnamkrieg hatte im März dieses Jahres ein Ende gefunden, aber er war nicht zurückgekehrt ins Haus meiner Eltern. Ich hatte in Erfahrung gebracht, dass er sich nicht unter den Gefallenen befand und es sowieso nie geglaubt. Solange ich auch in New York jedes Jahr den Northern Mockingbirds auf ihrem Flug in Richtung Mexiko nachblicken konnte, war es unmöglich, dass Sasuke gefallen war.

Doch als Ino und ich nach Fort Knox gefahren waren, hatte sein Vorgesetzter uns keine Auskunft darüber geben dürfen, wohin er gewollt hatte, nachdem das Flugzeug auf amerikanischen Boden gelandet war.
 

Ich hatte ihn nie vergessen. Bei allem was ich tat, dachte ich an ihn. Ich tat nicht alles für ihn und nicht alles wegen ihm, aber er war präsent. All jene Gerichte, die wir je zusammen gekocht hatten, hatte ich handschriftlich in einem Buch verewigt. Es stand im Holzregal unsere Küche zwischen Gewürzen und Kräutertöpfen. Jene Polaroids, die wir von unseren gemeinsamen drei Monaten gemacht hatten, hatte ich in einer Nacht meiner Schwangerschaft fein säuberlich in ein Album geklebt. In Reichweite unserer Tochter stand es im Bücherregal des Wohnzimmers. Mit Großmama und den Tanten telefonierte ich jeden Monat. ‚To Kill a Mockingbird’ und ‚Der Mann und das Meer’ las ich jedes Jahr. Ich hatte Bob Dylans Konzerte in New York, Pennsylvania und Montreal besucht und erst neulich sein neustes Album gekauft. Noch immer glaubte ich, er schrieb jeden Song nicht nur für sich, sondern auch immer ein bisschen für Sasuke.

Seine Hundemarke aus dem ersten Einsatz im Vietnam trug ich seit dem Tag unserer Trennung um meinen Hals. Er war der letzte Mann mit dem ich mein Bett geteilt hatte und der, von dem ich meiner Tochter jeden Abend erzählte. Sasuke war mein Held. Nicht weil er Soldat war – das war die Traurigkeit in seinen Augen – sondern, weil er mich rettete, in einem Moment in dem ich es am meisten gebraucht hatte. Durch ihn bin ich diejenige geworden, die ich heute bin. Auch vierzehntausend Kilometer entfernt, hat er mir die Möglichkeit gegeben, ein besserer Mensch zu werden. Ich habe nie aufgehört ihn zu lieben. In jenen Moment, als Weihnachten 1973 die Türglocke unseres Appartements läutete und Sasuke mit Schnee auf der Mütze in Hausflur stand, war ich mir dessen sicherer denn je. Ich zögerte keinen Moment ihn reinzubeten. Auf diesen Tag hatte ich Jahre gewartet.

Sein verwunderter Blick irritierte mich. Hatte er geglaubt, ich würde ihn nicht Willkommen heißen?

Ich schaute ihn einige Sekunden lang an – seine dunklen, traurigen Augen und sein gealtertes Gesicht, dann nahm ich ihm die Tasche von der Schulter und stellte sie beiseite. Ich öffnete die Knöpfe seines Mantels und streifte ihn von seinen Schultern. Den Stoff hängte an die Garderobe, ehe ich meine Finger auf die kühlen Wangen meines Liebsten legte. Ich verweilte einen Augenblick, ehe ich mit meinen Händen an den Seiten seines Kopfes nach oben unter seine Mütze fuhr. Erstaunt fühlte ich sein weiches, mehrere zentimeterlanges Haar und schob die dunkle Wollmütze beiseite. Ich warf sie auf die Kommode, bettete eine meiner Hände dorthin, wo Kiefer und Wangenknochen eine Kuhle bildeten, und fuhr mit der anderen durch sein schönes Haar hinunter bis zu seinem Nacken.
 

