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Von Via zu Tod

Nicht dem Leben mehr Tage hinzufügen, sondern den Tagen mehr Leben geben.
von

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Totgesagte leben länger

Prolog
 

» Immer öfter werden Kinder in ihrem häuslichen Umfeld vernachlässigt. Eileen Summers war gerade Mal acht Jahre alt, als ihr Vater…«
 

» Kenny, spiel nicht am Fenster.«, rief die rothaarige Frau laut durch das Wohnzimmer und öffnete mit einem geübten Handgriff ihre Bierflasche. Ihr Blick wandte sich keine Sekunde vom Fernseher ab.

»Aber Mama, schau Mal was ich kann…!«, die Frau drehte sich nicht um. Der Mann an ihrer Seite drückte seine Zigarette auf dem verdreckten Glastisch aus und griff nach der Fernbedienung.

»Das ist doch Dreck.«, nuschelte er abwesend und schaltete um, ohne das seine Frau irgendwas zu bemerken schien.

»A-aber Mama, schau doch Mal!«

»Nicht jetzt Kenny.«, sie starrte weiter auf den leuchtenden Bildschirm und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Bierflasche. Ihre Augen stierten blutunterlaufen nach vorn, ohne das sich irgendwelches Leben in ihnen abzeichnete. Der blonde Mann rülpste einmal und stocherte sich mit einem dreckigen Finger zwischen seinen Zähnen herum, während er weiter auf den Fernseher glotzte. Er im Gegensatz zu seiner Frau schien den Inhalt der Sendung noch zu erfassen. Es war eine Realitysendung.

»Absoluter Dreck.«, kommentierte er abermals und bemerkte nicht wie sein Sohn gefährlich auf dem Fensterbrett direkt hinter ihm balancierte.
 

»Sie ist völlig außer Kontrolle! Tagelang ist sie nicht zu Hause und sagt mir nicht wo sie war. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Mein Mann sagt manchmal, ich hätte sie abtreiben sollen.«
 

»Dafür warst du damals zu blöd, du dummes Weibsstück.«, die Rothaarige hob den Kopf und spuckte vor seine Füße.

»Halts Maul.«

»Mama…!«

»Ich sagte, nicht jetzt, Kenny.«, beiläufig zündete sie nun eine Zigarette an und schob sie sich in den Mund.
 

»Vielleicht wäre mein Leben anders gelaufen, hätte ich sie damals abgetrieben. Ich war einfach zu jung. Heute wünsche ich mir manchmal sie wäre… einfach nicht da.«
 

Kenny schrie laut. Doch seine Eltern schauten nicht Mal auf. Der kleine Junge hatte den Halt verloren und ruderte wild mit den Armen. Er versuchte verzweifelt nicht das Gleichgewicht zu verlieren, doch es half nichts. Fast wie in Zeitlupe fiel er rückwärts aus dem Fenster. Der Wind rauschte ihm um die Ohren und sein blondes Haar versperrte ihm die Sicht, während er immer schneller fiel. Es fühlte sich an als würde er fliegen.

Ein lauter Aufprall, begleitet von einem widerlichen Knirschen. Der kleine Junge war mit dem Kopf zu erst am Boden aufgekommen und rührte sich nicht. Sein Kopf blutete heftig und stand in einem unnatürlichen Winkel zu seinen Schultern ab. Seine Eltern hatten nichts bemerkt.

Carpe Diem

»Du bist in letzter Zeit ziemlich bequem geworden.«

»Mh.«

»Vielleicht würde es dir gut tun deine Arbeit wieder mal selbst zu erledigen.«

Die Dunkelhaarige verschränkte kritisch die Arme vor der Brust und musterte die bleiche Gestalt auf den Thron mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Tse… Warum sollte ich?« Die Frau schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und ging bestimmt ein paar Schritte vor.

»Du hast verdammtes Glück, dass deine Faulheit nicht ansetzt!« Sie stach ihm unwirsch mit ihrem Zeigefinger in die Brust und verengte ihre braunen Augen zu Schlitzen.

