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Atlantis

von

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Geheimnisse und Wahrheiten

Weit mehr gekränkt, als wütend stürmte Sasori aus dem Tempel. Was hatte er diesen Fremden denn nur getan, dass sie SO über ihn sprachen? Dass Deidara so über ihn dachte? War er letztlich ein noch viel abscheulicheres Monster, als er es sich jemals einzugestehen fähig war? War er so viel schlimmer, als er sich selbst schon so lange empfand?
 

Seufzend, mit hängenden Schultern, aber geballten Fäusten schnellte er die Treppen zum Platz herab, bis er plötzlich unsanft gegen jemanden stieß und zum Halten gezwungen wurde. Etwas irritiert blickte er auf und sah in Konans von Besorgnis geprägtes Gesicht. Die Hohepriesterin lächelte gequält und legte ihm eine Hand auf die Schulter: „Sasori... Gut, dass ich dich treffe, ich brauche deinen Rat...“ Sie musterte den Rothaarigen, der augenblicklich die ohnehin schon flüchtige Berührung aufhob, indem er einen Schritt zurück machte, ehe sie seinen nervösen Blick registrierte. Sie sah ihn besorgt an: „Was... was ist denn mit dir los? Ist etwas passiert?“
 

Der Krieger hielt einen Augenblick inne. Konan war zwar seine beste Freundin... Innerlich seufzte er. Sie war seine einzige Freundin. Aber das Geschehene lag ihm noch schwer im Magen, der wild rebellierte und nach Erlösung und Zuspruch verlangte, in dem er eine unangenehme Übelkeit verursachte. Doch nach Vertrautheit war Sasori nun wirklich nicht mehr zumute, da konnte sein Magen verlangen, was er wollte. Noch mehr Ablehnung konnte er im Augenblick einfach nicht mehr ertragen. Diszipliniert versuchte er seine Körperhaltung wieder zu entspannen, schluckte die Kränkung herunter und sah die Hohepriesterin gefasst an: „Nicht so wichtig. Wie kann ich dir helfen?“
 

Skeptisch hob die blauhaarige Frau eine Augenbraue und sprach mit mahnendem Ton: „Hör auf zu versuchen mir etwas vorzumachen. Was ist los?“ - „Es ist nichts. Ich habe ein persönliches Problem mit meiner offiziellen Aufgabe. Dieser blonde Dummschwätzer geht mir auf die Nerven, aber das ist nicht von Bedeutung, das weißt du genauso gut, wie ich. Also wie kann ich dir jetzt weiterhelfen?“ - „Sasori, du kannst es mir doch sagen, ich merke doch, dass...“ - „Konan! Genug! Es ist nichts!“ Die Hohepriesterin seufzte leise. Sasori konnte so ein sturer Esel sein, wenn es um private Angelegenheiten ging. Irgendwann würde ihm seine totale Disziplin mal zum Verhängnis werden.
 

Sie nickte jedoch leicht in dem Wissen, dass jedes weitere Nachfragen absolut sinnlos wäre: „Gut, wie du meinst. Aber falls du reden willst, dann weißt du ja, wo du mich finden kannst.“ - „Ja, das weiß ich. Aber so langsam ist meine Geduld am Ende... Was willst du denn von mir, würdest du mir das bitte endlich sagen?“ - „Achso, ja, richtig... Es... Es ist eine sehr prekäre Angelegenheit, weißt du...“ Sie senkte ihre Stimme, bis nur noch ein Flüstern dabei herauskam. „Ich hatte letzte Nacht eine Vision, eine sehr intensive, um genau zu sein. Es ging darum, dass ich einen Spion in unseren Reihen gesehen habe...“ Für einen Augenblick vergaß Sasori jede Kränkung und passte seine Lautstärke der Hohepriesterin an: „Hast du auch gesehen wer es ist?“ Seufzend nickte Konan widerwillig: „Ja, leider... und darin liegt auch mein Problem. Es... Sasori, wenn ich meiner Vision trauen kann, dann handelt es sich um Tsunades Schriftführer...“
 

