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Ride the Rockers 8 - Love Revolution

6. Sequel zu Ride the Rockers und Fortsetzung von Love Education mit Teilen von SCREW in neuer Hauptrolle
von

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[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 2
 

Also Aoi, Kai und Uruha das PSC Hauptgebäude betraten, waren Reita und Ruki schon da und saßen auf den gemütlichen Sesseln in der Lobby, einen Kaffeebecher in der Hand und aufmerksam über Reitas Handy gebeugt, so dass sie die Neuankömmlinge gar nicht bemerkten. Ein diabolisches Grinsen legte sich auf Uruhas Lippen, als er sich auf Zehenspitzen sich von hinten an Reita, der ihm näher saß, anschlich, und ihn mit seinen vom frischen Wind kalten Fingern am Nacken packte. Der Bassist quietschte erschrocken auf, zappelte und schlug um sich, ehe er Uruha, der bei seinem Gesichtsausdruck in schallendes Gelächter ausbrach war, mit finsterem Blick anfunkelte.
 

»Du hast sie wohl nicht mehr alle?«, schimpfte er und rieb sich seinen Nacken, als würde er das unangenehme Gefühl damit vertreiben können. »Das wirst du mir büßen!«
 

»Große Worte von jemandem, der sich vermutlich nicht mal anständig bewegen kann, weil sein Lover ihn gestern kopfüber an ein Kreuz gehängt und durchgevögelt hat«, konterte der Gitarrist und wich einen Schritt nach hinten, als Reita knurrte und seinen Kaffeebecher, den er zu Uruhas Glück schon geleert hatte, nach ihm warf.
 

»Du kleine Ratte willst wohl Ärger haben«, fauchte er grimmig und setzte an, ihm hinterherzuspringen, ehe er mit einem Mal stockte, als ihm etwas dämmerte.
 

»Hey Moment!« Sein Blick zuckte zu Ruki, der betont beschäftigt auf das Handy starrte und seinen Kaffee schlürfte.
 

Aoi schlug sich eine Hand gegen den Kopf und Kai rollte mit den Augen, während Uruha vor Lachen beinahe auf dem Fußboden kollabierte. Es war noch nicht einmal 11 Uhr Vormittags und der normale Wahnsinn war schon wieder einmal in vollem Gange.
 

»Wenn du nicht willst, dass ich dich mit meiner Nasenbinde im Schlaf erdrossle, spucks aus!«, knurrte Reita seinen Freund an, die Hand drohend erhoben, und dieser schluckte trocken, sichtlich mit sich ringend, ob es eine gute Idee war, seinen Kaffee als Wurfgeschoss zu benutzen und Vorsprung zu gewinnen, oder ob er doch lieber schnell noch Uruha erwürgen sollte, bevor er selbst das Zeitliche segnete.
 

»Ruki, ich warne dich!« Eine steile Falte bildete sich auf Reitas Stirn, die den Sänger dazu veranlasste, beschwichtigend die Hände zu heben, während er dem brünetten Gitarristen, der sich mit einer Hand den Bauch hielt und mit der anderen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte, einen giftigen Blick zuwarf, der nur allzu deutlich machte, welche Qualen er ihm zufügen würde, sollte er ihn in den nächsten Stunden allein erwischen.
 

»Es könnte eventuell sein, dass ich ein Foto gemacht und es aus Versehen an Uruha geschickt habe«, antwortete er mit einem gezwungenen Lächeln, das kläglich scheiterte, als Reitas Blick noch finsterer wurde als zuvor. »Aber Baby, du sahst so unglaublich sexy aus, ich wollte nur mit dir angeben!«
 

Er klimperte um Vergebung bittend mit den Wimpern und griff nach Reitas Handgelenken, um ihn zu sich heranzuziehen. Reita murrte leise, doch als sich Rukis Hände an seine Hüfte legten und seine Daumen das T-Shirt ein klein wenig nach oben schoben, um darunter zu schlüpfen und über die weiche Haut zu streicheln, begann sein Ärger ebenso schnell zu verschwinden, wie er gekommen war.
 

»Ich dachte, seitdem Kai nicht mehr überall mit einer Kamera rumrennt, würde man hier ein wenig Privatsphäre bekommen!«, schnaubte er leise, jedoch weniger gereizt als noch vor ein paar Sekunden. Seine Finger legten sich auf Rukis Hände und schoben sie ein Stückchen weiter unter sein Shirt, so dass der Stoff nach oben geschoben wurde und den Blick auf einige rote Striemen freigaben, die sich in unregelmäßigen Mustern über seine gebräunte Haut zogen.
 

Uruha schnappte nach Luft, als er es sah, und setzte an, etwas zu sagen, doch Kais Ellenbogen, der sich dezent aber sichtbar schmerzhaft in seine Seite rammte, ließ ihn verstummen und sich leise murrend zu Aoi trollen, um sich von hinten an ihm zu schmiegen und sich den Arm tätscheln zu lassen.
 

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Kais Gesicht, als er Reita verspielt zuzwinkerte.
 

»Wer sagt, dass es nirgendwo mehr Kameras geben würde, nur weil du mich nicht damit rumrennen siehst«, grinste er und zupfte sich elegant ein paar Ponysträhnen zurecht, während Reitas Augen sich weiteren und er hörbar die Luft einsog. Doch noch bevor er etwas erwidern konnte, hatte Ruki ihn geschnappt, auf seinen Schoß gezogen und seine Lippen mit den seinen verschlossen, um die Diskussion mit dem einzigen Mittel zu unterbrechen, mit dem er Reita immer wieder um den Finger wickeln konnte. Er vergrub die Hand im Schopf des anderen, ihn besitzergreifend daran hindernd, sich zu befreien und sehr deutlich machend, wer in ihrer Beziehung den Ton angab – und nach wenigen Sekunden hatte der Bassist jegliche Versuche der Gegenwehr aufgegeben und schmiegte sich gegen ihn. Sein Po drückte sich gegen Rukis Schritt, welcher ein leises Keuchen von sich gab und in den Kuss grinste.
 

Aoi betrachtete es mit Faszination, doch als er spürte, wie eine Hand des Gitarristen, der sich noch immer von hinten an ihn quetschte, über seinen Oberschenkel zu geistern begann, wurde es ihm zu bunt. Sie waren hier in der Öffentlichkeit, Herrgott nochmal!
 

»Werdet ihr euer sexuelles Übersprungsverhalten bitte zu Hause ausleben!«, maulte er gereizt und ließ seinen Blick zur Rezeption huschen, hinter der eine schmale Empfangsdame in einigen Unterlagen blätterte. Entweder hatte sie nichts mitbekommen oder sie war schon so abgehärtet, dass sie nicht einmal mehr schockieren würde, wenn sich komplett Gazette vor ihren Augen in pinken Latexanzügen bespringen würden. Wundern würde es ihn nicht. War er hier der Einzige, der den letzten Funken Anstand noch nicht verloren hatte?
 

»Du bist so ein Spielverderber!«, brummte Uruha, als Aoi seine Hand von seinem Schenkel wischte und sich mit zarter Gewalt aus seiner Umarmung herausboxte. Auch Ruki murrte leise, doch dann ließ er von Reita ab, der sich zurück auf seinen eigenen Sessel sinken ließ und deutlich missmutig nach Rukis Kaffeebecher griff.
 

Einen Moment lang herrschte Schweigen und Aoi zog die Brauen zusammen, überhaupt nicht einsehend, warum er auf einmal der Spielverderber war, nur weil er sie davor bewahrt hatte, sich morgen mit Skandalfotos im Internet zu finden. Sein Blick wanderte zu Kai, dem einzigen von ihnen, dem er zumindest ansatzweise einen klaren Kopf zutraute, doch als auch dieser nicht antwortete, rollte er nur mit den Augen und seufzte tief. Diese Kinder! Manchmal merkte er, dass er der Älteste von ihnen war.
 

»Was habt ihr euch vorhin so interessiert angeguckt?«, wechselte er das Thema und deutete auf Reitas Handy, was zwischen Zeitungen auf dem kleinen Tisch vor ihnen lag.
 

»Oh, die Neuen!«, erklärte Reita sogleich und ließ von seinem Kaffee ab, ehe er mit leuchtenden Augen nach dem kleinen schwarzen Gerät griff, den Bildschirmschoner wegdrückte und es Aoi hinhielt. »Sind die nicht niedlich? Wir haben noch nicht aufgeteilt; noch hast du freie Auswahl!«
 

Aoi hob eine Augenbraue, als er den letzten Kommentar hörte, doch er ließ es lieber, darauf näher einzugehen. Interessiert betrachtete er den Live-Clip, der über den kleinen Bildschirm flackerte – ohne Ton, da die schlechte Qualität der Aufnahme schon davon zeugte, dass man vermutlich außer Krach nichts hören würde – ehe er ihn wegklickte und durch die Bilder blätterte, die danach folgten.
 

›Niedlich‹ hatte Reita gesagt. Nun ja, Ansichtssache. Für ihn sagen sie aus wie jede andere Visu-Band auch, die in den letzten Monaten überall wie Pilze aus dem Boden schossen.
 

»Hey, ist das ein Ruki-Cosplayer?«, ertönte Uruhas überraschte Stimme und er quetschte sich neben Aoi, um den Bildschirm besser sehen zu können. Auch Kai drängte sich daneben und betrachtete das Bild des blonden Sängers mit dem starken Make-up, der in der Mitte seiner Band stand, ehe sein Blick zu dem Sänger seiner eigenen Band schnellte. Pose und Frisur stimmten. Verblüffend, was ein bisschen Styling bewirken konnte.
 

Aoi klickte ein Bild weiter und lachte kurz, als ein Bild mit einer Pose erschien, die er nur allzu gut von Ruki kannte, ehe er das Handy an Uruha weitergab, der sich neben Kai auf einen der Sessel fallen ließ und weiter darin herumklickte.
 

»Ist ja nichts neues, dass ich Fanboys habe!«, grinste Ruki, sichtlich nicht unerfreut über die Tatsache, dass eines seiner Groupies seit neustem bei seinem Label unter Vertrag war. »Wenn ich er wäre, würde ich mich auch cosplayen!«, meinte er weiterhin und langte nach seinem Kaffee, den Reita unter Beschlag genommen hatte.
 

»Also, ich finde es auch gut!«, grinste dieser und leckte sich anzüglich über die Lippen.
 

»Aber nur, weil du dir schon ausmalst, wie es wäre, von zwei Rukis gleichzeitig gevögelt zu werden«, warf Kai trocken ein, bevor er sich wieder mit einem sichtlich begeisterten Uruha in die Fotos vertiefte.
 

»Hey, unschuldig!«, verteidigte sich Reita äußerst unglaubwürdig und lachte auf, als Ruki ihm einen kurzen Tritt verpasste, jedoch genauso breit grinste wie er. »Ich finde es vollkommen normal, dass ich mir Gedanken mache, wie wir die Neuen ›heranziehen‹ und auf das Business ›vorbereiten‹.«
 

Sein anzüglicher Tonfall war sehr auffällig und Ruki wippte zustimmend mit den Augenbrauen.
 

»Uruha hat auch einen Fanboy!«, sagte er und gestikulierte in Richtung des Handys. »Der eine mit den roten Haaren! Du müsstest den mal live posen sehen! Ich glaube, er guckt sich unsere DVDs in Dauerschleife an und übt vorm Spiegel! Schöne straffe Schenkel, perfekt für Hotpants!«
 

»Fanboy?« Uruhas Augen leuchteten und er studierte das Bild, das er gerade offen hatte, eingehender. »Der ist ja unglaublich niedlich! Und sexy! Kein Wunder, er kommt schließlich nach mir!«
 

»Nur jünger und hübscher!«, stänkerte Reita und lachte, als der Gitarrist empört schnaubte, offensichtlich erfreut darüber, dass einen Weg gefunden hatte, sich für dessen Aktion von vorhin zu rächen.
 

Aoi verdrehte die Augen und schüttelte leicht den Kopf, ehe er sich hilfesuchend zu Kai umblickte, der sich unbemerkt zum Kaffeeautomaten abgesetzt hatte und drei dampfende Becher in den Händen balancierend zurückkam. Einen drückte er Aoi in die Hand, den anderen schob er Uruha hin, dessen Nase begeistert zuckte, als er den Geruch bemerkte.
 

»Love you!«, bedankte er sich, ehe er geräuschvoll schlürfte und sich zurücklehnte, den Blick über die Glasfront wandern lassend, die die Lobby wie ein Schaufenster von der Seitenstraße abgrenzte, in der sich das PSC Gebäude befand. Große Plastikbäume und Plakate der Bands ließen beinahe keinen Blick ins Innere zu, doch von innen konnte man relativ gut sehen, was draußen vor sich ging. Normalerweise kamen hier wenige Leute vorbei, doch heute stand eine kleine Gruppe in unmittelbarer Nähe und rauchte.
 

»Hey, sind sie das?«, fragte er mit einem Mal und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
 

Aois Blick schnellte herum und auch die anderen musterten interessiert das kleine Grüppchen junger Männer.
 

»Keine Ahnung«, sagte Kai und legte den Kopf schief.
 

Reitas Blick wanderte zwischen Foto und Fenster hin und her.
 

»Sollen wir sie reinholen?«, überlegte er und Ruki nickte.
 

»Meinen Cosplayer würde ich erkennen!«, fügte er unterstützend hinzu, doch Kai schüttelte den Kopf.
 

»Erst mal will ich wissen, was das hier alles soll!«, sagte er und Aoi nickte abwesend. Genau das hatte er sich auch schon gefragt, seitdem sie vor einer Stunde den seltsamen Anruf erhalten hatten. Was genau hatte es eigentlich damit auf sich? Sie waren keine Babysitter! Sie kannten die anderen nicht mal! Und normalerweise war es auch nicht üblich, dass sich die älteren Bands um die neuen kümmerten. Sie selbst hatten auch keine Babysitter bekommen, als sie zur PSC gewechselt waren! Es beruhigte ihn, dass sich wenigstens einer die selben Gedanken zu machen schien und nicht nur damit beschäftigt war, darüber zu debattieren, wer wen zuerst entjungfern sollte.
 

»Welcher von denen wohl mein Cosplayer ist?«, fragte Uruha und wiegte den Kopf nachdenklich hin und her, Kais Bemerkung vollkommen ignorierend. »Ob der auf mich steht?«
 

Aoi konnte mühsam dem Drang widerstehen, sich am zweiten Mal an diesem Tag mit der Hand vor die Stirn zu schlagen.
 

»Am Ende steht Aoi auf ihn, weil er jünger und hübscher ist als du!«, stichelte Reita erneut und unterdrückte ein Lachen, als er Uruhas entsetzten Gesichtsausdruck sah, ehe sich der Gitarrist leise jammernd an den Schwarzhaarigen quetschte.
 

»Du wirst nicht auf ihn stehen, oder? Du liebst doch nur mich?«, fragte er mit großen Augen und wickelte seine Hände besitzergreifend um Aois Hüfte, der sichtlich erschrocken die Luft einsog, als sich der Kopf des anderen in seinen Nacken schob und eine Hand unter sein Shirt zu wandern drohte. Leichte Panik stieg in ihm auf, als er bemerkte dass die jungen Männer langsam in Richtung der Tür steuerten und die Hälse reckten, um zu erkennen, ob sich jemand in der Lobby befand. Zu seiner Erleichterung zauderten sie, ehe sie die Tür erreicht hatten und wanderten scheinbar verlegen ein paar Schritte zurück.
 

Oh Gott, hatten sie sie etwa gesehen? Er liebte Uruha, er hatte es gern, wenn er ihn berührte, aber er hatte ganz sicher nicht vor, schon am ersten Tag, an dem er der anderen Band begegnete, den Ruf einer Schwuchtel zu haben. Denn auch wenn es die anderen ungern wahr haben wollten, es gab im Visual Kei Geschäft tatsächlich Bands, die hetero waren!
 

»Pfoten weg!«, zischte er ein wenig schärfer als beabsichtigt und riss sich aus Uruhas Umarmung los. Der andere schnappte nach Luft, doch anstatt sich zu beschweren, seine Befreiungsversuche zu ignorieren oder ihm einen anzüglichen Kommentar an den Kopf zu werfen, wie er es sonst immer tat, stand er nur sichtlich schockiert da und klappte den Mund auf und zu. Seine Augen zuckten irritiert und Aoi biss sich auf die Unterlippe, als er bemerkte, dass er den anderen mit seiner heftigen Reaktion sichtlich verstört hatte. Doch es geschah ihm ganz recht! Warum tat er sowas auch in der Öffentlichkeit!
 

»Aoi, ganz ruhig«, versuchte Kai zu beschwichtigen und legte ihm einen Arm um die Schulter, doch wie nur Sekunden zuvor zuckte Aoi zurück und zog grimmig die Augenbrauen zusammen. Hatte Kai nicht verstanden, warum er Uruha zurückgestoßen hatte? Und nun machte er das selbe?
 

»Du auch!«, knurrte er angesäuert, selbst nicht wissend, warum er so gereizt reagierte, anstatt es ihnen einfach zu erklären. Langsam müssten sie es nun wirklich wissen!
 

Er wich ein paar Schritte zurück und versuchte seine Fassung wieder zu gewinnen, Kais verständnislosen Blick bewusst ignorierend. Stattdessen schnellte sein Blick erneut zum Fenster, bemüht, irgendwie an der Reaktion der Männer auf der Straße herauszufinden, ob und was genau sie gesehen hatten. Ein wenig schämte er sich dafür, dass er so überreagiert hatte. Aber noch viel größer war die Sorge, was passieren würde, wenn ihn seine Freunde durch ihre unüberlegte Aktion einfach so geoutet hätten.
 

»Ich glaube nicht, dass sie überhaupt sehen, dass wir hier drin sind«, warf Reita ein, sichtlich irritiert von der plötzlich angespannten Atmosphäre. Doch noch bevor einer von ihnen antworten konnte, gab die Fahrstuhltür ein ›Bling‹ von sich und der Manager von Kra betrat die Lobby. Sie verbeugten sich höflich und nickten, als er ihnen mitteilte, dass sie von ihrer eigenen Managerin erwartet wurden.
 

Aoi seufzte tief durch, ehe er sich ein Lächeln auf die Lippen zwang und versuchte, die schlechte Laune abzuschütteln, die ihn plötzlich überfallen hatte. Uruhas Gesicht war verdunkelt und auch Kai wirkte sichtlich mitgenommen, aber keiner von ihnen unternahm noch einmal den Versuch, ihn vor anderen Personen bloßzustellen. Vielleicht hatte er es endlich geschafft, dass sie sich in Zukunft zwei Mal überlegen würden, wann genau der richtige Zeitpunkt war, ihn zu befummeln.
 

~*~
 

»Setzt euch bitte«, begrüßte sie die Managerin mit einem freundlichen Lächeln in ihrem Büro und deutete auf die Stühle vor ihrem Schreibtisch und das kleine Sofa an der Seite. Aoi ließ sich gegen seine Gewohnheit auf einem der Stühle nieder, ebenso Kai, der als Leader immer diesen Platz einnahm, während Reita, Uruha und heute auch ausnahmsweise Ruki das Sofa in Beschlag nahmen. Einen Moment lang fragte sich Aoi, ob er vielleicht etwas abdrehte, aber er wollte ihnen gar nicht erst Gelegenheit bieten.
 

»Ich habe dir am Telefon schon das Wichtigste mitgeteilt«, sagte sie, zu Kai gewandt. Sie war eine kleine, schlanke Frau mit Brille und einem frechen Dutt auf dem Kopf, doch ebenso geschäftstüchtig wie scharfzüngig. Obwohl sie die meiste Zeit sehr freundlich zu ihnen war, hatten sie alle ordentlichen Respekt vor ihr.
 

»In nächster Zeit werden wir zwei neue Bands aufnehmen. Wir haben lange keine neuen Bands mehr unter Vertrag genommen und haben große Erwartungen an sie. Ihr Debut ist noch für diesen Monat geplant, deshalb ist es wichtig, dass wir sie schnellstmöglich auf ihre Arbeit hier vorbereiten.«
 

Sie setzte ab und warf einen gewichtigen Blick in die Runde, der sehr deutlich machte, wie ernst ihr die Angelegenheit war. Reita und Uruha nickten nur abwesend. Sie waren diejenigen, die bei solchen Besprechungen meist nur körperlich anwesend schienen und den geschäftlichen Teil gern Ruki und Kai überließen. Nur wenn es um die Wahl der Outfits ging, konnte Uruha zu ungeahnt leidenschaftlichen Debatten ansetzen, was jedoch hauptsächlich der Tatsache geschuldet war, dass er noch immer um die Befreiung seiner Schenkel oder wie er es nannte, für den ›Tod der Hotpants‹ kämpfte. Bisher jedoch eher erfolglos.
 

»Und was genau sollen wir mit ihnen machen?«, fragte Kai. Ruki nickte, die Stirn in Falten gezogen.
 

»Sie beschäftigen, ein wenig mit ihnen Musik machen, sie darüber aufklären, wie sie sich benehmen müssen«, antwortete die Frau und seufzte tief, als die Falte auf Rukis Stirn tiefer wurde.
 

»Die haben sich nicht gerade erst gegründet, müssten die das nicht wissen?«, fragte er forsch und ignorierte Kais mahnenden Blick, dass er sich benehmen sollte.
 

»Wer betreut die andere Band?«, lenkte der Leader ab, doch seine Frage schien nicht sonderlich besser zu sein.
 

»Keiner«, antwortete die Managerin, ehe sie sich den Nacken rieb und den Kopf schüttelte, weniger unzufrieden mit den Fragen ihrer Band als mit der Gesamtsituation.
 

»Okay, ich will euch nicht anlügen«, sagte sie schließlich, als sie die misstrauischen Blick von allen Seiten auf sich spürte. »Es gefällt mir genauso wenig wie euch, das kann ich euch sagen. Aber mir sind die Hände gebunden.«
 

Aoi hob eine Augenbraue und blickte verwirrt zu Kai, welcher jedoch ebenso irritiert wie er war. Selbst Uruha und Reita schienen plötzlich aus dem Wachschlaf, in den sie fielen, sobald es auch nur annähernd um Business ging, zu erwachen, und spitzten die Ohren.
 

»Die Situation ist folgende«, begann die Managerin zu erklären. »Das Musikgeschäft läuft nicht mehr so gut wie früher. Wir müssen sehen, woher wir unser Geld bekommen. Und SCREW sind ein sicherer Weg dahin. Die Eltern eines der Jungs sind beinahe unverschämt reich. Er wollte unbedingt eine Band, er hat sie bekommen. Er wollte unbedingt in die PS Company, also haben sie ihm einen Vertrag gekauft. Und sie werden sehr gut bezahlen, wenn er hier glücklich wird. Und euer Job ist es, dafür zu sorgen, dass genau das passiert!«
 

Sie setzte ab und lehnte sich zurück, während der Rest von Gazette sie sichtlich erschüttert anstarrte. Uruhas Augen waren so groß wie Untertassen, Reitas Mund stand auf und selbst Ruki, der normalerweise sehr gefasst blieb, starrte sie ungläubig an. Auch Aoi konnte nicht fassen, was sie gerade erzählt bekommen hatten. Er öffnete und schloss den Mund wie ein Karpfen, ohne etwas zu sagen, ehe er sich durch die Haare fuhr und erneut zu Kai blickte. Kai wusste immer, was zu tun war.
 

Der Leader hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Es schien ihm überhaupt nicht zu gefallen, was er gerade gehört hatte.
 

»Und was haben wir davon, wenn wir die bespaßen?«, fragte er mit scharfer Stimme, scheinbar vergessen, dass er Ruki noch kurz zuvor für eben so einen Tonfall gerügt hatte.
 

»Ihr behaltet euren Vertrag!«
 

Diesmal musste Aoi husten, so sehr hatte er sich erschreckt. Einen Moment herrschte vollkommene Stille und man hätte die Luft mit einem Messer schneiden können. Selbst Kai schien so vor den Kopf gestoßen, dass ihm schlichtweg die Kinnlade heruntergeklappt war. Der sonst so gefasste Leader brauchte ein paar Momente, bis er sich wieder gefangen hatte, doch bevor er etwas sagen konnte, schnitt ihm die Frau das Wort im Mund ab.
 

»Versteht mich nicht falsch«, sagte sie mit ruhigem aber ernstem Tonfall. »Ich will euch sicher nicht aus eurem Vertrag rausschmeißen. Aber Geld regiert das Label. Und die Jungs haben tatsächlich Talent. Sorgt dafür, dass sie es nicht als eure Cosplay-Band verschwenden! Haltet einfach eine Weile den Kopf unten und kümmert euch um sie, bis sie selbst wissen, was sie wollen. Ich verlasse mich auf euch!«
 

Sie lächelte freundlich und nickte Kai zu, auf dessen Gesicht sich die verschiedensten Emotionen spiegelten. Er wirkte, als würde er protestieren wollen, sichtlich unzufrieden damit, dass man sie, die zur Zeit erfolgreichste Band des Labels, so behandelte. Doch dann atmete er tief durch und nickte.
 

»Solange es nur vorrübergehend ist…«, sagte er leise und schüttelte für sich selbst den Kopf, ehe er sich fahrig durch die Haare wischte.
 

Aoi saß nur stumm da und versuchte, die Informationen der letzten Minuten zu verdauen. ›Was zur Hölle‹ war das Einzige, was ihm dazu einfallen wollte. Er hatte ganz sicher nicht vor, ein paar Kinder zu bespaßen. Oh, er konnte sich sicher vorstellen, dass die anderen nach kurzer Zeit sehr begeistert sein würden. Vor allem Ruki und Reita, die vermutlich schon in Gedanken mit sich debattierten, welches ihrer Sexspielzeuge sie an den Neuen zuerst ausprobieren würden. Aber er hatte nicht die geringste Lust darauf. Wenn sie von nun an ständig um sie herumhängen würden, würde das nur zu unangenehmen und vermutlich hochgradig peinlichen Situationen führen – vermutlich meistens für ihn. Und wenn sie herausfinden sollten, dass er zwei Lover hatte, würden sie ihn als pervers abstempeln. Goodbye, angenehmes Leben!
 

»Welcher von denen ist denn der reiche Bengel?«, fragte er mürrisch, innerlich beginnend, leichten Groll gegen diesen zu entwickeln.
 

»Kazuki«, antwortete die Managerin, und er zuckte als Antwort mit den Schultern. Woher sollte er wissen, wer von denen welcher war? Sie deutete seine Geste scheinbar richtig, denn anstatt zu antworten, holte sie aus einem Paket auf ihrem Schreibtisch einen Flyer hervor – allen Anscheins nach frisch gedruckt – und deutete auf einen hübschen jungen Mann mit roten Haaren und Piercing in der Unterlippe.
 

»Der da!«
 

»Mein Cosplayer?«
 

Uruha, der ebenso wie die anderen beiden neugierig von der Couch aufgestanden war, um einen Blick auf den Grund zu erhaschen, warum sie ihre Freizeit in den nächsten Wochen für Babysitten opfern durften, sog überrascht die Luft ein. Dann grinste er.
 

»Hey, ich habe einen reichen Fanboy! Vielleicht will er mein Sugar Daddy werden. Oder eher Sugar ›Baby‹!«
 

Er lachte über seinen eigenen Scherz, sichtlich begeistert von der Vorstellung, doch ein strenger Blick der Managerin rief ihn zur Ordnung.
 

»Keine Scherze mit den Neuen!«, mahnte sie, und Aoi schluckte trocken, als er aus ihrem Tonfall zu erkennen glaubte, um was es wirklich ging. Einen kurzen Moment wollte er im Erdboden versinken, auch wenn ihm hätte klar sein müssen, dass dem Label sicher nicht verborgen blieb, was die Bands untereinander alles trieben. Aber so direkt damit konfrontiert zu werden, war doch ein wenig viel für seine Nerven.
 

Uruha murrte leise, doch er schien sich mit der Antwort abzufinden. Aoi hoffte inständig, dass er sich auch tatsächlich daran halten würde. Er wusste, wie gern sein Freund andere um seinen Finger wickelte und bezirzte. Und auch, wenn er, seitdem er mit Aoi und Kai zusammen war, mit niemand anderem mehr geschlafen hatte, hielt ihn dies noch lange nicht davon ab, zu jedem passenden – und meistens unpassendem – Zeitpunkt unanständige Anspielungen zu machen. Aoi hielt sich nicht für prüde und wenn sie unter sich waren, fand er es sogar amüsant und sexy. Aber Fremde, von denen er nicht wusste, wie sie darauf reagieren würden, sollten diese Seite seines Freundes lieber nicht kennen lernen.
 

»Und da ist noch etwas. Uruha!« Die Managerin warf dem Gitarristen einen ernsten Blick zu, der sie sichtlich überrascht anblickte, als sie ihn ansprach.
 

»Keine Angst, ich verspreche, ich werde ihn nicht-«, begann er sich zu verteidigen, doch sie schüttelte den Kopf.
 

»Darum geht es nicht. Uruha, morgen wird Kazuki bei dir einziehen!«
 


 

Tbc.
 

Ich habe öfter Updates versprochen! Bis jetzt halte ich mich gut dran, oder? Soso, Kazuki ist also ein reiches Söhnchen (komplett erfunden) und wird bei Uruha wohnen! Warum nur? Und bitte denkt nicht, dass ich SCREW nicht mag. Es könnte vielleicht so klingen. Ich liebe sie sehr! Aber ganz am Anfang dachte ich auch wtf Cosplayer? XD
 

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wer der Manager von Gazette ist. Ich meine mich zu erinnern, dass es eine Frau war. Ich könnte das aber auch total verwechseln. Aber da die PSC sicher auch kein fancy Gebäude mit Lobby hat, nehme ich mir ein weiteres Mal kreativen Freiraum XD
 

Noch etwas: OMG IST DAS NEUE ALBUM BRILLIANT ODER WAS??? Ich liebe es! Ich liebe, liebe, liebe es! Ich war lange nicht mehr so begeistert von ihnen! Wenn ihr es noch nicht gehört habt, macht es! Es läuft bei mir in Dauerschleife und ich habe mir den Kopf am Kronenleuchter gestoßen, als ich dazu headbangend auf meinem Bett rumgehüpft bin.

Kapitel 3
 

»Uruha, morgen wird Kazuki bei dir einziehen!«
 

Einen kurzen Augenblick war es vollkommen still. Aoi war sich nicht sicher, ob er sich gerade verhört hatte, und scheinbar ging es den anderen nicht besser.
 

»Bitte was?«, war das erste, was Uruha sagte und seine Stimme klang seltsam schrill, als würde er im gleichen Moment, in dem er die Worte aussprach, nach Luft japsen. Er klang hörbar entsetzt und Aoi konnte dies sehr gut nachvollziehen.
 

Die Managerin antwortete nicht, stattdessen drehte sie abwesend einen der Flyer in ihren Händen. Hatten sie für einen kurzen Moment die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass alles nur ein Scherz war, war diese Hoffnung nun zunichte gemacht – ihre Körpersprache war eindeutig. Und langsam erschien eine tiefe Falte auf Uruhas Stirn.
 

»Da spiele ich nicht mit, auf keinen Fall!«, protestierte er und hob die Faust, um damit auf den Tisch zu schlagen, doch ein scharfer Blick von ihr ließ ihn innehalten.
 

»Das zu entscheiden steht leider nicht in deiner Macht – und in meiner auch nicht, falls es dich interessiert!«, antwortete sie und schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort im Mund ab. »Du kannst es tun oder du kannst es lassen, aber ich würde dir von letzterem dringend abraten!«
 

Die Drohung in ihren Worten war nur allzu deutlich. Uruha schnappte nach Luft, die Augen zwischen ihr und Kai hin und her huschen lassend, doch sein Leader reagierte nicht. Seine Stirn war in tiefe Falten gezogen und er hielt den Flyer in seiner Hand so fest, dass er tiefe Knicke bekam.
 

»Also ich würde ihn bei mir wohnen lassen!«, meldete sich auf einmal Reita zu Wort und hob abwehrend die Hand, als Uruha ihm einen tödlichen Blick zuwarf, der sehr genau sagte, was er davon hielt, dass ihm der Bassist so in den Rücken fiel.
 

»Ja, das war mir klar, dass du das würdest!«, zischte er wütend und diesmal schlug er wirklich mit der Faust auf den Tisch.
 

»Hey, ich sag ja nur!«, verteidigte sich der Bassist und wich ein Stück in Rukis Richtung zurück. »Es ist ja nicht so, als solltest du ihn heiraten! Seit wann sträubst du dich dagegen, einen hübschen Fanboy zu bespaßen? Wenn dich der Junge anbetet, sollte das doch ein Kinderspiel sein!«
 

Er nickte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, doch die einzige Reaktion, die er aus Uruha hervorbrachte, war ein verächtliches Schnauben, bevor sich der Gitarrist von ihm abwendete, einen der Flyer griff und ihn in kleine Schnipsel riss.
 

»Nur über meine Leiche!«, fauchte er wütend und warf die Papierstückchen auf den Boden, so dass sie sich über den Teppich verteilten.
 

Die Managerin warf ihm einen missbilligenden Blick zu, aber sie kommentierte seine Geste nicht.
 

»Wir sollten das in den nächsten Minuten klären«, sagte sie stattdessen und deutete auf die Tür. »Sie warten schon auf euch. Sie würden euch gern kennen lernen, also benehmt euch und macht einen guten Eindruck! Macht mir keine Schande!«
 

»Keine Schande, tse …« Uruha schnaubte leise und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick fiel auf Aoi und dieser schluckte trocken, als er sah, dass der andere deutlich gekränkt darüber war, dass ihm keiner seiner Bandkollegen zur Hilfe eilte. Hätte er ihm denn zur Hilfe kommen sollen? Wie denn bitteschön? Wenn nicht einmal Kai etwas sagte, was könnte er dann schon erreichen?
 

»Wenn Uruha Kazuki bekommt, können wir uns dann auch einen aussuchen?«, fragte Ruki plötzlich in die Stille hinein und alle Blicke schnellten zu ihm. Uruha blies empört die Backen auf und Kai hob eine Augenbraue, doch der blonde Sänger bemerkte es nicht einmal. Er studierte eingehend einen der Flyer, den er gegriffen hatte, und tippte schließlich auf den jungen Mann in der Mitte.
 

»Solange sich noch niemand einen ausgesucht hat, ich hätte gerne den hier!«
 

»Dann will ich den!«, fuhr Reita fort und deutete auf einen anderen, ehe er kurz sein Handy checkte und das Bild darin mit dem Flyer abglicht. »Manabu. Bekomme ich den?«
 

»Ihr kleinen miesen Ratten!« Uruhas Stimme war nur noch ein leises Fauchen, als er Ruki am Kragen packte und ihn schüttelte. »Das war ja klar, dass ihr mir in den Rücken fallt. Kai, sag was dazu!«
 

Der Drummer sah überrascht auf, als Uruha ihn plötzlich ansprach, und seufzte dann tief.
 

»Was soll ich sagen? Du musst wohl in den sauren Apfel beißen, ob du willst oder nicht!«, antwortete er und zuckte dann mit den Schultern. »Und mal ehrlich, denkst du nicht, du spielst dich ein bisschen zu sehr auf? Es ist wie Reita gesagt hat, kein Mensch verlangt von dir, dass du ihn heiratest!«
 

»Dann nimm du ihn doch in deine Wohnung!«
 

»Schluss jetzt!« Ein lauter Knall ließ alle zusammenzucken, und als sie sich zu der kleinen Managerin umdrehten, hatte diese den Karton Flyer, den sie soeben auf den Tisch geknallt hatte, erneut drohend erhoben. »Was denkt ihr euch eigentlich, euch hier so aufzuspielen?! Das ist eine Order des Labels! Wenn sie euch nicht passt, könnt ihr gern euren Vertrag kündigen!«
 

Das hatte gesessen. Ruki und Reita schluckten trocken, obwohl ihr giftiger Blick nicht einmal auf sie gerichtet war, und trollten sich zurück auf ihre Couch. Kai schloss den Mund und selbst Uruha wirkte sichtlich eingeschüchtert. Einen Moment lang spielten sich die unterschiedlichsten Emotionen auf seinem Gesicht ab und sein Mund öffnete sich, doch er schien sich anders zu besinnen und murmelte nur ein paar unverständliche Worte zu sich selbst, ehe er sich mit verschränkten Armen an die Wand lehnte.
 

Aoi saß einfach nur wie versteinert da und wusste nicht, was er tun sollte. Er fühlte sich gerade unglaublich dumm und nutzlos, doch er hatte nicht den leisesten Schimmer, was er hätte sagen sollen. Geschäftliches hatte er bis jetzt immer Ruki und Kai überlassen und meistens Scherze darüber gerissen, dass er in Meetings nur hübsche Deko war. Er war nicht sehr überzeugt davon, dass er etwas Sinnvolles beitragen konnte und deshalb hielt er lieber den Mund. Und überhaupt, jetzt noch etwas zu sagen, wäre vollkommen unpassend und würde vielleicht mehr schaden als helfen.
 

Doch Uruhas gekränkter Gesichtsausdruck ließ ihn nicht los. Und auf einmal fühlte er sich wie ein ganz furchtbarer Freund. Am liebsten wäre er zu Uruha gegangen und hätte sich schützend vor ihn gestellt oder ihn in den Arm genommen oder irgendetwas getan, damit dieser sich besser fühlte – doch stattdessen blieb er sitzen. Er würde es wieder gut machen! Das nahm er sich fest vor.
 

»So kommen wir nicht weiter«, ließ sich auf einmal die Managerin vernehmen und ihr Tonfall war wesentlich freundlicher als noch vor ein paar Sekunden. »Reita, Ruki, Aoi – bitte wartet draußen! Kai, Uruha – ihr bleibt hier! Wir haben noch einiges zu besprechen. Keine Widerrede, Jungs!«
 

Ihr Blick war warnend, und diesmal wagte niemand, etwas zu erwidern. Ruki und Reita erhoben sich ohne Murren von der Couch und Aoi folgte ihnen nach ein paar Momenten. Reita klopfte Uruha beim Vorbeigehen auf die Schulter, doch dieser ignorierte ihn. Es versetzte Aoi einen kleinen Stich, als er es sah, doch er hoffte, dass sich Uruha wieder fangen würde. Alle wussten, dass der brünette Gitarrist schnell beleidigt wurde und zu Melodramatik neigte, aber meistens hielt dieser Zustand nur wenige Stunden an, wenn überhaupt. Vielleicht würde sich alles von selbst wieder geben. Allerdings war auch noch nie ein Mitglied einer Indie-Band bei ihm zu Hause eingezogen…
 

Als Ruki die Tür öffnete, hielt er überrascht inne, als die Mitglieder von SCREW schon vor der Tür warteten. Zwei von ihnen saßen auf den Stühlen in dem kleinen Vorraum, zwei weitere waren weiter entfernt auf dem Gang und einer lehnte direkte neben der Tür an der Wand. Er lächelte die Gazette-Mitglieder an, ehe er ein wenig scheu den Blick senkte, als würde er sich nicht trauen, seinen Idolen zu lange in die Augen zu sehen. Es war der Gitarrist mit den roten Haaren, Kazuki. Aoi erkannte ihn sofort.
 

Er musterte ihn von Kopf bis Fuß, den schmalen Oberkörper in einem einfachen weißen T-Shirt, hinab zu seinen Händen, die in einer verlegenen Geste in den Taschen seiner stonewashed Jeans vergraben waren, in der zwei lange Beine steckten. Obwohl er an der Wand lehnte, erkannte Aoi, dass er ein wenig größer als er selbst war. Sein Blick wanderte wieder hinauf zu seinem Gesicht, zu der hübschen Nase, den hohen Wangenknochen, den rosigen Lippen mit einem Piercing an jeder Seite bis zu seinen noch immer nach unten gerichteten Augen, die wie die perfekt getrimmten Augenbrauen von roten Ponysträhnen leicht verdeckt wurden.
 

Welche leichte Antipathie sich auch immer in Aoi zuvor bei dem Gedanken gebildet hatte, dass ein Fremder bei Uruha einziehen würde – eines konnte er nicht leugnen: Kazuki war bildhübsch.
 

Aoi lächelte höflich, als er bemerkte, wie sich die Augen des anderen weiteten und sich die vollen Lippen zu einem hörbaren Atemzug teilten. Irritiert blickte er sich um und sah zurück in das Büro. Als er die Schnipsel des zerrissenen Flyers auf dem Boden sah, verstand er. Kazuki hatte sie gesehen. Und er hatte auch Uruha gesehen, der noch immer mit verschränkten Armen und grimmigem Blick an der Wand lehnte. Die Situation ließ nicht viel Spielraum für Spekulationen. Und plötzlich tat ihm der junge Gitarrist leid.
 

»Hey, ich bin Aoi«, sagte er und hielt ihm die Hand hin, ehe er ihm selben Atemzug mit dem Fuß die Tür hinter sich zuschob und sie ins Schloss drückte. Ohne darauf zu warten, dass der andere reagierte, griff er nach dessen Hand und schüttelte sie, ehe er ihm ein breites Lächeln schenkte und ihm auf die Schulter klopfte. »Willkommen in der PSC!«
 

»Yeah, Willkommen in der PSC! Hier wo’s richtig abgeht!«, stimmte Reita mit ein und grinste einen der beiden, die auf den Stühlen saßen, an, ehe er die Hand zum High Five hob und mit ihm einschlug. Außer Aoi und Kazuki hatte scheinbar niemand etwas gesehen. Ruki neben ihm lachte und boxte ihm gegen die Schulter, um seinen Enthusiasmus ein wenig zu dämpfen, ehe er den beiden die Hand reichte und auf die Schulter klopfte.
 

»Hey, reinkommen!«, rief er grinsend in Richtung des Gangs und winkte den beiden anderen zu, die noch draußen standen, so dass diese ein wenig überrascht von seiner Herzlichkeit aber sichtbar erfreut hereinkamen.
 

Aoi sah amüsiert zu, wie Ruki und Reita sie beinahe überfielen, kameradschaftlich auf die Schultern klopften und sofort in ein Gespräch verwickelten, so dass die Neuen kaum Luft zum Atmen bekamen. Irgendjemand hatte ihm einmal erzählt, dass vor allem Ruki der Ruf nachhing, mysteriös und wenig zugänglich zu sein. Wer den blonden Sänger jedoch kannte, wusste, dass zumindest der Teil mit dem ›wenig zugänglich‹ nichts als pure Erfindung war. Wenn jemand gern neue Leute kennen lernte und mit diesen umging, als würde er sie schon seit Jahren kennen, dann war es Ruki. Leider, sehr zu Aois Missfallen, lernte der Sänger neue Leute gern sehr viel intensiver kennen, als ein normaler Mensch es tun würde. Und Reita war nicht ganz unschuldig an der Sache.
 

Aoi musste schmunzeln, als er sah, wie der Bassist sich neben einem der Neuen auf einem Stuhl niedergelassen und lässig seinen Arm um dessen Schultern drapiert hatte, was dieser etwas irritiert hinnahm, sichtlich unsicher, ob er sich über so viel Zuneigung freuen sollte oder nicht. Aoi kannte seinen Namen nicht, aber so wie er den Flyer in Erinnerung hatte, könnte es der andere Gitarrist sein, auf den Reita schon seine Besitzansprüche angemeldet hatte. In Gedanken sprach er ihm sein Beileid aus, hoffend, dass die beiden Blonden ihm wenigstens halbwegs eine Wahl lassen würden, ob er sich an ihren etwas gewöhnungsbedürftien Spielen beteiligen wollte.
 

Erst jetzt fiel ihm auf, dass Kazuki als einziger recht still war und seit seiner Begrüßung nichts gesagt hatte. Stattdessen lächelte er nur scheu, als Ruki und Reita ihn begrüßten, rührte sich aber nicht von der Wand weg. Aoi war ein klein wenig irritiert von seinem Verhalten, doch zumindest schien er schon mal nicht das verwöhnte unangenehme Söhnchen zu sein, für das man ihn nach der Beschreibung der Managerin hätte halten können. Vielleicht war er sogar ganz umgänglich und wollte Uruha einfach nur ein wenig anbeten. Nicht dass er sich freute, wenn ein weiterer Fanboy seines Freundes auftauchte, diesmal innerhalb ihres eigenen Labels, aber es hätte wesentlich schlimmer kommen können!
 

»Hey, wir sollten das Label dazu bringen, für alle Neuen eine Party zu schmeißen!«, ließ sich Reita aus dem Hintergrund vernehmen und Aoi rollte leicht mit den Augen, als er sah, dass die Hand des Bassisten am Arm seines Opfers hinunterglitt und ihn in der selben Bewegung näher an ihn heranzog. Für einen Unbeteiligten hätte es wie eine zufällige Bewegung aussehen können, doch Aoi kannte den blonden Schwerenöter nur zu gut.
 

»Party klingt gut!«, pflichtete Ruki ihm bei und die anderen nickten erfreut, diesmal sogar Kazuki.
 

»Kommt Uruha?«, platzte er heraus und biss sich sogleich auf die Lippen, als habe er die Worte gar nicht laut sagen wollen. Eine leichte Röte legte sich auf seine Wangen, als Ruki breit grinste und Reita zu kichern begann. Selbst seine eigenen Bandkollegen grinsten, ehe der Sänger – Byou, so viel hatte Aoi aus dem Gespräch der anderen herausgehört – auf ihn zuging und ihm in die Seite knuffte.
 

»Kazuki-chan, kein Grund, rot zu werden! Wenn du jetzt noch Angst hast, dich vor ihnen zu outen, dann hättest du nicht verlangen sollen, dass du bei ihm wohnen kannst! Soweit können sie noch mitdenken«, stichelte er mit einem breiten Grinsen und piekte dem Gitarristen mit den Zeigefingern in den Bauch, so dass dieser an die Wand zurückwich und noch ein wenig röter wurde als vorher.
 

Aoi runzelte die Stirn, sichtlich nicht begeistert, dass sein Verdacht bestätigt wurde, doch außer ihm und Kazuki schienen alle anderen die Situation eher amüsant zu finden.
 

»Wobei ich echt nicht verstehe, was du gerade an dem findest!«, ließ sich Ruki vernehmen und lachte leise. »Unser hypersensibles, zu sehr von sich selbst überzeugtes Partyopfer!«
 

»Hey, als ob wir dich noch nie nach einer durchzechten Nacht in einer Ecke gefunden hätten«, sprang Reita unerwartet für Uruha in die Presche und quiekte auf, als Ruki ihn als Antwort in den Schwitzkasten nahm und theatralisch würgte.
 

Hatte die Managerin nicht noch vor ein paar Minuten gesagt, sie sollten sich benehmen? Und einen guten Eindruck hinterlassen?
 

»Glaub mir, du willst gar nicht bei ihm wohnen, es sei denn, du spielst gern Haushaltshilfe!«, sagte Aoi, sich innerlich ins Gedächtnis rufend, warum sie lieber bei Kai als bei Uruha nächtigten. Der Gitarrist hatte ein deutlich gestörtes Verhältnis zu leeren Pizzaschachteln und anderem unnützen Kram, den er in seiner Wohnung auftürmte. Mit Grauen erinnerte er sich an das erste Mal, wo er in Uruhas Wohnung gewesen war, damals, als er mit Kai nach dem verschollenen Video gesucht hatte. Selbst Messies lebten ordentlicher! Und er war sich nicht sicher, ob sich an diesem Zustand etwas geändert hatte. Langsam konnte er verstehen, warum sich der Gitarrist so sehr gegen seinen neuen Mitbewohner sträubte.
 

»Also ich finde ihn toll«, sagte Kazuki und sein Gesicht war ernst.
 

Ruki entließ Reita aus seinem Schwitzkasten und sah ihn perplex an. Auch Aoi stutze einen Augenblick und wusste nicht wirklich, was er darauf erwidern sollte. Der kurze Moment der unangenehmen Stille wurde erst gebrochen, als sich die Tür zum Büro öffnete und Kai und Uruha herauskamen.
 

Erst jetzt fiel Aoi auf, dass sie doch eine recht lange Zeit dort drin gewesen waren. Als er das Zimmer verlassen hatte, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass der Streit weitergehen und er zumindest laute und in Uruhas Fall schimpfende Stimmen hören würde – doch jetzt, wo er darüber nachdachte, war es die ganze Zeit seltsam ruhig gewesen.
 

Uruha marschierte mit einem finsteren Gesichtsausdruck an ihm vorbei, sah nicht nach links und nicht nach rechts, ehe er auf den Knopf des Fahrstuhls drückte und nur Sekunden später darin verschwand. Das Licht, das anzeigte, in welche Richtung sich der Fahrstuhl bewegte, blinkte nach oben, Richtung Dach. Uruha fuhr nie in Richtung Dach. Dort oben war nicht mal etwas!
 

»Was zum…«, begann Ruki und starrte wie alle anderen auch auf die geschlossenen Fahrstuhltür, vollkommen verstört von dem Verhalten des anderen. Erst als Kai die Bürotür mit einem hörbaren Klicken hinter sich schloss, fuhren alle zusammen und drehten sich fast synchron zu ihm um. Ein Mundwinkel des Drummers zog sich nach oben, doch die Geste wirkte eher hilflos als fröhlich. Er behielt die Türklinke noch einige Sekunden schweigsam in der Hand, als würde er überlegen, was er als nächstes tun sollte, dann startete er erneut den Versuch, zu lächeln, und diesmal war er erfolgreicher.
 

»Entschuldigt bitte«, sagte er und nickte den Neuen freundlich zu. »Ich bin Kai! Freut mich, dass wir ab jetzt Kollegen sind! Beachtet die beleidigte Leberwurst gar nicht! Er ist nur sauer, dass wir ihn nun zum Putzen des Saustalls, den er seine Wohnung nennt, zwingen!«
 

Er schüttelte reihum allen die Hand, sichtlich bemüht, das Thema so banal wie möglich klingen zu lassen, doch Aoi sah den Blick, den er Ruki und Reita zuwarf. Diese sahen sich einen Moment verwirrt an, dann verstanden sie und begannen darüber zu scherzen, mit welchen Mitteln sie alle schon daran gescheitert waren, Uruha zu mehr Ordnungsliebe zu erziehen, und spätestens in dem Moment, in dem Reita die Geschichte zum Besten gab, wie Uruha in ihrer WG zu Indie-Zeiten einmal auf dem Weg ins Bad auf einer Bierdose ausgerutscht war und sich nur deshalb nicht den Hals gebrochen hatte, weil der Haufen von Konbini-Sushischachteln seinen Sturz abgefedert hatte, hatte sich die Stimmung deutlich gehoben. Zumindest bei vier der SCREW-Mitglieder schien es zu wirken. Kazuki starrte auf den Boden und hatte die Hände in seinen Hosentaschen zu zwei Fäusten geballt.
 

»Er hasst mich, oder?«, sagte er leise.
 

Aoi wusste nicht einmal, ob es eine Frage an ihn gewesen war. Doch beinahe automatisch schüttelte er den Kopf.
 

»Ach Quatsch, ihr werdet super miteinander auskommen! Mach dir keine Sorgen!«
 

Ermutigte er tatsächlich gerade seinen neuen Konkurrenten? Noch bevor er den Gedanken vollständig greifen konnte, summte sein Handy in seiner Hosentasche, und als er die Nachricht las, die er bekommen hatte, runzelte er überrascht die Stirn. Sie war von Uruha.
 

›Komm her.‹
 

Das war alles.
 

Aoi starrte auf die Worte, für einen Moment unfähig, irgendetwas zu tun, dann setzte er sich in Bewegung.
 

»Klo«, sagte er erklärend auf Rukis fragenden Blick, und steuerte die Tür zur Treppe an, obwohl der Fahrstuhl schneller gewesen wäre. Er wusste selbst nicht, warum er die anderen soeben angelogen hatte, doch er wollte nicht, dass sie wussten, dass er zu Uruha ging. Ein unangenehmes Gefühl formte sich in seinem Brustkorb, als er die Stufen zum Dach hinauf sprintete. 4 Stockwerke, was hatte er sich eigentlich dabei gedacht?!
 

Sein Herz klopfte unangenehm schnell, als er endlich oben angekommen war und die Tür aufriss, die auf das flache Dach führte. Es überraschte ihn beinahe, dass sie überhaupt offen war, denn normalerweise kam niemand hierher. Im Sommer war es zu heiß ohne die Möglichkeit von Schatten, und im Winter kalt und windig. Nicht einmal zum Rauchen oder frische Luft schnappen kamen sie hier herauf. Dafür hatten sie den kleinen Hinterhof mit den gemütlichen Bänken und dem Getränkeautomaten.
 

Hastig sah er sich um, noch immer mit klopfendem Herzen, nicht wissend, ob es an den 4 Stockwerken Treppe oder an dem unguten Gefühl lag, dass nur noch stärker wurde, als er Uruha nicht gleich entdeckte. Kurz stieg eine undefinierbare Panik in ihm auf, dann atmete er jedoch durch, als er den Gitarristen neben einem Lüftungsrohr hocken sah, das aus dem Boden ragte. Er schien die Tür nicht gehört zu haben, denn er bemerkte Aoi erst, als sich dieser ihm raschen Schrittes näherte. Seine Augen waren besorgniserregend gerötet, als habe er darin herumgerieben, doch noch bevor Aoi fragen konnte, was seine kryptische Nachricht zu bedeuten hatte, sprang Uruha auf und schloss seine Arme um Aoi.
 

Der Schwarzhaarige holte überrascht Luft, als sich zwei starke Arme um seine Taille legten und er an den warmen Körper des anderen gepresst wurde, so fest, dass er beinahe keine Luft mehr bekam. Im ersten Impuls wollte er sich wehren, doch Uruhas Griff war unbarmherzig, und als er spürte, wie der größere Gitarrist sein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub, fiel jegliche Gegenwehr von seinen Körper ab. Ein unsicheres Lächeln formte sich auf einen Lippen, als er die Umarmung erwiderte, und er konnte spüren, wie Uruha bei der Berührung schwerer zu atmen begann.
 

In Aois Kopf begannen die Gedanken zu schwirren und er öffnete den Mund, schloss ihn jedoch sogleich wieder. Was ging hier vor? Uruhas Hände auf seinem Rücken schienen sich durch sein Shirt in seine Haut zu brennen und der abgehackte Atem an seinem Nacken jagte ihm beinahe im Sekundentakt kalte Schauer über den Rücken. Er war es gewöhnt, dass Uruha ihn in den unmöglichsten Augenblicken an die Wäsche wollte, doch dies war keiner dieser Momente. Uruha hielt ihn einfach nur fest, so fest, als würde er ihn vollkommen in sich hineinziehen wollen. Etwas war absolut nicht in Ordnung.
 

»Es tut mir leid«, hörte er auf einmal die Stimme des anderen nah an seinem Ohr, doch sie war so leise, dass er sich beinahe nicht sicher war. Doch nur Sekunden später wiederholte Uruha die Worte.
 

»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, flüsterte er mit erstickter Stimme und Aoi fühlte, wie eine kalte Hand in seinem Inneren in Richtung seines Herzens zu kriechen begann. Er japste nach Luft, doch seine Kehle war wie zugeschnürt.
 

Uruhas Lippen berührten flüchtig seinen Hals, als sie die Worte erneut flüsterten, diesmal so leise, dass Aoi sie ohne die Bewegung nicht einmal wahrgenommen hätte. Er fühlte, wie seine Hände zu zittern begannen und krallte sie fester in Uruhas Rücken, doch noch bevor er auch nur ansatzweise daran denken konnte, einen Satz zu artikulieren, fiel die Umarmung ebenso schnell von ihm ab, wie sie gekommen war.
 

Uruha wich einen Schritt von ihm zurück und Aoi taumelte leicht, bevor er sich umdrehte, um zu sehen, worauf der andere starrte. Kai stand an der Eingangstür zum Dach und drückte sie hinter sich ins Schloss. Sein Blick war ebenso undefinierbar wie Uruhas, jedoch wirkte er nicht so aufgelöst wie der brünette Gitarrist. Seine eine Hand hielt die Türklinke fest umschlossen und sein Kiefer wirkte seltsam verspannt, als würde er mit aller Kraft die Zähne zusammenbeißen.
 

Der Blickwechsel zwischen ihm und Uruha dauerte nur ein paar Sekunden, doch Aoi kam es wie Stunden vor. Dann stürmte Uruha an ihm vorbei, riss Kai die Türklinke aus der Hand und verschwand in dem dunklen Treppenhaus. Das laute Geräusch, als die Tür ins Schloss fiel, riss Aoi aus seiner Starrte, in die er gefallen war, ohne es überhaupt zu merken. Sein Herz flatterte so schnell, dass er glaubte, jeden Moment ohnmächtig zu werden, und als Kai sich ihm näherte, zuckte er erschrocken zurück, sich im nächsten Moment dafür furchtbar albern vorkommend.
 

Doch auch Kai schien ihm keine Zeit geben zu wollen, die Situation auch nur annähernd zu verarbeiten. Die Umarmung, in die er ihn zog, war ebenso eng und innig wie Uruhas, doch sie hatte nicht die gleiche besitzergreifende Brutalität. Doch die Worte waren die selben.
 

»Es tut mir leid, Aoi«, flüsterte der Drummer in sein Ohr und schloss seine Arme fester um ihn.
 

Aoi biss sich auf die Unterlippe. Diesmal war er nicht mehr so gelähmt wie noch vor ein paar Momenten. Und noch bevor er überlegen konnte, was er gerade tat, hatte er Kai von sich gestoßen und funkelte ihn wütend an.
 

»Erklär mir sofort, was das alles soll!«, rief er aufgebracht, ein wenig lauter als er eigentlich vorgehabt hatte. Er ballte die Fäuste, als er sah, wie Kai den Blick senkte, und spürte erneut die Finger der kalten Hand in seinem Inneren. Was passierte hier? Was dachten sie sich dabei, ihm zu sagen, es täte ihnen leid?! Was zur Hölle tat ihnen leid?!
 

Seine Beine zitterten und er merkte, wie seine Atmung hastig wurde, doch Kai antwortete ihm nicht. Und je mehr Zeit verstrich, in der der Drummer auf den Boden starrte, umso mehr schwand die Hoffnung in Aoi. Was ging hier vor …
 

Ein Klingeln ließ ihn zusammenfahren. Er wollte protestieren, als Kai sein Handy aus der Tasche zog und auf das Display sah, wollte das verdammte Gerät packen und vom Dach auf den Asphalt schmettern, doch er konnte sich nicht bewegen.
 

Endlich hob Kai seinen Blick und lächelte ihn an, das selbe mühsame Lächeln wie vor ein paar Minuten, als Uruhas aus dem Büro in den Fahrstuhl gestürmt war.
 

»Entschuldige. Es könnte etwas Wichtiges sein.«
 


 

Tbc.
 

Ich gebe jetzt schon mal die Warnung raus, dass in dieser FF noch etliche Kapitel kommen werden! XD Es kommt noch einiges auf euch zu!

Kazuki ist unerwartet schüchtern. Ob dieser erste Eindruck richtig ist?

Ich habe ihn übrigens letztes Jahr in Tokyo in einer relativ kleinen Halle gesehen, deshalb ziemlich nah, und muss sagen: dieser Junge ist einer der hübschesten Menschen auf diesem Planeten.

Gefällt es euch, dass ich wöchentlich update? Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalten kann, da bald sehr viele Termine haben werde, aber zur Zeit funktioniert es. ^^ Ich update meistens Sonntag, da ich am Wochenende nochmal ordentlich Korrektur lese, was ich vorher geschrieben habe.

Kapitel 4
 

Es hatte schon öfter Momente in Aois Leben gegeben, in denen er sich gefühlt hatte, als würde alles von ihm hinfort treiben und ihn irgendwo verloren im Nichts zurücklassen. Es war so gewesen, als er sein altes Leben in Mie hinter sich gelassen und nach Tokyo aufgebrochen war, nur um festzustellen, dass dort niemand darauf wartete, ihn zum nächsten Superstar zu machen. Es war so gewesen, als er sich in Uruha verliebt hatte, fest der Überzeugung, für immer unter der Last dieser aussichtslosen Gefühle leiden zu müssen. Alles war verschwommen gewesen, seine Glieder und sein Kopf taub wie kurz nach einer Narkose, unfähig, sich zu bewegen und zu handeln, um ihn aus diesem Zustand zu befreien.
 

Und jetzt, in diesem Moment, in dem er bewegungslos darauf starrte, wie Kai in sein Telefon sprach, fühlte er sich wieder so. In seinem Kopf rasten die Gedanken, dennoch konnte er keinen einzigen lang genug greifen, um zu verstehen, was gerade vorgefallen war. Es schien ihm eine Ewigkeit her, dass sie gemeinsam in Kais Bett aufgewacht waren, nicht nur ein paar Stunden, bevor sie sich auf den Weg zur PSC aufgemacht hatten. Kai hatte mit einem leeren Kaffeebecher nach ihnen geworfen, als Uruha auf dem Rücksitz seines Autos erklärt hatte, Aois Shirt mit den Zähnen ausziehen zu können, und dies unter großem Protest in die Tat hatte umsetzen wollen. Der brünette Gitarrist hatte geschimpft wie ein Rohrspatz und drei Ampelkreuzungen felsenfest behauptet, der Kaffee hätte seine Frisur zerstört, bis er festgestellt hatte, dass der Becher tatsächlich leer gewesen war. Irgendwann war Aoi vor Lachen auf der Sitzbank zusammengesunken und selbst Kai hatte Tränen in den Augen gehabt.
 

Und nun schien Aoi dies alles einen Moment so fern, dass er sich ernsthaft fragte, ob er sich überhaupt richtig daran erinnerte. Was war geschehen; warum redeten sie nicht mit ihm? Hatten sie ihm nicht versprochen, sie würden alles zusammen durchstehen, egal, was kommen sollte?
 

Aoi atmete tief durch, als er spürte, wie sich Flüssigkeit in seinen Augenwinkeln zu sammeln drohte, und schloss für einen Moment die Lider, um sich zu beruhigen und sich nicht diese Blöße zu geben. Doch nur Sekunden später riss er sie wieder auf, als Kai, der bis jetzt nur stumm zugehört hatte, zu sprechen begann.
 

»Uruha, du-«, begann er, bevor er von der anderen Seite der Leitung unterbrochen wurde, und Aoi schnappte nach Luft.
 

Uruha? Er telefonierte mit Uruha? Warum?
 

Einen kurzen Moment huschte die Idee durch seinen Kopf, Kai das Telefon einfach aus der Hand zu reißen und den Gitarristen anzubrüllen, was ihm eigentlich einfiel, doch er rührte sich nicht. Stattdessen beobachtete er nur bewegungslos, wie Kai langsam nickte und schließlich seufzte.
 

»Ok, dann komm her«, sagte er, bevor er das Telefon zuklappte und in seine Tasche steckte. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, als er Aoi in seine Arme zog, ehe dieser überhaupt begreifen konnte, wie ihm geschah. Die starken Arme des Drummers schlossen sich um seinen Körper, zogen ihn ebenso nah wie vor ein paar Minuten, doch diesmal noch fester, und Kais Wange drückte sich gegen die seine, während schlanke Finger durch seine Haare kraulten.
 

»Es tut mir leid, dass du das mitmachen musst«, sagte er leise, doch obwohl es die selben Worte wie zuvor waren, waren sie nicht ganz so angsteinflößend. Denn auch wenn Aoi es nicht sah, so konnte er deutlich hören, dass Kai lächelte, während er sie sprach. »Wir wollen dich nicht anlügen. Wir erzählen dir alles! Aber du musst versprechen, dass es unser Geheimnis bleibt!«
 

Aoi nickte wie betäubt, nicht sicher, ob er sich tatsächlich freuen sollte. Er hätte vermutlich zu allem seine Zustimmung gegeben, solange sie ihm nur endlich erzählten, was hier eigentlich vorging!
 

Das Geräusch der Tür, die hinter ihm ins Schloss fiel, ließ ihn zusammenschrecken, und Kai entließ ihn langsam aus seiner Umarmung, so dass er sich umdrehen und Uruha ansehen konnte. Der Blick des größeren Gitarristen war auf den Boden gerichtet und er fuhr sich in einer verlegenen Geste durch die Haare, so wie er es immer tat, wenn er sich unwohl oder überfordert fühlte, doch dann straffte er die Schultern und ging auf Aoi zu. Er lächelte verlegen und das unangenehm klamme Gefühl in Aoi begann wieder zuzunehmen, doch dann drückte Uruha ihm einen zarten Kuss auf die Lippen und griff nach seiner Hand.
 

»Hey«, sagte er, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten, und lächelte Aoi an, der verwirrt mit den Augen zwinkerte.
 

»Sorry, dass ich so komisch war«, fuhr er fort und warf einen kurzen Blick auf Kai, der unterstützend nickte. »Wir müssen dir was erzählen. Tick bitte nicht aus, wenn du es hörst!«
 

Er machte eine Pause und Aoi hätte ihm am liebsten dafür mit der Handkante in den Nacken geschlagen. Kai schien seine Aufregung zu merken, denn er gab Uruha für seine ungünstige Wortwahl einen leichten Stoß in die Rippen, ehe er nach Aois anderer Hand griff.
 

»Die Sache ist diese«, sagte er mit ernstem Blick. »Die wirkliche Bombe ist erst geplatzt, als ihr aus dem Büro rausgegangen seid. Kazuki soll nicht nur bei Uruha einziehen. Uruha soll sein Lover werden. Sein fester Freund. Es sollte für alle so aussehen, als hätten sie sich einfach ineinander verliebt.«
 

Aoi blinzelte und seine Kinnlade klappte nach unten. Er merkte nicht mal, dass er wie ein Fisch nach Luft schnappte, als er einen Schritt nach hinten wich und nur Uruhas und Kais Griff an seinen Händen ihn davon abhielt, über den nächsten Vorsprung zu stolpern und einfach umzufallen. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Baseballschläger übergezogen und für einen kurzen Augenblick vergaß er zu atmen.
 

Das war es also?! Uruha sollte mit Kazuki zusammen kommen? War es das, warum er sich entschuldigt hatte; weil er es wirklich tun wollte? Oh, wenn er Kazuki in die Finger bekommen sollte, diesen kleinen, hinterhältigen, verzogenen-

»Keine Angst, ich mache das auf keinen Fall!« Uruhas Augen waren groß und er wedelte hastig mit der Hand vor sich herum, als hätte er Aois Gedankengänge geahnt. »Auf gar keinen Fall, das musst du mir glauben!«
 

»Warum hast du dich dann entschuldigt?!« Aois Stimme war lauter gewesen, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Es erschreckte ihn selbst, wie schrill er klang, als er sich von beiden losriss und einige Schritt nach hinten wich. »Und warum bist du weggelaufen? Und du!« Sein Blick zuckte zu Kai, als sich die Gedanken in seinem Kopf langsam ein wenig zu entwirren begannen und er die Situation halbwegs begreifen konnte. »Warum hast du dich entschuldigt?«
 

Uruhas Hand langte nach ihm, doch er wich weiter zurück, versuchend, den kleinen Stich zu ignorieren, den der verletze Blick des anderem ihm versetzte. Doch er konnte keinen von ihnen anfassen.
 

»Ich wusste nicht, was ich tun sollte!«, verteidigte sich der größere Gitarrist und die Verzweiflung war in seiner Stimme deutlich zu hören. »Es kommt nicht jeden Tag vor, dass das irgendein Typ bei mir einzieht und verlangt, dass ich sein Freund werde! Wie sollte ich da angemessen reagieren können? Denkst du nicht, ich habe versucht, mich dagegen zu wehren? Aber was soll ich machen? Du hast gehört, wie sie gedroht hat, uns aus unserem Vertrag zu werfen!«
 

Uruha fuhr sich durch die Haare und versuchte zu lachen, doch es wirkte so falsch, dass er es selbst merkte und stattdessen schmerzvoll das Gesicht verzog.
 

»Wir dürften es nicht mal jemandem sagen, niemandem! Und ja, ich habe für einen kurzen Moment überlegt, ob ich es durchziehe… Und deshalb habe ich mich entschuldigt…« Seine Stimme wurde kleinlaut und er wendete den Blick von Aoi ab. »Aber ich hätte dich anlügen müssen. Und das kann ich nicht. Es tut mir leid, Aoi. Es ist mir egal, ob sie mich aus der Band schmeißen. Ich werde nicht irgendjemandes Freund, nur um meinen Job zu behalten. Das ist es mir nicht wert…«
 

Er ballte die Fäuste, den Blick noch immer auf den Boden gesenkt. Seine Körperhaltung zeigte sehr deutlich, dass er nicht erwartete, dass Aoi ihn verstehen oder ihm verzeihen würde.
 

»Ich dachte, er hätte es dir erzählt, als ich aufs Dach gekommen bin«, fügte Kai leise an und griff nach Aois Hand. Und diesmal wich der Gitarrist nicht zurück. »Ich dachte, er hätte sich entschieden, zu Kazuki zu gehen… Ich hätte ihn am liebsten dafür verprügelt, dass er uns das antut! Aber ich konnte dich nicht so stehen lassen…«
 

Er brach ab und drückte ungelenk Aois Hand, fast so, als würde er befürchten, dass sich dieser wieder entziehen würde. Doch Aoi stand einfach nur da und starrte von einem zum anderen, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.
 

Die Informationen hatten ihn wie ein Schnellzug überrollt. Er konnte sich nicht bewegen, stand da wie zu Stein erstarrt. Er brauchte seine ganze Energie dafür, ein- und auszuatmen und sein Gleichgewicht zu halten, während er beinahe körperlich spürte, wie eine Information nach der anderen in sein Bewusstsein sickerte und sich langsam zu einer einheitlichen Masse verband. Und plötzlich war seine Kraft wieder da. Sie platzte so unerwartet aus ihm heraus, dass er selbst erst begreifen konnte, was er tat, als es schon geschehen war.
 

»Ihr verdammten Vollidioten!«, schrie er so laut, dass Uruha und Kai erschrocken zusammenzuckten. Sie schienen so perplex, dass sie nicht einmal auswichen, als Aoi zuerst den Gitarristen und dann den Drummer mit seinen Fäusten attackierte.
 

Er war sich nicht sicher, wo er sie traf, doch er spürte den Schmerz in seinen Fingerknöcheln und hörte Kai schmerzvoll aufkeuchen, ehe er Uruha am Kragen packte und ihm mit der Faust an der Schläfe streifte. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf hielt ihn davon ab, allzu fest zuzuschlagen, doch er hätte sie nur zu gern ignoriert. Uruha sackte unter ihm zusammen und beinahe wäre er mit ihm zu Boden gegangen, doch noch bevor er stürzte, wurde er von hinten gepackt und von ihm herunter gezerrt.
 

