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Heaven is the Kingdom where nobody dies

Tenjōkai ohne Zurück
von

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Endstation Nirgendwo

Premiere! Das erste Kapitel meiner allerersten FF ist da! Ich bin bemüht, folgende Kapitel noch umfangreicher zu gestalten (wenn sich ein paar Leser finden...). :)
 

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Ich taumelte schwerfällig zurück in die Realität. Mein Hirn fühlte sich an, als wäre ich in einem Tiefseegraben ohne GPS spazieren gewesen. Mein Kopf wog fünfmal schwerer, ich bekam die Augen kaum auf.

Weit entfernt hörte ich ein leises Surren, nicht mehr als ein dumpfes unterschwelliges Rauschen in meinen verstopften Ohren, welches ich nicht zurodnen konnte. Ich roch vertraute Düfte, meine Wohnung, abgestandenen Zigarretenrauch, ein schimmeliges uraltes Okonomiyaki. Tief aus den verschlungenen Pfaden meines vernebelten Bewusstseins heraus, sprach Yoshiki zu mir: "Pass auf dich auf, Bruder. Du..." Den Rest weiß ich nicht mehr. Ich suchte in meinem geschwollenen Kopf die wenigen Erinnerungsfetzen zusammen, um die jüngste Vergangenheit zu rekonstruieren: Ich hatte einen Auftritt im TV gehabt. Mit meiner Support-Band performte ich live auf der Bühne "Rocket Dive", die Fans überschlugen sich vor Freude, als ich im hide-Style in meiner ultmativen LEMONed-Jacke über die Bühne hüpfte, als ich noch wusste, was ich tat.

Danach hing ich mit den Jungs eine Weile im Backstage herum, bis Yoshiki anrief und wir stundenlang über die Wiedervereinigung von X philosophierten. Das war ein ziemlich kompliziertes Unterfangen. Yoshiki rang noch mit der bitteren Erkenntnis, um den Verlust Toshis. Aber ich war mir sicher, wir konnten komplett neu mit einem ganz anderen Konzept durchstarten. Bis wir einen neuen Sänger gefunden hätten, hätte ich den Laden schon geschmissen. Das versicherte ich Yoshiki. Zugleich bedauerte er, dass er sich in LA mit jeder Menge Termine die Nächte um die Ohren schlug und kaum noch nach Tokyo kam. Er versprach, noch diesen Monat zurückzukehren, damit wir von Angesicht zu Angesicht unsere Pläne schmieden konnten. Gegen Ende unseres philosophischen Hardtalks, sprach er jenen Satz. Siehe oben, in den luftigeren Gefilden meines lückenhaften Gedächtnisses. Der zweite Teil war mir nämlich glatt entfallen.

Ich ging anschließend mit den Spread-Beaver-Jungs in die nächstbeste Bar, ich musste mich ablenken, wollte eigentlich für mich sein und kippte ungeachtet dessen, was es genau war, alles, was den Weg auf die Theke fand in mich herein. Übrigens: Ich wollte nur ein wenig Ablenkung, ansonsten ging es mir nicht schlecht. Was danach genau geschah, war mir absolut schleierhaft. Ich hatte einen waschechten Filmriss, aber das war keine Premiere bei mir. Wahrscheinlich machte sich Yoshiki jetzt wieder wahnsinnige Sorgen, das tat er öfter seit er in LA lebte. Er erinnerte mich ständig daran, mehr auf mich selbst zu achten und nicht zu viel zu trinken. Seitdem Toshi X verlassen und wir schließlich die ganze Band an den Nagel gehangen hatten, war er sowieso sehr empfindlich geworden. Armer Yo... Hey, warte mal!

Ich zwang mich meine Augen zu öffnen. Jetzt war ich komplett verwirrt. Ich saß im Zug. Um mich herum keine einzige Menschenseele, draußen vor den Abteilfenstern irgendeine monoton vorbeifliegende Landschaft. Okay, sagte ich zu mir, wahrscheinlich warst du so dicht, dass du ohne es zu merken in den Zug gestiegen bist und erst jetzt wieder mit prallem Schädel aufwachst. Oder das war die Rache meiner Freundin, die immer alle meine nicht minder gruseligen Streiche ertragen musste. Höchstwahrscheinlich hatte ich es heute früh noch bis nach Hause geschafft, und als ich ihr in meinem unansprechbaren Zustand in die Arme kippte, war sie wütend, hat mich kurzerhand zum Bahnhof gezerrt und... Nein, ach, das wäre zu umständlich gewesen! Dabei war sie viel mehr der praktische Typ, ihr wisst schon, was ich meine. Ich musste mich also unter unklaren Umständen selbst hierein befördert haben.

Die plötzliche Stille war geradezu unheimlich. Diesen Streich hatte ich mir selbst gespielt. Mein bisheriges Leben explodierte vor meinem inneren Auge wie ein lautes, buntes Feuerwerk, als der Zug am wohl groteskesten Bahnhof, den ein Mensch zu Gesicht bekommen konnte, hielt. Ich kapierte, dass das hier ein ziemlich schlechter Scherz war.

