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Die ungeschminkte Wahrheit

#023 Spiegel
von

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Morgengrauen

Wenn es eine Sache gibt, die ich tunlichst vermeide, dann ist es morgens in den Spiegel zu schauen. Leider komme ich nicht darum herum, schließlich verlangt meine Hässlichkeit danach, kaschiert zu werden. Ein einziger Blick in das verhasste, reflektierende Glas verrät mir, was ich schon lange wusste: Ich bin kein Musterbeispiel der natürlichen Schönheit.

Mein sonst so dickes, schwarzes Haar für das mich Friseure stets komplimentieren pappt mir momentan nur leblos am Kopf. Lediglich vereinzelte, fehlplazierte Strähnen stehen ab und zeugen von seinem üblichen Volumen. Zum Ende hin locken sie sich nach innen. Auf meiner Stirn hängt etwas, das entfernt an einen schrägen Pony erinnert; im Schlaf hat er sich durch den Wirbel meines natürlichen Scheitels gespalten. Ein klarer Fall für Bürste, Glätteisen und Haarspray.

Ich führe die Inspektion meines Erscheinungsbildes fort, indem ich mir die Mähne aus dem Gesicht streiche. Meine Haut glänzt fettig; die Wangen sind gerötet. Kein Wunder bei den schwülen Temperaturen der vergangenen Nacht. Doch bis auf ein paar unscheinbare Mitesser am Kinn bin ich von Unreinheiten verschont geblieben. Einzig und allein die elendigen Sommersprossen auf meiner Nase machen diesen positiven Aspekt wieder wett. Egal - nichts, was Make-Up und Puder nicht abdecken könnten.

Zu meiner Überraschung wirke ich insgesamt weniger müde, als ich mich fühle. Meine frisch gezupfen Augenbrauen und langen, schwarzen Wimpern verleihen mir einen wachen, leicht arroganten Blick. Mit der blau-grünen Iris, die im Kontrast zu Haut und Haaren meine Augen zum strahlen bringt, könnte man annehmen, dass zumindest dieser Part meiner Visage das Attribut hübsch verdient hätte - falsch gedacht. In Wirklichkeit habe ich kleine Schweinsaugen, dank der.Schlupflid-Gene meines Vaters. Mit Kajal allein ist diesem Problem nur schwer beizukommen. Irgendwann werde ich mich.für.eine Korrektur unters Messer legen müssen.

Endlich entdecke ich etwas, was ich wirklich an mir mag - mein Septumpiercing. Es handelt sich um einen schwarzen halboffenen Ring aus Titan mit einem Durchmesser von zehn Millimetern und einer Dicke von 1.6, der mir wie bei einem Stier durch das feine Häutchen zwischen den Nasenlöchern geschoben wurde. Es ist etwas klobiger als manch anderer Schmuck für diese Stelle, steht in diesem Fall jedoch in perfekter Relation zu meiner Nase. Diese sieht von der Seite aus wie ein niedliches, kleines Stupsnäschen - doch von vorne erweckt sie den Eindruck, jemand hätte mir einen Basketball.dagegen geschleudert. Sie ist vom Nasenbein an bis zu den Flügeln furchtbar breit. Ich nehme an, dass Menschen, die mir zum ersten Mal gegenüberstehen zu allererst auf diesen Riesenzinken achten - er ist Zentrum und Schandfleck meines Gesichts.

Nur einen kleinen Finger breit darunter befindet sich mein Mund. Obwohl Ober- wie Unterlippe voll und herzförmig sind, wird die Perfektion erneut vereitelt - sie sind klein, rosefaben und erinnern somit mehr an den Mund einer Porzelanpuppe oder eines Babies als an den einer jungen Frau.

Zu meinem Kinn kann ich erst gar keinen Kommentar abgeben - es verschmilzt quasi übergangslos mit Hals und Wangen, denn mein rundliches Gesicht weist kaum Relief auf. Mein leichtes Doppelkinn lässt mich erahnen, dass dieses Phänomen nicht allein auf anatomische Beschaffenheiten zurück zu führen ist. Frustriert quetsche ich an meinem Speck herum, um zu prüfen, wie ich ohne ihn aussehen würde. Definitiv besser.

