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russischer Winter

Teil 1
von

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Kap. 2 Abschn. 1

Eigentlich liebte er es ja, Gastgeber zu sein. Es ließ ihn seinen nun nicht wirklich angenehmen Ruf vergessen. Als Ludwig darauf bestanden hatte, die Konferenz ordnungsgemäß, trotz der Unannehmlichkeiten des russischen Winters, bei ihm stattfinden zu lassen, war der Aschblonde als Erster dafür gewesen, auch wenn er seine Meinung für sich behalten hatte. Nun bekam er allerdings die Quittung für seinen Egoismus. In Form eines liebeswilligen Franzosen, der sich an den süßen Kanadier hängte, eines mies gelaunten Preußens, eines genervten Englands und eines eifersüchtigen Amerikas. Einerseits freute er sich auf seine Geschwister und so viel Lebendigkeit in seinen 4 Wänden. Andererseits bereute er es, manchen seiner Gäste nicht einfach den Maulkorb anlegen zu können. Zum Beispiel Alfred, der ihm gerade wieder irgendwelche Weltherrschaftspläne vorwarf.
 

"Aber da ich der Held, hier bin, werde ich es zu verhindern wissen! Hörst du das, Ivan?!"

Im Übrigen ging es gerade um die Erhöhung der Erdölpreise in den arabischen Ländern.
 

Neben Alfred seufzte es entnervt. Er konnte verstehen, wieso der Engländer so genervt war. Vielleicht sollte er ihn doch in ein anderes Zimmer stecken? Allerdings würde sein Plan, die Geschwister wieder zu versöhnen, dann nicht mehr funktionieren. Natürlich tat er es aus reinem Eigennutz. Seine gesamte Hoffnung lag darin, dass England seinen Bruder dann endlich wieder unter Kontrolle bekommen würde und er die Versammlungen nicht jedes Mal müde, angepisst und mit Migräne verlassen müsste.
 

Keiner widersprach dem Brillenträger. Schließlich war er ja, der ach so große Held der Nationen. Und das war einfach nicht seine Art, ihn zu unterbrechen. Geduldig hörte er sich die Verschwörungstheorien des selbsternannten Helden an. Bis er schließlich auf die Uhr sah. Kurz vor zwölf. Er musste langsam das Mittagessen vorbereiten. Eigentlich dauerte es ja nicht so lange, aber für so viele Leute zu kochen war nun mal eine Disziplin für sich... Da war er dankbar für die Hilfe seiner Geschwister und vor allem von England, der sie ihm nach dem Frühstück wieder angeboten hatte. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, stand er einfach nur auf und sah den plötzlich still gewordenen selbsternannten Helden an.
 

"Hör mal zu, Amerika, schön und gut, aber sei so nett und lass meine Möbel heil, wenn du versuchst, diese Pläne zu finden, da? Ich habe keine Lust, mir neue kaufen zu müssen.", sagte er mit einem Lächeln und bemüht gelassener Stimmlage, doch man sah ihm seine Wut anscheinend an, da ein paar Länder erschrocken zusammenzuckten.
 

Ohne ein Kommentar von Alfred abzuwarten, ging er einfach aus dem Raum raus. Dabei folgten ihm Nataliya, Ekaterina und England, wobei sich sogar noch Toris hinzugesellte, was den Großen ziemlich erstaunte. Schnellen Schrittes ging der Mann mit den aschblonden Haaren in die Küche und ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen, der kläglich knarrte.
 

"Что случилось брат? Так устаёшь от этих встреч?"

"Да не из-за встреч это."

"Aмерика, да?"

"Да..."

Genervt stieß die Weißrussin die Luft aus.

"Да уж. Он надоел."

"Aга. И это ещё мягко сказано."
 