»Schwester, bitte mach dich nicht lächerlich.« Ein kehliges Lachen drang über seine schmalen Lippen, während er sich der Frau angriffslustig entgegen lehnte.

»Mein Reich ist hier , warum also, sollte ich es verlassen? « Zufrieden mit sich und seiner Antwort lehnte sich der blasse Mann wieder zurück in seinen Thron und faltete seine Hände zusammen.

»Warum denn nicht? « Er reagierte nicht.

»Aah! Du machst mich wahnsinnig! «, rief die Dunkelhaarige laut und drehte sich ab. Im nächsten Moment war sie verschwunden. Tod verdrehte teilnahmslos die Augen. Das war alles so unheimlich typisch für sie. Kam hierher um sich bei ihm über etwas zu beschweren, was sie nicht einmal persönlich betraf. Wie gewohnt lehnte er sich wieder entspannt in seinem Thron zurück und schloss die Augen. Die übliche leblose Ruhe war wieder eingekehrt. Immer wenn Leben sein Reich betrat, füllte es sich mit etwas, dass hier einfach nicht reinpassen wollte. Aber jetzt, jetzt war alles wieder einfach so wie es sein sollte. Doch da sollte er sich irren. Unbeholfene Schritte hallten von den Wänden und etwas Kleines betrat sein Reich.

»… Meister.« einer seiner vielen gesichtslosen Helfer betrat die große Halle und verneigte sich tief vor seinem Herrn.

»Was gibt es?«, fragte Tod etwas kühl und setzte sich wieder gerade auf.

»Meister, ein Problem. Ein großes Problem.« das Wesen verneigte sich noch tiefer und wagte es nicht auch nur einmal aufzuschauen. Tod sagte nichts, sondern wartete darauf, dass die Kreatur weiter sprach.

»Es geht um einen Menschen, Meister.«

»Was ist das Problem?«

»Er stirbt nicht.« Tod lachte auf und schüttelte den Kopf. So etwas selten Dämliches hatte er in all den tausenden von Jahren, in denen er schon im Amt war nicht gehört.

»Das kann nicht möglich sein. Niemand umgeht mich.«
 

Schon eine kleine Ewigkeit wie es ihm schien, wütete er in der Akte des vermeintlichen Menschen herum, der ihn offensichtlich nicht zum ersten Mal überlistete. Ein Haufen kleiner schwarzer Gestalten war vor ihm versammelt, wobei keiner von ihnen so wirklich sprechen wollte. Sie standen stocksteif da, so als wäre es ihre Schuld, dass der Mensch noch lebte.

»Und warum bitte, erfahre ich erst jetzt davon?« Die kleinen Helfer traten synchron einen Schritt zurück und verbeugten sich zeitgleich sehr tief.

»Ein Fehler, Meister. Wir hielten es für einen Fehler.«

»Aha und was hat euch überzeugt, dass es keiner ist? « kalte Wut lag in seiner Stimme. Noch nie hatte ihm jemand entkommen können. Alles Leben führt zu ihm, da konnte nicht einfach einer sagen, dass er nicht mitmachte. Er entschied wann es für jemanden an der Zeit war.

»Es war ein Zufall, Meister. Erschlagen wurde er. Ich wollte ihn mitnehmen, doch bevor ich ihn greifen konnte…«, um seine Aussage zu stützen hob das Wesen sie krallenbesetzte Hand und tat so als wollte es irgendetwas in der Luft liegendes an sich reißen.
 

»War er verschwunden.«

»Verschwunden?«, wiederholte Tod so, als würde er dem Wesen keinen Glauben schenken.

»Ich konnte ihn nicht mehr sehen, Meister.« Wieder klappte er die Akte auf. Das Bild eines blonden Jungen strahlte ihm entgegen. Er wirkte jung, fast noch kindlich.

