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Der Fluch

von

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III

Benommen schlug Liviu die Augen auf. Wo war er? Was war passiert? Das letzte woran er sich erinnern konnte war, dass er nachts dieser Dunkelelfe begegnet war.

„Ah, er ist aufgewacht!“, hörte er jemanden sagen.

„Er ist wach? Liviu ist wach? Lasst mich zu ihm, ich muss zu ihm!“, forderte ein eine Frauenstimme. Eine Frauenstimme, die ganz offensichtlich zu Natalia gehörte. Trotz seiner Lage konnte sich Liviu ein Lächeln nicht verkneifen. Es war süß, wie sich Natalia Sorgen um ihn machte. Außerdem bedeutete ihre Anwesenheit, dass er zumindest noch nicht tot war. Immerhin.

Er bemerkte, wie sich zwei ihm wohlbekannte Gesichter über ihn beugten.

„Wie geht es dir?“, fragte Gwendolyn, die Heilerin.

„Ganz gut…“, murmelte Liviu. „Ich bin allerdings ein bisschen verwirrt… Was ist passiert?“

Er richtete sich langsam auf und Schmerz durchzuckte seine Brust. Er keuchte und schlug seine Hand instinktiv an seinen Brustkorb.

„Man hat dich nachts fast verblutet im Wald gefunden“, erklärte Natalia und sah ihn mit ernstem Gesichtsausdruck an. Sie sah müde aus. Ihre Augen waren aufgequollen, wie als hätte sie geweint. Doch nicht etwa wegen ihm…

„Hast du etwa gewei-“

„Natürlich nicht!“, knurrte Natalia. „Was glaubst du denn…“

Gwendolyn räusperte sich. „Wie Lady Braginsky es bereits sagte, man hat dich nachts blutend im Wald gefunden. Um genau zu sein, hat Allistor dich gefunden. Du hattest eine sehr tiefe Wunde über dem Herzen. Du hast zwei Tage hier gelegen. Ich habe zwar immer versucht, dir heilende Energie einzuflößen, aber trotzdem wusste ich nicht, nein, wussten wir nicht, ob du es schaffst…“

„Oh…“, machte Liviu. Daher kamen also die Schmerzen in seiner Brust.

„Oh? Ist das das einzige, was dir dazu einfällt? Ganz zu schweigen davon, dass du mir nicht einmal davon erzählt hast, dass du an dieser Mission teilnimmst?!“, echauffierte sich Natalia.

„Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst…“, meinte Liviu entschuldigend.

„So habe ich mir aber erst recht Sorgen gemacht, du Idiot!“

„Ja, ja…“ Liviu lächelte müde und zwinkerte Natalia zu. „Wollen wir das nicht woanders besprechen?“

Natalia nickte. „Ich hole nur schnell deine Sachen. Sie hat mir bereits gezeigt, wo sie sind.“ Sie machte eine kurze Kopfbewegung in Richtung Gwendolyn und marschierte dann aus dem Zelt.

Liviu sah sich um. Zweifelsohne war dies das Krankenlager. Das Zelt war voll gestellt mit Pritschen, Privatgegenstände waren aber nirgends zu sehen. Niemand anderes war hier, außer ihm und Gwendolyn.

„Wo sind die anderen?“

„Die anderen? Liviu, es ist bereits nach Mitternacht. Sie sind alle im Wald unterwegs.“

„Ach… ach so.“

„Wie dem auch sei. Die Wunde in deiner Brust war sehr tief. Auch jetzt, nach der Heilung, ist eine Narbe zurückgeblieben. Auch wenn du nun gehst und dich schonst, kann es passieren, dass sie noch schmerzt. Wenn das passiert, suche einfach einen der Heiler auf.“

Liviu nickte und betrachtete die Narbe auf seiner Brust. Sie war noch rot und erinnerte von ihrer Form her an ein Siegel. Ein Siegel, welches Liviu nicht kannte. Wer weiß, was das zu bedeuten hatte. Als er jedoch seine Narbe betrachtete, kamen ihm gleich wieder die Worte in den Sinn, die er von der Dunkelelfe aus hatte überbringen sollen.