Langsam gingen Litauen und England zu ihnen und setzten sich auf die zwei Stühle ihm gegenüber. Nataliya ging mit Ekaterina gewohnheitsmäßig zum Herd und sie fingen an, dort herumzuwerkeln. Schon bald bekamen die drei Männer Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln in Bergen vor die Nase gestellt, mit ihnen zusammen Behälter für den Abfall und Schälmesser. Dankbar nickte der Russe seinen Schwestern zu und fing mit der Arbeit an. Eigentlich hasste er es, aber da seine Schwestern definitiv mehr vom Kochen verstanden als er selber, überließ er es ihnen. Obwohl er kein schlechter Koch war und oftmals selber was Leckeres fertig brachte. Nur kochte er eben nicht jeden Tag.
 

"Also gut Toris, was ist los, da?"

Ertappt zuckte der Braunhaarige zusammen und schüttelte den Kopf.

"Nichts Russia-sama."

"Lüg mich nicht an, mein Freund. Umsonst wirst du wohl nicht hier sein."

Beschämt senkte der junge Mann den Kopf. Sowohl ihm, als auch Arthur, war durchaus klar, dass es nichts bringen würde, den Größeren anzulügen, dennoch konnte der Russe es nachvollziehen, dass Toris nicht sofort mit der Sprache rausrückte. Zumindest, wenn es um den Grund ging, an den er gerade dachte.

"Stimmt wieder etwas mit Feliks nicht?"
 

Erstaunt sah der Grünäugige zu seinem Bruder auf. Verwunderung stand in den sonst vor Sanftmut leuchtenden Augen geschrieben und ließ sie leicht trübe werden. Außerdem las der Russe noch etwas anderes darin. Angst. Angst vor ihm und vor dem, wie das Gespräch laufen wird.
 

"Hör mal, wenn es um Geld geht, ich kann euch nichts geben, meine Regierung ist schon wegen den letzten paar 'Spenden' aufmerksam geworden. Sie ermitteln jetzt und wenn hochkommt, dass ich euch immer noch helfe..."

"Nein, nein, darum geht es auch gar nicht."

Nun doch etwas erstaunt, hob der Russe eine Augenbraue. Normalerweise ging es immer darum. Auch wenn sie nicht mehr in einem Haus lebten, er war immer noch ihr Bruder und fühlte sich für sie verantwortlich. Darum half er ihnen immer noch, wo er nur konnte. Und sei es auch nur mit lächerlichen Spenden.

"Viel eher wollte ich dich um deinen Segen bitten“, sagte Litauen kleinlaut.
 

Als Ivan die nächsten Worte sprach, klang seine Stimme seltsam rau und sein Hals fühlte sich trocken an.

"Wer?"

"Feliks", kam erneut die kleinlaute Antwort zurück.
 

Unmerklich für ihn selber verfinsterte sich das Gesicht des Großen. Er war nicht imstande, etwas zu sagen, dennoch hatte er das Gefühl, das er es musste. Dabei wusste der Braunhaarige doch, in was für eine Zwickmühle er ihn damit brachte! Wenn es nach ihm ginge, würde er es genehmigen, denn auch Toris hatte mal etwas Glück in seinem Leben verdient, das er ihm ja oft genug zur Hölle gemacht hatte, wie er sich heute ungern eingestand. Aber die Beziehung zwischen zwei Männern... Vor allem noch eine Heirat! Das überschritt seinen Toleranzbereich eindeutig. Allerdings waren homosexuelle Partnerschaften in seinem Land erlaubt und auch er selber musste langsam lernen, sie zu tolerieren und damit umzugehen. So sehr es ihm leider Gottes auch widerstrebte.
 

"Verdammt Toris. Da reitest du mich aber in eine tiefe Zwickmühle, da."

"Verzeih, ich hätte es dir nicht sagen sollen."

"Nein, was getan ist, ist getan. Du kannst deine Worte nicht wieder zurücknehmen, da. Aber..."

"Ich soll nicht von dir erwarten, das zu tolerieren?"

"Nein. Du sollst nur nicht von mir erwarten, dass ich das gutheiße, was du da machst. Ich werde es tolerieren, wenn es sein muss, sogar akzeptieren. Meine Pflicht als Bruder und Nation. Aber dennoch werde ich das nicht gutheißen."

"Das heißt, ich habe deinen Segen?"

"Да. Даже если мне что-то тихо на ухо шепчет, что я об этом очень, очень скоро пожалею."
 