»Kenneth Hawker.«, las Tod laut und ließ seinen Blick über die eigentümliche Schrift gleiten,

»In Menschenjahren 19, hätte laut dieser Akte… Bereits mehr als 72 Mal sterben müssen. 72 Mal! «, Tod verstummte einen Moment und warf einen strafenden Blick zu seinen Helfern. »Da ihr offensichtlich mit dieser kleinen Aufgabe, einen einzelnen Menschen in mein Reich zu bringen überfordert seid… Werde ich mich dem wohl persönlich annehmen müssen. «
 

Es war schon etwas länger her, dass Tod das Reich der Lebenden betreten hatte- und zugegeben seit her hatte sich einiges getan. Die Straße auf der er lief war schwarz, bemalt mit einigen weißen Markierungen. Pfeile, Striche, Linien - Menschen waren wirklich fragwürdige Gestalten. Warum bemalten sie ihre Straßen derart sinnlos? Es schien als würde Tod förmlich über den Asphalt hinweg schweben, ohne sich wirklich bewegen zu müssen. Frei von jeder Fessel ließ er seinen Blick schweifen. Natürlich nahm ihn kein Lebender wahr. Genauso wenig wie er die Lebenden richtig wahrnehmen konnte. Er sah sie schemenhaft, als undeutliche Klötze, die sich ab und an bewegten. Erst wenn sie dem Tod nahe waren, konnte er sie klarer erkennen. Bis sie endlich ihre Körper verließen und bereit waren ihm zu folgen. Nun. Die wenigsten waren bereit, egal wann er kam, er kam unpassend. Zu früh, zu spät. Lebenden konnte man es einfach nie recht machen. Wie ein Phantom glitt er durch einen kleinen Park, zielsicher auf eine Seitenstraße zu, die im Dunkeln von einfachen Passanten oft übersehen wurde. Tod wusste genau wo er suchen musste, es war ein tiefer Instinkt der ihn leitete. Es war eine Gabe, die ihn als Tod ausmachte.
 

»Kenny! Hör auf mit dem Scheiß, das ist nicht lustig!« Es war die Stimme eines Mädchens. Sie klang heiser, vielleicht auch ein wenig panisch. Tod glitt ein wenig näher heran. Es war fast als wäre sie unsichtbar. Langsam hob er seinen Kopf. Den Jungen konnte er deutlicher erkennen. Er stand weit oben und balancierte auf einer Dachkante.

»Gott, mach dir nicht ins Hemd.«

»Kenny! Du fällst gleich runter. Du verletzt dich noch…!«

»Und wenn schon.«

»Kenny-«

»Kenny, Kenny, Kenny… Kannst du auch Mal was Anderes sagen?«

Das Mädchen zog wütend die Augenbrauen zusammen und gab ein beleidigtes Geräusch von sich.

»Bitte was? Ich bin nicht diejenige, die auf einem Dach rumspaziert und sich dabei fast auf die Fresse legt!«

»Reg dich endlich ab. Mir passiert nichts, du Heulsuse.«

»Schön.« Das Mädchen klang nun ernsthaft gekränkt, sie drehte sich ab und lief geradewegs durch Tod hindurch.

»Ich gehe. Wir sehen uns Ken- Kenny!« Ein Ziegel unter den Füßen des Blonden brach wie aus Geisterhand weg. Bevor der Junge verstanden hatte was da gerade passiert war, fiel er bereits. Gerade als er hatte aufschreien wollen, kam er unter einem hässlichen Knirschen auf der Straße auf.

»Oh Gott!«, die Stimme des Mädchen überschlug sich fast. Sie hatte sich umgedreht und war zu dem Blonden rüber gehastet. Sie stolperte vor Aufregung fast über ihre eigenen Füße, bevor sie sich an die Seite von ihrem Freund kniete.

»He-hey… Ganz ruhig, i-ich rufe den Krankenwagen… Es wird alles gut.« Kenny stöhnte leise auf und presste sich mit der letzten Kraft die er hatte in den Arm seiner Begleiterin.

»Scheiße…« Alles war voller Blut. Auf Tods Lippen kräuselte sich ein schmales Lächeln. Wenn man wollte, dass etwas richtig erledigt wurde, musste man es eben selber machen. Und genau das hatte er getan. Die Konturen des Jungen wurden klarer, sein Körper fast greifbar.

»Kenneth Hawker.« Der Blonde schaute auf und erblickte die Bleiche Gestalt. Er zuckte und riss die Augen auf.