Die Augen des Rothaarigen weiteten sich vor Überraschung und Bestürzung: „Du meinst doch nicht etwa...“ - „Doch. Ich meine Kabuto...“ Der Krieger seufzte, fuhr sich nachdenklich durch die Haare und schüttelte ungläubig den Kopf: „Nun, das ist in der Tat eine heikle Angelegenheit. Aber ganz abwegig wäre es allerdings auch nicht. Immerhin vertraut Tsunade ihm blind und hat ihn in alle bürokratischen Angelegenheit eingewiesen, die er mittlerweile fast vollständig alleine leitet... Und, um ehrlich zu sein, mochte ich ihn eh noch nie...“ Ein leichtes freches Grinsen stahl sich auf Konans Lippen: „Als wäre das ein Vergleichswert... Aber mal im Ernst, was soll ich machen, ich habe mir schon den ganzen Tag den Kopf zerbrochen darüber... Was ist, wenn die Vision nicht stimmt?“
 

Sasori verschränkte die Arme und sah die Hohepriesterin streng an: „Jetzt wirst du aber zu emotional. Deine Visionen haben bisher IMMER gestimmt. Das ist kein Grund es zu verheimlichen. Du solltest es Tsunade sagen. Immerhin kennt ihr zwei euch deutlich länger und darüber hinaus bist du ihre Vertraute und Hohepriesterin. Es wäre leichtsinnig von ihr, diese Fakten außer Acht zu lassen bei der Bewertung der Lage.“ - „Schon, aber... sie denkt eben nicht so wie du...“ - „Dann merke dir, was ich dir gesagt habe und stimme sie im Zweifelsfall um. Die Fakten sind auf deiner Seite und daran können auch Kabuto oder Tsunade nichts ändern.“ Die junge Frau lächelte milder gestimmt und nickte: „Wahrscheinlich hast du Recht... ich danke dir, Sasori.“ - „Nichts für ungut. Und nun entschuldige mich bitte... ich muss mich ein wenig abreagieren. Ich werde etwas trainieren, die Sitzung von den Oberweltlern wird eh noch eine Weile dauern. Also keine Sorge, ich werde zeitig zurück sein.“ - „Ist gut. Aber sei vorsichtig, bitte. Es ist nur ein Gefühl, aber... ich kann spüren, dass Gefahr im Verzug ist. Noch nicht stark, aber doch deutlich genug, um sie zu spüren.“ Sasori nickte Konan zu, ehe er an ihr vorbei schritt und die restlichen Stufen hinter sich brachte.
 


 

Es war bereits Nachmittag, als Deidara endlich den Tempel verlassen konnte und alle Ergebnisse zusammengefasst und besprochen waren. Er liebte seine Arbeit zwar, aber den Stammbaum irgendeiner Pflanze mit Theorien über ihre evolutionäre Entwicklung in der Abgeschiedenheit dieser biologisch abgeschotteten Welt zu erörtern war eine geistige Vergewaltigung für ihn. Sich die Schläfen massierend, hinter denen es mittlerweile verdächtig und schmerzhaft pochte, machte er sich auf den Weg zu seiner Herberge. Es gab vor dem Abendprogramm, das aus einer Kneipentour durch Atlantis bestehen sollte, gab es für ihn noch die eine oder andere Sache zu erledigen.
 

