First End.
„Ieyasu. Ieyasu“, hallt deine klare und fröhliche Stimme in meinem Kopf. Alte Erinnerungen brennen sich in meinen Kopf und verbildlichen sich vor meinem inneren Auge. Lächelnd kommst du auf mich zugelaufen. Ein kindliches, fröhliches Lächeln. Wir kennen uns schon so viele Jahre, Mitsunari. Damals waren wir unzertrennlich. Nichts hätte uns dazu bewegen können, uns gegeneinander zu stellen. Niemand konnte sich zwischen uns stellen. Ob ich diese Zeit vermisse? Vielleicht. Man darf nicht in der Vergangenheit leben, sondern muss nach vorn in die Zukunft blicken und dennoch...
Kurz vor dem alles entscheidenden Kampf, denke ich daran zurück, ohne es wirklich zu wollen, ohne irgendetwas dagegen tun zu können. In meinen Gedanken lächelst du mich an, doch in der Realität, in dem Hier und Jetzt, sind deine Augen hasserfüllt, wenn du mich ansiehst und ich frage mich zum ersten Mal, ob ich einen Fehler gemacht habe.
Doch ich weiß, dass all meine Taten einzig allein dafür sorgen werden, dass ich das Land einige und Frieden bringe. Ich habe keine Zweifel – meine geballten Fäuste beweisen das. Jetzt, so kurz vor dem Sieg, dürfen mich keine Gedanken plagen. Aber warum...warum sehe ich jetzt dein lächelndes Gesicht vor mir? Mitsunari. Warum kannst du mir nicht mehr vertrauen? Wie konnte Hideyoshi dich so weit treiben?
„Ieyasu. Ieyasu“, wieder deine liebliche, aufgeregte Stimme, wenn du meinen Namen sagst.
„Ieyasu. Ieyasuuuuuuu“, reißt mich nun deine rasende Stimme aus meinen Gedanken und ich blicke auf. Du kommst auf mich zugestürmt, schwingst dein Schwert und ich wehre die Attacke schnell und reflexartig ab. Ernst schauen wir uns an, ehe du zurückspringst.
„Endlich. Ich werde nicht verlieren. Im Namen Hideyoshi-samas werde ich dich töten“, brüllst du und startest deinen nächsten Angriff. Abermals verteidige ich mich und du greifst sogleich nochmal an. Du bist schnell und stark. Doch ich darf unter keinen Umständen sterben. Für den Frieden werde ich überleben.
In einem günstigen Augenblick ducke ich mich und ramme dir meine Faust in die Magenkuhle. Du reißt vor Schmerzen die Augen auf und sackst kurz zusammen. Taumelnd gehst du nach hinten, richtest dich dann wieder auf. Der Griff um dein Schwertschaft wird fester und du beißt die Zähne zusammen. „Ich hasse dich“, knirschst du und schwingst blitzschnell dein Schwert. Ich schaffe es gerade noch auszuweichen, werde jedoch an der Schulter getroffen und schnaufe kurz.
Niemals hätte ich gedacht, dass wir uns mal in einem Kampf zwischen Leben und Tod gegenüber stehen. Niemals hätte ich mir auch nur vorstellen können, dich in irgendeiner Weise zu verletzen. Dich, Mitsunari. Mein Freund.
Nun entfessle ich eine Attacke. Schnell stehe ich vor dir, hole aus und schlage dir nochmal in den Magen. Du wirst weg geschleudert und ich folge sofort, hole nochmal aus, will dir diesmal ins Gesicht schlagen, doch du blockst mit deinem Schwert ab. Kein Problem. Mit der anderen Faust verpasse ich dir einen Kinnhaken und du fliegst nach oben, ehe du hart auf den Boden aufschlägst.
Ich stehe vor dir. Regungslos liegst du dort. Doch dann, mit zitternder Hand greifst du nach dem Griff deines Schwertes, welches neben dir liegt und richtest dich auf. Du spuckst Blut, doch das hindert dich nicht daran, den Kampf fortsetzen zu wollen. Unsicher stehst du auf deinen Beinen und blickst mich an.