»W-wer bist du?« Er versuchte zurückzukrauchen, doch sein Körper bewegte sich keinen Millimeter. Ein blutiges Rinnsal lief ihm über die Augen, während er seinen Blick nicht von dem Fremden abwenden konnte.

»Der Tod. Es wird an der Zeit.« Der Junge lebte noch. Er stand lediglich mit einem Fuß im Grab. Aber das reichte ihm schon. Er würde den Jungen jetzt mit sich nehmen, komme was da wolle.

»B-bitte was? Sie… Sie spinnen doch total, ich… Ich bin doch nicht tot!«

»Das sehe ich anders.«

Tod streckte die Hand nach dem Jungen aus, doch plötzlich verschwand der Blonde aus seinem Sichtfeld. Es war als würde ihn der Mensch aus den Fingern gleiten, während er ihn doch eigentlich in sein Reich geleiten sollte. Sprachlos verfolgte Tod das Geschehen ohne irgendetwas dagegen tun zu können. Der Junge verschwand vor seinen Augen! Er streckte die Hand aus, wollte den Menschen halten und wenn nötig mit Gewalt in sein Reich zerren, doch es ging nicht. Es ging einfach nicht. Seine Hand griff einfach durch den Blonden hindurch, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Tod war wieder blind und stand praktisch in seinem eigenen Staub. Wütend stülpte er sich seine Kapuze vom Kopf und verengte die Augen zu Schlitzen. Wieso hatte er diesen Menschen nicht mitnehmen können! Er!

Tod würde noch Mal in die Menschenwelt müssen, um herauszufinden was da los war. Er musste wissen, wieso der Junge noch lebte. Immerhin wurde ihm hier gehörig in seine Aufgabe gepfuscht. Doch dieses Mal würde er die Welt nicht als Tod betreten. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen und er wusste jetzt schon, dass ihm das gar nicht gefallen würde.
 

»Du…?« Leben musste sich die Seiten halten um nicht umzufallen. Sie lachte so laut, dass ihre Stimme von den Wänden widerhallte. Tod hingegen fand das Ganze offensichtlich nicht halb so witzig. Er hatte seine Arme recht steif verschränkt und schaute starr zu der Dunkelhaarigen hoch.

»Was. Ist. So. Witzig?« Selten hatte Tod so trocken geklungen. Die Frau verstummte einen Moment, schnappte nach Luft und drehte sich ab.

»Oh, es ist nichts. Aber hast du mir nicht vor nicht allzu langer Zeit erzählt, dass du dein Reich nicht verlassen musst?«

»Das muss ich auch nicht.«, entgegnete der bleiche Mann schnell und wandte seinen Blick ab. Er mochte das Reich des Lebens nicht besonders. Es war viel zu hell und… freundlich.

»Ah ja. Deswegen kommst du zu mir, um mich um eine menschliche Hülle zu bitten?«

»Selbst du, meine Liebe, solltest die Dringlichkeit meiner Bitte verstehen.« Leben seufzte schwer.

»Gut. Ist ja gut. Dir ist aber hoffentlich klar, dass du ein bisschen mehr brauchst, als nur eine menschliche Hülle, um in der Lebenden Welt irgendwas zu bewegen.« Tod lachte amüsiert auf.

»Menschen sind klüger als du denkst!«

»Sind sie nicht.«

»Doch das sind sie. Sie sind vielen Geheimnissen des Lebens von ganz allein auf die Spur gekommen, weißt du?«

»Oh, nein, Schwester. So läuft das nicht. Du willst nicht, dass sie dir auf die Schliche kommen und trotzdem fütterst du sie immer weiter mit Informationen. Von wegen von alleine auf die Spur gekommen. Du gabst ihnen die Philosophie und sie kamen deinen Fragen näher, dann gabst du ihnen die Biologie und sie kamen dir noch näher. Das ist doch alles völlig paradox und idiotisch. « Tod setzte ein herablassendes Lächeln auf. So war das nun Mal mit dem Leben.

»Nein das ist nicht idiotisch. Es ist kompliziert. Verstehst du?«, sie unterbrach sich selbst und setzte nun einen Ton auf, bei dem man hätte denken können, dass sie mit einem Dreijährigen sprach, nicht mit dem Tod persönlich.