Als Erstes würde er seine gesamte Habe nach Kopfschmerztabletten durchsuchen. Dieses Pochen war zu einer Unerträglichkeit geworden und er wollte es so schnell wie nur irgendwie möglich loswerden. Als Zweites würde er dann, mit klarem Kopf, Sasori aufsuchen und sich bei diesem entschuldigen. Falls dies überhaupt noch möglich war, so wollte er einfach versuchen noch einmal von vorne anzufangen und den rothaarigen Krieger besser kennenlernen. Und zu guter Letzt würde er wenigstens eine Stunde brauchen, um sich für das atlantische Nachtleben aufzubrezeln. Die fremde Kultur mal nicht aus den Augen eines Wissenschaftlers betrachten, sondern viel eher aus denen eines... Touristen. Und auch mal wieder richtig Party machen, das fehlte ihm schon seit sie hier angekommen waren. Tanzen und sich dem Rausch der guten Laune hingeben, an nichts weiter denken müssen, als an diesen Augenblick, da man auf der Tanzfläche stand und die Musik mit Haut und Haar verinnerlichte. Das war das Größte. Das war geradezu eine Art Kunst. Die Kunst, den Augenblick zu nutzen und jede Sekunde auszukosten, als könnte sie die letzte sein.
 

Zufrieden und besser gelaunt durch die Vorfreude auf das Abendprogramm erreichte Deidara das kleine Haus am Fluss. Der Trainingsplatz war absolut menschenleer und auch im Haus erweckte nichts den Eindruck, als sei jemand zu Hause. Doch wenn der Blonde eines in den letzten Tagen gelernt hatte, dann war es, dass Sasori niemals versuchte seine Anwesenheit deutlich zu machen. Die Chance war also 50:50, ob der Rothaarige daheim war oder nicht.
 

Versucht unvoreingenommen öffnete Deidara die Haustür und betrat vorsichtig den Flur. Während die Tür hinter ihm leise ins Schloss fiel, sah sich der Geologe zaghaft um und murmelte: „Sasori? Bist du da?“ Keine Antwort.
 

Neugierig schlenderte der Blonde ins Wohnzimmer, das er seit der ersten Nacht gepflegt gemieden hatte. Doch abgesehen von den Marionetten war nichts und niemand zu sehen. Mit den Schultern zucken verließ er das Wohnzimmer wieder und schaute auch in den anderen Räumen des unteren Geschosses nach: in der Küche, dem Esszimmer und dem Arbeitszimmer. Doch auch dort war keine Spur seines Gastgebers. Seufzend beschloss Deidara zunächst die obere Etage zu untersuchen, ehe er sich wagte die Werkstatt im Keller zu betreten, da ihm dieses unter allen Umständen vom Hausherren verboten wurde.
 

Im oberen Geschoss jedoch war Sasori weder im Schlafzimmer, noch im Bad oder im zweiten Arbeitszimmer zu finden. Eigentlich WUSSTE Deidara nun, dass der Rothaarige nicht im Haus war. Für üblich hing ein Zettel an der Kellertür, sobald der Krieger dort unten seiner Arbeit nachging. Doch als er diese abermals erreichte war keine Notiz, kein Zettel oder irgendein anderer Hinweis zu finden. Und trotzdem legte Deidara vorsichtig seine Hand auf die Türklinke. Er war von Berufs wegen schon neugierig, doch dieses Mal war der Drang zu wissen, was sich hinter dieser so streng verbotenen Tür befand einfach übermächtig. Um was machte sein Gastgeber bloß so ein großes Geheimnis? War an seinen Anschuldigungen mehr dran gewesen, als er es für möglich hielt? Oder war es gar etwas ganz harmloses, das dem stolzen Kämpfer schlichtweg peinlich war?
 

Grinsend schüttelte der Blonde den Kopf. Seine Neugierde vertrug sich einfach selten mit seiner lebhaften Fantasie. Er musste es jetzt einfach wissen. Verstohlen um sich blickend drückte er die Klinke hinab und öffnete so leise wie möglich die Tür. Es war zwar niemand im Haus, doch die Angst erwischt zu werden beherrschte jeden Schritt, jede Bewegung und jeden Atemzug. Eine Treppe führte vor seinen Füßen in die Dunkelheit hinab. Zaghaft berührte Deidara den Kristall, der hinter der Tür über ihm an der Decke hing. Das aufleuchtende Licht erhellte die Stufen vor ihm, die weit weniger ins Erdreich führten, als er vermutet hatte.
 

