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Finera - Dawn of the Dark

von

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Mai Technologies

10. Oktober
 

- Rain -
 

„Du möchtest was?“ Die rothaarige Frau an der Rezeption warf Rain zum wiederholten Male einen prüfenden Blick zu.

Rain hatte fast nicht damit gerechnet, dass man sie überhaupt in das Gebäude ließ, doch nachdem sie durch das schmale Tor getreten und zum kameraüberwachten Eingangsbereich gegangen war, hatten sich die Glastüren automatisch geöffnet. Dahinter lag ein kleiner, rechteckiger Raum, in dem sich außer einer kleinen Sitzecke mit Wasserspender, der Rezeption und einem Fahrstuhl nur noch eine Tür an der Rückwand befand. „Das sagte ich doch bereits.“ Sie wollte freundlich klingen, konnte ihre Gereiztheit aber nicht verbergen. „Ich bin Trainerin und werde eine Weile hier in Illumina City bleiben, deshalb bin ich auf der Suche nach einem Nebenjob.“

„Und dann kommst du ausgerechnet zu uns?“ Nun wirkte die Frau eher belustigt. „Kind, du weißt doch, wo du dich hier befindest? Mai Technologies ist der führende Anbieter von Pokémon-Heilmaschinen und ganz sicher kein Spielplatz, um …“

Rain unterbrach die Rezeptionistin. „Das weiß ich. Es tut mir wirklich sehr leid, wenn ich Ihre kostbare Zeit in Anspruch nehme, Miss“, ein kurzer Blick auf das Namensschild der vollbusigen Rothaarigen, „Carter. Ich interessiere mich sehr für den wissenschaftlichen Bereich und möchte nächstes Semester ein Studium an der Stratos Universität aufnehmen.“

„Ein Studium? So, so.“

„Ich verstehe vollkommen, dass Sie nicht auf Aushilfskräfte wie mich angewiesen sind, dennoch wäre es mir eine Ehre, wenn ich in der Zeit, die ich hier in Kalos bin, einen Beitrag zum Firmenerfolg leisten kann, selbst wenn es nur ein kleiner Beitrag ist.“ Sie versuchte einen möglichst schmeichelhaften Tonfall zu treffen und fügte noch demütiger hinzu: „Einen sehr kleinen Beitrag.“

Einige Sekunden schwieg die junge Miss Carter, die etwa Mitte zwanzig sein musste, dann seufzte sie und spitzte die perfekt geschminkten Lippen. „Nun gut. Wie war noch gleich dein Name?“

„Rain Light.“

„Gut, Rain Light. Setz dich dort drüben hin und ich schaue, ob ich jemanden erreichen kann, der für dein Anliegen zuständig ist.“

„Vielen Dank.“ Rain schenkte ihr noch ein letztes Lächeln, dann drehte sie ihr den Rücken zu und ging zur Sitzecke, wobei ihre wassergetränkten Schuhe jeden Schritt betonten. Schmatz, schmatz, schmatz, schmatz. Nachdem sie sich hingesetzt hatte, konnte sie sehen, wie Miss Carter leise in ihr Headset sprach, dann brach das Gespräch ab und sie würdigte Rain keines Blickes mehr.

Wenige Minuten später glitten die Fahrstuhltüren zur Seite und zum Vorschein kam ein älterer Herr in einem weißen Laborkittel. Er winkte Rain zu sich, musterte sie von oben bis unten und drückte dann auf den Knopf für das zwölfte Stockwerk.

Nervös knetete Rain ihre Finger durch. Das hieß dann wohl, dass sie es geschafft hatte und jemand mit ihr sprechen wollte, der sie vielleicht einstellte?

Als sie oben ankamen, blieb der Fahrstuhl ganz sanft stehen und erneut gingen die Türen lautlos auf. Der Mann brachte sie zu einer Stahltür, drückte einen Knopf daneben und als ein Summer aus dem Inneren betätigt wurde, drückte er die Tür mit der Schulter auf und schob Rain hinein. Er selbst kam nicht mit, sondern verschwand gleich wieder im Fahrstuhl.

Rain befand sich in einem hellen, länglichen Raum. Die Deckenleuchten spendeten gleichmäßiges Licht und es gab keine Fenster, dafür standen mehrere breite Waschbecken an einer Wand. An der Wand gegenüber standen mehrere Regale mit Handtüchern, Laborkitteln und OP-Bekleidung, von denen Rain sich fragte, wofür sie gebraucht wurden. Mai Technologies war bekannt für die Heilmaschinen, die mittlerweile in allen Pokémoncentern benutzt wurden, aber was das Unternehmen noch produzierte, wusste sie gar nicht.

