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Demon Girls & Boys

von

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Schmerzende Gegenwart

Schmerzende Gegenwart
 


 

Laura war unwohl zumute, als sie die schwere dunkle Holztür zum Schrein öffnete und eintrat. Das Gefühl, dass Benni nicht bei den anderen auf sie warten würde, belastete sie.

Besonders, nachdem er so… so lieb zu ihr gewesen war.

Der Raum, in dem sie sich befand war komplett japanisch eingerichtet und ohne groß nachzudenken, streifte sie sich ihre Schuhe von den Füßen.

Verwirrt runzelte sie die Stirn. Sahen die anderen Tempel auch so aus?

„Hi Laura.“

Erschrocken zuckte sie zusammen.

Vor ihr stand ein hübscher junger Mann mit pechschwarzen, etwas längeren und trotzdem stacheligen Haaren, braun gebrannter Haut und freundlichen schwarzen Augen. Er trug einen schwarzen Kimono.

„D-der Schwarze Löwe?!?“ Lauras Feststellung klang eher wie ein erschrockenes Quietschen.

Der Schwarze Löwe nickte grinsend. „Du kannst mich ruhig Leo nennen.“

Laura war so verblüfft, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte.

Leo?!?!?

„Haben alle Dämonen einen ‚Menschennamen‘?“, fragte sie zögernd nach.

Leo nickte. „Klar.“

Er wies auf den niedrigen Holztisch, auf dem eine kleine Holzschachtel stand. „Hast du Lust auf eine Runde Koi-Koi?“

„Was?!?“ War das ihre Prüfung? Sie sollte gegen den Schwarzen Löwen Karten spielen?!?

Laura seufzte. Sie hatte immer verloren, wenn sie gegen jemanden Koi-Koi gespielt hatte. Wobei sie bisher eigentlich nur gegen Benni und Carsten gespielt hatte, da sonst keiner Lust darauf hatte.

„Na schön, wenn du so unbedingt willst.“, meinte sie.

Leo grinste zufrieden und setzte sich im Schneidersitz an die eine Tischseite. Laura kniete sich ihm gegenüber auf die andere Seite, während Leo die Hanafuda-Karten aus der kleinen Schachtel holte, sie mischte, sieben Karten austeilte und sechs weitere auf den Tisch legte.

Laura seufzte deprimiert. Natürlich hatte sie kein so gutes Blatt auf der Hand.

Für Leo war dieses Spiel anscheinend nur eine Nebensache, denn er fragte plötzlich: „Wie läuft’s zwischen dir und Benedict?“

„Hä?!?“ Lauras Wangen färbten sich knallrot. So etwas wurde sie von ihrem Dämon gefragt?

Leo lachte auf. „Ich habe irgendwie das Bedürfnis, dein Elternersatz zu sein. Also? Wie läuft’s?“

„Na ja… Ähm… Ganz gut… glaube ich?“, antwortete sie zögernd.

Sie befand sich gerade doch nicht ernsthaft in ihrer Prüfung für die Dämonenform, spielte mit dem Schwarzen Löwen -Leo- Koi-Koi und unterhielt sich mit ihm über ihr erbärmliches Liebesleben?!?

„Das freut mich.“, meinte er und klang offensichtlich gut gelaunt.

„Ha! Tan!“, rief Laura zufrieden. Na ja… Diese Kombination brachte ihr zwar nur einen Punkt, aber sie hatte immerhin schon einen.

Leo grinste. „Koi-Koi?“

„Koi-Koi.“, erwiderte Laura, was so viel hieß, wie, dass das Spiel noch weiter ging.

Im Nachhinein ärgerte sie sich. Sie hätte nur diesen einen Punkt gebraucht, um Leo zu schlagen, doch natürlich wollte sie noch mehr Punkte bekommen, um ihm zu zeigen, dass sie gar nicht mal so schlecht war.