Freudestrahlend sprang der Braunhaarige auf und rannte aus der Küche raus. Seit wann genau war Toris eigentlich so aufgedreht? Oder war das tatsächlich nur deswegen, weil er den Segen bekam? Wenn der Russe es so bedachte, musste es den Kleineren viel Überwindung gekostet haben, darum zu bitten. Seufzend, ohne sich um die fragenden Blicke des Engländers zu kümmern, begann er mit dem Schälen der Kartoffeln und bemerkte, wie auch der Kleinere anfing, sich an den Berg Karotten vor ihm zu machen. Plötzlich erklang ein sanftes Lachen im Raum und schon hing ihm jemand am Hals, ohne dass er es verhindern konnte.
 

"Mein kleiner Ivan wird ja langsam erwachsen!"

"Katya, lass mich los!“, sagte der Russe deutlich weniger begeistert.

Nach einem Minutenlangen Gerangel, in der er sich die Mühe machte, sich von seiner Schwester zu befreien, schaffte er es, sich von ihr zu lösen, wenn auch mit einem breiten Grinsen. Nicht, dass er was dagegen hatte, von seinen Schwestern umarmt zu werden, aber wenn er sich nicht gewehrt hatte, war er sich schon fast lächerlich sicher, dass Ekaterinas Brüste ihn erwürgt hätten. Auch England lachte amüsiert, woraufhin der Russe ihm nur leicht schmollend eine Kartoffelschale ins Gesicht warf, was den Anderen nur noch mehr auflachen ließ und ihn selber noch breiter grinsen. Irgendwie entschädigte ihn das gerade dafür, dass er sich die letzten Stunden über Amerikas Gelaber reinziehen musste. Plötzlich schwang die Tür auf und Alfred stürmte in die Küche rein. Das sowieso schon wütend aussehende Gesicht verfinsterte sich zunehmend, als dieser seinen Bruder mit dem ehemaligen Kommunisten sah.
 

"Was ist hier los?"

"Wer fragt dies?", fragte der Russe nur zurück, wobei seine Laune augenblicklich auf den Nullpunkt zurückfiel.

"Der Held."

Leise seufzte der Engländer und schaute entschuldigend zu Russland, bevor er aufstand, seinen Bruder am Ärmel packte und ihn hinter sich herauszog. Dabei konnte der Russe einige englische Flüche vernehmen und hätte wahrscheinlich aufgelacht, weil das so niedlich wirkte, wenn da nicht die eine Sache wäre, die er noch mehr hasste als seine Migräne.
 

Unpünktlichkeit.
 

Doch seine letzte Hoffnung, das Mittagessen schnell fertigzubekommen und später noch etwas Zeit zu haben, um seine Papiere zu sortieren, ging gerade aus der Küche, seinen Bruder hinter sich schleppend und beschimpfend. Als die Tür zufiel, hätte er wahrscheinlich aufgeflucht, wären nicht seine Schwestern dagewesen. So war das Einzige, was er tat, missmutig das Gesicht zu verziehen und weiterzuarbeiten. Und zwar so zügig wie möglich.
 

~*~
 

Allerdings kam er nicht so gut hinterher, wie er es gerne gehabt hätte. Seine Schwestern hatten ihn nicht angesprochen und er war ihnen dankbar dafür. Schließlich wollte er weder reden, noch sonst irgendwas, außer schnell fertig zu werden. Und das Arbeiten erforderte nun mal Konzentration. Kaum mit dem Kartoffelberg fertig geworden, machte er sich an die Zwiebeln und später auch an die Möhren. Amerika hatte ihm ja schon immer mal gerne das Leben schwer gemacht, doch diesmal hatte er sich eindeutig selbst übertroffen.
 