»Lass mich los!«, schimpfte er, doch gegen Kais stahlharten Griff hatte er keine Chance. Er zappelte und versuchte sich zu wehren, doch der andere hielt ihn mit solcher Gewalt fest, dass er in seinen Armen erschlaffte und sich schmerzvoll auf die Unterlippe biss. Er wollte die Tränen zurückdrängen, doch diesmal verlor er. Er spürte, wie er zu zittern begann, wie seine Beine nachgaben, als würden sie seinen Wunsch erhören, im Boden zu versinken, und als heiße Tränen über seine Wangen flossen, gab er es endgültig auf. Er biss die Zähne so fest zusammen, wie er konnte, um ein Schluchzen zu unterdrücken, doch als er Uruhas vor Schrecken geweitete Augen sah, die ihn anstarrten, als würden sie ihn nicht mehr erkennen, konnte er den Laut nicht zurückhalten.
 

»Ich dachte, ihr trennt euch von mir!«, rief er mit erstickter Stimme und verfluchte sich dafür, dass er sich nicht besser unter Kontrolle hatte. »Ich dachte, sie hätten es von euch verlangt, und ihr würdet es tun! Wisst ihr, was ihr mir für eine Angst eingejagt habt!«
 

Er schämte sich für jede Träne, die über seine Wange lief, doch sie wurden nur noch mehr, als er spürte, wie Kai seinen Griff in eine Umarmung wandelte und seinen Kopf in seinem Nacken vergrub.
 

»Es tut mir leid«, flüsterte er, streute flüchtige Küsse auf seine Haut und streichelte mit den Händen über Aois Brust, welcher noch immer zitterte, als wäre es tiefster Winter.
 

»Aoi…«, hauchte Uruha, bevor er aufsprang, sich nicht darum kümmernd, dass dieser ihn nur Sekunden zuvor fast ausgeknockt hätte, und ihn ebenfalls umarmte.
 

»Ich wollte dir keine Angst einjagen! Ich würde mich nie von dir trennen«, sagte er leise, aber so ernst, dass Aoi noch fester in seine Unterlippe biss und seine Arme um ihn schloss. Und erst jetzt erlaubte er sich zum ersten Mal, sich wieder zu entspannen. Die Wärme der beiden anderen schien ihn vollkommen zu durchfluten, legte sich um ihn wie ein schützendes Schild, so dass er nicht einmal mehr den Wind spürte, der kühl über das flache Dach fegte. Alles, was er noch spürte, war Haut, Wärme, Sicherheit und nicht zuletzt Ruhe. Noch immer klopfte sein Herz so schnell, als wäre er soeben einen Marathon gelaufen, doch mit jedem Schlag wurde es etwas ruhiger, bis es sich wieder auf seinen normalen Takt eingependelt hatte.
 

Er wusste nicht einmal, wie lange sie so gestanden haben. Kai an seinem Rücken, die Arme um seine Taille geschlossen, als würde er noch immer Angst haben, dass er fallen könnte, und Uruhas warme Brust an seinem Oberkörper, gerade so, dass er seinen Kopf an dessen Schulter lehnen konnte. Und auf einmal verstand er, was passiert war. Warum Uruha Augen gerötet waren, als er aufs Dach gekommen war, warum Kai den anderen so seltsam angesehen hatte. Alles, was sie getan und gesagt hatten, war eine sehr bizarre Liebeserklärung gewesen, aber sie bedeutete Aoi mehr, als es Worte jemals hätten tun können. Und sie ließ ihn sich über eines so sicher sein wie noch nie zuvor: Er bereute keinen Augenblick, die beiden Männer in sein Leben gelassen zu haben. Denn was auch immer andere Leute über sie sagen sollten – das war Liebe.
 

»Ich hoffe, ihr kriegt kein blaues Auge«, brach er schließlich die Stille und schmunzelte leicht, als er sah, wie Uruha erstaunt aufblickte.
 

»Pflegst du mich, wenn doch?«, antwortete der Gitarrist und grinste, als Aoi scherzhaft die Faust hob und ihm damit an die Wange stupste.
 

»Hey, mich hat er härter getroffen als dich!«, protestierte Kai und zog Aoi noch enger an sich heran. »Wenn hier einer gepflegt wird, dann ich! Uruha hat sich nur theatralisch auf den Boden fallen lassen!«
 

Uruha blies empört die Backen auf, doch dann grinste er und schlang seine Arme so weit um Aoi herum, dass er gleichzeitig auch Kai drücken konnte.
 

»Hey, ihr zerquetscht mich!«, beschwerte sich der schwarzhaarige Gitarrist und schubste Uruha in Ermangelung von Armfreiheit mit der Stirn gegen die Schulter und ein Stück von sich fort, so dass er sich wieder bewegen konnte. Doch auch er musste lächeln. Himmel, er fühlte sich so, als könnte er mit seinem Strahlen einem Kernkraftwerk Konkurrenz machen, so erleichtert war er.
 

»Ihr seid wirklich unglaubliche Vollidioten!«, wiederholte er, doch er musste so breit grinsen, dass er seine Worte selbst nicht ernst nahm. Doch dann wurde ihm plötzlich klar, dass das eigentliche Problem noch bestand.
 

»Was tun wir jetzt?«, fragte er und sowohl Kai als auch Uruha sahen ihn ratlos an.
 

»Ich werde auf jeden Fall nicht sein Freund!«, stellte Uruha klar und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. »Zwei von der Sorte reichen mir vollkommen!«
 

Aoi lachte und Kai grinste, doch dann wurden sie wieder ernst.
 

»Ich denke, wir stimmen überein, dass wir bei der Sache nicht mitspielen wollen«, sagte der Leader ernst und die beiden anderen nickten. »Wir dürfen aber auch niemandem sagen, dass wir es Aoi erzählt haben. Und du, Aoi, du darfst es ebenso niemandem erzählen. Offiziell wissen es nur Uruha, ich, das Management und Kazuki.«
 

Aois Stirn zog sich in Falten, als Kai den Namen des anderen erwähnte. Hatte er ihn vor einer halben Stunde nicht sogar für nett gehalten und ihn bemitleidet? Zur Hölle damit! Er hatte seinen persönlichen Feind gefunden!
 

»Lass es bloß nicht an ihm aus!«, warnte Kai ihn, der sehr genau die Veränderung in seiner Mimik gesehen hatte. Aoi schnaubte leise, doch dann nickte er. So könnte er auch gleich allen auf die Nase binden, dass er es wusste.
 

»Dann fackel ich die PSC ab! Was denken die eigentlich, was wir sind? Ihre Leibeigenen? Wollen sie uns auseinanderbringen?« Aoi ballte die Faust und für einen kurzen Moment meinte er die Worte ernst.
 

»Ich glaube nicht, dass sie wissen, dass wir überhaupt zusammen sind«, sagte Kai und Uruha nickte.
 

»Ich glaube, sie wissen es von Ruki und Reita, aber nicht von uns«, meinte er. »Kai und ich haben aufgepasst, dass es niemand außerhalb der Bands erfährt, weil wir wissen, dass du es nicht magst. Die anderen Jungs halten dicht. Und die Managerin klang nicht so, als würde sie es wissen. Deshalb konnten wir es auch nicht benutzen, um Kazuki abzuwimmeln.«
 

Aoi hob überrascht eine Augenbraue, denn das hatte er wirklich nicht erwartet. Er war inzwischen davon ausgegangen, dass es einfach nicht zu übersehen war. Das war auch eine der Sachen, die ihn störten. Aber dass das Management nichts von ihnen wusste, war eine sehr beruhigende Information. Auch wenn es vielleicht in diesem Punkt einiges erleichtert hätte. Wenn Kazuki es wüsste, würde er dann immer noch verlangen, dass Uruha sein Freund würde?
 

»Und was, wenn du einfach so tust, als ob du es akzeptierst?«, fragte er in Uruhas Richtung und dieser schnappte überrascht nach Luft.
 

»Ich soll bitte was?!«, fragte er entsetzt, so dass Aoi mit den Augen rollte.
 

»Komm schon, stell dich nicht so an! Du sollst es ihm vorspielen, es nicht wirklich sein! Und nebenbei kannst du all deine negativen Eigenschaften ausleben, so dass er von selbst wieder Leine zieht!«
 

Aoi wollte es nicht allzu offensichtlich zugeben, doch er fand den Plan, der sich gerade in seinem Kopf entwickelte, ziemlich genial! Auf diese Art und Weise manövrierten sie sich geschickt um das eigentliche Thema herum, taten aber gleichzeitig so, als würden sie mitspielen. Und weh tat es auch niemandem. So wie er Kazuki einschätzte, hatte dieser eh nur eine sehr vage Vorstellung von Uruha. Wie konnte man schon sagen, man würde jemanden toll finden, wenn man nur DVDs von ihm kannte?! Das Einzige, in das man sich so verlieben konnte, war ein Bild, was man sich selbst zusammengesponnen hatte, eine perfekte Person, die so überhaupt nicht existierte. Er wollte nicht falsch verstanden werden, aber Uruha hatte doch einige recht gewöhnungsbedürftige Eigenschaften, wenn man ihn näher kannte. Und er konnte eine ziemlich anstrengende Diva sein! Wenn er es richtig ausspielte, würde er Kazuki so auf die Nerven gehen, dass dieser nicht einmal eine Woche bei ihm aushalten würde.
 

»So viele negative Eigenschaften habe ich gar nicht!«, protestierte Uruha leicht gekränkte, doch Aoi ignorierte seinen Einwand. Er blickte den anderen erwartungsvoll an und sah dann zu Kai, der gedankenversunken den Kopf wiegte.
 

»Ich finde die Idee nicht schlecht!«, ließ sich dieser schließlich vernehmen und Aois Gesicht erhellte sich, als der Drummer zustimmend nickte. Also war sein Plan tatsächlich so genial, wie er dachte!
 

Uruha schnaubte leise und murmelte irgendetwas davon, dass er es gar nicht toll fand, einen Wildfremden bei sich einziehen zu lassen, doch er schien keinen besseren Vorschlag parat zu haben.
 

»Helft ihr mir wenigstens, aufzuräumen?«, sagte er schließlich und verzog säuerlich den Mund, als Aoi vor Überraschung die Augen weitete.
 

»Warum willst du das beste Argument gegen dich beseitigen?«, stichelte er und grinste ebenso breit wie Kai.
 

»Hey, wir wollen ihn vergraulen, nicht gleich umbringen!«, warf der Leader trocken ein und erntete dafür einen angedeuteten Kick von Uruhas Stiefel, dem er jedoch gelenkig auswich.
 

»Wir helfen dir aufräumen, keine Sorge!«, versicherte er und tätschelte Uruha versöhnlich die Wange, was dieser mit einem leisen Schnauben kommentierte. Dann wurde er übergangslos ernst und sein Blick wehmütig, als er je eine von Aois und Uruhas Händen griff und mit dem Daumen über deren Handrücken streichelte.
 

»Das heißt, wir werden nicht ganz so viel Zeit zusammen haben wie vorher«, sagte er und versuchte ein kleines Lächeln, doch es war ihm deutlich anzusehen, wie schwer es ihm fiel.
 

Aoi seufzte schwer und nickte. Das würde tatsächlich schwer werden. Er hatte sich inzwischen so sehr daran gewöhnt, mit beiden aufzuwachen, dass er sich kaum noch vorstellen konnte, wie es ohne sie sein sollte. Oder zumindest ohne Uruha. Denn ihn von Kazuki loszueisen, ohne dass dieser etwas merken würde, würde schwer sein.
 

»Hey, mal ein oder zwei Tage, an denen du mich nicht überfällst, werde ich schon überleben«, versuchte er den anderen zu necken. Er wusste nicht, ob er sich die Worte glauben sollte oder nicht. Es würde schwer werden, denn auf so eine Probe waren sie bisher noch nicht gestellt worden. Doch er wollte die Möglichkeit, dass etwas schief gehen könnte, nicht einmal ansatzweise in Betracht ziehen. Nein, sein Plan würde funktionieren!
 

»Länger als eine Woche wirst du doch wohl kaum brauchen, um ihn loszuwerden!«, fuhr er fort und drückte Uruha einen Kuss auf die Lippen, ehe er auch noch Uruhas Hand griff und beide Hände festhielt. Er konnte nicht umhin, es ein wenig lustig zu finden, wie sie sich im Kreis wie Kinder an den Händen hielten, doch es gab ihm ein warmes Gefühl von Sicherheit und Zuversicht, so dass er die nächsten Worte absolut ernst meinte.
 

»Und dann wird alles wieder normal!«
 

~*~
 

Bei Uruha aufzuräumen, stellte sich als leichter heraus, als Aoi ursprünglich befürchtet hatte. Nachdem sie einmal mit einem Berg von Müllsäcken durch die Wohnung gewirbelt waren, Uruha ignorierend, der zwischen ihnen herumsprang und versuchte, Sachen zu retten, von denen er der Meinung war, dass er sie sicher noch mal brauchen würde, war es schon wesentlich übersichtlicher. Die losen Notenblätter waren gestapelt, Zeitschriften in die Regale und Kleidungsstücke in den Schrank geräumt. Da Uruha scheinbar fast ohne Geschirr auszukommen schien, war dies ebenso wenig ein Problem gewesen. Und nach drei Stunden Arbeit sah die Wohnung mit dem kleinen Wohnzimmer mit Sofa, Couchtisch und Küchenzeile sowie das anschließende Schlafzimmer fast normal aus.
 

Sowohl Aoi als auch Kai hatten darauf bestanden, dabei zu sein, wenn Kazuki am nächsten Tag seine Sachen vorbeibringen und offiziell einziehen würde. Aoi war schon den ganzen Tag aufgefallen, dass Kai seltsam verbissen wirkte, und obwohl er sich anfänglich keinen Reim darauf hatte machen können, war er irgendwann darauf gekommen, dass nicht nur er darunter litt, dass Uruha in nächster Zeit eher mit anderem beschäftigt sein würde als mit ihnen. Denn auch wenn er meist im Mittelpunkt stand, wenn sie zu dritt waren, waren die Gefühle zwischen Uruha und Kai mindestens genauso stark wie zu ihm. Und wenn man Kai, der sich normalerweise am meisten unter Kontrolle hatte, etwas anmerkte, dann konnte man davon ausgehen, dass es ihn wirklich mitnahm.
 

»Hey, lach mal!«, versuchte er den anderen aufzuheitern, als sie bei Uruha auf der Couch saßen, die Aoi bis jetzt noch nie in aufgeräumtem Zustand zu Gesicht bekommen hatte. Kai blickte ihn überrascht an, dann hoben sich seine Mundwinkel und er streichelte dankbar Aois Schulter. Uruha tigerte schon seit einigen Minuten ruhelos auf und ab, so dass Aoi ihm am liebsten ein Bein gestellt hätte, damit er damit aufhören würde.
 

Sein Blick wanderte zur Uhr, die anzeigte, dass es nur noch 10 Minuten bis zur vereinbarten Zeit waren, doch noch bevor er überlegen konnte, wie sie die letzten verbleibenden Momente, bevor der Feind sich in ihr Leben drängen würde, nutzen sollten, klingelte es an der Tür.
 

Uruha fuhr zusammen und starrte sie paralysiert auf die Tür, während Kai ein leises »Zu früh!« brummte und sich erhob, um zu öffnen.
 

Kazuki sah ihn erstaunt an, als er anstelle Uruhas die Tür öffnete, doch dann grüßte er freundlich und nickte auch Aoi zu, der sich nicht von der Couch erhob und mit aller Anstrengung ein Lächeln zustande brachte. Er hatte versprochen, dass er seinen Zorn nicht an Kazuki auslassen würde, und er würde sich daran halten, auch wenn er dem hübschen Gitarristen am liebsten an die Kehle gesprungen wäre.
 

Der andere hatte einen großen Koffer in der einen Hand, eine Tasche über der Schulter und sah sich sichtlich verschüchtert um, ehe er in die Wohnung eintrat. Aoi merkte deutlich, dass sein Blick auf Uruha fixiert war, der sichtlich bemüht war, sich sein Unwohlsein nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
 

»Aoi und ich werden dann mal wieder gehen!«, sagte Kai mit einem Mal und Aoi nickte, froh darüber, die seltsam angespannte Stimmung nicht länger ertragen zu müssen. Zwar hatte er vorgehabt, Kazuki nicht länger als irgend nötig mit Uruha allein zu lassen, doch das Schweigen war beinahe unerträglich.
 

»Ja, machs gut! Wir sehen uns morgen bei der Probe!«, sagte er und verzog für eine Sekunde den Mund, als ihm klar wurde, dass dies vermutlich die Art von Abschied sein würde, mit der er die nächste Zeit vorlieb nehmen müssen würde. Er hoffte nur, dass Uruha nicht schwach werden würde. Kazuki war bildhübsch und gehörte definitiv zu der Sorte Mann, die der andere früher bei jeder Gelegenheit gern um den Finger gewickelt hätte.
 

Uruha nickte nur und hob die Hand zum Gruß, ehe er Kazuki deutete, wo er seinen Koffer abstellen konnte. Aoi sah mit wachsendem Unwohlsein den hungrigen Blick, mit dem der jüngere Gitarrist seinen Freund von Kopf bis Fuß musterte, als sich dieser von ihm abwendete, und flüchtete die letzten Schritt fast aus der Wohnung. Kai folgte ihm und drückte ihm seinen Autoschlüssel in die Hand.
 

»Kannst du schon mal ausparken?«, fragte er ihn und Aoi nickte, froh darüber, dass er einen Grund hatte, so schnell wie möglich aus dem Haus zu verschwinden. Er hoffte nur, dass er trotzdem heute Abend bei Kai bleiben konnte, denn auch wenn es sein Plan gewesen war, mitzuspielen – ganz allein würde er das alles vermutlich nicht durchstehen.
 

So schnell er konnte, sprang er die Treppen hinunter und sah nicht mehr, wie sich Kai zurück in Richtung Uruhas Wohnungstür wendete.
 

»Alles klar bei euch?«, fragte der Drummer und Uruha nickte, ehe er auf die Couch deutete.
 

»Du kannst hier schlafen, ich habe kein Gästebett«, sagte er zu Kazuki, der ihn verwundert ansah.
 

»Was ist mit deinem Schlafzimmer?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung der geschlossenen Tür.
 

»Sperrzone für dich!« Uruhas Stimme war so hart, dass der junge Gitarrist erschrocken zusammenzuckte. Er wich einen Schritt zurück, als Uruha auf ihn zuging, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß, die Augen eingeschüchtert geweitet. Einen Moment huschte sein Blick zu Kai, wie um ihn um Hilfe zu bitten, doch der Drummer lehnte nur mit verschränkten Armen an der Wand und beobachtete das Geschehen emotionslos.
 

»Denk nicht, dass zwischen uns irgendwas laufen wird!«, sagte Uruha mit warnender Stimme und piekte dem Jüngeren mit dem Zeigefinger in die Brust. »Ich nehme an, das ist der Grund, warum du bei mir einziehen willst. Doch du schläfst hier, mehr nicht! Und wenn du dich nicht benimmst, dann werfe ich dich raus! Haben wir uns verstanden?«
 

Der Druck seines Fingers verstärkte sich, so dass Kazuki sichtlich unwohl zu entweichen versuchte, doch Uruhas Hand, die sich neben seinem Kopf an die Wand legte, verwehrte ihm den Durchgang. Und zum ersten Mal zeigte sich ein rebellisches Funkeln in den Augen des anderen, als er Uruhas Handgelenk griff und es von seiner Brust wegriss.
 

»Das kannst du nicht mit mir machen!«, sagte er drohend, doch Uruha schmunzelte nur abfällig.
 

»Watch me!«, sagte er, bevor er sich von der Wand abstieß und auf die Tür zuging.
 

Kai schickte Kazuki, der Uruha perplex hinterher starrte, einen warnenden Blick, dann folgte er dem Gitarristen aus dessen Wohnung und schloss die Tür hinter ihnen. Er seufzte tief, als der harte Gesichtsausdruck von Uruha abfiel und er seinen Kopf müde auf Kais Schulter bettete.
 

»Das werden drei harte Monate«, sagte er Gitarrist leise und lehnte sich den Fingern entgegen, die beruhigend durch seine Nackenhaare kraulten.
 

»Es war die richtige Entscheidung«, antwortete Kai und hob mit den Fingern Uruhas Kinn, um ihm mit ernstem Blick in die Augen zu sehen. Dann legte sich ein weiches Lächeln auf sein Gesicht, ehe er ein wenig auf die Zehenspitzen ging und seine Lippen auf Uruhas drückte. Der Größere seufzte tief auf und öffnete den Mund, um die feuchte Zunge willkommen zu heißen, die zwischen seine Lippen schlüpfte und einen kurzen Moment mit der seinen spielte, ehe sie sich wieder zurückzog. Er wollte die Finger in Kais Nacken vergraben, um ihn zu halten, doch der andere löste sich von ihm und strich ihm mit dem Daumen über die feuchten Samtkissen, ehe sein Blick ernst wurde.
 

»Keine Angst wegen Aoi. Darum kümmere ich mich!«
 


 

Tbc.
 

Ab nächstem Kapitel wird Kazuki auch endlich mal in Aktion treten!

Da ich die nächsten Wochenenden mehr tun habe als sonst, werde ich wohl nicht jede Woche ein Update schaffen. Da hab ich euch angefüttert und jetzt sowas XDDD Ich hoffe, das ist ok. Bisher ist mir das updaten aber gar nicht schwer gefallen. Schreiben ist eher eine Entspannung für mich als eine Anstrengung ^_^b

Ich kündige übrigens immer auf Twitter an, wie weit ich bin und wann das nächste Kapitel kommt! Ihr könnt mir unter RAPHAEL_ASDRAI folgen!
 

P.S. Sagt ihr euren Freunden auch weiter, dass es eine neue RtR gibt? Das wäre super lieb! Und wie immer freue ich mich über Kommentare! <3

Kapitel 5
 

Als Aoi am nächsten Morgen seine Haustür hinter sich schloss, um sich auf den Weg in die Stadt zu machen, hatte er so schlechte Laune wie schon lange nicht mehr. Er hatte natürlich vollkommen vergessen, dass Kai am vorigen Abend noch ein Interview mit einem Magazin hatte und deshalb erst so spät nach Hause gekommen wäre, dass sie sich schon vor einer Woche darauf geeinigt hatten, dass Aoi in seiner eigenen Wohnung übernachten würde. Zu dem Zeitpunkt, als sie es so besprochen hatten, hatte Aoi sich nicht wirklich daran gestört. Wenn er ehrlich war, hatte er sich sogar darauf gefreut, sich einfach eine Pizza zu bestellen, es sich auf seiner Couch gemütlich zu machen und einen Film einmal in voller Länge zu sehen, ohne vorher aufs Sofa, den Couchtisch oder über die Sessellehne gelegt zu werden. Uruha hatte er vertröstet, dass er sich am nächsten Tag wieder mit ihm beschäftigen würde.
 

Nun hatte er seine Pizza und seinen Film bekommen, doch er hätte den Inhalte nicht zusammenfassen können, wenn ihn jemand gefragt hätte. Seine Gedanken waren die ganze Zeit bei Uruha und Kazuki gewesen, und nicht nur einmal hatte er das Handy in der Hand gehabt, um anzurufen. Doch kaum hatte er das Telefonbuch aufgeblättert, hatte er sein Benehmen so lächerlich und kindisch gefunden, dass er es wieder geschlossen hatte. Er würde ganz sicher nicht wie ein eifersüchtiges Weibchen Telefonterror machen!
 

Die Nacht daraufhin hatte er sogar erstaunlich gut durchgestanden, voller Entschlossenheit, sich von einem kleinen verzogenen Indie-Musiker nicht bedroht zu fühlen. So weit käme es noch, dass er sich davon verrückt machen ließ! Und ohne Uruha und Kai auszukommen, würde er wohl auch noch schaffen!
 

Doch spätestens in dem Moment, in dem er am nächsten Morgen in der Dusche förmlich darauf gewartet hatte, dass sich ein anderer Körper hinter ihn schob, war ihm klar geworden, dass er große Entzugserscheinungen hatte. Wie konnte das überhaupt möglich sein, Entzugserscheinungen nach nur einem halben Tag? Es war ja schließlich nicht so, als würden sie ständig aufeinander hängen! Es hatte schon oft Zeiten gegeben, wo sie sich einmal ein paar Tage nicht hatten treffen können, und diese hatte er auch gut überlebt, ohne sich gleich wie ein liebeskrankes Mädchen zu benehmen, das von seinem Lover versetzt wurde. Doch diesmal war es anders…
 

Sein Gesichtsausdruck erhellte sich erst dann wieder, als er anderthalb Stunden später aus der U-Bahn Station trat und Uruha mit ungestylten Haaren und Sonnenbrille an einer Ecke auf ihn warten sah, eine Kippe lässig zwischen den Lippen und lustlos auf seinem Handy herumtippend.
 

»Hey«, begrüßte er ihn und musste sich zusammenreißen, um ihm nicht auf offener Straße um den Hals zu fallen. Dass Kazuki nicht bei ihm war, war ihm auch sehr angenehm. »Wie hast du die kleine Pest abgeschüttelt, die bei dir eingezogen ist?«
 

Uruha klappte sein Handy zusammen und hob bei seinem letzten Kommentar eine Augenbraue, bevor er grinste.
 

»Ich sehe, du hast deine E-Mails so sorgfältig wie immer gecheckt, so dass du zwar weißt, DASS du dich mit mir treffen sollst, aber nicht WARUM.«
 

Er lachte, als Aoi ertappt die Stirn kräuselte, und drückte kurz seine Hand, ehe er sich in Bewegung setzte. Die unauffällige Berührung war wie ein warmer Sonnenstrahl gewesen, doch viel zu schnell wieder vorbei. Aoi folgte ihm wortlos und versuchte sich zu erinnern, ob tatsächlich noch etwas anderes in der Mail gestanden hatte. Doch das Einzige, an das er sich erinnern konnte, war seine Freude, dass er Uruha so schnell schon wiedersehen konnte.
 

»Dann spann mich nicht länger auf die Folter«, sagte er schließlich, als er es aufgab, sich weiter den Kopf zu zermartern.
 

»Livehouse, Probe. Nicht unsere, deren!«
 

»Deren? Seit wann finden Proben in Livehouses statt? Die kriegen wohl bei allem eine Sonderbehandlung!«
 

Aoi hob eine Augenbraue und stellte mit Ernüchterung fest, dass seine schlechte Laune urplötzlich wieder da war. Uruha schien es an seinem schnippischen Tonfall zu merken, denn er drehte sich zu ihm um und tätschelte ihm die Schulter.
 

»Das mit dem Babysitten war leider kein Scherz«, seufzte er und lächelte wehmütig. »Wir sollen uns ein Bild von ihrer Live-Präsenz machen, um mit ihnen daran zu arbeiten. Als ob ich sonderlich Lust darauf hätte…«
 

Er wirkte müde und auf einmal verteufelte Aoi die dunkle Sonnenbrille des anderen, die ihm einen Blick in dessen Augen verwehrte. Eigentlich hatte er fragen wollen, was letzte Nacht geschehen war, wie sich Kazuki verhalten hatte, ob Uruha ihn unter Kontrolle hatte, ob er ihn verdammt noch mal gefälligst nicht in sein Bett gelassen hatte – doch er wusste nicht wirklich, wie er beginnen sollte, ohne zu paranoid oder zu misstrauisch zu klingen. Vielleicht sollte er sich einfach mal am Riemen reißen und Uruha vertrauen!
 

Das Problem war, er war sehr wohl bereit, ihm zu vertrauen. Doch er vertraute Kazuki nicht.
 

~*~
 

»Wo sind eigentlich Kai, Ruki und Reita?«, fragte Aoi, als sie die dunklen Stufen des Hintereingangs des Livehouses hinuntergingen und die schwere Tür öffneten, um den Innenraum zu betreten, aus dem sie durch eine weitere Tür gedämpfte Musik hörten.
 

Sie hatten sich entschieden, sich nicht bemerkbar zu machen und erst einmal aus einer dunklen Ecke zu beobachten, was die anderen auf der Bühne so zu bieten hatten. Im Backstage Bereich konnte man sich gut verstecken und hatte trotzdem einen offenen Blick auf das Geschehen.
 

»Kai und Ruki sitzen beim Management und reden mit ihnen über eine Willkommensparty für die neuen Bands; und Reita… Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
 

Uruha öffnete die Tür zur Bühne und sofort schallte ihnen die Musik in ihrer vollen Lautstärke entgegen, so dass Aoi hätte schreien müssen, hätte er die Antwort des anderen kommentieren wollen. So verzog er nur leicht säuerlich den Mund, nicht sicher, ob ihn mehr störte, dass Reita sich vor der Arbeit drückte oder dass er einen weiteren halben Tag auf Kai verzichten musste. Doch ändern konnte er daran auch nichts mehr. Und wenn er ehrlich war, war er schon ein wenig neugierig darauf, was SCREW zu bieten hatten.
 

Wenn er sich über etwas sicher war, dann war es sein Auftreten auf der Bühne. Er war im wirklichen Leben vielleicht manchmal unsicher oder tollpatschig oder fühlte sich nicht wohl, aber sobald er in sein Kostüm schlüpfte, die Bühne betrat und ihn der Scheinwerfer in sein gleißendes Licht hüllte, wurde er zu ›Aoi‹, dem sexy, selbstsicheren Gitarristen von Gazette, der mit jedem Song, mit jedem Gitarrenriff und jedem Applaus noch mehr aufdrehte und von einem Adrenalinstoß zum nächsten rockte.
 

Er wusste, dass es Uruha und den anderen genauso ging. Natürlich schauspielerten sie, natürlich zeigten sie sich in einer Rolle, die sie entweder vom Label bekommen oder sich selbst ausgedacht hatten – aber in diesen zwei Stunden im Scheinwerferlicht lebten sie sie mit voller Inbrunst. Diese Rolle war über die Jahre zu einem Teil seines Selbst geworden, den er liebte und nicht mehr missen wollte, und zu sehen, wie eine noch relativ junge Band ihre Rolle für sich entdeckte und sie zu leben begann, versprach durchaus spannend zu werden.
 

Uruha reckte den Hals hinter einem Verstärker hervor und winkte Aoi, sich neben ihn zu stellen, so dass sie von der Seite auf die Bühne sehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Der andere Gitarrist schob sich neben ihn in den Schatten und lehnte sich an die Wand, um das Geschehen zu beobachten. Der Bass vibrierte in seinem Bauch, die Gitarren kreischten in seinen Ohren und er konnte den Beat der Bassdrum durch den Boden seinen Körper durchzucken fühlen. Seine Augen drifteten für einen kurzen Moment genüsslich zu und ließen ihn die harten Riffs mit seinen restlichen Sinnen umso intensiver spüren, ehe er sie wieder öffnete und sich die Mitglieder näher betrachtete.
 

Er konnte jetzt verstehen, warum Ruki den Sänger als seinen Cosplayer bezeichnet hatte. Er hatte eine beinahe verblüffend ähnliche Ausstrahlung, etwas Kühles, Brutales in der Stimme, bevor sie im nächsten Moment wieder weich und beinahe verletzlich wurde. Sein Blick wanderte weiter und streifte die anderen Mitglieder flüchtig, doch noch bevor er sich wirklich mit ihnen beschäftigen konnte, blieb er an Kazuki hängen. Und was er sah, ließ ihn seinen Blick nicht mehr abwenden.
 

Gerade noch hatte er darüber nachgedacht, wie er selbst auf der Bühne in eine andere Rolle schlüpfte, doch in Kazukis Fall schien diese Rolle eine 180° Drehung im Tempo eines Wirbelsturms zu sein. Einen Augenblick bezweifelte er ernsthaft, dass dies die selbe Person war, die verschüchtert im Flur der PSC auf den Boden gestarrt hatte. Der Gitarrist war in hautenges schwarzes Leder gekleidet, das sich um seinen schlanken Körper schmiegte. Lederriemen und Ketten lagen um seine schmale Hüfte und waren um seine Arme geschnallt, seine langen Beine steckten in knappen schwarzen Hotpants, über der die Haut seines Bauchs hervorlugte, und seine roten Haare waren so perfekt gestylt wie eines Edel-Hosts in einem Hochglanzmagazin.
 

Doch das, was Aoi am meisten faszinierte, waren seine Bewegungen. Der schlanke Körper zuckte zu jedem Beat, wand sich im flackernden Scheinwerferlicht so erotisch, als würde er an einer Stange tanzen. Die sehnigen Arme, die seine Gitarre bearbeiteten, waren angespannt und hielten sie mit Gewalt fest, während sich sein Unterkörper dagegen presste, so dass es beinahe so wirkte, als würde er sie vergewaltigen. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die vollen Lippen geöffnet und von einem verruchten Lächeln umspielt.
 

Aoi schluckte trocken, als Kazukis Zunge hervorschnellte und über eines seiner Piercings und seine Unterlippe leckte, doch er war sich seiner Reaktion noch nicht einmal bewusst. Für eine winzige Sekunde schnellte sein Blick zu Uruha und er konnte sehen, dass dieser ebenso schockiert und verblüfft starrte wie er selbst, dann zog es seine Aufmerksamkeit schon wieder zu Kazuki. Und diesmal klappte ihm der Kiefer wirklich nach unten.
 

Der junge Gitarrist hatte sich in Bewegung gesetzt, tanzte mit schwingenden Hüften auf die Bühnenmitte zu, wo Byou schon auf ihn wartete. Der blonde Sänger grinste den anderen an, dessen Lippen noch immer das selbe verruchte Lächeln zeigten, ehe er sich mit dem Rücken an den Kleineren schmiegte. Sein Kopf kippte auf Byous Schulter, er riss seine Gitarre in die Höhe, bevor er sie am Gurt zur Seite sinken ließ, sich ein wenig drehte und mit seiner freien Hand über seinen Oberkörper fuhr. Seine Fingernägel kratzten spielerisch seinen Ausschnitt entlang, rissen an seinem Oberteil, bevor sie auf Byos Oberkörper wanderten, und in dessen geöffnetes Hemd schlüpften. Der Sänger reckte sich der Bewegung entgegen, die Augen starr auf das imaginäre Publikum gerichtet.
 

Für einen kurzen Moment verfluchte Aoi ihre Position dafür, dass er das Schauspiel nur von der Seite sehen konnte, doch die Bewegungen waren eindeutig genug. Byous Hand wanderte um Kazukis Hüfte, um ihn zu halten, während sich der Gitarrist wie eine Raubkatze noch näher an ihn schmiegte. Ihre Gesichter wendeten sich einander zu und für einen kurzen Moment geisterten ihre Lippen übereinander, bevor Kazuki plötzlich das Kinn des anderen packte und ihm einen beinahe brutalen Kuss auf den Mund zwang, ehe er sich von ihm abstieß und sich wieder zurück zu seinem Platz bewegte, als wäre nichts geschehen.
 

Aoi stand sicher noch zehn Sekunden mit geöffnetem Mund da, unfähig sich zu bewegen, bevor er es merkte und den Kiefer wieder nach oben klappte. Er sah zu Uruha und auch dieser hatte sichtlich Mühe, das soeben Erlebte zu verarbeiten. Sein Blick fand Aois und dieser nickte nur, als er an der Bewegung der Lippen des anderen die Worte »Holy Crap« ablas.
 

Holy Crap, oh ja, das traf es!
 

Hatte dieser Junge eine gespaltene Persönlichkeit?!
 

Ein schrilles Geräusch des Mikros ließ ihn zusammenzucken und nur Momente später verstummten die anderen Instrumente. Der Bassist winkte sich einen der Tontechniker heran, während der Sänger dem Menschen hinter dem Mischpult am Ende der Halle einen kurzen Break gestikulierte.
 

»Was?!«, beschwerte sich Kazuki, als Byou ihn mit vorwurfsvollem Blick ansah.
 

»Kazuki-chan, du machst schon wieder Sachen, die nicht abgesprochen waren!«, antwortete der andere und hob mahnend den Zeigefinger. »Antanzen, anschmiegen, Kuss andeuten. Andeuten! Nicht wirklich tun!«
 

Ein Grinsen breite sich auf den Lippen des Gitarristen aus, das selbe anzügliche Grinsen wie vor ein paar Minuten, nur noch viel breiter.
 

»Ach komm, du hast so sexy ausgesehen, da konnte ich mich nicht beherrschen!«, antwortete er ohne das geringste Anzeichen für Scham über seine direkten Worte. »Und tu nicht so, als würde es dir nicht gefallen! Ich hab genau gemerkt, wie du meinen Po gepackt hast und mit deinen Fingern unter meine Hotpants wolltest!«
 

Er lachte amüsiert als ihm der Sänger einen finsteren Blick zuwarf, und strich sich die Haare nach hinten. Seine schlanken Finger glitten etwas zu offensichtlich an seinem Hals entlang und spielten für einen Moment mit dem Stoff seines Oberteils, bevor er auf Byou zuging und ihm beide Arme ausgestreckt um den Hals legte.
 

»Wenn du das auch einbauen willst, können wir später nochmal privat üben«, säuselte er mit rauchiger Stimme und leckte sich verführerisch über die volle Unterlippe.
 

Sein Grinsen verschwand auch dann nicht, als Byou ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust piekte und ihn so von sich wegschob, stattdessen lachte er nur und warf ihm eine Kusshand zu, ehe er zurück auf seinen Platz gehen wollte. Doch im nächsten Augenblick erstarrte er zu Stein und seine Augen weiteten sich entsetzt. Der selbstsichere Gesichtsausdruck verschwand im Bruchteil einer Sekunde, ehe er den Kopf einzog und reflexartig zurückwich, als würde er sie wie eine Mimosenpflanze zusammenziehen wollen.
 

Aoi starrte ihn nur verdattert an, bis ihm klar wurde, dass jemand das Licht angemacht hatte und sie nicht länger im Schatten standen. Und da Kazuki ihn nicht einmal angesehen hatte, konnte seine Reaktion nur an einem liegen: Uruha.
 

»Auf jeden Fall, sprich sowas bitte das nächste Mal vorher mit mir ab, dann können wir sehen, ob wir es einbauen«, ließ sich Byou vernehmen, der von alledem noch überhaupt nichts mitbekommen hatte, bevor auch er sie entdeckte. Seine Augen weiteten sich überrascht und sein Blick huschte für einen kurzen Moment zu Kazuki, dann legte sich ein erfreutes Lächeln auf sein Gesicht und er hob die Hand zum Gruß.
 

»Hallo!«, sagte er laut und wedelte mit der Hand nach seinen anderen Bandmitgliedern. »Jungs, wir haben Besuch! - Was macht ihr denn hier?«
 

»Zusehen, was unsere neuen Pflegekinder schon allein auf die Beine stellen können!«, antwortete Uruha, der zuerst seine Reaktionsfähigkeit wiedererlangt hatte, spaßend und ging auf die Bühne, um die anderen zu grüßen und Byou auf die Schulter zu klopfen.
 

Aoi folgte ihm und nickte den jungen Männern höflich zu, die alle sichtlich begeistert über ihren Besuch schienen. Alle bis auf Kazuki, der wie ein paralysiertes Kaninchen auf den Boden starrte, die Schultern zusammengezogen und absolut regungslos, als würde er hoffen, dadurch unsichtbar zu werden.
 

»Wir dürfen euch doch sicher ein bisschen zugucken, oder?«, fragte Uruha und zeigte ihnen erfreut ein Thumbs Up, als die anderen enthusiastisch mit den Köpfen nickten. Er griff Aoi am Handgelenk und sprang mit ihm von der Bühne, um sich einen Platz in der Halle zu suchen, von dem aus sie weiter zusehen konnten – diesmal von vorn.
 

»Na dann!«, rief Byou und klatschte in die Hände, ehe er dem Tontechniker gestikulierte und seine Bandkameraden wieder auf ihre Plätze scheuchte.
 

»Kazuki-chan, du auch!«, sagte er und stieß dem Gitarristen, der auf seine Worte nicht einmal ansatzweise reagiert hatte, gegen die Schulter.
 

Der andere zuckte zusammen und nickte verlegen, ehe er zu seinem Platz schlich und mit zitternden Händen seine Gitarre umfasste. Es war ihm deutlich anzusehen, wie unwohl ihm die Situation war, und auch wenn er sich bei den nächsten Liedern nicht verspielte, waren seine Bewegungen lange nicht mehr so flüssig und verführerisch wie noch vor ein paar Minuten. Er wirkte hölzern, beinahe wie eine steife Puppe, und als sie die Probe schließlich beendeten, brauchte er nicht einmal 30 Sekunden, um sein Instrument abzustöpsen und im Backstage Bereich zu verschwinden.
 

Die beiden Gazette-Mitglieder sahen ihm perplex nach, doch von SCREW schien diese Reaktion niemanden zu verwirren.
 

»Der beruhigt sich wieder«, sagte Byou nach ein paar Minuten zu Aoi, als sie alle auf der Bühne standen und ihre Sachen packten.
 

Uruha hatte sich zu dem Bassisten und dem anderen Gitarristen gesellt, sich in ein Gespräch über Frequenzen und Verstärker vertieft und versuchte ihnen gerade zu zeigen, wie man mit dem Fuß den Kanal wechseln und in der selben Bewegung noch einen rekordverdächtigen Hüftschwung inszenieren konnte, während Aoi sich ein wenig verloren vorkam. Er nickte, auch wenn er nicht wirklich wusste, was er mit der Information anfangen sollte.
 

»Er dreht ja auf der Bühne ganz schön auf«, sagte er schließlich und tippte sich auf die Lippen. Byou verstand den Hinweis, denn er lachte und wiegte den Kopf hin und her.
 

»Ach nein, so ist er normalerweise auch«, klärte er den schwarzhaarigen Gitarristen auf. »Es vergeht eigentlich kaum ein Tag, an dem er nicht irgendjemanden küsst oder sich auf ihn wirft oder ihm in den Schritt fasst. Er hat sogar einmal das Kamasutra angeschleppt und wollte uns zwingen, es in Trockenaerobic nachzustellen.«
 

Er grinste breit, als er Aois schockiertes Gesicht sah, ehe er mit den Schultern zuckte.
 

»So ist er halt«, sagte er, als wäre es etwas vollkommen Normales, wenn ihm sein Bandkollege beinahe täglich an die Wäsche wollte.
 

Aoi klappte den Mund auf und wieder zu, sichtlich verwirrt, wie er diese neuen verstörenden Informationen einordnen sollte, denn obwohl es in seinem Fall tatsächlich normal war, wenn einem Bandkollegen an die Wäsche gingen, so war er sich ziemlich sicher, dass das NICHT der Normalfall war.
 

»Und was war das dann gerade eben?«, fragte er schließlich und deutete auf die Tür, durch die Kazuki verschwunden war.
 

Für einen Augenblick wurde Byous Gesichtsausdruck ernst, dann seufzte er tief.

»Keine Ahnung. Wenn es um Uruha geht, dreht er irgendwie ein bisschen ab. Aber das wird sich schon wieder einrenken!«
 

Er nickte zuversichtlich und wendete sich seinem Mikrokabel zu, während Aoi sichtlich beunruhigt auf die Tür starrte. Das, was er bis jetzt erlebt hatte, ließ seiner Meinung nach keines Wegs darauf schließen, dass sich irgendetwas einrenken würde! Im Gegenteil, je mehr er über den anderen erfuhr, umso unruhiger ließ es ihn werden. Solange er Kazuki für einen harmlosen – wenn auch leicht abgedrehten – Fanboy gehalten hatte, hatte er es halbwegs mit sich vereinbaren können, ihn bei Uruha wohnen zu lassen. Doch nun, da er mit eigenen Augen gesehen hatte, zu was der Junge fähig war, erfüllte es ihn schier mit Panik, wenn er nur daran dachte, dass er sich im selben Raum wie sein Freund aufhielt.
 

Er musste mit Kai reden. Sie mussten sich dringend etwas einfallen lassen! Er wollte auf keinen Fall, dass Uruha mit diesem wandelnden psychotischen Hormonhaushalt nach Hause ging! Das wäre definitiv ein wandelnder Hormonhaushalt zu viel in Uruhas Wohnung! Am liebsten würde er sofort wieder alles rückgängig machen, was sie abgesprochen hatten, sich Uruha schnappen, ihn in Kais Wohnung schleppen und die Tür hinter ihnen verrammeln.
 

Denn über eines war er sich nun absolut sicher: Kazuki war gefährlich.
 

~*~
 

»Was soll das heißen, er soll ihn nicht nach Hause nehmen?«
 

Kais Stimme am Telefon war recht verdutzt, als Aoi ihn wenige Minuten später vom Vorraum des Livehouses anrief, und sein Tonfall ließ darauf schließen, dass er eigentlich gerade mit etwas Wichtigerem beschäftigt war.
 

»Du hättest ihn sehen müssen!«, sagte Aoi aufgebracht und sah sich erschrocken um, als seine Stimme etwas lauter war, als er eigentlich vorgehabt hatte. Er dämpfte seine Stimme, als er fortfuhr, aber seine Worte waren deshalb nicht weniger aufgeregt. »Es war, als würde Uruha auf Ruki losgehen. Er hat ihn befummelt und geküsst, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er ihn auf der Bühne flachgelegt!«
 

Nun ja, letzteres war vielleicht ein klein wenig übertrieben, aber solange es ausreichte, dass Kai den Ernst der Lage begriff, war es durchaus angemessen. Er fand sein Beispiel äußerst aussagekräftig. Für einen kurzem Moment hatte er tatsächlich ein Déjà-vu von Uruha und Ruki gehabt, die genau das selbe schon zig Mal vor seinen Augen aufgeführt und die Fangirls damit zum Kreischen gebracht hatten. Und im Fall von Uruha und Ruki war es auch nicht immer nur beim Küssen geblieben. Er kannte die Videos!
 

»Der Junge hat es faustdick hinter den Ohren!«, fuhr er fort und fühlte, wie sein Herz unangenehm schnell zu klopfen begann, als er sich erinnert, mit was für einem hungrigen Blick Kazuki Uruha angesehen hatte, als er bei ihm eingezogen war. Dieser Blick war gefährlich gewesen, ein Blick, wie Aoi ihn von vielen anderen und nicht letztlich von sich selbst kannte – aber keiner dieser anderen Menschen wohnte bei Uruha. Keiner schlief so dicht neben seinem Schlafzimmer, das sich nicht abschließen ließ. Er wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn Uruha einen schwachen Moment hätte.
 

»Kai, sag was!«, flehte er, als es am anderen Ende der Leitung still war.
 

Kai seufzte, und Aoi wusste selbst ohne dass er es sah, dass der andere dabei mit den Augen rollte. Er kannte den Ton gut genug, und er hätte Kai am liebsten dafür geschlagen.
 

»Meinst du nicht, dass du etwas überreagierst?«, fragte der Drummer. »Es war deine eigene Idee, dass wir mitspielen sollen. Und jetzt willst du es einfach abbrechen? Weißt du, dass uns das unseren Vertrag kosten könnte? Uruha nimmt eine Menge auf sich, um das durchzuziehen. Du solltest ihn lieber unterstützen, anstatt ihm so in den Rücken zu fallen!«
 

Seine Worte waren hart gewesen und für einen Augenblick wusste Aoi nicht, was er erwidern sollte. Sein Mund stand offen, er hielt das Handy regungslos in der Hand und für einen kurzem Moment wurde ihm unangenehm schwindlig, so dass er sich an der Hauswand abstützen musste. Nur langsam konnte er sich wieder fangen, doch die Gedanken schwirrten noch immer in seinem Kopf herum, als würde darin ein Wirbelsturm toben. Er wusste nicht, was er antworten sollte, denn das Grausame war: Kai hatte Recht. Und sein letzer Vorwurf hatte Aoi mehr getroffen, als er für möglich gehalten hatte.
 

»Bin ich denn der Einzige von uns, der Angst hat, dass er uns verlassen könnte?«, sagte er und musste sich zusammenreißen, um seine Stimme fest klingen zu lassen. Er hatte es als Vorwurf formulieren wollen, doch es klang eher so, als würde er sich verteidigen.
 

Einen Moment war es still an der anderen Seite der Leitung. Aoi konnte förmlich fühlen, wie ihm mit jeder Sekunde kälter wurde, in der Kai nicht antwortete. Doch schließlich hörte er den anderen seufzen. Diesmal wollte er Kai nicht dafür schlagen. Diesmal tat es einfach nur weh. Aber es war nicht einmal annähernd so grausam wie Kais nächste Worte.
 

»Wir haben zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass wir eine monogame Beziehung haben. Das sollte dir klar sein. Aber selbst wenn Uruha mit Kazuki schlafen sollte, wird er uns deshalb nicht verlassen.«
 

Die Stimme des anderen hatte weich geklungen, beinahe so, als wollte er Aoi trösten, doch dieser bemerkte es nicht einmal. Seine Beine, die ihn bis jetzt noch sicher gehalten hatten, gaben mit einem Mal nach und ließen ihn auf den Boden des Vorraums sinken. Es war ihm vollkommen egal, dass der Untergrund dreckig war, als seine freie Hand darauf Halt suchte, um ihn abzustützen. Er war sich beinahe sicher, dass er auch das Handy hatte sinken lassen, und erst als Kai fragend seinen Namen sagte, bemerkte er, dass er es noch immer an sein Ohr gepresst hatte, die Finger so fest darum geschlossen, als würde er es zerquetschen wollen.
 

»Aoi?«, wiederholte Kai seine Worte, doch Aoi reagierte nicht. Er fühlte sich wie gelähmt, als hätte sich eine eisige Kälte um seine Brust geschlossen und würde seine Kehle mit ihren klammen Fingern zusammendrücken, so dass er nur noch unter Schmerzen atmen konnte. Denn es tat weh. Es tat so sehr weh, dass er am liebsten aufgeschrien hätte.
 

Kai hatte Recht … Kai hatte mit allem Recht. Er hatte es nie bemerkt, hatte sich so wohl mit ihm und Uruha gefühlt, dass er vollkommen vergessen hatte, dass keine Regel sie daran hinderte, sich auch mit anderen zu vergnügen. Vielleicht war es schon geschehen und er hatte es nur nicht bemerkt? Was, wenn Kai es auch schon getan hatte? Er schien es immerhin zu billigen! Und Uruha? Uruha liebte es, mit anderen zu flirten, und sein Ruf als Schwerenöter eilte ihm durch die gesamte PSC voraus. Hatte er das wirklich für ihn aufgegeben? Was, wenn nicht? Was, wenn er das ›Spiel‹, Kazukis Freund zu sein, zu ernst nahm?
 

»Aoi, ich habe keine Zeit mehr, ich muss zurück ins Meeting«, riss ihn Kais Stimme aus seinen Gedanken, und er zuckte erschrocken zusammen.
 

»Kai, warte!«, keuchte er hastig, plötzlich wieder vollkommen klar. »Leg nicht auf, ich muss mit dir reden! Ich brauche dich jetzt! Was meinst du mit ›das sollte mir klar sein‹? Hast du heute Abend Zeit?«
 

Sein Herz klopfte so laut, dass er es zu hören glaubte. Er hielt den Atem an und leichte Panik überfiel ihn, als er für eine Sekunde glaubte, Kai hätte schon aufgelegt, doch die leisen Hintergrundgeräusche am anderen Ende der Leitung waren noch immer zu hören.
 

»Tut mir leid, Aoi, ich habe heute keine Zeit für dich. Wir sprechen uns morgen!«
 

Dann ertönte ein leises Klicken und es war still. Aoi starrte einen Augenblick schockiert ins Nirgendwo, das Handy immer noch ans Ohr gepresst.
 

»Kai!«, rief er, »Kai!«, doch die Leitung war tot. Aoi schnappte hörbar nach Luft, nicht empört darüber, dass ihn der andere einfach weggedrückt hätte, wie er es sonst gewesen wäre, sondern aus purer Panik. Er japste erneut auf, diesmal lauter als das letzte Mal, und hielt sich erschrocken die Hand auf die Brust, als er den seltsamen Laut vernahm. Doch er konnte nicht verhindern, dass er es ein drittes Mal tat, diesmal so schwach, als hätte ihm jemand mit voller Wucht in die Magengrube geschlagen, ehe er das Handy sinken ließ.
 

Was passierte hier gerade mit ihm? Gestern noch hatte er sich sicher gefühlt, hatte gedacht, sie würden alles zusammen durchstehen können. Und nun hatte er nur noch Angst, große Angst. Kazuki war eine ernste Bedrohung, die sich einfach rücksichtslos in ihr Leben gedrängt hatte, und die beiden Menschen, die er brauchte, um es durchzustehen, waren nicht für ihn da. Er musste etwas tun, musste ihnen klarmachen, was ihn so in Panik versetzte. Doch Uruha konnte er nicht auch noch seine eigenen Probleme auflasten. Und Kai hatte ihn zurückgewiesen. Und er konnte nicht leugnen, dass er sich von ihm verraten fühlte, ein Gefühl, was er fast noch mehr hasste als die Angst, Uruha könnte bei Kazuki schwach werden.
 

Von seinem einen Freund fühlte er sich im Stich gelassen, dem anderen vertraute er nicht. Wie tief konnte er noch sinken?
 

Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt wie jetzt.
 

tbc.
 

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Aha, aha, Kazuki ist also doch ganz anders als gedacht XD Na das wird noch interessant werden! Armer Aoi!
 

Ich fliege nächste Woche übrigens für 10 Tage nach Schweden. Kalt ... >.< Ich denke, ich werde mich auf einen 2-wöchigen Update-Rhythmus einpendeln. Das nächste Kapitel ist in meinem Kopf schon fertig, will nur noch geschrieben werden.

Kapitel 6
 

Als Uruha nach der Probe nach Hause ging, war er so müde wie schon lange nicht mehr. Kazuki ging ein paar Schritte hinter ihm und folgte ihm wortlos, genauso wie vor ein paar Stunden, als Uruha ihn zur Halle begleitet hatte, bevor er sich mit Aoi traf. Er hatte nicht großartig argumentiert, als ihn der junge Gitarrist darum gebeten hatte, hauptsächlich aus dem Grund, weil er vermutlich in absehbarer Zeit die Wände seiner Wohnung hochgegangen wäre, hätte er noch länger darin eingesperrt sein müssen. Sein kleines Apartment, das er noch nie sonderlich gemocht und gern gegen einen Platz in Aois oder Kais geräumigem Bett eingetauscht hatte, wirkte noch viel bedrängender, seitdem sein neuer Mitbewohner eingezogen war.
 

Es war nicht so, dass sie nicht gut miteinander auskamen. Wenn man es genau betrachtete, konnte Uruha nicht einmal beschreiben, WIE sie miteinander auskamen, denn nachdem Kai und Aoi sich am Vortag verabschiedet hatten, hatte Kazuki kaum ein Wort mehr gesprochen. Er hatte sich ohne weiteren Protest mit der Couch begnügt und scheinbar ruhig geschlafen, während Uruha sich die restliche Nacht rastlos in seinem Bett herumgewälzt und kein Auge zu getan hatte, immer auf der Hut, ob sich im angrenzenden Raum etwas bewegte, und bereit, es notfalls niederzuschlagen, wenn es sich in seinen Raum schleichen sollte. Doch nichts war passiert.
 

Am nächsten Morgen waren seine Augen gerötet und aufgequollen gewesen, so dass er sie hinter einer dunklen Sonnenbrille verstecken musste, wollte er Aoi nicht misstrauisch machen. Der einzige Moment, in dem er sich kurz hatte entspannen können, war in der Dusche gewesen, als das heiße Wasser über seine Haut geperlt war und für einen kurzen Moment alle Sorgen und Befürchtungen einfach abgespült hatte. Denn die Badtür konnte man abschließen.
 

Als er schließlich ins Wohnzimmer gekommen war, hatte er nicht schlecht geschaut, als dort auf dem Couchtisch Frühstück für ihn bereitstand. Kazuki hatte in der kleinen Küchenzeile herumgewerkelt und leise geflucht, als er sich an der heißen Kaffeekanne verbrühte, sich noch nicht bewusst, dass Uruha hinter ihm stand. Als er es schließlich bemerkt hatte, war er kurz zusammengezuckt, ehe er wortlos zwei Tassen Kaffee eingeschenkt und sich auf die Couch gesetzt hatte, beide Hände fest um die Tasse geschlossen, als würde er plötzlich frieren.
 

Wenn Uruha darüber nachdachte, konnte er sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in seiner Wohnung Frühstück gegessen hatte. Normalerweise trank er maximal einen Kaffee oder kehrte in dem Fast Food Restaurant ein, das auf seinem Weg zur Station lag. Wenn er bei Kai war, kochte dieser ein traditionell japanisches Frühstück mit Misosuppe, Reis und gebratenem Fisch; selbst Aoi konnte inzwischen so etwas wie Pancakes zustande bringen, doch er selbst hielt es nicht für notwendig, seinen Körper morgens zu füttern, wenn er allein war.
 

So war es sehr seltsam gewesen, auf seiner eigenen Couch zu sitzen, in frischen Toast mit Marmelade zu beißen und heißen Kaffee mit Milch und Zucker zu trinken – vor allem wenn derjenige, der ihm diese Überraschung bereitet hatte, keinen Meter neben ihm saß und ihm nicht einmal in die Augen sah.
 

Uruha seufzte leise, als er sich an dieses Szenario erinnerte und drehte sich unauffällig um, um zu Kazuki zu sehen, dessen Blick abwesend auf den Boden gerichtet war, während er ihm wie ein Schoßhund hinterher dackelte. Er hatte es nicht unangenehm gefunden, neben dem anderen zu frühstücken. Es war nur seltsam gewesen. Sehr seltsam.
 

Einen kurzem Moment überlegte er, ob er ein Gespräch beginnen sollte, denn dieser Zustands der ungewissen Anspannung war alles andere als angenehm, doch noch bevor er sich entscheiden konnte, wie er dies am besten tat, ohne dem anderen irgendwelche falschen Hoffnungen zu machen, vibrierte sein Telefon. Ein kurzer Blick auf das Display zeigte ihm, dass es Kai war. Doch er hätte den Namen nicht einmal gebraucht, um zu wissen, von dem die Nachricht kam.
 

›Aoi verliert die Nerven. Wir müssen reden.‹
 

Uruha starrte auf die zwei kurzen Sätze, die auf seinem Display aufleuchteten, und in seiner Kehle begann sich ein trockener Klos zu formen.
 

›Aoi verliert die Nerven‹...
 

Woher wollte Kai das wissen? Hatte er mit ihm gesprochen? Es war noch nicht mal einen Tag her, wie konnte Aoi schon jetzt die Nerven verlieren? Sie hatten alles so gut geplant, sie mussten einfach nur lange genug durchhalten, dann würde sich das Problem von selbst lösen!
 

Er bemerkte erst, dass er stehen geblieben war, als Kazuki sich neben ihm räusperte und ihn verwundert ansah. Schnell drückte Uruha die Nachricht weg und steckte das Handy zurück in seine Tasche. Er fuhr sich durch die Haare, zu spät merkend, dass er mit dieser Geste normalerweise verriet, dass ihn etwas aus dem Konzept geworfen hatte. Kazukis Brauen zogen sich besorgt zusammen, doch Uruha schüttelte nur den Kopf und setzte sich schnellen Schrittes in Bewegung, sich nicht darum kümmernd, ob Kazuki ihm folgen oder was er von seiner Flucht halten würde. Er wollte nur noch weg, weg von dieser ganzen verworrenen Situation. Er war nicht wie Kai, er konnte keine Pläne schmieden und eiskalt durchziehen. Nicht nur Aoi verlor die Nerven…
 

Er wurde erst wieder ein wenig ruhiger, als er in seiner Wohnung angekommen war und sich auf die kleine Couch fallen ließ, um die Augen zu schließen. Einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, sich wieder ins Bett zu legen, die Zimmertür zu verbarrikadieren und die Außenwelt einfach für die nächsten Wochen zu ignorieren, doch selbst dazu fühlte er sich zu müde.
 

Das Geräusch der Tür, die sich hinter ihm schloss, und der leise Laut von Schuhen, die abgestreift und in eine Ecke gekickt wurden, ließen ihn nur träge aufhorchen. Eine Tasche fiel auf dem Boden, eine Jacke raschelte und ein leiser Laut ertönte, als Kazuki über die kleine Erhebung vom Genkan zum Flur stolperte. Uruha kümmerte sich nicht darum. Erst als das metallische Klicken einer Gürtelschnalle ertönte, zuckte er zusammen und fuhr in die Höhe, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Kazuki den Reißverschluss seiner Jeans öffnete.
 

»Was tust du da?«, fragte er atemlos und ein klein wenig panisch, wie er zu seiner eigenen Beschämung feststellen musste.
 

Kazuki sah ihn mit großen Augen an, eh er mit den Schultern zuckte und auf die Badtür deutete.
 

»Ich bin verschwitzt von der Probe, ich gehe duschen«, erklärte er und zog sich sein T-Shirt über den Kopf.
 

Uruha schluckte trocken und wendete den Kopf ab, doch er hatte den hübschen Körper des anderen noch deutlich sehen können. Früher wäre er jetzt aufgestanden, hätte den Jungen gepackt, gegen die Wand gepresst und nach allen Regeln der Kunst vernascht, aber jetzt…
 

›Kümmer dich ein bisschen um ihn, der Kleine hat’s nicht leicht‹, hallten die Worte der Managerin in seinem Kopf wider, die sie ihm mit ernstem Blick in ihrem Büro gesagt hatte, doch zu diesem Zeitpunkt war er zu wütend gewesen, um darüber nachzudenken, und selbst jetzt wusste er noch nicht, was sie damit meinte. So, wie Kazuki aussah, mit seinen schlanken Beinen, dem wohldefinierten Oberkörper und dem schönen Gesicht hatte er es sicher nicht schwer, jemanden zu finden, der sich um ihn ›kümmerte‹. Auch ohne dass er ihn erpressen musste.
 

»Du kannst ruhig gucken, wenn du willst«, erklang Kazukis Stimme und Uruha zuckte ertappt zusammen, als ihm klar wurde, dass dem anderen seine Reaktion nicht verborgen geblieben war. Hastig zwang er sich ein überhebliches Lächeln auf die Lippen und sah den anderen geringschätzig an, den Moment des Unwohlseins ignorierend, als er bemerkte, dass dieser nur noch in Unterwäsche vor ihm stand.
 

Sein Blick wanderte über den flachen Bauch, blieb kurz an den dunklen Brustwarzen hängen, und er merkte, wie ihm leicht warm wurde, während er gewaltsam das Bedürfnis zurückdrängte, mit seiner Zunge über die caramelfarbene Haut zu lecken, ehe er Kazuki fest in die Augen sah und seine Stimme möglichst unbeeindruckt klingen ließ.
 

»Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte«, sagte er und zuckte desinteressiert mit den Schultern, ehe er sich wieder abwendete und zur Fernbedienung griff, um den Fernseher anzuschalten. Die lauten Stimmen von hochmotivierten Moderatoren, die Küchengeräte anpriesen, schallten ihm entgegen, doch er hörte trotzdem, wie Kazuki leicht schnaubte und sich beleidigt in Richtung Bad trollte.
 

Nur langsam wurde sein Herzschlag wieder etwas ruhiger und die Hitze, die in ihm aufgestiegen war, klang ab. Er verstand den Jungen einfach nicht. In einem Moment war selbstbewusst und anzüglich, dann plötzlich wieder so verschüchtert, als wolle er am liebsten im Boden versinken; wie ihm das Frühstück gezeigt hatte scheinbar ab und zu sogar nett, nur um später die Attitüde einer Diva an den Tag zu legen.
 

Wie um alles in der Welt sollte er mit diesem Menschen unter einem Dach leben?!

Das Klingeln an seiner Wohnungstür ließ ihn aufschrecken und erleichtert durchatmen, als ihm klar wurde, dass es nur eine Person sein konnte.
 

»Kai…«, seufzte er freudig, als er die Tür aufriss, und nur Sekunden später hatte er den Drummer in eine enge, beinahe verzweifelte Umarmung gezogen und seinen Kopf in dessen Nacken vergraben.
 

»Ich bin so froh, dass du hier bist; ich hätte es keine Sekunde länger durchgehalten«, jammerte er wehleidig und zog den anderen näher, froh, endlich jemanden zu haben, der verstand, was er gerade durchmachte, und vor dem er sich nicht verstellen musste.
 

Kai lachte leise über die stürmische Begrüßung und schloss seine Arme um ihn, um ihn ein wenig in Richtung Wohnzimmer zu schieben und mit dem Fuß die Tür hinter sich ins Schloss zu ziehen.
 

»Ich hab mir schon gedacht, dass du mich brauchst«, antwortete er mit warmer Stimme und streichelte sanft den Rücken des Gitarristen, der sich in die Berührung schmiegte und leise seufzte, als würde die kleine Geste ausreichen, um eine große Last von seinen Schultern zu nehmen.
 

»Ich hab dich vermisst«, flüsterte er in Kais Nacken und drückte einen kleinen Kuss auf die weiche Haut seines Halses, dann noch einen und noch einen weiteren.
 

Kai schmiegte als Antwort seine Wange an seinen Kopf und kraulte ihm mit den Fingerspitzen durch die hellbraunen Nackenhaare, die Wohnung nach Kazuki absuchend und beruhigt aufseufzend, als er das Geräusch der laufenden Dusche hörte.
 

»Also haben wir kurz Zeit zu reden«, kommentierte er die Abwesenheit des neuen Mitbewohners und Uruha murrte leise, nicht sonderlich zufrieden damit, dass der andere so schnell schon wieder zur Normalität übergehen wollte. Er brauchte zur Zeit jede Liebkosung, die er kriegen konnte.
 

»Der duscht sicher noch 20 Minuten«, sagte er und drückte Kai fester, sehr deutlich machend, was er mit diesem Kommentar ausdrücken wollte. Kai lachte nur leise und wuschelte ihm durch die Haare, ehe er nickte und Uruha in dessen Schlafzimmer schob, so dass sie nicht direkt im Blick waren, wenn Kazuki die Dusche doch vorzeitig verlassen sollte. Die Tür ließ er einen Spalt offen, so dass sie noch immer das Geräusch des laufenden Wassers hören konnten. Es war ein wenig schwierig gewesen, zu laufen, wenn man jemanden gleichzeitig in den Armen hielt, doch keiner von beiden hatte loslassen wollen.
 

»Aoi hat mich heute angerufen und gesagt, ich solle verhindern, dass Kazuki mit dir nach Hause geht«, begann Kai zu erklären, was vor nicht einmal zwei Stunden vorgefallen war. Seine Hände streichelten beruhigend über Uruhas Rücken, der sich bei den Worten unmerklich verspannt hatte. »Er war ziemlich aufgeregt. Ich hab versucht, ihn zu beruhigen, aber ich glaube, ich habe es nicht unbedingt besser gemacht.«
 

Er seufzte tief und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, während Uruha gegen seine Schulter nickte.
 

»Ich kann mir vorstellen, was er gemeint hat«, antwortete er und erinnerte sich sehr bildhaft daran, wie ihm selbst die Kinnlade heruntergeklappt war, als er Kazuki auf der Bühne gesehen hatte, sich katzengleich zum pulsierenden Beat bewegend – und nicht zuletzt der Kuss und sein unmoralisches Angebot an Byou. Uruha musste gestehen, wenn ihm vor ein paar Monaten jemand so ein Angebot gemacht hätte, er hätte nicht mal eine Sekunde gezögert und ihn hinter den nächsten Verstärker geschleppt.
 

»Aoi meinte, er erinnert ihn an dich«, grinste Kai und Uruha schnaubte empört.
 

»Vielleicht in zehn Jahren!«, antwortete er leise, nicht wirklich damit einverstanden, dass Aoi den jungen Gitarristen mit ihm selbst verglich. Er war Uruha, er war das Original; niemand kam so leicht an ihn ran!
 

»Denkst du, Aoi könnte auf ihn stehen, wenn er ihn mit mir vergleicht?«, fragte er nach ein paar Sekunden unsicher und boxte Kai gegen die Schulter, als dieser als Antwort überrascht auflachte.
 

»Das glaube ich kaum«, antwortete der Drummer und schob Uruha ein Stück von sich weg, so dass er ihm in die Augen sehen konnte. »So wie er klang, würde er ihn am liebsten an den Haaren aus der Stadt schleifen und in den nächsten Flieger nach Timbuktu stecken. Er hat eher Angst, dass du auf ihn stehen könntest.«
 

Er seufzte und sein Gesicht wurde weich, ehe er Uruhas Wange tätschelte und ihm dann über die Haare strich.
 

»Tust du?«, fragte er mit ernstem Blick und Uruha runzelte irritiert die Stirn.
 

»Was?«
 

»Auf ihn stehen.«
 

Kais Hand strich über seine Haare und sein Blick verriet Uruha, dass er ihm die volle Wahrheit sagen konnte, egal was sie auch sein sollte, und er ihn dafür nicht verurteilen würde. Kai war der letzte, der sich anmaßen würde, ihm eine Standpauke zu halten, dass er seine Libido im Zaum halten sollte. Und Kai konnte er im Gegensatz zu Aoi mit der Wahrheit auch nicht verletzen.
 

»Natürlich nicht!«, protestierte Uruha empört, obwohl er nicht ganz wusste, ob dies der Wahrheit entsprach. Er konnte nicht leugnen, dass er Kazuki attraktiv fand. Aber Herrgott nochmal, das war schließlich eine Tatsache, die jeder Mensch mit Augen im Kopf sehen konnte! Aber nur dass er ihn attraktiv fand, hieß noch lange nicht, dass er auf ihn stand oder irgendetwas tun würde, das seine Beziehung zu Aoi in Gefahr bringen würde. Denn was auch immer die Region unter seiner Gürtellinie für Bedürfnisse haben mochte, in einigen Punkten konnte er tatsächlich sein Gehirn einschalten.
 

»Gut…«, war Kais Antwort und Uruha wusste nicht recht, ob der andere ihm wirklich glaubte oder sich stattdessen seinen eigenen Teil dachte.
 

»Aber nur damit du es weißt«, fuhr der Drummer fort und ein Schatten legte sich auf sein sonst so fröhliches Gesicht. »Ich habe ihn vorgewarnt. Wir haben in unserer Beziehung keine Regeln. Niemand muss dem anderen treu sein, das war von Anfang an klar. Wenn du Kazuki willst, kannst du ihn dir nehmen. Mich stört es nicht und Aoi kann nichts dagegen tun.«
 

Uruhas Augen weiteten sich und er schnappte entsetzt nach Luft, ehe er einen Schwall von Wut in sich hochkochen spürte und schneller, als er darüber nachdenken konnte, Kai am Kragen gepackt hatte.
 