Kurz darauf wurde Leos Grinsen noch breiter. „Na so was, Gokō.“

Verärgert biss sich Laura auf die Unterlippe. Das brachte zehn Punkte, die höchste Punktzahl.

„Gewonnen.“, stellte Leo zufrieden fest.

Laura seufzte betrübt. „Das heißt wohl, ich bekomme meine Dämonenform nicht.“

Verwirrt schaute Leo sie an. „Wie kommst du darauf?“

„Na ja… Ich dachte, wir haben hier darum gespielt, ob ich meine Dämonenform bekomme, oder nicht.“, erklärte sie ihm enttäuscht, aber auch verwirrt.

Leo stützte sein Gesicht auf den Händen ab. „Oh. Ich hätte dir wohl sagen sollen, dass du deine Prüfung noch nicht machen kannst.“

„Was?!“ Laura war aufgesprungen. „Warum nicht?!?“

„Weil ich noch nicht einmal weiß, ob ich dich bei deinem sechzehnten Geburtstag nun verlassen werde, oder nicht. Da macht es keinen Sinn, wenn du jetzt schon deine Prüfung absolvieren würdest.“

„Ja aber-“ Tränen rannen über Lauras Wangen. „Aber warum hast du dann mit mir Koi-Koi gespielt?“

Leo zuckte mit den Schultern. „Ich hatte einfach Lust drauf. Als Dämon hat man nicht wirklich die Möglichkeit, einfach mal jemanden aufzufordern und das ist ganz schön frustrierend.“

Weinend verbarg Laura ihr Gesicht hinter den Händen.

Also war alles umsonst? Sie würde die Dämonenform nicht bekommen, weil der Schwarze Löwe sich offensichtlich doch dazu entscheiden würde, sie zu verlassen?!?

Leo seufzte. „Du musst doch nicht gleich anfangen zu weinen.“

„Tut mir ja sehr leid, dass du mir vorhin noch Hoffnungen gemacht hast!“, schrie sie ihn an, stand auf, rannte zum Eingang und stolperte halb in ihre Schuhe.

„Laura, warte!“, rief Leo ihr hinterher und stand auf, um ihr zu folgen. Doch Laura riss so schnell sie konnte die Tür auf und rannte hinaus.

Keuchend und weinend zugleich lehnte sich Laura gegen die geschlossene Schrein-Tür und sank schließlich auf den Boden.

„Laura? Was hast du?!“, hörte sie Ariane besorgt rufen.

Laura zog die Beine an und schlang ihre Arme um sie. „Der Schwarze Löwe hat mir noch nicht einmal eine Chance gegeben, die Prüfung zu machen, weil er ja sowieso noch nicht weiß, ob er mich nun verlassen will oder nicht!“, schrie sie und fing sofort wieder an zu schluchzen.

„Oh nein… Das tut mir so leid…“ Sanft nahm Ariane Laura in den Arm.

Anne seufzte. „Oh scheiße, heute ist echt nicht unser Tag.“

„Anne! Jetzt nicht!“, rief Ariane vorwurfsvoll zu ihr rüber.

Doch Laura war schon darauf aufmerksam geworden.

Wie meinte Anne das mit heute sei echt nicht ihr Tag?
Und wie meinte Ariane das mit jetzt nicht?!?

„W-was ist denn los?“, fragte Laura, immer noch schluchzend.

Ariane seufzte. „Prima, Anne. Super gemacht! Jetzt sagst du’s ihr aber auch!“

„Wieso ich? Du bist doch ihre ‚beste Freundin‘.“, erwiderte Anne spöttisch.

„Genau! Und diese beste Freundin hätte auf den richtigen Moment gewartet!“, schrie Ariane zurück.

„Leute, bitte. Nicht streiten! Es ist schon so schlimm genug, also macht es nicht noch schlimmer!“, schritt Susanne schlichtend ein, klang aber selbst so, als wäre sie kurz davor los zu weinen.