„Weißt du, was die Elfe gesagt hat, bevor sie… das mit mir gemacht hat? Sie sagte, dass ich euch warnen sollte. Dass, wenn ihr die Dunkelelfen weiter belästigt, euch dasselbe passieren wird wie mir.“

„Was?“, fragte Gwendolyn ungläubig. Anscheinend konnte sie sich selbst auch keinen wirklichen Reim darauf machen.

„Bitte, informier die anderen darüber, Jäger sowie Magier.“

„Natürlich…! Aber was hat-“ Weiter nachfragen konnte Gwendolyn nicht mehr, da Natalia gerade eben mit einem Bündel Sachen auf dem Arm zu ihnen herein gerauscht kam. Hektisch warf sie Liviu die Sachen auf sein Bett.

„Können wir nun gehen?“
 


 

Bei Natalia angekommen, begaben sich die Beiden sofort in das geräumige Wohnzimmer. Liviu besetzte einen der großen Sessel, Natalia nahm mit ihrem Sofa vorlieb. Lange Zeit schwiegen sie. Liviu wartete eigentlich darauf, dass Natalia etwas sagte, er selbst war zu müde, zu verwirrt, um nun noch einen klaren Gedanken zu fassen. Seitdem er diese Siegel-Narbe gesehen hatte, drehten sich seine Gedanken sowieso nur noch um diese.

„Ich habe Ivan kontaktiert“, sagte Natalia und brach so das Schweigen. Sie sah Liviu aus ihren müden, blauen Augen an.

„Du hast was?!“, platzte es aus Liviu heraus. „Warum hast du… Warum?“

„Weil ich bis vor zwei Stunden noch dachte, dass du stirbst“, erwiderte sie mit einem bitteren Unterton in ihrer Stimme.

„Ja, aber das… Aber.. Das hättest du nicht tun sollen! Wenn du ihn jetzt von der Front wegholst… Was sollen sie denn da denken? Willst du, das unsere Beziehung auffliegt?“ Livius Puls raste. So aufgeregt war er nicht mal im Wald gewesen, als er gegen diese Elfen gekämpft hatte. „Man darf nur in äußersten Ausnahmen die Front verlassen oder, wenn man ein paar Tage Urlaub gestattet bekommt. Was soll Ivan sagen? Also, ich liebe eigentlich Männer und meine Schwester und mein Freund liegt am sterben, deshalb lasst mich gehen? Oh Gott, was ist, wenn das auffliegt…“ Ein unangenehmes Gefühl der Angst machte sich in Livius Brustkorb breit.

„Seit wann interessiert es dich eigentlich, ob wir auffliegen? Ich dachte, du nimmst das immer so locker?“, erwiderte Natalia eiskalt.

„Nein, natürlich nicht, ich nehme das genauso ernst wie du und er, verdammt!“, meinte Liviu. Das unangenehme Gefühl verstärkte sich. Nichtsdestotrotz hatte sie recht. Warum regte er sich eigentlich so auf? Er hatte noch nie wirklich Angst um sie gehabt, warum jetzt?

„Ich habe ihnen natürlich nicht erzählt, was mit dir ist, ich habe etwas anderes erfunden.“ Natalia seufzte. „Beruhigt dich das?“

Langsam ging Livius Puls wieder auf sein Normalmaß zurück und seine Angst ließ ein wenig nach.