Allerdings war er doch noch rechtzeitig fertig geworden und half später seinen Schwestern beim Schneiden. Auch beim Decken war er dabei gewesen. Doch gegessen hatte er nicht. Sein Magen streikte schon seit Wochen und durch die Blicke einer bestimmten Person wurde es nicht besser. Ihm war durchaus klar, dass Gilbert nur gekommen war, weil sein Bruder krank war. Dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Freude, dass der Preuße in seinem Haus war. Vielleicht lag es daran, dass er früher sehr an ihm gehangen hatte, vielleicht auch daran, dass es ihm eine gewisse Genugtuung verschaffte, zu wissen, dass der Preuße nun doch noch wieder in Russland war, obwohl er ihm geschworen hatte, ihre Wege würden sich nie wieder kreuzen.
 

So kam es also dazu, dass er nach zwanzig Minuten den Esssaal verlassen hatte, ohne etwas außer Wodka zu sich zu nehmen. Ekaterina hatte ihn zwar versucht, zu überreden, doch etwas zu essen, doch ihm war nicht danach. Dafür plagten ihn zu viele Gedanken. Zu viele Gedanken und viel zu viele Erinnerungen, die einzig durch diesen Kerl mit den rubinroten Augen wieder hochkamen. Erinnerungen über die Vergangenheit und alles, was er je falsch gemacht hatte.
 

Als Gilbert ihn vor Jahren verlassen hatte, hatte er es sich nicht nehmen lassen, dem Russen noch mal alles an den Kopf zu werfen, was dieser falsch gemacht hatte. Und diese letzten Worte, bevor Gilbert sich umgedreht hatte und das Haus mit einem lauten Türknall verlassen hatte. Drei Worte, die er noch nie direkt gehört, aber so oft in den Augen anderer Nationen gesehen hatte. Allen voran Amerika. Drei Worte, die so sehr verletzen konnten, wie ihr Gegenteil glücklich machte.
 

"Ich hasse dich!"
 

Frustriert seufzte er auf und fischte in seiner Hosentasche nach dem Wodka, den er aber nicht fand. Natürlich, er hatte ihn extra weggeschlossen, bevor seine Gäste gekommen waren. Schließlich hatte er ein guter Gastgeber sein wollen und da war eine Wodkafahne bis nach Kiev nun einmal nicht drin. Leise fluchend, machte er sich auf den Weg zu seinem Zimmer und schnappte sich seinen Mantel, bevor er sich beeilte, seine Stiefel anzuziehen und nach draußen zu kommen. Dort ging er zielsicher in den hintersten Winkel seines Anwesens, zu den Hundehütten. Noch ehe er allerdings da war, stürzten sich vier riesige Hunde zu ihm. Lachend ging er in die Hocke und kraulte ihre mächtigen Köpfe.

"Na, ihr vier? Wo habt ihr beiden denn Besi und Rex gelassen?"
 

Ehe er zu Ende gesprochen hatte, hörte er lautes Gebell und zog die Augenbrauen zusammen. Blitzschnell schnappte er sich zwei Leinen und nahm zwei der Hunde. Löste mit geübten, zielsicheren Bewegungen die stabilen Eisenketten von den Halsbändern und befestigte die beiden Lederleinen dran.

"Nikta, Rem, los sucht sie."
 

Kaum war das ausgesprochen, stürmten die Hunde nach vorne und zogen ihn hinter sich her. Es kostete ihn einiges an Kraft, nicht einfach nur loszulassen. Als sie aber um die Ecke bogen, erblickte er ein Bild, das ihn zuerst stutzen und dann schmunzeln ließ. Schweden stand am Zaun angelehnt da und schaute aufmerksam zu Finnland, der Besi den Bauch kraulte, während diese sich genießerisch auf dem Rücken im Schnee wälzte. Dabei sprang der kleine weiße Hund aufgeregt um Rex umher, der diesen sichtlich irritiert musterte und nicht wusste, wie genau er nun reagieren sollte. Schmunzelnd trat er an sie heran, ohne etwas zu sagen. Wachsam hob Berwald den Blick, nickte ihm dann aber als Begrüßung ruhig zu. Er nickte zurück. Das war einer der Gründe, warum er sie mochte. Berwald war zwar ein wenig steif für seinen Geschmack, aber er war stets höflich und ruhig. Tino dagegen schien ihn bisher nicht bemerkt zu haben. Erst als er die Stimme erhob, zuckte der Kleinere zusammen und blickte ihn zuerst irritiert, dann freundlich lächelnd an.
 