„Was ist denn jetzt?!“, drängte Laura sie unter Tränen. Schlimmer konnte es sowieso nicht mehr kommen.

Als sie aufschaute bemerkte sie, dass nahezu alle traurig und deprimiert waren, sogar Anne.

Da fiel ihr etwas auf, was ihr einen Grund zur Beunruhigung bot. „Wo ist Carsten?“

Schließlich schien Eagle diese anscheinend so schwere Aufgabe zu übernehmen.

Er verließ seinen Platz an einer Säule des Tempels und ging die Stufen zu Laura und Ariane hoch, wo er vorsichtig vor ihr in die Knie ging und eine Hand auf ihre Schulter legte.

„Es… gab ein Feuer in Obakemori.“, sagte er schließlich.

Laura fiel das Atmen schwer. „Ist… Ist jemand verletzt?“

Natürlich war jemand verletzt!
Der Stimmung der anderen nach zu urteilen sogar schwer verletzt!!!
Und Laura wusste ganz genau, wer sich zurzeit in Obakemori aufhalten müsste…

Eagle nickte und bestätigte ihre größte Angst. „Der eiskal- Benni wurde auf die Intensivstation gebracht.“

Laura wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie starrte Eagle einfach nur ungläubig an, während ihre Tränen über ihre Wangen liefen und ihre Welt mit einem Schlag zu Asche zerfiel.

Benni war verletzt.

Er war verletzt und lag auf der Intensivstation!!!

„Das ist unmöglich!!!“, schrie sie verzweifelt. „Es ist Benni! Benni ist nie verletzt! Benni landet nie auf der Intensivstation!!!“

Schluchzend vergrub Laura ihr Gesicht wieder in ihren Armen, während Ariane sie immer noch tröstend im Arm hielt.

Als sie den ersten Schock nach einer Weile überstanden hatte, fragte sie zögernd: „K-kann ich… zu ihm?“

Eagle nickte. „Ich denke schon.“

„Dann los!“, drängte Laura ihn und die anderen und mühte sich taumelnd auf die Beine.

Der Weg zurück nach Zukiyonaka und zum Krankenhaus war die reinste Folter. Laura fühlte sich, als würde sie zu ihrer Hinrichtung, oder zu einem Begräbnis gehen und noch dazu wollte der Regen einfach nicht aufhören.

Als sie endlich am Krankenhaus angekommen waren, konnte man gar nicht mehr unterscheiden, was nun Regentropfen und was Lauras Tränen in ihrem Gesicht waren.

Eagle ließ sie am Eingangsbereich stehen und ging zum Schalter. „Wir möchten zu Benedict Ryū no chi, er wurde vor etwa einer Stunde hier eingeliefert.“

Die alte Frau am Schalter schaute Eagle und den Rest der Gruppe hinter ihm kritisch an, sagte ihm aber die Zimmernummer.

Bedrückt schaute sich Laura um, als sie die Gänge zu dem Zimmer entlanggingen, in dem Benni schwer verletzt lag. Alles war weiß und weiß erinnerte sie an den Tod.

Als sie schließlich an besagtem Zimmer ankamen, öffnete sich die Tür und Carsten kam raus.

Schluchzend warf sich Laura in seine Arme, bevor er die Gruppe überhaupt bemerkt hatte.

„Wie geht es ihm?!“, erkundigte sie sich unter Tränen.

Carsten seufzte traurig. „Nicht gut. Er hat schwere Verbrennungen und andere Verletzungen, die sich nicht so einfach mit Magie heilen lassen. Aber du kennst Benni doch, er wird sicher bald wieder auf den Beinen stehen.“

Laura wusste, dass Carsten Recht hatte. Er hatte immer Recht!

Also müsste es Benni bald wieder gut gehen, was sie Hoffnung schöpfen ließ.

„Darf ich rein?“, fragte sie zögernd.