Bereits nach ein paar Schritten hatte er die Treppe hinter sich gelassen und stand in einem kleinen dunklen Raum, der von dem Licht des Kristalls kaum Kenntnis zu nehmen schien. Deidara kniff die Augen zusammen und konnte zumindest erkennen, dass ihm gegenüber an der Wand ein Schreibtisch oder etwas ähnliches stand. Mit vorsichtigen Schritten schlurfte der Geologe durch den Raum, mit weit ausgestreckten Armen in der Dunkelheit rührend, um nicht doch noch gegen irgendetwas zu laufen, das er möglicherweise übersehen haben könnte.
 

Zu seiner Erleichterung jedoch erreichte er den Tisch ohne Blessuren oder anderweitige Zwischenfälle, brauchte jedoch noch eine Weile, ehe er in der Dunkelheit endlich den lichtspendenden Kristall gefunden hatte. Das Licht erhellte den Raum und ohne es zu wollen quiekte Deidara erschrocken auf. Um ihn herum lagen zig Ersatzteile für Sasoris Marionetten, hier und dort sogar auch fast komplette Exemplare, Werkzeug und unzählige Mappen, die mit Zeichnungen und Notizen vollgestopft zu sein schienen.
 

Von seiner Neugier abermals besiegt sah Deidara sich nun genauer um. Manche Puppe schien in akribischer Kleinarbeit entstanden zu sein und er musste neidlos zugeben, dass Sasori sein Handwerk durchaus beherrschte. Die Details, die er an so manchem Stück entdeckte, zeugte von meisterhafter Handwerkskunst. Und das alles trotz dieses merkwürdigen Materials. Er konnte sich kaum vorstellen, wie aus einem Riesenpilz etwas so... besonderes entstehen konnte. Als schön mochte Deidara die Marionetten noch immer nicht bezeichnen, aber er konnte sie durchaus als besondere Arbeit anerkennen. Auch wenn er das nicht gerne tat, da es in seinen Augen mit Kunst noch immer nichts zu tun hatte.
 

Sein Blick schweifte über den Schreibtisch und blieb an einem Büchlein hängen, das sich von den anderen Notizheften und Mappen unterschied. Er grinste. Einen Blick würde er wohl riskieren dürfen. Er hatte sich eh schon nicht an Sasoris Anweisungen gehalten, da machte DAS nun auch keinen großen Unterschied beim möglichen Donnerwetter mehr, falls er nun erwischt werden würde.
 

Vorsichtig blätterte er die ersten paar Seiten durch, blieb plötzlich an einem Eintrag hängen, der so anders war, als die davor. Zu seinem Bedauern konnte er mit der Schrift nichts anfangen, doch die Zeichnungen waren sehr informativ. Wie in einem äußerst aufgeregtem Augenblick entstanden war die Schrift ungewöhnlich ungleichmäßig für Sasori. Geradezu hingekritzelt wirkte der Eintrag, unter dem eine beängstigende Zeichnung zu sehen war. Deidara hielt den Atem an und starrte das Bild mit großen Augen an. Dieses zeigte Sasori selbst... allerdings nicht als Mensch, sondern als eine seiner eigenen Marionetten.
 

Er blätterte weiter. Doch mit jeder Seite wurde der offensichtlich geplante Ausbau von Sasori immer bizarrer. Erschrocken klappte Deidara das Büchlein wieder zu und legte es an seinen Platz zurück. Es wirkte auf ihn beinahe so, als wolle der Rothaarige eine Waffe aus sich machen, die mit allem möglichen Schnickschnack ausgestattet war. Er stutzte. War das die Waffe, von der alle sprachen? War Sasori deshalb so unfreundlich, weil es das Ende seiner Menschlichkeit bedeuten würde?
 