"Ich hoffe doch sie machen euch keinen Ärger, da?"

"'lles 'kay."

"Это хорошо."

"Deine Hunde sind wirklich süß. Sind das wirklich die, vor denen du uns gewarnt hast?, fragte Tino neugierig und hörte nicht auf, Besi zu kraulen.

Er schmunzelte erneut. Nun war er sich gar nicht mehr so sicher. Normalerweise waren vor allem Besi und Rex die Misstrauischsten, wenn es um Fremde ging. Auch wenn Nikta und Rem wohl definitiv die Gefährlicheren waren.

"M'ch w'ndert d's auch. B'st du dir s'cher, dass d's deine W'chhund' sind?"

"Da. Normalerweise vertrauen sie Fremden nicht so schnell."

"S'cher?"
 

Misstrauisch musterte der Schwede ihn. Nun war Ivan auch klar, weshalb er so angespannt ausgesehen hatte. Anscheinend machte er sich Sorgen darum, dass seinem Begleiter etwas zustoßen könne.

"Keine Sorge, auch wenn sie euch anscheinend ins Herz geschlossen haben, sind sie dennoch Wachhunde."

"D's he'ßt?"

"Das sie euch verteidigen werden, wenn sie Gefahr wittern. Egal ob Tier oder Mensch."
 

Verstehend, aber immer noch misstrauisch, nickte der Blauäugige und musterte Tino, der wieder Besi kraulte. Plötzlich sprang sie auf und Tino an. Sofort wollte der Schwede eingreifen und den Hund wegziehen, doch der Russe kam ihm zuvor und hielt ihn auf. Als er sich einen wütend-fragenden Blick einfing, lächelte er nur leicht. Augenblicklich ertönte Tinos Lachen, der versuchte, sich zu befreien und zumindest die noch trockenen Stellen seines Gesichtes vor Besis feuchter Zunge und der Schnauze mit dem warmen Atem und dem Maulgestank zu retten. Erleichtert atmete der Schwede aus und entspannte sich wieder, während Ivan ihn losließ und Tino versuchte, den großen Hund von sich wegzudrücken.
 

"Ich würde euch trotzdem nicht raten, nachts hier spazieren zu gehen, da."

"W'rden's beacht'n."

"Ладно."

Mit einem Lächeln und einem erneuten Nicken, kraulte er Rex und Besi kurz, bevor er sich umdrehte und wieder ging. Er wollte das 'junge Glück' nicht weiter stören.
 

Nach dem er wieder bei den Hundehütten angekommen war, ließ er sich am Zaun heruntergleiten und schloss die Augen. Kaum spürte er den kühlen Schnee unter sich, fühlte er auch schon sofort, wie sich zwei große, warme, pelzige Körper an ihn schmiegten. Mit einem traurigen Lächeln strich er Nikta und Rem über die Köpfe und kraulte ihnen die Ohren. Schon wenige Sekunden später gesellten sich noch zwei Hunde dazu. In gewisser Weise beruhigte es ihn, dass Rex und Besi so positiv auf Schweden und Finnland reagiert hatten. Andererseits kam Sorge in ihm auf. Was, wenn sie die Beiden lieber mochten als ihn? Wenn auch sie ihn verlassen würden? Selbstverständlich wusste er, dass der Gedanke vollkommen absurd war, doch er konnte nichts gegen ihn unternehmen. Immerhin waren sie seine Wachhunde, sie hatten keine andere Wahl, als ihn zu beschützen. Doch als er das letzte Mal darauf vertraut hatte, nicht mehr alleine sein zu müssen, wurde er bitter enttäuscht.
 

"Ich hasse dich."
 

