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Revenge of Rakazel

von

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Seik

Beim besten Willen. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, welches Argument ihn am Ende umgestimmt hatte doch noch auf das Fest zu gehen, um sich anrempeln, herumstoßen und von aufdringlichen Händlern und Gauklern belagern zu lassen. Eigentlich hatte er sich fest vorgenommen den Tag Zuhause zu verbringen, mit der besten Gesellschaft die er sich vorstellen konnte, nämlich sich selbst. Jetzt stand Seik mit wirrem, ungemachten Haar und einer Zigarette zwischen den Lippen inmitten der feiernden Menschenmasse und überlegte wann er dieses Fest jemals als Spaß empfunden hatte. Irgendwann nachdem er heute Morgen die frischen Hinterlassenschaften seiner kleinen, pelzigen Mitbewohner von der Fensterbank geschoben und hinaus auf die Straße geblickt hatte, war vielleicht ja ganz unverhofft ein Hauch nostalgischer Sehnsucht über ihn gekommen, dessen er sich nicht deutlich bewusst gewesen war. Vielleicht hatten aber auch nur die leeren Flaschen, die sich in seinem Zimmer häuften, den richtigen Ausschlag dafür gegeben und der dringende Wunsch den Tag nicht auf dem Trockenen zu verbringen, während andere Leute fernab seiner Behausung ausgelassen auf den Straßen feierten, ihre Sorgen vergaßen und das Fest genossen. Selbst der ärmste, beinlose Krüppel erfreute sich heute an dem ach so herzlichen Beisammensein. Für einen Tag waren alle gut drauf. Für einen Tag war das Fuorium ein Ort der Freude. Nur leider ging dieser Funke immer noch nicht auf Seik über. Er war nicht fröhlich und schon gar nicht in Feststimmung. Wie konnte es sein, dass er kein bisschen den euphorischen Freudentaumel verspürte? Da war kein Zauber, der ihn plötzlich wie all die anderen packte, seine grimmigen Mundwinkel nach oben schnellen und ihn den dringenden Wunsch zu singen und zu tanzen verspüren ließ. Stattdessen zog er ein Gesicht wie Dreitageregenwetter, dessen Anblick Kinder automatisch zum Flennen bringen konnte. Ihm selber war ebenfalls zum Heulen zumute. Es war das erste Mafuufest, das er im Fuorium feierte, oder besser gesagt war er dazu gezwungen es hier zu verbringen. Die Tatsache war ebenso erbärmlich wie sein Aussehen. Eigentlich war er ein hoch gewachsener Mann mit schmalen Schultern und dunklen Mandelaugen, der sicherlich auch attraktiv aussehen konnte, aber er war schrecklich abgemagert, seine Haut ungesund blass und die Wangen eingefallen. Unter seinen Augen hatten sich tiefe, dunkle Ringe gebildet und die schwarzen, ungekämmten Haare glänzten vor Fett. Vor ein paar Wochen hatte deswegen auch der alte, gesplitterte Spiegel verschwinden müssen, den er in einem Anfall von Selbstmitleid zerstört hatte. Der Anblick des Mannes darin war einfach nicht mehr zu ertragen gewesen. Die Menschen im Fuorium nahmen kaum mehr Notiz von dieser schäbigen Erscheinung. Seik konnte es immer noch nicht ganz einsehen, aber er war mit der Zeit zu einem unauffälligen Schatten geworden, der sich dem Leben im Fuorium angepasst hatte.