„Tut mir leid…“, murmelte er. „Tut mir leid, dass ich so überreagiert habe… Ich bin vielleicht etwas müde.“

„Ist schon gut.“ Natalia lächelte leicht und erhob sich. Sie ging hinüber zu Liviu und nahm sein Gesicht in ihre Hände. „Es ist alles in Ordnung. Solange du noch lebst ist alles in Ordnung. In den letzten Tagen ist viel passiert, du bist nur etwas müde.“

„Danke“, sagte Liviu und setzte ein müdes Lächeln auf. Es gab keinen Grund, sich so aufzuregen. Er war wohl wirklich nur ein bisschen geschafft. Natalia beugte sich zu ihm herunter und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ich bereite das Bett vor. Du weißt ja, wo das Bad ist, nicht?“

Liviu nickte und Natalia nahm seine Hände. „Dann komm.“

Sie zog ihn aus dem Sessel hoch und hinaus aus dem Zimmer. Sie küsste ihn abermals, diesmal auf die Lippen, bevor sie den dunklen Flur hinunter in ihr Schlafzimmer verschwand. Wahrscheinlich würde sie auch gleich das Bad daneben belegen. Liviu ging indes in eines der weiteren Bäder der Villa.
 

Kaum hatte er das Bad gefunden, trat er ein und schloss die Tür hinter sich ab. Langsam ließ er sich auf den Rand der Badewanne sinken. Die Gedanken fuhren in seinem Kopf geradezu Karussell, immer, wenn er eine Weile über das eine nachdachte, so kam ihm plötzlich ein ganz anderer Gedanke, den er weiterverfolgen musste. Nur, dass ihm in diesem Falle nur zwei Fragen durch den Kopf gingen; die Frage, was die Elfe mit ihren Worten gemeint haben könnte und die Frage, was ihn geritten hatte, als er Natalia so angefahren hatte. Letzteres war ohnehin äußerst eigenartig.

Beide waren höchst ungewöhnliche Fragen, ein weiterer Zusammenhang ließ sich allerdings nicht erkennen. Liviu stützte den Kopf in die Hände und seufzte resignierend. Es hatte keinen Sinn mehr, zu so einer späten Stunde noch über solche Fragen nachzudenken. Er merkte ja bereits selbst, dass er nicht mehr die Konzentration aufbringen konnte, wenigstens einen Gedanken zu Ende zu führen. In dieser Hinsicht war es aussichtslos.

Liviu verharrte noch ein wenig in dieser Position und versuchte wenigstens einen klaren Gedanken zu fassen, bis er für sich entschied, dass es keinen Sinn hatte. Er gab sich einen Ruck und erhob sich von der Badewanne. Vorsichtig zog er sich sein Hemd über den Kopf, er wollte nicht, dass seine erst verheilte Wunde wieder begann zu schmerzen. Nachlässig schmiss er sein Oberteil auf den Boden und besah sich seine Narbe.
 

„Oh Gott. Was zur Hölle…“

Die Narbe sah anders aus. Sehr anders. Wo vor ein paar Stunden nur ein paar rote Striche zu erkennen gewesen waren, zierten nun pechschwarze Striemen Livius Haut. Zuerst konnte er seinen Augen nicht trauen, fuhr selbst noch einmal mit dem Finger über die geschwärzte Narbe. Das war keine Einbildung. Die Schwärze war echt. Allerdings glich sie keiner Entzündung oder Infektion, die Liviu je schon einmal gesehen hatte. Wobei es bei von Magiern geheilten Wunden ohnehin fast nie zu Folgebeschwerden kam. Also was war das?

Liviu beschloss, gleich am nächsten Tag einen Heiler aufzusuchen. Wer weiß, wer da an ihm herumgepfuscht hatte. Mit klopfendem Herzen wusch sich Liviu schnell und warf sich sein Hemd wieder über, um dieses Gebilde von einer Narbe nicht mehr sehen zu müssen. Nun konnte er nur hoffen, dass Natalia dieses Ding nicht sah.
 


 

Am nächsten Morgen machte sich Liviu in aller Frühe auf zur Magiergilde, um einen Heiler aufzusuchen. Er wollte gerade zu Tür hinaustreten, da spürte er, wie jemand eine Hand auf seine Schulter legte.

„Wo gehst du hin?“, fragte Natalia noch etwas verschlafen.

„Ich schaue nur mal kurz in der Magiergilde vorbei. Arthur besuchen“, erwiderte Liviu. Er wollte Natalia nicht erzählen, dass er zu einem Heiler ging. Er konnte nicht. Sie würde sich nur wieder Sorgen machen. Sorgen um etwas, was eigentlich gar nicht so schlimm war. Jedenfalls hoffte Liviu, dass es nicht schlimm war.