»Das Leben ist kompliziert, deswegen bin ich ja auch eine Frau. Der Tod dagegen ist ein Mann… « Tod hob eine Augenbraue an und betrachtete seine ewige Begleiterin skeptisch.

»Und Männer sind … nennen wir es simpel. «

»…« Es war immer wieder unglaublich was Leben für eine Logik an den Tag legte. Manchmal fragte er sich, warum er eigentlich noch überrascht war.

»Ich werde nicht lange brauchen.«, wechselte er galant das Thema und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Das glaube ich kaum. Es ist nicht so einfach bei den Menschen wie du denkst.« Tod lachte auf.

»Oh bitte. Das sind Menschen

»Die sind mehr auf Zack, als du vielleicht denkst.« Leben wurde zunehmend ärgerlicher und zog die Augenbrauen warnend zusammen. Tod schien das herzlich wenig zu kümmern.

»Nur weil sie deine kleinen Rätsel gelöst haben, heißt das nicht, dass sie auf irgendeine Weise intelligenter sind, als irgendwelche kleinen Stofftiere. « offensichtlich hatte Leben immer noch nicht genug. Immer wenn sie in einer ihrer ewigen Diskussionen nicht weiterkamen, wiederholte sie ihre Worte, so als würde das was an seiner Meinung ändern.

»Kleinen Rätsel? Ich fand das mit der Biogenetik ein starkes Stück.«, entgegnete die hochgewachsene Frau nun etwas resigniert und zuckte mit den Schultern.

»Und alle Fragen haben sie nicht gelöst.«

»Drei. Und zwei davon gehören streng betrachtet mir.«
 

»Wie ist das erste Leben entstanden? Was ist der Sinn des Lebens? Was kommt nach dem Tod?« Julien Moore, enthusiastischer Philosophielehrer an der Valemont High, nahm sein Fach nicht nur ernst, sondern war auch der Überzeugung das es nichts Wichtigeres gäbe, als über die Essenz des Seins zu sinnieren. Leider hatte Mr. Moore immer noch nicht begriffen, dass sein Unterricht nach drei Jahren immer noch keinen sonderlichen Anklang bei seinen wenigen Schülern gefunden hatte. Kain Tucker vertrieb sich lieber die Zeit damit ein Mädchen vor ihm mit kleinen Papierkügelchen abzuwerfen, während sein bester Freund neben ihm verhalten kicherte. Auch Kenneth Hawker und seine Freundin Kaylee zeigten nur begrenztes Interesse an dem Philosophieunterricht. Stattdessen hatten sie ihre Köpfe zusammengesteckt und führten ihre eigene unphilosophische Diskussion.
 

»Nein du verstehst nicht. Ich hatte echt das Gefühl da war jemand…!«

»Kenny, du spinnst. Da war niemand.«

»Doch. Ehrlich, das war kein Traum.«

»Nein Kenny. Das war ein Traum. Du bist dieses dämliche Haus runtergefallen! Wer weiß… Vielleicht hast du dir eingebildet irgendwas zu sehen.«

»Ich hab mir nichts eingebildet, okay?«

»Ich hab niemanden gesehen, Kenny. « Für Kaylee war dieses Gespräch offensichtlich beendet. Der Blonde konnte es nicht fassen. Etwas herrisch griff er nach ihrem Handgelenk und zog sie ein Stück zu sich, bevor sie sich abwenden konnte.

»Hör Mal, Kaylee…«
 

»Miss Gold, Mr. Hawker, es wäre sehr freundlich wenn Sie meinem Unterricht genauso folgen könnten wie ihrer kleinen Diskussion.« Kenny schaute seufzend auf und murmelte etwas Unverständliches, während Mr. Moore nun ungehalten für Ruhe in seiner Klasse sorgte.