»Du hast was?!«, rief er zornig, sich nicht darum kümmernd, ob Kazuki seine laute Stimme hören konnte. Seine Hand verkrampfte sich um den Stoff von Kais T-Shirt und es hätte nicht viel gefehlt, da hätte er ihn geschüttelt. »Bist du noch ganz dicht?! Wie kannst du ihm so etwas sagen?! Du weißt genau, dass ich nichts mit Kazuki anfangen würde, wenn Aoi es nicht will!«
 

Kais Augenbrauen zogen sich zusammen und er packte Uruhas Hand, um sie von seinem Kragen zu reißen, ehe er ihn grob von sich stieß.
 

»Reiß dich am Riemen!«, fauchte er und seine Stimme klang mit einem Mal dunkel und drohend. »Ich habe das für dich getan! Ich weiß am besten von uns, dass du deinen Schwanz nicht lange bei dir behalten kannst! Es ist meine Schuld, dass du Kazuki nicht rausekeln kannst, wie du es Aoi versprochen hast! Es ist meine Schuld, dass er überhaupt bei dir wohnt, weil ich es nicht verhindert habe, obwohl ich es vielleicht gekonnt hätte! Ich hab mich zuerst auf den Deal eingelassen, und Gott, ich bin dir so dankbar, dass du mich nicht hängen gelassen hast – und wenn ich es dadurch wieder gut machen kann, dass ich dafür sorge, dass Aoi dich nicht hasst, wenn du trotz aller guten Vorsätze schwach werden solltest, dann tue ich das!«
 

Er biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, ehe er in einer verzweifelten Geste auf die Luft einschlug und dann seine Augen mit seiner Hand bedeckte, um Uruha sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Seine andere Hand war noch immer zur Faust verkrampft, streckte die Finger alle paar Sekunden im Versuch, sie zu entspannen, doch er scheiterte.
 

Uruha starrte ihn entsetzt an, versteinert an dem Punkt, an den Kai ihn gestoßen hatte. Sein Mund öffnete sich, um etwas zu sagen, doch er schloss ihn wieder, weil er kein Wort über seine Lippen brachte. Ihren Leader so zu sehen, war erschreckender als alles, was er bis jetzt gesehen hatte. Die Wut, die er noch vor ein paar Sekunden gespürt hatte, war wie verflogen. Kai war ein ruhiger Geschäftsmann, ein Anführer, auf dem man sich vollkommen verlassen konnte, der immer für alles einen Plan B parat hatte und Hindernisse aus dem Weg räumte, die für andere unüberwindbar schienen. Und bei allem hatte er ein warmes Lächeln auf den Lippen und kümmerte sich um seine Freunde, als wären sie seine Familie.
 

Uruha konnte sich nicht entsinnen, wann er den anderen zum letzten Mal die Nerven verlieren sehen hatte. Kai war sein Fels, auf den er sich viel zu lange gestützt hatte. Er hatte überhaupt nicht wahrgenommen, dass selbst der gefasste Leader seine Grenzen hatte.
 

»Kai, es tut mir leid«, sagte er leiste, beinahe flüsternd und überwand die kurze Distanz zwischen ihnen, um den Kleineren in den Arm zu schließen. Kai ließ es ohne Gegenwehr über sich ergehen, doch er erwiderte die Umarmung nicht. Stattdessen lehnte er seinen Kopf an Uruhas Brust und schloss müde die Augen.
 

»Wir stecken da gemeinsam drin«, fuhr Uruha fort, die Hand auf Kais Rücken, um ihm gar nicht erst die Möglichkeit zu geben, plötzlich einen Rückzug zu machen. »Hör auf, dir für alles allein die Schuld zu geben! Du hast mich nirgendwo reingezogen! Es war genauso meine Idee! Ich kann sehr wohl klar denken und ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Ich weiß, dass es mit Kazuki schwer wird. Aber ich weiß genauso, dass es noch viel komplizierter wäre, wenn er nicht hier wäre. Und ich weiß, dass dein Part viel schwerer ist als meiner…«
 

Er strich mit den Fingerspitzen über Kais Nacken und atmete erleichtert auf, als er spürte, wie sich der andere entspannte und gegen ihn schmiegte. Das leise Geräusch von fließendem Wasser versicherte ihm, dass Kazuki die Dusche noch immer nicht verlassen hatte, doch auch wenn er wusste, dass es verhängnisvoll gewesen wäre, wenn der andere sie so sehen würde, wäre es ihm gerade egal gewesen.
 

»Ich will ihn nicht länger anlügen«, hörte er Kai gegen seine Brust flüstern und sein Herz zog sich unangenehm zusammen, als er bemerkte, wie brüchig seine Stimme klang.
 

»Wir haben ihn nicht angelogen. Wir haben nur nicht die ganze Wahrheit gesagt«, antwortete er und versuchte ein Lächeln, doch es misslang ihm gründlich. Er glaubte sich selbst nicht, was er gerade sagte. Und Kais nächste Worte machten es nicht besser.
 

»Versuch es nicht schön zu reden. Wir haben ihn einfach angelogen. Wir hätten ihm die Wahrheit sagen sollen…«
 

»Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht möglich ist.« Er seufzte tief und Kai nickte, doch noch immer lag die drückende Stimmung über ihnen, die Gewissheit, dass alles, was sie sagten, nur Ausreden waren.
 

»Das Ergebnis wird es wert sein, ich verspreche es dir«, sagte Uruha leise und Kai lachte mühsam auf, ehe er sich ein klein wenig von Uruha löste, gerade so weit, dass er ihn ansehen konnte, ohne die warme Umarmung zu verlassen.
 

»Seit wann bist du derjenige von uns, der den anderen tröstet und ihm gut zuredet«, fragte er mit einem Augenzwinkern und Uruha grinste, als er bemerkte, dass Kai sich wieder etwas beruhigt hatte.
 

»Ich bin überzeugend, oder?«, fragte er spaßend und wippte mit den Augenbrauen, ehe er Kais Gesicht zwischen seine Hände nahm und ihm einen zarten Kuss auf die Lippen hauchte. Er schloss die Augen, als er die weichen Samtkissen spürte und verweilte einen kurzen Moment, die Wärme genießend, die bei der sanften Berührung durch seinen Körper strömte, ehe er den Kuss wieder löste.
 

Seine Daumen fuhren über Kais Wangen und schoben dessen Mundwinkel in die Höhe, und tatsächlich musste der andere leicht über den süßen Versuch, ihn aufzuheitern, grinsen. Seine Hände legten sich auf Uruhas Schultern, fuhren seinen Oberkörper hinab und strichen über seinen flachen Bauch, bevor sie sich mit einem Mal in seinen Schritt legten, so dass Uruha überrascht nach Luft schnappte.
 

»Du weißt, es gibt auch eine andere Möglichkeit, wie du dich abreagieren kannst, zu der du nicht Kazuki brauchst«, hauchte der Leader an Uruhas Ohr und dieser erschauderte und biss sich auf die volle Unterlippe, als sich die Hand in seinem Schritt zu bewegen und ihn langsam zu massieren begann. Und oh, er reagierte nur allzu deutlich darauf. Kais Hände konnten zaubern und es dauerte nur Momente, bis er fühlte, wie Hitze in seinem Inneren aufstieg und sich von seiner Körpermitte aus ihren Weg bis in seinen Kopf und seine Zehenspitzen bahnte. Er keuchte leicht und ließ sich an die Wand drängen, wo sein Kopf dagegen kippte und er den Atem anhielt.
 

»Nicht hier«, brachte er mühsam hervor, nicht sicher, ob er Kai wegstoßen wollte oder nicht. Doch das Geräusch der Dusche im Hintergrund machte ihm nur allzu deutlich, dass es keine gute Idee war, wenn er sich jetzt seiner Libido hingab. Wenn Kazuki sie so fand, war alles aus.
 

Kai lachte nur leise und massierte Uruhas Schritt kurz und hart, so dass dieser laut aufkeuchte, ehe er seine Hand zurück zog und Uruha einen Kuss auf die Lippen drückte. Für seinen kurzen Moment schlüpfte seine Zunge zwischen die atemlos geöffneten Lippen und suchte nach ihrem Gegenpart, dann ließ er von dem anderen ab, ohne weitere anzügliche Überzeugungsversuche zu starten. Uruha wusste nicht ganz, ob er sich freuen sollte oder nicht, doch als der Klang des Wassers verstummte, erübrigte sich diese Frage von selbst.
 

»Du musst gehen!«, sagte er hastig, plötzlich in Panik, was Kazuki denken würde, wenn Kai aus seinem Schlafzimmer kam, doch als er die Tür öffnete, war es bereits zu spät. Kazuki sah überrascht auf, ein Handtuch um die Hüften gebunden, und ließ erstaunt das andere Handtuch sinken, mit dem er seine Haare trocken rubbelte, als er Kai sah.
 

»Kai!«, sagte er verblüfft und sah kurz zu Uruha, in dessen Kopf es fieberhaft arbeitete, wie er sich aus dieser Situation retten konnte. Doch diesmal nahm ihm Kai die Entscheidung einfach ab.
 

»Danke, dass ich dein Shirt borgen darf«, ließ sich der andere hinter ihm vernehmen und hob ein Kleidungsstück, ehe er an Uruha vorbeiging und Kazuki mit einer kurzen Handbewegung begrüßte.
 

Uruha sah ihm perplex hinterher, dann nickte er, in Gedanken allen Göttern für Kais schnelle Reaktionsfähigkeit dankend. Sein Leader war wieder da, der Leader, der alles im Griff hatte und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ!
 

»Vorsicht, du tropfst den Boden voll!«, wies Kai Kazuki zurecht, der ertappt zusammenzuckte und auf den Boden starrte, wo sich schon eine kleine Pfütze um seine Füße gebildet hatte.
 

»Mist!«, schimpfte er und sprang in Richtung Abstellraum, um einen Lappen zu holen, mit dem er die Bescherung aufwischen konnte. Kai nutzte den kurzen Moment, um Uruha zu sich zu ziehen und seinen Kopf an dessen Ohr anzunähern, ohne dass Kazuki es sah.
 

»Verhalte dich einfach ganz normal!«, flüsterte er und drückte unauffällig Uruhas Hand. »Ich muss mir jetzt erst mal überlegen, wie ich Aoi von meiner Wohnung fern halte. Ich habe mir die gesamte Planung für die PSC Party aufgehalst, also werde ich zum Glück erstmal beschäftigt sein. Wenn dir in der Zwischenzeit eine gute Idee kommt, ruf mich an! – Und auch wenn du anderweitig Hilfe brauchst.«
 

Sein Blick wanderte zu Uruhas Schritt und in seinem Tonfall war sehr deutlich zu erkennen gewesen, was er mit seinen letzten Worten gemeint hatte. Uruhas Blick huschte zu Kazuki, doch dieser war damit beschäftigt, das Wasser vom Boden aufzuditschen und hatte nichts bemerkt.
 

»Pass auf dich auf!«, sagte er und drückte Kais Hand zurück, ehe er sich mit einem zaghaften Lächeln von ihm löste. Er sah ihm noch nach, als sich die Tür schon hinter ihm geschlossen hatte, dann erst drehte er sich um und schloss für einen Moment erschöpft die Augen. Das alles war zu viel für ihn. Er wollte die angenehme Zeit zurück, die sie noch vor ein paar Tagen gehabt hatten, wo sein größtes Problem Aois Nörgeln gewesen war, dass er seine Unterwäsche gefälligst in den Wäschekorb werfen und nicht überall in der Wohnung verteilen sollte. Es hatte ihn schlichtweg auf die Palme gebracht, aber jetzt würde er einiges dafür geben, es wieder zu bekommen.
 

Ein Laut ließ ihn aufhorchen und als er die Augen öffnete, sah er Kazuki, der, noch immer nur mit einem Handtuch bekleidet, an der gegenüberliegenden Wand lehnte und ihn mit verschränkten Armen abschätzend musterte. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, als ob er ernsthaft über etwas nachdenken würde, und der Blick, mit dem er Uruha beinahe zu durchleuchten schien, ließ diesen unangenehm berührt die Stirn kräuseln.
 

»Was stehst du da? Zieh dir was an!«, sagte er mürrisch und wollte sich in Richtung Kühlschrank bewegen, um sich ein Bier zu gönnen, was er sich nur allzu verdient hatte nach all dem Stress, als ihm Kazukis Arm den Durchgang verwehrte. Uruha sah in verwirrt und auch leicht verärgert an, doch der ernste Ausdruck auf dem Gesicht des anderen wich nicht. Seine Augen waren prüfend zusammengekniffen und seine Lippen zwei schmale Striche, während er Uruha weiterhin eindringlich musterte, nicht einmal versuchend, das Misstrauen in seinem Blick zu überspielen.
 

Und als er endlich den Gedanken aussprach, der scheinbar schon seit einigen Momenten in seinem Kopf rotiert hatte, wäre Uruha am liebsten auf der Stelle im Erdboden verschwunden.
 

»Du hast Sex mit Kai, oder?«
 

tbc.
 

..................
 

uhhhhhh XDDDD

Kazuki hat einen scharfen Blick.

Und was läuft denn da bei Kai und Uru ab? Das wird noch interessant!
 

Fuer alle, die mich gefragt haben, was ich denn in Schweden mache: ich bin gerade auf Dienstreise in Lappland. Hier gibts ä und ö, aber kein UE, dafuer total leckeres suesses Brot und Schnee (wenn auch noch nicht so viel wie normalerweise).

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 8
 

»Du verarscht mich, oder?«
 

Reita nahm einen Schluck von seinem Kaffeetrinkpäckchen und ließ sich zurück an die Lehne seines Sessels sinken, während er Aoi mit so großen Augen anstarrte, als habe ihm dieser soeben eröffnet, dass sie ihr nächstes Live in Maid-Outfits spielen würden – in pink.
 

Aoi schnaubte leise und nickte bekräftigend, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und sich kurz umsah, ob jemand ihr Gespräch belauscht hatte. Doch abgesehen von der älteren Lady an der Rezeption war niemand in der PSC Lobby. Vor wenigen Minuten wäre Reita ihm noch am liebsten an die Kehle gesprungen, dass er ihn Samstag früh mit den kryptischen Worten ›Notfall! Sag niemandem etwas!‹ aus Rukis Armen aus dem Schlaf geklingelt und in ihr Hauptgebäude bestellt hatte, doch nachdem er ihm in allen Details geschildert hatte, was genau am letzten Abend vorgefallen war, schien der Blonde dies vollkommen vergessen zu haben. Wenigstens einer sah den Ernst der Lage!
 

»Also lass mich zusammenfassen: Uruha – wir reden hier von einem Mann mit unzurechnungsfähigem Pornogehirn, das für seine bloße Existenz schon zensiert werden müsste – schmeißt dich aus seiner Wohnung, obwohl du versuchst, ihn heiß zu machen, und verbringt den Abend mit einer kleinen ›Pestgöre‹, anstatt eben diese zum Bonbonladen zu schicken und dich nach allen Regeln der Kunst über sämtliche Möbel zu vögeln! Und er hat Fahrstuhl-Sex ausgeschlagen? Ernsthaft?«
 

Aoi verzog leicht das Gesicht bei der unkonventionellen Wortwahl des Blonden, doch im Endeffekt traf es den Nagel auf den Kopf. Der Anruf, der ihn aus Uruhas Wohnung ins PSC-Gebäude geholt hatte, um ›etwas Dringendes zu besprechen‹, war nicht weniger schleierhaft. Die Mitarbeiterin, die ihn herbestellt hatte, hatte ihm lediglich ein paar Maße für sein neustes Kostüm abgenommen und eine Stoffprobe gezeigt, und als er nachgehakt hatte, war sie äußerst verlegen geworden und hatte sich auf ›Order von oben‹ berufen. Wer auch immer ›oben‹ war!
 

Reita schlürfte an seinem Trinkpäckchen und starrte einen Moment wie weggetreten ins Nichts, bevor er den Kopf schüttelte und Aoi eine Hand auf den Oberschenkel legte.
 

»Versteh das nicht falsch«, sagte er mit ernstem Gesichtsausdruck, so dass dem Dunkelhaarigen für einen kurzen Moment flau im Magen wurde. »Aber selbst ich hätte dich gegen die nächste Wand gepinnt, wenn du dich so angeboten hättest. Aoi macht willig den ersten Schritt – das ist wie einen Jackpot im Lotto. Er müsste schon eine Gehirnerschütterung haben und sich in einem Ganzkörpergips befinden, und selbst dann würde er noch einen Weg finden, dich um den Verstand zu vögeln!«
 

Aois Augen weiteten sich entsetzt und seine Augen wanderten kurz zu der Hand auf seinem Schenkel, die sich mit einem Mal äußerst seltsam anfühlte, ehe er trocken schluckte und ein Lächeln versuchte.
 

»Danke. Glaube ich«, sagte er und zog eine Grimasse, so dass Reita die merkwürdige Stimmung bewusst wurde und er seine Hand zurückzog. Er räusperte sich kurz und fuhr sich durch die Haare.
 

»Jetzt mal ohne Scherz, Aoi«, begann er und diesmal war sein Tonfall wirklich ernst. »Das würde er nicht machen, so eine Gelegenheit ausschlagen! Der Uruha, den ich kenne, hätte sonst was versucht, um Kazuki loszuwerden! Er hätte ihn zur Not geknebelt und gefesselt auf dem Bürgersteig abgesetzt – wobei ich gehofft hätte, dass er mich in diesem Fall vorher angerufen hätte.«
 

Er grinste dreckig, doch als er Aois mahnenden Blick sah, verschwand das Grinsen wieder und machte einem leicht hilflosen Ausdruck Platz.
 

»Vielleicht bin ich auch einfach uninteressant geworden!«, warf Aoi ein und runzelte verärgert die Stirn, als er merkte, wie bitter sein Tonfall klang. Doch was genau sollte er von Uruhas Verhalten sonst denken? Er fühlte sich zurückgestoßen, und ja, vielleicht sollte er verständnisvoller sein! Er konnte Reita schlecht erklären, welchen Deal sie mit Kazuki und der PSC hatten, und was alles davon abhing, doch hätte Uruha nicht trotzdem versuchen sollen, ein wenig Raum für ihn zu schaffen? Ein kleiner Teil fühlte sich beinahe schuldig, dass er ihn in eine solche Zwickmühle gebracht und beinahe vor Kazuki bloßgestellt hatte, doch dieser Teil war nicht sonderlich hilfreich. Nicht dass es angenehmer war, die Ursache darin zu suchen, dass Uruhas Gefühle sich geändert hatten.
 

»Ach halt bloß die Klappe!«, holte ihn Reitas Stimme harsch aus seinen Gedanken zurück, als habe dieser geahnt, welchen inneren Dialog er mit sich führte. Der Blick des anderen war beinahe verärgert und er stellte sein Trinkpäckchen mit einem hörbaren Knall auf dem Tisch ab. »Uruha ist verrückt nach dir! Er war noch nie so verrückt nach jemandem! Was auch immer mit ihm los ist, es ist vollkommen unmöglich, dass es damit zu tun hat, dass er dich nicht mehr will!«
 

Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und Aoi musste grinsen, als ein warnendes Räuspern aus Richtung der Rezeption erklang, welches den Bassisten ertappt die Hand zurückziehen und sich entschuldigen lies. Er wollte etwas erwidern, doch noch bevor er sich entschieden hatte, ob er zustimmen oder lieber protestieren sollte, hörte er Geräusche und sah, wie die Mitglieder von Alice Nine die Lobby betraten und sie grüßten, ehe sie geschlossen zum Kaffeeautomaten pilgerten.
 

Ihre jeweiligen Leader hatten sie alle für später an diesem Tag zu einer Versammlung über die geplante Willkommensparty für die neuen Bands einberufen – was übrigens das längste Gespräch war, was er seit dem Tag auf dem Dach mit Kai geführt hatte.
 

»Ehrlich, ich kenne Uruha schon lange!«, fuhr Reita fort, diesmal mit gedämpfter Stimme. »Er liebt dich! Mach dir keine Sorgen! Schnapp ihn dir das nächste Mal, wenn er allein ist!«
 

Er grinste und Aoi konnte nicht umhin, auch zu lächeln. Und diesmal war es ernst gemeint. Reita war zwar nicht immer der hellste, aber er war Uruhas längster Freund, so dass die Sicherheit, mit der er von dessen Gefühlen überzeugt war, wie Balsam für Aois verletzen Stolz war. Und, auch wenn er es nicht gern zugab, für sein angeknackstes Herz.
 

»Was sagt eigentlich Kai dazu?«, fragte der Bassist mit einem Mal und schaffte es damit, Aois gute Laune schlagartig wieder zu zerstören. Sein Gesicht wurde dunkel und er fühlte, wie sich ein unangenehmer Klumpen in seinem Brustkorb zu bilden begann, ehe er mit den Schultern zuckte und leise auflachte.
 

»Wenn er mal mehr als 2 Sätze mit mir sprechen würde, würde ich das vielleicht wissen«, erwiderte er schnippisch und wendete den Blick ab, doch er konnte trotzdem sehen, wie sich Reitas Augen erstaunt weiteten.
 

Es war nicht gerade angenehm, vor seinen Freunden zugeben zu müssen, dass die Beziehung, von der alle dachten, sie wäre absolut perfekt, doch nicht so perfekt war. Sie waren von Anfang an ungewöhnlich gewesen, nicht ›normal‹, eigentlich schon zum Scheitern verurteilt – doch genau das hatte sie jeden Tag angestachelt, sich nur noch mehr anzustrengen und allen zu beweisen, dass es möglich war, dass sie es zusammen schaffen konnten. Und Aoi hatte es geglaubt. Mit jeder Faser seiner Selbst. Dass sie es schaffen konnten, solange sie nur zusammenhielten. Allein der Gedanke daran, dass sie versagen könnten, barg so viel Schrecken, dass Aoi ganz schlecht wurde.
 

»Vielleicht kann er Uruha mal ins Gewissen reden!«, fuhr Reita fort und tätschelte Aois Schulter. Am liebsten hätte dieser die Hand mitsamt dem anhängenden Mitleid weggestoßen, doch er wusste, dass Reita es nur gut meinte. Er konnte ja schließlich nichts dafür, dass Aoi plötzlich unglaublich neidisch auf seine unkomplizierte Beziehung zu Ruki war, die schlichtweg allem standzuhalten schien. »Vielleicht ist Uruha einfach ein bisschen durch den Wind. Immerhin hat er einen neuen Mitbewohner. Kai kriegt das schon wieder hin! Er hat einen Draht zu Uruha! Immerhin waren die beiden schon eher mal zusammen! Wenn jemand weiß, wie er Uruha anfassen muss, dann ist es Kai – und wenn Uruha auf jemanden hört, dann auf Kai!«
 

Er lächelte, doch seine Worte hatten genau das Gegenteil von dem in Aoi ausgelöst, was sie vermutlich beabsichtigt hatten. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich mit einem Mal in seinem Körper aus; es zog von seinen Fußspitzen durch seine Beine hinauf zu seinem Brustkorb, wo es so stark wurde, dass für einen kurzen Moment sein Blickfeld zu einer weißen flackernden Masse verschwamm und er sich mit der Hand in die Lehne seines Sessels krallte.
 

»Alles ok?«, hörte er Reita erschrocken fragen, doch er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Atmung unter Kontrolle zu halten, um auch nur auf den Gedanken zu kommen, ein falsches Lächeln auf seine Lippen zu zwingen und so zu tun, als wäre alles ok. Eine beißende Kälte breitete sich mit einem Mal in seinen Gliedmaßen aus, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken, und als irgendjemand die Tür öffnete und ein leichter Luftzug durch die Halle sauste, erschauderte er unangenehm berührt unter dem Gefühl des Schweißes, der sich auf seiner Stirn gebildete hatte.
 

»Sorry, ich geh mal kurz aufs Klo!«, brachte er heraus, bevor er sich fahrig über die Augen fuhr und aufstemmte, doch Reitas Hand hielt ihn zurück. Und als er dessen panischen Blick sah, wusste er, dass der andere verstanden hatte, was er soeben aus seinen Worten herausgehört hatte.
 

»So war das nicht gemeint, Aoi!«, sagte er und schüttelte hastig den Kopf. Aoi überlegte einen kurzen Moment, ob er nicht doch versuchen sollte, zu behaupten, es wäre alles in Ordnung, aber er stieß den Gedanken so schnell von sich, wie er gekommen war.
 

»Ich meine, erinnere dich daran, wie sie sich wegen dir an die Kehle gesprungen sind! Sie haben nicht ›mehr‹ als mit dir! Sie lieben nur dich!«
 

Sein Griff um Aois Handgelenk wurde härter, als er spürte, wie sich der Gitarrist lösen wollte, doch als Aoi ruppig daran riss, ließ er ihn los.
 

»Aoi, rede doch einfach mit ihnen!«, fügte er noch hinzu, doch Aoi war schon auf der Flucht, seine Schritte so hastig, dass er fast stolperte, doch er hätte sich lieber auf die Nase gelegt und zum Obst gemacht anstatt noch eine Sekunde länger Reitas Worten zuhören zu müssen, die mit erschreckender Präzision in eine Wunde piekten, von der er nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt da war.
 

Eine Wand prallte gegen ihn, als er um die Ecke zu den Toiletten bog, und er taumelte zurück, überrascht von der Plötzlichkeit, mit der seine Flucht gestoppt worden war. Wunderbar, war er schon so neben der Spur, dass er nicht mehr geradeaus laufen konnte?!
 

»Alles ok?«, hörte er die Wand fragen, und ein heißer Blitz durchzuckte ihn, als er die Stimme erkannte. Das konnte doch nicht wahr sein!
 

»Fantastisch!«, antwortete er und versuchte nicht einmal, den Zorn in seiner Stimme zu unterdrücken, ehe er Uruhas Hand, die ihm helfen wollte, sein Gleichgewicht wiederzufinden, ausschlug und ohne ihn anzusehen an ihm vorbeistürmte. Es kümmerte ihn nicht, dass er den anderen mit einem verstörten Gesichtsausdruck zurückließ. Sollte er einmal von seiner eigenen Medizin kosten, dann könnte er sich vielleicht vorstellen, mit welchem Gefühl er gestern Abend in dem Fahrstuhl gestanden hatte.
 

»Aoi!«, hörte er Uruha noch hinter sich herrufen, doch er hielt nicht an, und erst, als er die Tür des Toilettenraums hinter sich schloss und einen Schwall kaltes Wasser in sein Gesicht klatschte, wurde er wieder etwas klarer im Kopf.
 

Die eisigen Tropfen perlten über seine Haut, hingen an seinen Haaren und platschten mit einem leisen Geräusch auf die weiße Marmorplatte des Waschbeckens. Einen Moment hielt er inne, schloss die Augen und breitete die Handflächen auf dem glatten Untergrund aus, als könnte ihm der bloße Kontakt zu etwas Festem, Stabilem, den Halt zurückgeben, der ihm gerade brutal entrissen wurde. Denn auch wenn Reita es nicht beabsichtigt hatte – er hatte etwas in ihm ausgelöst, was so angsteinflößend war und plötzlich so erschreckend realistisch schien, dass er jede Stütze brauchte, die er finden konnte.
 

Und tatsächlich wirkte es. Aoi spürte, wie er nach nur wenigen Sekunden ruhiger wurde, wie das Zittern, das für einen Moment die Kontrolle über seinen Körper ergriffen hatte, abklang und er so entspannt wurde, dass es beinahe unheimlich war. Seine Atmung war langsam und beherrscht, als er die Tür des kleinen Abstellraums öffnete, eine schmale Leiter griff, die normalerweise benutzt wurde, um die Deckenleuchten zu reparieren, und sie unter die Türklinke klemmte, so dass man die Tür nicht von außen öffnen konnte.
 

Er drehte den Wasserhahn zu und legte die Handflächen erneut auf den kühlen Marmor, doch diesmal betrachtete er sich im Spiegel. Seine Augen waren leicht gerötet, doch das war aufgrund der Tatsache, dass er die halbe Nacht nicht geschlafen hatte. Er würde den Teufel tun und wie ein kleines Mädchen heulen! Es erstaunte ihn, wie ruhig er auf einmal war, doch noch mehr erstaunte ihn, wie entspannt er den vielen Bilden und Gedanken folgte, die auf einmal in seinen Kopf glitten, als würden sie von außen in ihn fließen und zu einem See zusammenlaufen, dessen Fläche so klar war, dass er zum ersten Mal alles ungebrochen sehen konnte. Er sah Kai, er sah Uruha, er sah den Moment auf dem Dach, in dem sie ihm ihren Deal mit der PSC eröffnet und sich geschworen hatten, alles zusammen durchzustehen; er sah, wie sie ihn in den Arm nahmen und er sah sich selbst, wie er ihnen geglaubt hatte, dass sie nichts auseinander bringen konnte.
 

Wie hatte er so naiv sein können, zu glauben, dass sie stärker als alle anderen waren? Das Einzige, womit sie vorher zu kämpfen gehabt hatten, waren die Vorurteile gewesen, dass es zu dritt nie funktionieren würde. Er hatte gelacht und daran gedacht, was sie schon alles überlebt hatten – doch was war es eigentlich gewesen? Der Kampf, den sie ausgefochten hatten, um zusammenzukommen, war so schwer und blutig gewesen, dass ihm überhaupt nicht aufgefallen war, dass danach gar keine Probleme mehr gekommen waren. Und nun, beim ersten Hindernis, kamen sie so sehr ins Stolpern, dass sie alle Energie darauf konzentrieren mussten, nicht zu fallen. Wenn man sich selbst kaum auf den Beinen halten könnte, war es überhaupt möglich, zwei andere Personen zu stützen?
 

Aoi sog harsch die Luft ein, als er fühlte, wie etwas Kaltes über seine Wange perlte, und er weigerte sich, auch nur in Betracht zu ziehen, dass es etwas anderes als ein Wassertropfen sein könnte.
 

Uruha und Kai waren stark zusammen, sie waren es schon früher gewesen. War er eigentlich mehr als ein Sex-Toy für sie, das sie adoptiert hatten, weil sie eine dritte Person brauchten, um zusammen zu sein? Vielleicht taten sie es nicht einmal bewusst, aber was würde passieren, wenn es hart auf hart kam und sie nur eine Person halten konnten? Würden sie ihn fallen lassen?
 

Es war schmerzhaft, es zuzugeben, aber er war das schwächste Glied in der Kette. Er würde sich auch nicht halten wollen.
 

Das Geräusch der Türklinke ließ ihn zusammenfahren, doch seine kleine Vorrichtung sorgte dafür, dass sich die Tür nicht einmal einen Spalt öffnete. Er hoffte, dass die Person schnell aufgeben und wieder gehen würde, doch als er Uruhas Stimme hörte, wurde ihm plötzlich klar, dass er seinen Zufluchtsort nicht sonderlich weise gewählt hatte. Er steckte in der Falle.
 

»Aoi, bist du da drin?«, ertönte die Stimme des anderen und er konnte hören, wie unsicher Uruha klang. Was genau erwartete er? Dass er ihn hereinließ und mit ihm redete? Aoi hatte keine Ahnung, wie er dem anderen begegnen sollte, nachdem, was er ihm gerade in seinem Kopf unterstellt hatte. Was, wenn er ihn wirklich nur brauchte, um mit Kai zusammen zu sein?
 

»Aoi, ich muss mit dir reden!«
 

Das klang ernst. Aoi schluckte trocken, und wich mit dem Rücken ans Waschbecken zurück, die Hände auf dem kühlen Marmor, doch diesmal blieb das Gefühl der Ruhe, das dieser noch vor wenigen Minuten in ihm ausgelöst hatte, aus. Uruha ruckelte an der Klinke und diesmal hielt die Leiter-Vorrichtung nicht mehr stand. Aoi fühlte sich wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, als der andere die Tür öffnete und einen Moment zaudernd in der Öffnung stand, bevor er langsam auf ihn zukam. Sein Gesicht wirkte fahl, als habe auch er die halbe Nacht nicht geschlafen, und mit einem Mal fühlte sich Aoi noch schlechter als vorher.
 

Seinem Freund ging es nicht gut. Kein Wunder, er war gezwungen, mit einem Fremden in seiner Wohnung zu leben und irgendeinen Weg zu finden, nicht dessen Lover werden zu müssen, ohne dabei ihren Vertrag zu riskieren. Und Aoi hatte nichts Besseres zu tun, als es ihm mit seinen Annäherungsversuchen noch schwerer zu machen und ihm danach zu unterstellen, sich mit Kai gegen ihn verbündet zu haben, sich vermutlich von ihm trennen zu wollen und was sonst noch in den letzten Minuten in gefährlicher Eigendynamik an Irrsinn durch sein Gehirn gerast war.
 

»Aoi, es tut mir leid wegen gestern«, begann Uruha, und selbst wenn Aoi nicht den flehenden Ausdruck in seinen Augen gesehen hätte, wäre an dieser Stelle wieder alles in Ordnung gewesen.
 

Sein Gesicht wurde weich und er hatte kaum die Hände vom Waschbecken gelöst und die Arme geöffnet, da hatte Uruha auch schon die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückt und ihn so fest an sich gedrückt, dass Aoi überrascht nach Luft schnappte, bevor er lächelte und die Arme um Uruha legte. Die Wärme des anderen flutete ihn wie Wasser aus einem gebrochenen Staudamm und ließen alle schlechten Gedanken mit einem Mal so abwegig erscheinen, dass er beinahe vergaß, in welches Loch sie ihn noch vor wenigen Momenten gerissen hatten.
 

Uruhas Hände fuhren über seinen Rücken, strichen besänftigend seine Seiten entlang, zu seinen Schultern hinauf, in seinen Nacken, durch seine Haare, und wieder zurück auf seinen Rücken, während seine Umarmung mit jeder Sekunde fester zu werden schien, so dass auch der letzte Spalt zwischen ihren Körpern geschlossen wurde. Sein Kopf war in Aois Schulterbeuge vergraben, so dass die hellen Haare seine Wange kitzelten und sein Atem seinen Hals streifte, und als Aoi die Umarmung mit der selben Stärke erwiderte und seine Arme um Uruhas Taille legte, konnte er fühlen, wie der andere deutlich aufatmete. Sein Griff war immer noch so hart, dass Aoi nicht entweichen konnte, selbst wenn er es gewollt hatte. Und irgendwie gefiel es ihm. Es war genau das, was er gerade brauchte. Uruha, der sich an ihn klammerte, als würde er ihn um keinen Preis der Welt aufgeben wollen.
 

»Das nächste Mal warten wir, bis die Plage ausgeflogen ist, bevor ich zu Besuch komme«, sagte er leise und strich mit den Fingerspitzen durch Uruhas Nackenhaare, hoffend, dass dieser sein Friedensangebot verstehen würde. Einen Moment blieb es still, dann lachte Uruha unsicher, doch noch bevor sich Aoi etwas dabei denken konnte, wurde sein Kopf herumgedreht und warme, volle Lippen legten sich auf die seinen.
 

Er schloss die Augen, öffnete den Mund, um ihren Geschmack einzuatmen und mit all seinen Sinnen zu spüren, und als Uruhas Zunge vorsichtig über seine Unterlippe fuhr, war er dankbar für die enge Umarmung, die seinen Beinen erlaubte, für einen kurzen Moment zu Wackelpudding zu werden. Er schmolz gegen Uruhas Körper, als er den Kuss erwiderte, sanft mit seiner Zunge nach deren Gegenpart suchte und diese zu sich lockte, um mit ihr zu spielen und sie beinahe tänzelnd zu necken, während in seinem Kopf ein kleines Feuerwerk nach dem anderen explodierte.
 

Er erinnerte sich nicht mehr daran, wann er Uruha das letzte Mal so geküsst hatte. Er konnte die Anspannung beinahe körperlich fühlen, die ihm den Atem nahm, ihm den Boden unter den Füßen wegzog und nichts anderes mehr spüren ließ als das betörende Gefühl butterweicher Lippen, die sich wie schützende Flügel um seine Sinne legten und all seine Sorgen einfach hinfortküssten. Er war gewöhnt, dass Uruhas Küsse rau waren, voller Gier und Leidenschaft, als würden sie ihn packen, verschleppen und sich an ihm vergehen wollen – nicht so beruhigend und zart wie jetzt. Doch er mochte es. Und er brauchte es.
 

»Aoi«, hörte er Uruha in den Kuss hineinflüstern und atmete hörbar ein, als weiche Finger über seine Wange streichelten, bevor die Lippen des anderen begannen, ihm kleine Schmetterlingsküsse zu stehlen, federleicht, als würde er nicht wagen, mehr von ihm zu fordern. »Ich liebe dich…«
 

Die Worte waren so leise gewesen, dass Aoi sie beinahe nicht verstanden hätte, und für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob er sich vielleicht verhört hatte, doch Uruhas Lippen waren schneller wieder auf den seinen, als er überhaupt richtig darüber nachdenken konnte. Sie verwehrten ihm jede Antwort, küssten ihn genauso sanft wie zuvor, doch diesmal war etwas anders, und Aoi brauchte eine Weile, bis ihm auffiel, dass Uruhas Atem schneller ging und sich sein Brustkorb unregelmäßig hob und senkte, als hätte er alle Mühe, die Emotionen in sich unter Kontrolle zu halten. Es war nicht normal, schon gar nicht für Uruha! Und es machte Aoi nervös!
 

»Was ist los?«, fragte er, als er es schaffte, seine Lippen für einen Moment von dem anderen zu lösen, doch anstatt ihm zu antworten, packte Uruha seine Arme und drängte ihn zurück an die Wand, um seinen Mund erneut zu verschließen, diesmal stürmischer, mehr wie seine normalen Küsse. Aoi spürte deutlich, wie sich in seinem Inneren der selbe trockene Klumpen wie vor nicht einmal einer halben Stunde bildete und ihn langsam aber sicher in Panik verfallen ließ.
 

Was zum Teufel veranstaltete Uruha hier?! Merkte er nicht, dass genau solche ein Verhalten dazu führte, dass in Aois Kopf alles durcheinanderwirbelte? Sich entschuldigen, ihm zu sagen, dass er ihn liebte, und ihn dann einfach zu ignorieren – das passte nicht zu Uruha! Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als sie auf dem Dach gewesen waren, kurz bevor die große Bombe geplatzt war, und Gott bewahre, er hatte nicht vor, noch einmal in seinem Leben eine solche emotionale Achterbahn fahren zu müssen!
 

»Uruha-«, begann er, den anderen am Schopf packend und von sich wegziehend, nur um verstört abzubrechen, als er den seltsamen Ausdruck in dessen Augen sah. Doch noch bevor er weitersprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen und Kai stand in der Öffnung. Seine Augen weiteten sich, als er sie sah und Aoi konnte nicht umhin, sich so zu fühlen, als hätte man sie bei etwas Unanständigem ertappt. Er wollte die seltsame Stimmung mit einem Scherz entschärfen, doch Kais Brauen, die sich mit einem Mal verärgert zusammenzogen, ließen ihn verstummen. Und noch ehe er reagieren konnte, hatte der andere Uruha am Arm gepackt und von ihm weggerissen. Der Blick, den er dem Gitarristen zuwarf, war scharf genug, um durch Metall zu schneiden.
 

»Entschuldige, ich habe etwas mit ihm zu besprechen«, sagte er, ohne Aoi anzusehen, und dieser schnappte empört nach Luft, die Zweifel und die Wut, die er noch vor kurzem besiegt hatte, plötzlich wieder so präsent, als wäre sie nie weggewesen, doch da hatte Kai Uruha auch schon mit sich fortgezogen.
 

Aoi brauchte einige Momente, in der er wie zur Salzsäule erstarrt dastand und zu begreifen versuchte, was zur Hölle gerade hier abgegangen war, doch dann setzte er sich in Bewegung und eilte auf den Gang, um den beiden anderen zu folgen. Doch sein hastiger Blick, mit denen er beide Richtungen abscannte, konnte sie nicht sehen. Verdammt, wo konnten sie so schnell hingegangen sein?!
 

»Hey, Aoi«, riss ihn Shou aus seiner Starre, der um die Ecke bog, »die Leader warten drauf, dass wir kommen und die Kleiderordnung für die Party-«
 

»Wo sind Uruha und Kai?«
 

Shou zuckte zurück, als er den wilden Ausdruck in Aois Augen sah und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. Aoi verschwendete nicht eine Sekunde daran, was der andere von ihm halten müsste, und sprintete an ihm vorbei. Er konnte sie nicht sehen, doch es gab nur einen Platz, zu dem sie gegangen sein konnten – die kleine Raucherecke im Innenhof. Und tatsächlich hörte er schon aufgebrachte Stimmen, als er sich der Tür näherte. Er schlüpfte hinter eine der großen Zimmerpflanzen und lugte vorsichtig hervor, doch die beiden Männer waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihn bemerkt hätten. Er hatte den Anfang des Streits scheinbar verpasst, doch auch ohne diesen Teil konnte er deutlich sehen, dass Kai wütend auf Uruha war.
 

»Ach komm, als ob es tatsächlich eine dauerhafte Lösung gewesen wäre!«, erwiderte Uruha gerade und verschränkte provokativ die Arme vor der Brust. »Er hat mehr Probleme gemacht als gelöst!«
 

»Und deshalb hast du ihn rausgeschmissen? Bist du noch ganz dicht?!«
 

Aoi runzelte die Stirn und ein unangenehmes Stechen machte sich in seinem Brustkorb breit. Ging es etwa um ihn? Redeten sie über den gestrigen Abend?
 

»Ich war von Anfang an dagegen! Als ob wir zu zweit nicht besser gewesen wären!«, fuhr Uruha fort, die Augen zu zwei schmalen Schlitzen verengt, und Aoi spürte, wie ihm ein klein wenig schlecht wurde. Oh Gott, war sein Verdacht etwa tatsächlich berechtigt gewesen?
 

»Und das rechtfertigt, dass du ihn rausschmeißt? Was denkst du, was jetzt passiert? Du kannst wirklich nicht einmal nachdenken, bevor du etwas tust!«
 

Aois Finger krallten sich in die Pflanze, hinter der er sich versteckte, und er wünschte sich das Waschbecken zurück, denn die paar grünen Blättchen gaben ihm definitiv nicht den Halt, den er gerade brauchte. Was ging hier vor? War Kai auf seiner Seite? Aber warum zum Teufel regte er sich so auf?
 

»Ich habe ihn nicht rausgeschmissen, er ist von allein gegangen! Vermutlich hatte er keinen Bock mehr auf mich! Was weiß ich? Vielleicht hat er endlich kapiert, dass sein Plan, bei mir einzuziehen, absolut idiotisch war!«
 

Kazuki? Aoi stockte und entließ die Pflanze aus seinem Klammergriff, so dass eine ganze Handvoll grüner Blätter auf den Boden rieselte. Es ging um Kazuki? Er konnte nicht leugnen, dass der Stein, der mit einem Mal von seinem Herzen fiel, so groß war, dass man darauf ein Haus hätte bauen können – doch nur Sekunden später zog er irritiert die Brauen zusammen, als ihm klar wurde, WAS GENAU er soeben gehört hatte. Kazuki war freiwillig ausgezogen? Hurra, darauf hatten sie sich die ganze Zeit gefreut! Problem gelöst, Friede, Freude, Eierkuchen! Zeit, die Sektkorken knallen zu lassen! Oder nicht? – Warum regte sich Kai so auf?
 

»Was hast du getan, Uruha?« Die Stimme des Leaders klang misstrauisch und dass Uruha ertappt einen Schritt zurückwich, schien ihn nicht gerade zu besänftigen.
 

»Nichts!«, erwiderte der andere bockig. Aoi hätte seine Lüge nicht mal im volltrunkenen Zustand überhören können.
 

»Ach, dann habe ich ihn wohl wegen nichts mit verheulten Augen in Richtung Hauptoffice gehen sehen? Nachdem mir die Putzfrau erzählt hat, dass er gestern Abend mit seinem Koffer hier angerollt kam und die Nacht in einem der Büros geschlafen hat?«
 

Aoi weitete die Augen und auch Uruha schien diese Offenbarung einen ordentlichen Schlag in die Magengrube versetzt zu haben. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Lippen begannen zu zittern, während das Entsetzen seinen ganzen Körper zu durchfahren schien.
 

»Scheiße«, hauchte er beinahe tonlos, »Scheiße«, und taumelte ein Stück zurück, um sich an der Mauer abzustützen. Er verschwand aus Aois Blickfeld, doch Kai konnte er noch deutlich sehen. Auf seinem Gesicht hatte sich ein Ausdruck von brutaler Entschlossenheit ausgebreitet, der sehr deutlich klarmachte, dass er Uruha zur Not in den Schwitzkasten nehmen und die Wahrheit aus ihm herauspressen würde, sollte er sie nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden freiwillig ausspucken. Aoi hatte diesen Ausdruck noch nie an Kai gesehen. Und es lief ihm eiskalt den Rücken herunter.
 

»Denkst du, das hier ist ein Spiel?«, zischte der Leader so leise und scharf, dass Aoi es beinahe nicht hören konnte. »Du weißt, was wir hier riskieren? Bring es wieder in Ordnung oder ich tue es!«
 

Uruha schnaubte abfällig und Aoi verfluchte die Wand dafür, dass er die Mimik des anderen nicht sehen konnte.
 

»Als ob du so perfekt wärst! Denkst du, es ist ein guter Plan, Aoi einfach dauerhaft aus dem Weg zu gehen? Früher oder später wird er nachfragen. Der Deal war, dass wir uns so normal wie möglich verhalten! Ich bin nicht der Einzige, der hier nicht alles im Griff hat!«
 

»Oh, komm, versuch gar nicht erst, vom Thema abzulenken. Du wirst-«
 

Ein Klingeln unterbrach Kai und als er auf sein Handy sah, stieß er einen verärgerten Laut aus.
 

»Wir müssen zur Versammlung«, sagte er und klopfte sich mit beiden Händen gegen die Wangen, um sich zu beruhigen. Er warf Uruha einen letzten warnenden Blick zu, aber seine Stimme war nicht mehr ganz so scharf, als er die nächsten Worte aussprach.
 

»Wir besprechen das später. Verhalte dich unauffällig. Und klär das mit Kazuki! Aoi darf niemals erfahren, was wir ihm verschwiegen haben.«
 

Uruha nickte, als er aus dem Schatten trat, und klopfte Kai auf die Schulter. Er schien nicht versöhnt, doch ruhiger als noch vor ein paar Momenten. Aoi schreckte aus seiner Starre auf, als er sah, wie sich die beiden auf die Tür zubewegten, und rannte so schnell, wie ihn seine Beine tragen konnten. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er ihn bewegte; er rannte und rannte und rannte, stieß die Tür des PSC Gebäudes so hart auf, dass er die Glasscheiben scheppern hörte, doch er blickte nicht einmal zurück, ehe er weiterrannte, bis er weder seine Beine noch seine Lunge spüren konnte. Irgendwann brach er einfach am Straßenrand zusammen, ließ den Kopf an die kühle Steinmauer sinken und lauschte für ein paar Minuten seinem rasselnden Atem und seinem hämmernden Herzschlag, bis er sich wieder soweit beruhigt hatte, dass er einigermaßen klar denken konnte. Doch das war noch eine viel schlimmere Folter als alles zuvor.
 

Verrat.
 

Das Wort spießte sich in sein Gehirn wie eine scharfe Fleischgabel.
 

Verrat. Aus den eigenen Reihen. Von den beiden Menschen, die ihn am meisten verletzen konnten.
 

Aoi ballte die Hand zur Faust und ließ sie so hart auf die Erde krachen, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, um unter dem Schmerz, der seinen Arm durchströmte, nicht aufzustöhnen. Eine kalte Hand umschloss sein Herz und drückte es zusammen, doch seltsamerweise begann es nicht zu bluten, wie er erwartet hatte. Oh, wenn irgendjemand denken würde, er würde sich jetzt zusammenrollen, in seinem Leid suhlen und zu jammern anfangen, dann hatte er sich getäuscht! Es war eine Sache, ihn schlecht zu behandeln. Es war eine andere Sache, ihn zu hintergehen. Beides tat weh. Aber das zweite machte ihn gleichermaßen so wütend, dass es alle anderen Emotionen schlichtweg auslöschte.
 

Oh, er würde herausfinden, was sie ihm verheimlichten! Er würde sich so verhalten wie immer, würde in die Normalität blenden, als hätte er nichts von alldem erfahren. Und dann würde er es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen! Wenn jemand bluten würde, dann waren sie es!
 

tbc.
 

********
 

oh, oh oh.

Werden wir noch erfahren, was zwischen Kazuki und Uruha passiert ist und wie es mit ihnen weitergeht? - Auf jeden Fall.

Wird Aoi es erfahren? - Wer weiß...

Wird es noch zu einem richtig großen Knall kommen? - Definitiv!
 

Ich bin aus Japan zurück, habe wieder Zeit zum Schreiben und jede Menge neue Motivation und Inspiration! Die Geschichte ist ja in meinem Kopf eigentlich schon klar und fertig, aber jedes Mal kommen doch noch kleine überraschende Details dazu.

Es tut mir leid, wenn Kai so negativ rüberkommt. Ich mag ihn sehr! Aber gerade steckt er in einer echt unangenehmen Situation. Die ich noch nicht verrate XD
 

Anyways, ich hoffe, ihr hattet alle ein schönes neues Jahr! <3

Kapitel 9
 

Es gab verschiedene Wege, wie Aoi in der Vergangenheit mit Aggressionen umgegangen war. Als er noch zur Schule gegangen war, hatte er fast durchgehend das Gefühl gehabt, der nächsten Person, die ihn schief von der Seite ansprach und es wagte, seine bunten Haare, seine gepiercte Lippe oder seinen Lebensstil zu kritisieren, an die Gurgel springen zu wollen. Er hatte lange herum probiert, mit was er sich auspowern konnte, hatte sogar eine zeitlang geboxt, bis er schließlich das Surfbrett gefunden hatte, dessen glattes Holz unter seinen Fußsohlen, wenn er wie ein Blitz in seinem schwarzen Neoprenanzug durch Wellen tauchte und unter den weißen Schaumkronen ritt, ihm einen Adrenalinstoß nach dem anderen und gleichzeitig ein Gefühl der absoluten Entspannung gegeben hatte.
 

Es hatte gegen alles gewirkt. Wut, Zorn, Trauer, Verzweiflung, Angst – als ob das Wasser, das über seinen Körper spülte, alles hinfortwaschen und im Ozean verschwinden lassen würde.
 

Nachdem er Mie hinter sich gelassen hatte, war er ruhiger geworden, hatte sich selbst nicht mehr so ernst genommen und das Leben schon gar nicht. Es hatte so gut gewirkt, dass er sich vielleicht ab und an aufregte – mit Vorliebe über seine geliebten Bandkollegen – aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, wann er das letzte Mal so wütend oder verletzt gewesen war, dass es ihm seine ganze Selbstbeherrschung abverlangte, nicht wie eine entsicherte Handgranate zu explodieren.
 

In Tokyo konnte man nicht surfen. Schon gar nicht im März.
 

Es war eine knappe Woche her, seitdem er das Gespräch von Kai und Uruha belauscht hatte. Vor einer Woche war er sich noch sicher gewesen, dass keiner von beiden die nächsten Tage überleben würde – zumindest nicht ohne schwere innere Verletzungen. Doch Rache ließ sich sehr schwer verüben, wenn er keinen der beiden zu Gesicht bekam, ohne dass nicht immer mindestens ein anderes Bandmitglied, ein Staff oder eine öffentliche Menschenmasse in unmittelbarer Nähe waren. Und er war sich sicher, dass der Tontechniker nicht in Begeisterungstürme ausbrechen würde, wenn er Uruha in seinen heiligen Hallen mit einem Verstärkerkabel strangulierte. Ebenso wenig wie die Leute in der U-Bahn.
 

Er konnte nicht mal sagen, dass sie ihn absichtlich mieden, auch wenn ein kleiner Teil in ihm paranoid genug war, zu glauben, dass sie merkten, dass er es wusste. Kai hetzte wegen den Vorbereitungen der Willkommensfeier der neuen Bands von einem Termin zum anderen, vor allem, seitdem beschlossen worden war, die Presse zur Feier einzuladen. Uruha war die ersten Tage wie ein verschrecktes Reh von einer Ecke zur anderen gehuscht, hatte sich in jeder freien Minute im PSC-Gebäude rumgedrückt, um nach Kazuki Ausschau zu halten, bis ihm die Dame an der Rezeption mit einem mitleidigen Blick einen Tee in die Hand gedrückt und versprochen hatte, ihn anzurufen, wenn sie den rothaarigen Gitarristen sehen sollte. Danach war er dazu übergegangen, seine Unruhe zu überspielen, indem er seine Trinkbrüderschaft mit Miyavi neu aufleben ließ und so gut gelaunt wirkte, dass selbst ein Blinder sehen konnte, dass er alles andere als ok war.
 

Auch Aoi hatte für einen kurzen Moment die Strategie verfolgt, seine Frustration einfach wegzutrinken, aber nachdem er am Morgen nach diesem äußerst zweifelhaften Selbstversuch vollständig bekleidet in einer mit leeren Bierdosen gefüllten Badewanne aufgewacht war, den Duschkopf im Hosenbein, die ausgeleerte Shampooflasche unter dem T-Shirt und deren glitschigen Inhalt in seinen Haaren, war er zu der Erkenntnis gekommen, dass er ein viel zu schlechter Trinker war, um damit dauerhaft irgendetwas zu lösen.
 

Auf Aois Frage hin, warum Kazuki ausgezogen sei, hatte Uruha lediglich zugegeben, dass sie einen Streit gehabt hatten, mehr nicht. Aoi glaubte ihm keine Sekunde, dass dies die volle Wahrheit war, aber was er deutlich spürte, war, dass sowohl Uruha als auch Kai davon überzeugt waren, dass Kazuki genug Einfluss hatte, sie einiges zu kosten.
 

Doch es geschah nichts. Kein Telefonanruf, kein unangenehmer Termin mit der Chefetage, noch nicht einmal ein scharfer Blick auf dem Flur von ihrer Managerin, die freundlich wie immer grüßte, ehe sie mit einem großen Kaffee Latte in ihrem Büro verschwand. Und nachdem Kai den zweiten Termin mit ihr wegen Absprachen zur Party gehabt hatte, ohne dass sie auch nur ein Wort über Kazuki verlor, hatte der Leader die vorsichtige Vermutung geäußert, dass sie glimpflich davonkommen würden.
 

Aoi war sich nicht sicher, was er denken sollte. Kazuki war bei Uruha eingezogen, damit dieser seinen Freund spielte. Was auch immer geschehen war, es musste schwerwiegend genug gewesen sein, dass er seinen Koffer gepackt und ihn mitten in der Nacht verlassen hatte. Und hatte Kai nicht erzählt, er wäre mit verheulten Augen zum Management gelaufen? Je mehr Aoi darüber nachgrübelte, umso weniger konnte er sich einen Reim darauf machen, dass sie nicht schon längst ihren Vertrag verloren hatten und auf der Straße saßen. Nur über eines war er sich relativ sicher: Es musste Uruhas Schuld sein. Die Panik in seinen Augen, als Kai ihn damit konfrontiert hatte, war echt gewesen.
 

Irgendwann war Aoi der schlaue Gedanke gekommen, Reita, der seine Freizeit öfter mit Manabu verbrachte (vollkommen harmlos, wie er etwas zu häufig betonte) und immer über den neusten bandinternen Klatsch informiert war, zu fragen, ob er etwas von Kazuki gehört habe. Nachdem dieser lediglich verwundert eine Augenbraue gehoben und gefragt hatte, ob Uruha das nicht besser wissen sollte, wo er doch mit ihm zusammenwohne, hatte sich langsam die Vermutung in seinen Kopf geschlichen, dass sie vielleicht die einzigen waren, die wussten, dass Kazuki Uruhas Wohnung verlassen hatte. Er hatte innerlich der Tatsache gedankt, dass Reita nicht zu den Personen gehörte, die 1 und 1 schnell zusammenzählten, und es nach einigem Überlegen Kai und Uruha berichtet. Er hatte ihnen angesehen, dass sie ebenso verblüfft waren wie er selbst.
 

»Vor der Party kann er sich nicht drücken…«, waren Uruhas einzige Worte gewesen, bevor er sich mit drei Flaschen Wein in der Tasche auf den Weg zu Miyavi gemacht hatte.
 

Aoi wusste nicht, ob er verärgert oder erleichtert sein sollte, wieder eine Nacht allein zu verbringen. Einerseits war es schwer genug, Kai und Uruha auch nur anzusehen, ohne dass bei jedem Herzschlag das Wort ›Verrat‹ durch seinen Körper zuckte – andererseits linderte es nicht gerade den Schmerz, den er jedes Mal spürte, wenn er daran dachte, dass sie ihn verstoßen könnten. Er merkte, wie er innerlich versuchte, sich zu distanzieren, zu üben, dass ihn ihre Reaktionen kalt ließen. Und irgendwann konnte er nicht mehr zuordnen, ob sie ihn abwiesen, oder er sie.
 

~*~
 

Es war am Tag der Party, als Aoi den Entschluss fasste, dass heute etwas passieren musste. Es war schon nachmittags, als er im PSC Gebäude eintraf, wo sie später von Vans eingesammelt und in das Hotel gebracht werden würden, wo die Feier stattfinden würde.
 

Vorsichtig zupfte er seine Haare zurecht und warf seinem Spiegelbild einen kritischen Blick zu. Sein sorgsam ausgewähltes Outfit bestand aus einem schwarzen Anzug und einem schwarzen Hemd mit dezenten roten Nadelstreifen, die im Licht leicht schimmerten. Eine silberne Kette, deren Anhänger in der kleinen Kuhle auf seinem Brustkorb ruhte, schmiegte sich um seinen Hals, und an seinem Ohr baumelte ein keltisches Kreuz. Das teure Material des Anzugs, den er sich vor Ewigkeiten in einem Anflug von Shopping-Wahn gekauft, aber so gut wie nie getragen hatte, warf dekorative Falten, spannte sich elegant über seine Schultern und wurde auf seinem Bauch von zwei antik anmutenden Knöpfen zusammengehalten. Unter dem Kragen lugte der Stoff seines Hemds hervor, das er so weit geöffnet hatte, dass man seinen wohldefinierten Oberkörper erahnen konnte. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, eine Krawatte zu tragen, sich jedoch letztendlich für einen dünnen Schal entschieden, der locker um seinen Hals drapiert war.
 

Er grinste, als er sich eine schwarze Brosche in der Form einer Tarantel ans Revers steckte, seine silbernen Manschettenknöpfe befestigte und in seine schwarzen Halbschuhe in Reptiloptik schlüpfte. Er fühlte sich, als wäre er aus dem Werbeplakat eines Edel-Host-Clubs gesprungen – und es gefiel ihm außerordentlich.
 

Sein Plan war einfach. Wenn er etwas herausfinden wollte, musste er den schwächsten Punkt angreifen – und von Kai und Uruha war dies ohne Zweifel Uruha. Er würde ihn betrunken machen, umschmeicheln und notfalls mit seinem Körper verführen, bis er auch die letzte Information ausgespuckt hatte.
 

Aoi stockte in seiner Bewegung und ein trockener Klos formte sich in seiner Kehle, als ihm klar wurde, was er soeben gedacht hatte. Er liebte Sex mit Uruha. Warum fühlte es sich gerade so an, als würde er es lediglich als Notlösung in Betracht ziehen?
 

»Bist du bald fertig?« Reitas Kopf erschien in der Tür der Garderobe und Aoi musste grinsen, als er sah, dass der andere in dem silbernen Anzug steckte, den Ruki für ihn angeschleppt und gegen den er sich die letzten Tage mit Händen und Füßen gewehrt hatte. Fast bedauerte Aoi es ein wenig, dass sein Vorschlag, aus der Feier eine Kostümparty zu machen, abgeschmettert worden war. Er hätte Reita zu gern noch einmal in seinem Rentierkostüm mit Schlitten gesehen. Doch dieses war seit seinem denkwürdigen Auftritt auf der vorletzten Weihnachtsfeier unter mysteriösen Umständen verschwunden.
 

»Ruki wartet in der Tiefgarage mit dem Wagen auf uns«, fuhr Reita fort und wedelte die Nasenbinde um seinen Finger, ehe er sie in seine Anzugtasche stopfte, froh, dass er sie erst zum offiziellen Teil der Party tragen musste. »Wir sollen ihm beim Einräumen helfen.«
 

»Ich weiß überhaupt nicht, was das soll, vorher noch eine Überraschungsparty, wenn wir eh schon eine Party machen«, murmelte Aoi und griff nach seiner Tasche, um dem Bassisten zu folgen, deutlich missgelaunt darüber, dass Kai ihnen diesen Teil der Planung erst vor einer guten halben Stunde eröffnet hatte.
 

»Reg dich nicht auf, es gibt Alkohol!«, antwortete Reita und wippte mit den Augenbrauen, ehe er aus der Tür verschwand und in Richtung Aufzug sprintete.
 

Aoi warf seinem Spiegelbild einen letzten anerkennenden Blick zu – wenn er nicht er selbst wäre, würde er sich in diesem Aufzug sowas von aufreißen! –, dann folgte er ihm, grüßte Saga, der mit einem Kleidersack über der Schulter in Richtung der Bandräume spazierte, und pilgerte zu den Toiletten, um sich die vom Haargel klebrigen Hände zu waschen. Er sah auf, als nur wenige Momente später Uruha den kleinen Raum betrat.
 

»Hey«, murmelte der größere Gitarrist und schmiegte sich von hinten an Aoi, die Hände um seine Taille gelegt und seinen Kopf auf seiner Schulter. »Du siehst sexy aus!«
 

»Und du siehst aus, als würde Kai gleich mit dir schimpfen, weil du noch nicht in deinem Anzug steckst!«, antwortete Aoi und musterte seinen Freund, dessen weißes Hemd anstatt in einer Anzughose zu stecken über eine löchrige Jeans fiel. Nur seine Haare waren schon gestylt und um seinen Hals und seine Handgelenke hing der teure Schmuck, den er sonst immer nur bei Lives trug.
 

»Muss vorher noch was erledigen«, sagte Uruha und schielte auf sein Handy, ehe er es zurück in seine Hosentasche steckte. »Hab Miyavi versprochen, ihm bei was zu helfen. Ich bin seine Rufbereitschaft. Großes Geheimnis!«
 

Er grinste und zupfte ein paar Papierhandtücher aus dem Spender, um sie Aoi, welcher ihn mit hochgezogener Augenbraue musterte, in die nassen Hände zu drücken.
 

»Rufbereitschaft für irgendeinen idiotischen Plan, den ihr euch im Alkohol-Delirium ausgedacht habt?«, fragte er, doch Uruha überhörte die Spitze geflissentlich und drückte ihm stattdessen einen Kuss auf die Wange.
 

»Ich wollte dich nur vorwarnen, wenn du mich suchen solltest«, antwortete er und verstärkte den Druck seiner Umarmung für ein paar Sekunden, so dass Aoi ganz heiß wurde, ehe er sich von ihm löste und die Toilettenräume verließt.
 

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Aoi sich wieder bewegen konnte. Mit glasigem Blick ließ er die Papiertücher in den Mülleimer fallen und stützte die Handflächen auf den kühlen Marmor des Waschbeckens, ehe er tief ein- und ausatmete, jeden Atemzug mit seinem ganzen Körper spürend, um die Wellen zu beruhigen, die bei Uruhas Berührung in ihm aufgeschlagen waren.
 

Er konnte das nicht. Er konnte nicht behaupten, es wäre alles in Ordnung, konnte sich nicht so verhalten, als hätte er nicht gehört, was sie besprochen haben. Oh ja, er hatte darüber nachgedacht, hatte sich vorgestellt, wie er die Erinnerungen einfach aus seinem Kopf verdrängen und weiterleben würde, als sei nichts geschehen. In Gedanken war er ihnen einfach nicht gefolgt, war in die andere Richtung des Gangs abgebogen, hatte nichts durch die Glastür gehört. Oh, die Verlockung war groß, gerade in diesem Moment, in dem Uruhas Wärme all seine Sinneszellen flutete, wie ein Echo in ihm nachklang und ihn erschaudern ließ, als hätten sich die starken Arme nie von ihm gelöst. Er hasste sich dafür, dass er sie nicht mehr so arglos genießen konnte wie noch vor ein paar Tagen, wenn gleichzeitig jede Faser in ihm danach schrie, genau dies zu tun, ihm zu vertrauen, weil Uruha ihn niemals hintergehen würde.
 

Seine Wange brannte an der Stelle, an der Uruhas Lippen sie berührt hatten. Er hätte sich das Gefühl am liebsten aus seinem Herzen geschnitten, denn es war so klar und präsent, dass er es nicht ignorieren konnte.
 

Das Geräusch der Tür ließ ihn aufschrecken und hastig ein Lächeln auf sein Gesicht zwingen, als er Kaggras Nao sah, der stutzte, als er sein blasses Gesicht sah.
 

»Alles ok?«, fragte er besorgt, doch Aoi winkte nur ab und nickte.
 

»Gestern zu lang gefeiert«, gab er die Antwort, von der er wusste, dass sie von allen Mitgliedern der PS Company kommentarlos akzeptiert werden würde. Und tatsächlich, Nao grinste nur und klopfte ihm auf die Schulter, ehe er um die Ecke des Waschraums zu den Toiletten verschwand.
 

Aoi warf seinem Spiegelbild einen letzten Blick zu, seinen müden Augen, die von den ganzen Sorgen einfach genug hatten, dann spritzte er sich ein paar Wassertropfen ins Gesicht und straffte die Schultern. Er war Aoi! Er würde nicht so einfach einbrechen!
 

~*~
 

Die Autofahrt zum Hotel war alles andere als schön. Ruki und Reita, die neben ihm auf dem Rücksitz saßen und davon überzeugt waren, dass es niemandem auffiel, dass Rukis Hand schon seit einer ganzen Weile hinter Reita in dessen Hose verschwunden war und dieser ab und an unterdrückte Töne von sich gab, waren noch das geringste Problem. Aoi hatte keine Ahnung, was er verpasst hatte, aber Kais Laune war auf einem historischen Tiefpunkt angelangt. Der sonst so ruhige Leader hatte das Steuer so fest umfasst, dass seine Knöchel weiß hervortraten, die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und schimpfte zwischen zusammengebissenen Zähnen auf Miyavi und mit welchen Foltermethoden er ihn umzubringen gedachte. Ab und an warf er Uruha einen tödlichen Blick zu, der demonstrativ desinteressiert aus dem Fenster starrte.
 

Alles in allem trug nicht viel dazu bei, dass Aoi sich auf die nächsten Stunden freute. Auch als das Rätsel wenig später endlich gelöst wurde, ein verärgerter Saga mit einer Konfettistaubwolke aus dem Festsaal verschwand, nachdem er ihre Überraschung für die fehlenden SuG-Mitglieder ruiniert hatte, und endlich jemand Aoi darüber aufklärte, dass das ganze Theater, das völlig an ihm vorbeigegangen war, der selbe Plan war, von dem Uruha ihm noch vor wenigen Stunden erzählt hatte, trug es nicht sonderlich zur Verbesserung seiner Laune bei.
 

Alkohol-Delirium, er hatte es doch gleich gewusst! Bei Uruha überraschte es ihn kein Stück, aber dass auch Kai davon gewusst hatte (auch wenn er nicht einverstanden gewesen war) wunderte ihn doch gewaltig.
 

Und nun war Kai verschwunden, um sich um die bewusstlosen Bandmember und Saga zu kümmern; Uruha war in Richtung Alkohol gewandert, um sich – wie er es ausdrückte – zu beruhigen, und Aoi stand verloren mit einem albernen Partyhut auf dem Kopf und einem Bowleglas in der Hand zwischen seinen lachenden und schwatzenden Kollegen. Er beäugte das Glas in seiner Hand mit einem skeptischen Blick, den Morgen in seiner Badewanne noch sehr bildhaft vor Augen. Die kleingehackten roten und gelben Früchte schwammen träge in der quietschpinken Flüssigkeit umher und irgendwo in seinem Hinterkopf hörte er Naos Stimme, der ihnen vor wenigen Minuten eine Predigt darüber gehalten hatte, dass der Alkohol nur zum Anstoßen gedacht sei und nach dem offiziellen Teil der Feier mit Presse und Management noch genügend Zeit wäre, sich ausgiebig zu betrinken.
 

Aoi zog diese Option ganze zehn Sekunden lang in Betracht, dann kippte er das Glas mit einem Zug hinunter. Der Alkohol brannte seine Kehle hinunter und heizte ihm für einen kurzen Moment ordentlich ein, bevor er erleichtert aufseufzte und das Prickeln genoss, dass von seiner Kehle aus seinen ganzen Körper zu durchfluten schien. Er merkte, wie ihm ein klein wenig schwummrig wurde, als er sich auf den Weg zum Bowle-Eimer machte, aber nachdem er das zweite Glas hinuntergestürzt hatte, störte es ihn schon gar nicht mehr.
 

Er warf einen Blick in die Menge, doch niemand hatte gemerkt, dass er sich nicht wirklich an die Regeln hielt. In diesem Augenblick war ihm egal, was später auf der offiziellen Party passieren sollte. Er hatte ein Pfefferminz in der Tasche, das sollte die auffälligsten Anzeichen vertuschen können.
 

In der nächsten Stunde schaffte er es, noch drei weitere Gläser zu trinken. Er hatte sich auf einem Stuhl neben der Klimaanlage niedergelassen und genoss die abwechselnd kühlen und warmen Windstöße in seinem Nacken, während er wie durch eine Brille aus Milchglas das Geschehen um sich herum beobachtete. Irgendwann waren die restlichen SuG-Mitglieder erschienen (zumindest glaubte er dies, er konnte sie noch immer nicht auseinanderhalten) und auch Saga tauchte wieder auf, nur um sofort von Hiroto und Uruha in Beschlag genommen zu werden, die sich ab diesem Moment nicht mehr von seiner Seite lösten.
 

Aoi schnaubte leise, als er aus dem Augenwinkel Kazuki in einer Ecke bei seinen Bandmitgliedern sah, verstärkt durch Reita und Ruki, die sich viel zu schnell mit den Neuen angefreundet hatten. Einen kurzen Moment überlegte Aoi, ob er hingehen und versuchen sollte, herauszufinden, was wirklich zwischen ihm und Uruha vorgefallen war. Doch die bunten Früchte in der quietschpinken Flüssigkeit waren viel zu verlockend, um sich von ihnen loszulösen. Und wenn er ehrlich war – Herrgott noch mal, er hatte keine Lust mehr auf den ganzen Mist! Er wollte nichts wissen, denn jedes Mal, wenn er mehr erfuhr, schien es noch viel schlimmer zu werden! Er wollte hier sitzen, sich selbst bemitleiden und betrinken, wie es jeder vernünftige Mensch tat, der mit dem Gefühl kämpfte, dass innerhalb der nächsten Tage sein gesamtes Leben zusammenbrechen könnte. Denn ja, Uruha und Kai waren sein Leben!
 