Das Bahnhofsgebäude schien uralt, nein, alt war gar kein Ausdruck mehr. Es war eine Ruine. Lediglich ein unübersehbares, blankpoliertes, blaufarbenes Schild war davor aufgestellt worden. Darauf prangte in unheilverheißender weißer Schrift: "Last stop. Please leave the train immediately." Sollte ich aussteigen? Darunter stand etwas dünner geschrieben: "Return tickets are sold out." Klang nicht, als hätte es jemals welche gegeben. Unschlüssig starrte ich nach draußen und fragte mich, wie ich aus diesem Alptraum möglichst schockfrei erwachen könnte. Über mir schwebte ein Damoklesschwert. Und als es auf mich herabgesaust war, wusste ich, dass ich nie wieder aufwachen würde.
 

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To be continued...
 

Hier der Link zu erwähntem Live-Auftritt: http://www.youtube.com/watch?v=EmNl-aIpXh4&feature=related

Ohne Passierschein

Und weiter geht's...
 

Soundtrack: http://www.youtube.com/watch?v=WZQYg0vjLxE

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Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich tigerte durch alle vorhandenen Zugabteile und das Ergebnis blieb dasselbe: Ich war mutterseelenallein. Anstatt weiter zu grübeln, wie ich in diese sonderbare Situation gekommen war, hatte ich beschlossen, nach Leuten zu suchen, die mir wenigstens sagen konnten, wo ich hier überhaupt gelandet war. Das Unheimlichste an der Szenerie war, dass sowohl der Zug als auch der Bahnhof komplett ausgestorben schienen. Noch immer roch ich die wohlbekannten Düfte meines bisherigen Lebens. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Warum zur Hölle war der Arsch der Welt ein derart beklemmender Ort?

Da mein matschiger Verstand mir nicht versprach, eine Eingebung zu offenbaren und sich stattdessen meine Magengegend zu Wort meldete, beschloss ich auszusteigen. Mein Instinkt sagte mir eindeutig, ich solle mich wenigstens umsehen und meine Suche nach potentiellen Kommunikationspartnern fortsetzen. Konnte schließlich nicht schaden. Ich drückte auf den roten Knopf der Zugtür, die sich mit einem leisen Zischen auseinanderschob und trat nach draußen.

Eisiger Wind wehte mir entgegen. Da rutschte man auf dem Willkommensbarometer gleich noch ein paar Stufen nach unten in den Keller. Unwillkürlich schlang ich die Arme um meinen Körper. In Tokyo, wo ich ein paar Stunden zuvor noch gewesen sein musste, war es Anfang Mai, das hieß, der Sommer machte sich langsam aber sicher auf den Weg. Dementsprechend war ich nur mit einer dünnen Army-Hose, einem gelben T-Shirt, einer Strickjacke und (zum Glück!) meiner Mütze und meinen Stiefeln bekleidet. Vor allem meine Sonnenbrille wollte nicht ganz ins Bild passen. Während ich darüber nachdachte, auf welchem Bahnhof in Tokyo man überhaupt nach Sibirien fahren konnte, bewegte ich mich in Richtung des kargen Gebäudes, welches sich vor mir, wie die Reste meiner Erinnerung an die letzte Nacht auftürmten.

Links der Ruine wies ein auf dem Asphalt aufgemalter mickriger weißer Pfeil in eine vage Richtung. Diesen befolgend, lief ich geradeaus, obwohl ich mich weiterhin fragte, wie eine Landschaft nur derart monoton und nichtssagend erscheinen konnte. Mit energischer werdenden Schritten wankte ich an der Ruine vorbei, ich fühlte mich plötzlich unglaublich leicht, wohingegen mein Kopf das Gegenteil veranstaltete. Bamm, bamm, bamm, dröhnte mein Schädel! Im gleichen Takt beschleunigte sich mein Herzschlag. Jeder Schritt wurde angenehmer, ich hatte nur noch ein einziges Ziel vor Augen: Essen! Und etwas Wärme wäre ebenfalls schön gewesen. Doch stattdessen knallte ich mit halbgeschlossen Augen, geblähten Nasenflügeln und ohne einen klaren Gedanken gegen etwas unsagbar Hartes. Reflexartig griff ich mir an die Stirn und taumelte ein paar Schritte rückwärts. "Hey, Sie Idiot! Machen Sie doch die Augen auf!", rief neben mir jemand in barschem Ton. Kaum hatte ich mich wieder gefangen und stand ordnungsgemäß auf beiden Beinen, flog mein Kopf zu Seite und ich starrte unverwandt in ein schwarzes Augenpaar. "Wer sind Sie überhaupt? Etwa ein Reikon? Wo ist Ihr Passierschein? Andernfalls haben Sie schlechte Chancen, an mir vorbeizukommen", blaffte mich diese sonderbare Gestalt an. Reikon? Passierschein? Unentwegt stierte ich diesen Typen an. Perfekte Gesichtszüge, dunkle Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen, schwarze einfache Kleidung – ein festgebundener Yukata mit einem schmalen weißen Obi –, ansonsten schmucklos und in kerzengerader Haltung. Das bei dem noch nichts erforen war, glich einem Wunder. Dieser Typ schien eine gute Selbstdisziplin zu haben, das erkannte ich auf den ersten Blick. Er hatte mein aufdringliches Starren ohne mit der Wimper zu zucken erwidert. Aber dann auch noch so unfreundlich herumzubrüllen, signalisierte mir nur, dass dieser Kerl heute schon jede Menge Stress gehabt zu haben schien und ich ihm gerade recht kam. Das konnte ja noch spaßig werden. Unwillkürlich musste ich trotz meiner verqueren Situation grinsen und weil ich keine Anstalten machte, den Mund aufzumachen, versuchte der Typ es noch einmal: "Ihren Passierschein bitte!"