„Ach so… Viel Spaß“, meinte Natalia zur Antwort und lächelte dünn.

„Äh, ja, wird’ ich haben…“, murmelte Liviu und gab Natalia einen flüchtigen Abschiedskuss. „Bis dann…“

Und mit diesen Worten wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zu den vertrauten Gebäuden der Gilde.
 

Im Gilden-Komplex angekommen, machte sich Liviu schnurstracks auf den Weg, zu den Heiler-Quartieren. Schnellen Schrittes rauschte er durch die Tür des Gebäudes und fand sich sofort in einem, ihm durchaus vertrauten, Vorraum des Krankenlagers wieder. Einige weitere Heiler sowie andere Magier standen noch im Raum und unterhielten sich. Etwas hilflos hielt Liviu nach einem Heiler Ausschau, den er fragen könnte, jedoch konnte er auf die Schnelle keinen ausfindig machen. Verdammte Wartezeiten.

Er wollte sich gerade auf einen der bereit stehenden Stühle setzen, da sah er, wie ein neuer Heiler den Raum betrat und zielsicher auf ihn zukam. Ein leichtes Grinsen erschien auf Livius Gesicht. Vielleicht würde das hier ja doch nicht so lange dauern.

„Sie wünschen?“, fragte der Heiler routiniert.

„Ich komme von den Einsätzen im Schwarzen Wald. Ich wurde verwundet und mir wurde gesagt, bei Beschwerden solle ich mich an sie wenden. Deshalb bin ich hier.“

„In Ordnung.“ Der Heiler nickte wissend. „Bitte folgen sie mir.“

Der Heiler geleitete Liviu in einen Nebenraum, das Behandlungszimmer. Der Heiler bedeutete Liviu sich zu setzen, während er selbst auf einem gegenüberliegenden Stuhl Platz nahm.

„Um was für eine Art der Verwundung handelt es sich?“, kam die professionelle Frage.

Liviu räusperte sich kurz, bevor er antwortete: „Wahrscheinlich eine Stichwunde. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob es eine so einfache Wunde ist, denn die Narbe hat sich… wie soll ich sagen… verfärbt. Ich denke, es könnte sich da vermutlich um einen Fluch handeln… Ich bin mir aber nicht sicher.“

„Ein Fluch?“, echote der Magier.

Liviu nickte und hob seine Robe ein Stück, sodass der Heiler einen Blick auf die geschwärzte Narbe erhaschen konnte. Er runzelte die Stirn.

„Ich sehe, was sie meinen… Lassen sie mich das überprüfen…“

Liviu nickte und beobachtete, wie der Magier mit seiner Hand ein paar Mal über die Narbe fuhr. Er merkte, wie ihm warm wurde, wie Energie begann, wieder durch seinen Körper zu fließen. Zudem glaubte Liviu, ein leichtes Ziehen in seiner Brust zu spüren.

Nach einigen Minuten der Untersuchung aber, lehnte sich der Heiler zurück und sah Liviu ernst an.

„Um ehrlich zu sein, habe ich soetwas noch nie gesehen… Doch es scheint nicht bösartig oder gefährlich zu sein. Soetwas hätte ich gespürt.“

„Ist es ein Fluch?“

„Nein, es ist keine dunkle Magie vorhanden“, sagte der Heiler und schüttelte den Kopf. „Das kann unmöglich ein Fluch sein.“
 


 

„Liviu! Liviu, wach auf! Liviu!“

Liviu riss die Augen auf. Am Rande seines Bettes saß eine besorgt aussehende Natalia und rüttelte an seinen Schultern. Livius Atem ging flach, seine Hände umklammerten das Bettlaken. Ein dumpfer Schmerz machte sich in seinem Brustkorb breit. Er hatte einen Albtraum gehabt. Schon wieder.