»Fuck you!«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen, als er sah, wie Uruha Kazuki entdeckte, der bis jetzt recht verdeckt hinter den anderen gestanden hatte. Er wusste nicht genau, ob er einen von den beiden oder sich selbst meinte, denn in diesem Augenblick fiel ihm plötzlich wieder ein, dass er eigentlich Uruha hatte betrunken machen wollen, nicht sich selbst.
 

Mit grimmigem Gesichtsausdruck beobachtete er, wie Uruha Kazuki am Arm fasste und ihn aus dem Raum auf den Flur zog, um sich abseits der anderen mit ihm unterhalten zu können. Kazuki versuchte sich zu lösen, den Blick auf den Boden gerichtet, doch für Aois Geschmack wehrte er sich viel zu wenig. War das sein Plan? Uruha dazu zu bringen, sich bei ihm zu entschuldigen, für was auch immer vorgefallen war? Dann hatte er die Rechnung ohne Aoi gemacht!
 

Aoi wusste nicht genau, ob es die angestaute Wut der letzten Wochen oder einfach nur der Alkohol war, der ihn plötzlich dazu bewegte, aufzustehen und den beiden hinterherzulaufen. Er rannte beinahe Nao um, der mit einem überraschten Laut in Toras Arme taumelte und ihm einen seltsamen Blick zuwarf, doch er nahm es nicht einmal wahr, bis er schließlich bei Uruha und Kazuki angekommen war und den rothaarigen Gitarristen an der Schulter packte. Kazuki brach mitten im Satz ab und starrte ihn verstört an, ehe er zurückstolperte, als Aoi ihm einen groben Stoß gab.
 

»Zieh Leine!«, fuhr er den Jüngeren an und trat zwischen ihn und Uruha, die Arme demonstrativ vor seiner Brust verschränkt.
 

»Aoi, was zum Teufel-«, begann Uruha, doch Aoi ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Ich hab keine Ahnung, was du dir einbildest, aber lass die Finger von Uruha!«, zischte er und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, sich überhaupt nicht bewusst, wie verräterisch seine Worte klangen.
 

Kazuki weitete erstaunt und auch ein wenig erschrocken die Augen, ehe sein Blick über Aois Schulter zu Uruha schnellte.
 

»Aoi, ich weiß nicht, worauf du anspielst, aber ich-«, begann er sich zu verteidigen, verstummte jedoch, als Aoi ein zorniges Schnauben von sich gab.
 

Er wollte das aufmüpfige Balg zusammenstauchen, ihm gehörig die Meinung geigen, dass er sich aus seinen Angelegenheiten rauszuhalten hatte – und ja, Uruha WAR seine Angelegenheit! – und danach würde er ihm sehr freundlich ans Herz legen, sich gefälligst eine andere Company zu suchen.
 

»Aoi!«, hörte er Uruhas Stimme, die deutlich verärgerter klang als noch vor ein paar Momenten, doch er stieß den Arm, der ihn zur Seite schieben wollte, einfach weg.
 

Er war wütend, so wütend, wie schon lange nicht mehr. Normalerweise gehörte er nicht zu den Leuten, die anderen einfach ihre Meinung sagten, und es war ihm sehr peinlich, wie enthemmt er sich unter Alkoholeinfluss verhalten konnte, aber die Worte wühlten sich so unaufhaltsam durch ihn hindurch, dass er den bunten Früchten und der pinken Flüssigkeit am liebsten einen Dankesgruß geschrieben hätte, dass sie ihm endlich den Mut gaben, sie auszusprechen.
 

»Du denkst vielleicht«, begann er, »nur weil du reich bist, kannst du dir alles kaufen? Eine Band, einen Vertrag? Lass mich etwas für dich klarstellen, was du vielleicht noch nicht wusstest: Es gibt Leuten, denen es egal ist, dass du mit Geld um dich schmeißt! Du kannst nicht einfach in unser Leben platzen und dir nehmen, was du willst! Das lasse ich nicht zu! Ich lasse nicht zu, dass du uns erpresst, mit uns spielst und uns kaputt machst! Du dachtest wohl, wenn du dir Uruha kaufst und ihn zwingst, dein Freund zu sein, wird er sich in dich verlieben? Falsch gedacht, du nervst ihn, du nervst uns alle! Verschwinde einfach und lass dich von deinen Freunden trösten – wenn es überhaupt jemanden in deinem Leben gibt, den du dir nicht gekauft hast!«
 

Aoi holte tief Luft und ballte seine Hände, die aus irgendeinem Grund zu zittern begonnen hatten. Der Alkohol wirbelte noch immer die Gedanken in seinem Kopf durcheinander, doch selbst durch seine Milchglasbrille hindurch konnte er sehen, dass Kazuki zur Salzsäule erstarrt war und ihn mit einem so schockierten Blick anstarrte, wie er ihn noch nie zuvor von einem Menschen gesehen hatte. Sein Mund stand offen, seine Augen waren unnatürlich geweitet und seine Hände suchten Halt an der Flurwand, an die er bei Aois Worten zurückgewichen war. Aoi sah, wie der Jüngere leicht zitterte, und als er die klare Flüssigkeit in dessen Augen bemerkte, wendete er den Blick ab.
 

Unter normalen Umständen hätte er nun Mitleid bekommen. Doch er wollte nicht hinsehen. Kazuki war an allem schuld!
 

»Aoi, hast du den Verstand verloren!«, holte ihn Uruhas aufgebrachte Stimme wieder in die Realität zurück, und als er aufsah, sah er das wutverzerrte Gesicht seines Freundes, ehe ihn dieser an den Schultern packte und rüttelte. »Bist du betrunken? Bekommst du überhaupt noch mit, was du von dir gibst?! Du bist wohl nicht mehr ganz dicht, ihm sowas zu sagen! Lass ihn in Ruhe und entschuldige dich!«
 

Aois Augenbrauen zogen sich verärgert zusammen und er schubste Uruha von sich. Wie konnte er es wagen, sich auf Kazukis Seite zu stellen? Er würde den Teufel tun, und sich entschuldigen! Doch Uruha ließ sich nicht abschütteln. Er packte Aoi an beiden Handgelenken und zerrte ihn mit sich hinfort, nur ein paar Meter, doch weiter genug, dass Kazuki sie nicht mehr hören konnte. Sein Blick war drohend und gefährlich, als er Aoi gegen die Wand stieß und sein Gesicht ergriff, so dass er ihn ansehen musste.
 

»Du wirst dir jetzt auf der Stelle einen kalten Waschlappen ins Gesicht klatschen und dich eine halbe Stunde hinlegen, verstanden?«, zischte er so schneidend, dass Aoi zusammenzuckte. Der Alkohol machte ihn übermütig und wollte ihn protestieren lassen, doch Uruha schnitt ihm das Wort im Mund ab.
 

»Hast du eigentlich eine Ahnung, was du vielleicht gerade angerichtet hast?! Kazuki hat uns das letzte Mal nicht verraten – Gott weiß warum! Er hätte es machen und uns alle feuern lassen können! Was denkst du dir eigentlich dabei, ihm sowas ins Gesicht zu sagen?! Denkst du allen Ernstes, das würde irgendwas bringen?«
 

Seine Stimme war so eindringlich, dass Aoi erschauderte, doch der Inhalt der Worte drang nicht wirklich in sein Gehirn durch.
 

»Du willst mich für ihn verlassen, oder?«, stieß er erstickt hervor und biss sich auf die Unterlippe, als plötzlich ein Schwall von Emotionen in ihm aufkochte, wie es nur geschah, wenn er sich vollkommen abgeschossen hatte. Verdammt, was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, sich von den bunten Früchten so verführen zu lassen?! Er wollte nicht wie ein wehleidiges, eifersüchtiges Mädchen wirken, das ihrem Freund eine Szene machte – doch genau das tat er in diesem Augenblick.
 

Uruhas Blick wurde mit einem Mal weich und er warf einen kurzen Blick zu Kazuki, ehe er Aoi in seine Arme zog und dessen Kopf an seine Brust drückte.
 

»Aoi, ich liebe dich, nicht ihn, dich!«, flüsterte er leise und hielt Aoi so eng, dass dieser glaubte, jeden Moment sterben zu müssen. »Ich verlasse dich nicht, niemals! Vertrau mir einfach, bitte…«
 

Die Wellen des Schams, die durch Aois Körper schwappten, waren beinahe nicht mehr zu ertragen. Er fühlte sich so unglaublich dumm, so kindisch, dass er auch nur für einen Augenblick an Uruha gezweifelt hatte. Er wusste, dass er ihm vertrauen konnte, dass Uruha ihn nie hintergehen würde. Und doch reichte es nicht aus, die Zweifel zu beseitigen, die sich in seinem Herzen eingenistet hatten und heimtückisch darauf lauerten, ihn an den Füßen zu packen und zu Fall zu bringen.
 

»Lass mich bitte«, brachte er schließlich heraus und schob Uruha von sich. Er bereute die Worte, sobald er den verletzten Ausdruck auf dem Gesicht des anderen sah, doch er konnte sie nicht mehr zurücknehmen. Zärtlich strich er mit der Hand über Uruhas Gesicht, hoffend, dass es etwas die Schärfe seiner Aussage lindern würde, und tatsächlich nickte Uruha nach einigen Sekunden.
 

»Ich ruf dich morgen an, ok?«, sagte er nur und brachte ein kleines Lächeln zustande, als Aoi nickte, bevor er sich zu Kazuki umdrehte, der alles aus einiger Entfernung beobachtet hatte.
 

Aoi biss die Zähne zusammen, als Uruha den Arm um Kazuki legte und mit ihm den Gang hinunterging, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwanden. Uruha würde sich wohl einiges einfallen lassen müssen, um den jungen Gitarristen zu besänftigen. Doch obwohl Aoi wusste, was er soeben offenbart hatte und dass er vermutlich daran schuld sein würde, wenn sie nun alles verlieren würden, bereute er es nicht. Sollte Kazuki ruhig wissen, dass Uruha jemand anderem gehörte und er keine Chance bei ihm hatte! Er hatte nichts anderes getan, als sein Revier zu markieren, und ein nicht unbeträchtlicher Teil von ihm war stolz darauf, dass er sich nicht länger von Kazukis Erpressung unterkriegen ließ.
 

»Alles ok hier?«, holte ihn mit einem Mal eine Stimme aus seinen Gedanken zurück, und als er sich umdrehte, sah er Nao, der den Kopf durch die Tür steckte und Aoi misstrauisch musterte. »Hast du etwa zu viel getrunken?«
 

Sein scharfer Blick hatte Aoi innerhalb von Sekunden durchschaut, und dieser versuchte nicht mal, es zu leugnen. Der Alice Nine Leader seufzte tief und tätschelte ihm die Schulter, bevor er ihn mit leichtem Kopfschütteln zurück in den Raum führte, dessen laute Musik, die wie ein Feuerwerk in Aois Ohren explodierte, diesem erst wirklich klar machte, WIE betrunken er wirklich war.
 

»Das kriegen wir wieder hin«, sagte Nao und holte ein paar Tabletten aus seiner Tasche. »Waschraum, frische Luft – komm mit!«
 

Aoi ließ sich willenlos mitziehen, fasziniert davon, dass der bunte Trubel noch immer genauso war wie zu dem Zeitpunkt, als er den Raum verlassen hatte. Es hatte niemand bemerkt, dass sie verschwunden waren. Alle waren da, feierten, lachten, scherzten; niemand fehlte bis auf …
 

»Kai.«
 

Nao hielt inne und sah ihn fragend an.
 

»Was?«
 

»Kai!« Aoi war mit einem Mal furchtbar aufgeregt, und er konnte nicht sagen, woher dieser Zustand kam. Aber der Gedanke, der fast zeitgleich in seinem Kopf auftauchte, war so genial, dass er sich wunderte, dass er ihm erst jetzt kam. »Du hast doch Kais Zweitschlüssel, oder? Den Schlüssel zu seinem Apartment?«
 

Nao sah ihn skeptisch an, nicht wirklich davon überzeugt, dass Aoi in seinem betrunkenen Zustand wusste, wovon er redete. Doch er nickte.
 

»Gib ihn mir! Es handelt sich um einen Notfall!«
 

tbc.
 

******************
 

Tada! XD

Das war das Kapitel, vor dem ich mich so lange gedrückt hatte, da ich die ganzen Stellen aus Party Time heraussuchen musste, die etwas mit der Party zu tun hatten.

Wir befinden uns gerade ca. in der Hälfte der FF, wenn ich das richtig kalkuliere. Langsam wird es dramatisch, oder?
 

Btw, wenn ihr wissen wollt, welche Lieder mich diesmal begleitet haben.
 

So fühlt sich Aoi gerade die meiste Zeit: http://youtu.be/DjKs9lFkbGc
 

So fühlt er sich bei der Party: http://www.youtube.com/watch?v=iPcadWYSCsM+
 

Und so, wenn er um Uru kämpft: http://www.youtube.com/watch?v=rFZgxcfsHrs
 

Ich muss einfach mal loswerden, dass ich diese drei Lieder LIEBE LIEBE LIEBE. Besonders Warrior höre ich in Dauerschleife. Ja, ich bin auch K-Pop Fan XD
 

Und noch etwas: diese Bowle gibt es wirklich! Meine Freundin Pinky hat sie erfunden. Oh, hat sie uns an einem Silvester damit abgeschossen!

Kapitel 10
 

Es war einfach gewesen, Kazuki von den übrigen Gästen fortzulocken. Es war einfach gewesen, ihn am Handgelenk zu greifen und ihn auf den Gang zu ziehen, wo sie niemand belauschen konnte. Es war einfach gewesen, ihm zu sagen ›Ich muss mit dir reden!‹ - doch das, was danach kam, war alles andere als einfach für Uruha.
 

Er war mit dem rothaarigen Gitarristen um eine weitere Ecke verschwunden, so weit vom Partyraum entfernt, dass sie noch nicht einmal mehr gedämpfte Musik hören konnten, wenn jemand die Tür für einen Moment öffnete. Uruha fühlte sich unwohl dabei, Aoi in seiner schlechten Laune zurückgelassen zu haben, aber egal, was er auch jetzt darüber dachte, ihn so angefahren zu haben – er konnte es nicht zurücknehmen. Und in dem Moment, in dem es geschehen war, hatte Kazuki ihm wirklich leid getan – obwohl er selbst vor gerade einmal einer Woche viel schlimmere Dinge gesagt und getan hatte.
 

Sein Blick huschte zu dem jungen Gitarristen, der sich, als Uruha endlich stehen geblieben war, mit dem Rücken an die ihm gegenüberliegende Wand des Flurs gelehnt hatte. Sie waren in einer kleinen Sackgasse mit einem Fenster und einem Polstersofa angekommen, vermutlich ein Fleck im Hotel, an dem sich die Gäste entspannen sollten – aber Uruha fühlte sich alles andere als entspannt. Seine flachen Handflächen lagen auf der samtigen Tapete in seinem Rücken auf und er musste sich dazu zwingen, sie nicht zu Fäusten zu ballen, während sein ganzer Körper so angespannt war, als würde er sich kurz vorm Startschuss eines Wettkampfes befinden.
 

Es half nicht wirklich, dass Kazuki ihm so widerstandslos gefolgt war. Es half auch nicht, dass er die Augen auf den Boden gerichtet hatte, abwesend seine Schuhe musternd, als wäre Uruha nicht einmal wirklich anwesend. Der ältere Gitarrist wusste nicht, was er erwartet hatte. Panik? Wut? Flucht? Irgendetwas, das ihm zumindest ansatzweise einen Anhaltspunkt gab, wie dünn das Eis war, auf dem er sich befand.
 

Kazuki hatte allen Grund gehabt, ihn auszuliefern! Warum hatte er es nicht getan?
 

»Ich hätte auf Kai getippt«, unterbrach Kazuki unerwartet die Stille und Uruha zuckte zusammen, ehe sich seine Brauen verwirrt zusammenzogen.
 

»Kai?«
 

Kazuki nickte leicht, den Blick noch immer auf seine Schuhspitzen gerichtet. Seine Finger spielten abwesend mit dem Saum seines Jacketts, doch anstatt nervös zu sein wie Uruha, wirkte er eher träge und matt.
 

»Ich wusste nicht, dass du mit Aoi zusammen bist«, fuhr er fort und für einen Sekundenbruchteil umspielte ein schwaches Lächeln seine Mundwinkel, bevor es wieder erstarb und seine Stimme so leise wurde, dass Uruha sie kaum hören könnte. »Ich hätte auf Kai getippt. Aber selbst da dachte ich, du schläfst nur mit ihm…«
 

Uruha schluckte trocken und seine Finger krümmten sich, so dass die Nägel über die Tapete kratzten. Für einen Moment flutete ihn ein unangenehmes Schwindelgefühl und er war froh, die Wand in seinem Rücken zu haben, die ihn hielt. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, als ihm beim besten Willen nicht einfallen wollte, was er sagen könnte, das den anderen vom Gegenteil überzeugen würde. Sein Körper fühlte sich seltsam versteinert an, während in seinem Kopf die Gedanken umso schneller rasten und ihn ganz wirr machten, indem sie hunderte von Szenarien entwickelten, was Schlimmes passieren könnte, wenn er es nicht bestritt. Dann klickte die Realität wieder zurück in ihren angestammten Platz.
 

»Die anderen wissen davon«, antwortete er und befeuchtete seine Lippen, als er merkte, wie trocken sie geworden waren.
 

Es hatte keinen Sinn, zu leugnen. Selbst ein Blinder hätte aus Aois Verhalten ablesen können, dass sie mehr waren als nur Freunde oder gelegentliche Bettpartner. Und selbst wenn nicht, die Art, wie Uruha ihn zurückgehalten hatte, hatte ebenfalls Bände gesprochen.
 

Und seltsamerweise, nun, da es ausgesprochen war, fühlte es sich gar nicht so furchtbar an, wie er gedacht hatte. Es war schlimm genug gewesen, Aoi vor Kazuki zu verleugnen, ihn aus seiner Wohnung zu werfen, damit sie sich nicht verrieten. Und jetzt, da es passiert war, und was auch immer es für Konsequenzen mit sich bringen sollte, war es doch eine größere Wohltat, nicht länger diese Last mit sich herumzuschleppen.
 

Einen kleinen Moment überlegte Uruha, ihm die ganze Wahrheit zu erzählen, doch er ließ es. Kai auch noch mit hineinzuziehen, wäre nicht fair.
 

»Oh«, sagte Kazuki und Uruha brauchte einen Moment, bevor er verstand, dass es die verspätete Reaktion auf seine Offenbarung war.
 

Kazukis Blick war noch immer auf den Boden gerichtet, die Haare zu weit in seiner Stirn, als dass Uruha sein Gesicht hätte sehen können. Das einzige, was er sah, war das erneute schwache Zucken des Mundwinkels, ehe Kazuki plötzlich an der Wand hinabrutschte und auf den Boden sank, die Knie an den Körper gezogen und die Arme darum geschlossen.
 

»Das erklärt einiges. Ich bin so ein Idiot...«
 

Für einen Moment wurde es still um sie und die Luft schien so stickig zu werden, dass Uruha kaum atmen konnte. Er spürte, wie sich Feuchtigkeit auf seiner Stirn zu sammeln begann, und seine Lunge schmerzte, als würde sein Körper auf den Sauerstoffmangel reagieren, von dem er sicher war, dass er ihn sich nur einbildete.
 

Was hatte er eigentlich vorgehabt, als er Kazuki mit sich gezogen hatte? Sicher nicht über Aoi und sich reden! Er war sich sicher, er hatte sich einen Plan zurecht gelegt gehabt, erinnert sich daran, wie er die Nächte damit verbracht hatte, mit offenen Augen dazuliegen und ihren Dialog in tausend Varianten im Kopf durchzuspielen – wie er sich verteidigte, wie er alles herausfinden würde, wie Kazuki ihm glauben und wie alles wieder so werden würde, als wäre nie etwas geschehen – doch nun war alles wie ausgelöscht, als hätte jemand eine Flasche mit Bleichmittel in seinem Gehirn ausgekippt.
 

Der starke Impuls, einfach zu flüchten, drängte sich durch seinen Körper, doch er drückte ihn gewaltsam nieder, die Augen starr auf Kazuki gerichtet, der mit einem Mal so fragil und erschöpft wirkte, dass er nicht einmal auf ihn wütend sein konnte. ›Wütend sein‹ war eine der Varianten gewesen, die er durchgespielt hatte. Und ja, es wäre einfacher gewesen, Kazuki für alles die Schuld zu geben, denn immerhin war er es gewesen, der ihn schamlos verführt und provoziert hatte – doch in diesem Moment, in dem der andere so unterlegen wirkte, brachte er es nicht übers Herz.
 

»Als ich dich«, begann er, nicht sicher, wie er den Satz vollenden sollte. »Ich wusste nicht, dass du noch nie… dass du noch eine…« Er brach ab und fuhr sich verlegen mit der Hand übers Gesicht, doch Kazuki schien ihn sehr gut verstanden zu haben.
 

»Dass ich so dreist war, mit meinem nackten Hinterteil vor deiner Nase herumzuwackeln, obwohl ich noch nie mit einem Mann Sex hatte? Und obwohl du eigentlich Aoi gehörst?«, vollendete er den Satz und Uruha spürte, wie ihm bei der Direktheit der Worte das Blut in die Wangen schoss. Verdammt, er war doch sonst nicht so sensibel bei solchen Angelegenheiten!
 

Kazuki schien es zu amüsieren, denn seine Mundwinkel zuckten erneut, und für einen kurzen Moment schlich sich der Verdacht in Uruhas Kopf, ob dies vielleicht ein Teil der Rache des anderen war, die er so sehr verdient hatte. Doch das kurze Grinsen verschwand so schnell, wie es gekommen war, und Kazukis Kopf hob sich ein Stück, so dass Uruha endlich seine Augen sehen konnte. Und was darin geschrieben stand, war so dunkel und leer und voller Schmerz und Scham, dass es ihm qualvoll den Brustkorb zusammenzog.
 

Und plötzlich fiel alles von ihm ab – die Nervosität, die Anspannung, die Angst vor der Ungewissheit und davor, wie Kazuki sich an ihm rächen könnte – als er neben ihm auf den Boden sank und ihn in seine Arme zog. Er fühlte, wie der andere zusammenfuhr, als hätte ihn eine Kugel direkt in die Brust getroffen, wie er nach Luft schnappte und sich sein ganzer Körper mit einem Mal versteifte, ehe er unkontrolliert zu zittern begann. Uruhas Herz stolperte erschrocken ein paar Takte, als ihm einfiel, dass seine Strategie vielleicht nicht die beste bei jemandem war, den er beinahe vergewaltigt hatte, doch sein Körper hatte so schnell reagiert, dass sein Gehirn nicht hinterhergekommen war. Schon wollte er sich wieder lösen und sich entschuldigen, doch als er spürte, wie Kazukis Hände sich hastig auf seine Oberarme legten und ihn hielten, stoppte er in seiner Bewegung. Und in dem Moment, als er sich endgültig entschied, sein Gehirn und alle bessere Logik einfach zu vergessen und stattdessen seine Arme noch fester um den anderen zu schließen, konnte er spüren, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
 

Kazuki schmiegte sich so eng an ihn, dass kein Spalt mehr zwischen ihnen war, sein Körper trotz des dicken Anzugstoffs zwischen ihnen fragil und trotzdem so warm, dass Uruha sich auf die Unterlippe biss, um die Emotionen zu unterdrücken, die mit einem Mal in ihm hochschwappten und von denen er bis jetzt nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt in dieser Intensität in gebrodelten.
 

Seine Hand fuhr in Kazukis Nacken, als er hörte, wie die Atmung des anderen unstetiger und lauter wurde, und er zog ihn so nah, dass der Jüngere sein Gesicht in seinem Nacken vergraben konnte, bevor dessen Tränen zu fließen begannen. Finger krallten sich in seine Schultern, zerknitterten den Stoff seines Anzugs, doch er hätte sich nicht weniger darum kümmern können, als er spürte, wie die ersten heißen Tropfen auf seinen Hals flossen.
 

Und mit einem Mal wurde alles unwichtig, was er ihn hatte fragen wollen. Warum Kazuki ihn nicht verraten hatte, was er sich damit erhoffte, warum er verschwunden war – das einzige, was noch wichtig war, war, dass er seinen zitternden Körper festhielt und ihm erlaubte, in seinen Armen die Tränen zu weinen, die er bis jetzt zurückgehalten hatte. Und plötzlich waren die Worte da, die er in vielen seiner Szenarien gesagt hatte, doch zum ersten Mal waren sie nicht nur dafür da, seine eigene Haut zu retten; zum ersten Mal meinte er sie wirklich ernst.
 

»Es tut mir so leid«, flüsterte er gegen Kazukis Schopf und presste die Augen zusammen, als er spürte, wie sich Flüssigkeit in ihnen zu sammeln begann. Er fühlte, wie sich die Finger fester in seine Schultern krallten, wie der schlanke Körper des anderen von Schluchzern geschüttelt wurde, ehe er seine Arme um Uruhas Hals schlang und ihn an sich drückte. Und plötzlich war Uruha sich nicht mehr sicher, wer von ihnen die Umarmung stärker brauchte.
 

Er wusste nicht, wie lange sie so auf dem Boden gehockt hatten. In jeder anderen Situation hätte er über sich gelacht, hätte sich den Vogel dafür gezeigt, wie dumm er war, seine Schuld so ungeniert einzugestehen, doch er dachte keinen Moment daran, als die Worte immer und immer wieder über seine Lippen kamen. Das einzige, woran er dachte, war, wie hilflos er sich fühlte, dass alles, was er tun konnte, war, über Kazukis Rücken zu streicheln, in der verzweifelten Hoffnung, dass es genug sein würde, um wenigstens etwas von dem wieder gut zu machen, was er getan hatte. Wenn er ehrlich war, glaubte er nicht dran.
 

Jeder erstickte Laut des anderen stieß ihm ein Messer in die Brust, so scharf, dass es durch seine Knochen drang und solch schmerzhafte Wunden riss, dass er das Gefühl hatte, sie würden nie wieder heilen. Irgendwann ließen Kazukis Schluchzer nach, das Zittern, das ihn bis jetzt durchzogen hatte, wurde schwächer bis es schließlich ganz versiegte und er ruhig an Uruhas Schulter lehnte, die Arme noch immer um ihn geschlungen, doch nicht mehr mit dem verzweifelten Griff, mit den er ihn die letzten Minuten umklammert hatte.
 

Waren es nur Minuten gewesen? Uruha hatte keinerlei Zeitempfinden für das, was geschehen war. Es war so surreal gewesen, als hätte er einen Menschen beobachtet, er so aussah wie er und doch Dinge tat, die er niemals getan hätte.
 

Er löste die Umarmung nicht, auch dann nicht, als sein Geist langsam wieder in die Realität zurückkehrte und sich fragte, ob sie vielleicht schon jemand vermisste und suchen würde. Was, wenn Aoi im nächsten Moment um die Ecke kommen würde? Wie sollte er es ihm erklären? Doch er konnte Kazuki nicht von sich stoßen, nicht, wenn er noch immer fühlte, wie heiße Tränen von dessen Wangen flossen. Sein Hemdkragen war vermutlich schon vollkommen durchgeweicht, vielleicht auch ein Teil seines Anzugs. Hatte Kazuki eigentlich Make-Up getragen?
 

»Schh~«, flüsterte er leise und strich mit den Fingerspitzen durch die dunklen Nackenhaare des anderen, die letzten Gedanken wie weggewischt, als er Kazuki ruhig atmen hörte. Er wusste, wie es aussehen würde, wenn sie jemand so sehen würde, doch es kümmerte ihn nicht im Geringsten. Es war, als würde er ein Kind im Arm halten, und alles in ihm schrie danach, es nicht eher loszulassen, als dass seine Tränen versiegt waren.
 

Kazuki schniefte leise und gab einen Laut von sich, der entfernt wie ein Lachen klang, und als er sich schließlich von Uruha löste, wendete er schnell das Gesicht ab. Doch auch wenn er so erfolgreich verhinderte, dass Uruha seine Augen sehen konnte, sah dieser doch die aufgequollenen Lippen und die feuchten Spuren auf den geröteten Wangen. Ohne nachzudenken griff er nach dem elegant gefalteten Taschentuch in der Brusttasche seines Anzugs und hielt es Kazuki hin. Erneut zuckten Kazukis Mundwinkel und plötzlich verstand Uruha, dass das schwache Grinsen kein Hinweis darauf war, dass Kazuki irgendeinen Racheplan gegen ihn schmiedete oder ihn auslachte – er lachte sich selbst aus für seine Unsicherheit.
 

»Können wir vergessen, dass das hier passiert ist?«, brach Kazuki schließlich die Stille. Seine Stimme wirkte so, als würde er sich anstrengen müssen, sie fest klingen zu lassen.
 

Uruha nickte. Er hätte vermutlich gerade zu allem Ja und Amen gesagt.
 

»Gut.« Kazuki rieb sich mit dem Taschentuch über die Augen, plötzlich nicht mehr so fragil wirkend wie noch vor ein paar Momenten. Seine Hände waren verkrampft, als würde er plötzlich mit Horror feststellen, welche Blöße er sich gerade vor Uruha gegeben hatte. Es löste in dem anderen das Bedürfnis aus, ihn sofort wieder zurück in die schützende Umarmung zu ziehen, doch er hielt sich zurück, nicht sicher, ob das Eis unter seinen Füßen dadurch nicht augenblicklich wieder dünner werden würde.
 

»Keine Angst, ich werde niemandem etwas erzählen. Nichts von allem«, fuhr Kazuki fort und zum ersten Mal fiel Uruha auf, dass der andere mit Abstand den größeren Redeanteil hatte, obwohl eigentlich ER es gewesen war, der so viel hatte loswerden wollen.
 

»Warum hast du es nicht gesagt?«, stellte er die Frage, die seit einer Woche wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf gehangen hatte. Sein Hals wurde trocken, als Kazuki nichts erwiderte, lediglich das feuchte Taschentuch zwischen seinen Fingern drehte.
 

»Ich wollte…«, gab er nach einer Weile zu, den Kopf noch immer gesenkt. Uruha hätte ihn am liebsten gepackt und sein Kinn in die Höhe gezwungen, um ihm endlich in die Augen sehen zu können und wenigstens ein bisschen zu verstehen, was in seinem Kopf vorging. »Doch was hätte das gebracht? Ich hätte mich zum Gespött gemacht. Und du…«, er stockte und seine Zähne gruben sich in seine volle Unterlippe und zogen nervös an einem der spitzen Piercings, »…du hättest nur Ärger durch mich bekommen. Was hätte mir das gebracht? Ich will dir keinen Ärger bereiten… Das wollte ich nie…«
 

Seine Zähne gruben sich tiefer in seine Lippe und eine Träne löste sich, bevor er sie abfangen konnte, und rollte über seine Wange. Uruha fühlte, wie seine Brust noch enger wurde als bei den Worten davor, als hätte er sich in einem Netz verfangen, das sich in jeder Sekunde noch enger um ihn schloss und ihm die Luft abschnürte. Die Schnüre waren aus Nylon, unsichtbar, so dass er sie nicht gesehen hatte, doch nun, da er sich in ihnen verfangen hatte, konnte er nicht mehr entfliehen. Und ein Teil von ihm war überzeugt, dass er es nicht besser verdient hatte.
 

»Es tut mir so leid«, wiederholte er seine Worte, wie auch beim ersten Mal, als er sie ausgesprochen hatte und all die Male danach, mit vollem Ernst. Das Bedürfnis, Kazuki zu umarmen, schwoll erneut an, doch er war sich sicher, dass, wenn er ihm nachgeben würde, er nicht mehr dafür garantieren konnte, dass er nicht auch in Tränen ausbrechen würde. Er war nie so emotional! Was war nur mit ihm los?
 

Das Gefühl von warmer Haut unter seinen Fingerspitzen ließ ihn zusammenfahren, ehe er registrierte, dass Kazuki seine Hand ergriffen hatte. Dankbar drückte er sie, ein wenig fester, als er vorgehabt hatte, doch das Verzeihen, das Kazuki ihm mit dieser Berührung schenkte, war mehr, als er sich je erhofft hatte.
 

»Danke«, sagte er leise, nicht sicher, was genau er damit meinte. Alles.
 

Kazuki lächelte und zum ersten Mal starb sein Lächeln nicht nach ein paar Sekunden. Uruha wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, so erleichtert fühlte er sich plötzlich. Vorsichtig legte er den Zeigefinger unter Kazukis Kinn und drückte es leicht nach oben, wie er es schon die ganze Zeit gewollt hatte. Und als er ihm in die Augen sah, war alles Schlechte, was er jemals über ihn gedacht hatte, aus seinem Geist verschwunden. Kazukis Augen waren klein und vom Weinen aufgequollen, das Weiße um seine Iris herum gerötet und wässrig, und in seinen Wimpern hingen noch immer kleine Tropfen, die nicht den nassen Spuren unter seinen Augen und auf seinen Wangen gefolgt waren, die das Taschentuch nur teilweise hatte entfernen können. Rote Flecken ließen sein Gesicht ein wenig seltsam wirken, doch das Lächeln auf seinen Lippen machte jeden der kleinen Makel wieder wett.
 

Sein Blick war unsicher, als würde er nicht genau wissen, was Uruha bezweckte, und als dieser vorsichtig die Tränenspuren von seinen Augenwinkeln wischte, wollte er verlegen das Gesicht abwenden.
 

»Ich sehe furchtbar aus«, sagte er und versuchte, die halb getrockneten Tränenspuren von seinen Wangen zu wischen, ehe er in seiner Hosentasche nach einem Spiegel fischte, um einen entsetzten Blick hineinzuwerfen, als er das ganze Ausmaß erblickte.
 

Uruha musste leicht schmunzeln.
 

»Eigentlich bist du ziemlich hübsch«, sagte er, ohne groß darüber nachzudenken. Er zuckte ertappt zusammen, als ihm klar wurde, was er gesagt hatte, doch Kazuki nickte nur abwesend.
 

»Viele sagen mir, ich würde so ähnlich aussehen wie du«, antwortete er, den Blick in den Spiegel gerichtet, während er mit den Fingerspitzen um seine Augen fuhr und auch die letzten Tränen wegwischte. »Ich wollte immer so sein wie du, seitdem ich dich das erste Mal gesehen habe. Ich wollte Gitarre spielen wie du, ich wollte eine Band wie deine, ich wollte Kostüme wie deine…«
 

»Ich hatte nie Piercings und rote Haare!«
 

Kazukis Mundwinkel bogen sich schelmisch nach oben.
 

»Du hattest pinke Strähnen!«
 

»Oh Gott, erinnere mich nicht daran!«
 

»Ich trage sogar Hotpants! Und das sicher nicht, weil ich so sehr darauf stehe, mir die Oberschenkel zu rasieren!«
 

Uruha konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und sah Kazuki in die Augen, der den Spiegel gesenkt hatte und ihn ansah. In seinen Augen lag ein warmer Ausdruck und eine Entspanntheit, die Uruha von ihm nicht kannte. Und plötzlich fühlte er sich wie an dem Morgen, als Kazuki ihm Frühstück gemacht hatte. Das hier war der echte Kazuki. Nicht der Kazuki, der versuchte, ihn zu beeindrucken oder zu verführen oder der wie ein kleines Kind um seine Aufmerksamkeit kämpfte. Diesen Kazuki könnte er tatsächlich mögen.
 

Kazuki hob fragend die Augenbrauen und Uruha schüttelte verlegen lächelnd den Kopf. Fast konnte er nicht glauben, dass der andere vor nicht einmal zehn Minuten noch ein schluchzendes Bündel in seinen Armen gewesen war. Sie mussten ein lustiges Bild abgeben, wie sie in ihren Anzügen auf dem Boden des Hotelgangs hockten, während keine zwei Meter von ihnen entfernt ein bequemes Sofa stand. Doch keiner von ihnen machte Anstalten, sich zu erheben. Und erneut fiel Stille über sie, doch dieses Mal zog sie nicht allen Sauerstoff aus Uruhas Lungen. Beinahe wünschte er sich, dass jemand das helle Flurlicht ausschalten würde, damit sie sich einfach einen Moment lang in vollkommener Dunkelheit ausruhen konnten.
 

Erst jetzt merkte er, wie sehr ihn die letzten Minuten angestrengt und ausgelaugt hatten. Ohne groß darüber nachzudenken, rutschte er neben Kazuki an die Wand und atmete entspannt aus, als er den Rücken gegen die samtige Wand lehnen konnte. Seine Hand suchte nach Kazukis und drückte sie leicht, wie um sich selbst zu versichern, dass noch immer alles in Ordnung war.
 

Ein paar Minuten saßen sie einfach nur nebeneinander, den Blick nach vorn gerichtet, die Finger bewegungslos ineinander verschränkt, und es war der ruhigste Moment, den Uruha seit langem verspürt hatte.
 

»Warum bist du bei mir eingezogen?«, fragte er nach einer Weile ohne Vorwurf in der Stimme.
 

»Ist das nicht offensichtlich?« Kazuki lachte leise und ein wenig traurig. »Aoi hat Glück.«
 

Uruha schluckte trocken und war plötzlich froh, dass er Kazuki nicht in die Augen sehen musste.
 

Er war sich nicht sicher, ob er sich die Resignation in Kazukis Stimme einbildete. Hatte der andere wirklich verstanden und aufgegeben?
 

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich und es kam ihm vor, als habe er diese Worte schon hundert Mal in der letzten Stunde gesagt. Doch diesmal meinte er etwas anderes. Kazuki nickte nur stumm. Dann ließ er Uruhas Hand los.
 

»Wir sollten uns wieder tageslichttauglich machen«, wechselte der Rothaarige das Thema und für einen kurzen Augenblick fühlte Uruha einen unangenehmen Stich in seiner linken Brust.
 

»Du hast Recht«, antwortete er und musterte seinen Anzug mit einem missbilligenden Blick. Sein Hemdkragen war immer noch leicht feucht und sein Blazer vollkommen zerknittert. Kazuki sah nicht besser aus. So konnten sie unmöglich wieder zu den anderen stoßen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es noch gute zwei Stunden waren, bis der offizielle Teil mit Presse und Management anfangen würde.
 

»Wir können uns raus schleichen, ein Taxi nehmen und umziehen«, schlug er vor und Kazuki nickte, ehe er sich von Uruha auf die Beine helfen ließ.
 

Vorsichtig schlichen sie durch die Gänge und an der Tür vorbei, durch die gedämpfte Musik und ausgelassene Stimmen drangen, bis sie schließlich am Fahrstuhl angekommen waren und die zehn Stockwerke hinunterfuhren. Uruha steuerte zielstrebig die Taxen an, die vor dem Eingangsbereich das Hotels für die Gäste zur Verfügung standen, und noch bevor Kazuki protestieren konnte, hatte er ihn vor sich in eines hineingeschoben.
 

»Zusammen?«, fragte der Jüngere überrumpelt und seine Augen huschten leicht panisch umher.
 

»Zuerst zu dir«, antwortete Uruha und wendete sich dem Taxifahrer zu, ehe er stockte. »Wo wohnst du eigentlich gerade?«
 

An diese Frage hatte er zuvor noch gar nicht gedacht. Er wusste, dass Kazuki die erste Nacht im PSC-Gebäude verbracht hatte, doch danach? Woher kam er eigentlich? Hatte er überhaupt eine eigene Wohnung in Tokyo?
 

Kazuki verzog unangenehm berührt das Gesicht und sah sich erneut um, einen Moment mit sich hadernd, ob er nicht lieber aus dem Taxi springen sollte, ehe er tief durchatmete und dem Fahrer eine Adresse nannte.
 

Uruha zog die Stirn in Falten, als sich der Wagen in Bewegung setzte und blickte ihn fragend an.
 

»Wieso fahren wir zum Hauptgebäude?«, fragte er irritiert, doch Kazuki lehnte sich lediglich zurück und richtete den Blick aus dem Fenster.
 

Die Straßen mit ihren bunten Reklametafeln zogen an ihnen vorbei und ein Blick auf die Straßenspur zeigte Uruha, dass sie bei dem Verkehr sicher noch zwanzig Minuten brauchen würden.
 

»Wieso fahren wir zum Hauptgebäude?«, wiederholte er seine Frage, fast schon damit rechnend, wieder keine Antwort zu bekommen, als Kazuki sich nicht einmal regte. Doch nach ein paar Sekunden antwortete der andere.
 

»Weil ich dort wohne.«
 

Uruha zog verwirrt die Stirn in Falten.
 

»Wo dort?« Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wo man in der PSC wohnen konnte.
 

Kazuki zuckte nur mit den Schultern, den Blick noch immer abgewendet. Er wirkte entspannt, fast ein wenig wie betäubt, als hätte ihn alles vorher zu viel Kraft gekostet.
 

»In irgendeinem Raum. Ich weiß nicht«, antwortete er und strich sich eine rote Ponysträhne aus dem Gesicht. »Ich habe ein Futon und meinen Koffer, mehr brauche ich nicht.«
 

Uruha weitete schockiert die Augen und war sich einen Moment nicht sicher, ob ihm der andere nicht schlichtweg einen Bären aufband.
 

»Seit wann?«, fragte er und versuchte nicht einmal, den perplexen Unterton in seiner Stimme zu verbergen.
 

»Seit einer Woche. Das müsstest du doch am besten wissen.«
 

»Aber warum?«
 

Uruha war sich nicht ganz sicher, ob die Tatsache, dass Kazuki in einem verlassenen Raum eines Bürogebäudes wohnte, in irgendeiner Weise logisch zu erklären war und er schlichtweg auf dem Schlauch stand, oder ob auch alle andere Menschen genauso verwirrt reagiert hätten wie er. Er entschied sich für die letztere Variante.
 

»Irgendwo musste ich ja schlafen«, gab Kazuki lediglich als Erklärung. Eine Erklärung, die Uruhas Frage nicht im Geringsten beantwortete.
 

»Und warum bist du dann nicht in ein Hotel gezogen?«, fragte er beinahe schon vorwurfsvoll, als er sich daran erinnerte, dass nicht in allen Räumen die Klimaanlagen zuverlässig funktionierten.
 

Kazuki schnaubte nur abfällig und wendete den Blick nicht von der Straße ab.
 

»Ich hasse Hotels.«
 

»Freunde? Familie?«
 

Kazuki lachte, und diesmal klang es unerwartet zynisch.
 

»Familie?« Das Wort fiel beinahe abfällig von seinen Lippen. »Nicht wirklich. Denkst du, meine Eltern freuen sich darüber, dass ich, anstatt in irgendeiner schicken Uni zu studieren, in einer Band spiele? Sie haben mir eine Kreditkarte ohne Limit gegeben und zu Familienfeiern werde ich nicht eingeladen.«
 

»Ich dachte, sie sponsern dich!« Hatte die Managerin nicht irgendetwas in der Art gesagt?
 

»Sie sponsern meine Kreditkarte! Alles andere mache ich selbst! Die Band, den Vertrag, alles.«
 

Kazukis Tonfall klang langsam aber sicher genervt und er rutschte sichtlich unwohl auf seinem Platz hin und her, doch Uruha war viel zu aufgewühlt, um ihn so leicht davonkommen zu lassen. Er konnte nicht leugnen, dass es ihn ziemlich schockierte, was Kazuki scheinbar alles im Alleingang abgezogen hatte. Dann war er es auch gewesen, der so viel Druck auf die PS Company ausgewirkt hatte, dass sie sich sogar in das Privatleben eines ihrer Schützlinge einmischten und ihm einen neuen Mitbewohner aufzwangen? Respekt, das hätte nicht einmal Kai so kaltschnäuzig stemmen können!
 

Einen kurzen Moment überlegte er, ob er sauer werden und es ansprechen sollte, doch er ließ es.
 

»Freunde?«, fragte er, doch wieder erhielt er lediglich ein kurzes Schnauben als Antwort.
 

»Welche Freunde?«
 

»Deine Bandmitglieder zum Beispiel?« Langsam gingen Uruha die Argumente aus und zudem wurde er zusehends ungeduldig. Was war eigentlich Kazukis Problem?!
 

»Was hast du an ›Kreditkarte ohne Limit‹ nicht verstanden?!«
 

Die Stimme des Rothaarigen war so laut gewesen, dass Uruha dem Taxifahrer einen beunruhigten Blick zuwarf, doch wenn der Mann sie gehört haben sollte, hatte er Anstand genug, es sich nicht anmerken zu lassen. Sein Blick schnellte zurück zu Kazuki, der ihn zum ersten Mal, seitdem sie losgefahren waren, direkt in die Augen sah. Sein Blick war aufgebracht, beinahe zornig, und etwas darin ließ ein ungutes Gefühl in Uruhas Magen zurück, als ihm endlich die Erleuchtung kam, dass er scheinbar schon seit einer guten Weile ohne es zu merken in einer offenen Wunde bohrte.
 

»Ich bezahle unser Studio, unser Equipment, unsere Kostüme, unseren Staff und alles andere auch! Und genau deshalb sind sie nett zu mir! Natürlich würden sie mich bei sich wohnen lassen – aber nur damit sie in meiner Gunst bleiben, nicht weil sie es wirklich wollen!«
 

Kazuki brach den Blickkontakt und verschränkte die Arme vor der Brust, ehe er wieder aus dem Fenster starrte, diesmal mit verbissenem Gesichtsausdruck, der Uruha deutlich sagte, dass das Thema für ihn beendet war. Doch für Uruha war es das noch lange nicht. Was hatte dieser Junge eigentlich für eine verdrehte Wahrnehmung?! Zugegeben, er hatte keine Ahnung, wie man sich als reiches Kind fühlte und was es mit einem anstellte, nur von Menschen umgeben zu sein, die man bezahlte, aber so wie er SCREW wahrgenommen hatte, war er davon ausgegangen, dass sie sich wirklich gut verstanden.
 

»Ich denke, sie mögen dich!«, sagte er mit Nachdruck und ignorierte den abfälligen Laut, den Kazuki von sich gab. »Und ich denke, du machst es dir zu einfach, in dem du davon ausgehst, dass dich niemand aus purer Freundschaft bei sich aufnehmen würde, wenn du ihn fragst. Deine Bandmitglieder gehören jedenfalls nicht dazu!«
 

Er erinnerte sich an den Tag, an dem er mit Aoi heimlich ihre Probe beobachtet hatte, die lockere Art, wie die jungen Musiker miteinander umgegangen waren, das spielerische Flirten, die Harmonie ihrer Performance. So wirkten keine Leute, die nur da waren, weil man sie bezahlte.
 

»Ja klar…«
 

Kazuki schüttelte den Kopf und rollte mit den Augen, und etwas in seiner Reaktion reizte Uruha so sehr, dass etwas in ihm platzte.
 

»Ok, dann bin ich dein Freund!«, sagte er und zuckte provokativ mit den Schultern, als Kazuki augenblicklich herumfuhr und ihn irritiert anstarrte. »Mich bezahlst du nicht! Also kannst du sicher sein, dass ich dir immer meine Meinung sagen werde! Und deinen Koffer nehmen wir gleich mit, wenn wir in der PSC ankommen, denn du ziehst wieder bei mir ein!«
 

Er hatte keine Ahnung, was er Kazuki damit beweisen wollte, doch auch nachdem er die Worte ausgesprochen hatte und sich langsam darüber klar wurde, WAS GENAU er da eigentlich gesagt hatte, bereute er es nicht. Er war aufgebracht, ein klein wenig übermütig, doch bei sehr wachem Verstand!
 

»›Freund‹ wie in ›befreundet‹«, fügte er noch hinzu, nur um sicherzugehen, dass sie sich auch richtig verstanden, ehe er Kazuki erwartungsvoll anblickte. »Und nur vorübergehend, bis du was eigenes gefunden hast!«
 

Zu sagen, der andere wäre lediglich überrascht, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Seine Augen waren geweitet, sein Mund geöffnet, als hätte es ihm schlichtweg die Sprache verschlagen, und auf seiner Stirn war eine tiefe Falte hervorgetreten. Uruha konnte deutlich sehen, dass der andere mit vielem gerechnet hatte – aber sicher nicht damit!
 

»Das sieht nicht sonderlich attraktiv aus!«, kommentierte er Kazukis Grimasse und lachte auf, als der andere empört schnaubte und ihm mit dem Handrücken gegen den Brustkorb schlug. Doch nur Sekunden später wurde sein Blick wieder ernst. »Das war kein Scherz! Du wirst sicher nicht noch länger in der PSC schlafen! Wer weiß eigentlich davon?«
 

Kazuki wendete den Blick ab und seine Augenbrauen zuckten leicht, ehe sein Blick auf die Anzeigetafel huschte, auf der der Preis blinkte. Sie hatte noch nicht die Zahl erreicht, bei der sie aussteigen mussten.
 

»Niemand außer der Dame an der Rezeption«, antwortete er und kaute auf seiner Unterlippe herum.
 

Uruha verdrehte die Augen, als ihm klar wurde, dass er von genau der netten Dame sprach, die ihm versprochen hatte, ihn anzurufen, sobald sie Kazuki sehen würde, ehe sie ihn mit einer Tasse Tee an die frische Luft gesetzt und ihm untersagt hatte, noch länger rastlos durch die Gänge zu pilgern und in der Lobby herumzulungern.
 

Einen Moment war es still zwischen ihnen, Kazuki hatte den Blick starr nach vorn gerichtet, sein ganzer Körper mit einem Mal angespannt, und Uruha konnte den inneren Kampf förmlich sehen, den er mit sich ausfocht.
 

»Ist das dein Ernst?«, fragte er Jüngere schließlich, den Unglauben noch immer deutlich in der Stimme.
 

»Hätte ich es sonst gesagt?« Uruha hatte sicher nicht vor, sein Angebot zurückzunehmen. Vor allem, wenn man bedachte, dass es weniger ein Angebot als ein Befehl gewesen war. Er hatte keine Ahnung, was mit Kazuki los war, und er bezweifelte, dass er ihn jemals vollkommen durchschauen würde – aber gerade in diesem Moment war er sich sicher, dass er ihn besser verstand als jeder andere.
 

»Zum einen hasst du es, dass ich bei dir wohne!«
 

»Dann mach nichts, was es mich bereuen lässt!« Uruha grinste leicht, doch die Warnung in seinen Worten war deutlich zu hören gewesen. Er hoffte nur, dass Kazuki verstand, was er ihm damit sagen wollte. Dieser nickte nur, doch das Misstrauen auf seinem Gesicht war noch immer nicht verschwunden.
 

Uruha rollte mit den Augen und seufzte, ehe er sich an die Rückenlehne sinken ließ und träge die roten Ziffern mit der Preisanzeige beobachtete, die ihm verrieten, dass es nur noch wenige Minuten dauern würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Was auch immer Kazuki sagen würde, er würde nicht weiter mit sich diskutieren lassen. Und wenn er seinen Koffer höchstpersönlich wieder in seine Wohnung schleppen musste!
 

Er lächelte leicht, als er spürte, wie sich Kazukis Hand auf die seine legte, doch als er zu dem anderen hinübersah, verzog dieser keine Mine.
 

Am liebsten hätte er etwas in der Art von ›Nichts zu danken!‹ gesagt, doch er war sich ziemlich sicher, dass er Kazuki damit nur wieder verärgern würde. So sagte er nichts, sondern drehte seine Hand lediglich ein Stück, so dass er seine Finger mit denen des anderen verschränken konnte. Er spürte, wie Kazuki leicht zusammenzuckte, als habe er diese Berührung nicht erwartet, doch Uruha machte sich keinen Kopf darum, was sie bedeutete.
 

Er hatte seine Worte ernst gemeint, dass er Kazukis Freund sein würde! Hätte ihm dies jemand vor ein paar Tagen gesagt, hätte er ihm dezent den Vogel gezeigt, doch jetzt fühlte es sich genauso gut an wie der Moment, in dem er Kazuki in den Arm genommen und ihn an seiner Schulter weinen lassen hatte.
 

Es gab nicht viele Momente, in denen Uruha davon überzeugt war, das absolut Richtige zu tun. Doch jetzt war einer davon.
 

»Warum denkt Aoi, ich würde von dir verlangen, dass du mein Lover bist?«, unterbrach Kazuki mit einem Mal die Stille zwischen ihnen. Uruha schrak so heftig zusammen, dass es ihn all seine Selbstbeherrschung kostete, es sich nicht körperlich anmerken zu lassen. Trotzdem spürte er, wie mit einem Mal unangenehme Hitze in ihm aufstieg, und er betete, dass Kazuki nicht merkte, dass seine Hände vor Schweiß feucht wurden.
 

Oh Gott, Aoi hatte das gesagt? Wann? Er erinnerte sich nicht im Geringsten daran! Es konnte nur einen Zeitpunkt gegeben haben!
 

»Ich hab keine Ahnung, was du meinst«, antwortete er gezwungen ruhig, während in seinem Kopf die Gedanken zu rasen begannen. »Er war ziemlich betrunken!«
 

Sein Herz klopfte so schnell, dass er glaubte, es würde jeden Augenblick seine Rippen zerschmettern und einfach aus seinem Brustkorb springen. Mit einem Mal war ihm so schlecht, dass er befürchtete, er müsse sich auf den Teppichboden des Taxis übergeben. Kazukis Hand lastete wie ein schwerer Stein auf der seinen, doch er konnte sie nicht wegziehen, nicht wenn er das Geheimnis behüten wollte, das er mit so viel Mühe vor Aoi versteckte. Der wahre Grund, warum er damals zugestimmt hatte, Kazuki bei sich wohnen zu lassen. Der wahre Grund, warum er froh gewesen war, Kazuki bei sich zu haben, auch wenn er es gleichzeitig gehasst hatte. Und nicht zuletzt der wahre Grund, warum er überhaupt erst nachgegeben hatte, Aoi zu belügen.
 

Oh, er hatte sich gewehrt! Mit jeder Faser seines Körpers, mit jedem Schlag seines Herzens, und noch immer hasste er sich für jede Minute, in der er in dieser Lüge leben musste. In Bruchteilen von Sekunden flatterten die Momente an ihm vorbei, in denen er und Kai sich hatten entscheiden müssen, vielleicht die schwerste Entscheidung, die sie jemals getroffen hatten. Und sie hatten sich entschieden, Aoi zu beschützen. Und sich selbst. Auch wenn sie auf dem Weg dorthin vielleicht alles verlieren könnten.
 

Die Lüge, die sie ihm erzählt hatten, war genauso durcheinander gewesen wie ihre Köpfe in diesem Moment, unausgeklügelt, voller Schwachstellen, ausgedacht in wenigen Minuten hinter einer verschlossenen Bürotür, wieder verworfen auf dem Weg vom Büro aufs Dach und schließlich übereingestimmt in der kurzen Dauer eines Telefonanrufs. Nein, Kazuki hatte niemals verlangt, dass er sein Lover wurde. Niemand hatte es verlangt. Es war das einzige gewesen, was ihnen schnell genug eingefallen war, um ihr verdächtiges Verhalten zu erklären. Und sie hatten geschauspielert wie Profis.
 

»Ich könnte dich damit erpressen und dich zwingen, es wirklich zu sein! Hast du keine Angst, dass ich das tue?«
 

Kazukis Stimme durchbrach seine Gedanken und Uruha spürte, wie sein Kopf so taub wurde, als würde mit einem Mal alles gefrieren. Alle Emotionen, die Angst, die er bis jetzt ausgestanden hatte, die Zweifel, ob sie das Richtige taten. Und dann wurde ihm etwas klar.
 

»Nein, denn das wirst du nicht tun«, antwortete er und drückte die Hand des anderen, ehe er leicht lächelte. Er wusste nicht, woher der Impuls dazu kam, doch eines wusste er sicher: dies war nicht der Moment, in dem alles zusammenbrechen würde. Nicht so, nicht durch Kazuki. Nein, er war sich ganz sicher. Er wusste nicht, ob Kazuki es gesagt hatte, um ihn zu testen oder ihn zu provozieren, aber die Panik, die bei seinen Worten sturmartig in ihm aufgewirbelt war, war mit einem Mal wie verschwunden. Er merkte, wie sein Herz noch immer gegen seinen Brustkorb trommelte, doch fühlte er sich von einer seltsamen Ruhe umgeben, im vollen Bewusstsein darüber, wie hoch er mit seinen Worten pokerte.
 

»Du hättest mich schon längst wegen schlimmerer Dinge verraten können«, fuhr er fort, ehe er Kazuki direkt in die Augen sah, und er meinte jedes seiner Worte ernst. »Aber du hast es nicht getan. Du hast gesagt, du willst nicht, dass ich wegen dir Ärger bekomme. Deshalb wirst du mich mit nichts erpressen. Wir sind jetzt Freunde! Und ich vertraue dir!«
 

Einen kleinen Moment zauderte Kazuki und sah ihn verwirrt an, die Brauen zusammengezogen, als würde er angestrengt versuchen, Uruhas Gedanken zu lesen. Dann wendete er den Blick wieder ab. Und als er Uruhas Hand zurückdrückte, wusste dieser, dass er Recht hatte.
 

Tbc.
 

*********
 

Endlich kommt hier ein klein wenig Licht ins Dunkel! Uruhas und Kais Coverstory ist aufgeflogen. Habt ihr das erwartet, nachdem auf dem Dach alles so real schien?
 

Was denkt ihr jetzt über Kazuki?
 

Im nächsten Kapitel wird Aoi seinen Plan durchführen und in Kais Wohnung fahren. Ob er wohl etwas rausfindet? Was genau wollten Kai und Uruha mit ihrer Coverstory vor ihm verbergen?
 

In meinem Kopf schleichen übrigens seit einer Weile einige andere Ideen herum. Ich bin großer GROSSER SHINee Fan und liebe vor allem Jongkey und 2Min (ja, die Klassiker XD. Sie sind einfach zu REAL). Ich würde zu gern Jongkey schreiben. Wäre das interessant für euch, bzw. würdet ihr meine Storys auch weiter lesen, wenn ich in ein anderes (euch unbekanntes) Fandom wechsle? Ich frage rein aus Interesse ^^

Kapitel 11
 

Aoi brauchte vier Versuche, bis seine durch den Alkohol schwer zu koordinierende Hand endlich Naos Ersatzschlüssel in das Türschloss von Kais Wohnung navigiert hatte. Er brauchte vier weitere Versuche, den Schlüssel so zu bewegen, dass er die Tür auch tatsächlich öffnete, aber – nachdem ihm endlich aufgefallen war, dass er ihn in die falsche Richtung drehte – nur einen Moment, sich darüber klar zu werden, dass er eigentlich viel zu betrunken für diese Aktion war.
 

Er wusste nicht, wie er Nao davon überzeugt hatte, ihm tatsächlich Kais Schlüssel auszuhändigen, doch die Tatsache, dass Aoi Kais Freund war und ihm eine herzzerreißende und vermutlich äußerst peinliche Szene, unterlegt mit den Worten ›Notfall‹ und ›lebenswichtig‹, gemacht hatte, hatte vielleicht damit zu tun gehabt.
 

Das war vor vier Stunden gewesen, vor der offiziellen Feierlichkeit der Bands mit Presse und Management, zu der er tatsächlich wieder einigermaßen nüchtern gewesen war. Er erinnerte sich vage daran, wie Reita ihn am Nacken gepackt und auf die Raucherterrasse geschleppt hatte, wo die frische Luft wieder ein wenig Klarheit in seinen vernebelten Kopf geblasen hatte. Den Rest der Zeit war er damit beschäftigt gewesen, Nao von Kai fernzuhalten, damit dieser nicht auf die Idee kam, ihn zu verraten. Alles war besser gelaufen, als er selbst gedacht hatte – genau bis zu dem Moment, als ihm aufgefallen war, dass Uruha seinen Anzug gewechselt hatte. Und Kazuki auch.
 

Nur Reitas fester Griff an seinem Handgelenk, der deutlich davon zeugte, dass der andere sich nicht scheuen würde, Gewalt gegen ihn einzusetzen, wenn er sich auch nur mehr als einen Millimeter von ihm fortbewegte, hatte ihn davon abgehalten, den Bowleeimer zu ergreifen und ihn dem rothaarigen Gitarristen überzuziehen.
 

Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass die beiden neue Kleidung trugen. Selbst in nüchternem Zustand hätte es nur eine Erklärung dafür gegeben und er weigerte sich, diese auch nur annähernd in Betracht zu ziehen. Sobald sich die Gelegenheit ergab, die Party zu verlassen, ohne dass ihn jemand vermisste (und ohne dass Reita es bemerkte, der ihm seit den kurzen Ausnüchterungsminuten auf der Terrasse mit besorgtem Gesichtsausdruck wie ein Wachhund folgte), hatte er sich abgesetzt. Das schlanke brünette Mädchen vom Catering, das erschrocken einen Schritt zurücksprang, als er die Tür mit Schwung aufstieß, war ihm gerade recht gekommen – genauer gesagt der Wagen mit Alkohol, den sie vor sich hergeschoben hatte.
 

Seine Augen hatten geleuchtet, als er die pinke Flüssigkeit erblickt hatte, die in einer großen Glasschüssel hin und her geschwappt war. Oh, es war perfekt!
 

Ohne sich um ihren verdutzten Gesichtsausdruck zu kümmern, hatte er sich das größte der frischen Gläser gegriffen, es mit der pinken Flüssigkeit gefüllt und diese heruntergestürzt, als würde sie ihn vorm Verdursten retten. Die Welt hatte ein klein wenig zu wanken begonnen, als er das Glas wieder abgesetzt hatte, und er hatte sich einen Moment gewundert, wie das Mädchen so ruhig stehen konnte, wo doch der dunkelrote Fußbodenbelag unter ihren Füßen Wellen schlug, ehe er sich umgedreht und es irgendwie geschafft hatte, den Weg nach unten zurückzulegen, ohne dabei zu fallen oder gegen etwas zu rennen, ehe er in eines der Taxis gesprungen und zu Kais Apartment gefahren war.
 

Die kurze Strecke hatte bei weitem nicht gereicht, den Alkohol, der noch viel schneller anzuschlagen schien als beim ersten Mal, abzubauen – jedoch durchaus, um sich darüber klar zu werden, dass es eine unglaublich dumme Idee gewesen war, auf diese Art und Weise seinen Kopf davon abhalten zu wollen, zu hinterfragen, was genau zwischen Uruha und Kazuki vorgegangen war. Denn das Einzige, was er damit erreicht hatte, war, dass er nun an nichts anderes mehr denken konnte.
 

Auch als er schließlich in Kais Wohnung stand, den Türschlüssel in der einen Hand und die Augen apathisch ins Leere gerichtet, während sein Gehirn sich zu erinnern versuchte, was genau er hier überhaupt wollte, dominierten die beiden seine Gedanken. War er nicht vor kurzem noch der Überzeugung gewesen, Uruha und Kai wollten ihn verlassen, um nur noch zu zweit zusammen zu sein? Was zur Hölle spielte Kazukis dabei für eine Rolle? Was hatten Uruha und er besprochen und warum hatte Uruha ihn nicht dabei haben wollten, und…
 

»Fuck, konzentrier dich!«, schimpfte er leise und schüttelte den Kopf, als sich die Gedanken immer schneller zu drehen begannen.
 

Der kurze Moment, in dem er ins Trudeln kam und sich an einem Regal abstützen musste, um nicht zu fallen, machte ihm klar, dass schnelle Bewegungen wohl nicht die beste Wahl waren. Doch zumindest hatte es bewirkt, dass ihm wieder klar geworden war, was eigentlich seine Intention gewesen war, in Kais Wohnung einzubrechen. Er wollte Beweise. Und er war überzeugt, dass dies der Ort war, an dem er sie finden würde. Er kannte Kai gut genug, um zu wissen, dass er bei einer gemeinsamen Verschwörung zwischen ihm und Uruha der Kopf des Plans sein musste. Und sein Faible, Dinge zu dokumentieren, war nicht nur darauf begrenzt, Videomaterial ihrer mehr oder weniger unzüchtigen Hobbys zu sammeln. Etwas musste sich hier befinden, das Aoi nicht sehen durfte. Nicht umsonst hatte Kai jedes Mal abgeblockt, wenn er das Gespräch darauf gebracht hatte, ob er ihn besuchen oder bei ihm übernachten könnte.
 

Wenn er fertig sein wollte, bis Kai wiederkam, musste er sich beeilen. Zwar war es zu seinem Vorteil, dass der andere nach größeren Treffen immer einige Leute in seinem Van nach Hause fuhr, doch ewig würde er auch nicht fernbleiben. Und er wollte sich gar nicht vorstellen, wie Kai ausrasten würde, wenn er herausfand, dass er ihn ausspioniert hatte.
 

So schnell und strategisch, wie es irgendwie möglich war, während sich der Boden bei jeder Bewegung ein Stück hob und die Möbel um ihn herum wie die bunten Fruchtstücke in der pinken Bowle in der Luft schwammen, begann er, sich seinen Weg durch die Privatsphäre seines Freundes zu bahnen. Er öffnete Schubladen und Schranktüren, durchblätterte Notizhefte, in denen die Schriftzeichen tanzten, hob Sofakissen und drückte sogar den rot blinkenden Knopf am Anrufbeantworter, nur um festzustellen, dass Kai den Internetanbieter gewechselt hatte, die Sekretärin des Managements ihn um detailliertere Informationen zu irgendeinem Bericht bat und ihm jemand eine Lebensversicherung aufschwatzen wollte.
 

Frustriert drückte er die unbekannte Stimme weg und machte sich auf zum letzten Zimmer, Kais Schlafzimmer. Doch auch hier wurde er nicht fündig, und als er sich schließlich auf das breite Doppelbett fallen ließ, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt und die bunten Punkte beobachtend, die nicht mehr ganz so prägnant wie noch vor einer halben Stunde vor seinen Augen tanzten und ihm unangenehm deutlich machten, dass er sich auf dem Weg in die nüchterne Realität befand, hätte er am liebsten geheult.
 

Er hatte keine Ahnung, was er sich eigentlich erhofft hatte! Beweise; ja, Beweise! Doch was hatte er gedacht, was er finden würde? Ein offenes Tagebuch? Flugtickets mit Uruhas und Kais Namen nach Las Vegas? Einen Zettel auf dem Couchtisch mit den Worten »Aoi, ich liebe dich nicht mehr!«? War er eigentlich vollkommen bescheuert gewesen?!
 

Ein frustrierter Laut entwich Aois Kehle, als er mit der Faust auf die Matratze hieb und die Augen zusammenpresste, um die Tränen der Wut zurückzuhalten, die ihm den Blick verschleierten.
 

»Verdammt«, fluchte er leise und biss sich auf die Unterlippe, während er versuchte, so langsam wie möglich ein und aus zu atmen. Was, wenn er Uruha und Kai Unrecht getan hatte? Hatte er sich alles nur eingebildet? Wurde er langsam paranoid, und könnte man nicht vielleicht alle Situationen anders interpretieren?
 

Vielleicht war Uruha wirklich nur so angespannt, weil er Kazukis Freund spielen musste! Vielleicht war Kai wirklich nur so abweisend, weil er viel zu tun hatte! Und vielleicht steckten sie nur deshalb die Köpfe zusammen, weil sie versuchten, die ganze Kazuki-Situation so zu lösen, dass Aoi so wenig wie möglich davon mit bekam, weil sie wussten, wie sehr er darunter litt!
 

Aoi wollte es glauben.
 

Seine Augen brannten und er wendete den Kopf zur Seite, um ihn in Kais weichen, wie immer mit weißer Bettwäsche bezogenen Kissen zu vergraben, in denen sie so oft zu dritt gelegen hatten – als er ›es‹ sah. ›Es‹ war nicht größer als eine ausgestreckte Hand, in einem einfachen silbernen Rahmen auf dem Nachttisch, unter einer dunkelgrünen Nachttischlampe. Es zeigte drei fröhliche Gesichter, rechts Kai, das Lächeln so breit, als würde er damit ganze Landstriche verstrahlen wollen; links Uruha, die Ponysträhnen mit einem Haarclip zurückgesteckt und die Lippen zu einem Kussmund geschürzt; und in der Mitte Aoi selbst, ein Grinsen auf den Lippen und ein Auge zugekniffen, als würde er der Kamera zuzwinkern wollen, beide Arme um die Schultern der anderen beiden gelegt und sie an sich heranziehend.
 

Aoi regte sich einen Moment keinen Millimeter und es schien ihm, als sei alles um ihn herum plötzlich komplett still geworden. Zaghaft streckte er die Hand nach dem Foto aus und holte es näher zu sich heran, um es zu betrachten, als hätte er es noch nie gesehen. Er kannte das Motiv, konnte sich so lebhaft an die Situation erinnern, als wäre sie erst gestern geschehen. Es war zu keinem besonderen Anlass entstanden, der Hintergrund etwas unscharf und an einer Seite sah man sogar noch den leichten Schatten von Rukis Finger auf der Linse. Es war einfach ein normaler Moment gewesen, eingefangen auf einem Stück glänzendem Papier, das bis vor kurzem noch in Kais Fotobox im Wohnzimmer gesteckt hatte, zusammen mit all den wichtigen und weniger Erinnerungen, die sie miteinander und mit der Band teilten.
 

Es hatte noch nicht hier gestanden, als Aoi das letzte Mal da gewesen war. Und als er in ihre Gesichter sah, die Freude, die sie ausstrahlen, rollte auf einmal unbemerkt die erste Träne über seine Wange. Er biss sich auf die Unterlippe, als er bemerkte, wie seine Hand zu zittern begann, doch weder wischte er die Träne weg noch versuchte er, seinen Körper zu beruhigen. Er war nicht mehr traurig oder verzweifelt oder wütend. Es war, als würde ihm ein Stein in der Größe eines Kleintransporters vom Herzen fallen. Denn dass Kai dieses Bild ausgewählt hatte, hieß nur eins: Er liebte ihn noch. Und allein das reichte Aoi.
 

Zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich ein echtes Lächeln auf Aois Lippen und er richtete sich ein wenig auf, so dass er sich an die Kopfseite des Bettes lehnen und das Bild ausgiebig betrachten konnte. Seine Hand zitterte noch immer und er fischte eine Zigarette und sein Zippo aus seiner Hosentasche, um seine strapazierten Nerven zu beruhigen, während so viele Emotionen in ihm aufflammten, dass ihm der Kopf schwirrte. Erleichterung, Euphorie, Liebe…

Der bläuliche Rauch war wie eine Wohltat für seinen Körper, und ehe er es sich versah, hatte er die Zigarette aufgeraucht, ohne es überhaupt bemerkt zu haben.
 

Er konnte nicht eine Sekunde von dem Foto wegsehen, so perfekt war es, so dass er erst wieder daran dachte, dass er sich eigentlich hatte beeilen wollen, als er hörte, wie von außen ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde.
 

Einen kurzen Moment fuhr er zusammen, doch dann rief er sich innerlich zur Ruhe. Was auch immer er in den letzten Tagen für Panik geschoben hatte, er weigerte sich, ihr noch länger nachzugeben. Er hatte keine Lust mehr, paranoid und eifersüchtig zu sein. Kai liebte ihn noch. Das war alles, was er wissen musste.
 

»Was zur Hölle!«, hörte er Kai erschrocken fluchen. Natürlich, es war nicht zu übersehen, dass sich jemand an seinen persönlichen Sachen vergriffen hatte. Aoi war sich nicht einmal sicher, ob er die Tür wieder abgeschlossen hatte.
 

»Ich bin hier!«, rief er aus dem Schlafzimmer und nur Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und Kai fegte in das Zimmer, um mit heruntergeklappter Kinnlade und weit aufgerissenen Augen vor ihm zu stoppen.
 

»Aoi!«, rief er, sichtlich schockiert. Sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen und Aoi konnte es ihm nicht wirklich verübeln.

»Sei nicht sauer, lass mich erklären!«, begann er sich zu verteidigen, bevor Kai überhaupt die Chance hatte, seine Fassung wiederzugewinnen. »Ich wollte wirklich nicht so weit gehen, aber du warst in letzter Zeit so seltsam, und Uruha auch! Ich dachte, ihr würdet etwas vor mir verbergen wollen, und ich war überzeugt, ich würde es hier finden, also habe ich deine Wohnung durchsucht! Aber es war nichts da und es tut mir leid! Und ich bin betrunken!«
 

Er versuchte ein Lächeln, als der Schock nicht von Kais Gesicht weichen wollte. Dabei war das letzte Argument wirklich gut gewesen! Kai wusste, auf was für dumme Ideen er kam, wenn er getrunken hatte.
 

»Wie bist du in meine Wohnung gekommen?!«, war das Erste, was Kai von sich gab, und Aoi runzelte ein wenig die Stirn, als er sah, wie der andere den Raum mit seinem Blick abscannte, bevor er ihn wieder ansah.
 

»Ich habe dem Vermieter ein Märchen erzählt, damit er mir aufschließt. Er kennt mich doch«, log Aoi nach kurzem Zögern. Er wollte Nao ungern in die Pfanne hauen. Kai schien es zu schlucken. Immerhin war Aoi seit über einem halben Jahr fast täglich bei ihm ein und aus gegangen.
 

»Was hast du hier gesucht?«, fragte Kai weiter und diesmal war Aoi irritiert. Hatte er nicht genau diese Frage soeben beantwortet? Er konnte an der Art, wie Kai versteinert im Raum stand und sich nicht regen konnte, während seine Augen jedoch umso schneller hin und her zuckten, sehen, dass er den anderen mit seiner Anwesenheit vollkommen aus der Fassung gebracht hatte. In Kais Kopf schienen die Gedanken querfeldein zu laufen. Für einen kurzen Augenblick war Aoi erneut verunsichert, doch nur ein Blick auf das Bild in seinen Händen reichte aus, um alle negativen Gefühle auszulöschen.
 

»Es tut mir so leid; ich wollte euch nichts unterstellen!«, sagte er, statt eine Antwort auf die Frage zu geben, und erhob sich vom Bett, nur um festzustellen, dass er doch noch stärker betrunken war, als er gedacht hatte. Er torkelte nach vorn und fiel fast auf Kai, ehe er seine Arme um ihn schlang und sich an ihn schmiegte. Der leicht herbe Duft von Kais Parfum stieg ihm in die Nase, gemischt mit dem unwiderstehlichen Geruch seiner Haut, der Aoi einen warmen Schauer über den Rücken jagte – und zum ersten Mal wurde ihm wirklich bewusst, wie sehr er die Berührung des anderen vermisst hatte. Und als Kai die Umarmung nach kurzem Zögern erwiderte, kam es ihm vor, als würde ein Kokon Schmetterlinge in seinem Bauch explodieren.
 

»Ich hab dich vermisst«, murmelte er leise und vergrub seinen Kopf in der Halsbeuge des anderen, das Gefühl der Nähe aufsaugend, die wie ein warmer Regen auf all seine Sinneszellen rieselte. Kais Arme schlossen sich fester um ihn und er hörte den anderen langsam ausatmen, während eine Hand zu seinem Nacken wanderte und durch seine schwarzen Haare kraulte.
 

»Ich hab dich auch vermisst«, antwortete Kai und seine Stimme war so weich und zärtlich, dass Aoi sich zurückhalten musste, um nicht dümmlich zu grinsen. Seine Hände fuhren Kais Rücken hinauf, über die vom Schlagzeugspielen muskulösen Schultern, wieder hinab über seine Wirbelsäule, bis sie sich um seine Taille legten und den Saum seines Hemds aus der Hose zogen. Ganz leicht kosten seine Fingerspitzen über den Spalt Haut, den er entblößt hatte, und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er merkte, wie Kai leicht erschauderte.
 

»Du machst ganz schön seltsame Sachen, wenn du betrunken bist«, flüsterte Kai an sein Ohr und wiegte ihn sanft in seinen Armen hin und her. Aoi war ein wenig erstaunt, dass die Standpauke, mit der er gerechnet hatte, ausblieb, aber er würde sich sicher nicht beschweren, dass der andere endlich wieder so mit ihm redete, wie er es in der letzten Zeit vermisst hatte.
 

»Dafür liebst du mich doch, oder?«, fragte er und schmiegte seine Wange an Kais. Er hatte seine Stimme absichtlich scherzhaft klingen lassen, aber als er auf die Antwort wartete, klopfte sein Herz doch ein wenig schneller als zuvor.
 

»Ganz genau«, antwortete Kai ohne Zögern, und der zarte Kuss, den er auf Aois Wange hauchte, ließ diesen ganz schwindlig vor Erleichterung werden. »Allerdings werde ich wohl überlegen, mein Schloss auszutauschen, wenn ich befürchten muss, dass du das nochmal machst«, fuhr Kai mit Schalk in der Stimme fort. Aoi verstand sehr gut, dass es eine Warnung war, aber Herrgott, er war sozusagen bei Kai eingebrochen – dass dies das Einzige war, was er sich daraufhin anhören musste, war, als hätte man ihm nach einem Banküberfall einmal kurz auf die Finger geklopft!
 

»Ich bleibe brav, versprochen!«, antwortete er ein klein wenig beschämt, nicht wirklich in der Stimmung, das Thema noch weiter auszureizen. Zudem war er viel zu sehr abgelenkt durch Kais warme Umarmung und die weiche Haut unter seinen Fingerspitzen, die es immer schwerer machte, sich darauf zu konzentrieren, dass der klare Verdacht, der ihn zu seiner Suchaktion getrieben hatte, eigentlich noch nicht ausgeräumt war.
 

»Du bist warm«, flüsterte er und schlüpfte mit den Fingern weiter unter Kais Hemd, um über den unteren Teil seines Rückens zu streicheln. Wie beiläufig streiften seine Finger über dessen Seiten, von denen er wusste, dass Kai dort besonders sensibel war, und seine Mundwinkel bogen sich nach oben, als er bemerkte, wie der andere sich leicht versteifte und hörbar die Luft einsog.
 

»Und du bist immer noch betrunken«, hörte er Kais Stimme an seinem Ohr, ehe weiche Lippen über seinen Hals strichen. Das Prickeln, das sie auf seiner Haut hinterließen, ließ Aoi aufseufzen und sich näher an Kai pressen, als er spürte, wie sich ein Hitzestrom in seinem Körper ausbreitete, von dem ihm ganz schwindlig wurde. Nein, er würde keine Sekunde bestreiten, dass er immer noch betrunken war. Doch es störte ihn kein bisschen. Wenn Alkohol etwas bei ihm tat, dann war es, ihn zu enthemmen und ihn gleichermaßen für jede Berührung so sensibel zu machen, dass alles andere aus seinem Bewusstsein einfach verschwand. Und beides konnte er gerade sehr gut gebrauchen!
 

»Das liegt dann wohl an dir«, konterte er und musste selbst grinsen, als er bemerkte, wie kitschig seine Worte klangen. Doch Kai schien sich daran nicht zu stören. Er lachte nur und kraulte weiter durch Aois Haare, welcher die Augen schloss und das Gefühl mit all seinen Sinnen aufsaugte. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht hörbar aufzustöhnen, als Kais Finger um seinen Hals herum wanderten, jeden Millimeter seiner Haut liebkosten, den sie erwischen konnten, und in seinen Hemdkragen schlüpften. Aois Hände kamen ihm zu Hilfe und schoben den Schal beiseite, den er sich umgelegt hatte, und ließen ihn zu Boden fallen, ehe er das Jackett von seinen Schultern streifte.
 

»Aoi, du-«, begann Kai, doch Aoi unterbrach ihn.
 

»Sch…«, flüsterte er leise und nippte mit den Lippen an Kais Ohrläppchen, die Augen noch immer geschlossen und sich leicht in Kais Armen hin und her bewegend, als würde er mit ihm tanzen. Er wollte jetzt nicht reden, er wollte das Gefühl genießen, das ihn durchströmte, die schmerzlich vermisste Wärme, das Kribbeln der Aufregung, Kai so nah zu sein und seine Umarmung zu spüren. Kai gab einen leisen Laut von sich, als Aois Lippen sich auf seinen Hals senkten und daran zu saugen begannen. Seine Fingernägel gruben sich in Aois Haut, und der leichte Schmerz durchzuckte diesen wie ein Blitz, der genau zwischen seine Beine schoss. Er seufzte gegen Kais Hals auf und drückte seinen Schritt gegen den Unterleib des anderen, wohlig erschaudernd, als er spürte, dass dieser ebenso erregt war wie er selbst.
 

Aoi wusste nicht, was in ihn gefahren war, als er Kai ohne Vorwarnung herumdrehte und auf das Bett drückte. Keine Sekunde später war er über ihm, ignorierte den überraschten Ton, den Kai von sich gab, und presste seine Lippen auf ihren Gegenpart. Das Zittern, das sich durch seinen Körper bahnte, als er endlich die so lange schmerzhaft vermissten Samtkissen spürte, war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Es raste durch seine bis zum Anschlag geschärften Nervenzellen, durchdrang jede Faser und ließ ihn gegen Kai schmelzen, als wäre er ein Stück Butter in der Sonne.
 

»Aoi…«, keuchte Kai gegen seine Lippen und Aoi nutzte den Moment, um mit seiner Zunge in den Mund des anderen zu tauchen. Er wollte ihn sanft küssen, zärtlich, doch schon nach wenigen Sekunden konnte er der Gier nach Nähe nicht länger standhalten.
 

Kai stöhnte überrascht auf, als Aois Hand sich in seinen Nackenhaaren vergrub und seinen Kopf nach hinten zog, um ihn hungrig zu küssen, wild und stürmisch, dem Alkohol dankend, der ihm jede Scham nahm, dass er sich so auf ihn stürzte.

Er fühlte sich wie berauscht, trunken von Kais Geschmack, seinem Geruch, dem Gefühl von seiner Haut unter seinen Fingerspitzen, die ungeduldig die Knöpfe seines Hemds bearbeiteten, bis Aoi die Geduld verlor und sie mit einfach aufriss.
 

»Ich kauf dir ein neues«, flüsterte er atemlos, ehe er ihre Lippen wieder verschloss, nicht bereit, auch nur eine Sekunde zu vergeuden. Seine Hände hasteten über die neu entblößte Haut, strichen über die leichten Erhebungen der Bauchmuskeln hinauf zu Kais Brustwarzen, um sie sanft zu zwicken, während er seinen Oberschenkel gegen Kais Schritt schob und leicht drückte.
 

Der Drummer stöhnte laut und ungehalten auf – ein Ton, der Aoi wie ein Blitz zwischen die Beine schoss – und sein Oberkörper bog sich ins Hohlkreuz. Der kurze Moment, in dem er den Kuss brach, den Kopf mit lustverzerrtem Ausdruck in den Nacken warf, reichte aus, um auch die letzte Hemmung in Aoi verschwinden zu lassen. Er stürzte sich auf den Hals des anderen, attackierte ihn mit Lippen, Zunge und Zähnen, während er seinen Oberschenkel noch stärker gegen Kais Schritt rieb, bis dieser ein keuchendes Bündel unter ihm war, hilflos seinen Angriffen ausgeliefert.
 

Das Gefühl, Kai unter sich zu haben, war so neu und aufregend, dass Aoi vollkommen wirr davon wurde. Normalerweise war er es, der auf den Rücken gedrückt wurde, der unter Kai nach mehr bettelte. Vielleicht war es der Alkohol, der ihn mutig machte, vielleicht war er das so lange angestaute Verlangen, das ihn so gierig werden ließ, dass er sich einfach nahm, was er wollte. Oh ja, er wollte Kai! Er wollte alles, was er kriegen konnte. Ihn so devot zu erleben, war wie ein Rauschmittel, das ihn vollkommen süchtig werden ließ.
 

»Kai…«, keuchte er und grub die Finger seiner einen Hand in eine der straffen Pobacken, während seine andere Hand eine der dunklen Brustwarzen umspielte. Kai biss sich auf die Unterlippe, die Augen fest zusammengekniffen und die Brauen verzerrt, als würde er sich mit Gewalt davon abhalten wollen, Aoi zu zeigen, wie sehr er seine Berührung und ihre ungewollte Rollenverteilung genoss.
 

Doch Aoi sah es deutlich an seinen geröteten Wangen, der leichten Schweißschicht, die auf seiner Stirn glänzte, und dem abgehackten Rhythmus, in dem sich sein Brustkorb hob und senkte. Kais Hände waren in das Laken gekrampft, sein Körper angespannt wie vor einem Wettkampf, und mit jeder Bewegung von Aois Oberschenkel gegen seinen Schritt entwich ihm ein leises Japsen, das Aoi mehr anturnte als alles, was er zuvor erlebt hatte.
 

Er war beinahe schmerzhaft hart und wollte nur aus seinen Kleidern heraus, um endlich Haut an Haut zu spüren. In weniger als fünf Sekunden hatte er sich seines Hemds entledigt und seinen Gürtel geöffnet, ehe er seine Lippen um Kais Brustwarze schloss und im selben Atemzug dessen Hose öffnete. Er zerrte den Stoff mitsamt der Unterwäsche nach unten, verschwendete keine Zeit, sie komplett auszuziehen, sondern stoppte, als er sie bis zu den Knien herabgezogen hatte.
 

Er leckte sich über die Lippen, als er die harte Länge des anderen sah, deren Spitze feucht glänzte und ihm deutlich verriet, wie erregt Kai war. Der Drummer hatte den Kopf zur Seite gewendet, die Lippen geöffnet und die Wangen purpurrot, und Aoi meinte, zwischen all der Erregung in seinem Gesicht einen kleinen Hauch von Scham zu sehen. Und er konnte nicht leugnen, dass es ihn unglaublich heiß machte.
 

»Du bist so sexy«, flüsterte er gegen Kais Ohr und ließ seine Zunge über die Ohrmuschel gleiten.
 

Kai keuchte bei seinen Worten leise auf und zog Aois Kopf zu sich, um ihre Lippen zu einem weiteren hungrigen Kuss zu verschließen, während er die Hose von seinen Beinen strampelte und, als er es mit einiger Mühe geschafft hatte, seine Schenkel um Aois Hüfte schloss.
 

»Aoi…«, hauchte er beinahe tonlos in ihren Kuss und vergrub seine Hände so fest in Aois Nackenhaaren, dass dieser harsch die Luft einsog, als der Schmerz ein wenig zu stark wurde. Und dann ging alles so schnell, dass Aoi gar nicht wirklich reagieren konnte. Kai riss seinen Kopf von sich weg, ein Ruck ging durch seinen Körper und nur einen Augenblick später lag Aoi auf dem Rücken, Kai über sich mit einem diabolischen Grinsen auf den Lippen, das ihm einen heißen Schauer über den Rücken jagte, bevor sich seine Lippen zu einem tonlosen Stöhnen öffneten, als Kai seinen Hals attackierte. Finger kratzten über seinen Brustkorb, Zähne gruben sich in seine Haut und ließen Aoi Laute von sich geben, die ihm das Blut ins Gesicht trieben, und als Kai begann, seinen Unterleib gegen ihn zu reiben, wurde sein Kopf so blank und leer, als hätte ihm jemand einen Baseballschläger übergezogen. Sein Bauch fühlte sich an wie ein Vulkan, in dem die heiße Lava brodelte, und wenn sich Kai noch länger so stark gegen ihn rieb, würde er… würde er…
 

»Kai, Stopp!«, brachte er mit aller Mühe heraus, als er spürte, wie sich sein Unterleib zusammenzog, und krallte die Fingernägel so fest in Kais Oberarme, dass er weiße Halbmonde auf der braunen Haut hinterließ. Er konnte sich nicht länger unter Kontrolle halten, konnte die Glut, die unaufhaltsam in seinem Bauch zusammenfloss, nicht zurückdrängen, doch nur Sekunden, bevor ihn sein Orgasmus überrollt hätte, hielt Kai inne und zog sich von ihm zurück.
 

Ein Keuchen entwich Aoi und er konnte nicht sagen, ob es aus Erleichterung oder Frustration war. Er brauchte einige Momente, um seine abgehackte Atmung zu beruhigen.
 

»Du bist so unfair!«, brachte er mühsam heraus und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er streckte die Hände aus, um Kai wieder zu sich zu ziehen, doch er griff ins Leere. Verwundert öffnete er die Augen, nur um zu sehen, wie der andere mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck neben ihm saß, die Augen geweitet, als hätte ihn etwas fürchterlich erschreckt.
 

»Kai?«, fragte Aoi verwirrt und auch etwas besorgt, bis er das Handy in der Hand des anderen sah, das dieser aus seiner Hose geholt haben musste, die neben ihm lag. Es vibrierte.
 

»Du willst da jetzt nicht wirklich drangehen!« Aois Brauen zogen sich argwöhnisch zusammen, während er spürte, wie die Hitze in ihm dramatisch abnahm. Kai reagierte nicht, starrte nur wie paralysiert auf den Namen, der auf dem Display blinkte, bevor er mit dem Finger drauf tippte und das Gespräch entgegennahm.
 

»Das ist jetzt nicht dein Ernst!«, protestierte Aoi empört, ehe er zusammenzuckte, als sich plötzlich eine Hand auf seinen Mund presste. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Kais Hand ihn zurück auf das Kopfkissen drückte und dort hielt, die Handfläche so fest auf seinem Mund, dass er keinen Ton von sich geben konnte. Panik stieg in Aoi auf und sein Herz holperte so schnell, als hätte ihn soeben jemand von einem Hochhaus gestoßen. Er fühlte, wie sich Wut in seinem Inneren sammelte, Empörung, Entsetzen, begleitet von einer eiskalten Lähmung, die seine Reaktionsfähigkeit vollkommen außer Kraft setzte, so dass er nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu wehren.
 

Kai starrte ihn mindestens genauso entsetzt an wie Aoi ihn, doch die Angst, Aoi könne einen Laut von sich geben, schien stärker zu sein als seine Überraschung über sich selbst.
 

»Was gibt es?«, sagte er ins Telefon und versuchte seine Stimme fest klingen zu lassen. Aoi sah ihm aus geweiteten Augen zu, wie er nickte, als der Gesprächspartner etwas erwiderte, völlig regungslos. Kai lauschte und nickte erneut, auch wenn ihn die Person am anderen Ende der Leitung nicht sehen konnte. Aoi konnte die Stimme nicht hören.
 

»Ja, ist er. – Nein, nichts. – Ich werde das regeln. – Mir sind die Konsequenzen deutlich bewusst. – Verstanden.«
 

Aoi biss die Zähne zusammen und versuchte nicht einmal, in den zusammenhangslosen Antworten einen Sinn zu suchen. Er war viel zu schockiert, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er sah Kais beunruhigtes Gesicht, als er auflegte, doch sein Gehirn war vollkommen überfordert, so dass er erst registrierte, dass der andere die Hand von seinem Mund nahm, als sein Körper von selbst nach Luft schnappte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er sie angehalten hatte...
 

Kais Kiefer war angespannt, als würde er die Zähne mit aller Kraft zusammenbeißen. Er schien noch immer gedanklich in dem Gespräch zu sein. Sein Blick ging erst dann wieder zu Aoi, als dieser sich regte, und plötzlich breitete sich ein Ausdruck von purem Horror auf seinen Gesichtszügen aus, als ihm klar wurde, was er soeben getan hatte.
 

»Aoi, ich-«, begann er, doch seine Stimme versagte ihm. Er hob die Hand, doch als Aoi instinktiv vor ihm zurück an die Wand am Kopfende rutschte, zog er sie zurück und senkte den Blick zu Boden.
 

Einen Augenblick war es vollkommen still. Sie saßen da wie gelähmt, keiner rührte sich.
 

»Was geht hier vor?«, brach Aoi schließlich als erster die unangenehme Spannung, die sich zwischen ihnen ausgebaut hatte. Er hatte seine Stimme hart klingen lassen wollen, doch stattdessen war sie unsicher und holprig gewesen. Es fühlte sich an, als würde eine kalte Hand über seinen Rücken kriechen, drohend und gefährlich, und plötzlich waren sie wieder da, all die Zweifel und Verdächtigungen.
 

»War das Uruha?«
 

Kais Augenbrauen zuckten, aber Aoi konnte nicht zuordnen, ob dies hieß, dass er recht hatte oder nicht. Er war mit einem Mal vollkommen nüchtern. Redete Kai so mit Uruha? Was ging hier vor?
 

»Aoi…«, begann Kai, ehe er abbrach. Beinahe unbewusst zog er die Bettdecke über seinen entblößten Schoß, und krampfte die Faust in den weißen Stoff. »Ich… Du…«
 

Er brach erneut ab und Aoi konnte sehen, wie sich sein Brustkorb unregelmäßig hob und senkte, als könne er nicht richtig atmen. Er erkannte die äußeren Anzeichen von Panik, sah, wie sie Kai überfiel, doch er konnte es nicht im Geringsten nachvollziehen. Wenn hier jemand panisch sein durfte, dann doch wohl er selbst!
 

»Sag mir sofort, was hier vor sich geht!«, befahl er, diesmal so schneidend, dass Kai zusammenzuckte. Der Leader schluckte trocken und sein Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus.
 

»Du musst gehen«, sagte er schließlich mit kratziger Stimme, als würde er sich zu jedem Wort zwingen. »Ich rufe dir ein Taxi! Bitte frag nicht, warum! Bitte vertrau mir!«
 

Seine Stimme hatte beinahe flehend geklungen, doch Aoi nahm es nur am Rande wahr. Es war, als würde sich jedes Härchen an seinem Körper aufstellen. Das Prickeln, das über seine Haut lief, war nicht länger angenehm, es fühlte sich an wie kleine böse Elektroschocks, die ihn peinigten, und jede Sekunde, die er länger verharrte, schien es schlimmer zu werden.
 

»Du willst mich ohne Erklärung rausschmeißen?«, fragte er, den Impuls unterdrückend, seine Faust mit Kais Gesicht kollidieren zu lassen. »Wenn du mich jetzt so vor die Tür setzt, siehst du mich nicht wieder!«
 

Kais Augen weiteten sich entsetzt, doch obwohl Aoi wusste, was er soeben angedroht hatte, fühlte er nicht einmal ansatzweise Mitleid. Was fühlte er eigentlich? Schmerz? Enttäuschung? Wut? Hoffnung, dass Kai ihm endlich die Wahrheit sagen würde? Warum ließ er ihn im Dunkeln?! Warum vertraute er ihm nicht einfach?! Er fühlte sich, als sei er inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem er es einfach nur noch wissen wollte. Egal was es war oder welche Konsequenzen es haben würde, er wollte einfach nur nicht länger angelogen werden!
 

»Du bist betrunken«, sagte Kai und es klang, als würde er sich seine Worte selbst nicht glauben. »Bitte lass mich dir ein Taxi rufen! Ich erkläre dir alles später! Bitte vertrau mir!«
 

Ein kühles Lachen war alles, was Aoi zustande bringen konnte. Einen Moment sah er den anderen herausfordernd an, als würde ihm dies irgendetwas offenbaren, dann lachte er erneut, diesmal so spöttisch, dass es ihm kalt den Rücken herunterlief, als er den Laut hörte. Es war, als würde plötzlich alles um ihn herum zusammenfallen. Alles, an das er bis jetzt geglaubt hatte, alles was er um sich aufgebaut hatte, alles, von dem er gedacht hatte, es sei real – es brach zusammen wie ein altes Gemäuer und ließ ihn schutzlos zurück.
 

»Ist das dein Ernst?«, fragte er zynisch. »Willst du mich loswerden? Denkst du, ich lasse das mit mir machen? Ich habe es satt, dass ihr mich hintergeht! Ich bin nicht dumm, Kai! Ich merke, dass etwas nicht stimmt! Und ich lasse mich von euch nicht länger verarschen! Ihr könnt euch einen anderen Dummen suchen! War das der Plan? Mich so lange abzuweisen, bis ich es von selbst merke, damit ihr euch nicht von mir trennen müsst? Wenn ja, dann lass mich etwas klarstellen: Ihr habt euer Ziel erreicht! Ich lasse mich nicht länger verarschen!«
 

Aoi sog rasselnd die Luft ein, als er sah, wie Kai schockiert den Mund öffnete, doch ihm kam nicht mal ansatzweise der Gedanke, die Worte zurückzunehmen. Sie fühlten sich an wie ein Befreiungsschlag, der schon längst überfällig war, wie eine Faust, die er Kai in den Magen rammen konnte für all die Momente, in denen er ihn zurückgewiesen hatte. Er ballte die Fäuste, als er fühlte, wie sich sein Brustkorb so stark zusammenzog, als würde er von der Intensität seines Schmerzes zerdrückt werden. Doch alles war besser, als noch länger angelogen zu werden. Er wollte raus, einfach nur raus!
 

»Aoi, was sagst du da?«, erwiderte Kai und seine Stimme klang so atemlos, als sei jede Kraft aus seinem Körper gewichen. Das Entsetzen auf seinem Gesicht war so echt, dass Aoi sich hart auf die Unterlippe beißen musste, doch seine eigenen Wunden bluteten viel zu stark, als dass er sich darum kümmern wollte.
 

»Du hast mich schon verstanden!«, rief er und zuckte zusammen, als er hörte, wie sich seine Stimme vor Wut und Aufregung überschlug. Seine Hände begannen zu zittern und er fühlte sich, als würde der Boden unter ihm wegbrechen, als er aufstand und seine Kleidung zusammensuchte, um sie sich hastig überzustreifen. ›Raus, raus, raus!‹, hallte es in seinem Kopf wider.
 

Sein Aufbruch schien Kai endlich aufzuwecken.
 

»Aoi, bitte, lass mich erklären!«, begann er und sprang auf, um Aoi am Arm zu fassen. »Das ist es nicht wert; lass mich dir alles erklären! Bitte!«
 

»Damit du mich noch weiter anlügen kannst?« Aoi spuckte die Worte beinahe aus und riss seinen zitternden Arm los. Er bebte am ganzen Körper und ihm war eiskalt und heiß zugleich, als würden sämtliche Emotionen, die er empfinden konnte, mit einem Mal auf ihn einstürzen. Er vergaß vollkommen, dass er sich vor ein paar Momenten nichts mehr als die Wahrheit gewünscht hatte. Doch jetzt, wo sie greifbar war, war die Angst vor ihr plötzlich übermenschlich stark.
 

»Ich habe gehört, wie du dich mit Uruha unterhalten hast; wie ihr darüber gesprochen habt, dass ihr mich anlügt! Denkst du, ich werde dir auch nur noch ein Wort glauben nach all dem?! Es reicht mir!«
 

»Aoi, lass mich-«
 

»Nein!« Das Wort brach wie ein Schrei aus Aoi heraus. »Nein! Es reicht! Was auch immer ihr für ein Spiel spielt, ihr könnt es von jetzt an ohne mich spielen! Es ist aus zwischen uns!«
 

Heiße Flüssigkeit stieg in Aois Augen auf und er konnte nicht sagen, ob es vor Wut oder Schmerz war, dass er plötzlich das tat, von dem er nie gedacht hatte, dass es jemals passieren würde. Er sah die Angst in Kais Augen, das nackte Entsetzen, und es war ihm alles egal, als er seine Sachen schnappte und aus der Wohnung flüchtete. Er spürte, wie Kai ihn zu packen versuchte, hörte seine Stimme, die ihm nachrief, doch er rannte so schnell, als würde es um sein Leben gehen. Er stürzt beinahe die Treppen des Apartment-Komplexes hinunter, krallte sich hastig am Geländer fest und stieß die Haustür so hart auf, dass das Metall laut scheppernd an die Wand knallte. Er sah nicht nach links oder rechts, als er auf die Straße rannte und gerade noch vor einem anfahrenden Auto stoppen konnte, ehe er in eine der vielen kleine Seitengassen einbog.
 

Ein paar Mal sah er nach hinten, halb aus Angst, halb aus unrealistischer Hoffnung, dass Kai ihn einholen würde, doch er sah den anderen nicht, rannte weiter und weiter, bis ihn schließlich die Kraft verließ und er an einer Hauswand zusammensackte. Sein Brustkorb bebte und seine Lunge brannte, als hätte man sie mit Benzin übergossen und angezündet, während sein Herz so brutal gegen seine Rippen hämmerte, als würde es sie zersplittern wollen. Er fühlte heiße Flüssigkeit auf seinen Wangen, doch obwohl er wusste, was es war, dauerte es ein paar Momente, bis er wirklich begriff, dass er weinte.
 

Und dann begriff er, was er soeben getan hatte, und auch die letzten Grundfesten brachen zusammen. Er hatte sich von Kai getrennt. Es war alles vorbei.
 

Mit einem erstickten Schrei krümmte er sich zusammen, die Hände in seinen Anzug verkrampft im verzweifelten Versuch, sich an irgendetwas festzuhalten, und die Zähne so stark zusammengebissen, dass es sich anfühlte, als würde sein Kiefer brechen. Doch er konnte nicht aufhalten, was durch ihn hindurch rauschte, und als er sich selbst schluchzen hörte, die seltsamen Laute seiner erstickten Stimme vernahm, die so fremd klang, als wäre sie die Stimme einer anderen Person, gab er auf. Er ließ die Tränen fließen, ließ das Zittern von seinem Körper Besitz ergreifen und sich in das dunkle Loch fallen, das sich vor ihm aufgetan hatte und ihn unaufhaltsam in sich sog. Er wehrte sich nicht, als der Schmerz ihn wie ein Gewitterschauer überfiel, kämpfte nicht gegen die gequälten Laute an, die sich aus seiner Kehle lösten, und kümmerte sich nicht darum, ob ihn jemand sehen oder hören könnte.
 

Es tat weh, mehr als er jemals gedacht hatte. Es war, als hätte jemand einen Teil aus seiner Seele gerissen – doch er war es selbst gewesen.
 

Irgendwann, er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, vibrierte sein Handy – Kai – und als er auf das Display sah, bemerkte er, dass ihn der andere zum fünften Mal anrief, seitdem er seine Wohnung verlassen hatte. Er drückte ihn weg. Einen kurzen Moment starrte er auf das Telefon, als würde er darauf warten, dass es erneut klingelte. Doch es blieb ruhig.
 

Erst jetzt bemerkte er, wie kühl es um ihn herum geworden war, und wischte sich die Tränen von den Wangen. Er hatte keine Ahnung, wo er war, und es war mitten in der Nacht. Entfernt hörte er das Geräusch von Autos, doch die Straße, in der er sich befand, war vollkommen leer. Ein paar Sekunden spielte er mit dem Gedanken, sich einfach am Straßenrand zusammenzurollen und zu sterben, doch dann öffnete er sein Adressbuch und scrollte durch die Kontakte. Er zuckte zusammen, als er Kais Nummer sah, und klickte schnell weiter, nicht sicher, nach wem er eigentlich suchte. Schließlich stoppte er bei der ersten Person, von der er wusste, dass sie ihm helfen würde.
 

»Hey hey, wohin bist du denn abgehauen?!«, erklang Reitas muntere Stimme nur Sekunden später am anderen Ende der Leitung.
 

»Kannst du mich abholen?« Aois erschrak, als er hörte, wie schwach und heiser seine Stimme klang. Einen Augenblick blieb es still, dann erklang Reitas Stimme erneut, diesmal deutlich beunruhigt.
 

»Was ist passiert? Wo bist du?«
 

Aoi schluckte und räusperte sich, ehe er sich umsah.
 

»Ich hab keine Ahnung, wo ich bin«, antwortete er. »Ich war bei Kai, dann bin ich auf die Straße gelaufen und irgendwo abgebogen. Hier sind Wohnhäuser mit Gärten.«
 

»Aoi, das hilft mir nicht!« Reitas Stimme klang besorgt und aufgeregt zugleich, und Aoi meinte, im Hintergrund Rukis zu hören, der ihn fragte, was los sei.
 

»Ich weiß nicht, wo ich bin«, wiederholte er und biss sich auf die Unterlippe, als er spürte, wie erneut Tränen in seinen Augen aufstiegen. »Ich sehe ein helles Haus mit einer Werbetafel auf dem Dach und einige kleine Geschäfte.«
 

»Was ist mit Kai? Er kennt die Umgebung!« Diesmal war es Rukis Stimme, ein wenig gedämpfter. Reita hatte sein Handy scheinbar auf Lautsprecher geschaltet.
 

»Nein!«, protestierte Aoi hastig, ehe er den Kopf an die Wand hinter sich fallen ließ. »Holt mich bitte einfach nur ab…«
 

»Ok!« Ruki klang ernst. »Bis zu Kai kann ich fahren, ab da musst du mich irgendwie lotsen!«
 

Er schien verstanden zu haben, dass er nicht länger diskutieren musste. Aoi nickte, bis ihm einfiel, dass Ruki ihn nicht sehen konnte.
 

»Ok«, sagte er leise.
 

»Ich ruf dich zurück, wenn wir da sind! Wenn du an irgendeinen Punkt gehen kannst, den man besser findet, dann tu das!«
 

»Ok…«
 

Aoi ließ das Handy sinken und drückte die Taste zum Auflegen. Er fühlte sich so kraftlos, als wäre er einen Marathon gelaufen. Vielleicht war das gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Die Uhr zeigte 2 Uhr nachts, doch er hatte keine Ahnung, wann er von Kai aufgebrochen war. Am liebsten hätte er das Handy ausgeschaltet, um nicht noch einmal den Drummer wegdrücken zu müssen, wenn er ihn anrufen sollte. Die Band… Was würde jetzt eigentlich mit der Band passieren… Und Uruha… Hatte er sich auch von ihm getrennt? Warum gab es keine Lehrbuchsituation für so einen Moment?!
 

Was sollte er jetzt nur tun… Jetzt, wo er alles kaputt gemacht hatte.
 

Tbc.
 

**********
 

Ich kalkuliere aktuell mit 16 Kapiteln, wenn das für euch wichtig sein sollte ^^ Genau kann ich es aber nicht sagen. Es passiert also noch einiges.

Kapitel 12
 

Drip Drop. Drip Drop.
 

Die Regentropfen plätscherten auf das schmale Plastikvordach, unter dem Aoi Schutz gesucht hatte.
 

Drip Drop. Drip Drop.
 

Er hatte keine Ahnung, wie lange er auf Ruki und Reita gewartet hatte. Als das Auto schließlich mit einem Quietschen vor ihm stoppte und nur Sekunden später Reita heraussprang und auf ihn einredete, ob es ihm gut ginge, reagierte er kaum. Er starrte auf den kleinen Pfeil des Navigationsgeräts seines Handys, das er in der Hand hielt. Nein, es war nicht seine geniale Idee gewesen, Ruki und Reita so zu sich zu lotsen. Ruki hatte ihn angerufen und ihn Schritt für Schritt durch seine Menuführung dirigiert, bis er Kais Apartment als Ziel eingegeben und sich selbst mit seinem GPS-Empfänger hatte suchen lassen, um Ruki so in die umgekehrte Richtung zu sich führen zu können. Vielleicht wäre Aoi in einer anderen Situation selbst auf diese Idee gekommen, aber sein Gehirn fühlte sich an, als hätte es sich schlichtweg komplett heruntergefahren, so dass er nicht einmal mehr die einfachsten Dinge zustande bringen konnte.
 

»Scheiße, du bist ganz kalt!«, hörte er Reita aufgeregt feststellen, ehe er am Arm gepackt und auf den Rücksitz bugsiert wurde. Eine Jacke wurde um seine Schultern gelegt und als ihm die warme Luft der Klimaanlage entgegenpustete, spürte er, dass er tatsächlich zitterte. Ob es vor Kälte war, konnte er nicht sagen.
 

»Wir fahren zu uns!«, entschied Ruki vom Fahrersitz aus und Aoi sah keinen Grund, zu protestieren. Reitas Arm lag um seinen Rücken und seine Hand streichelte ihn leicht, so dass Aoi seinen Kopf auf Reitas Schulter sinken ließ, als ob er vermutete, dass dies die Reaktion war, die der andere von ihm erwartete.
 

Seine Tränen waren schon vor einer ganzen Weile versiegt. Jetzt fühlte er sich einfach nur noch leer und ausgebrannt. Jede Bewegung war anstrengend, als würde er einen Bleimantel tragen und der unterschwellig pulsierende Schmerz in seinem Kopf ließ seine Wahrnehmung ein paar Sekunden der Realität hinterherhinken. Er bekam nur halb mit, wie sie die Stufen des Apartments erklommen und er schließlich auf ein Sofa gesetzt wurde. Im Nu lag eine Decke um seine Schultern und eine Tasse mit heißer Flüssigkeit wurde in seine Hand gedrückt, so dass er sich wie ein krankes Kind fühlte, das von seinen Eltern bemuttert wurde.
 

»Trink, solange es warm ist!«, forderte Reita ihn auf und ließ sich neben ihm auf der Couch nieder.
 

Aoi nahm einen Schluck, dankbar, dass ihn bis jetzt noch niemand mit Fragen gelöchert hatte, und sah sich dann um. Er wusste, dass Ruki und Reita vor einiger Zeit zusammengezogen waren, aber sie waren alle so beschäftigt gewesen, dass er noch nicht die Zeit gehabt hatte, sie zu besuchen. Ein großes Wohnzimmer bildete den Kern des Apartments, eingerichtet mit einer roten Couch, einem blauen Sessel und blauen Gardinen – eindeutig Rukis Einfluss –, an einer Seite war eine halb offene Küche im amerikanischen Stil und daneben gingen zwei weitere Türen ab, vermutlich zum Bad und zum Schlafzimmer.
 

Es war nicht der Moment, um neidisch zu sein, doch trotzdem zog sich Aois Brustkorb kurz zusammen. Uruha, Kai und er hatten noch nicht einmal darüber geredet, ob sie jemals zusammenziehen wollten. Wenn er ehrlich war, hatte er noch nicht einmal daran gedacht. Alles war perfekt gewesen, genauso wie es war.
 

»Du schläfst heute Nacht hier«, erklang Reitas Stimme und als er den anderen ansah, lag auf dessen Gesicht ein bestimmter Ausdruck. Die Sorge war aus seinen Worten herauszuhören und sie machten deutlich, dass Aoi nicht einmal anfangen brauchte, zu protestieren. So nickte er nur und nahm einen weiteren Schluck Tee. Reitas Finger begannen durch seine Nackenhaare zu kraulen und plötzlich spürte er erneut heiße Tränen, die sich in seinen Augen sammelten. Er kämpfte sie erfolgreich zurück, ohne dass Reita es merkte, und ließ seinen Kopf auf dessen Schulter sinken.
 

Seine Augen starrten geradeaus auf die verspiegelte Fläche des ausgeschalteten Flachbildfernsehers, in dem er vage seine eigene Reflektion ausmachen konnte. Es fühlte sich so an, als wäre er ebenso verschwommen wie der fremdartige dunkle Schatten, der ihn ansah. Seine Arme und Beine waren federleicht, als würden sie sich jeden Moment auflösen wollen, sein Brustkorb eng zusammengeschnürt und von einer unterschwelligen Panik durchflossen, und seine Hände eiskalt, obwohl sie die warme Teetasse hielten. Sein Kopf jedoch fühlte sich langsam wieder klarer an, abgesehen von einem leichten pulsierenden Schmerz in seiner linken Schläfe.
 

»Was ist denn passiert?«, fragte Reita leise, als würden die Worte in lauter Stimme zu fordernd klingen.
 

Einen Augenblick überlegte Aoi, ob er ihm nichts sagen sollte. Ob er alles, was passiert war, in sich einschließen und den Schlüssel in einen dunklen Teil seines Inneren werfen sollte, wo er ihn nie wiederfinden würde. Dann schloss er die Augen und atmete tief durch.
 

»Ich habe mich von Kai getrennt«, antwortete er und wunderte sich einen Moment, dass er die Worte tatsächlich aussprechen konnte. Noch vor einer Stunde hatte er weinend am Straßenrand gehockt und jetzt war er so gelähmt, dass er sich fragte, ob sein Herz in dieser Zeit einfach abgestorben war und er es nicht bemerkt hatte.
 

Reita zuckte merklich zusammen und ein harscher Luftzug aus Richtung der Küche verriet, dass auch Ruki die Worte gehört hatte. Einen Moment war es vollkommen still und Aoi wartete förmlich darauf, dass er gegen die Panik verlieren, endlich zusammenbrechen und sich schluchzend in Reitas Armen verkriechen würde, doch es geschah nichts. Die Bedeutung seiner Worte rieselte langsam wie Sand in einer Sanduhr durch seinen Körper hindurch, doch anstatt ihn aufzurütteln, legten sie sich wie ein dicker Mantel über ihn und erstickten auch den letzten Funken Hoffnung, dass nichts von alldem wirklich geschehen war. Jetzt, wo er es zugegeben hatte, war es real und er konnte sich nicht mehr davor verstecken.
 

»Warum?«, fragte Ruki nur, und Aoi gab einen Ton von sich, der ihn entfernt an Lachen erinnerte.
 

»Ich weiß nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß und atmete tief ein und aus, sein schattenhaftes Spiegelbild im Blick, als würde es ihm irgendetwas verraten können, was er selbst nicht wusste. »Ich war bei ihm zu Hause, dann haben wir geredet und gestritten und irgendwie ist es plötzlich passiert…«
 

»Aber das passiert doch nicht einfach!«, protestierte Ruki sogleich. »Wir waren doch noch vor ein paar Stunden alle zusammen! Ist in der Zwischenzeit irgendwas passiert? Hat Kai irgendetwas gemacht?«
 

Ein scharfer Laut von Reita rief ihn zur Ruhe und die Hand in Aois Nacken legte sich um seine Schulter und zog ihn näher an den Bassisten heran. Und plötzlich erinnerte sich Aoi, dass Reita schon während der Party gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Immerhin hatte er ihn davor bewahrt, sich in ein vermutlich äußerst verhängnisvolles pinkfarbenes Bowlekoma zu verabschieden.
 

»Ich weiß nicht, wie es passieren konnte…«, wiederholte er mit schwacher Stimme seine Worte, als würde ihm dadurch die Antwort klar werden. Doch sie kam nicht. Es gab nur eines, dessen er sich absolut sicher war. Und je länger er zuließ, dass seine Gedanken in diese Richtung wanderten, umso schneller wurde der angenehm betäubende Mantel aus Sand aus seinem Inneren gefegt und legte die tiefste der Wunden frei, die er sich gerissen hatte.
 

»Ich habe alles kaputt gemacht…«
 

Seine Worte waren kaum hörbar, so schmerzhaft war es, sie auszusprechen. Und diesmal dauerte es nur Sekunden, bis die erste Träne aus seinem Augenwinkel floss und in Reitas Shirt rollte.
 

»Aoi…, hey…, Aoi!« Reitas verzweifelte Stimme sagte ihm deutlich, dass der andere vollkommen mit der Situation überfordert war.
 

Aoi weinte normalerweise nicht. Er schnitt sich in den Finger und fluchte, stritt sich mit Uruha über ihre Gitarrenparts und schloss sich für eine halbe Stunde schmollend in der Toilette ein, wenn er sein Solo abgeben musste; er zuckte nicht einmal mit der Wimper, wenn der Held des Dramas starb, das er gerade im Fernsehen sah, und biss die Zähne zusammen, wenn irgendein Artikel ihre neuste CD verriss. Aoi weinte nicht. Zumindest nicht vor seinen Freunden. Doch jetzt schien alles so egal, dass es keinen Unterschied mehr machte.
 

»Aoi, sag doch was!«, flehte Reita beinahe und drückte den Gitarristen so fest, dass dessen Gesicht an seine Brust gepresst wurde. Über Aois Schulter hinweg suchte er nach Rukis Blick, denn wenn jemand wusste, was man in solch einer Situation zu tun hatte, dann war es der pragmatische, rationale Sänger, der sich von nichts aus der Ruhe bringen ließ. Doch auch Ruki stand wie vom Donner gerührt und bewegte sich nicht, ehe es plötzlich in ihm Klick zu machen schien und er nach seinem Telefon griff.
 

»Wir rufen Uruha an!«, verkündete er und scrollte mit deutlich zitternden Händen durch sein Adressbuch, ehe er zusammenfuhr, als Aoi mit entsetztem Gesichtsausdruck aufsprang.
 

»Nicht!«, rief er atemlos, ehe er zu Ruki hastete, ihm das Handy aus der Hand riss und es auf den Sessel warf, als hätte er sich daran verbrannt. Ruki starrte ihn wie ein verschrecktes Reh an, dann hob er beschwichtigend die Hände und trat einen Schritt zurück.
 

»Ok!«, sagte er nur leise und warf Reita einen kurzen Blick zu, in dem Aoi ein Gemisch aus Sorge, Schreck und purer Hilflosigkeit zu erkennen glaubte.
 

»Nicht Uruha«, wiederholte er atemlos, voller Angst, dass Ruki es erneut versuchen würde. Das würde er nicht überleben! »Und auch nicht Kai! Niemanden von ihnen! Bitte...«
 

»Ok…«, wiederholte Ruki nur, ehe er Aoi an der Schulter ergriff und zurück zur Couch leitete, wo er ihn sanft neben Reita auf die Sitzfläche drückte. Sein Tonfall machte deutlich klar, dass er Aois Wunsch ohne Widerworte Folge leisten würde, und als sich dessen rasender Herzschlag langsam wieder zu beruhigen begann, wurde ihm klar, dass er vielleicht die besten Freunde der Welt hatte.
 

»Ich glaube, Uruha steckt mit ihm unter einer Decke«, sagte er schließlich, sich erst nach ein paar Sekunden der verwirrten Blicke der anderen beiden bewusst werdend. »Mit Kai«, fügte er hinzu, und plötzlich brach etwas in ihm und die ganzen angestauten Sorgen der letzten Wochen sprudelten aus ihm heraus. »Ich glaube, sie verheimlichen mir irgendetwas! Sie stecken schon seit einer Weile miteinander unter einer Decke! Ich habe gehört, wie sie darüber geredet haben, dass sie mich anlügen! Kai hat mich überhaupt nicht mehr beachtet und ist mir ausgewichen, wo auch immer er konnte, und Uruha hat nur noch Augen für Kazuki und hat mich sogar aus seiner Wohnung geschmissen, als ich zu Besuch gekommen bin. Und dann ist er mit Kazuki auf der Party verschwunden und als sie zurückkamen, hatten sie andere Anzüge an – ich bin doch nicht blöd, ich weiß, was das bedeutet! Was auch immer da abläuft, Kai weiß es! Kai weiß alles! Aber ich konnte in seiner Wohnung keine Beweise finden, weil er sie zu gut versteckt hat, und anstatt mir die Wahrheit zu sagen, versucht er mich nur abzulenken – und dann ist mir einfach der Kragen geplatzt! – Ach ja, in Sex hatten wir auch schon seit Kazuki nicht mehr!«
 

Aoi verstummte und schluckte den trockenen Klos hinunter, der sich in seiner Kehle gebildet hatte. Seine Worte waren immer zynischer geworden, je länger er gesprochen hatte, und er konnte sich nur mühsam davon abhalten, mit dem Fuß gegen den Tisch zu treten. Er wollte etwas zerstören, wollte wütend aufschreien und wie in einem schlechten Drama Geschirr gegen die Wand schmeißen – eine Handlung, die ihm nie eingeleuchtet hatte, jetzt jedoch unsagbar verlockend schien. Der Zorn, der ihn mit einem Mal so unerwartet überrollte, überforderte ihn vollkommen, so dass er ein paar Sekunden brauchte, um sich wieder halbwegs unter Kontrolle zu bringen, nur um zu sehen, wie Rukis und Reitas Minen nur noch besorgter geworden waren.
 

Im Gegensatz zu Uruha, von dem Aoi manchmal glaubte, er würde am liebsten jedem Fahrgast in der U-Bahn auf die Nase binden, mit welchen sündigen Beschäftigungen er sich sein Wochenende mit seinen beiden Lovern versüßte, war es für Aoi tabu, mit jemandem über sein Privatleben zu sprechen. Doch jetzt, als mit den Worten ganze Sturzbäche von Emotionen von seinem Herzen brachen, fragte er sich, warum zum Teufel er all dies nicht schon vorher mit jemandem besprochen hatte! Er hatte sich so sehr in Verschwörungstheorien verrannt, dass es kein Wunder war, dass er irgendwann ausgetickt war! Herrgott, er war in Kais Apartment eingebrochen! Natürlich wollte man niemanden als Freund, der bei einem einbrach!
 

»Es gibt für all das garantiert eine logische Erklärung!«, meldete sich Ruki als Erster zu Wort, genau mit den Worten, die sich Aoi am liebsten auch an den Kopf geworfen hätte, und Reita nickte heftig.
 

»Er liebt dich, beide lieben dich!«, fügte er hinzu und machte eine dramatische Geste. »Ich habe Uruha noch nie so verknallt gesehen! Wie ein Schulmädchen! Du solltest mal hören, wie er von dir schwärmt und wie er jammert, wenn er dich mal einen Tag nicht sehen kann! Und nur dass Kai nicht ebenso mitteilungsfreudig ist, heißt nicht, dass er dich weniger liebt! Wenn wir Lives geben, starrt er dich entweder so hungrig an, als würde er gleich über dich herfallen wollen, oder schmachtet dich an wie in einem Kitschfilm! Das ist schon bald nicht mehr lustig und du bist der Einzige, der es nie mitkriegt!«
 

Reita fuchtelte theatralisch mit den Armen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und Ruki rollte mit den Augen, als würden vor seinem inneren Auge unzählige der Szenen vorbeihuschen, die der Bassist beschrieben hatte.
 

Ein kleines Lächeln schlich sich auf Aois Lippen und er konnte nicht verhindern, dass solche Schmeicheleien wie Balsam für seine Seele waren – doch die Freude hielt nur einen kurzen Augenblick. Sein Innerstes fühlte sich noch immer an wie ein aufgewühltes Meer, ließ ihn zittern, obwohl ihm gar nicht mehr kalt war, und machte es ihm schwer, klare Gedanken zu fassen. Wenn dies alles wahr war, warum verhielten sie sich dann so seltsam?
 

»Ich habe doch gehört, was ich gehört habe!«, protestierte er, die Unterhaltung im Kopf, die er vor ein paar Tagen belauscht hatte. »Habt ihr nichts bemerkt? Wisst ihr wirklich nichts? Gar nichts?«
 

Sein Blick war hoffnungsvoll, doch beide schüttelten die Köpfe. Reita starrte betreten auf den Boden, weitaus stärker emotional mitgenommen als Ruki, dessen Mimik verzogen war, als würde es in seinem Kopf angestrengt arbeiten.
 

»Ok, zumindest die Sache mit den Anzügen können wir möglicherweise schnell klären«, sagte er schließlich, warf Reita einen vielsagenden Blick zu und machte eine Kopfbewegung in Richtung der einen verschlossenen Tür. In Reitas Gesicht zuckte es leicht, dann nickte er jedoch, und Aoi runzelte die Stirn, als Ruki ohne ein weiteres Wort in dem Zimmer – anscheinend dem Schlafzimmer, wie man an dem großen Kleiderschrank erkennen konnte – verschwand.
 

Er schnappte nach Luft, als der Sänger nur wenige Momente später wiederkam – mit Begleitung.
 

»Was macht er denn hier?«, keuchte er erschrocken und starrte auf den jungen dunkelhaarigen Mann, der ihn mindestens ebenso erschrocken ansah und vergeblich versuchte, sich hinter Ruki zu verstecken. Reita erhob sich und ließ sich auf dem blauen Sessel nieder, ehe er auffordernd auf seine Oberschenkel klopfte.
 

»Komm her, Manabu«, sagte er und lächelte einladend. »Keine Angst, Aoi ist ok! Er starrt nur, weil er dich nicht erwartet hat, aber er weiß alles.«
 

Aoi fuhr zusammen und klappte den Kiefer hoch, ehe er trocken schluckte, als sich der Angesprochene ohne Widerworte auf Reitas Schoß sinken ließ. Er trug eine lockere Jogginghose und ein weißes Hemd, scheinbar in Eile übergezogen, denn die Nähte waren nach außen gekehrt; seine Füße waren barfuß und seine geduckte Körperhaltung verriet deutlich, dass er sich äußerst unwohl unter den Blicken fühlte, die auf ihn gerichtet waren.
 

Aoi brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder so weit zu fangen, dass er nicht einem seiner beiden Bandkollegen an den Hals springen wollte, dass sie ihn so erschreckt hatten, denn entgegen Reitas Worten wusste er ganz und gar nichts von dem, was ihm zu wissen unterstellt wurde – doch als er die roten Quetschungen am Hals und den Handgelenken des jungen Mannes bemerkte, beschloss er, dass er es auch lieber gar nicht wissen ›wollte‹.
 

»Wir haben ein kleines Problem und brauchen dich, um es zu lösen«, erklärte Reita dem jüngeren Gitarristen und strich ihm mit den Fingerspitzen über die geröteten Wangen, so dass Aoi mit einem leicht unbehaglichen Gefühl im Magen den Blick abwendete. »Uruha und Kazuki waren während der Party einige Zeit verschwunden und haben ihre Kleidung gewechselt – und wir würden gern wissen, warum.«
 

Die unverblümte Art, mit der er nicht einmal versuchte, zu verschleiern, was jeder, der dies hörte, automatisch annehmen musste, ließ Aoi unangenehm berührt zusammenfahren. Er versuchte den kleinen Stich zu ignorieren, der durch seine linke Brust zuckte, und biss die Zähne zusammen, doch er spürte selbst, wie viel Kraft es ihn kostete, nicht erneut wie auf der Straße gegen seine Emotionen zu verlieren. Aber er würde nicht vor einem Fremden zusammenbrechen, niemals!
 

Manabu sah überrascht auf und zuckte dann mit den Schultern.
 

»Kazuki meinte, sie hätten sich gestritten und es wäre etwas rau zugegangen, so dass die Kleidung zerknittert war«, antwortete er mit leiser Stimme, den Blick ausweichend zur Seite gerichtet, während Reita abwesend seinen Nacken streichelte, als hätte er ein Haustier und keinen ausgewachsenen jungen Mann auf seinem Schoß sitzen. »Sie haben ein Taxi genommen und sind sich umziehen gefahren. Ich vermute, sie haben sich geprügelt. Kazuki ist manchmal sehr aufbrausend. Aber er war gut gelaunt, also haben sie sich wohl wieder versöhnt. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mich anlügt. Er ist normalerweise recht schnell zu durchschauen.«
 

Er verstummte und sah Ruki scheu an, als würde er befürchten, dass dies nicht die Antwort gewesen war, die der andere von ihm erwartet hatte, doch Ruki nickte nur und tätschelte seinen Kopf.
 

»Damit wäre das geklärt!«, sagte er und blickte hoffnungsvoll zu Aoi, der sich nicht wirklich entscheiden konnte, was er mit dieser Antwort anfangen sollte.
 

Glaubte er Manabu? Ja.
 

Glaubte er, dass dieser tatsächlich beurteilen konnte, ob etwas und wenn ja, was genau, zwischen Uruha und der roten Pest gelaufen war? Nein. Er war ja nicht von gestern! Und auch wenn der andere im besten Glauben geantwortet hatte – und etwas an der Art seiner Verletzungen sagte Aoi, dass er es sich wohl drei Mal überlegen würde, Ruki und Reita zu belügen – hieß es prinzipiell nur eins: nämlich gar nichts.
 

Trotzdem nickte er, nicht wissend, ob er den Versuch, ihn zu beruhigen, würdigen wollte, oder einfach keine Lust hatte, noch länger über etwas zu diskutieren, was ihm inzwischen so klar war wie selten etwas. Doch eines störte ihn noch gewaltig!
 

Mit grimmigem Gesichtsausdruck zerrte er Ruki am Handgelenk zu sich heran, ehe er ihn mit schneidender Stimme, jedoch so leise, dass nur sie beide es hören konnten, anfuhr: »Hast du sie eigentlich noch alle?! Was soll das, dass ›er‹ hier ist?! Das ist meine Privatsache; denkst du, ich will, dass das morgen die gesamte PSC weiß!«
 

Ruki zog für einen kurzen Augenblick verärgert die Augenbrauen zusammen, als er sein Handgelenk losriss, doch dann atmete er durch und griff Aoi an beiden Schultern, wie um ihn festzuhalten, damit er sich wieder beruhigte.
 

»Was denkst du eigentlich von uns?«, fragte er und seine Stimme klang trotz der Worte nicht vorwurfsvoll. »Er hat nichts gehört. Glaub mir. Er war… sagen wir mal, nicht in der Lage, irgendetwas zu hören oder zu tun. Wir sind vorhin etwas hastig aufgebrochen.«
 

Er warf Aoi einen bedeutungsvollen Blick zu und ein roter Schatten legte sich auf dessen Wangen, ehe er sich verlegen räusperte und den Blick abwendete. Zu viele Informationen.
 

Das Klingeln eines Handys schreckte ihn auf und als er Reitas geweitete Augen sah, als dieser auf sein Display sah, wusste er, dass es nur eine Person sein konnte. Kai.
 

»Nimm nicht ab!«, hauchte er angsterfüllt und erschrak ein klein wenig, als er seine Stimme hörte. Er wollte nicht mit Kai sprechen; er wollte erst recht nicht, dass dieser erfuhr, wo er sich aufhielt. Am Ende würde er herfahren und ihn konfrontieren, und Aoi war sich sicher, dass er es aktuell vorziehen würde, aus dem Fenster in einen Glashaufen zu springen, als sich der nackten Panik zu stellen, die ihn schon beim bloßen Gedanken daran überfiel, Kai jetzt ins Gesicht sehen zu müssen.
 

Reitas Blick zuckte zwischen ihm und Ruki hin und her, und es war ihm deutlich anzusehen, dass er Aois Aufregung spürte und keinen blassen Schimmer hatte, wie er reagieren sollte.
 

»Ich kann ihn nicht einfach wegdrücken!«, sagte er mit hörbarer Verzweiflung in der Stimme. »Er muss wenigstens wissen, dass Aoi nicht irgendwo auf der Straße rumirrt oder vor ein Auto gelaufen ist, sonst dreht er durch!«
 

Aoi schluckte trocken, aber obwohl ihm plötzlich klar wurde, dass Kai tatsächlich die schlimmsten Dinge annehmen könnte, was mit ihm passiert war, nachdem er so aufgelöst aus seiner Wohnung geflüchtet war, sträubte sich jede Faser in ihm, sich der Situation zu stellen. Morgen, übermorgen, vielleicht nächste Woche, doch nicht jetzt! Bitte!
 

Seine Augen weiteten sich und Entsetzen flutete seinen gesamten Körper wie Eiswasser, als Reita den Anruf entgegennahm, und er wünschte sich einen Baseballschläger, um ihn dem anderen für seinen Verrat überzuziehen. Jetzt war er ausgeliefert!
 

»Kai, warte einen Moment«, meldete sich Reita und legte die Hand auf den Lautsprecher, ehe er leicht ruckelte, so dass Manabu sich von seinem Schoß erhob.
 

»Ich muss ihm wenigstens sagen, dass es dir gut geht! Ich verrate ihm nicht, wo du bist, versprochen!«, flüsterte er und sein Blick war so eindringlich und flehend, dass Aoi die Zähne aufeinanderbiss, ehe der Bassist in Richtung Schlafzimmer sprintete, so dass die anderen seine Worte nur gedämpft hören konnten.
 

»Kai, was-«, begann er, verstummte jedoch augenblicklich, als ihn der andere zu unterbrechen schien. »Kai- … Kannst du- … Ich-«
 

Aoi beobachtete die Szene mit einem Gefühl, als würden ihn tausend Nadeln stechen, während Ruki sich ebenfalls in das andere Zimmer aufmachte, um besser hören zu können, was am anderen Ende der Leitung gesagt wurde, so dass Aoi mit einem Mal mit Manabu allein war.
 

»Würdest du mich gefälligst ausreden lassen!«, hörte er Reita noch aufgebracht sagen, ehe dieser die Tür schloss.
 

Stille senkte sich über sie und Aoi rutschte unangenehm berührt auf der Couch hin und her, hoffend, dass das neue Sexspielzeug seiner beiden Bandkollegen ihn einfach nicht ansprechen würde. Doch seine Hoffnung wurde wie so vieles an diesem Abend nicht erhört.
 

»Ich weiß nicht wirklich, worum es geht«, begann der andere leise und fuhr mit der Hand über seine schmalen Schultern, den Blick auf den Fußboden gerichtet. Er schien ebenso die seltsame Stimmung zwischen ihnen zu bemerken. »Aber wenn es um Uruha und Kazuki geht, kann ich es mir halbwegs denken. Kazuki betet Uruha an, schon immer. Das merkt selbst ein Blinder. Aber dass er bei ihm eingezogen ist, hat uns alle überrascht. Nein, vielleicht nicht wirklich. Aber es ist nicht so, wie du denkst. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen!«
 

Aoi runzelte irritiert die Stirn, nicht wissend, worauf der andere hinauswollte.
 

»Und das soll heißen?«, fragte er leicht säuerlich, so dass Manabu zusammenzuckte, ehe er plötzlich den Kopf hob und ihm zum ersten Mal an diesem Abend mit festem Blick in die Augen sah.
 

»Das soll heißen, dass zwischen den beiden nichts läuft! Ich bin davon überzeugt, dass Kazuki ihn angegraben hat, vielleicht sogar zu ihm ins Bett oder unter die Dusche gekrochen ist. Er würde es tun, wenn er die Gelegenheit hätte! Vielleicht hat er sich sogar nackt auf den Tisch gelegt, was weiß ich! Aber sie hatten nichts miteinander. Sie hatten keinen Sex! Definitiv nicht! Uruha hat ihn abgewiesen!«
 

»Bist du Hellseher, oder was?« Aoi wusste nicht, ob er empört oder einfach nur verärgert sein sollte. Er spürte, wie sich Hitze in seinem Bauch zu sammeln begann, und nach alldem, was er an diesem Abend erlebt hatte, war er sich nicht sicher, ob er nicht in der nächsten Sekunde einen Kurzschluss haben und dem anderen ins Gesicht schlagen würde.
 

Manabus Gesicht zuckte leicht, doch der überzeugte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand nicht.
 

»Ich kenne Kazuki seit einiger Zeit«, begann er zu erklären. »Er ist nicht wirklich normal, er vertraut niemandem, er sieht in allem Verschwörungstheorien und er verrennt sich in Dinge, ohne sie vorher ordentlich zu durchdenken. Aber er ist genauso ein Feigling und unglaublich unsicher. Er ist so damit beschäftigt, sein Image aufrechtzuerhalten, dass er nicht einen einzigen Freund hat. Und weißt du, was er deshalb auch nicht hat? Sex. Wie auch, wenn sein Image darin besteht, so begehrenswert und sexy zu sein, dass er für jeden Normalsterblichen unerreichbar wirkt! Er liebt sein Image und gleichzeitig macht es ihn fertig. Er hatte noch nie Sex, mit keinem Mädchen und mit keinem Mann, und wenn er mit Uruha geschlafen hätte, würde man es ihm definitiv anmerken!«
 

Er setzte ab und sah Aoi prüfend an, um zu sehen, ob dieser verstanden hatte, was er ihm soeben erklärt hatte.
 

Aois Augenbrauen waren so stark zusammengezogen, dass seine Stirn zu schmerzen begann, und sein Gesicht zu einer Grimasse aus Unglauben und Misstrauen verzerrt.
 

»Woher willst du das so genau wissen?«, fragte er skeptisch. Die Informationen sickerten langsam durch ihn hindurch und hinterließen einen unangenehmen Beigeschmack, als sie auf einen Teil von ihm trafen, der ihnen wider aller Zweifel so gern glauben wollte.
 

»Er hat es mir erzählt«, antwortete Manabu mit einem Schulterzucken. »Er war so besoffen, dass er sich vermutlich nicht einmal mehr erinnert. Aber so etwas erfindet man nicht.«
 

Er lehnte sich zurück, als er den Ausdruck auf Aois Gesicht sah, und ein zaghaftes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
 

»Denk mal drüber nach, wenn du willst.«
 

»Du hast gesagt, er war gut gelaunt, als er umgezogen zurückkam«, warf Aoi ein, nicht im Geringsten bereit, dem anderen zu glauben. Die Angst, erneut blind zu vertrauen, war zu groß.
 

Manabu lachte auf und schüttelte den Kopf.
 

»Es ist ein Unterschied, gut gelaunt zu sein, oder mit seiner großen Liebe geschlafen zu haben!«, antwortete er und lachte erneut; diesmal klang es bitter. »Glaub mir, den Unterschied merkt man!«
 

Aoi biss die Zähne zusammen und senkte den Blick. Manabus Tonfall verriet ihm deutlich, dass hinter den letzten Worten mehr steckte, als der andere zugab, doch er hatte kein Bedürfnis, es zu hinterfragen. Es ging um ihn, um seinen Schmerz, um den Verrat an ihm – nur um ihn. Und er war vollkommen überfordert von dem, was ihm erzählt worden war.
 

Reitas aufgebrachte Stimme aus dem Schlafzimmer verriet ihm, dass dieser immer noch mit Kai telefonierte, und er hoffte inständig, dass der Bassist ihn nicht verraten hatte.
 

»Im Grunde ist Kazuki ein anständiger Kerl«, schreckte ihn Manabu auf, für den das Gespräch noch nicht beendet schien. »Er kümmert sich um uns wie um eine Familie, und auch wenn er uns nicht als Freunde wahrnimmt, sehen wir ihn als unseren Freund. Er wirkt vielleicht so, als wäre für ihn alles ein Spiel, aber er würde niemals einem anderen absichtlich weh tun.«
 

Aoi sah auf den Teppich und drehte den Saum seines Shirts zwischen seinen Fingern. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, ob er überhaupt etwas antworten sollte, aber zu seinem Glück öffnete sich in diesem Moment die Schlafzimmertür und Reita polterte heraus, das Telefon noch immer am Ohr und deutlich schlechter gelaunt als noch vor ein paar Minuten.
 

»Ich sage dir noch einmal, dass ich dir nicht verrate, wo er ist! Es geht ihm gut, das sollte dir genügen! – Nein, er ist nicht bei uns! – Das kannst du gern! – Ich bin auf gar niemandes Seite! Ruki und ich mischen uns da gar nicht erst ein! – Verdammt, wenn er mit dir reden wollen würde, dann würde er an sein Handy gehen! Gib ihm doch bitte ein bisschen Zeit und brüll mich nicht weiter an! Ich lege jetzt auf! Gute Nacht!«
 

Er drückte den Anruf weg und pfefferte das Handy auf den Sessel, ehe er einen frustrierten Laut von sich gab und sich schüttelte.
 

»Von wegen ›nicht einmischen‹, wir sind schon mitten drin!«, schimpfte er leise und seufzte dankbar, als Ruki seine Arme um ihn wickelte und ihm beruhigend über den Rücken streichelte.
 

Sogleich fühlte sich Aoi schuldig, dass er seine Freunde in das Ganze mit hineingezogen hatte. So hätte es nicht kommen sollen! Es war schon schlimm genug, dass er litt, er wollte nicht auch noch Unbeteiligte zwischen die Fronten bringen!
 

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich leise und seufzte tief, ehe er den Kopf in den Händen vergrub. Er wollte diesen Tag einfach nur komplett aus seinem Leben streichen.
 

»Hey… hey… Aoi!« Reitas Arme legten sich um seine Schultern und ein blonder Schopf vergrub sich in seiner Halsbeuge. »Du bist an gar nichts schuld!«
 

»Wir haben morgen keinen Terminplan«, warf Ruki ein und ließ sich neben Aoi nieder, um ihm auf die Schulter zu klopfen. »Lass uns die Telefone auf lautlos schalten, Pizza bestellen und den ganzen Tag lang Counterstrike zocken, bis du dir überlegt hast, was du machen willst! Okay?«
 

Aoi schloss einen Moment erschöpft die Augen, ehe er leicht nickte. Rukis pragmatische Art, Probleme zu lösen, war vielleicht genau das, was er gerade brauchte. Er seufzte tief auf und versuchte seinen Körper davon zu überzeugen, sich endlich zu entspannen, denn noch fünf Minuten länger in diesem unerträglichen Stresszustand zu existieren, würde ihn vermutlich an einem Herzinfarkt sterben lassen. Er stellte beide Füße auf den Boden auf, schloss die Augen und stellte sich vor, ein warmer Impuls würde langsam und beruhigend von seinen Schultern aus seinen Körper herunterfließen und alle Anspannung, alle Sorgen und auch den letzten Funken Panik einfach mitziehen und durch seine Fußsohlen in den Boden fließen lassen.
 

Es dauerte ein paar Momente, doch dann spürte er, wie sich seine Arme und Beine entkrampften, seine Atmung ruhiger wurde und sein Kopf nicht mehr ganz so furchtbar schmerzte wie zuvor.
 