Da ich wohl ziemlich verdattert dreingeschaut haben musste, begann er seinen Text von neuem aufzusagen, diesmal in ruhigerem Ton. Ich rechnete schon damit, dass er mich für komplett bescheuert hielt und suchte nach meiner Stimme. "Also... wer sind Sie?", schloss er seinen Monolog und sah mir dabei väterlich tief in die Augen. "Um... ich bin hide", brachte ich mühsam hervor. Angesichts der Kälte, meinem hämmernden Kopf und meiner nach wie vor beklemmenden Grundstimmung machte ich mir nicht die Mühe, meine Stimmbänder für längere Erklärungen zu gebrauchen. "... ohne Passierschein also", schlussfolgerte der unheimliche Kerl neunmalklug. Ihr hättet den sehen müssen: Trotz seiner schmächtigen Erscheinung und seines jämmerlichen Benehmens, wirkte er wie ein Daimyou aus einem längst vergangenen Jahrhundert. Okay, sagte ich zu mir, das hier ist weder ein mitterlalterlicher Videodreh noch ein verkleideter Yoshiki mit morgenmuffeliger Laune. Alles wird gut.

Aber nichts wurde gut. "Wahrscheinlich hat hier noch niemand mit Ihnen gerechnet. Passiert in letzter Zeit immer wieder, dass meine Kollegen vergessen, den ein oder anderen Passierschein auszuhändigen. Die haben aber auch jede Menge zu tun da unten. Wie sind Sie eigentlich hergekommen?" "Mit dem Zug", antwortete ich unschuldig. Obwohl ich im wahrsten Sinne des Wortes nur Bahnhof verstand und mir Horrorszenarien schwanten (à la Entführung: hyperventilierende Fans verschleppen Pink Spider in aufwendiger Aktion!), die ich aber fälschlicherweise auf meinen prallen Schädel schob, fand ich noch den Mumm scherzenshalber hinzuzufügen: "Bin schwarz gefahren."

Mr. Perfect schaute mich entgeistert an. Vorsichtig versuchte er es mit einer überflüssigen Frage: "Sie wissen aber, weshalb Sie hier sind, oder?" ... Sollte ich oder sollte ich nicht? Ihm die Geschichte von letzter Nacht zu erzählen, wäre reichlich peinlich gewesen, aber ich hätte nicht hide geheißen, wenn ich ihm nicht auch noch diese Geschichte brühwarm aufgetischt hätte. "Und, können Sie mir wenigstens sagen, in welchem Kaff ich hier gelandet bin?", fragte ich, nachdem ich meine Ausführungen beendet hatte nun etwas ungehaltener. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass der Typ selbst nach der Geschichte meiner abenteuerlichen Reise noch immer keinen blassen Schimmer davon hatte, wer ich überhaupt war. Da er Japanisch sprach und aus Japan zu stammen schien, nahm ich an, dass nun etwas bei ihm dämmern musste, aber nichts dergleichen geschah. Als er sich dafür entschied, mir den Schlauch, auf dem ich stand, unsanft unter den Füßen wegzuziehen, traf mich der Schlag. Ausdruckslos und in perfekter Haltung, eröffnete er mir jene Tatsache, als wäre es die Normalste der auf der Welt: "hide-san, Sie sind tot. Sie werden, solange Sie diese Identität tragen, unter keinen Umständen nach Tokyo oder einen anderen Ort in der irdischen Welt zurückkehren können. Aber nur mit dem nötigen Passierschein wird Ihnen der Eintritt ins Himmelreich gewährt. Ansonsten müssen Sie hier an der Ruine ausharren und warten, bis der zuständige Shinigami sich um Sie kümmert und ihren Passierschein besorgt hat."

Mir klappte die Kinnlade herunter. Sollte ich übermütig lachen oder schreiend in Tränen ausbrechen? Auf der einen Seite: WOW! Es gibt ein Leben nach dem Tod, ist das nicht unglaublich!? Ich erlebte gerade eines der größten Rätsel der Menschheit live! Auf der anderen Seite: WAS ZUR HÖLLE SOLL ICH HIER? Warum war ich nicht in Tokyo und schlief friedlich im Bett meinen Rausch aus? Die Antwort darauf sollte mir noch lange verwehrt bleiben.
 