„Eigentlich ist nicht, aber egal. Ganz kurz kannst du sicher mal rein schauen, er ist sowieso noch nicht bei Bewusstsein.“, meinte Carsten und öffnete die Tür wieder, aus der er gerade gekommen war.

Der Anblick war alles andere als ermutigend und Hoffnung schöpfend…

Der Raum war genauso unheimlich weiß, wie der Gang und Bennis blasse Haut und seine hellen Haare hoben sich kaum von dem Weiß des Kissens und der Decke ab.

Zitternd schlang Laura die Arme um sich und lehnte sich Trost suchend an Carsten, der ihr sanft den Arm streichelte.

Benni hatte diese seltsame Beatmungsmaske über Mund und Nase und das manchmal unregelmäßige Piepsen, das wohl sein Herzschlag war, erzeugte bei Laura eine Gänsehaut.

Seine Arme, seine rechte Hand und anscheinend auch sein Oberkörper waren bandagiert und hatten dennoch vereinzelt dunkelrote Blutflecken.

„Los komm, lass uns gehen.“, forderte Carsten sie leise auf.

Laura nickte widerwillig und wieder stahlen sich einige Tränen davon.

„Bitte werde schnell wieder gesund…“, murmelte sie traurig und obwohl sie am liebsten laut protestieren und sich heulend an Bennis Bett setzen wollte, verließ sie das Zimmer.

Die anderen hatten sich in der Zeit aufgebracht mit Saya unterhalten, die wohl während ihrer Abwesenheit gekommen war.

„Was ist denn los?“, fragte Carsten, als er und Laura wieder auf dem kalt wirkenden, weißen Gang waren.

Saya seufzte. „Ich war gerade beim Direktor… Sie wollten Benedict aus dem Krankenhaus werfen, weil er nicht versichert ist und noch nicht einmal einen Ausweis hat.“

„Das ist doch total krank! Ob man versichert ist oder einen Ausweis hat, spielt doch dabei keine Rolle! Wie kann man einen lebensgefährlich Verletzten auf die Straße setzen wollen?!“, beschwerte sich Ariane verärgert.

„Aber… Haben Sie ihn überzeugen können, es nicht zu tun?!?“, fragte Laura besorgt.

Sie hatte keine Ahnung, warum Benni keinen Ausweis hatte aber Ariane hatte Recht, so etwas konnte man doch trotzdem nicht machen!

Saya nickte. „So mehr oder weniger habe ich ihn umstimmen können. Zwar wollen sie ihn gleich morgen auf ein normales Zimmer verlegen, aber ich denke, das ist bei Benedict nicht weiter kritisch. Das eigentliche Problem ist, dass der Direktor seine Ärzte und Krankenschwestern so in seiner Gewalt hat, dass sie sich weigern werden, ihn zu behandeln, ob sie nun wollen oder nicht.“

„Aber Sie sind doch Ärztin! Können Sie sich nicht für ein paar Tage nach Yami versetzen lassen, um sich um Benni zu kümmern?“, schlug Öznur vor.

Traurig lachte Saya auf. „Im Prinzip könnte ich das, wäre ich nicht die Direktorin von dem Krankenhaus in Karibera. Es tut mir leid…“

Laura senkte betrübt den Kopf, als Saya plötzlich meinte: „Aber ich habe eine alternative Idee.“

Nun bekam sie doch wieder Hoffnung.

„Carsten könnte hier die Stellung übernehmen.“

„Was?“ Erschrocken musterte Carsten seine Mutter. „Das- das kann ich nicht, ich… ich bin erst sechzehn!“

„Ach was, natürlich kannst du das.“ Aufmunternd legte Saya eine Hand auf die Schulter ihres Sohnes, der bereits mindestens einen Kopf größer als sie war. „Du hast mehr als genug Erfahrung und möchtest später doch sowieso Arzt werden.“

„Ja, aber-“

„Das ist die einzige Möglichkeit, Carsten. Ich kann nicht die ganze Zeit zwischen Karibera und Zukiyonaka hin und her pendeln, das weißt du. Und Selbstzweifel brauchst du erst recht nicht zu haben.“

Carsten senkte betrübt den Kopf. „Und was ist, wenn ich doch was falsch mache?“
„Machst du nicht.“ Zuversichtlich schaute sie ihn an.