„Oh, bloß gut, du bist wach… Hattest du schon wieder einen Albtraum?“

„Ja… Aber es geht schon wieder…“, murrte Liviu noch im Halbschlaf während er sich aufrichtete. Wieder spürte er ein Stechen in seiner Brust und stöhnte.

„Sicher?“, fragte Natalia noch einmal nach.

„Ja, ja…“, meinte Liviu nur und zwang sich zu einem Lächeln.

„Na gut“, sagte sie skeptisch und erhob sich von ihrem Platz am Bettrand. Dann verließ sie ungewohnt still das Zimmer. Liviu war wieder allein.

„Verdammter Mist…“, murmelte er und fuhr sich mit einer Hand durch seine verwuschelten Haare. Seit fünf Tagen war er nun bereits hier und jede Nacht hatte er Albträume. Albträume, in denen seine Erlebnisse aus dem Wald Revue passierten oder Vorstellungen, in denen er, Natalia und Ivan für ihre Beziehung exekutiert oder verbannt wurden. Schloss er seine Augen auch nur für einen kurzen Moment hatte er gleich wieder diese Schreckensbilder vor sich. Es war nicht zum Aushalten.

Auch seine Narbe machte ihm von Tag zu Tag mehr Probleme. Obwohl kein Heiler irgendetwas an dem schwarzen Mal hatte feststellen können, glaubte Liviu, dass es begann immer mehr zu schmerzen, je mehr Albträume er hatte. Und immer und immer wieder hatte er diese Angstzustände, wie an dem Abend, an dem er Natalia grundlos beschimpft hatte. Sie kamen plötzlich, teilweise ohne ersichtlichen Grund. Manchmal ertappte er sich dabei, Angst zu haben, die Augen zu schließen, aufgrund der Bilder, die er dann sehen würde. Und es war nicht einfach nur ein kleiner Schreck. Jedesmal begann sein Herz wie wild zu klopfen und seine Hände wurden kalt. Plötzlich, ohne Grund.

Zweifelsohne hing dies mit den Erlebnissen im Wald zusammen. Allerdings hatte Liviu als Kämpfer bereits weit schrecklichere Dinge gesehen. Ab und an zog er die Narbe als Ursache in Betracht, doch seiner Meinung nach konnte es keinen Zusammenhang geben. Ein Fluch hätte erkannt werden müssen, das war eine gewöhnliche Narbe.

Nichtsdestotrotz beschloss er noch einmal nach dem Ding auf seiner Brust zu sehen, da Natalia den Raum verlassen hatte. Er fragte sich, wie lange er das wohl noch vor ihr geheim halten konnte.

Liviu zog sein Oberteil hoch und starrte auf das Mal. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Dieses Ding schien irgendwie größer geworden zu sein. Es war größer geworden. Die Schwärze war nun auch auf die anfangs gesunde Haut übergegangen und hatte sich dort festgesetzt. Liviu spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er auf das Gebilde auf seiner Brust blickte. Er versuchte sich von dem Anblick loszueisen und zog sein Oberteil rasch wieder über. Er atmete tief ein und wieder aus. Vielleicht war es nur Einbildung gewesen. Vielleicht hatte die Narbe von vorn herein schon so ausgesehen. Vielleicht hatten ihm seine Augen auch nur einen Streich gespielt. Liviu zwang sich, ruhig zu atmen und aufzustehen. Das war nur ein Hirngespinst gewesen. Jedenfalls hoffte er das.
 

Wie in Trance ging Liviu ins Bad, um sich zu waschen und sich seine Magierkluft überzuwerfen. Der Gedanke, dass das, was er gesehen hatte eben kein Hirngespinst gewesen war, ließ ihn dabei nicht los. Als er angekleidet das Bad wieder verließ kam ihm sogleich Natalia entgegen. Sie trug ein langes graues Kleid, welches ebenfalls mit Mustern verziert war, mit einem weißen Latz. Liviu versuchte zu lächeln.

