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Marias Monate

Der Jahreskalender 2012
von

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Rumpelkammer

Tante Maria hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, ihren Dachboden ein wenig auszumisten. Dieser war von altem Gerümpel vollgestellt, einige Gegenstände mit einer Geschichte verbunden, mit einer persönlichen Note, andere waren an diesen Ort ihres Hauses verbannt worden, weil sie nicht wusste was sie mit ihnen anfangen sollte. Und manche waren durch das alte Totschlagargument „Das kann man sicher nochmal brauchen“ dort gelandet.

Agnes und Markus hatten sich freundlicherweise bereiterklärt, ihr bei dieser Aufgabe zu assistieren, immerhin war sie nicht mehr die Jüngste und würde bei einigen der Schätzchen, die sich auf ihrem Dachboden befanden, sicher Hilfe beim Transport benötigen. Da Markus aber noch arbeiten musste, würde er sich erst später zu den beiden Frauen gesellen, die schon einmal mit dem Sortieren beginnen wollten.

„Hast du dir denn schon überlegt, was du mit den Sachen machen willst, die du nicht mehr haben willst?“, fragte Agnes, als sie die knarzenden Holztreppen heraufliefen. Tante Maria nickte.

„Selbstverständlich. Einige Dinge werden sicher nicht weiterverwertbar sein, aber die, die es sind, würde ich gerne verschenken oder spenden. Es gibt schließlich genug Bedürftige, die mit, sagen wir, einer alten Kommode oder so noch etwas anfangen können.“

Agnes nickte, sowas hatte sie sich schon gedacht.

„Ist nächste Woche nicht auch ein Flohmarkt von der Kirchengemeinde?“, fragte sie. „Da könnten wir ja versuchen, einige Dinge zu verkaufen.“

Tante Maria nickte, während sie die letzten Stufen zur Dachbodentür hinaufstieg. Abgestandene Luft schlug ihr entgegen, als sie diese öffnete.

Auf dem Dachboden, der nicht so staubig war wie gedacht, erwartete Tante Maria und Agnes ein Sammelsurium aus Bildern, Ordnern, Kisten und kleineren Möbelstücken.

Tante Maria lachte, als sie Agnes faszinierten Blick bemerkte.

„Wenn man lange an einem Ort wohnt, dann sammelt sich viel an“, erklärte sie ihre kleine Schatzkammer. „Was aber auch heißt, dass das Sortieren lange dauert. Wollen wir uns an die Arbeit machen?“

Also begannen sie mit ihrer Arbeit. Neben den üblichen Dingen, die sich in einer Rumpelkammer gewöhnlich anzusammeln pflegten, fanden sich auch einige Kuriositäten.

Einen besonders heftigen Lachanfall beschwor eine Sammlung von alten Lampenschirmen, die Agnes aus einem großen Karton zog.

„Die haben Herbert und ich mal gemeinsam auf einem Flohmarkt gekauft“, erzählte Tante Maria. „Keine Ahnung, was wir uns dabei gedacht haben. Vermutlich fand ich sie damals schön.“

Sie schüttelt sich bei dem Gedanken, das Blumenmuster ist ihr viel zu kitschig. Die Lampenschirme gesellten sich zu einem alten Schränkchen dessen Schubladen fehlten, einem nicht mehr identifizierbaren Gerüst aus Draht und Metall und einigen anderen Kleinigkeiten, die als „nicht mehr verkaufbar“ deklariert worden waren.

Agnes war erstaunt, wie viel in diesen einen Raum passte. Und es waren ja nicht nur die Gegenstände, die hier lagerten.

Tante Maria hatte über fast jede Kleinigkeit, die hier auftauchte, eine Geschichte zu erzählen. Manchmal konnte sie sich an einzelne Begebenheiten erinnern, bei denen der Gegenstand eine wichtige Rolle gespielt hatte, manchmal war es die Geschichte des Kaufes, an die sie sich erinnerte.

Es wurde nicht langweilig, der alten Dame beim Erzählen zuzuhören, vor allem, weil viele ihrer Anekdoten so erzählt waren, dass sie Agnes zum Lachen brachten.