Vor ein paar Monaten hatte das noch anders ausgesehen, aber da war er auch noch ein stolzer Mann gewesen und nicht dieses Abbild von Gevatter Tod. Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert gefühlt, als sie ihn noch erkannt, ausgelacht und ihm wüste Beschimpfungen hinterhergeschrien hatten. Danach durfte er sich jedes Mal darum bemühen, das faule Obst und die rohen Eier wieder von Gesicht und Kleidung zu bekommen. Jetzt flogen ihm nur noch selten Nahrungsmittel hinterher, denn irgendwann hatten die Fuorier begrüßenswerterweise damit aufgehört ihm zu signalisieren, was sie von ihm hielten und seine Anwesenheit einfach akzeptiert. Niemand interessierte sich mehr für ihn, sondern übersah ihn für gewöhnlich. Er war ein elendiger Fuorier geworden, der einen abgenutzten, dunkelbraunen Mantel trug, der seine besten Tage längst hinter sich hatte, und der in einer verlassenen Behausung lebte, die er Rattenloch nannte. Es war eine schäbige, verwahrloste Kneipe um die sich niemand mehr kümmerte und inzwischen war sie so heruntergekommen, dass sich sowieso kein Mensch mehr dafür interessierte. Er besaß nicht genügend Geld, um sich eine anständige Wohnung zu leisten, also nutze er stattdessen diesen Unterschlupf als behelfsmäßige Unterkunft. Mit all ihren kleinen Nachteilen. Dach und Fenster waren undicht und ständig der Witterung ausgesetzt, dementsprechend sah es im Inneren aus und genauso klamm und modrig roch es auch. Dazu kam, dass es dank dieser lästigen Mäuse und Ratten ständig nach Kot stank. Die verfluchten Viecher schafften es immer aus den Fallen zu entkommen, die Seik für sie aufstellte. Am Ende hatte er es aufgegeben und sich damit abgefunden in Mäusemist herumzutreten. Was das Dach anging, so hatte er einmal versucht die Lücken auszubessern, war nach seinem recht dürftigen Bemühungen, die Nerven und verschlissene Hände gefordert hatten, mit einem Bein durch das morsche Holz eingebrochen und hatte ein noch größeres Loch als vorher in die Decke gerissen. Danach hielt er es nicht mehr für sinnvoll einen neuen Versuch zu starten. Wenn doch die verdammten Mäuse nicht so gute Schwimmer wären, dann würden sie wenigstens ersaufen, wenn das Haus mal wieder unter Wasser stand.
 

„Was für eine Farce“, murmelte Seik aus den Gedanken gerissen. Mit starrem Blick sah er sich in der Menge um. So sehr man sich das alles hier auch für einen Tag schön redete und auch wenn die Gassen noch so übersäht mit billigem Festschmuck waren, dieser Ort blieb trotzdem ein elendes Loch und er verachtete es. Mafuu konnte ihn mal. Das Fuorium konnte ihn mal. Und alle anderen auch.

Seik beschloss diesem einfältigen Denken schnell ein Ende zu setzen. Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und schnippte den abgebrannten Stummel dann ins feuchte Laub vor seinen Füßen, als er sich den Verkaufsständen näherte. Seine Finger waren bereits steif vor Kälte und er schob sie in die Manteltaschen, um sie wieder aufzuwärmen. Beim Überfliegen des breiten Angebotes der Kaufleute wurde er plötzlich auf die laute, raue Stimme eines riesigen Kerls aufmerksam, der ganz in der Nähe stand. Ein Wunder, dass ihm der Mann nicht schon eher aufgefallen war, immerhin konnte man ihn kaum übersehen mit seiner merkwürdigen Aufmachung und dem lauten Organ. Dieser breitschultrige Kerl maß locker über zwei Meter. Anhand seiner Körpergröße und der Mähne rotbraunen Haares, das in gewaltigen Rastern von seinem Kopf hing, schloss Seik, dass es ein Mann aus den Bergen sein musste. Die Bewohner dort waren bekannt für ihren groben, kräftigen Körperbau. Scheinbar handelte es sich bei dem Hünen ebenfalls um einen Händler und der Spirituosenwagen, an dem er lehnte, gehörte zu seinem Stand. Er unterhielt sich gerade mit einem jungen, schmächtigen Burschen mit frechem Gesicht, neben dem er erst recht riesig wirkte. Seik konnte zwar nicht verstehen was sie zusammen redeten, aber es musste eine recht amüsante Unterhaltung sein, denn der breite Mund des Riesen verzog sich gerade zu einem Grinsen. Er konnte spitze, raubtierhafte Eckzähne aufblitzen sehen, ehe der Mann herzhaft auflachte. Seine Faust traf dabei auf eine Kiste und brachte das Holz bösartig zum Knacken. Wenn dieser Mann zuschlug, konnte er mit Sicherheit Knochen zum Zerbersten bringen. Seik warf einen skeptischen Blick auf die Kiste, während er ganz nebenbei im Kopf die Personen durchging, denen er so einen Schlag ins Gesicht wünschte, und fragte sich was solch ein Kerl wohl darin aufbewahrte. Ohne sich dessen genauer bewusst zu sein, hatte er sich den beiden ungleichen Gestalten genähert und bekam auch den regen Wortwechsel mit.

„Was haste denn eigentlich da drinnen, hä?“ Scheinbar war nicht nur Seik, sondern auch der Junge, am Inhalt der Kisten interessiert. Der Hüne lachte abermals.