»Danke«, sagte er, als er die Augen öffnete und ein Lächeln versuchte. Es misslang, doch es war besser als gar nichts. Wäre er jetzt allein, würde er vermutlich von einem Nervenzusammenbruch in den nächsten fallen, doch die Anwesenheit der anderen ließ nicht zu, dass er erneut die Kontrolle über sich verlor. Er wusste nicht, ob es tatsächlich deshalb war, weil sie ihn beruhigten, oder ob es nicht schlichtweg daran lag, dass er sich nicht noch einmal die Blöße geben wollte, die Verzweiflung, die noch immer tief im Inneren seines Brustkorbs wütete, vor ihren Augen über sich gewinnen zu lassen – aber was auch immer es war, es half. Und es würde ihn wenigstens halbwegs durch die Nacht bringen.
 

~*~
 

Es war etwas seltsam, als er eine Stunde später in einem von Reitas Gundam T-Shirt in Reitas und Rukis King Size Bett lag, einen schlafenden Bandkollegen an jeder Seite von sich. Er hatte protestiert und auf der Couch schlafen wollen, aber Ruki hatte beschlossen, dass das gar nicht in Frage käme. Reita hatte das Gesicht ins Kissen vergraben, als würde er sich ersticken wollen, eine Hand lose auf Aois Brustkorb drapiert, wie um sicherzustellen, dass dieser sich nicht heimlich davonschlich. Ruki hatte sich an seiner anderen Seite mit dem Endzipfel der Decke zu einem Kokon eingerollt – Manabu lag wie ein Schoßhund am Fußende.
 

Aoi fragte nicht. Er wollte es gar nicht wissen. Es war bizarr und sein Gehirn weder in der Lage noch gewillt, sich damit auseinanderzusetzen.
 

Es war fünf Uhr morgens, als ein Telefon klingelte. Aoi gab ein leises Brummen von sich und rührte sich keinen Millimeter, auch dann nicht, als die Erkenntnis in sein Hirn sickerte, worum es sich bei dem penetranten Geräusch handelte. Er fluchte innerlich, dass sie zwar ihre Handys ausgeschaltet aber nicht daran gedacht hatten, auch der Landleitung den Strom zu kappen.
 

Ruki neben ihm brummte genauso unwillig, während sich Reita lediglich die Decke über den Kopf zog. Scheinbar war Aoi nicht der Einzige, der sich so fühlte, als wären gerade mal zehn Minuten vergangen, seitdem sie zu Bett gegangen waren. Sein Körper war komplett lahmgelegt, seine Wahrnehmung vernebelt und sein Kopf vom vielen Weinen so schwer, dass er sich nicht wundern würde, wenn er durch den Lattenrost auf den Boden krachen würde.
 

»Was?«, meldete sich Rukis schließlich am Apparat. Er schien eingesehen zu haben, dass sich niemand anderes rühren und das Telefon, das zu seinem Pech auf dem Nachttisch an seiner Seite des Bettes stand, nicht von allein verstummen würde. Sein Tonfall machte sehr deutlich, dass, wer auch immer um diese gottverlassene Zeit anrief, sich darauf einstellen konnte, bei der nächsten Gelegenheit einen Tritt mit der Schuhspitze ins Allerheiligste zu bekommen.
 

Am anderen Ende der Leitung erklang eine Stimme und plötzlich saß Ruki senkrecht im Bett.
 

»Was ist passiert?!«, hauchte er mit Horror in der Stimme, so dass Aoi alarmiert ein Auge öffnete. »Ich verstehe… Ja, wir sind sofort da!«
 

Es war zu duster, um Rukis Gesichtsausdruck sehen zu können, doch seine rasselnde Atmung, als er langsam den Telefonhörer sinken ließ, war Indiz genug, dass er am ganzen Körper zitterte.
 

»Kai liegt im Krankenhaus…«
 

In diesem Augenblick glaubte Aoi, sein Herz würde stehen bleiben.
 

tbc.
 


 

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ES TUR MIR SO LEID, DASS ES SO LANGE GEDAUERT HAT!!! ;___; Das reale Leben hat mich vom Schreiben abgehalten.

Dann habe ich hochgeladen, aber Animexx fand den 1. April lustig und weigerte sich, meine Fic freizuschalten (sind wir 12, oder was?), also habe ich gelöscht und neu hochgeladen, aber dann ging mein Internet nicht… Aber anyways, hier ist es nun! Das nächste kommt schneller, versprochen!
 

Vergesst die 16 Kapitel, ich schichte um. Mir ist noch eine Sache eingefallen, die ich gut finde und einbauen will, aber das Ende an sich wird sich nicht ändern ^^

Und natürlich kommen noch Kapitel mit adult Inhalt! <3
 

Ich twittere übrigens fleißiger als vorher. RAPHAEL_ASDRAI, follow me! Und fragt mich ruhig Sachen, die ihr wissen wollt ^^

Kapitel 13
 

»Kai liegt im Krankenhaus…«
 

Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Bedeutung der Worte vollkommen in Aoi sinken konnte, dann aber brach helle Panik in ihm aus. Die schlimmsten Szenarien überschlugen sich in seinem Kopf, so dass er gar nicht wusste, wie seine Lippen die atemlosen Worte »Was ist passiert?« hervorbringen konnten.
 

Das grelle Licht der Nachttischlampe blendete seine Sicht, als Ruki aus dem Bett purzelte und hastig nach seinen Kleidungsstücken suchte. Reita war ebenso erschrocken in die Höhe gefahren, und starrte mit geweiteten Augen ins Nichts, während Manabu gerade erst aufzuwachen schien.
 

»Bei ihm hat’s gebrannt!«, brachte Ruki nur hervor, ehe er bei seiner Suche durch den Kleiderhaufen auf dem Boden auf Reitas Hose stieß und sie diesem schlichtweg an den Kopf warf, so dass der blonde Bassist zusammenzuckte und sich endlich in Bewegung setzte.
 

»Rauchvergiftung haben sie gesagt!«, fügte er noch hinzu, doch Aois Gehirn hatte sich schon bei den ersten Worten vor Schrecken eingefroren. Eine eisige Hand schloss sich mit erbarmungslosem Druck um sein Herz und legte alle Körperfunktionen innerhalb des Bruchteils einer Sekunde lahm. Und dann, so schnell, dass er überhaupt nicht auf den Umschwung reagieren konnte, wurde ihm heiß, unglaublich heiß.
 

Oh Gott, er hatte in Kais Schlafzimmer geraucht! Wo hatte er seine Zigarette ausgedrückt? Er konnte sich nicht mehr erinnern! Was wenn… War er etwa…

»Willst du hier noch länger rumsitzen und nichts tun?!«, schreckte ihn Rukis aufgebrachte Stimme aus seinen Gedanken, und ein T-Shirt flog gegen sein Gesicht.
 

Aoi hätte sich nicht gewundert, wenn ihn das Stück Stoff umgeworfen hätte, so schwach fühlte er sich, doch er blieb sitzen und starrte Ruki voller Schrecken an. Die Bewegungen der anderen drei zogen wie in Zeitraffer an ihm vorbei, er fühlte die Aufruhr, wusste, dass er reagieren sollte, doch er war so paralysiert, dass er sich keinen Millimeter rühren konnte. Eine lähmende Starre zog sich wie das Gift einer Schlange durch seine Blutbahn, ehe es plötzlich in seinem Kopf schaltete und er verstand, was Ruki, der inzwischen schon vollständig bekleidet war, von ihm wollte.
 

Hastig zog er sich das Shirt über den Kopf und stolperte dann ungelenk aus dem Bett, wo er einen Moment hilflos dastand, als ihm nicht einfallen wollte, was als nächstes zu tun war. Er spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten verkrampften, die unangenehme Panik zu unterdrücken versuchend, die ihm ins Gesicht lachte und seine Gedanken so sehr erlahmen ließ, dass er sich nicht einmal mehr fähig fühlte, die winzigsten Entscheidungen zu fällen, während sie ihm gleichzeitig brutal vor Augen hielt, dass gerade jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt dafür war.
 

Ruki rannte auf der Suche nach seinen Autoschlüsseln wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung, stieß gegen Möbelstücke und beschimpfte diese wild – etwas, was er nur tat, wenn er vollkommen aus dem Konzept gebracht war – und in Aois Bauch formte sich ein heißer Knoten, der jeden Augenblick, in dem er weiterhin nur in Shorts und T-Shirt in der Zimmermitte stand und nicht wusste, was er dagegen tun sollte, größer wurde, bis er mit einem Mal Stoff zwischen seinen Fingern fühlte.
 

»Hose!«, sagte Reita nur und drückte ihm das Kleidungsstück in die Hand, ehe er sich abwendete und nach seinen Socken suchte.
 

Aoi wusste nicht, ob der andere überhaupt bemerke, wie sehr er ihm in diesem Moment half, doch genau dies war der Anstoß, den er gebraucht hatte, um sich endlich in Bewegung zu setzen. Wie auf Autopilot zog er sich zu Ende an, schlüpfte in seine Schuhe und griff nach seiner Tasche, während Ruki auch schon an der Eingangstür brüllte, sie sollten sich gefälligst beeilen.
 

Der Weg zum Krankenhaus waren die schlimmsten Minuten in Aois Leben. Daran bestand kein Zweifel. Als er schließlich im Auto saß, Manabu, der in den Minuten seit dem Anruf vor Schreck nicht ein Wort gesagt hatte, neben sich auf dem Rücksitz, schlug die Panik erneut mit aller Wucht zu. Sie brauchten trotz der frühen Uhrzeit fast eine Stunde – Zeit genug, dass sich die Szene, wie er auf Kais Bett gesessen und geraucht hatte, in seinem Kopf immer wieder abspielen konnte. Einmal hatte er die Zigarette ausgedrückt und in den Mülleimer geworfen, ein anderes Mal hatte er den Stummel auf dem Nachttisch abgelegt, ein weiteres Mal (und dies war das schlimmste) hatte er sie zwischen die Kissen fallen lassen. Er konnte sich nicht erinnern.
 

Er registrierte kaum, wie sie ausstiegen und Reita ihn am Arm gepackt hinter sich durch weiße Flure herzog. Er fühlte sich nicht in der Lage, auch nur eine vernünftige Handlung zu tätigen, und so war es Ruki, der sie schließlich bis zu einem Arzt durchlotste, der ihnen Auskunft geben konnte. Aoi hätte den leicht ergrauten Herren im weißen Kittel am liebsten umgerannt, nur damit er ihn endlich zu Kai lassen würde, doch Reitas eiserner Griff an seinem Arm ließ ihm keine Chance, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.
 

Wie von weit entfernt hörte er die Worte »Rauchvergiftung«, »leichtes Schädeltrauma« und »nicht mehr in kritischem Zustand«, während sein Blick die Gänge absuchte, als würde er so erkennen können, in welchem Zimmer Kai lag.
 

»Da seid ihr ja endlich!«, hörte er mit einem Mal eine vertraute Frauenstimme, und als er sich umdrehte, kam ihm ihre Managerin entgegengeeilt. Sie sah aus, als hätte sie ebenso nicht mehr als fünf Minuten verschwendet, um vom Bett zum Auto zu kommen, denn ihre Kleidung war zerknittert, die Haare zu einem wirren Dutt zusammengeknotet und ihr Gesicht kam ihm ohne Make-Up ganz fremd vor.
 

»Wir haben Kai in ein Einzelzimmer legen lassen«, ließ sie ihnen nicht einmal die Zeit, sie zu begrüßen. »Er hat einen Schlag am Kopf abbekommen und musste genäht werden; seine Rauchvergiftung ist nur leicht, weil er schnell genug gefunden wurde, und jetzt schläft er! Es wird ihm bald wieder gut gehen!«
 

Ein Stein in der Größe eines Felsbrockens fiel Aoi bei ihren Worten vom Herzen und neben sich hörte er die anderen erleichtert ausatmen. Trotzdem blieben die Schuldgefühle, so dass sich der Weg zu Kais Zimmer beinahe wie der Marsch zu seiner eigenen Hinrichtung anfühlte.
 

Neben sich hörte er Ruki noch immer mit dem Arzt reden, während die Managerin von der anderen Seite jede Aussage kommentierte. Ihre schrille Stimme ging ihm bis ins Mark und er hätte sie am liebsten angebrüllt, den Mund zu halten, doch plötzlich horchte er auf.
 

»Was?«, fragte er sie und blieb so abrupt stehen, dass Reita beinahe in ihn hineinlief.
 

»Ich habe gesagt, wie kann es überhaupt sein, dass es in so einem modernen Gebäude im Keller einen Kurzschluss gibt und ein Feuer ausbricht, ohne dass die Feuerwehr sofort alarmiert wird und…«
 

Aoi hörte ihr nicht mehr zu. Einen kurzen Augenblick fühlte er sich, als würden seine Knie nachgeben, und sein Körper wurde von einem Zittern überrollt, während er die ersten heißen Tränen in seinen Augen brennen spürte.
 

Im Keller. Nicht in Kais Wohnung. Er trug nicht die Schuld daran.
 

Der Impuls, der mit einem Mal durch seinen Körper rollte, war so gewaltig, dass er nicht einmal beschreiben konnte, ›was genau‹ er eigentlich fühlte – Erleichterung, Freude, Unglauben, Euphorie.
 

Reita klopfte ihm auf die Schulter und erkundigte sich mit besorgtem Blick, ob alles in Ordnung sei, und obwohl diese kleine Information eigentlich nichts daran änderte, dass einfach nichts in Ordnung war, wenn Kai knapp dem Tod entronnen war, nickte Aoi.
 

Sie erreichten die Tür genau zum richtigen Zeitpunkt, dass niemand merkte, wie ihm eine kleine Träne über die Wange rollte. Als sie das Zimmer betraten, saßen Uruha und Kazuki, die von Uruhas Wohnung den kürzeren Weg hatten, schon an Kais Bett. Uruha brauchte keine zwei Sekunden, um aufzuspringen und Aoi um den Hals zu fallen, wo er sein Gesicht mit den feuchten Wangen und den geröteten Augen, die noch kleiner wirkten als sonst, in Aois Halsbeuge presste.
 

Uruha war meist der Erste von ihnen, der gegen die Tränen verlor. Und es kümmerte ihn normalerweise nicht, dass andere Leute sahen, wie er weinte – weder auf der Bühne noch im privaten Leben. Aoi wünschte sich, es würde ihm ebenso wenig ausmachen, denn dann hätte er sich jetzt schluchzend in seine Arme geworfen und sich all den Kummer von der Seele geheult. Doch er wusste, er würde es nicht tun. Er hatte in den letzten 24 Stunden genug durchgemacht. Wenn er jetzt zulassen würde, die Kontrolle über sich zu verlieren, würde es nicht nur bei einem einfachen Nervenzusammenbruch bleiben.
 

»Es wird alles wieder gut«, flüsterte er in Uruhas Ohr und streichelte ihm beruhigend über den Rücken, während sein Blick über seine Schulter zu dem Krankenbett schweifte, das zwischen komplizierten blinkenden Geräten an der Wand stand.
 

Für einen kleinen Augenblick stockte ihm der Atem und sein Brustkorb zog sich unangenehm zusammen, als er Kai darin liegen sah. Ein weißer Verband war um seinen Kopf gewickelt und eine einfache Atemmaske über seinen Mund und seine Nase gestülpt, kein künstlicher Beatmungsschlauch, wie Aoi für einen kurzen Moment befürchtet hatte. Der Körper des Drummers wirkte schmal und verletzlich in dem großen Bett, eingemummelt in eine dicke weiße Decke, aus der nur sein Kopf und sein linker Arm herausguckten, an dessen Armbeuge der Schlauch eines Tropfes hing. Weiter vorn an seinem Handgelenk und seinen Fingern waren weitere Instrumente befestigt, von denen Aoi keine Ahnung hatten, wozu sie dienen sollten.
 

Uruha schniefte gegen seine Schulter und seine Arme schlossen sich enger um Aois Rücken.
 

»Wieso haben wir ihn nicht gezwungen, die scheiß Batterien des Rauchmelders auszuwechseln?«, flüsterte er und Aoi schluckte, als er sich an den Moment erinnerte, den der Gitarrist meinte. Anstatt eine Antwort zu geben, streichelte er durch die zerzausten hellbraunen Nackenhaare. Sein Herz klopfte schneller, als er sich schließlich von Uruha löste und auf das Bett zutrat, behutsam, als würde er irgendeine Katastrophe auslösen, wenn seine Schritte zu viel Lärm machten.
 

»Hey«, sagte er leise zu Kai, obwohl er wusste, dass dieser schlief und ihn nicht hören würde. Vorsichtig streckte er die Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen über einen Teil der Wange, der nicht von der Atemmaske bedeckt wurde. »Du weißt gar nicht, was du uns für einen Schrecken eingejagt hast! Mach das bitte nie wieder…«
 

Erneut sammelten sich Tränen in seinen Augen und nur eine Krankenschwester, die in diesem Moment durch die Tür kam, um nach kurzem freundlichen Nicken einige Werte von den Geräten abzulesen und in ein Krankenblatt zu übertragen, hielt ihn davon ab, all seine Prinzipien über Bord zu werfen und wie Uruha die Tränen einfach fließen zu lassen.
 

»Sie müssen sich keine Sorgen machen«, sagte die junge Frau, als sie seine geröteten Augen sah. »Er schläft ruhig wegen der Medikamente, die wir ihm gegeben haben. Die Wunde an seiner Stirn ist vermutlich von einem Sturz, als er ohnmächtig wurde, aber außer einer kleinen Gehirnerschütterung ist ihm nichts passiert. Er hat Glück gehabt und war nicht zu lange dem Rauch ausgesetzt. Wenn er aufwacht, wird ihm ein wenig schwindlig und übel sein, und möglicherweise fällt ihm das Sprechen in den ersten Tagen schwer. Aber wir sind zuversichtlich, dass er sich wieder vollständig erholen wird.«
 

Sie lächelte beruhigend und Aoi nickte dankbar, ehe er Kais Hand griff.

»Sind sie ein Familienmitglied?«, fragte die junge Frau, als sie die Geste bemerkte, und Aoi nickte, ohne darüber nachzudenken. Es war nicht einmal gelogen. Kai war mehr Familie für ihn als die Menschen, deren Blut er teilte.
 

Auch Uruha, Ruki und Reita waren seine Familie. Es hatte beinahe eine gewisse Komik, wie sie sich in den nächsten Minuten alle in die Arme nahmen, auf die Schultern klopften und leise Worte der Anteilnahme und Beruhigung austauschten, als würde dies irgendetwas an der Situation ändern. Selbst Kazukis Umarmung nahm Aoi dankend entgegen. Hatte er dem jungen Gitarristen noch vor ein paar Stunden mit Freude die Pest an den Hals gewünscht, war alles, was in diesem Moment zählte, dass er ebenso bestürzt und mitgenommen war wie alle anderen.
 

Dann senkte sich Stille über sie. Das leise Piepen des Geräts, das Kais Herzfrequenz maß, war für ein paar Minuten alles, was zu hören war, bevor die Managerin sich schließlich erhob und sich über die müden Augen wischte.
 

»Ich werde dafür sorgen, dass nichts an die Presse gelangt und Kai sich hier so lange ungestört erholen kann, wie die Ärzte es sagen«, sagte sie und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Sie hatte ihr Adressbuch schon herausgezogen, als sie die Tür noch nicht einmal geschlossen hatte, und Aoi seufzte, erleichtert darüber, dass wenigstens eine Person ihre Professionalität nicht durch den Schock verloren hatte.
 

Dann wendete sich sein Blick wieder zu Kai. Und auf einmal kamen all die Fragen in ihm hoch, die er bis jetzt unterdrückt hatte. All die beißenden Ungewissheiten, all die Vorwürfe, all die Schuldgefühle. Was hätte er verhindern können, wenn er geblieben wäre? Was wäre passiert, wenn er sich nicht mit Kai gestritten hätte? Kai wäre niemals so unaufmerksam gewesen, hätte sich viel schneller retten können! Wie hatte er zulassen können, dass Kai die Batterien im Rauchmelder vergaß? Wie hatte er zulassen können, dass der Mensch, den er so sehr liebte, beinahe starb?
 

Und auf einmal war es egal, was zuvor passiert war. Ihr Streit und alles, was dazu geführt hatte, wirkte so banal, dass es beinahe lächerlich war, sich auch nur eine Sekunde damit zu beschäftigen. Es zählte nur eins: Kai lebte noch. Und Aoi würde nie wieder zulassen, dass er ihn verlieren konnte!
 

»Kann ich einen Augenblick mit ihm allein sein?«, flüsterte er in Rukis Ohr, der neben ihm saß, und dieser runzelte fragend die Stirn, ehe er sich zu erinnern schien, dass sich Aoi vor nicht einmal einem halben Tag von Kai getrennt hatte. Er nickte und erhob sich.
 

»Wir brauchen einen Kaffee«, stellte er fest und blickte die anderen erwartungsvoll an. Reita, Kazuki und Manabu erhoben sich ohne Widerworte, nur Uruha schüttelte demonstrativ den Kopf.
 

»Du glaubst doch nicht, dass ich mich hier auch nur einen Millimeter wegbewege!«, antwortete er empört und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein bockiges Kind, ehe er erschrocken zurückwich, als Rukis Hand sich auf seine Schulter legte und diese so fest packte, dass Uruha schmerzhaft das Gesicht verzog.
 

»Ich bin gerade eine Stunde Auto gefahren, um meinen besten Freund im Krankenhaus liegen zu sehen«, sagte er mit einem wütenden Funkeln im Blick, so dass der Gitarrist trocken schluckte. »Ich bin müde und abgespannt, und du willst dich nicht mit mir anlegen! Ich habe ebenso wenig vor wie du, mich heute aus diesem Krankenhaus fortzubewegen, aber wenn wir nicht in ein paar Stunden selbst an einem Tropf hängen wollen, brauchen wir jetzt einen Kaffee und etwas zu essen!«
 

Uruha öffnete den Mund, um zu protestieren, doch dann schloss er ihn wieder und nickte widerwillig. Sich mit Ruki anzulegen, wenn er müde und wütend war, und auch noch recht hatte, war niemals eine gute Idee. Aoi lächelte dem Sänger dankbar zu, als alle nacheinander den Raum verließen, ehe ihm plötzlich etwas einfiel und er Reita zurückhielt.
 

»Erzählt Uruha bitte nichts davon, dass ich mich von Kai getrennt hatte«, sagte er leise und der Bassist runzelte fragend die Stirn, als er seinen ernsten Gesichtsausdruck sah. »Und auch niemand anderem. Jetzt sind erst mal andere Sachen wichtig. Und ich muss über einiges nachdenken.«
 

Er warf Reita einen bittenden Blick zu und dieser lächelte verständnisvoll, ehe er ihm über die Schulter streichelte und nickte.
 

»Ich sorge dafür, dass Ruki und Manabu den Mund halten«, versprach er, ehe er sich Richtung Tür wendete, und Aoi drückte voller Dankbarkeit seine Hand.
 

Es war seltsam, sich mit Kai allein im Zimmer zu befinden. All die Geschehnisse seit dem Moments, in dem sie das letzte Mal allein gewesen waren, huschten vor Aois Augen vorbei, und er fühlte sich wie der schlechteste Mensch auf diesem Planeten.
 

Er wusste nicht, was er tun sollte, wenn Kai aufwachen würde. Sollte er so tun, als wäre nie etwas passiert? Oh ja, er wollte es, wollte alle Logik über Bord werfen und den anderen einfach nur in den Arm nehmen, doch die winzige Stimme in seinem Inneren, die ihn fragte, wie lange genau es dauern würde, bis sie wieder an dem Punkt angelangt sein würden, an dem er sich getrennt hatte, ließ sich nicht ignorieren.
 

Unschlüssig trat Aoi an das Bett heran und streichelte durch Kais Haare, fühlte die weichen braunen Strähnen unter seinen Fingerspitzen und lächelte wehmütig, ehe er sich einen Stuhl so nah heranzog, dass er seinen Kopf auf dem Krankenbett ablegen konnte. Kais Gesicht bewegte sich leicht und Aois Herz begann schneller zu klopfen, als er bemerkte, dass der andere langsam aufwachte.
 

Es dauerte noch etwa eine Minute, bis die schmalen Lider so weit aufgegangen waren, dass ihn dunkle Augen anblinzelten.
 

»Hey«, sagte er mit einem Lächeln und griff nach Kais Hand, um sie zu drücken. Es irritierte ihn leicht, dass der andere ihn nicht sofort zu erkennen schien, doch dann fiel ihm ein, dass es vermutlich die Medikamente waren, die Kais Reaktionsfähigkeit verzögerten. Schließlich lächelte Kai doch und Aoi atmete erleichtert auf, als der andere seine Hand zurückdrückte. Erst jetzt merkte er, wie verkrampft er war, und versuchte seine Schultern ein wenig zu lockern.
 

»Aoi«, flüsterte Kai leise, ehe er stockte. Mit einem Mal weiteten sich seine Augen und sein Körper gefror, als die Erinnerungen langsam zurück in seinen Kopf sickerten. Seine Finger krallten sich in Aois Hand und er schnappte nach Luft, um etwas zu sagen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst und nur Sekunden später ließ ihn ein Hustenanfall sich zusammenzukrümmen.
 

Aoi fuhr erschrocken in die Höhe, als sich der Leader die Atemmaske vom Gesicht zerrte und zur Seite rollte, um besser atmen zu können, drauf und dran, nach der nächsten Krankenschwester zu brüllen, doch Kais Hand hielt ihn so panisch fest, dass er in der Bewegung stockte. Tränen der Anstrengung rollen aus Kais Augen, doch sein Husten wurde langsam weniger. Es dauerte noch ein paar Minuten, bis er sich wieder vollständig beruhigt hatte, doch zumindest war Aoi nicht mehr in Versuchung, den Notrufknopf zu drücken.
 

»Ok, nicht sprechen!«, wies Aoi den anderen an und drehte ihn so, dass sie sich wieder ansehen konnten. Kai zauderte einen Moment, dann nickte er jedoch folgsam. Aoi ertappte sich dabei, wie er es beinahe ein wenig süß fand, wie Kai ihm gehorchte, und als er den warmen Schauer fühlte, der seinen Rücken hinab rieselte, als Kais Daumen über seinen Handrücken strich, musste er sich auf die Unterlippe beißen, um sich nichts anmerken zu lassen.
 

»Du musst dich ausruhen«, sagte er und setzte sich wieder, ehe er ihre Finger verschränkte und mit der anderen Hand die Tränen von Kais Wangen strich. Seine Fingerspitzen kosten ein paar Wimpernschläge länger über die weichen Wangen als nötig gewesen wäre, und Kais Augen drifteten genüsslich zu, bis sie nur noch einen ganz kleinen Spalt geöffnet waren, gerade so viel, dass er sich vergewissern konnte, dass Aoi nicht plötzlich verschwinden würde.
 

»Ich gehe nirgendwo hin«, antwortete dieser, als er die unausgesprochene Frage erkannte, und Kais Mundwinkel bogen sich zu einem weichen Lächeln nach oben.
 

Aoi fühlte, wie sein Herz so deutlich gegen seine Brust klopfte, dass er fast befürchtete, man würde ihm ansehen, was Kais Lächeln in ihm auslöste. Wenn er auch nur daran dachte, es jemals zu verlieren, wurde ihm ganz kalt. Und ehe er es sich versah, beantwortete sich seine Frage von vor ein paar Minuten von selbst. Er hatte einen Entschluss gefasst.
 

»Ich habe drei Fragen dich«, sagte er leise. Kais Augen flatterten ein Stück weit auf und er sah Aoi verwirrt und auch ein klein wenig verängstigt an, doch dieser drückte seine Hand lediglich ein wenig fester, wie um ihm zu versichern, dass er nichts Böses im Schilde führte.
 

»Du brauchst nichts zu sagen, einfach nur nicken oder mit dem Kopf schütteln«, wies er ihn weiter an, den Ausdruck in Kais Augen genau im Blick. Erneut klopfte sein Herz schneller und er merkte, wie er leicht zu schwitzen begann, doch diesmal hatte es andere Gründe. Die nächsten Sekunden waren so voller Gefahren, dass er sie am liebsten für immer vor sich hergeschoben hätte, aber auch gleichermaßen so bedeutend, dass er sie kaum erwarten konnte.
 

Der beunruhigte Ausdruck in Kais Gesicht verschwand nicht, doch es dauerte noch mal ein paar Wimpernschläge, bis Aoi tatsächlich den Mut aufbrachte, seine erste Frage zu stellen.
 

»Liebst du mich?«
 

Fast augenblicklich nickte Kai und Aoi spürte, wie der erste Stein von seinem Herzen fiel, als er den klaren Blick des anderen sah, in dem so viel Aufrichtigkeit lag, dass er keinen Zweifel daran ließ, dass seine Antwort von ganzen Herzen kam. Doch sie reichte nicht aus. Wäre es so einfach gewesen, wäre es nie so weit gekommen, das war Aoi klar.
 

»Willst du dich von mir trennen?«
 

Diesmal schüttelte Kai hastig den Kopf, noch bevor Aoi seine Frage vollständig ausgesprochen hatte. Die Finger des Drummers verkrampften sich so fest um die seinen, dass es weh tat, und die Panik in den schwarzen Augen, die ihn so flehend anblickten, dass es ihm den Brustkorb zusammenzog, war so echt und so brutal, dass sie Aoi die Tränen in die Augen trieb.
 

Es kostete ihn seine ganze Kraft, die nächsten Worte auszusprechen, die Worte, die so folgenschwer waren, dass sie alles entscheiden könnten. Und er war sich sicher, wenn er Kai die Antwort nicht glauben könnte, wäre es ihm egal, dass sie sich liebten.
 

»Betrügst du mich?«
 

Kais Augen zuckten verwirrt, als bräuchte er ein paar Sekunden, um überhaupt den Inhalt der Frage zu verstehen. Dann schüttelte er den Kopf, zuerst genauso aufgewühlt wie bei seiner letzten Frage, dann wurde er ruhiger, während sich gleichzeitig ein beinahe verzweifelter Ausdruck auf seinem Gesicht ausbreitete. Aoi schluckte, als er sah, wie Tränen aus den Augenwinkeln des anderen über die gerötete Haut flossen und im Bezug des Kopfkissens versanken, und im selben Moment fühlte er, wie auch aus seinen Augen die ersten heißen Perlen fielen.
 

›Niemals‹, formten Kais Lippen tonlos und sein Gesicht zuckte, als würden ihn die Emotionen überrollen. Sein Griff um Aois Hand war inzwischen so fest, als würde er seine Finger brechen wollen, doch Aoi hätte es nicht weniger stören können.
 

Dieses eine Wort war alles, was er gebraucht hatte. Was auch immer für ein dunkles Geheimnis über ihnen schwebte, was auch immer Uruha und Kai vor ihm verbargen, solange Kai ihn in diesem Moment nicht anlog, konnte es warten.
 

»Dann können wir alle anderen Sachen später klären«, antwortete er, die letzten Worte so erstickt, dass er sie kaum noch hörte, doch Kai schien zu verstehen. Ein verzerrtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und er nickte dankbar. Aoi atmete rasselnd ein, als er das Lächeln erwiderte, und als er die Arme um Kai schloss, das Gesicht in dessen Halsbeuge vergrub, um seine Tränen zu verstecken, fühlte er mit einer irrationalen und doch übermächtigen Sicherheit, dass er seine Entscheidung nicht bereuen würde.
 

Weiche Lippen pressten sich auf seinen Hals, sein Kinn, seine Wangen, jeden Hautflecken, den sie erwischen konnten, und auf jedem Millimeter hinterließen sie ein funkelndes Blitzgewitter, das Aois Körper vom Kopf bis zur Fußsohle durchzog.
 

»Ich liebe dich«, flüsterte er gegen Kais Nacken und fühlte an der Bewegung der Lippen an seiner Haut, wie dieser die Worte erwiderte.
 

Aoi hätte noch ewig so verharren können, die Arme um seinen Freund geschlossen, die leisen Atemzüge an seinem Ohr und die Wärme seiner Haut unter seinen Fingerspitzen spürend, doch mit einem Mal schreckte ihn das Geräusch der Tür auf. Hastig fuhr er zurück und wischte sich ertappt die Tränen von den Wangen, als er Kazuki sah, der sie mit überraschtem Ausdruck anblickte. Der Mund des Rothaarigen klappte auf und wieder zu, ehe er entschuldigend die Hände hob und zurückwich, sehr offensichtlich peinlich berührt davon, dass er so einen intimen Moment gestört hatte.
 

»Kai!«, rief er aus, als er sah, dass der Drummer die Augen geöffnet hatte. Er lächelte hastig, ehe seine Augen den Raum absuchten, als ihm plötzlich wieder einzufallen schien, weswegen er zurückgekommen war.
 

»Entschuldigt!«, presste er hastig hervor und griff nach seinem Handy, das auf einem der Stühle an der Wand lag, ehe er sich mehrfach kurz verbeugte und beinahe aus dem Zimmer flüchtete.
 

Aoi sah ihm nach, froh, dass er so schnell wieder verschwunden war. In einem anderen Moment wäre es ihm vielleicht peinlich gewesen, in so aufgelöstem Zustand ertappt worden zu sein, gerade jetzt konnte es ihm jedoch nicht gleichgültiger sein.
 

»Machst du mir ein bisschen Platz?«, fragte er Kai mit einem Lächeln und schlüpfte neben ihm unter die Decke, als der andere gehorsam zur Seite rutschte.
 

Vorsichtig, um ihm nicht weh zu tun und die Schläuche nicht zu behindern, kuschelte sich Aoi an ihn, und als er seinen Kopf an Kais Schulter bettete, erlaubte er sich zum ersten Mal an diesem Tag, alle Anspannung von sich abfallen zu lassen. Das Bedürfnis, mit dem wunderbaren wiedergewonnen Gefühl der Nähe einzuschlafen, war beinahe überwältigend, doch er wusste, dass er ihm nicht nachgeben durfte. Sie hatten sicher nicht ewig Zeit, bis die anderen zurückkommen oder eine Krankenschwester sie stören würde, doch bis dahin wollte er jede Sekunde mit all seinen Sinnen auskosten und das Gefühl so tief in sich einschließen, dass er es nie wieder vergessen würde.
 

Kais Hand kraulte durch seine Nackenhaare und Aoi merkte, wie die Bewegung mit der Zeit langsamer wurde, als der Drummer wieder in einen leichten Schlaf abdriftete, bis sie irgendwann gänzlich stoppten. Aoi bewegte sich nicht, doch er öffnete die Augen und ließ seinen Blick über das friedliche Gesicht seines Freundes wandern, ehe er abdriftete und durch den Raum schweifte, in dem sie noch vor kurzem wie eine Familie besorgt auf das Krankenbett gestarrt hatten.
 

Und plötzlich fiel ihm etwas auf, das er zuvor überhaupt nicht beachtet hatte. Warum war Kazuki eigentlich hier?
 

Aoi stutzte und eine kleine Falte bildete sich auf seiner Stirn, als ihm klar wurde, wie seltsam dieser Sachverhalt war.
 

Kazuki wohnte nicht länger bei Uruha. Also konnte er sich nicht bei ihm aufgehalten haben, als diesen die Nachricht von Kais Unfall erreicht hatte.
 

Oder…
 

~*~
 

»Hast du dein Handy gefunden?«, fragte Manabu, als er sich neben Kazuki am Tisch der Krankenhaus-Cafeteria niederließ und ihm einen Becher Kaffee vor die Nase stellte. Der rothaarige Gitarrist nickte abwesend und löste den Pappdeckel von einem Getränk, ehe er ein Päckchen Zucker hineinschüttete, dann noch eins, dann noch eins.
 

Manabu hob eine Augenbraue und stupste den anderen an. Uruha, Reita und Ruki saßen am Nebentisch und unterhielten sich, während ihre Managerin in der Vorhalle, wo man telefonieren durfte, mit ihrem Handy in der einen und dem Terminkalender in der anderen Hand auf und ab lief und seit einer knappen halben Stunde auf verschiedene Leute am anderen Ende der Leitung einredete.
 

»Hey, alles in Ordnung, Kazuki? Machst du dir große Sorgen um Kai?«
 

Kazuki schüttelte den Kopf, dann sah er auf und nickte, ehe er wieder den Kopf schüttelte.
 

»Darum geht’s nicht«, antwortete er und rührte mit dem kleinen Plastikstäbchen in seinem Kaffeebecher, den braunen Strudel beobachtend. »Irgendwas stimmt hier nicht.«
 

»Mit Kai?«
 

»Kai… Aoi… Unter anderem.« Kazuki nahm einen Schluck von seinem Getränk, die Falten auf seiner Stirn ein deutliches Zeichen dafür, dass es in seinem Kopf angestrengt arbeitete. Sein Blick wanderte zu Uruha, dessen Rücken ihm zugekehrt war, und er fixierte ihn für ein paar Sekunden, bevor er den Kaffeebecher mit einem hörbaren Laut absetzte und nach seinem Portemonnaie griff, um durch die vielen bunten Chipkarten zu blättern, bis er eine goldene herauszog.
 

»Was machst du da?«, fragte Manabu, verwirrt, was er von dem seltsamen Verhalten seines Bandkollegens halten sollte, und sichtlich frustriert, dass dieser ihm nicht verraten wollte, was in seinem Kopf vor sich ging.
 

»Sehen, ob ich meine Kreditkarte dabei habe«, war alles, was er als Antwort bekam, ehe sich Kazuki erhob, jedoch mitten in der Bewegung stoppte und sich wieder hinsetzte. Und zum ersten Mal in ihrem Gespräch schienen seine Augen vollkommen wach, als er Manabu direkt anblickte und sich ein bisschen näher zu ihm lehnte, als würde er befürchten, dass jemand anderes ihre Unterhaltung belauschen könnte.
 

»Ist dir aufgefallen, dass in Kais Zimmer eine Überwachungskamera ist?«, fragte er und verengte die Augen zu einem prüfenden Blick.
 

Manabu schüttelte den Kopf.
 

»Nein, keine Ahnung. Ich habe nicht drauf geachtet«, antwortete er, ehe er die Stirn in Falten zog. »Warum sind in Krankenzimmern Überwachungskameras? Ist das normal?«
 

Kazukis Mundwinkel zuckten leicht und er drehte die goldene Kreditkarte abwesend zwischen seinen Fingern hin und her.
 

»Keine Ahnung«, antwortete er und suchte mit dem Blick die Umgebung ab. Es dauerte nur wenige Momente, bis er die Überwachungskameras in den Ecken der Räume kurz unter der Decke entdeckte; weiße, drehbare Metallgebilde, sicher so lang wie ein Unterarm, an denen ein kleines rotes Lämpchen verriet, dass sie in Betrieb waren. »So wie die sah sie nicht aus. Viel kleiner, keine rote Lampe, wie ein Knopf an der Gardinenstange – nur mit Linse. Als ob jemand Kai heimlich überwacht.«
 

»Warum sollte jemand Kai heimlich überwachen? Ist das nicht illegal? Vielleicht ist das Sicherheit für VIPs«, schlug Manabu schulterzuckend als Erklärung vor und schlürfte einen Schluck von seinem Kaffee, ehe er sich die müden Augen rieb und die Halswirbel knacken ließ. »Wann Kai wohl wieder nach Hause kommen kann«, wechselte er gedankenversunken das Thema und warf den drei Gazette-Mitgliedern am Nebentisch einen besorgten Blick zu. »Ob er überhaupt wieder in seine Wohnung kann? Wer weiß, ob sie durch Rauch und Löschwasser überhaupt noch bewohnbar ist. Was, wenn er…- Kazuki?«
 

Der rothaarige Gitarrist war aufgestanden und betrachtete ein letztes Mal die Kreditkarte in seinen Händen, ehe er sie in seine Hosentasche steckte.
 

»Wo willst du hin?«, fragte Manabu, als sich sein Bandkollege suchend umblickte und in seiner Bewegung stockte, als sein Blick den Flurplan mit Wegbeschreibungen ausfindig gemacht hatte.
 

»Ich gehe den Menschen suchen, der die Kameras bedient«, antwortete er nur, ehe er sich ohne weitere Erklärung in Bewegung setzte. Manabu rollte mit den Augen, zu müde, um sich mit dem ungewöhnlichen Verhalten des anderen zu beschäftigen, doch nach nur einem Schritt stoppte Kazuki und drehte sich wieder zu ihm um, der Zwiespalt, mit dem er innerlich kämpfte, deutlich in seiner verzerrten Mimik sichtbar.
 

»Was würdest du machen, wenn du herausfindest, dass jemand fremdgeht?«
 

Tbc.
 

++++++++++++++++++
 

VERSÖHNUNG!

Oh Gott, ich entschuldige mich, dass es so kitschig geworden ist, aber ich konnte nicht anders. Es war so furchtbar, sie getrennt zu haben. Ich leide bei sowas unglaublich mit.

Aber das Thema ist damit natürlich noch nicht vom Tisch. Nur vertagt.

Und auch Aoi schöpft Verdacht. Auf diesen kleinen Twist am Ende konnte ich einfach nicht verzichten!
 

Und auch Kazuki ahnt etwas, oh je… Was er wohl vorhat? Und was genau er auf die Schliche kommt? (Ich weiß es, aber ich verrate es noch nicht! XD)
 

Und zu der Sache mit dem Hausbrand. Ich konnte doch den Rauchmelder aus dem ersten Kapitel nicht ohne Folgen lassen! Das hätte mich ewig verfolgt XD

Hat es jemand geahnt? Oder was dachtet ihr, weshalb Kai im Krankenhaus ist? Das würde mich brennend interessieren!
 

Diese Fanfic wird episch lang… So war das eigentlich nicht geplant.

Es kommen noch mehrere adult-Kapitel.
 

Und eine kleine Musikempfehlung von mir: Wenn ihr den Komponisten und Pianisten Ludovico Einaudi noch nicht kennt, youtubt ihn mal oder hört euch sein Album Diveniere an. Ich schreibe ganz oft dazu. Die Musik ist wundervoll emotional, inspirierend und gefühlvoll.

Kapitel 14
 

In einem Krankenbett herumzuliegen stand definitiv nicht auf der Liste von Kais Lieblingsbeschäftigungen. Als er sich als Kind den Arm gebrochen hatte, war er nach drei Tagen schon wieder durchs Haus gehüpft und hatte den Spielplatz unsicher gemacht; als er einmal bei einem Live von der Bühne gefallen und sich beim Versuch, sich vor einem Genickbruch zu retten, den Oberschenkel gezerrt hatte, hatte er zwei Tage überhaupt nichts gesagt, bis Ruki es schließlich bemerkt und ihn mit einem Drumstick zum Arzt gejagt hatte. Das Schlimmste waren die zwei Wochen gewesen, in denen ihn eine Magen-Darm-Grippe ans Bett gefesselt hatte, so dass sich selbst der kurze Weg zur Kloschüssel wie die Befreiung aus einer Zwangsjacke angefühlt hatte.
 

Es war nicht so, dass Kai seine Gesundheit egal war – er mochte es schlichtweg nicht, pflegebedürftig und vollkommen nutzlos herumzuliegen, während alle anderen um ihn herumwuselten und ihre Zeit für ihn opferten. Es ließ ihn sich schuldig, gelangweilt und nicht zuletzt hilflos fühlen, und das gehörte sich einfach nicht für einen Leader.
 

Diesmal war es nicht anders. Doch als hätten seine Bandkollegen geahnt, dass er früher oder später versuchen würde, zu türmen, hatten sie sich bei der ersten Gelegenheit, in der er halbwegs zurechnungsfähig war, mit ernsten Gesichtern an seinem Bett versammelt und ihm eine zehnminütige Standpauke gehalten, dass er der Band und vor allem sich selbst mehr schadete als nützte, wenn er sich nicht an die Regeln hielte, und dass sie für diesen Fall ihr Einverständnis gegeben hätten, ihn am Bett zu fixieren.
 

›Nur für den Fall der Fälle, dass du planst, den Ärzten eine schnellere Heilung vorzuschwindeln, um hier rauszukommen‹, hatte Reita mit warnendem Blick gemeint, und Kai konnte schlecht leugnen, dass er ihn ertappt hatte.
 

Auch die Krankenschwestern schienen trotz seines umwerfenden Lächelns, das ihm von Rabatten im Café bis hin zu einer kostenlosen Reinigungsfrau schon einiges ergaunert hatte, nicht auf seiner Seite zu sein und wendeten lediglich errötend den Blick ab, während sie nichtsdestotrotz seinen Morphium-Nachschub auffüllten. Und irgendwann gab Kai es auf. Denn Menschen, die im Besitz von Spritzen waren, mit denen sie früher oder später in seinem Körper herumstechen würden, wollte er lieber in Vollbegriff derer geistiger Fähigkeiten um sich haben.
 

Reitas und Rukis Gesichter tauchten öfter in seinem Gesichtsfeld auf, Uruha schwirrte ebenso oft um ihn herum und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, seine Besucher zu koordinieren, die zu Kais Erleichterung abgesehen von seinen Bandkollegen und deren Mitbewohnern nur aus einigen wenigen Personen des Labels bestanden, die über seinen Zustand informiert worden waren.
 

Aoi war fast die ganze Zeit bei ihm und hielt seine Hand, so dass Kai die vertraute Wärme seiner Finger schon fast körperlich vermisste, wenn der Gitarrist kurz den Raum verließ oder – noch schlimmer – abends nach Hause ging. Dann war er wieder allein mit den blinkenden Maschinen und der Nachtschwester, einer resoluten älteren Dame, die sich für Visual Kei genauso viel interessierte wie für das Brutverhalten von Kanarienvögeln und ihm keine Extrawünsche durchgehen ließ.
 

Die meiste Zeit fühlte er sich so matt, dass er gar nicht in der Lage war, einen vernünftigen Plan zu entwickeln, sich dem tristen Krankenzimmer zu entziehen. Sein Kopf war wie in Watte gepackt, abgeschirmt von allen Geräuschen der Umwelt, die nur gedämpft zu ihm hindurch drangen, und in den wenigen klaren Momenten, die er hatte, war ihm so übel, dass er den Tropf, der an seinem Arm hing, beinahe anflehte, ihn schnell wieder ins Reich der medikamenteninduzierten Träume zu katapultieren.
 

Wenn er dann aufwachte, fühlte er sich wie erschlagen und sein Geist brauchte einige Minuten, um sich dem normalen Tempo der Realität anzupassen. Und als schließlich die Übelkeit soweit abgeklungen war, dass er sich wieder halbwegs menschlich fühlte, kam der Schmerz. Es war nicht der Schmerz, den er in seiner Kehle verspürte und der ihn seit Tagen davon abhielt, etwas anderes als ein zartes Flüstern von sich zu geben, sondern ein unangenehmes Ziehen und Pochen in seinem Kopf.
 

Platzwunde und leichtes Schädeltrauma, vermutlich durch einen Sturz, als er durch den Rauch ohnmächtig geworden war – das war die offizielle Erklärung, die ihm der Arzt gegeben hatte. Kai ersparte sich den Kommentar, dass es eher daran lag, dass er sich nach seiner Trennung halb ins Koma gesoffen und an einem Türrahmen ausgeknockt hatte.
 

Erneut wurde er mit Schmerzmitteln zugepumpt und irgendwann fand er das Gefühl, wie er den Zahnrädern in seinem Gehirn dabei zusehen konnte, wie sie sich immer schwerfälliger drehten bis sie ganz erlahmten, sogar recht angenehm. Denn da war noch etwas ganz anderes, das ihm keine Ruhe ließ. Er wusste, dass er gegen die Tür gerannt war, er wusste, dass er sich vorher mit einer Flasche Tequilla die Kante gegeben hatte; er wusste, dass er die zwei Stunden davor vergeblich durch die Straßen gerannt war, um Aoi zu finden, und er wusste, dass es deshalb gewesen war, weil Aoi sich von ihm getrennt hatte.
 

Aber er konnte sich nicht erinnern, wieso.
 

Und noch mehr war in der watteweichen Wolke verschwunden, in der sich sein Kopf befand. Teils kleine Dinge, teils komplette Tage. Anfangs hatte es Panik in ihm ausgelöst, dann Verunsicherung, schließlich ein quälendes Gefühl von ständiger unterschwelliger Unruhe. Nicht zu wissen, was zwischen ihm und Aoi vorgefallen war, war das Schlimmste von allem. Denn so etwas sprach man nicht einfach an. Vor allem dann nicht, wenn es bereits wieder gelöst schien und Aoi mit zärtlichen Fingern durch seine Haare kraulte anstatt ihn mit Missachtung zu strafen.
 

Kai hatte auf Aois Fragen nicht gelogen. Er liebte ihn. Er wollte sich nicht von ihm trennen. Und er betrog ihn nicht. Zumindest traute er es sich nicht zu.
 

Vor allem in den Momenten, in denen sie komplett allein waren, belastete es ihn. Uruha, der anfänglich beinahe ebenso oft in seiner Nähe gewesen war, war von Ruki aus dem Krankenzimmer verbannt und mit dem Auftrag belegt worden, in Kais Wohnung nach dem Rechten zu sehen, nachdem er auch nach Tagen noch wie ein aufgescheuchtes Huhn von einem Mitglied des Krankenhauspersonals zum nächsten gelaufen war und diese mit Fragen zu Kais Zustand beinahe verrückt gemacht hatte.
 

Nach zwei weiteren Tagen sinnlosem Rumliegen und Grübeln, in denen er sich eigentlich schon wieder gesund fühlte, hatte Kai den Höhepunkt der Frustration erreicht. Doch ab da schien es tatsächlich langsam besser zu werden. Die ersten Erinnerungen kamen zurück; er wusste wieder, welche Leute er nach der Party nach Hause gefahren hatte, dass er vergessen hatte, die halbe Platte Sushi aus seinem Kofferraum in den Kühlschrank zu räumen und welche Straßen er auf der Suche nach Aoi abgelaufen war. Langsam aber sicher fügten sich die Puzzlestücke in seinem Kopf wieder zusammen, so dass es ihm nicht mehr ganz so schwer fiel, sich damit zu beruhigen, dass es lediglich eine Frage der Zeit sein würde, bis sein Kopf wieder normal funktionsfähig war. Bis dahin galt es lediglich, das Thema so gut wie möglich zu umschiffen – keine große Kunst, wenn man einen Tropf am Arm, einen dekorativen Verband um den Kopf und eine rauchgereizte Kehle hatte.
 

Und so kam es, dass Kai zum ersten Mal in seinem Leben anderen Menschen vorspielte, kränker zu sein als er eigentlich war.
 

~*~
 

Es war etwa eine Woche nach seinem Unfall als Kai wie schon so oft aus seinem unruhigen Schlaf aufschreckte – doch diesmal war etwas anders. Er brauchte einen Moment, bis er erkannte, dass die Stimmen auf dem Gang, die ihn geweckt hatten, zu Uruha und Aoi gehörten. Und beide waren sichtlich aufgebracht.
 

»Er hat mir einfach leid getan!«, hörte Kai Uruha sagen, und sein bissiger Tonfall ließ deutlich erkennen, dass er sich in eine Ecke gedrängt fühlte.
 

»Und deshalb erfahre ich erst jetzt davon? Wenn du nichts zu verbergen hättest, hättest du es mir einfach sagen können!« Diesmal war es Aoi. Die Unterhaltung schien also schon eine Weile zu gehen und Kai ärgerte sich, dass er nicht schon früher aufgewacht war, denn er hatte keine Ahnung, um wen es überhaupt ging.
 

»Es tut mir leid, wenn ich solche Kleinigkeiten vergesse, wenn mein Freund ins Krankenhaus eingeliefert wird!«
 

»Und das ist jetzt wie viele Tage her?«
 

Einen Moment war es ruhig und Kai spitzte die Ohren, um festzustellen, ob sie eventuell einfach leiser sprachen. Vorsichtig erhob er sich aus seinem Bett und griff den Tropf, um ihn hinter sich herzuziehen, ehe er auf Zehenspitzen zur Tür schlich. Er hatte schon die letzten Tage kleinere Wege zurückgelegt und es war nicht mehr wirklich anstrengend.
 

»Wir hatten schon Glück genug, dass er mich nicht verpfiffen hat«, sagte Uruha schließlich, diesmal ein wenig ruhiger. »Denk mal drüber nach, was er anrichten könnte, wenn wir ihn gegen uns aufbringen. Da ist es sicherer, ich behalte ihn im Blick und warte, bis er von selbst keine Lust mehr hat.«
 

Erneut wurde es still, dann erklangen Schritte und Kai schrak zusammen, als sich die Tür zu seinem Zimmer unerwartet öffnete. Aoi sah ihn einen Moment genauso erschrocken an wie Kai ihn, ehe sich eine Mischung aus Sorge und Empörung auf seinem Gesicht ausbreitete.
 

»Bist du verrückt?!«, begann er zu schimpfen und packte Kai am Oberarm, um ihn zurück zu seinem Bett zu schieben. »Du weißt ganz genau, dass du nicht aufstehen sollst!«
 

Kai hob eine Augenbraue, die sehr deutlich zeigte, dass sie beide wussten, dass ein angeschlagener Kopf kein Hindernis war, seinen Bewegungsapparat zu bedienen, doch Aoi streifte seinen Einwand mit einem knappen »Fang gar nicht erst an zu argumentieren« ab, ehe er ihn zurück unter seine Decke packte. Er schüttelte das Kissen auf und schob es unter Kais Rücken, ehe er wie schon so oft in den letzten Tagen zu ihm unter die Bettdecke kroch und den Kopf mit einem tiefen Stoßseufzer in den Nacken fallen ließ.
 

Kai drehte leicht den Kopf, um ihn zu beobachten, denn er wusste, er brauchte nichts sagen. Aoi würde schon von selbst antworten.
 

»Kazuki ist wieder bei Uruha eingezogen«, sagte der Gitarrist tatsächlich nach ein paar Momenten und selbst wenn Kai den Streit nicht belauscht hätte und sein Kopf völlig außer Kraft gesetzt wäre, hätte ihm spätestens der frustrierte Tonfall des anderen verraten, das Aoi wütend war. Wütend und enttäuscht. Er selbst runzelte die Stirn und spielte in Gedanken den letzten Abend durch, an dem er Uruha vor seinem Unfall gesehen hatte, doch abgesehen davon, dass noch immer an einigen Stellen weiße Flecken auf seiner Erinnerungslandkarte waren, wollte ihm nichts einfallen, das diese Entwicklung erklären könnte.
 

»Keine Ahnung wieso«, beantwortete Aoi seine unausgesprochene Frage. Der Gitarrist hatte es in den letzten Tagen perfektioniert, zu erraten, was Kai ihm sagen wollte. »Er sagt, er täte ihm leid, weil er niemanden hätte, zu dem er gehen könnte – als ob ich ihm das abkaufen würde; und zudem hat das Kind genug Geld für ein Hotel! Was auch immer…«
 

Aoi seufzte schwer und ließ seinen Kopf von Kai auf dessen Schulter schieben, wo schlanke Finger in seinen Haaren zu kraulen begannen.
 

»Ich hab gesehen, du hast eine neue Krankenschwester bekommen«, sagte er nach einer Weile.
 

Kai stockte irritiert in seiner Bewegung, ehe er sie fortsetzte und stumm nickte. Wenn Aoi das Thema wechseln wollte, dann würde er sich nicht dagegen wehren. Irgendetwas löste bei dem Gedanken an Uruha und Kazuki ein unangenehmes Ziehen in seinem Bauch aus, doch erneut klaffte an dieser Stelle in seinem Gehirn eine Lücke, so dass das Gefühl zu vage war, um daraus schlau zu werden. So lachte er nur tonlos und verdrehte verzückt die Augen, als er sich das Bild seiner neuen Krankenschwester ins Gedächtnis rief, die gar nicht so unglaublich hübsch war, doch Aois empörtes Schnauben und der eifersüchtige Blick, den er ihm zuwarf, waren Entlohnung genug.
 

»Hey, kein Anbandeln mit dem Personal, nur weil es sexy Uniformen trägt!«, wies Aoi den Drummer zurecht und stieß ihn spaßend mit der Schulter an, so dass Kai begann, an ihrem Spiel Gefallen zu finden und breit grinste, ehe er mit den Händen ein Herz formte und in Richtung der mit Milchglas verkleideten Tür warf, hinter der die Schatten der Krankenschwestern auf und ab liefen.
 

»Ich muss mir wohl diesmal was einfallen lassen, damit ich dich wieder nach Hause kriege. Wer hätte das gedacht«, fuhr Aoi fort, der sich nicht im Geringsten an ihren inzwischen schon gewohnt einseitigen Unterhaltungen störte, und an dem kleinen Schmunzeln auf seinen Lippen, das er erfolglos zu überspielen versuchte, war deutlich erkennbar, dass seine schlechte Laune langsam aber sicher zu verschwinden begann.
 

Kai legte theatralisch die Stirn in Falten und verzog das Gesicht, als würde er angestrengt darüber sinnieren, mit welchen Mitteln Aoi ihn wohl am ehesten von diesem ungeliebten Ort weglocken könnte, ehe er die Lippen schürzte und mit den Augenbrauen wippte. Aoi kniff skeptisch die Augen zusammen und folgte seinem Blick Richtung Tür, hinter der der Schatten des Häubchens einer Krankenschwester zu sehen war, und als Kai eine kurze Kopfbewegung zurück zu Aoi machte und an seinem T-Shirt zupfte, das Grinsen so breit wie schon lange nicht mehr, klappte diesem für einen kurzen Augenblick die Kinnlade runter, ehe er zu lachen begann.
 

»Hentai!«, sagte er nur vorwurfsvoll und zwinkerte verschmitzt, ehe er Kai einen Kuss auf die Lippen drückte und sich aus dem Bett erhob. Der erwartungsvolle Blick des Drummers folgte ihm, und er lachte erneut, als er ihn sah.
 

»Ich hole dir lediglich Pudding! Komm nicht auf falsche Gedanken!«
 

Und damit war er aus der Tür und Kai lehnte sich mit einem Schmunzeln zurück in sein Kissen, nicht im geringsten beleidigt über den schnellen Aufbruch. Er hatte Aoi aufgeheitert, alles andere war unwichtig.
 

Abwesend ließ er seinen Blick über die vereinzelten Makel auf der weiß getünchten Decke wandern, wo die Farbe zu kleinen Tropfen erhärtet war, ehe er erneut auf die Tür sah, durch die Aoi verschwunden war. Für einen kleinen Augenblick fragte er sich, ob er vielleicht träumte oder halluzinierte, ob die Verletzung an seinem Kopf so stark war, dass er sich lediglich einbildete, Aoi hätte ihm verziehen und alles wäre wieder so wie vorher. Es war beinahe zu perfekt, um wahr zu sein, und in jeder Sekunde, die es andauerte, ließ es ihn an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Und doch musste etwas vorgefallen sein, etwas in einem der weißen Flecken in seinem Kopf. Der bloße Gedanken daran, was es sein könnte, zog seinen Brustkorb zusammen und ließ ihn frösteln, so dass er die Decke bis zu seiner Nasenspitze zog.
 

Aus dem Augenwinkel sah er eine Schwester hereinkommen und etwas in den Schlauch an seinem Arm spritzen, und er wusste, dass es nun nur noch wenige Momente dauern würde, bis die Zahnräder in seinem Kopf, die vergeblich ratterten und die Lücken zu füllen versuchten, sich langsamer zu drehen beginnen würden, bis sie schließlich ganz stoppten. Und vielleicht war es gerade besser so.
 

~*~
 

Es war mitten in der Nacht, als sich die Tür zu Kais Zimmer öffnete. Der Raum war in ein tiefes Zwielicht getaucht. Nur durch die zugezogenen Vorhänge schimmerte entfernt das Licht der Straßenbeleuchtung herein und abgesehen von den winzigen bunten Leuchtanzeigen an den medizinischen Geräten waren alle Lichtquellen im Zimmer schon seit Stunden erloschen, so dass Kai ein leichtes Brummen von sich gab, als der helle Lichtstrahl der Flurlampen auf sein Gesicht fiel und ihn aus seinem flachen Schlaf aufschreckte. Doch dann hatte sich die Tür auch schon wieder geschlossen.
 

Müde öffnete er ein Auge und schloss es sogleich wieder, als er das Häubchen der Krankenschwester zu erkennen glaubte. Nachtkontrolle. Als ob es nicht schon schlimm genug war, dass er tagsüber kaum Privatsphäre hatte! Wenn er hier noch länger eingesperrt bleiben musste, würde er vermutlich den Verstand verlieren, mit einem Beatmungsgerät bewaffnet Amok laufen und sich dann-
 

Sein Gedanke stoppte abrupt, als die Bettdecke von ihm gezogen wurde. Erschrocken fuhr er in die Höhe und riss die Augen auf, doch er konnte im Halbdunkel nichts erkennen, und ehe er sich auch nur halb aufrichten konnte, hatten ihn zwei Hände an den Schultern gepackt und wieder zurück aufs Kissen gedrückt. Kai schnappte nach Luft, als ihn die andere Person ohne die geringste Mühe mit einer Hand in Schach hielt, während die andere Hand die Bettdecke komplett von ihm zog, und sein Herz schlug für einen Augenblick panisch schneller, als ihm klar wurde, dass dies auf keinen Fall seine normale Nachtschwester war!
 

Für einen kurzen Schreckensmoment zogen die wildesten Fantasien vor seinem inneren Auge vorbei – von Stalker-Fangirls und Krankenhausmonstern bis hin zu verrückten Axtmördern – bis ihn ein gedämpftes Lachen erstarren ließ.
 

»Aoi?«, krächzte er, vollkommen vergessend, dass er eigentlich nicht reden durfte, und schnappte nach Luft, als die andere Person nichts erwiderte, lediglich den Druck der Hand verstärkte, um seine Versuche, sich aufzurichten, zu verhindern. Weiche Finger wanderten den Stoff seines Pyjamas hinauf, bis sie die warme Haut kurz unter seinem Hals erreicht hatten und dort verharrten.
 

Kais Augen weiteten sich ungläubig, als sich ihm das hübsche Gesicht des Gitarristen so weit näherte, dass er ihn im Zwielicht erkennen konnte, und das diabolische Grinsen, das auf den geschwungenen Lippen lag, ließ ihm ganz anders werden. Eine heiße Welle schwappte durch seinen Körper und ließ ihn erschaudern, und als sich die Fingernägel der Hand auf seinem Brustkorb leicht krümmten und in seine Haut gruben, raste eine Gänsehaut über seinen gesamten Leib.
 

Und dann sah er, was Aoi anhatte.
 

»Oh Gott«, formten seine Lippen tonlos und er hatte alle Mühe, seine Gesichtsmuskeln soweit zu kontrollieren, dass er seine Kinnlade wieder hochklappen konnte. Hatte er gedacht, allein der verruchte Gesichtsausdruck des anderen würde reichen, um ihm ordentlich einzuheizen, nahm er dies auf der Stelle zurück.
 

Das… Es… Er konnte es noch nicht einmal in Worte fassen. Sein Gehirn fühlte sich an, als wäre er erneut alkoholisiert gegen einen Türrahmen gerannt und für einen kurzen Augenblick fragte er sich ernsthaft, ob ihm jemand Halluzinogene in den Tropf gemixt hatte. Das passierte gerade nicht wirklich!
 

»Aoi?«, flüsterte er erneut und streckte vorsichtig die Hand aus, um über den Stoff des weißen Kittelkleids zu fahren und sich davon zu überzeugen, dass er nicht tatsächlich gerade halluzinierte und in Wirklichkeit seine behäbige Nachtschwester vor ihm stand. Fast erwartete er, eine schallende Ohrfeige zu bekommen und aus seinem bizarren Traum zu erwachen, doch alles, was er fühlte, war der weiche Stoff der Krankenschwesteruniform, der sich über Aois wohldefinierten Brustkorb spannte.
 

Oh Gott, es war real!
 

»Schwester Aoi für Sie, Herr Patient«, antwortete der Gitarrist und seine Stimme war so dunkel und verrucht, dass Kai von einer Hitzewelle in die nächste geworfen wurde. Seine Augen saugten sich an der Gestalt des anderen fest, fuhren über das weiße Kleid, unter dem die schlanken straffen Schenkel hervorblitzten, und er fühlte, wie sich in seiner Lendengegend etwas schneller zu regen begann, als ihm lieb war.
 

Es bestand kein Zweifel, dass dies kein Kostüm aus einem Online-Shop war, sondern echt. Es war perfekt. Perfekt zu knapp und perfekt zu kurz. Perfekt.
 

Der Drummer hatte keine Ahnung, was an ihrem Gespräch von vor ein paar Stunden Aoi zu dieser verrückten Aktion bewegt hatte, und sein Kopf brauchte einen Moment, um zu verarbeiten, dass sich der Gitarrist, der ihm normalerweise schon einen Tritt gegens Schienbein verpasste, wenn sich seine Hand auch nur ganz unschuldig unterm Tisch auf seinen Oberschenkel verirrte, gerade dazu hinreißen ließ, in einem öffentlichen Krankenhaus eine der größten Fetisch-Fantasien jedes Mannes auszuleben.
 

Herrgott, beschweren würde er sich sicher nicht! Und nur Wimpernschläge später war die Frage wie weggefegt, als Kai erneut das Kleidungsstück auffiel, das er als erstes bemerkt hatte und das mit Abstand das Verruchteste des gesamten perfekten Outfits war – das Häubchen. Es saß keck auf Aois Kopf, an jeder Seite mit einer Spange feststeckt, so dass es Aois Haare ein wenig zurückschob. Das schwarze Pony, das sonst wild in Aois Stirn fiel, war ordentlich gescheitelt und an der einer Seite festgesteckt, und Kai schluckte, als er sah, dass die Augen des anderen schwarz umrandet und seine vollen Lippen mit einem schimmernden Gloss geschminkt waren.
 

Langsam hatten sich seine Augen an die Düsternis gewöhnt und jedes neue Detail, das er entdeckte – der geöffnete oberste Knopf am Halsausschnitt; die gebundene Schwesternschürze, die Aois schmaler Taille einen beinahe femininen Touch gab; der feine Reißverschluss an der Seite, mit der man das Kleid öffnen konnte; und nicht zuletzt die kleinen Erhebungen der Brustwarzen, die sich durch den zu engen Stoff drückten – ließ sein Blut so heiß kochen, dass er sich innerhalb von Sekunden wie in einer Sauna fühlte.
 

Und als er schließlich auch noch bemerkte, dass Aois Beine unter dem für ihn viel zu kurzen Röckchen in einer durchsichtigen Strumpfhose und weißen High Heels steckten, glaubte er, den platzenden Äderchen in seinem Gehirn, die ihn vermutlich irgendwann in den nächsten Sekunden umbringen würden, beinahe zuhören zu können. Und es würde ein schöner Tod werden.
 

Ein verschämter Ausdruck schlich sich auf Aois Gesicht, und er senkte die Augen, als er Kais hungrigem Blick nicht mehr standhalten konnte. Für einen kurzen Moment war deutlich zu sehen, wie schwer es ihm fiel, in diesem Rollenspiel die nötige Selbstsicherheit zu bewahren, doch dann straffte er die Schultern und setzte ein charmantes Lächeln auf, das Kai das Blut in die Wangen trieb.
 

»Wie geht es Ihnen heute, Herr Patient?«, fragte Aoi und seine rauchige Stimme ließ sich Kai wie in einem Porno fühlen. Er wusste nicht genau, ob er antworten sollte (oder wie er seinen Sprechapparat bediente), doch Aoi nahm ihm die Entscheidung ab.
 

»Ich bin die Vertretung für Ihre Nachtschwester«, fuhr er mit sanfter Stimme fort und ließ seine Fingerspitzen über Kais Brustkorb streifen, der sich ein klein wenig schneller hob und senkte als noch vor ein paar Minuten. »Sie musste schnell nach Hause, um ihrer Tochter eine CD mit einer persönlichen Widmung ihrer Lieblingsband zu bringen, und ich werde sie die nächsten zwei Stunden vertreten.«
 

Kai schluckte und sein Blick huschte zu der Milchglastür. Die Nachtschwester war ihm vom Krankenhaus auf Wusch der PS Company speziell zugeteilt worden, während es allen anderen Schwestern strikt untersagt war, sein Zimmer zu betreten, nachdem in der ersten Nacht eine von ihnen dabei erwischt worden war, wie sie ein Foto von ihm hatte machen wollen.
 

»Ich bin ein wenig beunruhigt über Ihren Gesundheitszustand«, sprach Aoi weiter und seine schlanken Finger fuhren über seinen Hals hinab zu seinem Ausschnitt und spielten mit dem offenen Knopf. »Ich habe einige bedenkliche Ergebnisse in ihrem Krankenblatt gelesen. Aber keine Angst«, ein anstößiges Lächeln schlich sich auf seinen Mund und für einen kurzen Moment kratzten seine Zähne über seine vollen, glänzenden Lippen, ehe er sich so nah an Kai heranbeugte, dass dieser seinen Atemhauch an seinem Ohr fühlen konnte, »ich werde herausfinden, welche Krankheit Sie haben. Dann können Sie bald zurück nach Hause zu ihrem Freund, der schon sehnsüchtig auf Sie wartet. Bis dahin begeben Sie sich einfach in meine fachkundigen Hände und lassen sich von mir ›untersuchen‹.«
 

Ein heißer Schauer fuhr über Kais Rücken, als Aoi das letzte Wort so obszön betonte, dass es selbst einer Pornodarstellerin die Schamesröte auf die Wangen getrieben hätte. In einer anderen Situation hätte er sich gewundert, wie der andere so etwas überhaupt über die Lippen bringen konnte, doch er war viel zu angeturnt, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Schweißperlen traten auf seine Stirn, während seine Atmung so flach wurde, dass er sich tatsächlich fühlte, als wäre sein Zustand kritischer als je zuvor. Der verschwindend kleine Teil in ihm, der noch halbwegs zurechnungsfähig war, fragte sich, wie er das, was Aoi auch immer mit ihm vorhatte, überleben sollte – und als dieser mit einem verruchten Augenzwinkern in die Schürzentasche seines Kleids griff und nur Sekunden später das hauchzarte Material durchsichtiger Latexhandschuhe mit einem markanten Geräusch über seine Hände schnappte, wäre Kai fast auf der Stelle in seine Pyjamahose gekommen.
 

Halleluja!
 

Er hatte den leisen Verdacht, dass dies die Nacht seines Lebens werden würde.
 

Tbc.
 


 

***********
 

Ein wenig später diese Woche, weil ich aus dem Wochenendurlaub kam und erst mal feststellte, dass mein Internet tot war. Nooooo~ Aber jetzt geht alles wieder.
 

Meine medizinischen Kenntnisse stammen von Wikipedia und aus dem Fernsehen. Nuff said.
 

