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Rot-Weiß-Rot im Alphabet

von

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K-Künstlername

Wien - 1986 - Kegelgasse 36-38
 

"Dada..", brabbelte der kleine Wicht und grapschte mit seinen kleinen Stummelfingern nach dem Nichts.

Roderich rückte sich das Kind, welches er in seinen Armen trug, ein wenig zurecht und sah zweifelnd zu dem Objekt seiner Aufmerksamkeit. Er wusste nicht genau, was er von diesem architektonischen Versuchsprojekt so halten sollte.

Gut, der Mann hatte sich in der Vergangenheit schon öfter als alternativer Künstler erwiesen, doch hatte er nie gedacht, dass sein Wien soweit gehen würde, ihm ein solches Unternehmen zu ermöglichen.

Aber so war nun Mal seine Stadt.

Wenn es um Kunst ging, war und blieb sie sehr experimentierfreudig.

Ein Ergebnis dieser Liebe zur künstlerischen Verrücktheit saß schließlich nun auf seinem Schoß und zeigte sich völlig begeistert von der neusten Spinnerei, welche seine Stadt genehmigt hatte.

Er selber bezog gegenüber diesem Projekt eine eher neutrale Haltung, abwartend was die Zukunft brachte, während andere sich in den Tageszeitungen darüber die Mäuler zerrissen.

Roderich wäre sogar enttäuscht gewesen, wenn dem nicht so wäre.

Die Wiener mussten erst über die neusten künstlerischen Auswüchse in ihrer Stadt einmal gehörig sudern und es misstrauisch beäugeln. Dann später, beziehungsweise irgendwann in ferner Zukunft, zollten sie schlussendlich dem Werk und seinem Künstler den gehörigen Respekt.

Manchmal taten sie es jedoch nie und schmähten die ganze Angelegenheit bis in die Ewigkeit.

Literaten, Pinselschwinger, Philosophen, Musizierer, Texteschmierer...

Seine Hauptstadt hatte schon so viele von diesem Pack kommen und gehen sehen.

Viele haben sich im Laufe der Jahrhunderte große Namen gemacht, deren Wirken bis in die heutige Zeit reichte, doch noch mehr waren im Sumpf des Vergessens untergegangen.

Ohne die Kunst, welche sie gefördert wie auch verschmäht hatten, wäre Wien halt nicht Wien, und Roderich wäre nicht das, was er heute ist.

Es war eine innige Hass-Liebe, welche von vielen Künstlern geteilt wird oder geteilt worden war.

Als Österreich hatte er selber beobachten können, wie gotische Meister ihre Spuren zurückließen, hatte den Fall von Mozart miterlebt und den stürmischen Aufstieg des Bonner Wirbelwindes, dessen neunte Symphonie heute die Hymne von Europa war, hatte in den selben Kaffeehäusern verkehrt, wo so mancher Querdenker seine Gedanken literarisch zusammengefasst hatte, und die Meister gehört, welche dem politischen System mit Ironie und Sarkasmus zu Leibe gerückt waren, hatte einst teilgenommen an den Aufführungen und Verhaftungen des Stückschreibers Nestroy, und war einst Zeuge gewesen wie eine Gruppe von Künstlern den Wiener Jugendstil ins Leben rief...

So oft hatten er und seine Stadt den Finger auf den Puls der verschiedensten Künste gelegt und bis heute war ihnen dieser Zauber erhalten geblieben.

Begeistert ließ der Kleine seine pummligen Händchen aneinander klatschen.

"Dada...", versuchte er es nochmal und zog an dem Halstuch des Erwachsenen. Roderich runzelte die Stirn, als er durch diese unschuldig wirkende Geste aus seinen Gedanken gerissen worden war.

Der Österreicher hatte trotz seines hohen Alters nicht viele Erfahrungen mit Kleinkindern oder Säuglingen und bereute es nun, da er seit Kurzem diesen seltsamen Knirps am Hals hatte. Dieser besaß nicht einmal einen ordentlichen menschlichen Namen, noch war er stubenrein.

"Rodrod...dada."

Wieder versuchte diese Viertelportion ihn auf das Gebäude vor ihnen aufmerksam zu machen.

Zugegeben, er selber konnte die Verwandtschaft zwischen ihnen schlecht verleugnen, aber dennoch grenzte die Existenz dieser Wanze an der Lächerlichkeit.

Gut, Monaco war auch nicht mehr als ein Fürstentum auf 2 Kilometer französische Küste. Dennoch konnte man ihre Vergangenheit niemals mit der dieses Wurmes vergleichen.

Oder Bonifatius, der musste sich zwar nun auf kleinsten Raum im Zentrum Roms beschränken, stellt aber bis heute ein Zentrum der Macht dar.