„Saya hat Recht, Carsten. Du kannst das!“, ermutigte Laura ihn.

Sie hatte keine Angst davor, Benni einem gerademal Sechzehnjährigen anzuvertrauen, wenn es sich dabei um Carsten handelte. Eigentlich war es ihr sogar viel lieber, wenn er sich um ihn kümmern würde, als irgendeine wildfremde Person, die das alles nur tat, weil es ihr Job war.

Geschlagen seufzte Carsten. „Ich werde es versuchen…“

Zufrieden lächelnd wandte sich Saya nun der ganzen Gruppe zu. „Ich mache mich dann mal wieder auf… Hier ist ja nun alles in guten Händen. Bis bald.“

„Wir sollten auch gehen, es gibt hier sowieso nichts mehr zu tun. Abgesehen davon, bei dir gibt’s vermutlich bald Essen, Laura.“, meinte Ariane, doch Laura schüttelte stur den Kopf. „Ich will hierbleiben!“

Eagle seufzte. „Wenn du einen auf Dickkopf machst, lässt das Benedict auch nicht schneller genesen. Am Ende kippst du uns sogar noch aufgrund von mangelnder Ernährung um und das hilft ihm garantiert noch weniger.“

„Aber Benni-“

„Ich bleibe hier, Laura. Keine Angst.“ Carsten warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu, doch es entging ihr nicht, dass er selbst Aufmunterung bräuchte.

Natürlich…, dachte Laura traurig, Immerhin ist Benni für Carsten wie ein großer Bruder. Ihn belastet das ganze garantiert auch so…

Nun verstand sie auch, warum sich Carsten so geniert hatte, Bennis Pflege zu übernehmen. Er würde sich jeden Tag um seine Wunden kümmern, in der Angst, sie würden doch nicht heilen können, oder er würde gar einen Fehler machen und am Ende dafür verantwortlich sein, dass Benni… nie wieder aufwachen würde…

Schluchzend warf sie sich erneut in seine Arme. 
„Es tut mir so leid…“, murmelte sie weinend in seinen Pulli.

Zögernd erwiderte Carsten ihre Umarmung, senkte aber schließlich den Kopf und legte seine Stirn auf ihren Scheitel. „Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen.“

Laura konnte die Zeit nicht einschätzen, die sie so auf dem Gang standen, bis Carsten sich letztlich von ihr löste und meinte, sie sollten langsam zurückgehen. Wenn sich an Bennis Situation etwas ändern würde, würde er ihnen sofort Bescheid sagen.

Sosehr es Laura auch wehtat, das Krankenhaus verlassen zu müssen, sie war erleichtert, dass jedenfalls Carsten bei Benni blieb.
 

Zwei Tage waren nun schon seit jenem Feuer vergangen… Zwei Tage, in denen sie während der Besuchszeit nach Benni schauten und sich trotzdem nichts verändert hatte.

Zwei Tage, die er bedingungslos durchschlief.

Diese zwei Tage fühlten sich wie zwanzig endlose Jahre an.

Laura brachte keinen Bissen herunter und kam auf höchstens drei Stunden Schlaf pro Nacht. Ihr ging es grauenhaft, ein Nervenzusammenbruch folgte dem nächsten. Und die ganze Zeit hatte sie Benni in dem Zustand vor Augen, in dem sie ihn zum ersten Mal nach dem Feuer gesehen hatte. Auch wenn sich seine Situation inzwischen etwas gebessert hatte und er bereits ohne diese Atemmaske klarkam…

Sie schien für diese kurze Zeit ziemlich abgenommen zu haben und verbrachte diese ganzen zwei Tage fast so, wie im Halbschlaf. Laura wusste bereits nach wenigen Sekunden nicht mehr, wovon die anderen gerade sprachen und die aufmunternden Worte von Rebecca, Ariane, Carsten oder irgendeinem anderen hatten sowieso immer nur den gleichen, bedeutungslosen Inhalt: Es wird schon, mach dir keine Sorgen.