Kizuki stellte sich als ein sehr humorvoller Zeitgenosse heraus. Ich weiß nicht, ob Zeitgenosse die richtige Formulierung ist, schließlich war er bereits seit über hundert Jahren tot. Er selbst bezeichnete sich deshalb als "junges Gemüse". Die meisten Toten hier seien bereits vor mindestens dreihundert Jahren eingetroffen, die letzten Neuankömmlinge vor achtzehn. Dies läge ganz einfach daran, dass die aktuelleren Passierscheine für die neuen Bahnhöfe ausgestellt würden, und diese Züge führen dann in andere Himmelsrichtungen. "Entweder hatten Sie einen Unfall, an den Sie sich aufgrund ihres Zustandes während dieses Zeitpunktes nicht erinnern können oder ganz einfach eine Alkoholvergiftung." Er kratzte sich nachdenklich am Kopf, während ich meinen nur fassungslos schütteln konnte. Vielleicht war es doch nicht besonders klug gewesen, ihm die Geschichte meiner Herreise gedankenlos auszuplaudern. Seine Gelassenheit war geradezu schockierend. "Da Sie keinen Passierschein erhalten haben, sind Sie automatisch mit einem leeren Zug gefahren, der sie hierher transportiert hat: an den kaputtesten Bahnhof von ganz Tenjoukai! Dafür können Sie sich bei ihrem Shinigami bedanken", erklärte Kizuki. Ich hatte einen eigenen Shinigami? "Nein, nein. Wir Shinigami sind im weiteren Sinne nur die Sachbearbeiter, Ordnungshüter und Betreuer." Er grinste. Seelen wären heutzutage nicht mehr als eine bloße erziehbare Sache. Darum vergesse man hin und wieder die ein oder andere auf den richtigen Gleis zu schicken. "Außerdem sind in diesem Teil von Tenjoukai die meisten Reikon schon ziemlich lange hier. Verlass dich also nicht darauf, mit deiner Aufmachung auf Toleranz zu stoßen. Ich habe ja schon viel gesehen, aber pinke Haare? Darf ich mal anfassen?" Was blieb mir also anderes übrig, als mich von ihm zu befummeln zu lassen. Schließlich war ich ja dazu verdonnert, hier auszuharren und mit einem Shinigami wollte ich mich schon gar nicht anlegen, vor allem nicht in meinem jetzigen Zustand. Als hätte er meine Gedanken gelesen, fügte Kizuki, unablässig meine Haare untersuchend, hinzu: "Keine Sorge. Ich bin nur ein Wächter-Shinigami, und zwar ein ganz Zahmer. Ich fühle mich, als würde ich diese Bezeichnung nur tragen, um mir etwas Respekt zu verschaffen. Wachtposten bekommen nur die dümmsten Todesgötter." Daraufhin lachte er schallend, obwohl ich nicht verstand, warum so wichtige Positionen mit den größten Trotteln besetzt werden sollten. War ja wie auf der Erde.

Dennoch wurde Kizuki zu meinem Glück im Unglück. Er war im Grunde genommen ein wenig wie ich, nur eben 112 + x-Jahre älter. "Damit gehören wir fast einer Generation an", scherzte er. Er hatte einen makaberen Humor, den ich zu diesem Zeitpunkt nur bedingt genoss. Von ihm lernte ich, warum es keine Engel gab, alle normalen Seelen Reikon hießen und Shinigami eigentlich keine Götter im Sinne des Wortes waren, sondern Diener eines uralten Gesetzes zwischen Gekai, der irdischen Welt, und Tenjoukai, der himmlischen Welt. "Tenjoukai und Gekai sind zwei Bezeichnungen, die sich jeweils auf die gesamte himmlische und irdische Sphäre beziehen. Das Dilemma in Gekai zu leben ist jenes: Man weiß nichts von einer Existenz nach dem Tod. Viele Menschen hoffen darauf, aber alle genauen Vorstellungen, die sie davon haben, sind im Grunde völlig falsch. Wenn sie jedoch davon wüssten, dann bräuchten sie um Verstorbene nicht zu trauern, weil sie wüssten, dass sie sie eines Tages wiedersehen werden. In Tenjoukai zu leben birgt demnach das umgekehrte Dilemma: Niemand kann nach Gekai zurückkehren, es sei denn, er wird eines Tages mit einer anderen Identität auf der Erde wiedergeboren. Wer jedoch im Himmel weilt, muss darauf warten, bis seine Familie und Freunde ihm folgen. Oder aber Familie und Freunde sind bereits vorangegangen, dann hat man die Möglichkeit hier nach ihnen zu suchen und mit ihnen zusammen weiterzuleben. Dies ist meistens nur bei alten Menschen der Fall. Sie aber scheinen noch sehr jung zu sein ... machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind nicht verloren, nur weil niemand Sie hier mit offenen Armen empfängt. Sie sind lediglich vorangegangen."

Ich machte ein ernstes Gesicht. "Ich hatte aber noch jede Menge zu tun. Da unten auf der Erde meine ich." Obwohl ich die Bedeutung von Kizukis Worten sehr wohl verstanden hatte, war ich komplett niedergeschlagen. Vielleicht auch gerade deshalb, weil deren Bedeutung so schwer wog. Denn das hieß, dass ich den Menschen aus meinem bisherigen Leben mit meinem Tod jede Menge Trauer beschert hatte und das Schrecklichste daran war, dass ich ja HIER war, ich war nicht tot im herkömmlichen Sinne von "ausgelöscht für immer", sondern ich war hier, ich atmete, zwar eine andere Luft, aber ich atmete, verdammt, aber wem da unten konnte ich das sagen? Da war es doch viel besser, nach dem Tod über den eigenen Tod nicht mehr nachdenken zu können, aber nein, ich war dazu verdammt, mir Vorwürfe zu machen, weil ich ihr irdisches Dasein ganz sicher vermiest hatte, bis ich sie endlich wiedersah. Würden sie sich denn freuen, wenn wir uns wiedertrafen? Ich hatte ehrlich gesagt Angst vor einer Begegnung mit den Menschen, deren Leben ich unweigerlich zerstört hatte. Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise ausmalen, wie es meinen Liebsten, die mein Leben gewesen waren, mit meinem Tod jetzt erging. Yoshiki, Toshi, Heath, Pata, Taiji, Kiyoshi, Chirolyn, die kleine Mayuko ... meine Eltern, mein Bruder, meine Freundin ... meine Fans! Und außerdem hatte ich jede Menge wichtige Termine!!