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte ich und küsste jene Lippen, die so oft stumm geblieben waren, aber die schönsten Geschichten erzählten.

Ich spürte seine Hände an meinem Rücken. Er drückte mich fest an sich, löste unseren Kuss und vergrub seinen Kopf an meinem Hals.

„Es tut mir so Leid“, wisperte er und wieder und immer wieder, bis mir die Tränen kamen. Ich hörte Narutos Stimme aus der Küche und wie er Suki zu erklären versuchte, dass der Weihnachtsmann auch durch das Fenster kommen könne, wenn man keinen Kamin besaß.

„Möchtest du deine Tochter kennenlernen?“, fragte ich, als ich sein Gesicht in meine Hände nahm und er an mir vorbei auf ein Foto an der Wand blickte, dass Suki im letzten Sommer auf Naruto Schultern im Central Park zeigte.

„Sie scheint einen Vater zu haben“, flüsterte Sasuke, während er seine Hände über meine legte. „Ich wollte nicht euer Weihnachtsfest stören. Ich erhielt vergangene Woche über meinen Captain einen Brief deines Vaters. Er erwähnte ihn nicht. Ich habe nicht vor, alles durcheinanderzubringen, ich würde dir bloß gerne meine Nummer hier lassen, wenn ich darf.“

Ich verstand erst nicht, was er meinte, doch dann schüttelte ich beinahe wild mit dem Kopf.

„Suki hat einen Vater. Du bist ihr Vater. Ich erzähle ihr jede Nacht von dir. Das ist nur Naruto.“

Ich sah das Leuchten in seinen Augen und wusste dass er seine Tochter schon geliebt hatte, bevor er unser Appartement betrat. Er ahnte zwar noch nicht, was es bedeutete, nur Naruto zu sein, aber das war nicht weiter schlimm. Er war nicht heimgekehrt zu meinen Eltern, sondern zu mir – weil vielleicht ich sein Zuhause war.

Und selbst wenn es nur die Ehre war, die ihn hergebracht hatte, war er nach New York gekommen, weil ein Brief meines Vaters ihn erreicht hatte. Ein Brief, in dem Vater von Suki erzählte und Sasuke war gekommen, um sie zu sehen.

Vater, der viele Jahre lang meine Miete und meine Studienkosten gezahlt, war böse auf uns beide gewesen. Väter verurteilten immer die Männer, die ihre Töchter schwängerten und gingen. Aber Vater wollte auch nicht verstehen, warum ich Sasuke keinen Brief schickte, um ihm von unserem Kind zu unterrichten. Ich wusste, dass er seine Tochter lieben würde, noch bevor sie geboren war und hatte es nicht gekonnt. Ich erinnerte mich an die Traurigkeit und hatte jenes Leuchten von eben mit eigenen Augen sehen wollen und mehr noch hatte ich ihm nicht den Schmerz zuteilen können, von seiner Familie getrennt zu sein.

„Fröhliche Weihnachten, Sasuke“, wünschte ich dem Mann meines Lebens, ehe ich ihn an der Hand nahm, um ihn zu unserer Tochter zu bringen. Und endlich – war er dort, wo er schon immer hingehört hatte.
 

by Jessa_



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2021-01-28T17:13:26+00:00 28.01.2021 18:13
Eine Wunderbare Geschichte. Sie enthält eine schöne Story und wundervolle Worte. Ich finde sie außerordentlich gut gelungen. Weiter so! Lg
Von: abgemeldet
2012-12-22T18:24:42+00:00 22.12.2012 19:24
Endlich komm ich mal dazu weiterzulesen XD