„Es reicht, Mitsunari“, sage ich ernst, obwohl ich genau weiß, dass du bis zum bitteren Ende kämpfen wirst. Du fängst an zu lachen. „Es reicht? Es reicht? Oh nein, Ieyasu. Es reicht erst, wenn ich deinen Kopf abgeschlagen habe“, entgegnest du boshaft. „Gib mir die Kraft, Hideyoshi-sama, diesen Verräter zu massakrieren“, bittest du Hideyoshi um Hilfe.
Wieder treffen sich unsere Blicke und du kommst auf mich zugerannt und irgendwie weiß ich, dass dies der letzte Angriff sein wird. Auch ich laufe nun auf dich zu und hole aus. Du schwingst dein Schwert. Ich schlage es beiseite und bevor ich dich, mit meiner anderen Faust, endgültig zu Grunde richte, sehe ich noch den erschrockenen Blick in deinen Augen, als dir klar wird, dass du verloren hast.
In diesem Moment erscheint mir das alles so unwirklich und dennoch wahrhaftig. Alles um mich...um uns herum scheint langsamer zu werden, als wolle irgendjemand mich quälen, indem er mich die Sekunden, in denen ich dich vernichte, schleichend erleben lässt.
„Ieyasu. Ieyasu“, abermals deine Stimme in meinem Kopf. Abermals dein glückliches Gesicht. Abermals Erinnerungen längst vergangener Zeit.
Und ich spüre, wie es schmerzt. In meinem Herzen. In meinem ganzen Körper. Etwas warmes rinnt mir über die Wangen und ich kann es nicht glauben. „Mitsunari“, flüstere ich deinen Namen und hole mich somit selbst aus meinen Gedanken. Du liegst einige Meter von mir entfernt auf dem Boden. Leblos.
Sachte streiche ich mir über die Wange. Eine Träne. Wie versteinert bleibe ich erstmal stehen.
„Tokugawa-sama.“ Ich hebe meine Hand als Zeichen, dass ich nicht gestört werden will. Eine weitere Handbewegung als Zeichen, dass meine Soldaten und Freunde das Schlachtfeld verlassen können. „Aber Tokugawa-sama“, protestiert eine besorgte Stimme. Ich nicke als Zeichen, dass es ok sei und sie gehen.
Langsam laufe ich nun auf dich, Mitsunari, zu. Vor dir bleibe ich stehen, schau auf dich hinab, ehe ich auf die Knie sinke.
„Mitsunari, warum? Wieso musste es soweit kommen?“ Ich kralle meine Hände in meine Hose und sehe dich weiterhin an. „Du wolltest doch niemals Unheil über das Land bringen. Wie konntest du dich so verändern...nur wegen Hideyoshi?“ Leicht ungläubig schüttle ich meinen Kopf.
Immer mehr Tränen laufen über meine Wangen. „Das bist du nicht, Mitsunari. Das warst du nicht.“ Ich kann meine Trauer nicht mehr weiter unterdrücken und schluchze, schreie vor Trauer und vor Wut.
Es tut weh. Alles in mir zieht sich zusammen und wehrt sich dagegen zu glauben, dass du wirklich tot bist. Doch gibt es keine Zweifel diesbezüglich.
Als ich mich wieder ein wenig beruhigt habe, blicke ich dich wieder an, ziehe meine Handschuhe aus und hebe langsam meine Hand. Ganz leicht nur streiche ich dir über die Wange. Dann beuge ich mich runter und lege meine Stirn auf deine, schließe meine Augen.
„Es tut mir...Es tut mir so Leid, dass es so enden musste, Mitsunari“, gestehe ich leise. Eine meiner Tränen tropft auf dein Gesicht. „Ich werde dich niemals vergessen und du...wirst immer mein Freund bleiben.“ Ich öffne meine Augen wieder und schaue dich an. „Immer“, bestätige ich mich selbst nochmal flüsternd.
Dann lehne ich mich wieder zurück und stehe langsam auf. Meinen Blick nicht von dir nehmend. „Ich hoffe, du findest nun deinen Frieden“, sage ich, drehe mich um und entferne mich nun langsam von dir. „So, wie auch dieses Land seinen Frieden gefunden hat“, führe ich meine Aussage fort und blicke hoffend in den Himmel.