Langsam drang in mein Bewusstsein, was es bedeutete tot zu sein: zu warten und trotzdem zu hoffen, dass die anderen trotz des eigenen Ablebens durchhielten. Realität machte betrunken. Und in Wahrheit war es die Naivität des irdischen Lebens, welches die Seele kämpfen ließ. Ich hatte diesen Kampf verpasst. Ich stand hier vor den Toren meines Todes und wünschte mir, wieder lebendig zu sein, auf der Erde zu rocken, obwohl das natürlich ein idiotischer Wunsch war.

"Sterben bedeutet für jeden Menschen etwas anderes", meinte Kizuki. "Für den einen ist es die Erlösung nach langer Qual, ein Neuanfang im Himmel; für den anderen ist es ein Massenmord an irdischen Möglichkeiten, weil das Schicksal zum falschen Zeitpunkt zuschlägt. Und sich hier eine Bleibe aufzubauen kostet Zeit und Nerven, wenn niemand auf einen wartet." Ich betrachtete meine Stiefel. Tränen tropften von meinen Wangen herab. "Eines aber haben beide Welten mit Sicherheit gemein: Existenz bedeutet Leiden. Atmen heißt Hoffen. Wir alle bewegen uns in einem unbremsbaren Kreislauf, bis wir eines Tages dem Gesetz ausgedient haben und der Ehre zuteil werden mit dem Nirwana verschmelzen zu dürfen." Kizuki lächelte selig. Er legte einen Arm um mich und schaute mich von der Seite her an. "Es gibt insgesamt neun große Wolkenformationen", erklärte er unablässig weiter, obwohl ich bereits die Augen halbgeschlossen hatte. "Diese hier ist die zweite, sie befindet sich bei gutem Wetter über Japan, Taiwan und großen Teilen Chinas. Darum nennen wir sie Tenjoukai-Ni. Hier auf dieser Ebene kommt selten noch jemand Neues an, weil die jüngst Verstorbenen in höheren Wolkenschichten weilen. Aber keine Angst: Hier droht trotzdem keine Absturzgefahr. Nur manchmal in den Zeiten des Monsuns und der Taifune driften wir ab. Kann schon mal passieren, das wir dann über Indonesien hängen ...", erläuterte Kizuki, während er sich wieder nachdenklich am Kopf kratzte. Dieser Typ war gar nicht so altmodisch. "Können wir jetzt nur noch hoffen, dass dein Shinigami seinen Allerwertesten endlich hierher schiebt", lachte er. Darauf wusste ich nichts mehr zu erwidern und schloss meine übermüdeten Augen.

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Obwohl ich hier bereits viele Erklärungen zur himmlischen Welt reingepackt habe, wird es trotzdem noch viele Überraschungen geben. ;) Über Kommentare würde ich mich riesig freuen!

To be continued...

Erste Schritte

Soundtrack: http://www.youtube.com/watch?v=CVt6iR9JugM

(Der Text passte so gut dazu...)

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Ich wurde unsanft aus meinem Nickerchen an Kizukis Schulter gerissen. Besagter hatte mich an den Schultern gepackt und war in den letzten Minuten damit beschäftigt gewesen, mich aus meinem bewusstlos anmutenden Zustand wieder in die Realität zurück zu prügeln. "Was'n looos?", presste ich genervt hervor. "Die Luft ist rein", meinte er nur knapp ohne das ich den geringsten Sinn in seinen Worten erahnte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ich wirklich wach war, packte er meine rechte Hand und zerrte mich ohne Vorwarnung nach oben. "Mein Gott, wenn wir jetzt schon Händchen halten, dann können wir auch das Gesieze sein lassen", nuschelte ich undeutlich in meinen nicht vorhandenen Bart. Kizuki, der noch immer meine Hand gepackt hielt, stand von mir abgewandt und starrte grübelnd auf das schwarze Eisentor vor uns. Nebenbei nickte er abwesend, was ich als Zustimmung deutete. "Dann bin ich für dich einfach nur Kizuki", fügte er der Erklärung halber hinzu. "hide. Angenehm." Ich hatte keine Ahnung, woraus dieser Typ nun schon wieder ein Mysterium schmiedete.

"Hör zu, hide", begann er nach endlosen Sekunden. "Ich werde dich hier durchschleusen. Schließlich ist dieses Missgeschick mit dem Passierschein nicht deine Schuld." Ich verstand, dass Kizuki wohl gerade einen inneren Kampf ausgefochten haben musste. Schließlich war es illegal, jemanden ohne den nötigen Schein passieren zu lassen, soviel hatte ich schon kapiert ohne dieses sogenannte Himmelreich von Nahem gesehen zu haben. "Keine Sorge, kommt alles auf mich zurück, falls es irgendwelche Beschwerden geben sollte." Er grinste schief. Ich tat es ihm gleich. "Das heißt also, du willst verbotene Dinge mit mir anstellen?" Kizuki lachte. Sehr laut. Reintheoretisch hätte man meine Ankunft schon längst mitbekommen können, er tat mit seinem Gelächter nur sein Übriges. "Weißt du, hide... Natürlich ist das verboten. Es ist sogar so verdammt verboten, dass es schon wieder lächerlich wirkt und damit nach Legalität nur so schreit." Daraufhin kramte er aus der eingenähten Tasche seines Yukatas einen Schlüsselbund hervor und begann an dem mächtigen Torschloss herumzufurwerken. "Kizuki...", setzte ich an, aber meine Stimme brach ab. Wie sollte ich ihm erklären, dass mich die Welt hinter diesem nostalgischen Tor die Bohne interessierte? Nein, das brauchte ich gar nicht erst zu versuchen. Er kannte mein bisheriges Leben überhaupt nicht. Und auch wenn ich ihm klarzumachen versuchte, dass hier etwas gewaltig schieflief, dann stand ich mit diesem Gefühl allein da. Der Tod schien in Kizukis Augen die normalste Sache der Welt zu sein und rückblickend betrachtet war es wahrscheinlich jene Unverfrorenheit, die mir von Anfang an den nötigen Mut zum Vorangehen ermöglichte.