Traurig und teils fast schon hysterisch, lachte er auf und biss sich auf die Faust, um weitere Geräusche zu unterdrücken. Erst da bemerkte er, dass er tatsächlich seine Handschuhe vergessen hatte. Genauso wie die Tatsache, dass er hier in seinen Turnhosen herumsaß, die er zuhause trug. Für drinnen waren sie ja warm genug, aber wenn er draußen mit ihnen länger herumsaß, würde er sich den Tod holen. Zum Glück hatte er daran gedacht, seine Winterstiefel anzuziehen und zusammen mit dem langen Mantel hatte die Kälte zumindest keine allzu große Angriffsfläche.

"Hey, Arsch."
 

Ohne aufzusehen wusste er, wer ihn so angesprochen hatte. Schließlich hatte er diese Stimme oft und vor allem lange genug jeden Tag gehört. Seit Gilbert allerdings weggegangen ist, beschimpfte er ihn fast ständig. Nicht, dass es ihm noch etwas ausmachte. Darum riss er sich zusammen, lächelte und schaute in die roten Irden, die ihn in einer Mischung aus gewissem Respekt und noch größerer Abscheu musterten. Vielleicht bildete er sich den Respekt auch nur ein. Denn er bezweifelte stark, dass Preußen jemand Anderes außer sich selber respektieren konnte. Vielleicht noch seinen jüngeren Bruder. Wenn es hoch kam.
 

"Deine durchgeknallte, heiratsbesessene Schwester hat gemeint, ich soll dir das hier bringen. Ich bin hier nicht dein Lieferbursche hier, klar? Dafür bin ich zu awesome."

In einer lockeren Handbewegung warf Gilbert dem Größeren ein eisernes Fläschchen zu. Zuerst erstaunt, dann aber mit einem amüsierten Lächeln, betrachtete der Russe das Fläschchen und steckte es sich in die Manteltasche. Nataliya kannte ihn eben doch zu gut und, wenn sie nicht gerade ihre Phasen hatte, in denen sie ihn wie eine Irre stalkte, war sie wirklich ein Goldstück. Kein Wunder, wieso es ihm damals so schwer gefallen war, seine geliebte kleine Schwester gehen zu lassen.
 

"Was gibt‘s da zu grinsen?"

"Нечего. Спасибо тебе."

Den Kleineren schauderte es. Mit einem erneuten Schmunzeln registrierte Ivan, dass der Preuße die Sprache anscheinend immer noch nicht vergessen hatte. Als Gilbert unter seiner Regierung gestanden hatte, hatte er sie ihm fast schon reingeprügelt und ihn auch noch dazu gezwungen, sich den Weg bis nach Moskau und wieder zurück genauestens zu merken. Daher war es kein Wunder, dass der Weißhaarige diese Sprache hasste. Doch er verstand sie. Das reichte Ivan als Grund, russisch mit ihm zu reden.
 

Um zu zeigen, dass er keine Lust auf weitere Diskussionen hatte, schloss Ivan die Augen und lehnte sich wieder zurück. Natürlich verstand der Andere augenblicklich, wo der Hase entlanglief. Schließlich war er nicht auf den Kopf gefallen und kannte den Russen gut. Zu gut. Aber etwas erstaunte ihn. Auch wenn er das Gesicht des Größeren wirklich in- und auswendig kannte, hatte es nun einen Zug, welcher es Gilbert fremdartig erschienen ließ. Es wirkte fast schon entspannt. Bisher, in all den Jahren, hatte er ihn noch nicht so erlebt. Allerdings schüttelte der Weißhaarige nur den Kopf und ging dann wieder. Zufrieden hatte Ivan den Blick bemerkt und öffnete die Augen, als die Schritte, die im Schnee leise knisterten, nicht mehr zu hören waren. Hätte er die Augen offen gehabt, während Gilbert noch dagewesen wäre, hätte dieser wahrscheinlich den Schmerz in seinen Augen bemerkt. Den Schmerz über diese elendige Einsamkeit, aus der er keinen Ausweg mehr sah.
 