Zögerlich durchquerte sie den Raum und schaute durch das kleine Fenster der Stahltür am anderen Ende. Was auch immer dort drinnen war, konnte sie nur schemenhaft erkennen, denn das Licht dort drinnen war nur sehr dunkel eingestellt. Sie sah diverse Geräte, die im Halbkreis angeordnet waren. In der Mitte des Halbkreises stand ein großer Stahltisch, der sie an einen OP-Raum im Krankenhaus erinnerte, auch wenn sie so etwas nur im Fernsehen gesehen hatte. Mehrere Apparate in unterschiedlichen Größen und verschiedenen Bildschirmen standen in zweiter Reihe und an einem riesigen Schreibtisch an der Wand saß eine Frau, die so schmal war, dass sie in dem großen Ledersessel zu verschwinden schien.

Rain klopfte an, aber es kam keine Reaktion. Der Mann hatte sie extra hier hingebracht, also musste sie doch erwünscht sein? Kurzerhand drückte sie die Klinke herunter – unverschlossen – und trat in das Labor ein.

Die Frau am Schreibtisch schaute nicht auf, winkte Rain aber zu sich, wobei sie mit der anderen Hand weiterhin eifrig in ein dickes, in Leder gebundenes Notizbuch schrieb. Sie trug einen schneeweißen Laborkittel, den sie bis oben zugeknöpft hatte und der einen starken Kontrast zu dem schwarzen Sessel bildete. Dann, als Rain nur noch zwei Schritte vom Schreibtisch entfernt war, schaute sie auf und legte den Kugelschreiber aus der Hand. „Du bist also Rain Light, das Mädchen, das unbedingt für mich arbeiten möchte.“ Keine Frage, sondern eine simple Feststellung.

Die Frau drückte auf einen Knopf am Schreibtisch und im nächsten Moment änderten die Metalljalousien, die Rain bis dahin nicht aufgefallen waren, ihre Einstellung. Die Wand, die Rain für eine einfache Außenwand ohne Fenster gehalten hatte, stellte sich als verglaste Fassade heraus. Die Jalousien hatten den Raum verdunkelt, doch nun trat Licht von draußen herein und man konnte durch die nun waagerecht gestellten Jalousien den Regen sehen. Zeitgleich flammten Deckenleuchten auf und der Raum wirkte auf einen Schlag nicht mehr wie ein düsteres Labor, sondern wie ein heller Arbeitsraum, in dem sich zufällig unzählige Geräte befanden.

„Wie kommt es, dass du ausgerechnet bei uns nach einem Job fragst?“

„Es war Zufall, wenn ich ehrlich bin.“ Und Rain fand, dass sie ehrlich sein sollte. „Trotzdem finde ich die Arbeit von Mai Technologies sehr interessant.“

Aufmerksam musterte die Frau sie, dann huschte ein flüchtiges Lächeln über ihre schmalen Lippen. Ihre Finger glitten an ihren Hinterkopf, wo sie den Haarknoten löste und die graumelierten Haare sich in einem modernen Stufenschnitt bis auf ihre Schultern ergossen. „Deine Mutter ist eine sehr bekannte Person geworden, nachdem sie in ihrer Jugend ein großes Abenteuer erlebt hat. Die Jugend ist etwas Wunderbares. Man hat so viel Kraft, Idealismus und kann sich leidenschaftlich für etwas begeistern. Ich bin gespannt, ob diese Leidenschaft auch in dir brennt, Rain Light.“

Rain wusste nicht, wieso sie auf einmal das Gefühl hatte bis auf den Grund ihrer Seele gemustert zu werden, aber sie bekam eine Gänsehaut. „Also kann ich hier arbeiten?“

Die Frau legte den Kopf ein wenig schief, nickte dann aber. „Ja. Auch wenn du eine ungelernte Kraft bist und auch wenn wir eigentlich keine Aushilfskräfte nehmen. Ich werde dich als meine persönliche Assistentin einstellen. Du wirst viel arbeiten, aber ich bezahle dich gut und du kannst viel lernen.“

„Ist das hier Ihr persönliches Labor?“

„Ja, das ist es. Ich arbeite schon mein ganzes Leben an einem großen Traum und ich glaube, dass ich auf dem richtigen Weg bin. In deinem Blick kann ich Angst sehen. Angst, Unruhe, Neugier. Das ist wichtig, denn Neugierde treibt uns an. Ich bin neugierig und möchte verstehen, wieso manche Pokémon stärker oder schwächer sind als andere, wieso manche krank auf die Welt kommen oder krank werden, was die Legendären so besonders macht. Obwohl du Angst vor mir hast, möchtest du für mich arbeiten. Ich möchte, dass du dir ein eigenes Bild von meinen Forschungen machst, ohne die Vorurteile und den vernebelten Blick, den Faith der Welt aufgezeigt hat. Du weißt, wer ich bin, nicht wahr?“