"Ja?", ging er nebenbei auf meinen nicht zuende gebrachten Satz ein. Kizuki hatte es mittlerweile geschafft, dass Schloss zu öffnen und drückte nun sein ganzes Fliegengewicht gegen den rechten Flügel des Eisentores. Ich konnte jenseits dieser Gitterstäbe weder einen Gott noch einen rosigen Wolkenbausch ausmachen. "Alles in Ordnung?", hakte er nach. "Ich meinte nur... Bist du sicher, dass wir hier im Himmel sind?" Er gluckste. Ich musste ziemlich naiv gewirkt haben, aber wenn er in seinem Alter noch zum jungen Gemüse gehörte, war ich wahrscheinlich in der Seelenkategorie Vorschüler einzuordnen. "Sieh doch einfach selbst", mit einer ausladenden Geste bedeutete er mir, durch das Tor zu treten. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen. Als ich gerade unter dem Torbogen angekommen war, schlich wieder dieses unbehagliche Gefühl meinen Rücken herauf. Kein Engelschor und kein Gott hießen mich willkommen. Stattdessen stand ein dauergrinsender Kizuki an den Torflügel gelehnt und genoss meinen offensichtlich dauerverwirrten Gesichtsausdruck: "hide, willkommen in Tenjoukai-Ni."
 

Gleisendes Sonnenlicht traf meine Augen und ich kniff sie reflexartig zusammen. Die Kälte legte sich und wich einer angenehmen Wärme. Als ich wieder sehen konnte, glaubte ich in einem alternativen Vorort von Tokyo gelandet zu sein. Vor mir breitete sich ein sanftes Tal aus, in dem sich eine weitläufige Stadt erstreckte. Über mir spannte sich eine hohe weißliche Wolkendecke; ich nahm an, dies sei die nächste Schicht, in der die jüngeren Seelen lebten.

Die Stadt war geradezu malerisch. Ich konnte weder Hochhäuser noch blinkende Reklametafeln ausmachen. Wohnhäuser waren scheinbar ungeordnet platziert worden, quer, bunt, mit Gärten, ohne Gärten, eckig, geschwungen, ungeachtet des Gesamtbildes. Trotz aller Eigenheit und Fantasie, stand im Zentrum ein mächtiger Tempel, ein Schrein, der Mittelpunkt der Stadt, ein ruhiger Ort der Zusammenkunft. In diesen wenigen Augenblicken sog ich die Atmosphäre in mich auf, mir wurde bewusst, dass dies hier keineswegs der falsche Ort war, lediglich der falsche Zeitpunkt. Ich fühlte die pulsierende Ader dieses Fleckchens Himmel und verspürte den unbändigen Drang, ihr zu folgen und meinen Platz zu finden. Denn was war schlimmer, als auf der ganzen Welt keinen Ort mehr zu kennen mit dem man sich sowohl mental als auch körperlich verbunden fühlte? Ich musste zumindest herausfinden, was es mit diesem Ort hier auf sich hatte, ich glaubte nicht an Sinnlosigkeit, andernfalls wäre ich wohl in ein bodenloses unendlich tiefes Loch gefallen. Aber nein, noch existierte ich, noch war mein Geist lebendig und meine Neugier hellwach.

Vor kurzem hatte ich in einem Interview gesagt, mein Lebensziel sei es, eines Tages zu verschwinden ohne eine einzige Spur zu hinterlassen. Das war natürlich ein Scherz. Betritt man einmal eine Welt, kann man sie nie, niemals verlassen ohne etwas bewirkt zu haben, sei es gut oder schlecht, sinnlos oder sinnvoll, nur ein schwacher Windhauch oder gar eine große Welle. Ich bin und war ein Teil von allen denen ich begegne. Es spielte keine Rolle, in welcher Sphäre ich weilte, ich musste voranschreiten... Verdammt, warum war das nur so schwer? Als ich sagte, ich wolle keine Spur hinterlassen, schwang darin doch der unmögliche Wunsch, keinem Menschen der Welt weh tun zu müssen. Wie sollte ich das nun verantworten? Nein, nein. Nur nicht nachdenken! Das wirkt kontraproduktiv und endet im Selbstmitleid. Nein, nein. Ich wollte kein Mitleid. Um keinen Preis! Weder von irgendjemandem noch von allen anderen oder gar mir selbst. Mitleid war schon immer etwas für Versager, so hatte ich das von früh an gelernt. Ich wollte mich auf keinen Fall als Versager fühlen, das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Insgeheim dankte ich Kizuki dafür, dass er einfach nur neben mir stand und keinen Ton von sich gab. Er machte seinen Job eben perfekt. Ich musste weitermachen, auf keinen Fall stehenbleiben. Und wenn der einzige Sinn noch darin bestand, mir selbst zu beweisen, dass ich nicht versagt hatte, dann würde ich das tun. Das war das Ziel.