„Ein Blick in die Wunderkiste kann so manchem das Leben kosten. Dann wird es zappenduster. Aber ich kann dich beruhigen, Kleiner, heute gibt es nur faule Pelze und nen feinen Schluck aus der Nachbarschaft. Den anderen Fusel der hier verkauft wird kann man genauso gut benutzen um den Ofen am Brennen zu halten. So, pass mal auf!“

Mit einem kräftigen Ruck riss der Mann den Kistendeckel, der mit Nägeln versiegelt worden war, einfach auf und schmiss ihn achtlos hinter sich. Offensichtlich fasziniert von den übernatürlichen Bärenkräften des Hünen, sah der Bursche dem Deckel nach, der knapp vor Seiks Füßen krachend auf dem Boden landete. Seik starrte benommen hinunter. Ein wenig mehr Schwung und das Ding hätte ihn glatt getroffen. Er schluckte den Schrecken schnell runter und warf einen Blick auf den offen gelegten Inhalt der Kiste. Neben einer Vielzahl pelziger Kleidungsstücke, die wohl für die kalte Zeit Isgrids gedacht waren, konnte er auch einige Flaschen mit fremdländischem Etikett entdecken. Der Hüne zog gerade eine Fellmütze heraus, die er dem Burschen über den Kopf stülpte.

„Mit so nem Fussel auf deinem Kopf wird Isgrids Atem zu nem Klacks“, sagte der Riese.

Der Bursche riss sich die Mütze schnell wieder herunter und musterte sie abfällig. „Ich will nicht wissen, was das früher mal war. Stinkt ja furchtbar der alte Fetzen.“ Er schmiss das Ding über die Schulter und wühlte dann in der Kiste, bis er mit einem zufriedenen Blick eine der Flaschen herausholte.

„Na, was haben wir denn hier?“

„Ahh, du hast ein gutes Näschen, mein Kleiner. Hast gleich den guten Tropfen entdeckt.“

Seik konnte noch immer nicht fassen, dass er nun zu Typen wie denen gehörte. Aber noch mehr als seinen Ärger über das unachtsame Verhalten des Hünen, der ihm gerade einen Riesenschrecken eingejagt hatte, interessierte ihn nun seine Ware. Er brauchte jetzt wirklich einen guten Schluck, egal mit welcher rüpelhaften Gesellschaft er sich dabei abgeben musste. Er ignorierte seine Abneigung und gesellte sich zu den beiden dazu, um sich schließlich an den Hünen zu wenden, der mit dem Rücken zu ihm stand und gerade wieder in die Unterhaltung mit dem Burschen vertieft war.

„Was ist Euer stärkster Tropfen?“, fragte Seik mit ruhiger Stimme und merkte wie ihm allmählich etwas mulmig zumute wurde. Er war wirklich nicht klein, aber direkt neben dem Kerl kam selbst er sich wie ein Hänfling vor. Der Händler drehte sich prompt zu ihm um, als er Seiks Murmeln hörte und begann ihn zu mustern. Er trug eine Brille mit getönten Gläsern, wohinter seine Augen nicht zu sehen waren. Nur Seiks eigenes, blasses Gesicht spiegelte sich darin und blickte reglos zu ihm zurück.

„Hey, Freund. Meinste mich, oder willst du mit meinem Rücken sprechen?“

„Entschuldigung, wie unhöflich von mir. Ich möchte eine Eurer Flaschen kaufen.“

„Kannst du überhaupt was vertragen, Bübchen? Du siehst ja aus, als wenn du mir umkippst, bevor du das Glas angesetzt hast.“ Er taxierte Seik mit einem leichten Stoß an der Schulter. Diese eigentlich lustig gemeinte Geste löste bei Seik allerdings mittlere Empörung aus.

„Zeigt Ihr mir nun Eure Ware?“, versuchte es Seik erneut, denn er hatte keine Lust das Gespräch weiter zu vertiefen. Der Händler schien dies wohl unhöflich aufzufassen, denn selbst ohne in seine Augen sehen zu können, war ihm die Skepsis deutlich vom Gesicht abzulesen.

„Wenn du gute Ware haben willst, dann biste hier bei mir genau richtig. Aber pass mal auf das auf, was der gute Raffa dir hier sagt. Heut ist ein Fest und da sollte man ein bisschen feiern. Mach dich mal locker und zieh nicht so ein langes Gesicht, sonst stolperst du beim Gehen noch über deine eigenen Mundwinkel.“

Besagte Mundwinkel schienen sich nochmal eine Idee tiefer zu ziehen.

„Ich werde darüber nachdenken“, sagte Seik tonlos. Auf Ratschläge dieses Kerls konnte er nun wirklich herzlichst verzichten.

