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Schicksalspfade

von

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Tod

Sie hasste sie inzwischen aus ganzem Herzen. Sie schämte sich dafür, doch gegen den Haß der jede Faser ihres Körpers zu übernehmen schien, kam sie nicht an. Am meisten hasste sie ihr glockenhelles Lachen und die sanfte Stimme. Sie konnte dieses Lachen nicht ausstehen. Doch auch in so vielen anderen Dingen fühlte sie sich ihr unterlegen. Sie hatte weder ihre beschwingte Leichtigkeit, mit der sie durch das Leben ging noch das mädchenhafte Aussehen. Nur im Intellekt stand sie ihr in nichts nach, wenn sich ihre Fachgebiete auch schwer miteinander vergleichen liessen. Die Eifersucht war langsam und schleichend gekommen und war nun unerträglich. Unerträglich auch, weil sie dem ganzen einfach kein Ende setzen konnte. Obwohl sie wusste wie sinnlos das ganze war. Er würde niemals ihr gehören.
 

Das Klingeln des Telefones riess sie aus ihren trüben Gedanken.
 

„Mama...wann kommst du heute abend nach Hause?“ fragte ihre Tochter am anderen Ende der Leitung.
 

„Tut mir leid, Ritsuko, ich komme bestimmt erst in zwei oder drei Stunden. Wir haben gleich noch eine kurzfristige Besprechung.“
 

Wie oft hatte sie ihre Tochter bereits vertrösten müssen, seit dem sie hier arbeitete?
 

„Okay...ich hab etwas zum Essen gemacht für dich.“
 

„Danke mein Schatz. Morgen komme ich wieder früher nach Hause, versprochen.“
 

Manchmal fragte sie sich ob es vielleicht auch an ihrer Tochter lag. Seit der Trennung von Ritsukos Vater hatte sie nur einige kurze Affären gehabt und wollte sich nie wieder mit einem Mann dauerhaft einlassen. Sie wollte keine dritte Person in ihre kleine Familie miteinbringen, niemanden mit dem sie eine ernsthafte Beziehung führen musste. Einerseits weil ihr das neben Job und Kind zu anstrengend erschien, andererseits weil Ritsuko sie dann mit niemanden teilen musste. Ihre Tochter hatte es auch so schon schwer genug und die wenige Zeit die sie mir ihr verbrachte, wollte sie nicht auch noch zwischen einer anderen Person aufteilen.

Sie war zufrieden mit dieser Art zu Leben, bis sie ihm begegnet war. Zum ersten mal seit dem Ende ihrer Ehe wollte sie mehr als nur eine kurze, flüchtige Beziehung die nur auf das eine hinauslief.

Doch er war bereits vergeben gewesen und seitdem sie ihn kannte hatte er nur Augen für seine Frau.
 

Als sie von der Schwangerschaft hörte, war Naoko fast erleichtert gewesen. Yui wollte nach der Geburt nur noch an drei Tagen pro Woche ins Labor kommen und ansonsten von zu Hause aus arbeiten. Somit würde sie ihr nicht mehr jeden Tag begegnen müssen. Nicht das ihre Labore in der Nähe lagen, aber durch die zahlreichen Meetings liefen sie sich eigentlich jeden Tag über den Weg. Sie war stets bemüht freundlich, damit niemand ihren Haß bemerkte. Doch innerlich fraß sie die Eifersucht aus. Am schlimmsten war es wenn sie die beiden zusammen sah. Sein Blick, ihr Lachen. Es war kaum zu ertragen. In diesen Momenten wurde ihr besonders bewusst wie unerreichbar ihr Traum für sie blieb. Und dennoch blieb tief in ihrem Herzen der Wunsch, dass Yui einfach verschwinden würde. Damit sie ihren Platz einnehmen konnte. Sie hasste sich selbst für diesen grausamen Gedanken und kam dennoch nicht von ihm los.
 

2004
 

„Dr Akagi...bitte, Sie müssen nach Hause gehen. Sie arbeiten jetzt seit fast drei Tagen ohne Pause...“
 

Naoko drehte sich langsam von dem flimmernden Bildschirm weg, auf dem sie die Daten kaum noch war nehmen konnnte. Ihr Rücken schmerzte und seit heute morgen liess auch ihr ansonsten wacher Verstand langsam aber gleichmäßig nach. Und dennoch..
 