Rain nickte. Sie hatte es von dem ersten Moment an gewusst und jedes Wort, das diese Frau zu ihr gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Sie hatte Angst vor dem, was diese Frau für ihren großen Traum bereits einmal getan und auf sich genommen hatte. Sie war unruhig, weil sie nicht wusste, ob sie wirklich ausgerechnet für sie arbeiten sollte. Was würden ihre Mutter und Summer, was würde die ganze Welt von ihr denken? Vor allem aber war sie neugierig, weil sie verstand, welches Potenzial die Idee einer Welt hatte, in der kein Pokémon mehr durch Erbkrankheiten leiden musste, in der die Legendären ihr Geheimnis mit der Forschung teilten.

Ja, Rain wusste nur zu gut, wer diese Frau war. „Milena Mai.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Yurippe
2015-05-23T16:52:56+00:00 23.05.2015 18:52
Oh weh, das kann ja was werden. Interessant wird es wohl auf jeden Fall.
Wieso hat die Rezeptionistin in Illumina City (= Paris?) eigentlich einen englischen Namen? Und übrigens spricht man heute kaum noch Frauen mit Miss an (Gott sei Dank...)
Antwort von:  Kalliope
26.05.2015 19:08
Hm in meiner Vorstellung hat die Pokémonwelt (durch den Anime) hauptsächlich englische Namen, aber in Kalos könnte man da wirklich eine Ausnahme machen, das stimmt. Mal schauen, ich kann ja die nächsten Leute Jacqueline, Madeleine oder so nennen :)
(Ich mag Miss :"D)
Antwort von:  Yurippe
26.05.2015 19:29
Ich wäre etwas genervt, wenn mich jemand Miss nennen würde.
Von:  yazumi-chan
2015-05-20T21:31:57+00:00 20.05.2015 23:31
in einem hellen Raum, länglichen Raum -> ein Raum muss weg.

Milena Mai ist also doch noch im Geschäft. Ich muss sagen, dass ich dachte, sie wäre von der Bildfläche verschwunden und jemand anderes würde Mai Technologies jetzt leiten, aber dem scheint nicht so zu sein. Erstmal finde ich es ganz toll, dass wir einen genaueren Blick auf die Wissenschaftlerseite bekommen, der fehlt mir nämlich oft :D Und wenn Faith hört, dass Rain für Milena arbeitet... Oh weih, ich kann mir den Aufruhr schon vorstellen. Summer wäre bestimmt auch nicht so begeistert, wenn sie davon erfährt.
Antwort von:  Kalliope
21.05.2015 13:46
Milena ist damals nach Finera NA ins Gefängnis gekommen, deshalb wurde Mai Pharmaceutics auch "aufgelöst". Aber wie das so ist, ziehen die Chefs dann im Hintergrund doch noch die Fäden und im Endeffekt handelt es sich noch immer um denselben Konzern, der nur für die Öffentlichkeit umbenannt wurde und jetzt einem anderen Schwerpunkt folgt (Heilmaschinentechnik statt Medikamente). Milena ist dann aus dem Gefängnis raus und leitet jetzt wieder ihren Konzern, ist ja immerhin eine Familienfirma und ihr "Baby".

Stimmt, wenn Faith und Summer das hören ... uiuiui :D
Antwort von:  yazumi-chan
21.05.2015 13:50
Ich hatte extra noch im FAQ nachgelesen, da hieß es "Milena zog sich aus allen Geschäften zurück". Das kann aber natürlich auch die öffentliche Seite gewesen sein :) Anyway, ich bin sehr auf diesen Handlungsstrang gespannt! :D
Antwort von:  Kalliope
21.05.2015 14:27
Ja, stimmt. Im Endeffekt sind seit NA auch schon 25 Jahre (so in dem Dreh, ich glaube, ich habs mal im Prolog oder einem der ersten Kapitel von DotD erwähnt) vergangen. Sie hat ihre Haftstrafe abgesessen und in der Öffentlichkeit tritt sie auch jetzt nicht mehr auf. Vielleicht gehe ich da später mehr drauf ein.
Von:  fahnm
2015-05-20T21:18:29+00:00 20.05.2015 23:18
Spitzen Kapitel


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