Wenn ich todtraurig bin, dann dreht sich die Welt genauso weiter wie vorher, dachte ich. Das ist ein Gesetz, dass für alle Wesen gilt. Die Wolken ziehen ihre unbekümmerten Wege in der Atmosphäre und ich mit ihnen. Auch wenn ich bereits tot bin, ist die Traurigkeit keine andere. Wenn wir traurig sind, dann heißt das doch lediglich, dass wir emotional lebendig sind. Ich aber wäre gern die Leere gewesen, gern in jenen Herzen, die ich mit meinem Gehen zerrissen habe. Mir war bewusst, dass ich diese Leere, solange ich an einem festen Ort existierte von dem kein Erdenwesen eine Kennung hatte, nicht füllen konnte. Ich musste darauf vertrauen, dass mich niemand vergaß, so wie ich nichts vergessen hatte und nun Kraft der Erinnerung voranschritt. In eine Welt von der ich euch berichten werde. Ich konnte nicht sagen, was genau mich erwartete, aber ich wusste, es würde mir nie langweilig werden. Und so begann mein Leben an diesem grotesken Ort. Ich hatte das Gefühl, auf eine gewisse Weise hierher zu passen. Ich war etwas früh dran, aber sicherlich nicht ungeplant hereingeplatzt. Doofer, eingebildeter Shinigami! Ich will jetzt meinen Passierschein und zwar pronto!
 

"Hee, Tsuki, ich hab Hunger", versuchte ich die andächtige Stille zu durchbrechen. Kizuki machte den Eindruck, als hätte er in den letzten Minuten mit offenen Augen geschlafen und tatsächlich alle Zeit der Welt zum Nichtstun und Warten-bis-hide-aus-seiner-Erstarrung-erwacht. Jetzt räusperte er sich und ging mit einem kurzen Nicken voran. Wir wählten einen nahegelegenen schmalen Pfad und begannen unseren Weg talwärts anzutreten. Schon bald drehte sich die Landschaft vor meinen Augen und ich ließ mich müde auf den nächstbesten Felsvorsprung fallen. "Hee, Tsuki, ich kann nicht mehr. Ich hab seit Stunden nichts gegessen und einen unglaublichen Schädel", erklärte ich ihm und deutete ungelenk auf zweitwichtigstes Körperteil. Im Moment war ich einfach ausgelaugt und meine tiefgründigen Gedanken von vorhin hatten ihren zusätzlichen Tribut gefordert. Kizuki seufzte absichtlich genervt und drehte sich mit einem Grinsen zu mir um. Kurzerhand hievte er mich wieder hoch und bedeutete mir, dass er mich huckepack tragen wolle. Praktisch dieser Typ. Es hätte mich wirklich ernster treffen können. Ein Hoch auf den lieben nicht vorhandenen Gott.

Kizuki setzte ebenso federleichten Schrittes wie zuvor den Abstieg fort. Hier schien tatsächlich einiges leichter zu sein, vor allem das Gehen, wenn man denn ordentlich gefrühstückt hatte.

"Tsuki?"

"Ja?"

"Ich muss mal."

"Aber nicht, solange du auf mir hockst!"

"Tsuki?"

"Was denn?!"

"Bin ich schwer?"

"Das interessiert dich doch im Moment nicht ernsthaft, oder?"

"Hm. Hat Yoshiki auch immer gesagt."

"Jetzt hab ich den Sympathietest vollkommen bestanden, wie? ... Ehm, hide... Du machst gerade meine Schulter nass."

"Sorry."

Kizuki setzte mich ab. Ich nahm an, wir waren angekommen. Er packte mich an beiden Schultern und bewahrte mich vor dem Umkippen. Ich konnte den Kopf nicht heben. Ich wollte nicht weinen, das erschien mir absolut unpassend. Stattdessen versuchte ich abzulenken und zog ihn in eine Umarmung. "Danke", flüsterte ich gepresst. Kizuki überging mein Manöver und zog mich mit sich in das nächstbeste Udonlokal.