„Diese eine Möglichkeit muss ich noch testen. Das sind wir ihr schuldig.“ erklärte sie Fuyutsuki entschlossen. Er sah genauso erschöpft aus wie inzwischen alle Mitarbeiter . Niemand war seit dem Vorfall gegangen. Niemand ausser Gendo. Er hatte am frühen Morgen des ersten Tages sein Kind genommen und war wortlos verschwunden. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. Er ging weder zu Hause an das Telefon noch an sein Handy. Naoko hatte ihm inzwischen mehrmals auf den Anrufbeantworter und die Mailbox gesprochen, ebenso wie Fuyutsuki. Das beunruhigte sie zutiefst. Sie hoffte, das er in seiner jetzigen Verfasssung keine Dummheit begehen würde.
 

„Gut, aber danach gehen sie.“ stimmte Fuyutsuki zu und verliess das Labor.

Naoko wandte sich wieder ihrem Computer zu. Lange würde sie auch nicht mehr durchhalten. Doch an Schlaf war nicht zudenken. Sie wusste, selbst wenn sie nacher endlich wieder nach Hause ging, sie würde keinen Schlaf finden. Die Schuldgefühle, die sie jetzt durch die Arbeit noch verdrängen konnte, würden sie heimsuchen und sie keine Ruhe finden lassen. Vor weniger als drei Tagen war ihr geheimer und hässlichster Wunsch Wirklichkeit geworden. Yui Ikari war verschwunden, genauso wie sie es sich immer gewünscht hatte. Doch wie so oft stimmten Wunschgedanke und Realität nicht überein. In ihrer Vorstellung war Yui immer mitsamt ihrem Kind einfach gegangen, hatte Gendo verlassen und somit Platz für sie gemacht. Das sie nun in der von ihr entwickelten Waffe gefangen war, erfüllte zwar Naokos Wunsch nach ihrem Verschwinden, aber auf eine grausame Weise. Auch wenn das Verschulden weder an ihr noch an einem der anderen Mitarbeiter des Labors lag – niemand hatte diese Entwicklung vorhersehen können, die meisten der beteiligten Wissenschaftler waren davon überzeugt gewesen das sich bei diesem ersten Test die Synchro-Rate im Bereich zwischen 0,1 und 1 bewegen würde – lastete das Ereignis schwer auf ihr. Denn sie war sich sicher, niemand ausser ihr hatte sich jahrelang gewünscht, was jetzt Wirklichkeit geworden war. Deswegen musste sie einen Weg finden, sie zurückzuholen. Sie musste ihre Schuld begleichen.
 

2010
 

Sie startete noch ein paar Diagnoseprogramme und meldete sich dann vom System ab. Es war höchste Zeit Feierabend zu machen. Naoko hielt kurz inne und liess ihren Blick über ihr Lebenswerk schweifen. Das Magi-System funktionierte seit seiner Inbetriebnahme mit Ausnahme weniger Fehler ausgezeichnet. Sie war inzwischen für mehrere Forschungspreise vorgeschlagen worden und hatte einige bereits erhalten. Auch ansonsten lief es gut in ihrem Leben. Ritsuko hatte ihre Promotion erfolgreich abgeschlossen und arbeitete seit einigen Monaten auch bei GEHIRN.

Und auch mit ihm...sechs Jahre ware inzwischen vergangen und seit einiger Zeit war sie ihrem Traum näher als je zuvor. Sie trafen sich nur im geheimen, aber das war ihr genug.

Doch dann gab es da noch das kleine Mädchen, dass er ihr und Ritsuko vor einigen Wochen vorgestellt hatte. Das Mädchen mit jenem Gesicht, dass sie immer so gehasst hatte.

Die Tür automatische Tür hinter ihr öffnete sich mit einem leisen Zischen. Naoko drehte sich um und blickte direkt in die leeren Augen des Mädchens, an das sie gerade gedacht hatte.
 

„Was machst du denn hier Rei-chan?“ fragte Naoko betont freundlich um die negativen Gefühle zu verbergen, die in ihrem Inneren brodelten. Bisher hatte sie das Mädchen noch nie alleine gesehen, er war immer bei ihr gewesen.

„Ich habe mich verlaufen.“ erklärte Rei mit dem stets gleichen ausdruckslosen Gesicht und der monotonen Stimme.

„Dann lass uns einfach zusammen zurückgehen. Alleine findest du den Weg nicht.“ bot Naoko ihr an.