Neben sich hörte er nun ein lautes Klappern. Von dem jungen Burschen waren nur noch sein Hinterteil und die Füße zu sehen, nachdem er in der großen Kiste abgetaucht war. Seik blickte schweigend zu dem Jüngling, der nach Herzenslust mit seinen schmutzigen Griffeln in den Waren herumwühlte und dabei vergnügt gluckste, während ein Kleidungsteil nach dem anderen den Weg zum Boden fand. Schließlich hatte er einen breiten Schal gefunden den er sich sogleich um den Hals legte.

„Der gefällt mir! Den nehm ich mit. Nem netten Kerl wie mir gibst du das Ding doch umsonst, oder?“

„Hey, halt mal den Schnabel, Bambino, ich hab hier zahlende Kundschaft.“

Erst jetzt schien der ungehobelte Bursche auf Seik aufmerksam geworden zu sein und blickte interessiert herüber, während er wieder aus der Kiste stieg. Kaum dass er sich dazu gesellt hatte, verzog er in Seiks Anwesenheit auch schon frech grinsend den Mund.

„Uhh, meine Güte. Hast du nicht irgendein Duftwasser, das du dem anbieten kannst, Raffa?“

Was für ein dämlicher Idiot, dachte sich Seik und wiederholte nochmal sein eigentliches Anliegen. „Was ich möchte ist ein guter Tropfen.“ Er war überrascht wie ruhig und geduldig seine Stimme blieb, obwohl er einen eindeutig schärferen Tonfall eingeschlagen hatte. „Ein STARKER Tropfen, verstehen wir uns?“

Raffa lachte selbstsicher und legte seinem frechen Kumpanen den Arm über die Schulter.

„Sicher! Willst du was zum Saufen haben, musst du Meister Raffa fragen. Ich sags immer wieder. Und mit dem Duftwasser hat mein Freund hier gar nicht so unrecht. Du riechst wie ein Wiesel nach dem Erbrechen. Demian, schau mal nach der Flasche mit dem großen, roten Etikett und bring sie her. Das Zeug brennt einem die Zunge raus.“

„Alles klar!“ Der Junge wand sich unter dem schweren Arm hervor und machte sich wie ihm geheißen worden war auf die Suche. Mit stolz geschwellter Brust und einem albernen Grinsen auf dem Gesicht kam er schon bald mit der besagten Flasche zurück und reichte sie Seik mit einer übertriebenen Verbeugung. „Hier, der Herr, nur für unsere besten Kunden. Ich empfehle Euch dazu ein ordentliches Bad in ner Eselstränke oder dem Brunnen da drüben.“

„Oh man, Kumpel, sei nicht so hart mit unserem Stinktier. Der Kerl hats auch nicht leichter als ihr alle hier. Die erste Flasche geht aufs Haus. Lasst uns zusammen anstoßen und auf Mafuu trinken bis wir zu den Sternlein singen.“

Seik blickte den Riesen unbeeindruckt an. Sie hatten recht, er roch wirklich streng, aber dass es ihm dieser Kerl noch unter die Nase reiben musste, zeugte nur davon wie erbärmlich die beiden selber waren. Und dann noch dieses scheinheilige Mitgefühl des Händlers. Auf die Schippe nehmen konnte er sich selber sehr gut, dafür brauchte er dieses Pack nicht. Ohne Selbstironie hielt man es hier auch nicht aus. Nur die Aussicht auf einen guten Schluck und noch mehr darauf die Flasche nicht bezahlen zu brauchen, machte die beiden erträglich für ihn. Ansonsten hätte er wohl keine weitere Minute freiwillig mit ihnen verbracht.

„Also dann, auf Mafuu“, sagte Seik, nahm die entkorkte Flasche von Demian entgegen und prostete den beiden kurz zu, ehe er einen kleinen Schluck daraus nahm. Der scharfe, würzige Geschmack war überwältigend und trieb ihm fast die Tränen in die Augen. Schon jetzt spürte er wie sich eine leichte, angenehme Taubheit in seinem Kopf ausbreitete. Er nahm schnell einen zweiten Schluck und gab die Flasche dann Demian zurück, der nur darauf zu warten schien, dass sich erste Anzeichen von Ekel auf Seiks Gesicht bemerkbar machten und nun enttäuscht war, dass er sich nicht weiter die Blöße gab. Misstrauisch schnüffelte der Bursche nun selber am Flaschenhals und kniff, vom beißenden Geruch überrascht, die Augen zusammen.