Der eigentliche Grund, warum er sich die Hunde zugelegt hatte. Gegen Tiere konnte er sich selber verteidigen und kein Mensch würde es wagen, sein Anwesen zu betreten. Ganz abgesehen davon, dass vielleicht nur zwei, drei Leute wussten, wo es sich befand. Nicht einmal seinen Chef hatte es interessiert, solange er seine Aufgaben nur pünktlich erledigte. Und selbst wenn nicht, sein Chef konnte sowieso nicht viel dagegen unternehmen. Aber ihm lag das Wohl seiner Kinder am Herzen, weswegen er seine Aufgaben auch erledigte und immer pünktlich zu jedem Treffen erschien, keinen Ärger machte und noch seltener widersprach. Das störte niemanden. Er bezweifelte überhaupt, dass es jemanden stören würde, wenn er ganz verschwände.
 

Ein leises Wimmern holte ihn schnell wieder aus seinen Gedanken zurück. Ein Hundekopf lag auf seinen Schoß und zwei Augen blickten ihn treudoof an. Leise lachend strich er Rem wieder über den Kopf und kraulte ihm leicht die Ohren. Plötzlich hörte er fröhliches Lachen. Ehe er sich versah, sah er Polen lachend wie ein Kleinkind durch den Schnee rennen und Sekunden später auch Litauen, der hinter dem jungen Mann herstapfte und ihm zurief, er solle langsamer machen, wegen den Hunden. Tatsächlich hoben die Hunde den Kopf und er hörte ein leises knurrendes Geräusch aus Niktas Kehle. Doch er packte sie an den Köpfen und drückte sie leicht in den Schnee.
 

Das leise "aus", beruhigte die Hunde zwar teilweise wieder, aber noch lange nicht genug, damit sie den Blick abwandten oder die Aufmerksamkeit und plötzliche Anspannung, die vier mächtigen Körper neben ihm verlies. Seufzend stand er auf und befestigte dann wieder die Ketten an Niktas und Rems Halsbändern. Polen und Litauen scheinen ihn nicht mal bemerkt zu haben. Dafür mochte er sie und das hatte ihm gereicht, um sich an Litauens Bitte um seinen Segen wieder zu erinnern. Warum war das dem Braunhaarigen so wichtig gewesen, dass er zu ihm kam? Natürlich, Litauen war einer der sehr Wenigen, mit denen er sich seit dem Zerfall der UdSSR noch mehr oder weniger verstanden hatte, aber dennoch war ihre 'Bindung' nicht mehr so stark, als dass dieser das gebraucht hätte. Sicherlich hatten sie einige andere Länder, die ihnen das gönnten und auch den Rücken freihielten. Was genau also wollte Toris damit bezwecken?
 

Entnervt seufzend, holte er den Wodka aus seiner Manteltasche und nahm einen tiefen Schluck aus dem Eisenfläschchen, bevor er in den Himmel sah. Es fing wieder zu schneien an. Große, weiße Flocken, die so weich und wunderschön aussahen wie kleine Wolkenfetzen, segelten lautlos zu Boden. Malten wunderschöne Muster in die Luft und tanzten ihren eigenen, ganz persönlichen Tanz. Jede für sich und doch alle zusammen. So wunderschön und sanft, ohne ihre Faszination zu verlieren. So wunderschön, dass er manchmal vergaß, wie gefährlich dieser Schnee und diese unschuldigen weißen Flocken eigentlich werden konnten. Weit entfernt hörte er das Heulen des Windes. Hörte, wie sich das Heulen der Wölfe dazu mischte. Meinte schon fast, ein Flüstern zu vernehmen. Ein Flüstern, das er schon so lange kannte und das ihm schon so gut bekannt war wie sein Besitzer.
 

"Ivan? Wo bist du, mein kleiner Ivan?"
 