Seufzend schüttelte Deidara den Kopf. Er wurde nicht wirklich schlau aus den Aufzeichnungen. Nur eines war nun klar: Sasori verbarg etwas, das mit seinem Dasein als Mensch zu tun hatte und er selbst wollte wissen, was dieses Geheimnis war. Es passte alles nicht zusammen. Sasori war ein absolut loyaler Kämpfer, bereit für Atlantis alles aufzugeben. Da sollte doch die Berufung zu dieser Waffe eigentlich in dessen Sinne stehen. Doch Deidara hatte an diesem Tage mehr als deutlich gemerkt, dass der Rothaarige alles war, aber nicht glücklich. Dieser Ausdruck in den Augen, den würde er Zeit seines Lebens nicht mehr vergessen. Dieser Schmerz, dieser Schrei nach Hilfe, den niemand hörte und offenbar auch nie jemand gesehen hatte. Beschämt musste Deidara auch sich selbst miteinschließen. Bisher war auch ihm dies nicht aufgefallen.
 

Er löschte das Licht und verließ den Keller exakt so, wie er ihn verlassen hatte. Er würde das Geheimnis, das den Puppenspieler umgab, lüften, das schwor sich der Blonde. Er wollte mehr von dem erfahren, was hinter der rauen und distanzierten Fassade verborgen lag. Zunächst jedoch war eine Entschuldigung fällig, die Deidara schon seit dem Morgen auf der Seele brannte. Etwas enttäuscht verließ er das Haus wieder und seufzte. Wo konnte Sasori nur sein?
 

Genervt kickte er einen Stein zur Seite, während er angestrengt überlegte. Doch plötzlich horchte er auf. Länger, als er vermutet hatte, raschelte der Stein, immer leiser werdend, im Gebüsch weiter. Deidara sah auf und folgte dem Geräusch. Vorsichtig schob er ein paar Sträucher zur Seite und hielt erstaunt inne. Neben ihm plätscherte der Fluss unermüdlich eine unerwartet steile Neigung hinab, die offenbar auch sein aus Frust getretener Stein herabgerollt war. Ein kleiner, fast unsichtbarer Trampelpfad verlief parallel zum Fluss an dessen Ufer entlang. Deidara grinste. Fortuna hatte es heute offenbar gut mit ihm gemeint und ihm scheinbar Sasoris kleinen Geheimweg preisgegeben.
 

Behutsam, und darauf bedacht nicht auszurutschen, kraxelte der Geologe die Steigung hinab, bis er den Trampelpfad erreichte und deutlich besseren Halt bekam. Langsam setzte er seinen Weg fort und sah sich um. Noch immer faszinierte diese Umgebung ihn so ungemein. Wie ein urzeitlicher Urwald mutete alles um ihn herum an, fremde Tiere schnatterten, gackerten, pfiffen oder jaulten, begleitet von dem aufgeregten Rauschen des schneller werdenden Flusses. Insekten umschwirrten Deidara. Insbesondere die Leuchtkäfer hatten scheinbar ihren Narren an ihm gefressen und setzten sich in Scharen auf seinem hochheiligen, langen, blonden Haar, das nun aussah, als sei es von hunderten kleinen blauen Perlen geschmückt.
 

Nach knapp zehn Minuten gab Deidara schließlich auch auf zu versuchen, die Käfer mit Wedeln und Schlagen zu verscheuchen, sie waren eindeutig hartnäckiger als er. Zwar schnaubte er genervt, ergab sich allerdings vorerst seinem Schicksal, da seine Aufmerksamkeit von etwas anderem erregt wurde. Der kleine Trampelpfad entfernte sich in einer Rechtskurve ein Stück vom Fluss und wurde noch ein wenig steiler. Links des Weges bäumte sich eine Felsformation auf, die mit jedem Schritt höher wurde. Bald schon neigte sich der Pfad seicht in eine Linkskurve und führte zum Flussufer zurück, als Deidara plötzlich für ein paar Sekunden erstarrte, ehe er sich blindlings in die Büsche zu seiner Rechten warf.
 