Nach der Toilette fühlte ich mich gleich um einige Kilo leichter und bestellte eine ordentliche Schüssel mit frischen Udon. Kizuki saß während ich in nullkommanichts meine Portion aufaß schweigend daneben. "Sag mal", setzte ich an, "warum schmeckt das Essen hier genauso wie auf der Erde?" "Weil es dasselbe Essen ist, du Superhirn", neckte mich der Schwarzhaarige. "Hm. Trotzdem gewöhnungsbedürftig", meinte ich zwischen zwei geräuschvollen Schlürfern. "Heißt das, hier kann man alles kaufen, was es auf der Erde auch gibt?" "Theoretisch schon. Aber wir kaufen hier nichts. Wir tauschen. In diesem Lokal zum Beipiel bekommst du eine Portion Udon gegen zwei Flaschen Quellwasser vom Brunnen im Stadtzentrum. Diese Bedingung ist allen Bewohnern hier bekannt, deshalb geht man vor einem guten Essen immer Wasser schöpfen. Das entlastet die Köche, die ihr Wasser von den Gästen bekommen und ist ein guter Dienst das gemeinschaftliche Miteinander." Ich war ehrlich erstaunt. "Das ist ja gelebte Utopie, oder?" "Ja, wenn ich von den ganzen anderen Problemen absehe, die hier vor sich gehen, dann schon. Schade nur, dass man dafür erst sterben muss", meinte Kizuki und behielt mich im Auge. "Keine Wasserleitungen zu verlegen hat durchaus auch seine positiven Seiten", fügte er hinzu. "Aber keine Sorge. Was mittelalterlich wirkt, wird mit jeder Menge Sinn für Humor betrieben und ist überhaupt nicht unmodern. Im Gegenteil. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen auf der Erde heutzutage dümmer sind als noch 1641 beispielsweise. Blenden wir den technischen Fortschritt aus, hat sich emotional gesehen doch niemand wirklich weiterentwickelt. Menschen sind immer gierig, ungerecht und egoistisch, besonders wenn sie sich nicht sicher sein können, ob sie noch ein zweites Leben bekommen oder nicht. Aber wir hier wissen das ja mittlerweile besser", grinste Kizuki. "Viele Seelen sind so dankbar für das himmlische Leben, dass sie verträglicher werden. Aber das zügelt nicht die Machtgier einzelner, deren Charakter hauptsächlich auf Konkurrenzdenken basiert." Kizuki seufzte. "Ich glaube, solange menschliche Seelen zusammenleben, wird es immer Konflikte geben. Und trotzdem brauchen wir die, ansonsten würde niemals der Wunsch nach etwas Besserem entstehen, ansonsten könnte sich weder die Gemeinschaft noch der Einzelne wirklich weiterentwickeln", fügte ich nachdenklich hinzu. "Hmhm. Das hast du gut gesagt. Ich sehe, wir verstehen uns", meinte Kizuki zwinkernd, während ich mittlerweile meine Udon aufgegessen hatte.

Mein treuer Begleiter zog aus der unerschöpflich aussehenden eingenähten Tasche seines Yukatas zwei Flaschen hervor, stand kommentarlos auf, schritt quer durch den Raum und reichte sie dem Lokalbesitzer mit einer angedeuteten Verbeugung über die Theke. Auf seinem Rückweg sammelte er mich auf und wir verließen das kleine Gasthaus.

Anschließend schlenderten wir den weiteren Verlauf der Straße entlang. Vielmehr war diese vermeintliche "Hauptstraße", wie Kizuki sie nannte, ein ausgetretener, breiter Pfad. Autos schien es keine zu geben, aber die hätten mit ihren Abgasen höchstwahrscheinlich für jede Menge graue Smogwolken gesorgt. Also musste ich mich an diesen neuen nicht vorhandenen Standard erst einmal gewöhnen. Nach Tenjoukai selbst fuhr man mit dem Zug, aber innerhalb des Himmels? Keine Ahnung. Es lief wohl darauf hinaus, dass ich so schnell hier nicht mehr wegkommen würde. Ich seufzte. "Alles in Ordnung?", hakte Kizuki nach. Dann fuhr er ohne eine Antwort abzuwarten mit der historischen Einordnung der verschiedenen Plätze und Häuser fort, an denen wir vorbeikamen. Ich scherte mich gerade herzlich wenig um solche Details. Die Straße schien nicht enden zu wollen. Kurzerhand beschloss ich, in irgendeine Nebengasse abzubiegen, ich wurde gerade von einer Meute Hausfrauen auf der anderen Straßenseite ziemlich angeekelt gemustert. Ohne Vorwarnung lief ich nach links und ließ meinen verwunderten Begleiter stehen.

Doch auch hier wurde es nicht besser. Mir kamen unzählige Menschen entgegen, die entweder völlig abwesend wirkten oder mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. Ich zog meine Mütze etwas tiefer ins Gesicht und achtete nicht auf die entgegenkommende Masse. Als ich unter meinen Füßen plötzlich weichen Rasen spürte, sah ich mich um. Ich war von der Straße abgekommen. Vor mir breiteten sich weiße Wattebausche aus, hinter mir lag die Stadt. Etwas abseits am Rande dieser entdeckte ich einen Laden, der meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort musste ich unbedingt hin.

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To be continued...



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Hypnos
2011-10-01T18:38:39+00:00 01.10.2011 20:38
Hallo nochmal :)

Das Kapitel gefällt mir wieder sehr gut :)
(und dieses Mal habe ich leider auch nicht wirklich was zu bemängeln)
Ich finde deinen schreibstil nach wie vor sehr angenehm zu lesen und die Story auch noch immer richtig gut!

Weiter so! ;3
Von:  Hypnos
2011-09-25T09:01:40+00:00 25.09.2011 11:01
Hey!
Eine sehr schöne FF, klingt vielversprechend :) Das mal vorab!
Dein Stil gefällt mir auch richtig gut, also, ich freue mich auf ein weiteres Kapitel, einen kleinen Verbesserungsvorschlag hab ich jedoch noch:

"Last stop. All out."
Last Stop ist soweit okay... all out jedoch würde ich nicht schreiben... schreib lieber sowas wie "Please leave the train immediateley"

"Return tickets outsold."
Und hier... ganz simpel nur: "All Return tickets are sold out"

grüße und hoffentlich bis zum nächsten Kapitel,
Hypnos :)


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