Mit den sperrigen Möbeln waren sie inzwischen fertig, nun kamen die Kartons und Kisten an die Reihe.

Zwischen altem Geschirr, nie benutzten Gardinen in einem scheußlichen Senfgelb und Postkarten und den Geschichten von Tante Maria fühlte sich Agnes irgendwie wohl. Es war wie früher, als sie in der Rumpelkammer ihrer Eltern herumgetobt hatte. Ach, was hatten sie dort für unglaubliche Abenteuer erlebt.

Plötzlich brach der Redefluss von Tante Maria ab. Agnes drehte sich dorthin um, wo sie die alte Dame vermutete, eine buntbemalte Vase noch in der Hand.

„Tante Maria?“, fragte sie vorsichtig. Sie erhob sich und ging zu der Angesprochenen, die auf einen alten Bilderrahmen starrte. Auf dem Foto, das trotz seines Schutzes verblasst war, waren zwei Menschen zu sehen. Den einen davon erkannte sie sofort als eine jüngere Version von Tante Maria wieder. Das Lächeln war unverkennbar, es war also schon vor langer Zeit ihr Eigen gewesen. Den jungen Mann an ihrer Seite konnte sie nicht zuordnen, als sie jedoch den Hintergrund betrachtete …

„Das haben wir gemacht, als wir eingezogen sind“, murmelte Tante Maria, mehr zu sich selbst als zu Agnes. Letztere hatte das Haus, in dem sie sich gerade befand, direkt erkannt. Es hatte sich nicht viel geändert. Gut, der Efeu war die Fassade hinauf gerankt, es war ein Garten angelegt worden und inzwischen war es mehrfach renoviert worden. Aber es war immer noch unverkennbar.

Tante Maria hatte das Bild inzwischen umgedreht und begonnen, die kleinen Verschlüsse zu öffnen, welche die beiden Rahmenteile zusammenhielten.

„Er hat immer etwas auf die Rückseite von Fotos geschrieben, die ihm wichtig waren“, erklärte sie, immer noch ein wenig abwesend. „Das fängt die Stimmung des Momentes noch einmal mehr ein, hat er immer gesagt.“

Der letzte Verschluss öffnete sich, behutsam nahm Tante Maria den hinteren Teil des Rahmens heraus.

Agnes beugte sich ein wenig herunter um einen besseren Blick zu haben.

Auch wenn die Schrift genauso wie das Foto verblasst war, sie war dennoch zu lesen.

„Für die Ewigkeit“, hatte Herbert, Tante Marias verstorbener Mann, vor vielen Jahren auf die Rückseite des Fotos geschrieben. Agnes nahm Tante Maria in den Arm, merkte sie doch, dass die alte Dame den Tränen nahe war. Auch wenn ihr Mann schon vor Jahren von ihr gegangen war, es gab immer noch Momente, in denen sie ihn vermisste.

Agnes schlug vor, eine kleine Pause einzulegen, was sie letztendlich auch taten. Tante Maria hatte das Foto mit sich genommen und es in ihrem Wohnzimmer auf den Kamin gestellt. Der Rahmen wollte nicht zum Rest der Einrichtung passen, man merkte ihm an, dass er aus einer anderen Zeit stammte. Trotzdem war für Agnes der emotionale Wert, den dieses kleine Ding hatte, nicht zu bemessen.

Erst als Markus ankam, kehrten sie auf den Dachboden zurück. Mit der neuen Unterstützung kamen sie schneller voran und konnten am Abend stolz ihr Werk begutachten.

Der Dachboden war aufgeräumt, die einzelnen Gegenstände geordnet und für die Teile, für die es nötig war, war der Sperrmüll bestellt worden.

Agnes und Markus versprachen, am nächsten Tag wiederzukommen, um noch ein paar Kleinigkeiten abzuholen.

Doch der Gedanke an das Bild wollte Agnes nicht loslassen.