Der Fluss, dem er so lange gefolgt war, stürzte als Wasserfall in ein Wasserbecken, das hinter den Felsen zum Vorschein gekommen war. Der Pfad endete ein Stück vor dem Ufer, des Sees, der sich hier gebildet hatte, und der den Fluss an seinem anderen Ende weiter in den Wald hinein verlaufen ließ. Der Strand, der Deidara vom See trennte, war gut 150 Meter lang. Und nun wusste der Blonde, wohin der Trampelpfad führte: Sasoris geheimen Trainingsplatz. Der Rotschopf war nicht zu verwechseln, noch viel weniger die für Deidara persönlich schlimmste Marionette Hiruko. Niemand sonst außer Sasori würde diesem Ungetüm wohl näher kommen, als unbedingt nötig. Und dennoch übte das Bild eine geradezu fesselnde Wirkung auf den Geologen aus. Er schaute einen Augenblick lang aus der Ferne zu.
 

Die Bewegungen des Rothaarigen waren so ungemein grazil und anmutig, fast wie bei einem Tanz. Leise pirschte Deidara sich näher heran, er wollte es nur noch einen Augenblick aus der Nähe ansehen. Er tauchte unter und robbte immer näher an den Strand heran, bis er Sasori gut hören konnte. Vorsichtig hob Deidara den Kopf.
 

Augenblicklich schoss ihm die Röte ins Gesicht. Er war sehr nahe an den Trainierenden herangekommen und konnte diesen nun auch gut erkennen. Deidara schluckte schwer. Sasori trug lediglich eine lockere schwarze Stoffhose zum Training und ließ einen absolut ungewohnt freizügigen Blick auf seinen Oberkörper zu. Die zarte, blasse Haut war makellos und verlieh dem blauen Lichtschimmer um ihn herum eine ungeahnte Noblesse. Schweiß perlte an seinen eher zierlichen Gliedmaßen, die er sonst offenbar zu verstecken versuchte, herab und ließ den Krieger im Schein des Lichtes funkeln.
 

Deidara griff in seine Hosentasche und suchte nach seinem Handy. Er musste diesen Augenblick einfach festhalten, auch wenn das sonst nicht seine Art war. Dieser Moment jedoch war so magisch, so unsagbar atemberaubend, dass er später sicherlich an seiner Wahrnehmung zweifeln würde und dagegen wollte er einfach einen Beweis haben. Zwar war hier das Handy zum Kommunizieren absolut nutzlos, aber für einen Schnappschuss reichte es allemal. Er klappte es auf, ohne den Blick von dem Rothaarigen zu nehmen, hielt es hoch und fixierte sein Motiv, hielt den Atem an und schoss das Foto.... „Klack!“
 

„Verfluchter Dreck!“ schoss es dem Blonden durch den Kopf, klappte das Mobiltelefon eiligst wieder zusammen und verstaute es in seiner Tasche, war jedoch nicht schnell genug, um sich wieder zu verstecken. Mit einem Ruck fuhr Sasori herum und sah den Geologen irritiert an: „Was... was willst du denn hier?“ Verlegen kratzte sich der Ertappte am Hinterkopf und druckste hilflos herum: „Also... ich... ähm... es tut mir Leid, ich wollte dich nicht stören, aber...“ Langsam trat er aus dem Wald heraus an den Strand. Sasori verschränkte die Arme und fauchte gereizt: „Wenn du hier bist, um mich bei bestialischen Schandtaten zu beobachten, so muss ich dich enttäuschen...“ - „NEIN! Nein, so ist das nicht! Wirklich! Bitte... ich... ich wollte mich bei dir entschuldigen, wegen dem was ich gesagt habe. Es war nicht so gemeint.“
 