Aber es passierte nichts!

Es waren nun schon zwei Tage vergangen und es war bisher nichts passiert!
Rein gar nichts!

Und nun saß Laura mal wieder schluchzend an dem Bett, in dem Benni schon seit zwei Tagen schlief… und es würde doch wieder nichts passieren…
 

~*~
 

Er hatte das Gefühl, sein ganzer Körper würde in Flammen stehen. In quälenden schmerzhaften Flammen, die nicht erlöschen wollten. Und wie eine Dauerschleife suchten ihn immer und immer wieder dieselben Bilder heim. Jene Bilder, wie seine Meisterin vor seinen Augen von den Flammen verschlungen wurde. Wie ihn das Feuer einsperrte. Und natürlich der Phönix aus Feuer, ein gewaltiges Monstrum, das ihn verschlingen wollte.

Benni war als habe er tausende Kugeln seiner ‚Black Death‘ im Leib.

Sein Kopf pulsierte und alles schien sich zu drehen. Er wollte die Arme heben und sich die Schläfen massieren, ließ es bei dem aufkommenden höllischen Schmerz jedoch bleiben.

Stattdessen öffnete er die ihm so schwer vorkommenden Augenlider, während er blinzelnd versuchte, seine Sicht zu schärfen.

Benni vernahm gedämpft, dass sich mehrere Personen bei ihm in der Nähe befanden, die sich aufgebracht unterhielten. Unter diesem erdrückenden Stimmengewirr hörte er, wie andere Stimmen wiederum seinen Namen riefen.

Träge drehte Benni seinen pulsierenden Kopf etwas in die Richtung, aus der er die Stimmen hörte, als ihn der dabei aufkommende Schwindel erneut fast in die Ohnmacht führte.

Er versuchte, mehrmals ruhig durchzuatmen, während sich seine Lungen schmerzhaft zusammenzogen, als sie nach anscheinend endloser Zeit wieder Sauerstoff bekamen.

Nun schärfte sich allmählich auch sein Blick und er konnte die Stimmen immer deutlicher hören und unterscheiden.

Als er wieder nahezu normal sehen konnte und nicht gleich wieder vom Schwindel erfasst wurde, wandte er sich der Stimme zu, die ihm am nächsten schien.

Eine helle, klare Stimme, die sowohl Trauer als auch Hoffnung verriet.

„…Laura?“, fragte er matt.

„Du… Du bist wach! Ein Glück, du bist endlich aufgewacht!!!“, rief sie voller Erleichterung und fiel Benni überglücklich um den Hals. Dieser gab einen unbeabsichtigten Schmerzenslaut von sich, als sie mit ihrer überschwänglichen Freude seinen Körper berührte. Der Schwindel kam zurück. Das Feuer kam zurück. Die Bilder-

Laura schien es bemerkt zu haben, denn sie löste sich schnell von ihm und murmelte ein betroffenes „Entschuldigung…“.

„Wie geht es dir?“, fragte Carsten besorgt, der neben Laura stand.

Benni wusste keine Antwort.

Wie ging es ihm?

Er spürte eine gähnende Leere in sich, die ursprünglich von seiner Meisterin und seinem Zuhause gefüllt wurde.

Wo sollte er nun hin?