Tante Maria hatte so traurig gewirkt, als sie das Bild gesehen hatte, aber gleichzeitig hatte Agnes das Gefühl gehabt, dass die alte Dame einen verloren geglaubten Schatz wiedergefunden hatte.

Agnes wünschte sich plötzlich, dass es irgendwann und irgendwo eine Ewigkeit für die beiden geben würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Maliondarin
2012-10-09T17:20:48+00:00 09.10.2012 19:20
Meine Oma war genauso - egal was, sie wusste zu allem eine Geschichte, etwas, das sie damit verband. Heute ist sie senil und erkennt nicht mal mehr ihre eigenen Kinder, wenn es soweit ist, ist es fast zu spät.
Es ist toll, wie du ihre Trauer rüber bringst, aber auch diesen Funken an Hoffnung und diesen Keim, dass sie da etwas hat, dass ihr Freude gibt, Kraft und Liebe.
Ich kämpfe hier tatsächlich mit den Tränen :////O
Die FF rührt einen, man kann sich dieser Magie nicht entziehen!
Aber trotz allem verlierst du die Story nicht aus den Augen, du ziehst sie rund über die Bühne und obwohl ich jetzt echt gerührt bin, so habe ich auch die kleinen Lacher am Anfang (mit den Lampenschirmen zb.) in Erinnerung. Es ist einfach eine wirklich gelungene Mischung!

Liebe Schreibziehergrüße und
im Rausch des Kommentarfiebers:
Maliondarin
Von:  Pumpkin_Queen
2012-10-03T14:07:56+00:00 03.10.2012 16:07
Ach ich liebe Dachböden! Erst recht die vollgestellten wo man einen Haufen Sachen finden kann!
Nun zur Geschichte;
Ich persönlich habe keine Rechtschreibfehler gefunden nur eine Wortwiederholung im vorletzten Satz. Da hattest du in einem Satz drei 'hatte'. Ist aber nichts dramatisches.

Du hast Marias Gefühle schön ausführlich beschrieben und dem Leser gut nahe gebracht!

Liebe Schreibziehergrüße
P_Q
Von: abgemeldet
2012-09-27T10:59:54+00:00 27.09.2012 12:59
Mahlzeit!

Mensch, das Kapitel ist ja schon freigeschaltet. Dann kann ich auch nicht mehr länger warten und muss es lesen. Der Anfang gefällt mir. Rumpelige Dachböden sind toll - leider haben wir einen Keller. Was auf dem Dachboden ist... Gute Frage.

In den ersten Absätzen nicken mir Agnes und Maria einmal zuviel. Ich weiß jetzt nicht, was man passenderweise sonst sagen soll, leider.

Neben den üblichen Dingen, die sich in einer Rumpelkammer gewöhnlich anzusammeln pflegten, fanden sich auch einige Kuriositäten.
Wieder einer dieser Sätze, die ich wirklich gern lese. Zu tun pflegen, zu tun gedachten und dergleichen mag ich ja sowieso. Aber sie geben der Geschichte noch ein bisschen mehr der Atmosphäre, die man von alten Rumpelkammern einer alten Dame erwarten würde.

Es wurde nicht langweilig, der alten Dame beim Erzählen zuzuhören,
Mir wird es auch nicht langweilig, über Maria und die Siedlung zu lesen.

Das Lächeln war unverkennbar, es war also schon vor langer Zeit ihr Eigen gewesen.
Tanta Maria wird mehr und mehr zu einer meiner liebsten Omis der Welt. Wenn ich das so sagen darf. Nun, schließlich bin ich da auch selbst verantwortlich für. Du bringst den Moment fantastisch rüber!

Agnes wünschte sich plötzlich, dass es irgendwann und irgendwo eine Ewigkeit für die beiden geben würde.
Na toll, jetzt bin ich restlos gerührt. Du hast das fantastisch erzählt! Diesen Moment, etwas verloren geglaubtes wiedergefunden zu haben, der einen gleichzeitig etwas traurig macht. Du hast ein gutes Gespür für Atmosphäre.

Liebe Schreibziehergrüße,
Turnaris


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