„Was für ein Hexengemisch ist das denn? Naja, wenns den Kerl da nicht aus den Latschen haut… Prost!“

Der Idiot kippte sich das Gebräu einfach so den Hals herunter. Nicht zu fassen, dachte Seik. Es wunderte ihn nicht, dass der Kopf des Jungen plötzlich eine merkwürdige Farbe bekam, während er schwerlich versuchte sich ein Husten zu verkneifen. Natürlich misslang es ihm kläglich und Raffa musste ihm ein paarmal beherzt auf den Rücken klopfen ehe wieder Ruhe herrschte.

„Du verträgst meine Medizin wohl nicht, was, Kleiner?“

„Hey, lach nicht! Ich… ich sauf euch noch untern Tisch, warts ab.“

Seik sah gelangweilt zu wie die beiden lauthals miteinander feixten, bis sein Blick wieder an den Ständen entlang zur feiernden Masse glitt. Am Rand einer Gasse stand ein Feuerspucker, der die Schaulustigen mit seinen einfältigen Tricks begeisterte. Manche dachten wirklich dieser Humbug zeuge von Zauberei, aber die lausige Vorführung hatte mit wahrer Magie nichts gemein. Seik sah zu wie sich der Mann gerade wieder eine seiner brennenden Fackeln zwischen die Lippen hindurch, tief in den Rachen schob, da fiel ihm die Zofe auf, die völlig aufgelöst weiter hinten in der Menge herumirrte. Er fragte sich gerade, was ein Dienstmädchen hier alleine zu suchen hatte, als sie schon wieder in der Menge untergegangen und somit aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Die Antwort auf seine Frage ließ nicht lange auf sich warten, denn kurz darauf wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf seine derzeitige Gesellschaft gelenkt. Zu der nun noch eine weitere Person dazugekommen, oder besser gesagt gestolpert, war. Und zwar genau gegen Demian, der auf einem großen Fass mit Met Platz genommen hatte.

„Verzeihen Sie…bitte…bitte vielmals...ich...oh“, stammelte der Neuling.

Seine Körperhaltung und die edle Kleidung verrieten Seik, dass es sich zweifellos um einen Dentrianer handelte. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass er hier auf den Spross der Familie Deviresh treffen würde. Schnell wand er den Kopf wieder ab. Seit wann ließen sie ihn ohne Beaufsichtigung auf das Fest? Das hier war kein Ort für Lourde Deviresh. Seik hatte in sehr kurzer Zeit erfahren müssen wie anders das Leben in dieser Schicht war und dass Raufbolde und Diebesgesindel nur darauf warteten ahnungslosen Bürgern aufzulauern und sie zu überfallen. Da fiel Seik die Zofe wieder ein. Sie musste ihn verloren und nach ihm gesucht haben. Mit einem Mal fühlte er sich extrem unwohl in seiner Haut. Ob Lourde ihn auch erkannt hatte? Anstatt es herauszufinden, stand er nur da, den anderen den Rücken zugewandt und hoffte nicht angesprochen zu werden. Mit etwas Glück verschwand der Junge gleich wieder und ersparte beiden eine peinliche Situation. Der Junge konnte nicht wissen, was wirklich vorgefallen war und Seik hatte keine Lust sich unangenehmen Fragen zu stellen. Sicher hatten sie ihm ohnehin, wie allen im Dentrium, ihre fein zurechtgelegte Version des wirklichen Geschehens präsentiert, die in den Köpfen der Menschen die Wahrheit ersetzte. Selbst wenn der Junge ihm glaubte, würde das nichts an seiner jetzigen Situation ändern.

Zwischen den beiden jungen Männern war derweil ein kleiner Streit ausgebrochen. Demian machte sich über Lourde lustig und versuchte ihn mit Sticheleien davon zu überzeugen einen Schluck aus der Flasche mit dem roten Etikett zu nehmen, was dieser zu Seiks Erleichterung beharrlich verweigerte. Wäre er tatsächlich darauf eingegangen, hätte er vermutlich mehr Feuer als der Straßenkünstler gespuckt. Die frechen Sprüche mussten ihm dennoch ziemlich zusetzen, denn an Lourdes Stimme konnte Seik erkennen, wie aufgebracht der Junge wirklich war. Die Worte sprudelten ungelenk aus seinem Mund und gerieten dabei in eine zu hohe Tonlage, die seinen Gebärden etwas Lächerliches anhaften ließ. Es war kein Wunder, dass es Demian köstlich amüsierte Lourde damit aufzuziehen. Dieser Zirkus schien ewig anzudauern, bis der Spirituosenhändler endlich eingriff und vorschlug einen besseren Platz zu suchen um das Fest anzusehen.