Es schüttelte ihn leicht. Als er noch mit seinen Geschwistern in einem Haus gelebt hatte, als er noch nicht alleine gewesen war, hatte es ihm nichts ausgemacht. Doch nun hörte er das Flüstern immer stärker. Immer öfter. Und es wurde immer lauter. Er konnte schon fast die eisigen Krallen spüren, die sich um sein Herz schlossen und es zu zerdrücken drohten. Erinnerte sich an das faltige, raue Gesicht zurück, das er mittlerweile so gut kannte. Erneut erschauderte er. So oft hatte er dieses Gesicht gesehen und so selten die Geschwister erblickt. So oft hatte er in den wolkenverhangenen Himmel gesehen und gebetet, es möge schnell vorbei sein. So oft hatte er sich ihm hingegeben, nur um seine Kinder zu schützen. So oft Leid auf sich genommen, nur damit sie überlebten. So oft hatte er sich hinterher gehasst und war schon fast Amok gelaufen. So oft hatten seine Geschwister und andere Nationen das abbekommen. Und dennoch stand er noch hier. Dennoch wurde er noch nicht erlöst. Dennoch stand er noch hier und starrte in den Himmel und meinte, wieder dieses eisige Flüstern zu hören und das Gesicht vor sich zu sehen.
 

Vielleicht war es ja besser, dass er alleine war? Dass es niemand gab, der sich mit ihm abgeben wollte? Aber nein, er war nicht alleine. Denn er war immer bei ihm. Dieser Mann, dem er es zu verdanken hatte, dass er zu dem geworden ist, was er heute war. Zu diesem Monster.
 

"Du bist nicht alleine, kleiner Ivan. Nie. Denn ich bin immer bei dir. Immer."
 

~*~*~*~*~*~.-.-.-.-.-.~*~*~*~*~*~
 

Übersetzungen vom Russischen ins Deutsche
 

"Что случилось брат? Так устаёшь от этих встреч?"

"Да не из-за встреч это."

"Aмерика, да?"

"Да..."

-----> - Was ist los, Bruder? Ermüden dich diese Treffen so sehr?

- Das ist nicht wegen Treffen.

- Amerika, oder?

- Ja.
 

"Да уж. Он надоел."

"Aга. И это ещё мягко сказано."

-----> - Ja, der geht einem ganz schön auf die Nerven.

- Ja und das noch milde ausgedrückt.
 

"Да. Даже если мне что-то тихо на ухо шепчет, что я об этом очень, очень скоро пожалею."

-----> - Ja. Auch wenn mir irgenetwas leise ins Ohr flüstert. das ich das schon sehr, sehr bald bereuen werde.
 

"Это хорошо."

-----> - Das ist gut.
 

"Ладно."

-----> - In Ordnung.
 

"Нечего. Спасибо тебе."

-----> - Nichts. Danke dir.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
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Von:  Juuri
2012-06-18T13:16:43+00:00 18.06.2012 15:16
armer Ivan ;___;
er kann einem manchmal wirklich leid tun...
ich find es übrigens sehr süß das im England da so freundlich zur seite steht und unter die Arme greift =)wenn da nur nicht immer der Ami wäre xD

ansonsten:
ich mag deinen Schreibstil und es lässt sich wirklich gut lesen =3
verfolge die Story schon aufmerksam mit und bin wirklich gespannt wie es denn noch so weitergehen wird......besonders die Sache zwischen Gilbert und Ivan.

kleiner Vorschlag:
es ist toll, dass du auch die russische Sprache mit einbaust, aber mein Vorschlag wäre die Übersetzung der Wörter-Sätze vilt direkt in klammern oder so drunter zusetzen und nicht erst am Schluss des kapitels.
ich kann mir vorstellen, dass die die nicht grad russisch lesen können dadurch ein wenig aus dem Lesefluss gerissen werden. ^^

liebe grüße Ju =3
Antwort von:  Superbia
15.02.2013 14:17
hey~
wow brauch ich lang um zu antworten~
ähm...

also das mit der Übersetzung erst am Ende, kommt niht von ungefähr
ich weiß von mir, dass wenn ich Geschichten lese, es persönlich immer praktischer finde, wenn die Übersetzung erst gegen Ende kommt
ich hab mir also schon was dabei gedacht~ (wenn auch wie immer zu wenig :D)
zudem ist die Geschichte auch noch vorgeschrieben, die Kaps sind original so geposten und ich bin ehrlich gesagt einfach viel zu faul, um sie noch mal umzubearbeiten xD
aber trotzdem danke für den Vorschlag
wird vermerkt und wahrscheinlich sogar irgendwann berücksichtigt :D

bb~


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