„Ivan kommt heute“, teilte sie Liviu ganz unvermittelt mit. „Um genau zu sein, dann gleich.“

Oh, äh, ach so…“

„Es gab eine Verzögerung, deshalb kommt er erst heute. Wir sollten zusammen zum Stadttor gehen, da ist er wahrscheinlich dann schon“, schlug sie vor.

Liviu zuckte die Schultern. Ein bisschen Ablenkung konnte ihm ja nicht schaden. Wenn man ihn allerdings zusammen mit Ivan und Natalia sah…

„Nun komm schon mit!“, befahl Natalia und zerrte Liviu regelrecht den Flur entlang. „Du kannst ja nicht wieder den ganzen Tag hier versauern…“

„Hm…“, machte Liviu nur. Er sollte endlich aufhören sich über solche Dinge Gedanken machen. Seit wann machte er sich überhaupt solche Sorgen? Das war doch unklar. Letztendlich gab sich Liviu einen Ruck und folgte Natalia hinaus aus ihrer Residenz in die Stadt.
 

Den größten Teil ihres Weges verbrachten Liviu und Natalia schweigend. Liviu war zu aufgeregt, um nun irgendein sinnvolles Gespräch anzufangen und Natalia schien schlichtweg einfach nicht zu wissen, über was sie mit ihrem verwirrten Freund reden sollte. Man konnte es ihr ja auch nicht verübeln. Liviu war in den letzten Tagen sehr still und nachdenklich geworden, er wirkte immer als stünde er unter Stress. Er war nicht mehr der sorglose, frohe Mann, den sie alle kannten, er hatte sich verändert. Und Natalia wusste nicht wirklich damit umzugehen. Liviu wusste ja nicht einmal mehr selbst, wie er damit umzugehen hatte.

Liviu seufzte, etwas, was er nun häufiger zu tun pflegte. Gleich würden sie das Stadttor erreicht haben. Er merkte, wie Natalia ihre Schritte beschleunigte und ihn unauffällig am Handgelenk berührte.

„Was ist?“

„Siehst du Ivan? Ich glaube da hinten steht er…“ Sie hob ihre Hand und begann zu winken. „Ivan!“

Liviu späte in die Richtung, in die Natalia gezeigt hatte. In der Tat konnte Liviu eine große Gestalt in der ferne erspähen, die sich ein paar Schritte später tatsächlich als Ivan herausstellte. Ivan selbst bemerkte sie nicht und unterhielt weiter mit einer der Stadtwachen. Als Natalia seinen Namen rief wandte er sich um und Liviu meinte, selbst aus dieser Entfernung ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen zu können. Er verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner und kam nun ebenfalls auf sie zu. Liviu merkte, wie sein Mund trocken wurde. Seine Hände waren kalt und zitterten. Das Ziehen in seiner Brust verstärkte sich. Das, was er empfand war keine Wiedersehensfreude. Das einzige, was er empfand war Angst, die Angst entdeckt zu werden. Ivan war nun schon fast bei ihnen. Kaum war er angekommen begrüßte er Natalia mit einem Handkuss.

„Guten Tag, Mylady.“ Natalia sah ihn sichtlich erfreut an und Ivan lächelte zurück. Dann wandte sich Ivan zu Liviu und umarmte ihn.

„Liviu…“, murmelte er. „Mir wurde zwar schon erzählt, dass du noch lebst… Aber hattest du mir nicht versprochen, dass du auf dich aufpassen würdest?“

„Ah, ja, was?“ Liviu schlug das Herz fast bis zum Halse. Was wenn sie jemand sah? „Ja, ich weiß was ich gesagt habe, aber manchmal lässt sich das eben nicht vermeiden…“ Er schob Ivan unsanft von sich weg, was ihm einen verwirrten Blick von Ivan und einen verärgerten von Natalia einfing. Er beschloss beide einfach zu ignorieren. „Nun, da wir wieder alle vereint sind… Wollen wir nicht einfach wieder gehen?“, fragte Liviu hoffnungsvoll.