Seik konnte gar nicht sagen wie sehr er diese Entscheidung begrüßte. Er wollte sich gerade unbemerkt aus dem Staub machen, da sprang Demian von seinem Sitzplatz und bot Lourde damit freie Sicht auf Seik. Für einen kurzen Moment blickte er ihm geradewegs ins Gesicht. Schnell wich er dem fragenden Blick aus und verfluchte sich dafür, aufgesehen zu haben. Ob Lourde ihn erkannt hatte, vermochte er allerdings nicht zu sagen und ehe der Junge ein weiteres Wort verlieren konnte, war Demian auch schon wieder bei ihm und griff nach seiner Schulter. Kurz darauf hörte Seik wie die Flasche auf dem Asphalt zu Bruch ging. Lourde stand reglos mit geöffnetem Mund da und wie es aussah fehlten ihm schlicht die Worte um seiner Empörung über Demian Ausdruck zu verleihen. Einerseits hatte Seik schon fast Mitleid mit ihm, anderseits strapazierte Lourdes Anwesenheit allmählich wirklich seine Nerven.
 

„Verschwinde einfach, Lourde.“
 

Im gleichen Moment verwünschte er es den Mund aufgemacht zu haben. Natürlich zog er augenblicklich wieder Lourdes Aufmerksamkeit auf sich, der ihn verwirrt anstarrte und ganz offensichtlich versuchte den Mann zu identifizieren. Er konnte sich wohl keinen Reim daraus machen, woher Seik seinen Namen kannte und auch Raffa und Demian schienen recht irritiert. Einen ausgemergelten Kerl wie ihn mit einem jungen, adligen Mann in Verbindung zu bringen, bedurfte schon einer tollkühnen Vorstellungskraft.

„Kenne ich Euch nicht?“ fragte Lourde unsicher, während er langsam näher kam. Dann war der Groschen endgültig gefallen und Seik konnte ihm die Erkenntnis deutlich aus den Augen ablesen. „Bei den Göttern. Ihr?“

Seik seufzte tief und rieb sich mit der Hand über das Gesicht, über Kinn, Wange, Nase und schließlich über die gerunzelte Stirn. Jetzt musste er sich doch der Situation stellen, die er lieber vermieden hätte.

„Seid Ihr es wirklich?“

Freudlos starrte er in das fragende Gesicht vor sich und fühlte wie er allmählich im Erdboden versank. Das hier war um einiges demütigender als die Sticheleien des frechen Burschen. Lourde verkörperte für ihn die unliebsamen Erinnerungen an das Dentrium und die Erniedrigung die man ihm beigebracht hatte. Das die Fuorier ihn wie Dreck ansahen, daran hatte er sich gewöhnt, Lourde dagegen kannte ihn nur als den Mann, der er einmal gewesen war. Die Gestalt die jetzt vor ihm stand musste anwidernd für ihn sein und das traf Seik auf eine so beklemmende Art, dass er sich zurück versetzt fühlte an die ersten Tage seines Lebens im Fuorium.

„Die Zofe sucht nach Euch. Seid Ihr etwa weggelaufen?“ sagte er trocken und versuchte so über seine Situation hinwegzutäuschen. Der letzte verbliebene Hauch von Stolz verbot ihm, seine Niederlage vor Lourde zu zeigen. Tatsächlich fühlte sich sein Mund jedoch mit einem Mal trocken an und ein dumpfes Pochen rührte sich schmerzhaft hinter seiner Stirn.

„So ein Unsinn. Ich sehe mich nur auf dem Fest um und Mary ist dicht hinter…oh?“ Lourde drehte sich um, doch von der Zofe nach der er Ausschau hielt fehlte jede Spur. Was ihn aber nicht sonderlich zu stören schien. „Egal, ich kann schließlich selber auf mich aufpassen. Aber Ihr…“ Sein erstaunter Blick wanderte wieder an Seik herauf und hinunter. Es ließ keinen Zweifel offen, dass Lourde sein Anblick äußerst unangenehm war. „Ihr seht ekelerregend aus. Es muss furchtbar sein in der Unterschicht zu leben.“

Seik blickte Lourde ruhig an, auch wenn sich innerlich etwas in ihm zusammenzog. Er tat sich selber gerade unendlich leid und ihm fiel nichts weiter ein als zu sagen: „Man gewöhnt sich dran. So schlimm ist es gar nicht.“

„Wirklich? Kann ich mir gar nicht vorstellen“, murmelte Lourde träge und versetzte Seik damit unbeabsichtigt einen weiteren Stich. Der Junge war tatsächlich naiv genug zu glauben, dass er die Wahrheit sagte. In seinen Augen konnte Seik nicht mehr sein als ein abgewrackter Kerl von der Straße, der sich in Gesellschaft großmäuliger Volltrottel betrank. Glaubte er allen Ernstes, dass er sich das selber ausgesucht hatte? Die Ironie, die über dem ganzen lag, war perfekt.