Der Rothaarige wandte den Blick ab und raunte deutlich betroffener, als er es wollte: „Doch, das war es. Es war so gemeint, das solltest du wohl eigentlich besser wissen als ich. Hör auf mir meine Zeit zu stehlen und mich zu veralbern.“ Deidara stockte. Beschämt senkte er den Blick: „Nun, vielleicht hast du Recht, aber dennoch tut es mir Leid. Ich wollte dich nicht kränken oder so... Es war gemein, was ich gesagt habe, bitte verzeih mir das.“ Sasori seufzte leise: „DU? Mich gekränkt? Ich bitte dich! Aber wenn es dir dann besser geht... vergiss es, nicht so schlimm. Denk nur in Zukunft nach, bevor du redest.“
 

Etwas zerknirscht sah Deidara wieder auf: „Jetzt willst DU mich hinters Licht führen. Du warst gekränkt, eindeutig. Und du bist es noch...“ - „Selbst wenn, es ist bedeutungslos. Ist das Thema jetzt erledigt?“ - „Nein! Ich möchte, dass du meine Entschuldigung annimmst.“ - „Das habe ich doch.“ - „Ich meine aufrichtig.“ - „Hör zu, ich habe keine Lust darauf. Es ist wirklich nicht wichtig oder schlimm oder was-auch-immer.“ - „Wieso ist es nicht wichtig, ob du gekränkt bist oder nicht? Ich finde das sehr wichtig!“ Skeptisch hob Sasori eine Augenbraue: „Jetzt auf einmal? Du hast es doch selbst gesagt: ich bin absolut gefühllos. Also warum sollte es mich interessieren, was du sagst?“ So langsam wurde Deidara sauer. Dieser Rotschopf war ein sturer Esel sonder Gleichen! Seine Angst völlig vergessend stapfte er auf den Krieger zu und piekte diesem mit seinem Finger in die Schulter: „Weißt du wieso?! Weil ich gesehen habe, dass ich Unrecht hatte, deshalb! Jeder Mensch hat Gefühle, hör auf so einen Quatsch zu erzählen!“ - „Fass mich nicht an!“
 

Erst jetzt bemerkte der Blonde die surreale Situation. Er hatte Sasori tatsächlich einfach angefasst und war ihm unverschämt nahe, doch so richtig schlimm konnte er es nicht finden. Viel zu schön war dieser Mensch vor ihm und viel zu entschlossen er selbst. Energisch schüttelte er den Kopf und hörte mit dem Pieken auf, nur um seine Hand schließlich auf die Schulter seines Gegenüber zu legen: „Wieso sollte ich dich nicht anfassen? Hast du etwa Angst?“ Er spürte, wie sich jede Faser im Körper Sasoris anspannte, ehe dieser zischte: „Was erlaubst du dir eigentlich?“ Plötzlich lächelte Deidara süffisant: „Ich erlaube mir zu versuchen dein Freund zu sein.“ Sein Lächeln wurde noch breiter, als er Sasoris Reaktion wahrnahm.
 

Die Gesichtszüge des Kriegers fielen in sich zusammen und er starrte den Blonden fassungslos an. Die Hand auf seiner Schulter brannte schon fast, es war ein so ungemein ungewohntes Gefühl für ihn. Wieder stach diese Hoffnung in sein Herz, dass es schmerzte. Doch Sasori zwang sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Er war körperlich schon nicht sonderlich stark, da konnte er sich nicht auch noch eine geistige Schwäche erlauben. Vorsichtig wich er einen Schritt zurück, so dass der Körperkontakt endete, und schüttelte den Kopf: „Lass mich in Frieden. Du weißt ja nicht, was du da redest. Und jetzt lass mich allein...“ - „Aber...“ - „GEH!“ Geknickt nickte Deidara, sah Sasori jedoch noch einmal an und raunte: „Wir... wir wollen heute Abend ein bisschen feiern. Hast du Lust mitzukommen? Ich lade dich zur Entschädigung ein...“ - „Nein, ich habe keine Lust. Und das ist mein letztes Wort.“
 