Der OS ist wirklich sehr schön. Ich mag Geschichten über Krieg und schreib darüber auch öfter mal etwas und ich glaube deswegen hat mich dein OS auch so in seinen Bann gezogen. Die Thematik ist einfach meine und ich finde es toll, wenn Menschen darüber schreiben. Egal aus welcher sicht. Was ich auch an dieser Geschichte mag, ist dieses von Außen betrachten. Ich weiß nicht genau wie ich eigentlich beschreiben soll, aber Sakura war für mich jemand, der zwar durch Sasuke nah am Geschehen war, doch immer noch von außen alles beleuchtet hat. Diese Weise, wie du durch die Ich-Form erzählt hast, hatte für mich etwas besonderes, weil man doch eher was von einem Menschen, der nicht in den krieg gezogen war erfahren hat und auch darüber, wie sie damit fertig wird. (Ich rede mist;_; tut mir leid, aber schreib das mal vernünftig hinxD)
Die Sache mit ihrer Tochter finde ich auch sehr schön und das Ende ist wirklich ein wundervolles Happy End, auch wenn - und ich glaub das hört sich jetzt wirklich hart an - ich eigentlich gedacht hatte, Sasuke wäre gefallen. Ich weiß nicht, aber das verbinde ich mit dem Krieg. Die Sicherheit, dass die Person, die im Krieg ist, nicht mehr zurückkommt. Wobei dein Ende natürlich schöner ist und nicht dass du jetzt denkst, ich finde Happy Ends bei Kriegsgeschichten dämlich, aber ich kenn einfach so viele Geschichten, bei denen es traurig endet.

Zum Schluss möchte ich mich noch dafür bedanken, dass du am Adventskalender teilgenommen und so eine wundervolle Geschichte veröffentlicht hast :)

Liebe Grüße,
abgemeldet
Von:  Quiana
2012-12-18T18:22:22+00:00 18.12.2012 19:22
Hallo :)

Ich bin etwas spät mit dem Adventskalender-Kommentar, aber was solls. Ich muss ehrlich sagen, dass das hier bis jetzt meine liebste Kalendergeschichte ist, auch wenn ich immer versuche bei einer größeren Auswahl neutral zu sein, um einfach gerecht zu bleiben. Mühe wird sich ja wohl jeder geben.
Am Anfang des OS musste ich sehr oft an 'Die Bücherdiebin' von Markus Zusak denken, wenn dir das etwas sagt :)
Deine Art zu schreiben gefällt mir auf jeden Fall sehr sehr gut, sie ist flüssig (wenn wir ein paar Rechtschreibfehler und ein, zwei verschachtelte Sätze weglassen) und angenehm zu lesen.
Und ich denke, dass ich noch nie von jemanden gelesen habe, der die Gefühle von Personen auf solch eine Art wie du vermittelst. Herrlich!
Ich frage mich immer, wie man auf solche Themen kommen kann. Interessiert man sich für diese Zeit, oder hat man neulich erst etwas darüber gelesen oder ähnliches?

Was mir vor allem gefallen hat war der Schluss. Du hast nicht noch mal ein Drama wegen des Kindes und Naruto eingebaut sondern es gleich aufklären lassen :)

Und ich merke außerdem, dass ich dir nichts schreiben kann, was du vielleicht gebrauchen könntest, außer dass du noch mal über dein feines Werk rüberschauen könntest...

Liebe Grüße
Quiana
Von:  Kleines-Engelschen
2012-12-18T09:50:32+00:00 18.12.2012 10:50
ein unglaublich toller os.
der ist dir echt wahnsinnig gut gelungen. vielen lieben dank dafür!


greetz
Von:  kikotoshiyama
2012-12-17T14:21:40+00:00 17.12.2012 15:21
Spitzen OS^^
lg kiko
Von: abgemeldet
2012-12-16T19:53:19+00:00 16.12.2012 20:53
Zunächst einmal ist das eine gut gelungene OS!
Ich könne einfach nicht mehr aufhören weiter zu lesen.
In der OS steckt viel Gefühl und ich glaube zu warst bei der Sache, als du diese Geschichte geschrieben hast.
Die Geschichte hat etwas besonderes an sich, was mich fast zu Tränen rührte.
Und noch mal ein großes Lob von mir, ich freu mich schon auf deine nächste OS wenn du mal eine schreibst ;)

Liebe Grüße,
Ella ;)


Zurück