Ihr ahnt, was im nächsten Kapitel kommt? XD Eigentlich sollte es mit diesem Kapitel zusammen kommen, aber wo kämen wir hier hin, wenn ich Krankenschwester Aoi auf einer halben Seite abarbeiten würde! No way, ich verspreche einige interessante Zweckentfremdungen diverser Krankenhausutensilien, thihihi~ Doktorspielchen *O*
 

Und wenn ihr das gelesen habt und gerade Tag ist: geht raus und legt euch in die Sonne! Hach, die Sonne *O* <3<3<3 Ich rollte heute schon mit meinem Kater um die Wette auf dem Balkon herum.
 

Wohnt eigentlich jemand in Cottbus? ENS me! Ich bin die komplette nächste Woche wegen Arbeit da und würde mich allein zu Tode langweilen!
 

Oh, noch eine abschließende Frage: Mir ist in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht am Anfang jedes Kapitels eine kurze Zusammenfassung schreiben könnte, was im letzten passiert ist, weils doch schon zwei Wochen her war. Wollt ihr das? Nützt euch das was? o.O

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 16
 

»Nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich keine Putzfrau engagieren darf!«
 

Kazuki setzte den Wischeimer mit einem Knall auf dem Boden ab und warf den dreckigen Lappen hinein, so dass das Wasser auf den Boden spritzte. Uruha zog finster die Augenbrauen zusammen und ignorierte seine Worte, ebenso wie er sie auch die letzten drei Mal ignoriert hatte, nachdem seine Antwort beim ersten Mal scheinbar nicht genug gewesen war.
 

Er rubbelte weiter an dem dunklen Fleck an einem der Schränke herum, der ihn seit ein paar Minuten beschäftigte, und seufzte erleichtert, als sich dieser tatsächlich mit ein wenig Mühe entfernen ließ. Zufrieden betrachtete er die Schranktür, die er in der letzen halben Stunde im Schweiße seines Angesichts von einer Schicht von Staub und Ruß befreit hatte, und wischte sich mit dem Ärmel über die glänzende Stirn.
 

Er hätte lügen müssen, wenn er behaupten wollte, Hausarbeit würde ihm Spaß machen. Jeder, der schon einmal in seiner Wohnung gewesen war, wusste, dass er von Ordnung ebenso wenig verstand wie von der politischen Lage in Timbuktu, doch Kais Apartment war einer kleinen Katastrophe zum Opfer gefallen. Das Feuer hatte die oberen Flure zwar nie erreicht und auch die Arbeiten der Feuerwehr hatten sich lediglich auf den Keller beschränkt, doch der Rauch, der durch Klimaanlagen und Flure durch das komplette Gebäude gekrochen war, hatte seine Spuren auf Möbeln, Wänden und Fußboden hinterlassen. Und wenn Uruha bei aller Verzweiflung und Sorge schon nichts daran ändern konnte, dass sein Freund seit über einer Woche an Schläuche angeschlossen in einem Krankenbett vor sich hinvegetierte – hier konnte er tatsächlich etwas tun! Und Kazuki würde ihn nicht davon abhalten!
 

»Ich meine das ernst! Warum putzen, wenn wir es viel einfacher haben könnten?!«

Uruha ließ den Wischlappen sinken und warf dem Rothaarigen, der noch immer untätig neben seinem Eimer stand, einen warnenden Blick zu.
 

»Das nennt sich ›jemandem etwas Gutes tun‹«, antwortete er mit gezwungen fester Stimme, sich innerlich zusammenreißend, dem anderen nicht den Lappen um die Ohren zu schlagen. »Und das tut man nicht, indem man es sich einfach macht und jemand anderen dafür bezahlt!«
 

»Stattdessen zwingst du mich?«
 

Kazukis Blick war provozierend und seine Fußspitze tippte in schnellem Tempo gegen den dreckigen Fußbodenbelag, und Uruha fragte sich, ob der andere sein Verhalten immer noch für so eine gute Idee halten würde, wenn er wüsste, dass das Fass der ganzen angestaute Frustration in Uruha nur noch wenige Tropfen benötigte, um überzulaufen und sich in blanke Wut zu wandeln.
 

»Du erinnerst dich schon daran, dass du eingewilligt hast, mir zu helfen, als ich dich gefragt habe, oder?«, antwortete er scharf und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.
 

Langsam bereute er die Entscheidung, Kazuki mitgenommen zu haben. Er brauchte ihn nicht zum Putzen, er traute sich tatsächlich zu, die Gebrauchsanweisung eines Reinigungsmittels selbst lesen zu können oder notfalls über sein Smartphone zu googeln, und ob er nun zwei oder vier Stunden unter Stühlen und Tischen herumkroch, war ihm auch egal – doch ganz allein zu sein mit seinen Gedanken war eine so unheimliche Vorstellung gewesen, dass jede noch so anstrengende Gesellschaft Erlösung versprochen hatte.
 

Doch seine letzten Worte schienen tatsächlich gewirkt zu haben. Kazuki senkte den Blick und nach nur wenigen Sekunden Zögern griff er Lappen und Eimer.
 

»Du bist doch auch nur hier, weil Ruki dich aus dem Krankenhaus geworfen hat«, murmelte er leise, als er an Uruha vorbei im Schlafzimmer verschwand und sich der Schrankwand zuwendete, und diesmal konnte Uruha nicht kontern.
 

Es war die Wahrheit. Es war unfair, es war kränkend und ein kleiner Teil von ihm hatte Ruki am Kragen packen und schütteln wollen, als er ihm eröffnet hatte, dass er ihn die nächsten Tage nicht mehr im Krankenhaus sehen wollte, weil er das Personal seinen Worten nach ›verrückt machte‹ – doch was genau hätte ihm das gebracht?! Es ging um Kai, um niemanden sonst, und so sehr es ihn auch verletzte, dass seine Hilfe nicht gewünscht war, wusste er, dass dies nicht der richtige Moment war, um wütend durchzudrehen oder sich heulend in einer Ecke zu verkriechen. Es ging nicht um ihn. Und wenn er wirklich Kais Freund war, würde er seine eigenen Befindlichkeiten herunterschlucken.
 

Es war peinlich genug, dass er Ruki mitten in der Cafeteria angebrüllt hatte. Abgesehen von den entsetzten Blicken der Krankenschwestern hatte ihm dieser Gefühlsausbruch rein gar nichts gebracht. Keine Genugtuung, keine Erleichterung und schon gar keine Rücknahme seines Rauswurfs.
 

»Hör zu, Kai wird sicher in ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen, und dann soll er wenigstens in seine eigene Wohnung zurückkehren können«, rief er ins Schlafzimmer, plötzlich ein wenig ärgerlich auf sich selbst, dass er Kazuki so angefahren hatte, obwohl er eigentlich auf Ruki und nicht auf ihn sauer war. »Du kannst die Leute bezahlen, die die Wände streichen, wenn du willst! Aber putzen können wir gerade noch selbst!«
 

Diesmal bekam er keine Antwort. Er horchte ein paar Sekunden, innerlich mit sich debattierend, ob er damit zufrieden sein sollte, dass sich Kazuki mit seinem Schicksal abgefunden zu haben schien, doch dann siegte die Mischung aus Schuldgefühl und Neugier und ließ ihn den Kopf ins Schlafzimmer stecken.
 

Kazuki stand auf einem kleinen Hocker an der Fensterfront gegenüber des Bettes, und seine Hände waren mit der Gardinenstange beschäftigt, an der schwere, ehemals hellgrüne Vorhänge den Blick nach draußen verwehrten. Genau neben dem Fenster war die Klimaanlage, durch die der Rauch in den Raum gekrochen war, früher hellgrau – nun schwarz.
 

»Die Gardinen musst du nicht putzen, die schmeißen wir besser weg«, sagte Uruha und musterte den Stoff, der irgendeine seltsame Farbe zwischen graubraun und schimmelgrün angenommen hatte, ehe er stutzte, als Kazuki noch immer nicht reagierte. In seinen Händen drehte er ein kleines schwarzes Objekt.
 

»Hey, was-«, begann Uruha und reckte den Hals, um es genauer zu sehen, ehe er stockte, als ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel, um was es sich handelte.
 

Oh Shit!
 

Für einen kurzen Moment versteifte sich sein gesamter Körper, dann wurde ihm unangenehm heiß und seine Hände verkrampften sich um den Wischlappen, so dass das Wasser auf den Boden tröpfelte.
 

Verdammt, er hatte überhaupt nicht daran gedacht, warum Kai es nicht mochte, wenn jemand unangekündigt in seine Wohnung kam! Selbst seiner Putzfrau übergab er seine Wohnung nur, wenn er vorher jeden Hinweis auf sein Privatleben sorgfältig weggeschlossen hatte. Doch diesmal hatte er keine Chance gehabt, sein Videoequipment, mit denen er ihre nicht gerade jugendfreien Aktivitäten aufzeichnete, abzubauen.
 

Normalerweise kannte Uruha nur den kleinen Camcorder, doch nachdem Kai sich beklagt hatte, dass sowohl Aoi als auch Uruha viel zu oft in die Kamera schauen würden – Aoi aus leichtem Unbehagen, Uruha aus purer Eitelkeit – und dies den künstlerischen Charakter der Filme beeinträchtigen würde, hatte er angekündigt, sein Equipment umzubauen und ihnen nicht mehr zu verraten, wo sich die Linse befand.
 

Uruha hätte sich dafür ohrfeigen können, dass ihm dieser Fakt einfach entfallen war!
 

»Wieso hat Kai eine Kamera an seiner Gardinenstange?«, fragte Kazuki und hielt ihm das kleine schwarze Gerät entgegen. Seine Stirn war in so tiefe Falten gezogen, dass sich seine Augenbrauen beinahe berührten, und die Verwirrung auf seinem Gesicht war überdeutlich.
 

Uruha schluckte, panisch in Gedanken nach möglichen Erklärungen suchend, die er dem anderen präsentieren könnte, ohne sein Beziehungsleben zu offenbaren, doch sein Gehirn schien wie eingefroren.
 

»Oh, ich weiß!«, entfuhr es ihm mit einem Mal, als ihm eine Idee kam, und seine Augen leuchteten. »Reita zieht ihn jedes Mal auf Tour damit auf, dass er schnarchen würde! Also hat er die Kamera installiert, um sich selbst zu filmen und ihm das Gegenteil zu beweisen!«
 

Kazukis Mundwinkel zuckten leicht, doch er schien die Erklärung zu schlucken, denn nach einem Moment nickte er leicht. Uruha atmete durch und klopfte sich selbst für seine Genialität auf die Schulter. Er hatte eindeutig seinen Beruf verfehlt! Mit diesem Talent könnte er in der freien Wirtschaft vermutlich ein Vermögen verdienen!
 

»Sie scheint eh kaputt zu sein.« Kazuki tippte auf den Knöpfen herum, ohne dass sich etwas tat, ehe er das kleine Fach auf der Rückseite öffnete, um statt einer Speicherkarte einen mit Ruß überzogenen WLAN-Chip zu finden. »Aber wenn was drauf war, ist es schon irgendwo hin gesendet worden.«
 

Uruha nickte, nicht sicher, ob er erleichtert sein sollte, dass sich nichts auf der Kamera befand, oder beunruhigt, dass irgendwo in der Wohnung Kais Empfänger sein musste. Vermutlich in seinem Computer. Er würde Kazuki davon fernhalten müssen! Am besten würde er ihn sofort aus der Wohnung bringen, ehe er noch weitere Dinge entdeckte! Kais Apartment war ihre Basis, sein Bett ihre Spielwiese, und wenn Kazuki auch nur eines der kleinen Hilfsmittelchen fand, mit denen sie sich ab und zu ihre Abende versüßten, würde er Kai entweder für vollkommen pervers halten oder ihm die Drogenrazzia auf den Hals hetzen. Vermutlich beides. Und nicht einmal zu Unrecht. Wie hatte er nicht daran denken können?!
 

»Hey, hör zu, vielleicht überlegen wir uns die Sache mit der Putzfrau nochmal«, sagte er und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
 

Kazuki hob überrascht den Blick und zu Uruhas Missfallen zeigte er nicht die begeisterte Reaktion, auf die er gehofft hatte. Stattdessen schien er in Gedanken irgendwo anders zu sein, so dass es ein paar Sekunden dauerte, bis er schließlich nickte und von dem Hocker kletterte.
 

»Ok, dann auf nach Hause!«
 

Uruha klatschte in die Hände und schnappte sich den Eimer und Lappen des anderen, um sie schnellstmöglich in der Spüle auszuwaschen. Als er sich in Bewegung setzte, spürte er zum ersten Mal wirklich die Anspannung, die ihn die letzten Minuten überfallen und einiges an Kraft gekostet hatte. Er sehnte sich plötzlich nach einer guten Flasche Moet Chandon und seinem ruhigen Apartment, und als er endlich die Putzsachen weggepackt und sich in Rekordgeschwindigkeit seine Jacke übergezogen hatte, um mit dem Schlüssel in der Hand an der Eingangstür zu warten, dass Kazuki ihm folgte, war ihm klar, dass er den Abend genau mit diesem Plan abschließen würde. Und wenn er morgen eh nicht ins Krankenhaus durfte, konnte er sich auch guten Gewissens die Kante geben!
 

Kazuki packte seine Sachen wesentlich langsamer zusammen als der brünette Gitarrist, und seine Mimik war angespannt, als würde es in seinem Kopf angestrengt arbeiten. Die kleine Kamera hatte er noch immer in der Hand und obwohl Uruha nun wusste, dass auf ihr keine Videos waren, versetzte ihm der bloße Anblick Bauchschmerzen.
 

»Wieso war die selbe-…« Kazuki betrachtete das kleine Gerät abwesend, während er in seine Schuhe schlüpfte und seinen Schal umwickelte; dann stockte er und schüttelte den Kopf. »Vergiss es! Gehen wir!«, fügte er hinzu, ehe er die Kamera in den Papierkorb warf.
 

Uruha war nur allzu willig, genau dies zu tun! Erst jetzt fiel ihm ein, dass er auch einfach hätte behaupten können, er wisse nicht, was es damit auf sich habe. Aber nun war es zu spät. Doch solange Kazuki nicht weiter nachfragte, hatte es seinen Zweck erfüllt.
 

~*~
 

Der Rest des Abends verlief beinahe genauso, wie Uruha es inzwischen kannte. Er hätte es nicht gedacht, aber er hatte sich tatsächlich daran gewöhnt, einen neuen Mitbewohner zu haben, auch wenn er anfänglich gehofft hatte, Kazuki würde sich trotz seines großzügigen Angebots für ein Hotelzimmer entscheiden. Und wenn es nur deshalb war, weil die Couch jeden Rücken innerhalb weniger Tage in einen Klumpen verkrampfter Muskeln verwandelte.
 

Und tatsächlich hatte sich Kazuki darüber beschwert, doch anstatt dass er ausgezogen war, hatte am nächsten Tag ein Lieferant an Uruhas Haustür geklingelt, ein großes Paket hereingeschleppt, und seitdem schob sein rothaariger Hausgast jeden Abend den Couchtisch beiseite und rollte brav seinen neuen Futon aus. Uruha hatte darüber nachgedacht, sich zu beschweren, aber es war besser, dass Kazuki bei ihm als allein im PS Company Gebäude wohnte.
 

Er hatte seine Worte ernst gemeint, dass er sein Freund sein wollte. Zwar stritten sie sich seitdem bei jeder Kleinigkeit, kämpften um die Zeit im Bad und waren sich nie darüber einig, ob sie den Abend mit Fernsehen oder Computerspielen beenden sollten, doch wenn sie dann gemeinsam am Küchentisch saßen und das Essen verspeisten, das Kazuki wie selbstverständlich zubereitete, fühlte es sich beinahe so an, als wären sie Familie.
 

Und das Entscheidende war, Kazuki hielt sich tatsächlich an sein Versprechen und hatte seit ihrem Gespräch auf dem Hotelflur keine Avancen mehr gemacht. Die erste Zeit hatte Uruha noch seine Tür abgeschlossen, doch seit ein paar Tagen ließ er sie offen und es war nichts geschehen. Einmal hatte Kazuki ihn sogar erwischt, als er nur mit einem Handtuch bekleidet aus dem Bad gekommen war, doch anstatt ihn gegen die Wand zu pinnen oder sich anderweitig auf ihn zu werfen, hatte ihm der jüngere Gitarrist lediglich die Hauspantoffeln hingeschoben und sich wortlos in die Küche getrollt.
 

Uruha konnte nicht leugnen, dass es ihn irritierte. Es beruhigte ihn, keine Frage, doch dass Kazuki so schnell aufgab, überraschte ihn mehr als er zugeben wollte. Und ein ganz klein wenig kratzte es auch an seinem Ego.
 

»Ich springe schnell unter die Dusche«, kündigte Uruha an, als sie endlich den langen Weg von Kais Apartment zu seiner Wohnung zurückgelegt hatten, und knöpfte sich das schmutzige Hemd auf, um es in den Wäschekorb zu werfen. Sein Blick huschte zu Kazuki, um dessen Reaktion zu prüfen, doch der Jüngere gab nur einen Laut der Zustimmung von sich und verschwand dann mit dem Kopf im Kühlschrank.
 

»Verbrauch nicht das ganze heiße Wasser! – Was möchtest du essen? Ich habe Zutaten für Curry und Pasta. Für alles andere müsste ich nochmal loslaufen.«
 

»Deine Pasta ist gut«, antwortete Uruha und zog sich das Tanktop über den Kopf, das er unter seinem Hemd trug, sich einen Augenblick fragend, wie ihre Konversation wohl auf einen Außenstehenden wirken mochte. Er selbst hatte sich darauf geeinigt, dass es ein klein wenig seltsam war, jedoch nur ein klein wenig, und Kazukis Essen schmeckte seiner Kombini-Food-gezeichneten Zunge wirklich ausgezeichnet. Er hatte Kochrezepte in seiner Browser-History gefunden, nachdem Kazuki einmal seinen Computer benutzt hatte, und es hatte ihn gleichzeitig amüsiert und geschmeichelt.
 

In weniger als zehn Minuten hatte er sich komplett eingeseift und endlich den unliebsamen Schmutz von sich gewaschen, und als er wieder wohlriechend in seinem Bademantel aus dem Bad kam, war Kazuki gerade erst dabei, die Zutaten der Soße in einen Topf zu werfen. Die Nudeln blubberten in einem größeren Topf daneben und der Rothaarige hatte sich eine Schürze umgebunden und sein Pony mit einer Klemme nach hinten gesteckt. Es sah lustig aus, nicht unbedingt sonderlich sexy, doch Kazuki schien sich nicht darum zu kümmern.
 

Auf seinem Gesicht lag ein nachdenklicher Ausdruck, so dass er Uruha überhaupt nicht bemerkte, und plötzlich fiel diesem auf, dass er diesen Ausdruck auch schon den ganzen Heimweg über gesehen hatte. Und wenn er recht darüber nachdachte, auch in den Tagen zuvor. Doch Kai hatte all seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, so dass er sich nie sonderlich darum gekümmert hatte.
 

»Ich kann rühren, dann kannst du unter die Dusche springen«, sagte er und griff nach dem Löffel, der in den Topf zu sinken drohte, als Kazuki erschrocken zusammenfuhr und er ihm aus der Hand glitt. Ein kleines Lächeln schlich sich auf die Lippen des Jüngeren, als er dankend nickte und sich dann sein Handtuch schnappte.
 

Uruha sah ihm hinterher und rührte geistesabwesend in der Soße, bis ihm einfiel, dass er Reita anrufen und nach Kai fragen wollte. Die Antwort des Bassisten war knapp, jedoch erfreulich, und Uruha seufzte tief durch, als ihm der andere berichtete, dass Kais Entlassung eigentlich nur noch seine gereizte Kehle im Weg stand.
 

Als er das Telefon zur Seite legte, fragte er sich, ob Aoi wohl gerade bei Kai war. Es freute ihn, wie sehr sich der andere Gitarrist um Kai kümmerte, doch gleichermaßen machte es ihn eifersüchtig. Mit keinem der beiden hatte er in letzter Zeit sonderlich viele Worte gewechselt, und sie so nah zu sehen, während er sogar aus dem Krankenhaus verbannt war, ließ ihn sich seltsam ausgeschlossen fühlen.
 

Erneut wanderte sein Blick zur Badtür, hinter der das Wasser leise rauschte. Wenn er es recht bedachte, war Kazuki zur Zeit der einzige Mensch, der sich tatsächlich mit ihm beschäftigte. Vielleicht war es aus niederen Motiven, vielleicht war der andere noch immer in ihn verliebt (denn Uruha wusste nicht wirklich, ob und wie schnell man sich wieder ›entlieben‹ konnte), aber allein die Tatsache, dass er in seiner Nähe war und versuchte, sein Freund zu sein, gab ihm ein angenehmes, schwer zu beschreibendes Gefühl.
 

Vielleicht sollte er seinen Plan, sich mit Moet abzuschießen, ein klein wenig abwandeln und stattdessen einfach Danke sagen. Uruha bedankte sich nicht gern, es passte nicht zu seinem Image, und die Worte kamen ihm schwer über die Lippen – aber vielleicht konnte er das ganze geschickt mit einer Flasche teurem Champagner umschiffen und trotzdem seinen Standpunkt klarmachen. Denn dass er seinen Alkohol teilte, kam so selten vor, dass es Zeichen genug sein sollte!
 

Und tatsächlich weiteten sich Kazukis Augen überrascht, als er nach dem Abendbrot eine der großen Flaschen anschleppte und sie auf den Couchtisch stellte, neben dem Kazuki auf dem Fußboden auf einem Kissen saß, einen Controller seiner PS3 in der Hand und eine Tüte Chips zwischen den Beinen.
 

»Willst du mir damit sagen, dass ich wieder ausziehen muss?«, fragte der Rothaarige, die Augen skeptisch zusammengekniffen, und Uruha fühlte sich ertappt, als ihm klar wurde, dass es scheinbar wirklich selten war, dass er sich zu einer netten Geste herabließ.
 

»Akzeptiere, dass ich nett sein kann, oder lass es bleiben!«, antwortete er mürrisch, doch als Kazuki zu grinsen begann und auf das Kissen neben sich klopfte, auf dem der andere Controller lag, konnte auch er seine schlechte Laune nicht aufrecht erhalten.
 

Irgendetwas war anders an diesem Abend, auch wenn es gar nicht so selten war, dass sie vor dem Schlafengehen im Pyjama ein paar Runden gegeneinander zockten, diesmal die Gläser mit Moet neben sich, aus denen sie in jeder Verschnaufpause einen hastigen Schluck nahmen, bevor sie sich die nächsten Attacken an die Köpfe feuerten. Normalerweise war Uruha es, der irgendwann den nervenaufreibenden Kampf nach Punkten gewann, doch heute schien Kazuki besonders gut drauf zu sein, denn nach nicht einmal einer Stunde hatte er Uruha zum dritten Mal so sehr unter Beschuss, dass dieser alle Mühe hatte, seinen Charakter am Leben zu erhalten, und als dieser schließlich in einer Wolke von Flammen aufging, kippte er mit einem dramatischen Schrei zur Seite auf den Boden und ließ seinen Controller fallen.
 

»Shit!«, schimpfte er, während Kazuki sich neben ihm vor Lachen den Bauch hielt und im Siegesrausch mit den Armen wedelte.
 

»Trink dir Mut an für die nächste Runde!«, johlte der Rothaarige und tippte im Menu herum, um das Spiel neu zu starten. »Und bereite dich drauf vor, dass ich dich platt mache!«
 

Uruha rollte mit den Augen und langte zur Seite nach der Flasche, um ihre Gläser nachzufüllen, doch als er sie hochhob, bemerkte er, dass nur noch ein kleiner Rest darin herum schwappte. Für einen kurzen Moment war er irritiert. Hatten sie wirklich so viel getrunken? Wenn ja, dann war jetzt auf keinen Fall der Moment, damit aufzuhören! Er war so gut drauf wie schon lange nicht mehr!
 

»Ich hole Nachschub«, sagte er und erhob sich, nur um hastig nach der Couch zu greifen, als sich die Umgebung ganz kurz vor seinen Augen drehte. Ja, er hatte viel getrunken!
 

Schnell schnappte er sich eine weitere Flasche Moet und als er zurück zum Sofa kam, war Kazuki gerade damit beschäftigt, die letzten Reste der vorigen in ihren Gläsern zu verteilen. Auf seinen Wangen lag ein leichter Rotschimmer und als er die Flasche wieder absetzte, entglitt sie seinen fahrigen Händen und fiel auf den Teppichboden.
 

»Ups!«, sagte der rothaarige Gitarrist, während sein träger Blick der Flasche folgte, die über den Boden rollte, bis sie an einem Schrank gestoppt wurde. Dann griff er nach seinem Glas, welches Uruha inzwischen aufgefüllt hatte, und hob es zum Toast.
 

»Kampai!«, sagte er und stieß mit dem anderen an, ehe er einen großen Schluck nahm und dann den Controller hob. »Mach dich auf ein Gemetzel gefasst! Ich werde dich fertigmachen!«
 

Uruha grinste und trank sein Glas in einem Zug aus, ehe er mit den Halswirbeln knackte und sich auf dem Boden niederließ.
 

»Challenge accepted!«, erwiderte er gespielt grimmig und grinste, als Kazuki zu lachen begann.
 

Das Spiel kostete ihn seine ganze Konzentration. Zwei Mal schaffte er es beinahe, Kazukis Charakter in die ewigen Jagdgründe zu schicken, doch nach unzähligen Flüchen, Schreien und einem halben Daumenkrampf musste er sich erneut geschlagen geben.
 

»Fuck, warum bist du heute so verdammt gut!«, murrte er und sank gegen die Sitzfläche der Couch in ihrem Rücken, ehe er nach seinem Glas griff und es austrank, am Rande bemerkend, dass auch die zweite Flasche deutlich leerer geworden war.
 

Kazuki lachte und streckte sich ausgiebig, als hätte er das Spiel höchstpersönlich mit seiner eigenen Muskelkraft entschieden. Er lehnte sich zurück und griff nach der Tüte mit den Chips, ein deutlicher Hinweis, dass sie eine Pause einlegen sollten.
 

»Wie lange bist du eigentlich schon mit Kai befreundet«, fragte er plötzlich und Uruha zuckte mit den Schultern, ehe er nach einem Chip griff und ihn geräuschvoll knabberte.
 

»Eine halbe Ewigkeit. Jaaahre«, antwortete er und dehnte das Wort aus, als er sich nicht wirklich an eine genaue Jahresanzahl erinnern konnte.

»Und Aoi? Wie sehr ist Aoi mit Kai befreundet?«
 

Uruha stockte in seiner Bewegung und sah einen Moment irritiert auf seinen Controller und dann auf den Bildschirm, auf dem sein Charakter von bunten Leuchtanzeigen umschwirrt am Boden lag, nicht sicher, was er von den Fragen halten sollte.
 

»Wir sind eine Familie. Alle von Gazette«, antwortete er, als ihm nichts Besseres einfallen wollte. Erneut versetzte ihm die Kränkung, dass er als einziger aus dem Krankenhaus verbannt worden war, einen kleinen Stich, doch er war sich sicher, hätten Reita oder Aoi Rukis Zorn auf sich gezogen, hätte dieser auch mit ihnen kurzen Prozess gemacht.
 

»Mh«, sagte Kazuki nur und sein Kopf kippte an Uruhas Schulter, die Augen ebenso auf den Bildschirm gerichtet, als würde er noch immer angestrengt dem Spiel folgen.
 

Uruha schüttelte leicht den Kopf, um die merkwürdige Stimmung zu vertreiben, doch die Erklärung, das Kazuki so sonderbar war, weil er lediglich zu viel getrunken hatte, erschien ihm logisch genug, um die kurze Unterbrechung zu ignorieren. Zwar hatte er den anderen noch nie wirklich betrunken erlebt, doch er war sich sicher, dass er zumindest genauso einen im Tee haben musste wie er selbst. Und er selbst fühlte sich weitaus betrunkener, als er es erwartet hatte. Seine Atmung war schwerer, auf seiner Stirn glänzte eine leichte Schweißschicht unter seinem Ponyhaar, und der Kragen seines Pyjamas war auf einmal unangenehm eng, so dass er die obersten zwei Knöpfe öffnete.
 

Das laute Dudeln des Bildschirms signalisierte ihm, dass Kazuki das Spiel erneut gestartet hatte, doch als wäre bei ihnen beiden gleichzeitig die Begeisterung dafür abgeflacht und eine alkoholisierte Lethargie hätte sich breitgemacht, waren ihre Attacken nur noch schwach und nachlässig, so dass sie gar nicht mehr richtig darauf achteten, was sie trafen.
 

»Sollte Aoi nicht eigentlich hier bei dir sein? Warum ist er nicht hier, sondern schlägt seinen Schlafsack stattdessen im Krankenhaus auf?«, fragte Kazuki schließlich und schoss eine Feuerbombe gegen Uruhas Kopf, der gar nicht richtig reagierte, als sein Charakter benommen nach hinten trudelte und kurz liegen blieb. Auch er selbst fühlte sich immer träger, als hätte der Moet sein Gehirn in Zuckerwatte gepackt, und er brauchte einen Moment, bis er auf Kazukis Frage reagiert.
 

»Er ist halt bei Kai«, antwortete er, leicht irritiert, dass das Thema für Kazuki immer noch nicht abgeschlossen schien.
 

Kazuki nickte gegen seine Schulter, auf der sein Kopf noch immer ruhte, ehe er sich leicht regte und mit seinem ganzen Gewicht gegen Uruhas Seite sank.
 

»Dafür dass ihr Lover seid, lässt er sich aber nicht oft blicken!«, fuhr er fort und diesmal brauchte Uruha nicht so lange wie zuvor, um zu verstehen, dass sie sich in gefährliches Terrain wagten. Kazuki war betrunken, er selbst ebenso mehr als ihm lieb war, und auch wenn sie zu ausgelaugt für potentielle sexuelle Aktivitäten waren, würde jedes weitere Wort, das sie wechselten, unweigerlich zu einer sehr peinlichen Stimmung am Frühstückstisch führen.
 

»Ich dachte, du hättest kapiert, dass du mich nicht mehr anbaggern sollst!«, antwortete er mit scherzhafter Stimme, um ein wenig die Härte aus seinen Worten zu nehmen, und feuerte eine Gegenattacke, die der andere mit Leichtigkeit abwehrte. Kazukis Körper lastete unangenehm gegen ihn, und Uruha runzelte verärgert über sich selbst die Stirn, als ihm klar wurde, dass sich ›unangenehm‹ nicht darauf bezog, dass der andere zu schwer oder zu anhänglich für seinen Geschmack war, sondern dass die Haut an den Stellen, an denen er sie, nur abgeschirmt von zwei dünnen Stofflagen, berührte, merklich wärmer wurde und leicht zu prickeln begann.
 

Uruha kannte sich unter Alkoholeinfluss, und normalerweise wusste er sehr gut, wie sein Körper reagierte, vor allem auf seinen geliebten Moet, doch heute war etwas anders – und er verstand absolut nicht wieso.
 

»Ich baggere dich nicht an, ich bin betrunken! Und Aoi ist kein guter Lover!«, verteidigte sich Kazuki und schlug Uruha unbeholfen mit dem Handrücken gegen die Brust, so dass dieser harsch die Luft einzog, als sich von der Stelle aus eine Hitzewelle durch seinen Körper ausbreitete. Seine Hände krallten sich in den Controller, um Kazuki seine Reaktion nicht merken zu lassen, doch er brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder vollkommen unter Kontrolle zu bringen. Und kaum hatte er den Moment überlebt, prickelte ein weiterer Schauer über seine Haut, als Kazukis Kopf sich auf seiner Schulter bewegte, so dass seine Haare an der Haut seines Halses kitzelten, die Berührung so flüchtig, dass sich Uruha sicher war, dass sie unabsichtlich geschah.
 

Als er das nächste Mal auf den Bildschirm sah, lag sein Charakter auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt. Game Over. Schon wieder.
 

»Ist er wenigstens gut im Bett?«, fragte Kazuki weiter und ließ den Controller sinken, ehe er sich näher ankuschelte, sichtlich blind gegenüber dem Effekt, den seine Berührungen auf Uruha hatten. »Vermutlich ja, denn anders könnte ich mir nicht erklären, dass du wie ein Schoßhund darauf wartest, dass er mal wieder Zeit für dich hat!«
 

Uruha sog harsch die Luft ein und setzte an, Kazuki mit der Schulter von sich zu schubsen, verärgert darüber, dass er den unerwartet angenehmen Abend so ruinieren musste, doch anstatt ihm wie normal zu gehorchen, bewegte sich sein Körper lediglich ein kleines Stück, ehe er seiner Kräfte beraubt in seine Ausgangsposition zurücksank. Uruha verzog irritiert das Gesicht, als im selben Augenblick die Hitzewellen in seiner Brust leicht anschwollen und feiner Schweiß seinen Pyjama an seiner Haut festklebte, doch noch bevor er es genauer analysieren konnte, erhob Kazuki erneut seine Stimme.
 

»Dafür, dass er so gut im Bett ist, kriegst du aber scheinbar recht wenig von ihm!«, fuhr der Rothaarige fort, sich scheinbar nicht daran störend, dass Uruha bis jetzt keine seiner Fragen beantwortet hatte. Und diesmal wurde es dem brünetten Gitarristen zu bunt. Er feuerte seinen Controller unkoordiniert auf ein Kissen und zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen.
 

»Soll ich etwa im Schlafzimmer mit ihm vögeln, während du auf dem Wohnzimmerfußboden campierst?«, erwiderte er schnippisch. »Ich hab keinen Bock auf deinen Schwachsinn! Aoi geht dich nichts an! Geh schlafen und lass mich in Ruhe!«
 

Er pustete sich kalte Luft auf die glänzende Stirn, in Gedanken alle Möglichkeiten durchgehend, wie er es in seinem alkoholisierten Zustand ins Bad schaffen konnte, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu klatschen, ohne vorher an einem Möbelstück oder einer Teppichfalte zu scheitern. Sollte er lieber etwas essen oder Wasser trinken, um den Alkohol zu neutralisieren? Vielleicht sollte er sich vorsichtshalber übergeben?
 

Uruhas Finger krallten sich in die Couchpolster, als er versuchte, sich zu erheben, doch erneut entzog sich sein Körper seiner Kontrolle, und als Kazuki ihn am Zipfel seiner Hose zurückzog, brach er kraftlos auf dem Fußboden zusammen und blieb liegen, die Augen auf die weiße Decke gerichtet, die vor seiner Sicht leicht zu wabern begann, und sich fragend, was zur Hölle gerade mit ihm passierte.
 

Er verstand die Welt nicht mehr! Er kannte seinen Moet; er liebte ihn aus exakt dem Grund, dass er bis zu drei Flaschen hinunterkippen konnte und die einzige Nebenwirkung war, dass er hyperaktiv wurde, auf den Tischen tanzte und am nächsten Morgen eine halbe Stunde länger im Bett herumrollte, bevor er sich mit einer kalten Dusche wieder ins Land der Lebenden rief – doch das, was heute passierte, ließ sich in keine dieser Kategorien einordnen!
 

Und auf einmal rieselte ihm die Erkenntnis, was hier gerade vor sich ging, wie ein eiskalter Schauer über den Rücken.
 

»Du hast mir irgendwas ins Glas gemixt«, flüsterte er, plötzlich vollkommen erstarrt, die Worte keine Frage, sondern eine Feststellung. Und mit jeder Sekunde, in der sie zwischen ihnen hingen, schwer wie ein dicker Schleier, und Kazuki nicht antwortete, kroch das Grauen, dass es die Wahrheit war, schneller und schneller durch seinen Körper und schnürte ihm den Brustkorb zu.
 

»Oh Gott«, hauchte er, während ihm kurz schwarz vor Augen wurde. Er konnte beinahe zusehen, wie sich das Bild in seinem Kopf zu einem logischen Ganzen zusammenfügte, und er fühlte sich so dumm wie schon lange nicht mehr.
 

»Du bist auch nicht betrunken, oder?«, fragte er leise, den trockenen Klos in seinem Hals ignorierend, und als Kazuki zu ihm auf den Boden rutschte und seinen Kopf in seiner Schulterbeuge vergrub, eine Hand auf seiner Brust und seine Lippen so nah an Uruhas Ohr, dass dieser den Atemhauch spüren konnte, wusste er, dass er Recht hatte.
 

»Ich will dich doch nur trösten!«, sagte Kazuki und der Kuss, den er Uruha auf den Hals hauchte, ließ diesen seine Zähne in seine Unterlippe graben, um sich nicht zu Blöße zu geben, aufzuseufzen, als sein Körper augenblicklich reagierte. Er wusste nicht, was Kazuki ihm in den Drink gemixt hatte, aber er wusste genau, dass der Junge genug Geld hatte, um sich ohne Probleme die perfekte Designerdroge zu besorgen, um zu verwirklichen, was auch immer er sich für ihn vorgenommen hatte.
 

»Aoi ist nicht gut für dich!«, hörte er die leisen, weichen Worte an seinem Ohr und atmete ein klein wenig heftiger, als er spürte, dass seine Fähigkeit, zu sprechen, genauso wie sein Bewegungsspielraum immer weiter abnahm.
 

»Er liebt dich nicht! Du bist viel zu gut für ihn und er weiß es überhaupt nicht zu schätzen!«
 

Jeder rationale Teil in Uruha hätte Kazuki in diesem Moment am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, doch er konnte die Arme noch nicht einmal anheben.
 

»Ich dachte, wenn du denkst, wir wären beide betrunken und es wäre einfach so passiert, würdest du vielleicht nicht mehr abstreiten, was zwischen uns ist! Ich weiß, dass ich Aoi ersetzen könnte!«
 

Kazukis Stimme klang verzweifelt, beinahe so, als würde er sich seine Worte trotz aller Hoffnung selbst nicht glauben, doch Uruha empfand nicht das geringste Mitleid für ihn. Stattdessen wurde er wütend.
 

War er der einzige gewesen, der es mit ihrer Freundschaft ernst gemeint hatte?! Er hatte Kazuki in sein Leben gelassen, hatte es genossen, einen Menschen um sich zu haben, wenn er sich allein fühlte, sogar dann, wenn sie sich auf die Nerven gingen oder beschimpften, weil es sich angefühlt hatte, als hätte er plötzlich einen kleinen Bruder adoptiert, eine jüngere Version von sich selbst. Und nun fiel ihm dieser Bruder auf die hinterhältigste Weise in den Rücken, die er sich vorstellen konnte.
 

»Ich wäre ein viel besserer Freund als Aoi!«, hörte er Kazuki weiter flüstern, während seine Nasenspitze über seinen Hals glitt. »Ich würde dich verwöhnen… Ich würde dich nie betrügen! Und ich würde alles tun, was du willst! Alles…«
 

Das letzte Wort hauchte er so nah an Uruhas Ohr, dass diesem ein heißkalter Schauer über den Rücken rieselte. Seine Lippen flogen auf und schnappten nach Luft, als Kazukis Fingerspitzen über seine sensiblen Brustwarzen fuhren, und so sehr er es auch versuchte, er konnte nicht die Kraft aufbringen, ihn von sich zu stoßen. Sein Körper war wie gelähmt, glühte wie auf einem offenen Grill, während das einzige, was noch zu funktionieren schien, sein Kopf war. Seine Wahrnehmung war leicht verzögert, doch sein Verstand so scharf wie je.
 

Und als Kazuki sich aufrichtete, ihn unter den Schultern packte und in Richtung seines Schlafzimmers schleifte, während es nichts anderes tun konnte, als mit verklärtem Blick zuzusehen, wie seine Füße über den Teppichboden rutschten, wurde ihm klar, dass er nichts tun konnte, um sich zu wehren.
 

Shit. Er war leichtsinnig gewesen. Er hatte geglaubt, den Gitarristen unter Kontrolle zu haben, hatte seine natürliche Skepsis abgelegt, weil alles so verlaufen war wie geplant. War er eigentlich vollkommen bescheuert gewesen, ihm zu vertrauen?!
 

Uruhas Gesichtsfeld wurde enger, als zuerst sein Po und dann seine Oberschenkel über die Türschwelle seines Schlafzimmers holperten, und als Kazuki seine Schultern losließ, um die Tür hinter ihnen zu schließen, spürte, er, wie ihm schwarz vor Augen wurde.
 

Er hatte Kazuki gewaltig unterschätzt.
 

Tbc.
 

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Ich habe mein SCREW Ticket für München, yeeey, Kazuki <3<3<3

Falls mich jemand dort sieht, ich würde mich freuen, wenn ihr Hallo sagt, denn ich bin allein da und zusammen macht Headbangen mehr Spaß ^^
 

Wir nähern uns dem Ende der Fanfic! Noch 3-4 Kapitel, dann ist sie fertig! Hui, was für eine komplexe Storyline.
 

Oh, und ich liebe es, wenn sich Uru für schlau hält. Und es so überhaupt nicht ist. Lova ya, Uru!

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 19
 

Aoi grub die Zähne in die Unterlippe und seine Fingernägel krallten sich in Kais Schultern, ehe sein Körper erschauderte und er nur Sekunden später mit einem atemlosen Keuchen auf dem Drummer zusammensank. Kais Brustkorb hob und senkte sich unregelmäßig, die Nachwehen seines eigenen Orgasmus, der ihn nur wenig früher überrollt hatte, auskostend, ehe seine Finger den Weg in Aois schwarze Haare fanden und sanft seinen Schopf kraulten.
 

»Ich komme mir vor, als hätten wir eine Affäre!«, flüsterte Aoi nach ein paar Minuten, in denen sie einfach nur still dagelegen hatten, und das Grinsen, das auf seinem Gesicht lag, nahm seinen Worten jeglichen Vorwurf.
 

Kai hob eine Augenbraue und lachte leise, ehe er Aoi vorsichtig anschubste, so dass er von ihm herunterrollte und neben ihm lag, ehe er seinen Arm, in dem noch immer die Anschlüsse für die Maschinen steckten, die seine Körperfunktionen überwachten, einen prüfenden Blick schenkte, um erleichtert zu nicken, als er sah, dass nichts verrutscht war.
 

Es war nicht das erste Mal seit der Nacht vor ein paar Tagen, als Aoi ihn als Krankenschwester überrascht hatte, dass sie sich in dieser Position befanden – seitdem jedoch ohne Häubchen und Fesseln. Sie trafen sich heimlich nach Beginn der Nachtschicht, verbrachten ein paar Stunden miteinander, ehe sich Aoi wieder davonstahl, bevor die Morgenvisite begann. Die Nachtschwester hatte er inzwischen so gut um den Finger gewickelt, dass sie nicht einmal mehr nachfragte, wenn er sie mit irgendwelchen Aufträgen wegschickte, so dass Kai von der ungewohnten Perfidität seines Freundes schwer beeindruckt war.
 

»Wie spät ist es?«, fragte Aoi und Kai rückte ein Stückchen ab, um ihm die Sicht auf die Uhr an der Wand freizumachen. Sie hatten noch zwei Stunden bis zur Morgenvisite. Genug Zeit, um noch ein wenig zu kuscheln, das zerwühlte Bettzeug zu ordnen, die Fenster aufzureißen, um den eindeutigen Geruch nach Sex zu vertuschen und alles wieder in den Zustand zu bringen, in dem es vorher war.
 

»Du könntest langsam wieder anfangen zu sprechen, wenn du eh morgen entlassen wirst!«, murrte Aoi vorwurfsvoll, ehe er sich an Kai kuschelte, und dieser tätschelte ihm die Schulter, während er dem Zwielicht dankte, dass den kurzen Moment verbarg, in dem ihm die Gesichtszüge entgleisten.
 

Er hatte nicht vergessen, dass er Aoi noch immer die Erklärung schuldig war, die er ihm versprochen hatte. Er wusste, der andere wartete darauf, sah jedes Mal erneut die stille Frage in seinen Augen – und wenn er sich nicht mehr damit ›herausreden‹ konnte, dass er seine gereizte Kehle schonte, ging er dazu über, ihn mit Küssen und Berührungen für die nächsten Stunden zum Schweigen zu bringen. Das war das Schlimmste von allem. Denn es war nicht weniger fatal, als endlich mit ihm zu reden.
 

Nicht nur einmal hatte er sich gefühlt, als würde er mit jeder Sekunde weiter auf einen Abhang zurasen, genau wissend, dass alles, was er tat oder sagte, ihn in die selbe Richtung lenkte. Er wünschte sich Uruha herbei, um ihm sein Herz auszuschütten und ihn um Rat zu fragen, doch er konnte dem anderen nicht sagen, was geschehen war, ohne zu riskieren, alles noch viel schlimmer zu machen.
 

Vorsichtig wühlte er sich aus dem Chaos von Decke, Laken und Kissen, das sie hinterlassen hatten, ehe er stutzte, als er Stimmen und Schritte auf dem Gang zu hören glaubte. Irritiert spitzte er die Ohren, sicher, dass sich außer ihnen keine Personen auf dieser Etage aufhalten durften, ehe mit einem Mal die Tür aufflog und mit einem so lauten Scheppern gegen die Wand krachte, dass sie beinahe vor Schreck aus dem Bett gefallen wären. Aoi schrie überrascht auf, als das Licht des Ganges ihn blendete, und zog die Decke über sie. Kai konnte überhaupt nicht so schnell reagieren, wie eine Person ins Zimmer stürzte, und als er erkannte, dass es Uruha war, blieb ihm vor Schrecken fast das Herz stehen.
 

»Aoi!«, rief der Gitarrist, für einen kurzen Moment irritiert, bevor er sich wieder fing. »Du mieses Arschloch!«, fluchte er und packte Kai am Nacken, um ihn zu schütteln, und nur eine Hand, die wie aus dem Nichts hinter ihm auftauchte, konnte ihn davon abhalten, Kai mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.
 

»Hast du sie noch alle; er hatte eine Gehirnerschütterung!«, schimpfte Kazuki und zerrte den anderen zurück, der seine Worte jedoch vollkommen ignorierte.
 

»Was zur Hölle?!«, schrie Aoi, ehe er nach unten rutschte, so dass er die Decke bis zu seiner Nasenspitze ziehen konnte.
 

»Uruha!«, rief Kai, vollkommen vergessend, dass er behauptete, seine Stimme schonen zu müssen. Dann fiel sein Blick auf den anderen. »Kazuki?!«
 

»Lass mich sofort los, wenn du weiterleben willst!«, schimpfte der ältere Gitarrist und riss sich für einen kurzen Moment aus Kazukis Klammergriff los, ehe dieser ihn wieder geschnappt hatte und davon abhielt, sich erneut auf Kai zu stürzen. Auch als er einsah, dass es nichts nützte, gab er seine Bemühungen nicht auf, die Hand zur Faust geballt und das Gesicht so wutverzerrt, als würde er Blut sehen wollen.
 

»Du hast alles kaputt gemacht!« Der Blick in seinen Augen war so wild auf Kai gerichtet, dass dieser sich sicher war, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. »Die ganze Zeit erzählst du mir, dass ich aufpassen muss; dass ich mir Kazuki nehmen soll, wenn ich es nicht mehr aushalte; dass ich derjenige bin, bei dem das Risiko liegt! Du hast mir wunderbar eingeredet, dass, wenn es scheitert, es an mir liegen wird – und nun bist du es, der alles kaputt macht?! Du hast den Deal angenommen und mich mitgezogen, und nun brichst du ihn?!«
 

»Ich…«, begann Kai, doch er wusste nicht, wie er sich verteidigen sollte. Sein Blick huschte zu Kazuki, der wie ein ängstliches Reh hinter Uruha stand, sich an ihn klammerte und aussah, als wäre er am liebsten im Erdboden verschwunden.
 

»Ich…«
 

Uruha würde ihm niemals glauben, wenn er ihm sagte, er hätte durch den Stoß gegen den Kopf für eine kurze Zeit einen Teil seiner Erinnerung verloren. Selbst für ihn klang es wie eine billige Ausrede!
 

»Ich konnte mich durch die Gehirnerschütterung nicht mehr daran erinnern«, versuchte er es trotzdem. »Und als ich mich wieder daran erinnert habe, war es zu spät!«
 

Uruhas abfälliges Schnauben war Antwort genug und Kai konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Er hatte es gleich gewusst…
 

»Es wäre niemals rausgekommen!«, versuchte er einen anderen Weg. »Wir haben stets aufgepasst! Niemand weiß etwas!«
 

»Niemand weiß etwas?!« Uruhas Worte klangen höhnisch, ehe er Kazuki anschubste, der ihn mit geweiteten Augen anstarrte, noch immer sichtlich schockiert von der Situation, in die Uruha ihn gebracht hatte. »Wo ist die Kamera?«
 

»Kamera?!« Aoi war aus seiner Schockstarre erwacht und während Kais Augen sich panisch weiteten, schien er lediglich verstört und argwöhnisch – und nicht zuletzt wütend. »Was für eine Kamera? – Was machst du überhaupt hier?! Warum zum Teufel ist Kazuki hier?!«
 

Kazuki deutete auf die Gardinenstange und es dauerte keine zwanzig Sekunden, bis sich Uruha einen Stuhl geschnappt hatte, hinaufgeklettert war und sie heruntergeholt hatte.
 

Kais Herz stolperte für eine Sekunde, als er das kleine schwarze Gerät sah, und er fühlte sich, als würde sein Körper mit rasanter Geschwindigkeit an einer Wand zerschellen. Oh Gott. Oh Gott!
 

»Du weißt, was das ist?!«, holte ihn Uruhas Stimme wieder in die Realität zurück. Die Worte waren eher eine Feststellung als eine Frage gewesen. »Dieses Baby hat alles aufgenommen, was ihr hier getan habt! Es ist vorbei, du hast den Deal gebrochen und alles kaputt gemacht!!«
 

Kai zuckte zusammen und duckte den Kopf, als würde er befürchten, dass Uruha die Kamera nach ihm werfen würde, doch nichts geschah. Er fühlte sich wie gelähmt, unfähig, irgendetwas zu tun, selbst wenn er sich aus seinem Bett hätte erheben können.
 

»Ist das deine Kamera? Was fällt dir ein, hier eine Kamera anzubringen?«, empörte sich Aoi, sichtlich überfordert, die neuen Informationen zu verarbeiten. Hastig stolperte er aus dem Bett und zog das zerwühlte Laken mit sich, so dass Kai gerade noch die Decke festhalten konnte, um sich nicht noch entblößter zu fühlen als eh schon.
 

»Nein, das ist nicht meine Kamera!«, antwortete Uruha aufgebracht und hob zornig die Faust, so dass Kazuki ihn hastig am Arm packte, um ihn im Notfall zurückzuhalten, wenn er erneut auf Kai losgehen sollte.
 

»Wessen dann?!« Aois Stimme überschlug sich beinahe, als er das Bettlaken raffte und um sich wickelte. » Was geht hier vor?! Was ist das für eine Kamera?! Ihr sagt mir jetzt sofort, was hier los ist! Alle beide! Ich lasse mich nicht länger verarschen! Wenn ihr mir nicht auf der Stelle die Wahrheit sagt, dann schwöre ich, ich bringe euch um!«
 

Seine Augen waren zu zwei schmalen Schlitzen zusammengepresst, so dass Uruha ängstlich einen Schritt nach hinten wich, sichtlich verstört von der Drohung und nicht wissend, ob er sie ernst nehmen sollte oder nicht. Er schien erst jetzt zu realisieren, dass Aoi jedes seiner Worte gehört hatte.
 

»W-wir w-wollten dir nichts verschweigen!«, erklang seine Stimme, und Kai hatte ihn noch nie so sehr stottern gehört. »Wir hatten einen Deal mit dem Label! E-Es sollte niemals rauskommen! Wir haben es nur für dich getan!«
 

Und mit einem Mal war es, als wäre alle Last von Kais Schultern genommen. Er fühlte beinahe körperlich, wie er über den Abgrund raste, auf den er schon so lange zusteuerte – und obwohl er fiel und fiel war es das beste Gefühl, das er seit langem verspürt hatte. Die Anspannung, die Angst, die Panik – nichts war mehr von Bedeutung, als der Grund unter seinen Füßen verschwand und ihm endlich die lang ersehnte Erlösung brachte, dass das Versteckspiel vorbei war.
 

»Ein Deal mit dem Label?«, hörte er Aoi gedämpft fragen, und es klang, als würde sich sein Kopf unter einer Glasglocke befinden.
 

Uruhas Lippen pressten sich zusammen, so dass alle Farbe aus ihnen wich, und die Kamera glitt ihm aus den Fingern, aus denen jede Kraft gewichen war. Der Blick, den er mit Kai austauschte, verriet deutlich, dass er wusste, dass es keinen Weg mehr gab, die Wahrheit noch länger zu verbergen. Und Kai nickte.
 

»Ok«, sagte er, so leise und resignierend, das seine Stimme kaum zu hören war. »Wir haben sowieso verloren.«
 

Uruha nickte mit der selben Resignation und Kai sah, wie sich Flüssigkeit in seinen Augen sammelte und die Wut mit einem Mal von ihm abfiel.
 

Sie hatten wirklich verloren. Sie hätten sich niemals darauf einlassen sollen.

Es schien wie gestern, als sie zu ihrer Managerin ins Büro gerufen worden waren, um die neue Band zu besprechen, und obwohl er sich nicht daran erinnern wollte, war jedes Bild und jedes Wort noch so klar und scharf, als wäre es gestern erst passiert – das Gespräch, nachdem Ruki, Reita und Aoi den Raum verlassen hatten.
 

~*~
 

»Ihr seid zu auffällig.«
 

Die Worte der Managerin klangen hart und ihre manikürten Fingernägel klackerten auf der Tischplatte, während sie die beiden verbliebenen Gazette-Mitglieder mit undefinierbarem Blick musterte.
 

»Und wir müssen darüber reden, bevor ihr ernsten Schaden für die PSC anrichtet!«
 

»Was, das?!« Uruha deutete auf die Schnipsel des von ihm zerfetzten SCREW Flyers auf dem Boden, während Kai sich an die Tür lehnte, die Aoi vor wenigen Sekunden von außen ins Schloss gedrückt hatte, als er mit Ruki und Reita den Raum verlassen hatte. »Das können die ruhig sehen! Was interessiert es mich, was die von uns denken?! Soll der kleine reiche Bengel ruhig wissen, dass ich ihm das Leben zu Hölle machen werde, wenn er sich einbildet, uns erpressen zu können! Der wird auf keinen Fall bei mir einziehen! – Sag was, Kai!«
 

Sein erwartungsvoller Blick schnellte zu dem Drummer, dessen Stirn so tief in Falten gezogen war, dass selbst ein Blinder erkannt hätte, wir wütend er war.
 

»Wir sind Gazette; uns den Vertrag zu kündigen, würde bedeuten, dass sich die PSC gewaltig in den Finger schneidet!«, sagte er und Uruha nickte triumphierend. Sich der Rückendeckung seines Leaders sicher, wendete er sich erneut zu ihrer Managerin, doch noch bevor er ein weiteres Wort herausbringen konnte, knallte ihre flache Handfläche auf die Tischplatte und lies sie erschrocken zusammenzucken.
 

»Darum geht es nicht!«, sagte sie, die Augen verengt, doch ihre Stimme war noch immer ruhig. Die nächsten Worte sprach sie so bedacht und langsam, dass es schon beinahe eine gewisse Komik hatte. »Es geht um Aoi. Ihr seid zu auffällig!«
 

Einen Moment lang sah Uruha sie verwirrt an, dann wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Seine Finger tasteten haltsuchend nach der Wand in seinem Rücken und er ließ sich dagegensinken, gerade noch rechtzeitig, bevor seine Knie zu zittern begannen. Erneut huschte sein Blick zu Kai, und als er dessen geweitete Augen sah, wusste er, dass auch er die Bedeutung der Worte verstanden hatte.
 

Einen kurzen Moment standen sie wie in Schockstarre, sich an die irrationale Hoffnung klammernd, sich alles nur eingebildet zu haben, doch als die Managerin einen ungeduldigen Laut von sich gab, war diese augenblicklich zerstört.
 

»Macht euch nicht lächerlich, indem ihr so tut, als hättet ihr mich nicht gehört!«, sagte sie, das Geräusch ihrer klackernden Fingernägel der einzige Laut im Raum, in dem mit einem Mal eisige Stille zu herrschen schien.
 

»Wovon reden Sie?«, fand Kai als erster seine Sprache wieder, doch nur ein Blick in ihr Gesicht genügte, um zu wissen, dass dies nicht die richtige Taktik gewesen war.
 

Ihre rot geschminkten Lippen verzogen sich missbilligend und sie verdrehte die Augen hinter ihrer randlosen Brille. »Und macht euch erst recht nicht lächerlich damit, indem ihr euch dumm stellt! Hört zu, es interessiert mich überhaupt nicht, was ihr untereinander treibt! Ich habe wahrlich Besseres zu tun, als Kameras im Heizungskeller aufzustellen, von dem ich sehr wohl weiß, wie ihr ihn zweckentfremdet, oder die Videobänder anzusehen, auf denen ihr eure Eskapaden dokumentiert. Solange ihr es hinter verschlossenen Türen macht, eure Klappe haltet und am nächsten Morgen pünktlich und ohne Knutschflecken zu euren Terminen erscheint, könnt ihr meinetwegen so viele Orgien feiern, wie ihr wollt! – Das ist mir weitaus lieber, als wenn ihr eure Fangirls schwängert!«
 

Uruha konnte das Entsetzen, das seinen Körper flutete, kaum in Worte fassen. Es war, als würde ein eisiger Strom durch seine Adern fließen und einen Muskel nach dem anderen lahmlegen, und erst, als er den Druck in seinem Kopf ansteigen fühlte, wurde ihm bewusst, dass er zu atmen vergessen hatte, und schnappte hörbar nach Luft. Er dankte der Wand in seinem Rücken, dass sie ihn davon abhielt, das Gleichgewicht zu verlieren, als ihn ein weiterer Anfall von Schwindel überrollte. Zu vermuten, dass sie ihr Privatleben vor den allwissenden Augen ihres Labels nicht dauerhaft erfolgreich verbergen können würden, war eine Sache – die Tatsachen so brutal auf den Tisch gelegt zu bekommen, eine ganz andere!
 

Sein panischer Blick zu Kai vermittelte diesem deutlich seine Frage ›Wusstest du, dass sie es wissen?!‹ und Kais angedeutetes Kopfschütteln war Antwort genug. Auch sein Gesicht war vor Schrecken wie gelähmt und als die Managerin erneut die Stimme erhob, zuckten sie beide alarmiert zusammen.
 

»Aber das mit Aoi«, ihr Blick wurde ernst und auf ihrer Stirn bildete sich eine tiefe Falte, »das ist eine ganz andere Geschichte! Und ich bin nicht die erste vom Label, der es auffällt. Und nun, da wir neue Bands haben, können es noch mehr Personen bemerken! Wenn ihr euer Privatleben nicht mehr geheim halten könnt, schadet ihr nicht nur eurem Image, sondern dem Image der ganzen PSC! Wenn ihr euch nicht zusammenreißen könnt, dann beendet es! Ihr seid meine Verantwortlichkeit und ich lasse nicht zu, dass eine unbedachte Affäre meine Band ruiniert!«
 

Erneut huschten Uruhas Augen zu Kai, sich auf einmal deutlich bewusst, dass er ohne den Drummer vollkommen aufgeschmissen wäre. Dessen Gesicht war so düster und verzerrt, wie Uruha ihn noch nie zuvor gesehen hatte.
 

»Warum sind nur wir hier und Aoi nicht?«, fragte er schließlich.
 

Uruha blinzelte irritiert, als der andere nicht einmal ansatzweise auf die Worte der Frau einging, dann stutzte er, als ihm klar wurde, dass die Frage durchaus berechtigt war. Daran hatte er noch nicht einmal gedacht!
 

Die Managerin lächelte und nickte anerkennend mit dem Kopf.
 

»Es hätte mich auch gewundert, wenn du es nicht bemerkt hättest«, antwortete sie. »Aoi scheint mir das ›Opfer‹ in dem ganzen Szenario zu sein. Man muss nicht blind sein, um zu sehen, wie unangenehm es ihm ist, wenn ihr noch nicht mal in der Öffentlichkeit die Finger von ihm lassen könnt! Eure Libido in allen Ehren – das geht zu weit! Das Problem seid eindeutig ihr! Das Label will, dass ihr es beendet, bevor ihr euch schadet! Und ich stimme ihnen zu!«
 

Kais Lippen pressten sich zu zwei blutleeren Strichen zusammen und dann tat er das, was Uruha als allerletztes von ihm erwartet hätte. Er gestand die Wahrheit.
 

»Aoi ist keine unbedachte Affäre! Wir lieben ihn und wir haben eine Beziehung. Aoi, Uruha und ich. Und wir haben ganz sicher nicht vor, uns zu trennen!«
 

Seine Worte waren ruhig und leise gewesen, doch so nachdrucksvoll, wie nur ein Leader sie hätte sagen können. Die Augenbrauen ihrer Managerin hoben sich bis zu ihrem Haaransatz und Uruha wurde ein klein wenig schlecht bei dem Gedanken, was sie mit diesen Informationen nun tun würde. Auch Kais Blick war angespannt, doch anstatt sich zu empören oder ihnen an den Kopf zu werfen, was in ihren Köpfen vor sich ging, sich in einer solch perversen Art gegen jegliche sozialen Konventionen zu stellen, bogen sich die Mundwinkel der kleinen Frau lediglich amüsiert nach oben.
 

»Ja natürlich!«, sagte sie mit einem Tonfall, als hätten sie soeben versucht, ihr weiszumachen, die Sonne würde sich um die Erde drehen. Und allein dies reichte aus, um Uruha vor Empörung beinahe in die Luft gehen zu lassen.
 

»Ja, genau!«, erwiderte er patzig wie ein Kind. »Wir sind zusammen und wir haben uns dafür vor überhaupt niemandem zu rechtfertigen! Dann kündigen wir lieber!«
 

Er biss die Zähne zusammen. Die Wand in seinem Rücken, die ihm bis jetzt Halt gegeben hatte, ließ ihn sich mit einem Mal unangenehm in die Enge gedrängt fühlen. Er wusste, dass seine Drohung nicht mehr als heiße Luft gewesen war. Sie wussten alle, dass sie ihren Vertrag nicht kündigen würden. Doch die Frau schien die Worte nicht einmal wahrgenommen zu haben.
 

»Ihr meint das wirklich?!«
 

In jeder Sekunde, in der sich die Verblüffung, dass Uruha und Kai es ernst meinten, stärker in ihrem Gesicht spiegelte, fühlte sich Uruha unwohler. Ganz langsam kam ihm der Verdacht, dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, die Wahrheit zu sagen. Und auch wenn er sich nicht dafür rechtfertigen wollte, was sie hatten, konnte er nichts dagegen tun, dass es sich anfühlte, als würde er sich dafür schämen.
 

»Als Managerin ist es Ihr Job, uns zu beschützen, und nicht, uns in den Rücken zu fallen!«, ließ sich Kai mit einem Mal vernehmen. Äußerlich wirkte er ruhig, doch Uruha kannte seinen Freund gut genug, um zu bemerken, dass er alles andere als ruhig war! Die Muskeln seiner Oberarme kontraktierten unregelmäßig, sein Kiefer war angespannt und seine Blick so starr, als würde er sich mit Gewalt zur Ruhe zwingen.
 

Doch seine Worte schienen gewirkt zu haben, denn die Stirn der kleinen Frau zuckte leicht.
 

»Es ist meine Aufgabe, euch zu beschützen!«, sagte sie, jedes Wort bedacht langsam aussprechend, als würde sie die Zeit brauchen, um ihre Gedanken zu ordnen. »Und ich würde euch beschützen, wenn ich nicht genau wüsste, dass es nur wieder eine Spinnerei von euch ist und ihr es euch übermorgen schon anders überlegt haben könnt! Ich kenne euch, ihr seid junge Männer Mitte Zwanzig, deren Hormone verrückt spielen und die auf dem Rockstarthron sitzen und denken, sie seien unangreifbar! – Natürlich würde ich euch beschützen, wenn ich wüsste, dass ihr es ernst meint. Aber wenn ihr so weiter macht wie bisher, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alles an die Öffentlichkeit dringt und einen Skandal auslöst, bei dem ihr euren Thron schneller los seid als euch lieb ist. Und um eine Sex-Affäre zu beschützen, halte ich meinen Kopf nicht hin! Beendet es, wenn ihr euren Thron behalten wollt – oder beweist mir, dass es wert ist, euch zu beschützen!«
 

Die Schärfe ihrer letzten Worte schnitt die unangenehm angespannte Stimmung wie ein scharfes Messer. Kais Fäuste ballten sich so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, und seine Stirn zog sich zu tiefen Falten zusammen – halb vor Zorn, halb aufgrund der Gedanken, die in seinem Kopf zu rotieren schienen. Uruha bekam davon nichts mit; er schnaubte nur empört, das Gefühl verabscheuend, mit jeder Silbe weiter in die Ecke gedrängt zu werden, dessen einziges Ergebnis war, dass er komplett auf stur schaltete.
 

»Wir sind keine Sex-Affäre!«, erwiderte er eingeschnappt, den Blick trotzig nach vorn gerichtet und die Arme in einer abwehrenden Geste vor der Brust verschränkt. Wie war das Gespräch überhaupt zu dem Punkt gekommen, dass sie ihre Gefühle so verteidigen mussten?!
 

»Dann beweist es mir!«
 

»Wir werden hier gar nichts beweisen! Kai, sag-«
 

»Wie sollen wir es beweisen?«
 

Uruha sog hart die Luft ein, als Kai ihm das Wort im Mund abschnitt, und auch die Managerin hielt inne. Ein überraschter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, ehe sich ihre Mundwinkel sich nach oben bogen und sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnte, den Blick abschätzend auf den Drummer gerichtet, dessen entschlossener Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran ließ, dass es ihm ernst war.
 

»Wenn ihr mir beweisen wollt, dass es euch nicht nur um Sex geht, dann verzichtet darauf!«, war ihre knappe Antwort, die Provokation, die in der Aussage lag, deutlich in ihrer Stimme mitschwingend.
 

»Hast du sie noch alle?!«, empörte sich Uruha, doch die Aussage war weniger in Richtung der Managerin als in die des Drummers gerichtet. Dieser ignorierte ihn geflissentlich, die Augen verengt, während es in seinem Kopf angestrengt arbeitete.
 

Einen Moment war es ruhig, dann hob er herausfordernd das Kinn, eine Geste, für die Uruha ihn am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Sie bedeutete nur eins: Kai verhandelte. Und er würde sich nicht mehr vom Weg abbringen lassen.
 

»Für wie lange?«
 

»Drei Monate! – Und Aoi darf nichts erfahren. Wenn ihr ihm die Wahrheit sagt oder die Regeln brecht – und glaubt mir, das werde ich herausfinden! – dann ist es vorbei! Dann habt ihr mir eindrucksvoll bewiesen, dass ihr nichts weiter als eine Sex-Affäre seid!«
 

Kais Gesicht blieb unverändert, als er nickte – weniger eine Geste der Zustimmung als ein Signal, dass er verstanden hatte.
 

»Was ist mit Kazuki? Was spielt er für eine Rolle in der Sache?«
 

»Keine. Dass er bei Uruha einziehen wird, hat nichts mit meinem Angebot zu tun!«
 

»Er wird überhaupt nicht bei mir einziehen! Ich dachte, das hätte ich klar gemacht!«, protestierte Uruha. Es passte ihm überhaupt nicht, dass er in ihrem Gespräch übergangen wurde, als wäre er ein kleines Kind!
 

Kais Gesicht war nachdenklich, als sich ihm zuwendete, und es dauerte ein paar Sekunden, bis er ihn tatsächlich ansah.
 

»Benutz ihn doch für deine Zwecke!«, schlug er vor. »Lass ihn bei dir einziehen und überall stören, wo Aoi dir gefährlich werden könnte! Das ist die beste Entschuldigung, die du kriegen kannst!«
 

Uruha zog zornig die Augenbrauen zusammen, den Rücken so dicht an die Wand gepresst, als würde er sich in ihr verstecken wollen, und selbst ohne diese Haltung war ihm klar, dass sie inzwischen an einem Punkt angekommen waren, an dem er nicht einmal mehr wirklich zuhörte. Er war einfach nur noch dagegen! Gegen Kazuki, gegen ihre Mangerin, gegen Kai, gegen jeden Vorschlag, den er brachte – dagegen!
 

»Oh nein, ich werde meinen Cosplayer nicht bei mir einziehen lassen, nur damit ich nicht mit Aoi allein in einem Raum bin! Hast du noch alle Tassen im Schrank?! Allein die Idee ist gestört! Alles ist hier gestört!!«
 

Und zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs, wurde der Ausdruck auf Kais Gesicht schlagartig zornig. Er funkelte Uruha an, als wäre er ein begriffsstutziges Kind, dem er am liebsten eine ordentliche Ohrfeige verpassen wollte.
 

»Was ist dein Problem?!«, fauchte er leise, doch so schneidend, dass Uruha zusammenzuckte. »Erfinde irgendeine Geschichte, die es plausibel macht! Es geht um drei Monate, nicht um den Rest unseres Lebens! Bist du dir überhaupt bewusst, was der Schutz des Labels wert ist?!«
 

»Und Aoi lügen wir an?! Vergiss es! Ich lüge Aoi nicht an! – Was denkst du überhaupt, wie er reagiert, wenn wir ihn nicht mehr anfassen und keine Zeit mehr für ihn haben? Hast du überhaupt keine Skrupel, ihn anzulügen?!«
 

Er sah deutlich, dass es nur noch wenige Sekunden dauern würde, bis Kai wirklich auf ihn losging, doch es war ihm egal. Er hatte kein Problem damit, sich hier und jetzt auf einen Faustkampf mit dem anderen einzulassen, solange die Chance bestand, ihm dabei Vernunft in seinen Schädel zu prügeln!
 

»Manchmal muss man Sachen tun, die einem nicht gefallen, wenn es das Ergebnis wert ist! Und das ist es!«, antwortete Kai, die Schultern angespannt und den Kopf drohend gesenkt, und auch wenn Uruha wusste, dass er im Zweifelsfall haushoch gegen den anderen verlieren würde, würde er es gerade liebend gern darauf ankommen lassen.
 

»Du hast sie doch nicht mehr alle!«, schnaubte er, während sich seine Hände zu Fäusten ballten.
 