Verwirrt sah Ivan zu Natalia, offenkundig überrascht vom Verhalten seines Partners. Natalia bemerkte Ivans verwirrten Blick an, nicht, sie war viel zu beschäftigt damit, Liviu mit strafendem Blick zu taxieren. Doch Liviu hielt ihrem Blick stand und sie gab mit einem genervten Seufzen nach.

„Komm Ivan, lass und gehen…“
 


 

Rastlos lief Liviu vor dem Feuer in Natalias Wohnzimmer auf und ab. Nun wohl schon bereits seit einer guten halben Stunde. Er war allein, genau wie er es wollte und dachte nach. Doch wieder ließen ihm seine anderen Überlegungen keine Ruhe und erlaubten es ihm nicht zu einem Schluss zu kommen. Seit dem heutigen Morgen, seitdem er Ivan wieder gesehen und sich wie der größte Idiot von allen verhalten hatte, waren seine Gedanken ohnehin nur noch von der Frage, was mit ihm los sei dominiert. Vielleicht wurde er langsam aber sicher verrückt. Aber vielleicht sollte er doch die Narbe in Erwägung ziehen. Die schwarze Narbe, die sich weiter durch seine Haut fraß. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Das Ding sah wirklich nicht gerade gesund aus. Aber keiner der Heiler hatte etwas dazu gesagt. Kein Fluch, nichts. Vielleicht war dieses vermeintliche Vergrößern der Narbe doch nur eine Einbildung gewesen, aufgrund von Schlafmangel und Angst? Wer wusste das schon? Es schien ihm ja niemand etwas zu der Narbe sagen zu können.

Plötzlich ertönte ein Klopfen an der Tür, welches Liviu aus seinen Gedanken riss. Er blieb stehen, antwortete aber nicht. Vielleicht war es nur eines von Natalias Hausmädchen. Die konnte dann auch noch einmal später wiederkommen.

Die Tür flog auf. Vor besagter Tür stand allerdings kein Hausmädchen, sondern die Herrin des Hauses höchst persönlich, die nun mit zornigem Blick in das Zimmer stapfte. Die Tür knallte sie hinter sich zu und fixierte Liviu mit giftigem Blick. Natalia baute sich regelrecht vor ihm auf und stemmte ihre Hände in die Hüften.

„Liviu“, begann sie, nicht aufhörend in mit stechendem Blick zu taxieren. „Jetzt ist Schluss mit den Spielchen. Du sagst mir jetzt sofort, was mit dir los ist. Ivan fragt mich die ganze Zeit, ich kann ihm keine Antwort geben. Ganz nebenbei bemerkt halte ich deine Laune auch nicht mehr lange aus. Ich mache mir Sorgen. Ivan macht sich Sorgen. Sag mir jetzt sofort, was los ist.“

„Es ist nichts…“, murrte Liviu und fuhr fort, vor dem Feuer auf und ab zu gehen. „Alles in Ordnung.“

Natalia packte seinen Mantel. „Nichts ist in Ordnung! Hörst du dir eigentlich manchmal selber zu? Sag mir, was los ist!“

„Nein! Wenn etwas wäre, würde ich es doch sagen!“

„Würdest du nicht! Du sagst schon seit Tagen gar nichts mehr! Und ich bin es leid!“, keifte Natalia. „Du benimmst dich so, seit… seit diesem Unfall im Wald! Hätte ich das gewusst, hätte ich…“ Natalia brach ab, ihr fehlten offensichtlich selbst die Worte. Liviu ging nicht auf ihren Ausbruch ein und schwieg ebenfalls.

„Sag mal. Wie geht es eigentlich deiner Narbe?“, fragte Natalia nach einer kurzen Pause mit mühsam beherrschter Stimme.

„Geht dich nichts an…“, rutschte es Liviu wie einem bockigen Kleinkind heraus. Das brachte das Fass zum überlaufen.

„Es geht mich nicht an? Es geht mich nichts an?! Du wärst fast gestorben, natürlich geht es mich etwas an! Seit dem du im Wald verwundet wurdest, verhältst du sich so seltsamen! Also nun zeig schon her!“ Natalia riss Livius Mantel regelrecht beiseite und machte sich daran, an seinem Hemd herumzunesteln.