Wieder zu Laura, deren Vater ihn mit einem schadenfrohen Grinsen wieder als ihr Leibwächter einstellen würde, falls er sich überhaupt so gnädig zeigte?
Zu Konrad und Rina oder gar zu Carsten, die ihn vermutlich sogar gerne aufnehmen würden? Dennoch würde er das Gefühl haben, dort nicht hinzugehören. Ihnen nur eine Last zu sein…

„Benni?“, unterbrach Carsten seine perspektivlosen Gedanken.

Er antwortete nicht.

Was sollte er denn sagen? Ihm ging es miserabel, doch das könnte sich sein bester Freund eigentlich denken.

Carsten seufzte bedrückt. „Immerhin bist du noch am Leben, das ist die Hauptsache.“

Benni erwiderte nichts darauf.

Was hatte es noch für einen Sinn, dass er am Leben war?

„Allerdings haben wir seitdem nichts von Eufelia-Sensei gehört und im Feuer haben wir sie auch nicht sehen können…“, ergänzte Carsten besorgt.

„Sie ist tot.“ Bennis Kehle war rau, fast schon ausgetrocknet und seine Stimme hatte kaum die Kraft, diese drei Worte aussprechen zu können.

Carsten starrte ihn ungläubig an. „W-wie denn das? Wir haben noch nicht einmal ihren Leichnam gefunden.“

„Sie ist verbrannt.“, antwortete er, mit derselben schwachen Stimme und versuchte, die Bilder auszublenden. Doch es gelang ihm nicht.

„Mein Beileid…“, murmelte Susanne ergriffen.

„Wobei ich mich schon frage, wie du das dann überleben konntest…“, überlegte Anne.

„Vielleicht liegt es ja an dem Kreuzanhänger, den du und Laura habt.“, sinnierte Carsten.

„Hä? Wie kann ein Kreuz Leben retten?“, fragte Ariane verwirrt.

Carsten schüttelte den Kopf. „Nicht das Kreuz, sondern das Material, aus dem es gemacht ist. Es heißt ‚Viecor‘, ein besonderes Metall, über das man viele Legenden erzählt. Eine davon ist, dass es eine Person wiederbeleben kann, wenn diese und eine weitere Person sich gegenseitig ein solches Metall in irgendeiner Form geschenkt haben und wahre Liebe sie verbindet.“

Benni merkte, wie Lauras Gesicht einen tiefen Rotton annahm.

„Oh wie süß, die wahre Liebe hat dich gerettet!“, rief Öznur begeistert.

„Unsinn.“, murmelte er erschöpft vor sich hin, obwohl ihm das Reden immer noch schwerfiel. Er wusste genau, was ihn da vor den Flammen bewahrt hatte.

„Glaubst du denn nicht an die wahre Liebe?“, fragte Öznur kritisch.

Benni seufzte. Wie sollte er an so etwas wie ‚wahre Liebe‘ glauben, wenn er noch nicht einmal wusste, was Liebe war?

„Das ist nicht von Bedeutung.“, erwiderte er jedoch nur. Kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte, konnte er die Gestalt erkennen, die ihm Schutz vor dem Feuer geboten hatte. Es war der farblose, oder genauer durchsichtige, Drache gewesen. Der Dämon, der den Körper von Eufelia-Sensei verlassen hatte, kurz bevor dieser zu Asche verbrannte. Zu Asche… Eufelia-Sensei, sein Zuhause, … Das alles war nun Asche…

Deprimiert senkte Laura den Kopf. „Liebe ist also bedeutungslos?“

Benni suchte nach Worten, um ihr zu wiedersprechen, doch sein immer noch schmerzender Kopf behinderte ihn dabei, weshalb er keine Antwort fand. Doch das interpretierten die anderen offensichtlich als ein ‚ja‘, da Ariane plötzlich seufzte: „Das ist mal wieder typisch für dich. Super gemacht eiskalter Engel, du hast Laura schon wieder zum Weinen gebracht!“

„Ist schon gut Nane… Er hat ja Recht, im Moment ist es völlig egal…“, schluchzte Laura.