»Zu morgen schreiben Sie mir alle einen Aufsatz über die drei ungelösten Fragen, der Philosophie. Ich werde das einsammeln…« Ein lauter entnervter Seufzer ging durch die Klasse. Ein dunkelhaariger Junge schlug seinen Kopf gegen die Tischplatte und knurrte leise, während Kenny sich wieder zu Kaylee wandte. Für ihn war das Thema noch lange nicht vom Tisch, doch Kaylee würdigte ihn keines Blickes. Stattdessen nahm sie ihr Hausaufgabenheft hervor und notierte die Aufgabe.

»Okay Kenny, ich muss los. Ich muss nämlich noch lernen. Sag Bescheid, wenn du von deinem Trip wieder runter bist. « Mit den Worten stand sie auf und verließ die Klasse mit einer anderen Gruppe Mädchen. Kenny blieb allein zurück und legte sich eine Hand an die Schläfe. Seit seinem Unfall von vor drei Wochen, war Kaylee schnell überreizt, wenn er von seiner Halluzination anfing. Aber er war sich so sicher gewesen. Diese bleiche Gestalt, die ihre Hand nach ihm ausgestreckt hatte. Nein, er konnte sie sich doch nicht einfach nur eingebildet haben? Sie hatte so unheimlich… real gewirkt.
 

»Und vergiss nicht… Immer schön menschlich bleiben.« Leben fühlte sich fast wie der Coach eines besonders berühmten Sportlers. Sie stand hinter Tod und massierte seine Schultern, so als wollte sie ihn gleich in den Ring schicken. Der Schwarzhaarige seufzte tief und schwer.

»Das ist dein Tipp für die Welt der Lebenden? Immer schön menschlich bleiben?« Leben verzog abermals das Gesicht und schob die Unterlippe vor.

»Was willst du noch? Iss dein Gemüse, wasch dich immer hinter den Ohren, steck dein Hemd in die Hose…«

»Du weißt genau was ich meine!«, herrschte Tod sie etwas unwirsch an und musterte sein Spiegelbild in einem Schaufenster. Was er sah gefiel ihm nicht. Er war durchschnittlich groß, hatte schwarzes Haar, einen relativ hellen Hautton und zwei mausgraue Augen. Nicht gerade so wie man sich den Tod vorstellte. Aber etwas Passenderes als das war Leben wohl nicht eingefallen.

»Hast du einen Namen? «, fragte die Dunkelhaarige nun etwas pikiert und rümpfte ihre Nase beleidigt. Woher er sich das Recht nahm sie einfach so anzufahren war ihr schleierhaft.

»Name?«

»Hallo…! Du bist ein Mensch, Menschen haben Namen! Und Glaub mir, die nennen sich für gewöhnlich nicht Tod.«

»Das ist doch völlig überflüssig.«

»Nicht wenn du hier eine Weile bleiben willst. Glaub mir, es wird der Punkt kommen, wo du deinen Namen nennen musst.« Tod antwortete nicht und verdrehte stattdessen die Augen – na wenigstens das funktionierte in dieser Hülle noch richtig. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der Leben ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, öffnete er schließlich den Mund:

»Das kann ich auch improvisieren.« Leben lachte laut auf und schüttelte den Kopf.

»Improvisieren? Ich kenne dich. Sobald du dich irgendwo vorstellen musst, kommen dir so dämliche Namen wie Bob in den Kopf.«

»Das stimmt nicht.«

»Ach ja? Wie heißt du?«, fragte sie spontan und lächelte ihn etwas überheblich an. Sie kannte diesen Mann einfach gut genug, um zu wissen wie unkreativ er war.

»Ähm… Martin.«

»… Martin? Willst du dich ernsthaft Martin nennen?«

»…« Während Tod so den Boden begutachtete kam ihm der Gedanke, dass das mit der Menschenwelt vielleicht doch nicht so einfach werden würde wie er anfangs gehofft hatte.
 

Dass es in der Menschenwelt alles andere als einfach zugehen konnte, hatte Kenneth Hawker schon oft genug am eigenen Leib erfahren müssen. Seufzend ging er ein paar Schritte und starrte auf ein nicht weit entfernt stehendes Haus. Es war heruntergekommen, die gesprungenen Fenster standen offen und der Vorgarten schien auch schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Einen Moment lang zögerte der Blonde, bevor er das morsche Holztor aufstieß und auf die Tür zuging. Er hasste es wie die Pest hierher zu kommen, allein der Geruch der hier in der Luft lag, brachte ihn dazu den Atem anzuhalten.