„Hör auf…“, knurrte Liviu und schlug Natalias Hand beiseite.

„Nein!“, schrie Natalia nun schon fast und versuchte weiter einen Blick auf die vermeintlich verheilte Wunde zu erhaschen.

„Aufhören“, zischte Liviu gefährlich leise und nahm Natalias Handgelenke in seine Hände.

„Hör auf, Liviu, das tut weh…“

„Dann hör du auf mich zu belästigen“, knurrte Liviu und übte noch mehr Druck auf Natalias schlanke Handgelenke aus. Er wusste im Moment selbst nicht mehr, was er tat, er tat und sagte nur, was ihm als erstes einfiel, er war wie in Trance.

„Belästigen? Was fällt dir ein, ich mache mir nur Sorgen!“, flüsterte Natalia schmerzerfüllt.

„Dann hör auf damit.“ Liviu begann langsam eines von Natalias Handgelenken zu verdrehen. Ein unterdrückter Schmerzenslaut entfuhr Natalia. „Was… was machst du da?“

Liviu antwortete nicht, sondern fuhr fort, Natalias Hände in eine unnatürliche Stellung zu biegen. Natalia schrie auf. Lange würde sie das nicht mehr aushalten.

„Hörst du dann endlich auf, nachzufragen?“

„Ja…“, brachte Natalia beherrscht heraus. Selbst in dieser Situation wollte sie sich keine Blöße geben. Einfach aufgeben. Flehen. Das würde sie nicht tun.

„Gut“, antwortete Liviu, ließ die junge Frau aber weiterhin fest umklammert. Er wollte zu einem weiteren Befehl ansetzten, da flog die Tür erneut auf. Erschrocken wandte Liviu den Kopf. Ivan. An den hatte er ja gar nicht mehr gedacht.

„Natalia, ist alles- Liviu, was machst du da?“ Mit drei langen Sätzen hatte Ivan das Zimmer durchquert und stieß Liviu von seiner Schwester weg. Liviu fauchte, ein geradezu animalischer Laut und wollte protestieren Doch Ivan war stärker. Liviu wurde zu Boden gestoßen. Rasch sprang Liviu wieder auf die Füße. Ivan packte ihn daraufhin an den Schultern und schüttelte ihn.

„Was in Gottes Namen machst du da, Liviu? Liviu!“

Ein heftiger Schmerz durchzuckte Livius Brust und holte in aus seiner Trance. Es war, wie als würde er aus tiefem Wasser wieder auftauchen. Er nahm seine Umgebung viel klarer war und… Was war los? Was tat er hier? Oder viel wichtiger; was hatte er eben getan?

„Ich… ich… ich weiß es nicht…“, stotterte Liviu zusammen. Er wusste selbst nicht, was mit ihm los war, geschweige denn, warum er das getan hatte. „Es… es tut mir leid, ich wollte nicht-“

„Geh“, unterbrach ihn der eiskalte Befehl Natalias. Langsam ließ Ivan ihn los.

„Was?“, fragte Liviu verwirrt.

„Du sollst gehen!“, fuhr Natalia ihn an. „Gehen sollst du, verstehst du? Abhauen! Verlasse auf der Stelle dieses Haus!“

„Aber, ich kann das erklären, hör zu Natascha-“

„Nenn mich nicht so! Geh einfach!“

Nun gehorchte Liviu und verschwand aus dem Zimmer. Dann rannte er geradezu die Treppen hinunter und verließ die Villa auf dem schnellsten Wege, stürmte hinaus in die kühle Nacht.
 

Draußen angekommen verarbeitete er das Geschehene erst so richtig, alles spielte sich wie ein Film noch mal vor seinem inneren Auge ab. Er erinnerte sich, was er Natalia angetan hatte. An den Beweggrund. Und, dass es nun wohl keinen Zweifel mehr daran gab, dass etwas mit ihm absolut nicht stimmte.



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