Doch einfach eine Kugel aufzustellen und diese als Republik zu deklarieren, mochte unter gewissen Kreisen vielleicht als eine Protestreaktion durchgehen, war aber noch lange kein Grund, dass ein Repräsentant für diese Idee das Licht der Welt erblickte.

Das Kerlchen streckte sich und bemühte sich, die vorwitzige Haarsträhne zu angeln, welche Roderichs braunen Haarschopf dominierte. Österreich seufzte und hielt sich das Kind in Augenhöhe.

"Das ist Nein.", sagte er mit sanfter, aber bestimmter Stimme.

Der Kleine legte sein Köpfchen schief und sah ihn zuckersüß aus seinen violetten Augen an. Abermals seufzte er, doch diesmal schlich sich hinterrücks ein Lächeln auf seine Lippen.

"Wenn du mir weiterhin diesen Blick zuwirfst, sterbe ich einmal an einem Zuckerschock."

Daraufhin brabbelte der Kleine was Unverständliches vor sich hin, verdrehte sein Köpfchen nach hinten, soweit es nun mal ging, und richtete seine volle Aufmerksamkeit wieder auf das Haus vor ihnen.

"Trotzdem brauchst du langsam einen menschlichen Namen...", führte der Braunhaarige sein einseitiges Gespräch weiter und folgte abermals dem Blick des Kindes.

"Edwin?"

Fragend sah er das Kind an und wiederholte den Namen nochmals. Das junge Wesen vor ihm schenkte ihm zwar seine Anteilnahme wieder, betrachtete ihn dennoch kommentarlos.

"Also nicht der Name des Verantwortlichen deiner Existenz... auch gut. Hat mir als Vorname selber auch nie wirklich zugesagt."

Schweigend betrachtete die Republik Österreich das Haus vor ihnen und als er mit dem Blick die bunte Fassade, welche ihm so vertraute Elemente des Historismus beinhaltete, abfuhr, formte sich schon eine weitere Idee in seinen Geist.

"Du bist ja ein kleiner Rabauke was Kunst angeht..."

Auf dem runden Gesicht des Silberschopfs legte sich ein fragender Ausdruck.

"Wie wäre es dann mit Friedrich, so heißt nämlich der Mann, welcher dieses Haus entworfen hat. Auch andere durchsetzungsvermögende Männer haben diesen Namen getragen. Frie-drich."

Roderich versuchte Silbe für Silbe klar auszusprechen, dennoch verzogen sich die kleinen Lippen und auch der Blick des Kleinen verriet, dass er auch diesen Vorschlag nicht mit Begeisterung hinnahm.

Der Ältere unterdrückte mit Mühe und Not ein Aufseufzen.

"Gut, ich gebe zu, ich selber verbinde nicht gerade viel Erfreuliches mit diesem Namen. Aber was sagst du dann zu seiner Variante von Friedrich?" Dabei wedelte der Braunhaarige Richtung Haus. "Frie-dens-reich?"

Wieder wiederholte er ein paar Mal den Namen und diesmal begann das blasse Kindergesicht zu strahlen.

"So so, Friedensreich gefällt dir. Du bist wirklich ein wenig exzentrisch für dein Alter, Zwutschkerl."

Roderich konnte schwer verleugnen, dass dieses Lächeln ansteckend war, und auch auf seinen Lippen formte sich ein seliges Grinsen. Vielleicht waren er und der Knirps ja doch nicht so verschieden, schließlich waren sie beide Künstler im Geiste.

"Gut, aber wehe du beschwerst dich dann bei mir, wenn du größer bist."

Das Kind jedoch quickte ausgelassen.

"Frie...eich, Frie...eich."

"Na na, das werden wir noch ein wenig üben müssen..."

Noch immer lächelnd zupfte Roderich ein Stofftaschentuch aus seiner Manteltasche und wischte ein wenig Speichel um die weichen Mundwinkel des Kleinen weg.

"Aber dafür hält dein Name eine Hoffnung aufrecht, an welche sich viele der Meister, welche du so bewunderst, verzweifelt geklammert haben."

Sanft strich er eine vorlaute, silberne Haarsträhne hinter das winzige Ohr und stand dann wortlos, mit dem Baby im Arm, auf.

"Was hältst du davon, wenn wir uns dieses kunterbunte Haus von deinem Namensvetter einmal von der Nähe ansehen?"

Der frisch benannte Friedensreich frohlockte mit seinen typischen Kleinkinderlauten und zufrieden ging Roderich auf die eine Eingangstüre des Hundertwasserhauses zu. Künstler hatten manchmal verkehrte und absolut verrückte Ideen, doch mehr als einmal hatte Roderich am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie abhängig sie von diesen Menschen waren. Denn sie waren es, welche das Gespür für den Puls der Zeit besaßen und meist auch den Mut hatten diesen zu reflektieren.

Friedensreich, ein Name mit Verantwortung, aber auch gefüllt mit Hoffnung.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Betagelesen von fodazd Komplett anzeigen

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