Während Deidara zerknirscht den Rückweg antrat, setzte Sasori sich auf einen der Felsen und seufzte. Doch, er hatte Lust mitzugehen. Doch, er wollte schon, dass jemand ihn mochte. Aber er wusste, dass es nicht für lange Zeit halten würde. Er zog Hiruko zu sich und drückte sich an dessen Brust. Er wusste, dass seine Marionette nichts dabei empfand, aber ebenso wenig stieß sie ihn von sich. Das war, so bedauernswert er das selbst in solchen Augenblicken fand, einfach ungemein tröstend. Wäre er mit Deidara gegangen, so hätte er sich wieder der Schande und der Abscheu stellen müssen. Er hätte kein Essen bekommen oder wäre wieder beschimpft worden. Die Menschen um ihn herum hätten sich wieder weggesetzt oder hätten ihn gebeten das Lokal zu verlassen. Lieber tat er so, als wolle er alleine sein, als dass irgendjemand sah, dass alle anderen wollten, dass er alleine war. Und lieber war er alleine, als dass er jemals wieder jemanden lieben oder jemandem vertrauen könnte. Wie seiner Großmutter. Die ihn fortschickte, alleine ließ und ihn wegen seiner Fähigkeiten nicht in ihrem Reich dulden konnte.
 


 

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Deidara wieder am Haus Sasoris ankam. Wie er es auf dem Weg bereits vermutet hatte, so brannte kein Licht mehr, das ganze Haus war dunkel. Er seufzte, als er leise durch die Haustüre trat. Sonst hatte ein Abend voller Spaß und Party bei ihm immer Wunder gewirkt. Heute jedoch hatte er das Gefühl gehabt, gar nicht richtig fröhlich oder ausgelassen sein zu können. Die Sache mit Sasori hatte ihm gehörig die Laune verdorben. Es war ihm ein Rätsel, wieso dieser sture und ungehobelte Klotz ihn so durcheinanderbringen konnte.
 

Abermals seufzte Deidara, während er durch den Flur schlich. Er hatte sich das Treffen am Nachmittag ganz anders vorgestellt. Es drehte sich ihm noch immer alles, wenn er an diesen Körper dachte. Sein Herz klopfte und sein Blutfluss wurde unangenehm umgeleitet. Deidara hielt an der Treppe inne und sah zum Wohnzimmer. Er hatte eine Ahnung und die Gelegenheit war günstig, um sich Klarheit darüber zu verschaffen. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt, so dass er zwar langsam, aber sicher ins Wohnzimmer schlich, wo er sich umsah.
 

Die Couch jedoch war leer. Deidara stutzte, als er neben dem Sofa etwas entdeckte. Leise pirschte er um das Möbelstück herum, bis er Sasori, auf dem Fußboden liegend, entdeckte. Der Rothaarige schlief nur in einer legeren Hose und hatte die Decke weg gestrampelt. Was den Blonden jedoch absolut verwirrte war die Tatsache, dass Sasori mit seinem Kopf auf der Brust von Hiruko schlief und sich an seine Marionette kuschelte. Unruhig bewegte er sich ständig und murmelte leise vor sich hin.
 

Deidara ging neben Sasori in die Hocke und sah diesen eine Weile einfach nur an, währenddessen sich ein Lächeln auf seine Lippen stahl, bis das Murmeln des Rothaarigen etwas lauter und deutlicher wurde: „...wieso... bitte nicht... lass mich nicht alleine... ich habe doch nichts getan... warum... warum hasst ihr mich... nicht alleine lassen... Deidara...“ Der Blonde blickte auf und sah Sasori plötzlich liebevoll an. Während er diesem sanft und vorsichtig über den Kopf strich wurde ihm seine Ahnung tatsächlich zur Gewissheit. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Sasori anders war. Für ihn ganz persönlich war der Rothaarige einfach etwas Besonderes. Dieser zog ihn an, wie das Licht die Motten. Es war weit mehr, als einfach nur rein äußeres Interesse. Er hatte sich in das Wesen hinter der steinernen Fassade verliebt.
 

Zärtlich hauchte er dem Atlanter einen Kuss auf die Stirn.



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