„Ist schon in Ordnung, du alte Hexe...“
 

Wenige Minuten später lag das Kind leblos zu ihren Füßen. Naokos Körper zitterte, zitterte vor der körperlichen Anstrengung, der Wut, dem Haß auf das Schicksal und auch aufgrund der Tatsache das sich langsam in ihr Bewusstsein drängte, was sie soeben getan hatte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. War wirklich alles nur eine Lüge gewesen? Empfand er nichts für sie? Und warum hatte er seine Gefühle diesem kleinen seelenlosen Mädchen mitgeteilt? Die Erkenntnis traf Naoko wie ein Schlag in die Magengrube. Ihr ganzer Körper zog sich zusammen vor Schmerz, als ihr das ganze Ausmaß der Wahrheit bewusst wurde, die ihr Rei gerade eben mitgeteilt hatte. Sie hatte nie den Platz an seiner Seite eingenommen. Er war immer leer geblieben. Und nun hatte Rei, die Yui wie aus dem Gesicht geschnitten aussah, diesen Platz eingenommen. Dieses eine Mädchen war nur eine seelenlose Kopie einer Frau, die niemals wieder zurückkommen würde – und dennoch gab er ihr den Vorzug. Sie selbst war nur ausgenutzt worden. Sie war nur eine Spielfigur in seinem Plan gewesen. Ihr Leben erschien ihr sinnlos und leer. Jetzt, da sie geglaubt hatte am Ziel all ihrer Träume zu sein, war die Realität über ihr eingebrochen wie zu dünnes Eis auf einem uferlosen Wintersee.
 

Der Anblick des toten Körpers löste keine Trauer in ihr aus. Wo dieses Wesen herkam, gab es noch genügend Ersatz. Ausser Schuld und Reue konnte sie im Moment kein anderes Gefühl mehr wahrnehmen.

Reue über die vergeudeteten zehn Jahre, in denen sie sich nach ihm gesehnt hatte.

Schuld, dass sie sich das Verschwinden einer anderen Frau so sehr gewünscht hatte und sich insgeheim auch noch über dessen Erfüllung gefreut hatte.

Schuld, das sie diese Frau durch den Tod von Rei nun noch einmal hatte verschwinden lassen.

Reue, das sie ihre Liebe einem Mann geschenkt hatte, der sie nur benutzt hatte.
 

Wie ferngesteuert öffnete sie die kleine Schublade unter ihrer Computerkonsole. Zögerlich strich sich über das kalte Metall, gleichzeitig wusste sie schon, das sie es tun würde. Es konnte kein Zufall sein, das sie den kleinen Revolver nur wenige Wochen zuvor dort plaziert hatte. Sie hatte kein wirkliches Vertrauen in die ständig wechselnden Wachmänner die hier ihre Runden zogen und wollte für den Fall der Fälle vorbereitet sein. Das sie diese Waffe, die sie sich während der gesetzlosen Zeit direkt nach dem Secon Impact zugelegt hatte, nun gegen sich selbst richten würde, erschien ihr die einzig logische Schlussfolgerung. Sie hatte nichts mehr im Leben. Ihre Forschung, ihr Lebenswerk war abgeschlossen. Alles weitere konnte sie mit gutem Gewissen Ritsuko überlassen.

Als Wissenschaftlerin war ihr Leben sinnvoll gewesen.

Als Mutter hatte sie mehr oder weniger versagt. Die Arbeit war immer an erster Stelle gestanden. Das ihre Tochter sich trotzdem so positiv entwickelt hatte, war mitnichten nicht ihr Verdienst.

Als Frau...war sie immer nur zurückgewiesen worden.
 

Der Lauf an ihrer Schläfer fühlte sich richtig an. Es gab nichts mehr auf dieser Welt für sie.

Die Forschung und ihre blinde Liebe hatten sie am Leben gehalten. Dieses Leben war nun zu Ende.

Ein letzter Herzschlag, ein letzter Atemzug.

Dann drückte sie ab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kendrix
2012-09-30T00:14:44+00:00 30.09.2012 02:14
"Ihr Leben erschien ihr sinnlos und leer. Jetzt, da sie geglaubt hatte am Ziel all ihrer Träume zu sein, war die Realität über ihr eingebrochen wie zu dünnes Eis auf einem uferlosen Wintersee."

...poesie ~<3

Es zeugt von einem gewissen Talent das du selbst so jemandem wie Naoko doch etwas Dimension verpassen konntest.


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