Zu guter Letzt streiche ich mir die Haare hinter die Ohren, um mein Langzeitprojekt zu begutachten - meine gedehnten Ohrlöcher. Momentan trage ich schwarze Tunnel aus Rosenholz von zehn Millimetern Durchmesser. Zum ersten Mal in meinem Leben kommen mir meine fleischigen Ohrläppchen zu Gute, denn sie bieten gute Vorraussetzungen für extreme Größen, wie ich sie insgeheim anstrebe. Allgemein sind meine Ohren recht groß, aber zumindest wohlgeformt und in sich symmetrisch. Mein Piercer sagte, sie wären ideal für sämtliche Modifikationen in diesem Bereich. Das letzte Mal war ich vor acht Wochen dort, um mir meinen Tragus stechen zu lassen. Nun prangt eine silberne Kugel am inneren Knorpel meines rechten Ohres. Es befindet sich noch im Heilungsprozess, weshalb sich schon wieder eine farblose Kruste drum herum gebildet hat, welche ich gleich entfernen muss.

Grenzdebil grinse ich mein eigenes Spiegelbild an und begutachte meine Zähne. Bis auf die leicht hervorstehenden Eckzähne sind sie eben und gerade - jahrelange Quälereien via Zahnspange haben schließlich doch noch ihren Zweck erfüllt. Ebenso wie Jahre des Nikotin- und Kaffeekonsums ihre gelben Spuren hinterlassen haben. Dieser Anblick weckt jedes.Mal aufs Neue den Wunsch nach einem Bleaching. Nun beschließe ich jedoch erst einmal die Zähne zu putzen...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Wintersoldier
2012-12-05T16:38:25+00:00 05.12.2012 17:38
Heyho,

da ich endlich mal wieder etwas Zeit zum Lesen und gleichzeitig auch Lust zum Kommentieren habe, musste ich das auch gleich mal ausnutzen. Entschuldige also schon einmal, wenn das jetzt etwas konfus werden könnte, ich hab länger keine Kommentare mehr geschrieben. :P

Ich finde, du hast die Schreibübung gut umgesetzt. Die Ich-Erzählerperspektive ist gut gewählt, weil sie einem die Gedanken der Person vor dem Spiegel direkt näher bringt und man einen guten Eindruck davon gewinnt, wie die Person sich selbst sieht. Gleichzeitig erreichst du durch die vielen Details den Effekt, dass der Leser sich auch ein Bild von der Person und dessen Schönheit machen kann, sogar noch bevor er erfährt, was die Person selbst davon hält. Das bedeutet, man hat einen Moment der wertfreien Betrachtung, in der man sich sein eigenes Bild machen kann und wird im nächsten Moment mit der Meinung einer anderen Person konfrontiert, mit der man dann übereinstimmen kann oder auch nicht. Dabei hatte ich aber nie das Gefühl, dass der Ich-Erzähler den Leser davon überzeugen will, ihn genau so zu sehen, wie er sich selbst sieht, sondern es blieb auf der Ebene So sehe ich mich halt. Genau das finde ich ebenfalls im Bezug auf die Schreibübung gelungen, weil es ja nicht nur darum gehen sollte, wie eine Person sich selbst sieht, sondern auch wie jemand anders diese Person sieht und das gelingt dir dadurch, dass du am Ende einmal den Ich-Erzähler hast und einmal den Leser selbst, der ein Bild von der Person hat.

Zum Ich-Erzähler will ich gar nicht so viel sagen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er gerade vorm Spiegel steht und sich betrachtet. Interessant fand ich auch, dass ich tatsächlich das Gefühl hatte, dass der Ich-Erzähler gerade erst aufgestanden ist und entsprechend noch ein wenig müde. Besonders, weil es wohl ein allmorgendlichen Ritual ist, welches die meisten Menschen durchlaufen. Erinnerte mich daran, wie ich selbst morgens vorm Spiegel stehe und mir denke mal sehen, was heute alles schief gegangen ist....

Liebe Grüße
Aya
Von:  Trollfrau
2012-10-08T10:07:09+00:00 08.10.2012 12:07
Oh man. Selbstkritisch bist du zum Glück kein Stück. XD
Allerdings kommt mir das irgendwie bekannt vor. Nur denke ich jeden Morgen: Ich kenne dich zwar nicht, aber ich wasch die trotzdem. XD
An einigen Stellen sind mir Punkte aufgefallen, wo ich mich frage, ob die da hinsollen.
z.B. hier: ... Eindruck, jemand hätte mir einen Basketball.dagegen geschleudert.
Ansonsten finde ich die Detailgenauen Beschreibungen sehr gelungen.


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