»Wenn Aoi sich wegen so etwas von euch trennt, dann war es von Anfang an nichts wert!«
 

Der Einwurf der Managerin war unerwartet. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Uruha und Kai ihre Worte soweit verarbeitet hatten, um zu verstehen, dass sie sich auf Uruhas vorausgegangene Aussage bezogen, was passieren würde, wenn sie Aoi plötzlich vernachlässigten. Ein tiefer Seufzer entwich der Frau, als sie ihre entsetzten Gesichter sah, und ihre Mimik wurde weicher, beinahe fürsorglich, als sie die nächsten Worte sprach.
 

»Hört zu, ich will euch nicht erpressen oder zerstören! Ich will lediglich wissen, ob es wert ist, für euch in die Bresche zu springen und möglicherweise meinen Kopf hinzuhalten! Wenn ihr eine ernsthafte Beziehung habt, dann beschütze ich euch – wenn nicht, dann ist es nichts wert und ihr müsst es zu eurem eigenen Wohl und zum Wohl der Band beenden! Denkt an Ruki und Reita! Wollt ihr sie da mit hineinziehen, wenn es auffliegt und euch das Label keine Rückendeckung gibt? Ist euch eure Freundschaft und alles, was ihr euch aufgebaut habt, nichts mehr wert?«
 

Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs war ihre Stimme beinahe flehentlich und Uruha zuckte unangenehm berührt zusammen, als sie genau den Punkt ansprach, mit dem sie ihn wirklich treffen konnte. Augenblicklich fiel die Spannung von ihm ab und auch Kai schluckte sichtlich betroffen.
 

Sie wussten beide, wie viel Gazette Ruki und Reita bedeutete, Herrgott, wie viel ihnen allen die Band bedeutete! Sie wollten sie nicht gefährden, sie wollten nicht, dass sie einen Skandal auslösten, sie wollten nicht, dass sie gezwungen waren, sich aufzulösen! Gazette war ihr Leben!
 

Einen kurzen Augenblick durchzuckte Uruha der Gedanke, ihr einfach an den Kopf zu werfen, dass Ruki und Reita ebenso zusammen waren und noch viel skandalträchtigere Dinge taten, für die sie genauso am Pranger stehen könnten wie Kai, Aoi und er – doch er verkniff es sich. Es würde keinem von ihnen helfen.
 

»Zeigt, dass ihr es wert seid, dass ich euch helfe!«, sagte sie und streckte die Hand aus. »Dann bringe ich auch den Rest der PSC dazu, euch zu helfen!«
 

»Ich lasse mich hier auf gar keinen Deal ein!« Der Trotz in Uruhas Stimme war ungebrochen, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er mit den Konsequenzen umgehen sollte.
 

Kais Augen verengten sich prüfend und er betrachtete ihre ausgestreckte Hand. Einen kurzen Moment zögerte er noch, dann seufzte er tief und die Spannung, die sich in ihm gesammelt hatte, fiel von ihm ab.
 

»Deal! Kein Sex mit Aoi für drei Monate. Und danach stehen wir unter Ihrem Schutz!«
 

Die Managerin lächelte, als er ihre Hand griff und den Vertrag besiegelte. Uruha schüttelte nur fassungslos den Kopf, die bodenlose Enttäuschung über Kais Verrat in seinem Blick nicht zu übersehen.
 

»Ihr seid das Letzte! Ich mache da nicht mit!«, stieß er hervor und grub die Zähne in die Unterlippe, als er fühlte, wie seine Gesichtsmuskeln unkontrolliert zu zucken begannen und sich Flüssigkeit in seinen Augen sammelte. Kais Hand hielt ihn zurück, als er sich abwenden wollte, und der flehende Ausdruck auf dem Gesicht des Drummers zog ihm den Brustkorb zusammen.
 

»Uruha, bitte! Wir könnten einmal alles richtig machen! Ich will mich nicht mehr verstecken! Ich will mich nicht mehr fühlen, als müsste ich mich verteidigen, dass ich euch beide liebe und Aoi mit dir teile! Wir hätten ein für alle Mal die Gewissheit, dass das, was wir haben, wert ist, beschützt zu werden!«
 

Für einen kurzen Moment war Uruha verlockt, ihm zu glauben, ihm als seinem Leader zu folgen, wie er es bis jetzt immer getan hatte. Weil Kai Recht hatte; weil Kai immer wusste, was zu tun war; weil Kai sie niemals ins Verderben führen würde.
 

Dann ergriff er den Türknopf und stürmte hinaus.
 

Tbc.
 

* * *
 

Ich habe euch so lange warten lassen! Es tut mir leid! Mein Privatleben wurde auf einmal so interessant (das ist es sonst nie!!) und dann hatte ich Schreibblockade @__@

Das nächste Kapitel wird nicht so lange auf sich warten lassen! <3
 

Love you all for comments SO SO SO SO MUCH!!!!
 

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Kapitel 20
 

»Das ist die Erklärung?«
 

Aois Worte waren leise, beinahe nicht hörbar, als Kai seine Erzählung beendet hatte. Er schluckte trocken, fühlte, wie der Speichel sich nur mühsam den Weg durch seine Kehle bahnte und schon auf der Hälfte des Weges versiegte. Seine Hände begannen zu zittern, und als sich Kai neben ihm bewegte, durchfuhr ihn ein so unangenehmer Schauer, dass er beinahe aus dem Bett herauspurzelte, so stark war der Impuls zur Flucht. Hastig raffte er die Bettdecke um sich, sich nicht darum kümmernd, dass Kazuki verlegen den Blick senkte, als Kai einige Sekunden brauchte, um das verbleibende Laken so weit über sich zu ziehen, dass es seinen nackten Körper verdeckte. Aois Augen rasten über den Boden, als er aus dem Bett sprang, suchten nach seiner Kleidung, dem einzigen Schutzschild, das ihm in den Sinn kommen wollte. Eine Welle der Erleichterung breitete sich in ihm aus, als er sie schließlich auf einem Stuhl entdeckte, doch als ihm klar wurde, dass er an Uruha vorbei musste, um sie zu bekommen, verließ ihn jeder Funken Antrieb und seine Bewegung erstarrte.
 

Keine zehn Pferde würden ihn zu dem Verräter führen. Er war verloren. Entblößt, umzingelt von Feinden und ohne Ausweg. Es war irrational, doch genau so fühlte er sich in diesem Moment.
 

»Aoi«, begann Uruha, doch eine ruckartige Handbewegung des schwarzhaarigen Gitarristen schnitt ihm das Wort im Mund ab, ehe er beinahe über den Tropf stolperte, als sich sein Körper wie das Blatt einer Mimose zusammenzog und sich instinktiv so weit wie möglich von Uruha und Kai in Sicherheit brachte.
 

Die Wand, an die er sich drückte, war keine zwei Meter entfernt. Denn das Zimmer war klein und die Tür von Uruha blockiert. Es reichte nicht im Geringsten aus, um die Übelkeit und Panik, die Aoi mit jeder Sekunde mehr überrollte, zu tilgen.
 

Das war sie also. Die Erklärung. Die Erklärung für all die seltsamen, missverständlichen Dinge, die in den letzten Wochen passiert waren. Wie viele waren es, vier, sechs? Wie konnten es zwei Menschen schaffen, in solch kurzer Zeit ein solches Chaos anzurichten – ganz gleich, ob sie es mit guten Absichten getan hatten oder nicht. Hatten sie tatsächlich gedacht, ihr Versteckspiel drei Monate unbemerkt durchziehen zu können?! Sie hatten sich auf einen Deal mit dem Teufel eingelassen, und anstatt ihm zu vertrauen und ihn einzuweihen, hatten sie ihn hintergangen und belogen.
 

»Aoi!«, begann Uruha erneut, das Gesicht verzerrt vor Sorge und Schuldgefühlen, und diesmal machte er einen Schritt auf den Gitarristen zu und streckte die Hand nach ihm aus.
 

Und dann geschah alles so schnell, dass Aoi gar nicht begreifen konnte, was er tat. Uruhas Hand berührte seine Schulter, ein Blitzschlag zuckte von den kühlen Fingerspitzen durch seine Synapsen und auf einmal schnellte seine Faust nach vorn und traf den Jüngeren so hart im Gesicht, dass dieser mit einem gedämpften Laut nach hinten taumelte und einen kleinen Beistelltisch mit seinem Gewicht zu Boden riss.
 

Er blieb regungslos liegen und Aoi schnappte nach Luft, als ihn erst der Schmerz des Schlages in seinen Fingerknöcheln begreifen ließ, was er soeben getan hatte. Kais Augen waren schreckgeweitet, sein Kiefer ebenso wie Kazukis vor Überraschung und Entsetzen aufgerissen, und für ein paar Sekunden rührte sich keiner von ihnen, bis mit einem Mal ein Ruck durch Kazuki ging und er auf Uruha zustürzte.
 

Nur am Rande bekam Aoi mit, wie er den Gitarristen, den der Schlag fast ausgeknockt hatte, rüttelte und auf ihn einredete, doch jedes Quäntchen Schuldgefühl oder Sorge, das normalerweise in dieser Situation in ihm aufgeflammt wäre, blieb still. Er ließ die Fingerknöchel knacken und warf Kai einen finsteren Blick zu, so dass ihn dieser, als er ihn bemerkte, so verängstigt anstarrte wie ein Kaninchen die Schlange.
 

»Sei froh, dass du eine Gehirnerschütterung hast!«, zischte Aoi, und er musste den Satz nicht vollenden, um seine Drohung ihre Wirkung entfalten zu lassen. Kai nickte wie betäubt, und rutschte unbewusst ein paar Zentimeter zurück, während sich die Härchen auf seinen Armen sichtbar aufstellten.
 

»Bist du total bescheuert; du hättest ihn ernsthaft verletzen könnten!«, schimpfte Kazuki aufgebracht, als Uruha endlich auf sein Schütteln reagierte und sich mit einem schmerzvollen Laut auf dem Boden wand und krümmte. Die einzige Reaktion, die er bei Aoi auslöste, war ein abfälliges Schnauben, ehe er den Blick abwendete und sich für einen kurzen Moment absolut fantastisch fühlte. Denn genau das hatte er jetzt gebraucht!
 

Er war wütend, betäubt, enttäuscht, ausgeblutet, hintergangen und erschöpft – es war ein so großes Chaos, dass er nicht einmal für eine Sekunde ein klares Gefühl herausfiltern konnte – doch Gott, hatte sich der Schlag gut angefühlt! Es war keine Entschädigung für die Angst, die er in den letzten Wochen ausgestanden hatte, die Berg- und Talfahrt, durch die sie ihn täglich aufs Neue gejagt hatten, bis schließlich alles in Kais Wohnung eskaliert war – doch es hatte sich gut angefühlt. Und das war in Aois Augen Rechtfertigung genug.
 

»Du kannst froh sein, dass ich nur einmal zugeschlagen habe«, erwiderte er, selbst ein wenig verwundert über die Kälte in seiner Stimme. Er weigerte sich, auch nur auf den Gedanken zu kommen, dass es ihm in wenigen Momenten leid tun könnte.
 

Kazuki sah ihn entsetzt an, ehe sich seine Stirn zornig zusammenzog, doch Aoi hätte es nicht weniger interessieren können. Er hätte am liebsten wider besseren Wissens weiter zugeschlagen, so lange auf irgendjemanden oder irgendetwas eingeprügelt, bis die wilden Emotionen, die hinter seiner eisigen Schale brodelten, kompensiert waren. Doch zum Glück hinderte ihn seine verbliebene Vernunft daran.
 

Uruha rollte sich leise jammernd auf die Seite und wischte sich das Blut vom Gesicht, das sich aus seiner angeschlagenen Nase tropfte. Kazuki brauchte ganze 20 Sekunden, um zu seiner Tasche zu sprinten und ihm ein Taschentuch aufzudrücken, um die Blutung zu stoppen. Die kleine Geste reichte aus, um Aoi ernsthaft in Versuchung zu führen, ihm seine eigene blutige Nase zu bereiten.
 

Nur langsam schien Uruha zu begreifen, was gerade geschehen war. Doch er setzte nicht einmal zum Versuch an, einen Gegenangriff zu starten, sondern hatte die Augen gesenkt, nicht wagend, Aoi anzusehen, dessen Brustkorb sich mit einem Mal schmerzhaft zusammenzog, als er zum ersten Mal seit Minuten die unangenehme Stille fühlte, die er ausgelöst hatte.
 

Weder Kai noch Uruha wagten es, ihn anzusehen, waren schockgefroren, als würde selbst die kleinste Bewegung eine Landmine auslösen, und nur Kazuki durchbohrte ihn mit tödlichen Blicken.
 

»Wäre ich euch wirklich so wichtig, wie ihr behauptet, hättet ihr mich überhaupt nicht erst durch so einen Höllentrip geschickt!«, sagte Aoi schließlich, doch seine Stimme war lange nicht so schneidend und fest, wie er geglaubt hätte.
 

Denn er war nicht nur wütend. Zu einem kleinen, einem winzigen Teil war er so erleichtert, dass er am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre.
 

»Du hast sie gerade wirklich nicht mehr alle, oder?!«, ließ sich erneut Kazuki vernehmen, blind gegenüber der angespannten Situation zwischen den drei anderen. »Ihr habt sie alle nicht mehr! Die gesamte PSC ist verrückt! Deals und Videokameras und Versteckspiele! Ich dachte mir ja schon eine Weile, dass hier irgendwas nicht stimmt, aber das ist doch nicht normal! Spielen wir hier in einem Dorama mit, oder was? Bei was für einem Verein habe ich hier eigentlich unterschrieben?!«
 

Er tupfte mit dem Taschentuch etwas zu aufgebracht an Uruhas Nase herum, so dass dieser schmerzhaft zischte. Aoi konnte sich nur im letzten Augenblick zusammenreißen, dem rothaarigen Gitarristen mit dem Tropf eins überzuziehen.
 

»Das sagt derjenige, der das Label erpresst, um bei meinem Freund einziehen!«, giftete er zurück und sah triumphierend, wie Kazukis Stirn ertappt zuckte, ehe er sich aufrichtete und die Arme vor der Brust verschränkte, um sich zu verteidigen. Doch Aoi war noch nicht fertig. Noch bevor der andere auch nur die Möglichkeit hatte, ein Wort zu sprechen, schritt er angriffslustig auf ihn zu, sich nicht im Geringsten von der Tatsache beirren lassend, dass er noch immer nur mit einer Bettdecke bekleidet war, und drängte ihn nach hinten.
 

»Du hältst dich hier gefälligst raus!«, zischte er leise und drohend. »Unsere Angelegenheiten gehen dich einen Scheißdreck an! Ich habe langsam genug von dir! Verschwinde, bevor ich dir auch eine reinhaue! Und wenn wir schon mal dabei sind – lass die Finger von Uruha!«
 

Kazukis Kiefer klappte nach unten, doch anstatt eingeschüchtert zu sein, flammte in seinen Augen Trotz auf.
 

»Hast du dich nicht gerade von Uruha getrennt?!«, fragte er und schubste Aoi herausfordernd gegen die Schulter. »Oder drückst du deine Zuneigung immer damit aus, dass du deinem Freund die Nase blutig schlägst?! So wie ich das verstanden habe, hast du sie gerade vor die Tür gesetzt, weil sie dich hintergangen haben, anstatt ihnen für ihren Liebesbeweis um den Hals zu fallen! Meinetwegen, tu, was du willst!« Ein schiefes Grinsen zog seinen Mundwinkel nach oben und er wippte provozierend mit den Augenbrauen. »Wenn du Uruha nicht mehr willst, dann nehme ich ihn! Und glaub mir, ich werde ihn viel besser behandeln, als-«
 

Ein harter Schlag traf ihn mitten ins Gesicht und ließ ihn zurücktaumeln, so dass er neben Uruha in die Knie sank.
 

»Was zur Hölle!«, fluchte er, und tastete über die schmerzende Wange, um das Ausmaß der Verletzung abzuschätzen, doch im Gegensatz zu Uruha war er noch relativ glimpflich davongekommen. »Willst du, dass ich dich umbringe?!«, drohte er und griff nach etwas, um sich aufzurichten, doch sein angeschlagener Gleichgewichtssinn hielt ihn davon ab, so dass er nur kurz taumelte und dann wieder zurücksank.
 

Der Blick, mit dem Aoi ihn durchbohrte, war tödlich.
 

»Ich schlage Typen die Nase blutig, die mich gerade ankotzen! Und ich schlage nochmal zu, wenn es sein muss!«, grollte er und ließ die Fingerknöchel knacken. Seine ungeübte Schlaghand tat mehr weh, als ihm lieb war, so dass er diese Drohung wohl eher nicht wahrmachen würde, doch allein die Tatsache, dass Kazuki sichtlich eingeschüchtert verharrte, war Lohn genug. Er hatte keine Ahnung, woher seine gewalttätigen Ambitionen auf einmal kamen, aber sie auszuleben, fühlte sich gerade äußerst befriedigend an!
 

Der Rothaarige schnaubte nur leise, und versuchte mit seinen Fingerspitzen seine brennende Wange zu kühlen. Ein klein wenig hatte Aoi auf Gegenwehr gehofft, denn die Worte hatten ihn erneut so sehr aufgebracht, dass er beinahe explodierte. Sein Blick huschte über Kai, der wie vom Donner gerührt im Bett saß, zu Uruha auf dem Boden, und mit einem Mal platzten die Emotionen einfach aus ihm heraus.
 

»Verstehst du es einfach nicht?«, schrie er Kazuki an, seine Stimme so laut, dass man es selbst auf dem Gang hören musste. »Geht es nicht in deinen Kopf hinein?! Ich liebe sie! Egal, was sie für einen Scheiß abziehen, oder ob sie sich wie die größten Volltrottel aufführen, oder es verdienen, dass ich ihnen eine reinhaue – ich liebe sie immer noch! Es ist nicht so, als hätten sie jemanden umgebracht, und spätestens morgen werde ich ihnen verzeihen und wir werden darüber reden und es irgendwie wieder in den Griff bekommen! Oh ja, ich werde sie bestrafen, dass sie mich so hinters Licht geführt haben, aber deswegen lasse ich sie nicht einfach fallen! Wir gehören zusammen und nichts und niemand kann uns jemals wieder auseinanderbringen! Nicht du, nicht die PS Company, nicht die Fans, nicht die Medien, niemand! Ich kann es dir buchstabieren, wenn du willst, oder aufmalen oder als Video schicken, wenn du es dann besser verstehst! Hier wird sich gar niemand trennen!«
 

Er atmete schwer, als er die letzten Worte gesprochen hatte und merkte unangenehm berührt, dass ihn seine eigene Ansprache so aufgewühlt hatte, dass er zitterte.
 

Kazuki sah ihn mit großen Augen an, einen Moment vollkommen regungslos, ehe mit einem Mal alle Kraft aus seinem Körper zu verschwinden schien. Seine Schultern sanken ein, seine Gesichtsmuskeln entgleisten ihm und seine Lippen begannen zu zittern. Er hatte die Augen auf Aoi gerichtet, doch sein Blick war unfokussiert, als würde er ihn nicht einmal wahrnehmen.
 

»Ok«, sagte er schließlich leise, noch nicht einmal versuchend, die Resignation zu verbergen, die in seiner kaum hörbaren Stimme lag. »Ich habe verstanden… Ich habe verstanden…«
 

Aoi rang nach Luft, beinahe darauf gefasst, dass es ein Trick war, um ihn aus der Bahn zu werfen, doch als Kazuki sich langsam aufrichtete, so mühsam, als würde ihm jede Bewegung eine Qual sein, kam ihm der Verdacht, dass seine Worte tatsächlich Wirkung gezeigt haben könnten. Er sah den Blick, den Kazuki ihnen dreien zu warf, sah, wie er für eine Sekunde zu lang auf Uruha und ihm hing, ehe Flüssigkeit die Konturen der dunklen Pupillen verschwimmen ließ und er den Kopf abwendete.
 

»Ich habe verstanden«, sagte er erneut, mehr zu sich selbst als zu Aoi, ehe er die Tür öffnete.
 

Das leise Klicken, als sie hinter ihm ins Schloss fiel, war der einzige Laut, der in den nächsten zwei Minuten zu hören war. Die Stille fror sie ein wie kurz nach der fatalen Offenbarung. Aoi wagte nicht, sich zu bewegen, die Hände noch immer zu Fäusten geballt, doch sein Zorn war komplett verflogen. Nun fühlte er sich nur noch ausgeliefert.
 

Kai war der erste, der das Schweigen brach.
 

»Hast du das gerade ernst gemeint?«, fragte er mit heiserer Stimme.
 

Aoi schluckte trocken, die Frage wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf. Hatte er es ernst gemeint? Ja. Wie gern hätte er das Gegenteil behauptet, um seinen Stolz zu wahren, doch er konnte und wollte es nicht zurücknehmen.
 

Vorsichtig nickte er, den Kopf noch immer abgewendet, und als ein leises »Ja…« seine Lippen verließ, dauerte es keine zwei Sekunden, bis ihn starke Arme umfingen und sich ein warmer Körper so eng an ihn klammerte, dass es ihm die Luft aus der Lunge presste.
 

»Ich liebe dich, ich liebe dich so sehr!«, flüsterte Uruha in seinen Nacken, und die Verzweiflung, mit der er sich an ihn klammerte, trieb Aoi urplötzlich die Tränen in die Augen. Er rang nach Atem, sein Herzschlag so laut, dass er glaubte, das ganze Krankenhaus müsse ihn hören, ehe seine Hände beinahe von selbst nach Uruhas Armen griffen und sie noch enger um sich zogen. Das Gefühl, das seinen Brustkorb zusammenschnürte, nahm zu und gleichzeitig ab, und ließ ihn sich so schwerelos fühlen, dass es ihm beinahe vorkam, als würde nur Uruhas Gewicht ihn noch auf dem Boden halten.
 

Schneller als er reagieren konnte, wurde er umgedreht, und nur wenige Sekunden später war auch Kai so nah wie Uruha an ihn gepresst. Er konnte das Trommeln ihrer Herzen hören, ihren Puls in den Adern ihrer Arme, mit denen sie ihn umfassten, rasen spüren. Hände griffen nach den seinen, verschränkten ihre Finger ineinander; die Decke entglitt ihm und wurde nur durch die Nähe ihrer Körper gehalten; ein Kopf vergrub sich in seinem Nacken und heißer, rascher Atem ließ ihn erschaudern. Tausend kleine Sinneseindrücke rasten auf einmal auf ihn hernieder, überschlugen sich in seinem Bauch und ließen jeden Gedanken, den er noch bis soeben gehabt hatte, verschwinden.
 

Die Maschinen piepsten protestierend und Aoi bemerkte, dass Kai schlichtweg die Kabel aus ihnen herausgezogen hatte, die nun lose an den Anschlüssen in seinem Unterarm baumelten, ehe er es wieder vergaß und sich dem warmen, allumfassenden Gefühl hingab, das sie einschloss. Er sog ihren Geruch ein, drückte ihre Hände, rieb seine Wange an jedem Millimeter Haut, den er erreichen konnte – und als sich schließlich Lippen auf die seinen legten, hauchzart wie die Berührung eines Blütenblatts, brachen auch seine letzten Dämme gegen die Sturzflut von Emotionen.
 

Er wusste nicht, wer ihn zuerst küsste. Sein Kopf wurde gedreht und erneut wurden seine Lippen verschlossen, ehe sich das Spiel wiederholte, wieder und wieder. Es war nicht verlangend, es war nicht leidenschaftlich, es war die bloße Berührung ihrer Lippen, so sanft und gleichzeitig so verzweifelt, dass Aoi seine abgehackte Atmung nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Er kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger, der endlich gerettet worden war und in den Armen der Menschen lag, nach denen er sich wochenlang gesehnt und die er nun endlich wiedergefunden hatte.
 

Und obwohl sie kein Wort sprachen, wusste er genau, dass sie sich in diesem Moment mehr verstanden als all die letzten Monate zusammen.
 

»Jagt mir nie wieder so einen Schrecken ein!«, flüsterte er schließlich mit erstickter Stimme. Lippen hasteten über seine Schultern, seinen Hals, seine Arme, seine Wangen, und die vielen Versprechen, die leise gemurmelt an sein Ohr drangen, verlangten ihm alle Selbstbeherrschung ab, nicht in Tränen auszubrechen.
 

Irgendwann verstummten sie, ebenso wie ihre Bewegungen. Doch diesmal waren sie nicht eingefroren. Sie ruhten aneinander, die Augen geschlossen und dem gleichmäßigen Atem der anderen lauschend. Aoi ließ seinen Kopf an eine Schulter sinken und bemerkte plötzlich, wie sehr die letzten Wochen an seiner Kraft gezehrt hatten. Er war erschöpft und zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl, sich tatsächlich zu erholen.
 

Gedanken begannen träge und zusammenhangslos durch seinen Kopf zu gleiten. Ob er Uruha schwer verletzt hatte? Er würde sich um seine Wunde kümmern müssen. Ob die Krankenschwestern wohl mit Kai schimpfen würden? Durfte er überhaupt einfach so seine Schläuche herausziehen? Wie könnte er es anstellen, Uruha und Kai zu überreden, mit ihm zusammenzuziehen? Sie bräuchten ein Bett, ein großes Bett…
 

»Ihr seid solche Idioten!«, sagte er schließlich und lachte leise, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen.
 

Er sah, wie Kai, der vor ihm stand, beschämt das Gesicht verzog, während sich Uruhas Arme fester um ihn schlossen. Es bog seine Mundwinkel zu einem warmen Lächeln nach oben, und als seine Fingerspitzen über die weiche Haut ihrer Wangen kosten, die feuchten Tränenspuren beiseite wischten, von denen er überhaupt nicht bemerkt hatte, wann sie entstanden waren, wusste er, dass sie verstanden hatten, dass er ihnen verzieh.
 

»Ich will nach Hause!«, sagte er leise, als ihm ein plötzlicher kühler Luftzug bewusst machte, dass er noch immer entkleidet in einem sterilen Krankenzimmer zwischen Krankenbett und piepsenden Maschinen stand. Das war nicht die Umgebung, in der er ihre Versöhnung feiern wollte.
 

»Was tun wir jetzt?«, sprach Uruha plötzlich die Frage aus, von der Aois Geist sich bisher geweigert hatte, sie auch nur zu denken.
 

Er hatte keine Ahnung. Sie hatten den Deal gebrochen. Mussten sie sich jetzt trennen?
 

»Ich gebe keinen von euch kampflos auf!«, sagte Kai, so viel Entschlossenheit im Blick, dass Aoi und Uruha augenblicklich nickten, der Führung ihres Leaders folgend, auch wenn sie ahnten, dass er ebenso wenig einen konkreten Plan hatte wie sie. Alles, was Aoi wusste, war, dass er Recht hatte. Keiner von ihnen würde kampflos aufgeben. Das, was sie hatten, war das Bedeutendste, was ihm in seinem ganzen Leben passiert war. Und wenn es die einzige Lösung war, würde er alles andere, was er besaß, dafür ohne Zögern opfern.
 

Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken, und als er sah, dass Kazuki in der Tür stand, bereute er, ihm nicht in dem Moment mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben, als er die Möglichkeit gehabt hatte.
 

»Was willst du denn schon wieder?!«, fauchte er, die Augen zu Schlitzen verengt, als würde er dem anderen am liebsten an die Gurgel springen. Kazuki schnaubte nur abfällig und wendete sich dann zur Überraschung aller Kai zu.
 

»Ich wollte euch lediglich warnen, dass eure Managerin im Anmarsch ist, um dich abzuholen!«, sagte er. »Ich habe sie an der Rezeption gesehen, wie sie die Papiere ausgefüllt hat.«
 

Einen kurzen Moment verstummten sie und erstarrten zu Stein, dann kam Leben in sie.
 

»Shit, wir müssen hier raus; sie darf uns nicht erwischen!«, fluchte Uruha, plötzlich in Panik, ehe er abrupt stoppte. »Shit!« Die Farbe wich aus seinem Gesicht, als er bemerkte, dass er aus purem Instinkt reagiert hatte und kein Fluchtversuch der Welt jetzt noch helfen würde. »Sie weiß ja eh schon alles! Oh Gott… Sie weiß ja eh schon alles…«
 

Seine Augen suchten nach Kai, welcher die Fäuste ballte, die Gesichtsmuskeln so fest angespannt, dass die Adern an seinen Schläfen pulsierten, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er vollkommen von der plötzlichen Wendung überfordert war.
 

Auch Aoi war fix und fertig mit den Nerven, und Uruha, der panisch im Zimmer auf- und abzulaufen begonnen hatte, half ihm dabei kein bisschen! Das war zu viel für ihn! Er hatte vor nicht einmal dreißig Minuten erfahren müssen, dass seine Freunde einen Deal mit der PSC abgeschlossen hatten und er ihn mit Kai gebrochen hatte; hatte sie gehasst, ihnen verziehen; war durch einen Sturm an Emotionen gejagt wurden; hatte in einem Anfall von todesmutiger Kampflust den Entschluss gefasst, notfalls gegen die gesamte Welt anzutreten – und nun verlangten sie von ihm, dass er sich ohne Vorbereitung der nächsten Konfrontation stellte?! Das war zu viel!
 

»Das ist zu viel! Ich kann das nicht!«, hauchte er und fühlte, wie auf einmal ohne jegliche Vorwarnung Tränen in seine Augen traten und seine Atmung und seine Hände zu zittern begannen. Jetzt weinte er?! Ausgerechnet jetzt?! Konnte sich sein Körper keinen besseren Zeitpunkt aussuchen, um ihn in den lange überfälligen Nervenzusammenbruch zu stoßen?!
 

Er wusste, dass er dem Gespräch mit der Managerin nicht ewig aus dem Weg gehen können würde, aber er hatte zumindest gehofft, die Zeit zu haben, sich annähernd etwas wie einen Schlachtplan überlegen zu können! Herrgott, er wollte es wenigstens nicht in dem Zimmer tun, in dem sie noch vor wenigen Stunden Sex gehabt hatten! Die Spuren waren nicht beseitigt, er hatte noch immer nichts an, Kai war mit einem Bettlaken bekleidet, und Uruha durchquerte zum zehnten Mal mit drei Schritten das Krankenzimmer.
 

Es war Kazuki, der ihre Panik abrupt zu einem Ende brachte.
 

»Sie weiß nicht, was passiert ist.«
 

Uruha erstarrte, die Hände in den zerrauften Haaren, Aoi klappte die Kinnlade herunter und Kai wäre beinahe das Laken entglitten. Ein paar Sekunden starrten sie ihn in einer Mischung aus Verwirrung und Argwohn an, dann zog Aoi die Stirn in Falten.
 

»Wie, sie weiß nichts?«, fragte er, sicher, dass dies nur wieder einer von Kazukis Tricks war.
 

Der Rothaarige schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, und obwohl er vermutlich nicht einmal die Absicht dazu hatte, fühlte sich Aoi durch diese kleine Geste, als wäre er soeben in eine Falle getappt.
 

»Ich habe den Security bestochen, nachdem ich die Kamera entdeckt hatte«, erklärte der Gitarrist mit ruhiger Stimme. Er schien der einzige von ihnen zu sein, der die Ruhe bewahren konnte, während Aoi vor ohnmächtiger Anspannung am liebsten laut aufgeschrien hätte. »Ich wusste nicht, wer sie in Auftrag gegeben hat, aber um es herauszufinden, habe ich alles abgefangen und es als technische Störung tarnen lassen. Ich bin der einzige, der weiß, was in diesem Krankenzimmer geschehen ist. Wenn ich ihr die Videobänder nicht gebe, wird es niemals jemand erfahren. Ihr könntet den Deal zu Ende führen und hättet den Schutz des Labels.«
 

Sein Blick wanderte von einem zum anderen, nachdem er die letzten Worte mehr zu sich selbst als zu ihnen gesprochen hatte, und blieb schließlich auf Uruha hängen, die Sehnsucht deutlich in seinen dunklen Augen. Und während Uruha ein paar Sekunden brauchte, bis er realisierte, welche Bedeutung in seinen Worten lag, wurde Aoi augenblicklich schlecht.
 

Er hatte die Drohung verstanden. Eine eisige Hand umfasste sein Herz, als er mit Grauen realisierte, das das Schlimmste eingetreten war, was ihnen hätte passieren können. Was taten Menschen in Filmen, wenn ihnen so etwas passierte? Könnte er Kazukis Leiche und mit ihm ihr Geheimnis innerhalb der nächsten fünf Minuten unauffällig verschwinden lassen?
 

Aoi hätte beinahe über sich gelacht, doch obwohl ihm der Gedanke mehr gefiel, als er sich eingestehen wollte, verwarf er ihn sogleich wieder. Er war darauf eingestellt gewesen, mit einer oder mehreren Personen verhandeln zu müssen, mit ihrer Managerin, dem Label, – mit schlechter Ausgangslage, keinem Ass im Ärmel und der Aussicht auf schmerzhafte Verluste. Doch Kazuki war ein noch viel gefährlicherer Verhandlungspartner.
 

Aoi spürte, wie sich sein Magen umdrehte und ihm bittere Galle durch die Kehle jagte, als er sich eingestehen musste, dass er in dieser Situation nicht nur mit ein paar Blessuren davonkommen würde. Er sah nicht einmal die geringste Möglichkeit, Kazuki nach all dem, was er ihm in den letzten Wochen und vor allem in der letzten halben Stunde an den Kopf geworfen hatte, auf seine Seite zu ziehen. Ihr Kampf würde blutig werden, sehr blutig!
 

Ihr Schicksal lag in der Hand seines Erzfeindes. Und sein Erzfeind wollte nur eines: Uruha.
 

tbc.
 


 

~*~*~*~*~

Vielen Dank, dass ihr so lange auf dieses Kapitel gewartet habt! Wer mein Twitter liest, weiß, dass ich nach Berlin umgezogen bin und deshalb unglaublich viel zu tun hatte.

Aber wir nähern uns dem Finale! Dies ist eines der letzten Kapitel (vielleicht sogar das vorletzte)! Einerseits freue ich mich, dass ich die Geschichte bald vollenden kann, andererseits ist es traurig, Abschied nehmen zu müssen. Ich kann noch nicht sagen, was ich danach plane. Ich möchte mir jemanden suchen, der meine Webseite überarbeitet. Und ein paar alte Sachen von mir überarbeiten, bevor ich etwas Neues anfange.

Ich habe so wenig Zeit ;__; Ich wünschte mir, ich könnte mir mal ein Jahr frei nehmen und nur schreiben.
 

Vielen Dank an alle, die mich bis zum letzten Kapitel begleiten! <3 <3 <3

Ich schaffe es nicht immer, auf Kommentare zu antworten, aber ich freue mich unglaublich über jedes einzelne!!!!! Vielen, vielen Dank!

Kapitel 21

 

Es kam selten vor, dass Aoi sein Gefühl für Zeit verlor. Er konnte sich nicht erinnern, mehr als ein, zwei Mal in seinem Leben verschlafen oder den Zug verpasst zu haben, weil er das Haus zu spät verließ. Der einzige Moment, in dem er sich fallen ließ, in dem es ihm vorkam, als würden die Konturen der Minuten und Stunden zu einem bunten Treiben verschwimmen, war auf der Bühne, wenn die Saiten unter seinen Fingern spannten und ihn die bunten flackernden Lichter ganz wirr machten, so dass er das Gefühl hatte, der erste Song und die Abschiedsworte seien nur ein paar Atemzüge voneinander entfernt.
 

Nein, er war kein Mensch, dessen Welt plötzlich stehen blieb oder sich schneller drehte als zuvor. Doch die letzten Wochen waren so kräftezehrend gewesen, die Hoffnung, dass endlich alles ein Ende haben würde, so winzig, dass jedes Wort ihn in ein neues Chaos zu werfen schien.
 

»Ich bin der Einzige, der weiß, was in diesem Krankenzimmer geschehen ist. Wenn ich ihr die Videobänder nicht gebe, wird es niemals jemand erfahren. Ihr könntet den Deal zu Ende führen und hättet den Schutz des Labels…«
 

Die Sekunden, in denen er nach Kazukis Worten in Schrecken verharrte, kamen ihm auf einmal wie eine Stunde vor. Er merkte beinahe nicht, wie er sich schützend vor Uruha stellte, die Finger nach den seinen suchend und sie hastig verschränkend, ohne den Blick auch nur einen Wimpernschlag von Kazuki zu wenden. Sein Innerstes, in dem noch vor wenigen Minuten unkontrollierte Wut gebrodelt hatte, war wie leergefegt, und alles, was er noch spürte, war Panik und Angst. Es war, als hätte Kazuki ihnen einen Strohhalm gereicht, einen Rettungsanker – nur um ihn sogleich wieder wegzuziehen. Und die Hilflosigkeit, die er damit in Aoi ausgelöst hatte, war so stark, dass ihm plötzlich alles entglitt. Uruhas Hand war das einzige, was ihn noch hielt, und als Kazukis Blick sich darauf richtete, fühlte er sich wie ein Lamm, dass zum Schlächter geführt wurde.
 

Auf dem Gesicht des Rothaarigen, das bis eben in tiefe Gedankenfalten gezogen gewesen war, erschien ein seltsamer Ausdruck, beinahe Verwunderung, ehe er mit einem Mal die Augen weitete und die Hände hob.
 

»Shit, nein, das war nicht das, was ich…«, begann er, stoppte jedoch, bevor Aoi auch nur ansatzweise verstehen konnte, was er ihnen damit sagen wollte.

Seine Welt drehte sich verlangsamt, als er sah, wie Kazuki der Schweiß auf die Stirn trat und seine Bewegungen fahrig wurden, ehe er mit einem Mal so hart mit dem Fuß auf den Boden stampfte, dass sie alle drei vor Schrecken zusammenzuckten.
 

»Verdammte Scheiße!«, fluchte der Jüngste und hieb mit der Faust in die Luft, das Gesicht so schmerzhaft verzerrt, als hätte ihn der Schlag selbst getroffen. Tränen begannen sich in seinen Augen zu sammeln und er wischte sie zornig weg, doch noch bevor Aoi auch nur beginnen konnte, sich darüber Gedanken zu machen, was zum Teufel für ein innerer Konflikt in dem anderen tobte, hatte dieser die Tür aufgerissen. Sein Körper setzte an, hinauszustürmen, doch schon nach Sekundenbruchteilen erstarrte er, den Blick in Richtung Fahrstuhl gerichtet, ehe er zurückzuckte, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen, und die Tür zuschlug.
 

»Fuck! Sie ist da!«
 

Seine Augen waren mindestens genauso geweitet wie Aois, dessen Magen sich mit einem Mal umdrehte. Seine Hand verkrampfte sich um Uruhas Finger, als ihm in Sekundenbruchteilen klar wurde, dass sie nicht mehr fliehen konnten. Das Krankenzimmer lag direkt in einer Sackgasse, es gab keine Abstellkammern, keine dunklen Ecken, hinter denen man sich verstecken konnte, keinen Weg vorbei in eine andere Etage als durch den Fahrstuhl oder an diesem vorbei.
 

Sie hatten noch ganze dreißig Sekunden Zeit, und mit einem Mal stieg Aoi der eindeutige Geruch von Sex in die Nase, den er zuvor gekonnt ausgeblendet hatte. Er sah das zerwühlte Bett, das keinerlei Spielraum für Spekulationen bot, und für einen kurzen Atemzug wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Dann fühlte er, wie sich eine Hand um sein Handgelenk schloss und ihn grob zur Seite riss. Ungelenk stolperte er hinterher, fühlte, wie sein Rücken mit der Wand neben der Tür kollidierte, ehe ihm die Decke weggerissen und Uruha gegen seinen nackten Brustkorb geschubst wurde.
 

»Halt bloß die Klappe!«, fauchte Kazuki ihn an, als er überrascht aufschreien wollte, und warf ihnen einen eisigen Blick zu, der jedes Widerwort sofort verstummen ließ, ehe er sich Kai zuwandte, der vor Schreck einen Schritt zurückwich.
 

»Du!«, zischte er schneidend, den Zeigefinger drohend ausgestreckt. »Bett! Sofort!«
 

Kai rührte sich keinen Millimeter, erstarrt wie ein Kaninchen vor der Schlange, die Knöchel seiner in das Bettlaken verkrampften Finger weiß vor Anspannung.

»Mach schon!«, schimpfte Kazuki mit einem Mal laut, packte ihn und schubste ihn in Richtung des Bettes, während er sich das T-Shirt über den Kopf zerrte und ihm nur wenige Sekunden später folgte. Er drückte ihn mit dem Rücken auf das Kissen, zerrte das Bettlaken von Kais nacktem Körper, dessen Protestschrei gekonnt ignorierend, ehe er die Bettdecke bis zur Hüfte über sie zog.
 

»Ein Mucks und du bist tot!«, drohte er mit so schneidender Stimme, dass der Leader hörbar die Luft einsog und ihn anstarrte, als würde er ihm diese Drohung tatsächlich zutrauen, Verwirrung deutlich im Blick – bis sich mit einem Mal Kazukis Lippen auf die seinen senkten. Sein Körper bäumte sich auf, wehrte sich instinktiv gegen den überraschenden Angriff, doch Kazukis Hände drückten seine Schultern nach unten und ließen ihm keine Möglichkeit zur Flucht.
 

Auch Aoi fuhr zusammen, als hätte ihn ein Blitz getroffen, und schneller, als er begreifen konnte, sah er rot. Sein Mund öffnete sich, um den anderen zu beschimpfen, und seine Muskeln spannten sich bis zum Anschlag an, um auf ihn loszugehen und seinen Kopf an der Wand zu zertrümmern, dafür, dass er es nun auch auf seinen anderen Freund abgesehen hatte – doch Uruhas Hand, die plötzlich auf seinem Mund war, ihm das Wort abschnitt und ihn grob zurückriss, hielt ihn auf. Nur Sekunden bevor sich die Tür öffnete.
 

»Kai, deine Papiere sind fertig und-«
 

Ein schrilles Kreischen ertönte, ehe die Tür sich ebenso schnell wieder schloss, wie die Managerin sie geöffnet hatte.
 

»Oh mein Gott!«, tönten ihre gejapsten Worte gedämpft durch die Milchglasscheibe hindurch und sie schien ein paar Schritte auf und ab zu laufen, ehe sie zum Stehen kam.
 

Aois Körper war wie eingefroren, seine Finger in Uruhas Arm verkrampft, dessen Hand sich noch immer so fest auf seinen Mund presst, als könnte auch er seine Anspannung nicht einmal ansatzweise unter Kontrolle halten. Aoi bemerkte nicht einmal, wie er für ein paar Momente zu atmen vergaß. Erst als ihm beinahe schwarz vor Augen wurde, besann er sich, dass Sauerstoff für seinen Körper eine zwingende Notwendigkeit war, und erlaubte sich ein paar lautlose Atemzüge durch die Nase, nicht wagend, sich gegen Uruhas stählernen Griff zu wehren.
 

Ein paar Sekunden war es ruhig, zu ruhig, ehe ein leises Klopfen an der Scheibe ihn und Uruha erneut zusammenzucken ließ. Aoi spürte, wie der Größere bebte, und er zog ihn unbewusst näher, nicht wissend, ob es war, weil er ihn beruhigen wollte, oder aus bloßer Angst, entdeckt zu werden.
 

»Kai?«, fragte die leise Frauenstimme und ein leises Knacken ertönte, als sie die Tür vorsichtig einen Spalt öffnete. Das Milchglas näherte sich Aoi, und er betete, dass man ihre Schatten nicht hindurchsehen konnte. »Ist das Kazuki?«
 

Der Unglauben in ihrer Stimme war trotz ihres offensichtlichen Schocks deutlich zu hören, und Aoi fröstelte, als sich die Tür noch ein Stückchen weiter öffnete, dass sie einen Blick auf das Bett erhaschen konnte.
 

Kai schien vollkommen gelähmt zu sein, wehrte sich mit keiner Bewegung gegen Kazuki, der halb auf ihm lag, die Decke so über sich gezogen, dass seine Hose verdeckt war und sein nackter Rücken nur eine Schlussfolgerung zuließ. Er tat so, als hätte ihn die Störung aufgeschreckt, das Gesicht mit gespielt entsetztem Blick auf die Tür gerichtet, als wären sie mitten im Liebesakt ertappt wurden. Aoi konnte nur spekulieren, dass sich seine Augen mit denen der Frau trafen, ehe diese einen lauten, hastigen Atemzug von sich gab und die Tür schnell wieder von außen schloss.
 

»Ich…«, begann sie und der Türknauf, den sie noch immer umschlossen zu halten schien, bewegte sich leicht. »Ich warte dann unten. Beeilt euch. Und… lüftet!«
 

Endlich klackte der Türknauf zurück in seine Ausgangsposition und ein Stein mit dem Gewicht eines Zementblocks fiel von Aois Schultern, als nur Sekunden später ihre Absatzschuhe hastig in Richtung Fahrstuhl klackerten. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich Kazuki von Kai rollte und neben ihm liegen blieb, doch es dauerte sicher eine volle Minute, bis irgendeiner von ihnen wagte, sich zu bewegen.
 

Uruhas Blick war auf Kai gerichtet, dessen Augen so weit aufgerissen waren, wie noch nie zuvor. Er schüttelte ängstlich den Kopf und Aoi brauchte ein paar Sekunden, bis ihm klar wurde, dass Kai für den Kuss seine Wut fürchtete. Doch er war nicht wütend. Er war verwirrt und vor den Kopf gestoßen. Noch immer pumpte Adrenalin durch seine Adern, und es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass er nackt hinter der Tür stand, Uruhas Hand noch immer auf seinen Mund gepresst.
 

Vorsichtig hob er die Hand und löste sie, dem Gitarristen, der ertappt zusammenzuckte, ein weiches Lächeln schenkend, ehe er die Stirn runzelte und nach Kazuki sah.
 

Er sah nicht mehr als wirre rote Haare, eine nackte Schulter und ein Stückchen Nasenspitze. Das hübsche Gesicht war abgewendet, der schlanke Körper regungslos, schlaff und beinahe tot wirkend. Die Neugier brannte in Aoi, gemischt mit Skepsis und Misstrauen. War dies ein neuer Plan?
 

Niemand von ihnen sagte ein Wort, als Aoi seine Kleidungstücke zusammensuchte und sie anzog. Das Gefühl, endlich wieder bekleidet und nicht länger ausgeliefert zu sein, war beinahe irrational erleichternd. Als er Kazukis T-Shirt in die Finger bekam, stockte er, den Blick erneut auf den Gitarristen gerichtet, der sich seither nicht geregt hatte. Uruha hatte Kais Kleidung aus dem Schrank geholt und half diesem beim Anziehen. Kurz fragte sich Aoi, warum keine Krankenschwester kam, um den Drummer von den Anschlüssen an seinem Arm zu befreien, doch dann war ihm dies auch schon wieder egal.
 

Er öffnete das Fenster, um frische Luft hineinzulassen und auch die letzten Hinweise auf das, was in diesem Raum geschehen war, zu beseitigen, ehe sein Blick erneut auf Kazuki fiel. Ein Teil von ihm wollte sich nicht um den Jüngeren kümmern, wollte so schnell wie möglich verschwinden, doch die Frage des »Wieso« brannte viel zu stark auf seinem Herzen.
 

Was hatte Kazuki sich diesmal ausgedacht? Wollte er sie weiterhin erpressen, um Uruha für sich zu gewinnen?
 

Doch je länger er den anderen ansah, dessen Körper zwischen zerwühltem Laken und Decke auf einmal so fragil wie der einer Puppe wirkte, umso weniger konnte er sich des Verdachts erwehren, dass diesmal kein teuflischer Plan hinter all dem steckte.
 

»Hey«, begann er leise und griff nach der Schulter des Rothaarigen. Beinahe bereute er seine unbedachte Handlung, als der andere zusammenzuckte, aber wenigstens wusste er nun, dass er nicht tot war!
 

»Mein T-Shirt«, unterbrach ihn Kazuki und richtete sich auf, die Bewegung so schwerfällig, als hätte er die letzten Stunden schwere körperliche Arbeit verrichtet.
 

»T-Shirt!«, wiederholte er, und diesmal reagierte Aoi und drückte es ihm in die Hand.
 

Wortlos und ohne ihm in die Augen zu sehen, zog sich der andere an und erhob sich. Seine schlanken Finger strichen die Falten des Kopfkissens glatt, und hätte Aoi nicht darauf geachtet, wäre ihm nicht aufgefallen, wie sie leicht zitterten. Er spürte das überwältigende Bedürfnis, die Hand auszustrecken und ihn zu beruhigen, aber er war sich nicht sicher, ob er in Anbetracht der Dinge, die er Kazuki an den Kopf geworfen hatte, überhaupt das Recht dazu hatte.
 

»Ich nehme ein Taxi. Verschwindet besser, bevor euch irgendjemand sieht«, sagte der Jüngere. »Ich weiß nicht, was es aus eurem Deal macht, dass sie mich mit Kai ‚erwischt‘ hat. Aber wenigstens weiß sie nichts von euch.«  Und noch ehe einer von ihnen reagieren konnte, war er durch die Tür geschlüpft. 
 

Aoi starrte ihm nach, seine Mimik vor Verwirrung erstarrt, und es dauerte ein paar Sekunden, ehe die Erkenntnis langsam wie dickflüssiger Honig in sein Bewusstsein tropfte. Kazuki hatte sie gedeckt. Nicht, weil er sie damit erpressen wollte. Nicht, weil er sich damit bessere Chancen bei Uruha ausrechnete. Er hatte aufgegeben. Aoi konnte es nicht begreifen, nichts davon – und als ihm schließlich klar wurde, dass dies bedeutete, dass sein ärgster Feind sie soeben gerettet hatte, fühlte er sich mit einem Mal so jämmerlich, dass ihm übel wurde.
 

Uruha war der erste, der auf das Verschwinden des Gitarristen reagierte. Er schloss die letzten Knöpfe von Kais Hemd, ehe er sich Aoi zuwendete und sich verlegen mit der Hand durch die Haare fuhr.
 

»Kann ich…«, er verstummte, die Augen für einen Moment gesenkt, als wäre er sich deutlich darüber im Klaren, um was für einen großen Gefallen er bat, »…ihm nachgehen?«
 

Aoi schluckte, doch dann nickte er. Das rote Tuch, das Kazuki noch bis vor kurzem gewesen war, schien verschwunden. Er hatte sie gerettet. Warum auch immer. Und er konnte nicht verhindern, dass ihm die Art, wie sich der andere wie ein Häufchen Elend weggeschlichen hatte, nah ging.
 

Uruha atmete dankbar auf und lächelte, ehe er Aoi in seine Arme zog.
 

»Danke«, flüsterte er und drückte ihn so fest er konnte. »Ich liebe dich! Dich, nicht ihn, dich! Glaubst du mir das?«
 

Sein Blick war beinahe flehend und die Erleichterung, die sein Gesicht leuchten ließ, als Aoi lächelte und nickte, ließ dessen Blut zum ersten Mal seit Stunden wieder heiß und lebendig durch seine Adern rauschen. Er lauschte Uruha Puls, seinem rasenden Herzschlag, und fühlte seine Wärme, als hätte er sie seit Jahren nicht mehr gespürt. Noch ein letztes Mal zog er ihn so dicht an sich, wie er konnte, dann ließ er ihn los und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. Uruhas Körper setzte sich in Bewegung, doch dann stockte er und fing Aois Lippen zu einem weichen, intensiven Kuss ein, so dass diesem das Herz beinahe aus dem Brustkorb purzelte.
 

»Ich ruf dich an«, sagte Uruha noch, bevor er sich verabschiedete, und Aoi auf das Bett sank. Ein erschöpftes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als sich Kai zu ihm setzte und von hinten seine Arme um ihn schlang. Er schmiegte sich gänzlich in die Wärme des anderen, die Augen geschlossen und seinen Geruch in sich aufsaugend, als würde er ihn zum ersten Mal bewusst wahrnehmen. Weiche Lippen drückten sich auf seine Wange und die sanften Worte, die Kai an sein Ohr wisperte, waren alles, was er sich in diesem Moment noch hätte wünschen können.

 

~*~

 

Die freudigen Gesichter von Ruki und Reita lachten Kai entgegen, als er den Fahrstuhl verließ und mit seiner Reisetasche über der Schulter in die Lobby trat. Eine Krankenschwester löste die verbliebenen Gerätschaften von seinem Arm und verarztete den Einstich des Tropfs mit einem Pflaster, während Kai mit der freien Hand seine Entlassungsbescheinigung unterzeichnete. Wann immer sein Blick den der Managerin traf, röteten sich ihre Wangen leicht, doch sie sagte kein Wort und hielt sich anstandsvoll zurück, während Ruki und Reita auf ihn einredeten und Scherze darüber machten, wie sie Aoi und Uruha überraschen würden, wenn er plötzlich im Probenraum auftauchen würde.
 

Aoi beobachtete es von einem Winkel neben der Feuertreppe, über die er sich aus der oberen Etage hinuntergeschlichen hatte. Er hielt es für besser, wenn niemand, nicht einmal ihre beiden Bandkollegen, wussten, dass er und Uruha sich im Krankenhaus aufhielten, und Kai hatte kommentarlos zugestimmt.

Kazuki und Uruha waren verschwunden, und Aoi konnte nur spekulieren, dass der brünette Gitarrist versuchte, den anderen einzuholen. Vor wenigen Stunden hätte ihn diese Vorstellung noch in Rage versetzt, doch nun war er seltsam ruhig. Er konnte beinahe fühlen, wie die Informationen und Geschehnisse ganz langsam in ihm sackten, und mit jedem Moment, der verging, kam es ihm unvorstellbarer und kurioser vor, dass sein ärgster Konkurrent sie gerettet hatte, anstatt sie ans Messer zu liefern. Er hoffte, dass er irgendetwas über dessen Beweggründe herausfinden würde, doch die Frage war nicht so quälend, als dass sie nicht auch bis morgen warten konnte.
 

Denn vor allem war er erleichtert. Erleichtert, dass Kai wieder gesund war, erleichtert, dass sie endlich über alles gesprochen hatten, und nicht zuletzt erleichtert, dass er zum ersten Mal seit Wochen ohne schlechtes Gefühl oder Zweifel daran glaubte, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Er wusste nicht, was es für Konsequenzen haben würde, dass die Managerin Kai mit einem anderen im Bett erwischt hatte. Dieser Aspekt war nie Teil des Deals gewesen. Also konnte sie nichts tun, nicht wahr? 
 

»Hey«, ließ ihn auf einmal eine Stimme aufschrecken und als er sich umdrehte, sah er Manabu vor sich stehen, die Augenbrauen vorwurfsvoll zusammengezogen. Für einen kurzen Moment wurde ihm unangenehm heiß, dass ihn jemand ertappt hatte, doch dann erinnerte er sich an die seltsame »Beziehung« des jungen Gitarristen zu Ruki und Reita, und dass er in der Nacht, in der er sich von Kai getrennt hatte und als Nervenbündel bei seinen Bandkollegen aufgeschlagen war, mehr als genug mitbekommen hatte, um sich nun nicht darüber zu wundern, warum er sich in der Lobby versteckte.
 

»Hey«, antwortete er vorsichtig, die Augen abschätzend verengt, als er den Blick des anderen nicht deuten konnte. »Was gibt’s? Bist du mit den anderen hergekommen?«
 

Manabus Mundwinkel zuckten ärgerlich, und Aoi wich irritiert zurück, denn so viel Angriffslust hätte er Reitas und Rukis Haustier nicht zu getraut.
 

»Ich will, dass du Kazuki in Ruhe lässt!«, begann der andere ohne Umschweife. »Ich habe den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, als er an mir vorbeigerannt ist. Was auch immer dein Grund ist, hör auf, ihm weh zu tun, oder du hast ein Problem mit mir!«
 

Er sah Aoi warnend an, scheinbar zu Ende mit seiner Ansprache. Der Ältere schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft, vollkommen aus der Bahn geworfen durch die Worte. Sein erster Impuls wäre gewesen, ärgerlich zu werden, den anderen anzufahren, was er sich eigentlich einbilden würde, doch dann gewann der Teil in ihm, der einfach keine weiteren dramatischen Szenen ertragen konnte, und er schloss den Mund.
 

»Wenn er dir Kazuki so wichtig ist, warum kümmerst du dich nicht einfach um ihn?«, fragte er, und obwohl seine Worte auch vorwurfsvoll hätten klingen können, sprach er sie bewusst freundlich. Er sah, dass Manabu diese Reaktion nicht erwartet hatte und vergeblich nach Worten suchte.
 

»Aber nichts Unanständiges machen!«, fügte er noch hinzu und zwinkerte verschmitzt, ehe er sich schnell abwendete, um sein Grinsen zu verbergen, als Manabus Wangen wie reife Tomaten erröteten.
 

Sein Schritt war beinahe befreit, als er in Richtung Hinterausgang ging, und als er die Tür öffnete und die frische Luft in seine Lunge ließ, fühlte er sich so leicht wie schon seit Wochen nicht mehr. Gedankenversunken fischte er eine Zigarette und sein Zippo aus seiner Hosentasche und steuerte die Raucherinsel an, als er plötzlich Uruha und Kazuki erspähte. Sie standen ein wenig abseits bei einigen Bäumen, fast verdeckt durch das dichte Grün, doch trotzdem wich Aoi ein wenig zur Seite, um nicht von ihnen entdeckt zu werden.
 

Die Neugier war zu groß; er konnte sich einfach nicht erwehren, skeptisch zu sein! Was, wenn Kazuki doch kein Held war? Was, wenn sich eine weitere Verschwörung hinter allem verbarg? 
 

Aoi wurde ganz schlecht, als sich die Gedanken wie ein unkontrollierter Kreisel in seinem Kopf zu drehen begannen, und als er sah, wie Uruha Kazuki in den Arm zog und der Rothaarige sein Gesicht an seiner Brust barg, war er nur noch Sekunden davon entfernt, aus dem Gebüsch zu stürmen und auf sie loszugehen.
 

Seine Finger zermalmten die Zigarette, als Uruhas Hand über den Schopf des anderen streichelte und er leise Worte zu ihm sprach, die er nicht verstehen konnte. Kazuki nickte und löste sich von ihm, die Augen gerötet, doch das Gesicht erstaunlich gefasst. Aoi verharrte in seiner Wut, als er sah, wie der Jüngere einen kurzen Moment die Augen schloss und tief durchatmete, ehe er sich ein Lächeln auf die Lippen zwang und die Hand ausstreckte. Uruha ergriff sie, und als seine Lippen das Wort »Freunde« formten, Kazuki nickte und es mit einem wackligen Lächeln wiederholte, bedurfte es nicht mehr als eines sanften Windstoßes, um alle Wut in Aoi hinfort zu fegen. 
 

Er schluckte und merkte, wie er errötete, beinahe ein wenig beschämt über die wilden Gedanken, die sich in seinem Gehirn selbstständig gemacht hatten. Hastig wendete er sich ab, um nicht zu riskieren, doch noch entdeckt zu werden, als ein Körper seine Bewegung stoppte.
 

»Vorsicht!«, sagte er überrascht, doch als er sah, wen er beinahe umgerannt hatte, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Manabu sah ihn mit großen Augen an, und daran, wie sein Blick zu Uruha und Kazuki huschte, konnte er erkennen, dass er eindeutig nicht der Einzige war, der versucht hatte, die Unterhaltung der beiden zu belauschen.
 

»Scheuch Uruha weg und geh Kazuki trösten!«, sagte er und schubste den Jüngeren in die richtige Richtung, ehe er um das Haus herumwanderte und die nächste Raucherinsel suchte. Es dauerte eine Weile, bis er sie gefunden hatte, und als er sich endlich mit dem Rücken gegen einen der angrenzenden Bäume lehnte, eine neue Kippe aus der Tasche fischte und den ersten Zug des bläulichen Rauchs inhalierte, fühlte er sich zum ersten Mal seit langem wirklich und ehrlich entspannt.
 

Er sah hinauf in den trüben Morgenhimmel, auf die grauen sterilen Gebäude um ihn herum, auf Patienten, die mit Krücken auf und ab liefen, und Krankenschwestern, die von einer Tür zur anderen hetzten – und er musste schmunzeln, als ihm klar wurde, dass es kein schönerer Tag hätte sein können. Er hatte wieder, was er verloren hatte, was so weit entfernt gewesen war, dass er wohl erst morgen oder übermorgen oder den Tag darauf wirklich verstehen würde, was genau passiert war. In seinem Inneren kribbelte es so stark, wie er es vor den schlimmsten Klausuren in seiner Schulzeit nicht gefühlt hatte, und doch fühlte er sich so befreit, als würde er schweben.
 

Sein Handy vibrierte und er sah, dass Kai eine Gruppenunterhaltung zwischen ihm und Uruha geöffnet hatte.
 

»Ruki und Reita versuchen, mich mit Quarktaschen zu ersticken. Bis ich zu Hause ankomme, werde ich fett gefüttert sein!«
 

Augenblicklich erschien ein vollgefressenes Smiley von Uruha und der Hinweis, dass Kai deshalb trotzdem für alle würde kochen müssen, damit sie nicht verhungerten.
 

»Treffen wir uns heute Abend bei Aoi?«, fragte Uruha nach ein paar Zeilen und Aoi stimmte ohne groß zu überlegen zu.
 

»Aber glaubt nicht, dass ihr für eure Aktion ungeschoren davonkommt! Das wird ein Nachspiel haben!«, fügte er hinzu und grinste, als der Bildschirm für ein paar Sekunden schwarz blieb. Er konnte sich beinahe vorstellen, wie ihnen die Angst im Nacken saß, die Panik, ob sie Aoi nun doch verloren hätten – und obwohl ein kleiner sadistischer Teil von ihm der Meinung war, dass sie es verdient hatten, konnte er es nicht länger als ein paar Sekunden aushalten, bevor er die nächste Nachricht schickte.
 

»Fürchtet euch vor der Inspiration, die ich mir von Reita und Ruki holen werde! Meine Rache wird blutig!«
 

Er lachte, als er das entsetzte Smiley sah, dass Uruha schickte, und schickte ein zwinkerndes und ein Herz hinterher, ehe er sich zurücklehnte, an seiner Kippe zog und die blinkenden Nachrichten las, als auch Kai sich wieder zu Wort meldete. Er sah sie theatralisch um Verzeihung betteln, ihm Herzchen, liebevolle Smileys und Versprechungen schicken, wie sie alles wieder gut machen würden, bevor sie damit begannen, sich gegenseitig mit Liebesbekundungen zu überbieten. Und als sie schließlich darüber zu diskutieren begannen, dass Uruhas weißes Regret-Outfit ein perfektes Hochzeitskleid abgeben würde, konnte Aoi sich ein Lachen nicht mehr verkneifen.
 

»Ihr seid vielleicht zwei Idioten«, murmelte er zu sich selbst und grinste so breit, dass ihn die Leute verwirrt musterten, ehe er seine letzte Nachricht schickte und das Handy in seine Hosentasche steckte. Er nahm den letzten Zug von seiner Kippe, ehe er sie ausdrückte, die fröstelnden Hände in seine Jackentasche steckte und an die kitschigen Zeilen dachte, die er geschickt hatte, und die in diesem Moment alles andere als kitschig waren.
 

Sie waren die Wahrheit.
 

Sie waren alles, was er ihnen sagen wollte.
 

Und er wusste, er würde sie nie bereuen.
 

»Ich liebe euch! Für immer.«

 

 

 

+++++

The end
 

Kazuki ist irgendwie der tragische Held der Geschichte. Habt ihr ihn inzwischen doch ein bisschen lieb? Er ist eigentlich kein böser Mensch, nur unglücklich verliebt!

I LOVE HIM <3 <3 <3



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Von:  Jillian
2017-10-11T01:29:21+00:00 11.10.2017 03:29
Eigentlich schade, das die RTR-Zeit leider zu Ende ist. Jetzt wo ich die FFs im Anfall von Sentimentalität noch mal gelesen habe, liebe ich sie nur noch mehr und weine zeitgleich, weil es keine Fortsetzung gibt. Dabei sind noch einige Sachen offen, auf die ich wirklich neugierig wäre.
Aber... da kann man wohl nichts machen. Ich höre die Musik auch nur noch phasenweise, auch wenn ich so ziemlich alles und jeden damals gesuchtet habe. Ich war sogar in dem offiziellen RTR-RPG damals... man mag es kaum glauben xD
Irgendwann nimmt der Hype dann ja doch ab. Es war eine schöne Zeit und die FF hat sie mir regelmäßig versüßt!

Liebe Grüße
Jill
Von:  Shane-
2016-09-05T04:48:49+00:00 05.09.2016 06:48
Ja, auch 2016 liest noch jemand deine FFs! :D Hab in einem sentimentalen Moment sofort alle RTR FFs von dir aus meiner Favo-Liste gekramt und wieder gelesen. :3 Diese hier kannte ich sogar noch gar nicht. :D Ich bin gar nicht mehr so in diesem Fandom, doch als ich mein3 vergammelnde Ruki/Miyavi FF sah und diese nochmal las, begann ich vor lauter Sentimentalität weiter zu schreiben. Ich hoffe also, dass auch du vielleicht mal wieder Lust zu RTR verspürst. ;)
Zu dieser FF: Ich fand sie gut und sehr spannend. Diese Dreiecksgeschichte ist echt klasse und ich bewundere immer noch wie gut du diese komplizierte Beziehung darstellen kannst. Kazuki hab ich in der FF gehasst, dann wieder geliebt und gehasst, bis ich ihn am Ende wieder geliebt hab. XD Also good job von deine Seite.
Liebe Grüße,
ein sentimentaler Fan deiner FFs. :3
Von:  Nisshoku
2015-08-27T23:01:13+00:00 28.08.2015 01:01
Okay ich habe jetzt innerhalb weniger Tage ALLE...ich betone ALLE FF's von dir gelesen und oh mein Gott, wie ich die drei liebe. Ruki und Reita natürlich auch, ist klar.
Hach Kazuki tut mir ja schon irgendwie leid aber der Sex zwischen Uruha und Kazuki muss noch irgendein Nachspiel haben. Ich hoffe wirklich, dass diese FF irgendwann noch kommen wird *nervös auf das Datum dieser FF schau*
Ich kenne eine Menge Leute, die sich wirklich freuen würden wenn RTR weiterginge :D Also GOGO!
Von:  Kouyou
2015-05-01T16:14:01+00:00 01.05.2015 18:14
*still waiting for the announced sequel* ;3
Von:  Near___
2013-03-05T16:33:39+00:00 05.03.2013 17:33
Aber ... Aber D: dieses kapitel ist so schön!
und es fehlt doch nur noch eins!!! .... ;A;
I'll just wait here
Von:  MinuU
2012-11-25T13:00:35+00:00 25.11.2012 14:00
Das ende war wirklich sehr hübsch so! Ich dachte mir schon das Kazuki keinen terror mehr machen wird, einfach weil dann ein Kapitel nicht gereicht hätte um die FF zu beenden. XD
Und ich mochte Kazuki auch die ganze zeit sehr, klar, ab und zu hätte er mal einen kleinen oder größeren tritt verdient aber was solls XD Der kleine hatte es ja auch nicht leicht mit all seinem Liebeskummer! Wie er die Situation im Krankenzimmer gerettet hat in dem er sich heldenhaft auf Kai geworfen hat war genial~
Das was sich da mit Manabu andeutet interessiert mich übrigens brennend~ Wie wäre es mit einer Kazuki x Manabu Story? Leicht gewürzt mit Ruki und Reita....oder so ^^
Ein bisschen Kitsch hat jedenfalls nicht geschadet, großes drama und danach ein wenig schnulz, so muss das sein X3
Ich freu mich jetzt mächtig auf das Sequel!
Von:  -shiyuu
2012-11-25T12:33:07+00:00 25.11.2012 13:33
endlich bin ich auch zum Lesen gekommen und da bin ich doch echt froh drüber :D
Sehr schön geschrieben - wie immer - und ich bin echt hin und weg - wie immer. ;)
Ich finds toll, dass die drei wieder glücklich miteinander sein können und bewundere kazuki fast für seine Stärke. Ich hoffe du machst uns glücklich und wendest dich ihm auch nochmal zu! Irgendwann.. vielleicht... ;)
Ich freu mich auf das dreckige Nachspiel! 8DDDDDDDD
Von:  Reishi
2012-11-23T21:10:45+00:00 23.11.2012 22:10
Ich weiß auch nicht was immer alle gegen Kazuki hatten. Ich fand ihn schon die ganze Zeit toll, obwohl ich sowie so gestehen muss, dass ich auch Kazuki und Uruha toll zusammen fand in ihren Abschnitten/ Kapiteln. Und meinst du nicht man könnte vielleicht auch aus Manabu und Kazuki ein bisschen was rausholen? So friscje liebe ist doch was tolles!! ^^ ich kann es auf jedenfall kaum noch abwarten, bis das mächste Kapitel kommt. Und hoffe auch danach wieder auf neuen Lesestoff... Vielleicht? Na? In deinem Kopf gibt es doch sicher noch viele Ideen...
Von:  YuiMadao
2012-11-23T17:57:23+00:00 23.11.2012 18:57
Das Kapitel hat mich echt überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass Kazuki doch noch eine nette Seite hat und die Drei nicht erpresst. Das Kapitel ist auch ein gutes Ende für das ganze Drama.
Ich bin auch super happy, dass es noch mal richtig Dirty werden wird. ;)
Andererseits bin ich auch ein wenig traurig, dass es mit dem nächsten Kapitel vorbei sein wird ... :(


GLG Yui
Von:  Arisa-Yuu
2012-11-23T13:47:10+00:00 23.11.2012 14:47
Yeah!!!
Kitsch an die Macht!
Es war natürlich alles andere als kitschig. Ich habe generell nicht das Geringste an dem Kapitel auszusetzen, aber das ist nichts neues ^.^
Meine Bedenken, die ich Kazuki gegenüber hatte, haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Ich war von seinem Verhalten wirklich beeindruckt, gerade weil er in Uruha verliebt ist oder war. Er hat doch ein gutes Herz und ich würde mir wünschen, dass er sich schnell wieder neu verliebt.
Vielleicht sogar in Manabu. Es sah jedenfalls so aus, als würde er Gefühle für Kazuki haben und die beiden gäben ein schönes Pärchen ab. Finde ich zumindest.
Und zuletzt muss ich noch sagen..
Ich freue mich jetzt schon auf das Zusatz-Kapitel*~*
Du kannst es ruhig exxxxxxxxxxxxxtra lang schreiben. Ich hol mir dann Popkorn und sabba meinen PC voll. Ich weiß, das gehört nicht zur konstruktiven Kritik, aber ich bin eben primitiv und glücklich.
Jedenfalls war ich, wie immer, begeistert und würde mich über einen neuen Teil sehr freuen ^.^b
Mach weiter so!

LG
AY


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