„Du solltest gehen und das Fest genießen“, riet er Lourde, da fiel ihm schon Raffas raue Stimme ins Wort.

„Wir bekommen Besuch.“

Seik blickte auf, um zu sehen was Raffa meinte und schluckte. Die Zofe war wieder aufgetaucht, diesmal allerdings nicht alleine sondern in Begleitung zweier Männer. Den einen erkannte Seik als rangloses Mitglied der Magiergilde, an dessen Namen er sich aber nicht mehr erinnern konnte. Mehr Sorge bereitete ihm der andere Mann. Es handelte sich um Gillermo Sabik, der Hauptmann der Rittergarde, und es war unschwer zu erkennen, dass seine Laune im Augenblick nicht die Beste war. Sie mussten Lourde entdeckt haben, denn sie liefen geradewegs auf Raffas Stand zu.

„Was haben wir denn hier für einen Haufen stinkender Ratten? Nehmt mal schnell die dreckigen Griffel von Deviresh oder ich vergess, dass heut ein netter Festtag ist.“

Demian zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern, ihm machte die Drohung scheinbar keine Angst. Ganz im Gegensatz zu Lourde, der leicht zusammen schreckte, als er den tiefen Bass des Hauptmanns vernahm. Dieser baute sich nun in der offensichtlichen Absicht Eindruck zu schinden, übertrieben imposant vor ihnen auf, die Schultern aufrecht gestrafft und mit einem überheblichen Grinsen auf seinem fiesen, kantigen Gesicht. Sein stechender Blick fixierte die kleine Gruppe mit unverhohlener Abfälligkeit und machte unmissverständlich klar, dass er nicht bereit war Kompromisse einzugehen. Lourde trat mutig einen Schritt nach vorn und wandte sich an den Magier, der bislang nur still daneben gestanden hatte.

„Es ist alles in Ordnung. Können wir nun bitte gehen? Die Parade fängt gleich an.“

Als Antwort wurde der Junge am Ärmel gepackt und grob mitgezerrt. Die Stimme des Magiers klang alt und zitternd, aber seine Worte waren deutlich.

"Ihr kehrt auf der Stelle ins Dentrium zurück."

Für Lourde war das Fest hiermit vorbei. Sie würden ihn auf der Stelle wieder in sein Anwesen führen. Der Junge blickte den Magier erschrocken an und machte Anstalten zu widersprechen, aber dann senkte er nur betrübt den Blick und folgte anstandslos. Es war schade für Lourde, dass sein Ausflug nun ein so jehes Ende fand, aber Seik verstand die Gründe nur zu gut, weshalb man ein so strenges Auge auf ihn hielt. Er war für das Dentrium von unschätzbarem Wert. Ihn selber brauchte es allerdings nicht mehr zu interessieren was in der Oberschicht vor sich ging, also beschloss er, dass ihm dieser Zwischenfall egal sein konnte. Was ihn aber nicht davon abhielt dem Ritter, der zurückgeblieben war, nochmals höflich darauf hinzuweisen, dass sie in ihrer Aufsichtspflicht versagt hatten.

„Ich würde vorschlagen dem Jungen das nächste Mal einen gewissenhafteren Bewacher an die Seite zu stellen“, sagte er und machte keinen Hehl aus seinem Spott, den er für das unachtsame Verhalten übrig hatte. Gillermo zog als Antwort auf Seiks Kommentar blitzschnell sein Schwert und hielt es in seine Richtung. Seine feisten Lippen formten ein heuchlerisch galantes Lächeln.

„Lieber Seik.“ Er lachte höhnisch. „Ich möchte dich darauf aufmerksam machen, dass deine erbärmliche Erscheinung hier unerwünscht ist. Ich würde dir raten nicht aufzufallen, sonst sorge ich höchstpersönlich dafür, dass eine ekelhafte Ratte weniger im Fuorium herumlungert. Konntest du mir folgen oder muss ich deutlicher werden?“

Seik nickte langsam und beschwichtigend. Er hatte sehr wohl verstanden und war schlau genug nun besser die Klappe zu halten. Der Hauptmann wusste, dass Seik in dieser Verfassung nur den Kürzeren ziehen konnte und das reizte der Mistkerl selbstverständlich schamlos aus.