Benni warf einen Blick auf sie, als ihn erneut Schwindel überkam. Er wusste nicht, was er nun sagen sollte, um sie aufzuheitern… Das übernahm für gewöhnlich Carsten…

Schließlich meinte er: „Was mich vor dem Tod bewahrt hat, hatte nichts mit Liebe zu tun gehabt. Außerdem bezweifle ich, dass Liebe so stark sein kann…“

Den letzten Teil hätte Benni besser nicht sagen sollen, wie er nun feststellen musste, als Laura endgültig in Tränen ausbrach.

Seine Meinung war eigentlich logisch. Wie würde ein Gefühl auch etwas so Übernatürliches bewirken können? Doch anscheinend hatten die anderen darunter verstanden, dass er dem Gefühl an sich keine große Bedeutung zuschrieb.

Benni seufzte und wollte Laura beruhigen, dass er es nicht so gemeint hatte. Doch Ariane kam ihm zuvor: „Ich hätte eigentlich mehr Taktgefühl von dir erwartet. Ich weiß, dass es dir gerade wohl alles andere als gut geht aber… Weißt du eigentlich, was Laura alles durchgemacht hat, während du hier gelegen hast?!? Weißt du eigentlich, wie schlecht es ihr deinetwegen ging?!?!? Bist du überhaupt daran interessiert, dass sie glücklich ist?!? Offensichtlich nicht!“
Benni wollte ihr widersprechen, doch da schrie Laura auch schon: „Nane, sei still!!!“ und rannte weinend hinaus.

„Laura, warte!“, rief Ariane und rannte ihr hinterher.

Öznur stöhnte auf. „Super gemacht, Leute!“

Ohne Worte waren sich die anderen einig, Laura ebenfalls zu folgen.

„Gute Besserung.“ Susanne lächelte Benni noch bedrückt an, dann verließ sie mit den anderen gleichermaßen das Zimmer. Nur Carsten blieb zurück.

Verärgert schaute er Benni an. „Was sollte das?“

Benni wollte etwas erwidern, doch Carsten ließ ihn nicht dazu kommen. „Du hast wirklich keine Ahnung wie es ist, verliebt zu sein, oder? Du denkst wirklich, Liebe sei schwach! Verdammt, diese Liebe hat Laura in die tiefsten Depressionen gestürzt, während du bewusstlos warst!!!“

Er kramte eine Schachtel Tabletten aus seinem weißen Arztkittel und knallte sie auf den kleinen Tisch neben Bennis Bett. „Falls du nicht einschlafen kannst.“, meinte er. „Aber wehe du kommst auf die Idee, mehr als eine zu nehmen. Zuzutrauen wäre es dir!“

„Carsten, ich-“

„Manchmal kann ich wirklich verstehen, warum dich die Menschen für ein Monster halten!“

Carsten machte auf dem Absatz kehrt und verstört beobachtete Benni, wie sein bester Freund die Tür hinter sich zuschlug und ihn mit der Einsamkeit zurückließ.

Beklommen starrte Benni zur weißen Decke hinauf.

Die Brandwunden an seinem Körper spürte er kaum mehr, sosehr ergriff ein tosender Schmerz in seinem Herzen seine Wahrnehmung.

Hatte Carsten das ernst gemeint?
Hielt sogar er ihn für ein Monster?

Die Welt drehte sich. Ihm wurde übel. Carstens Worte hallten in seinem Kopf nach. Das Atmen fiel ihm immer schwerer.

Er versuchte an etwas anderes zu denken. Versuchte, diese erdrückenden Gefühle auszuschalten. Doch erfolglos.

Benni schaute zu den Schlaftabletten, die Carsten auf den Nachttisch gelegt hatte, als ihm erneut schwindelig wurde. Diese Schmerzen waren unerträglich… Trotz der Wunden, die teils wieder aufrissen, streckte Benni seinen Arm nach den Tabletten aus.



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