„Schon gut. Ich habe verstanden.“ Seik antwortete gelassen und begegnete, ungerührt von der Schwertspitze des Hauptmanns, weiterhin provokant seinem Blick. Erst Raffas lautes Organ schaffte es der Situation wieder die Schärfe zu nehmen und dafür war er ihm sogar dankbar.

„Heute kein Stress, Bruder. Kommt, Leute, wir verziehen uns endlich. Greift euch was eure schlappen Arme tragen können und dann saufen wir uns woanders ungestört die Hucke voll.“ Raffa lud unbeeindruckt vom Gehabe des Ritters die übrigen Kisten wieder zurück auf seinen Wagen und setzte sich dann in Bewegung.

„Los, Seik. So heißt du doch? Beeil dich. Wir müssen den Pegel bis zur Parade noch steigern, dann kommt das Feuerwerk viel besser rüber.“

„Hast Recht. Hier stinkts. Auf zur Parade!“ pflichtete ihm Demian bei.
 

Seik blieb noch einen Moment stehen, ehe er den verächtlichen Blick wieder abwendete und langsam, das letzte bisschen Stolz bewahrend, an dem gezogenen Schwert vorbei lief um den beiden zu folgen. Gillermo ließ ihn ziehen, doch Seik ahnte, was jetzt in seinen Gedanken vor sich ging.

Geh nur mit deinen stinkenden, verlausten Freunden. Du bist jetzt einer von ihnen. Du bist Dreck“, rauschten die imaginären Worte hämisch durch seinen Kopf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  KiraAoki
2012-09-10T20:34:30+00:00 10.09.2012 22:34
Manches kommt mir wieder wage bekannt vor...aber es gefällt mir wirklich wies geschrieben ist und es macht Lust auf mehr
Von:  Kashiwagi
2012-03-02T21:01:31+00:00 02.03.2012 22:01
Nehmt meine Kritik nicht allzu heavy, ich habe versucht, das Ganze analytisch anzugehen. ^.^

Zum Positiven:
Die Charaktere werden ungezwungen eingeführt und den Perspektivwechsel Lourde/Seik finde ich auch sehr gut! Außerdem mag ich die Gegenüberstellung der Beiden (Lourde, der Super-Super-Super-Naive; Seik, der schon ganz tief unten angekommen ist). Für meinen Geschmack hätte man die beiden noch krasser gegenüber stellen können (nochmal die Kleidung erwähnen, Haltung, Ausstrahlung, Bewegungen?). :3

Zum Negativen:
Über manche Bilder - im Prolog - bin ich jedoch gestolpert:
"Nur das Knistern der Flammen die träge an den Überresten des Kampfes leckten war zu hören" <-- "träge lecken"? Wie habe ich mir das vorzustellen? Vielleicht: "Nur das Knistern der Flammen, die langsam über das Schlachtfeld tanzten, war zu hören", oder "Nur das Knistern der Flammen, die behutsam an den Überresten des Kampfes leckten, war zu hören."

"Die Krähe zog sich nur für eine Weile ins Totenreich zurück, um ihre gebrochenen Flügel zu regenerieren und schließlich wieder neu zu erwachen." <-- "neu zu erwachen"? Die Krähe hat sich gar nicht schlafen gelegt? Sinnvoller wäre sowas wie "...um schließlich wieder in das Reich der Lebenden aufzusteigen" oder "...um sich wieder in die Lüfte zu erheben" oder so.

Und natürlich habe ich ein paar Kommafehler entdeckt, aber die waren zum größten Teil nicht sonderlich tragisch. Vielleicht mit 'ner Rechtschreibfunktion eines Schreibprogramms nochmal drüber gehen?
Von:  May-Li
2012-02-28T20:04:50+00:00 28.02.2012 21:04
Sehr gut geschrieben, es liest sich flüssig. Ich mag die beschriebenen Details, sie machen das Geschehen anschaulich ohne es unnötig zu überladen.Die Charakter werden charmant eingeführt, eine gute Idee fnde ich auch den Perspektivwechsel.
Ganz super, dass ihr es angepackt habt ich freue mich auf die weiteren Kapitel
Von:  Misandrie
2012-02-27T13:49:07+00:00 27.02.2012 14:49
Na das ist doch mal ein großer Auftakt!
Ich freu mich echt riesig, dass ihr zwei euch dazu durchringen konntet einfach mal anzufangen <3
Ich bi sehr gespannt wie's weiter geht, ich liebe eure Charactere schon von den Fanarts her, umso cooler sie jetzt auch mal in Action zu erleben und die Geschichte zu lesen!!
Und es liest sich verdammt gut!!



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