»Kenny da bist du ja. Wo warst du?«, die Stimme der Frau klang vorwurfsvoll.

»In der Schule. « Kenny ging achtlos den verdreckten Flur entlang und trat eine alte Verpackung einer Pizza beiseite.

»Schule?«, wiederholte die Rothaarige, so als hätte sie nicht verstanden. Sie lag auf einem Sofa, das wohl mal grün gewesen war und hatte eine leere Bierflasche in der Hand.

»Sieh zu, dass das nicht noch Mal vorkommt. « Kenny achtete gar nicht mehr auf ihre Worte. Sie klangen weit hergeholt und meistens wusste diese Frau sowieso nicht mehr wovon sie redete.

»Trink weniger.«, sagte er stattdessen wenig überzeugt und warf seine Schultasche in eine Ecke.

»Du hast mir gar nicht zu sagen! « Die Rothaarige richtete sich empört auf und musterte den Blonden mit einem verschleierten Blick.

»Ich bin deine Mutter, verstanden? Sei ein wenig respektvoller!« Kenny lachte freudlos auf und schüttelte sich, bevor er sich abdrehte und immer noch laut lachend in sein Zimmer ging.
 

»Du braucht mich nicht bis hier hin begleiten. « Entnervt hatte Tod die Arme verschränkt und blickte zu seiner ewigen Begleiterin, die ihn sogar bis in die Menschenwelt verfolgt hatte. Inzwischen hatten sie eine Seitenstraße erreicht, die Tod als diese wiedererkannte, in der er den blonden Jungen fast mit in sein Reich gezerrt hätte.

»Warum denn nicht? Ich kann dich ja wohl ein Stückchen begleiten, nicht dass du dich verläufst.«

»Pah, das würde gar nicht nötig sein, wenn du mir endlich Augen geben würdest, die in der Welt auch ordentlich sehen können.« Leben lachte und klopfte Tod verständnisvoll auf die Schulter.

»Das habe ich doch schon.«

»Wie bitte? « Der bleiche Mann runzelte die Stirn und musterte Leben mit einem skeptischen Blick.

»Sehr witzig. Ich sehe nichts.« Zumindest nichts, was für Tod von Bedeutung war. Eigentlich hatte er damit rechnen müssen, dass Leben versuchte ihn reinzulegen. Diese setzte nun einen wenig erfreuten Gesichtsausdruck auf und fuhr sich einmal gespielt lässig durch das schwarze Haar.

»Was bitte meinst du? Das sind menschliche Augen.«

»Was?! Die sind ja fast blind!«

»Pah! Gewöhn dich besser dran.«
 

Kaylee hatte allem Anschein nach die Nase voll. Ihre Augen funkelten wütend zu Kenny rüber, der gekonnt in eine andere Richtung starrte, während sie gemeinsam eine Straße entlang gingen.

»Ignorier mich gefälligst nicht!«, zeterte sie schließlich wütend und biss sich auf die Unterlippe. Der Blonde erwiderte nichts. Er war diese ewige Diskussion einfach leid. Sie führte doch sowieso zu nichts.

»Du… Du bist einfach unglaublich, Kenny. Ist dir eigentlich klar was du da machst?« Kenny antwortete immer noch nicht und versteifte sich stattdessen in seine Trotzhaltung. Sein Blick war immer noch von Kaylee abgewendet, während er irgendeinen Punkt in der Ferne anvisierte. Das Mädchen öffnete den Mund um weiter auf Kenny einzureden, als dieser abrupt stehen blieb und seinen Kopf langsam zu Kaylee drehte.

»Hör zu. Ich weiß genau was ich tue, okay? Ich habe lange und oft darüber nachgedacht und weißt du was? Ich mach’ das nicht zum ersten Mal, also reg’ dich ab.«, er klang entnervt. Es war auch nicht das erste Mal, dass Kenny diese Worte sagte. Jedes Mal wenn er auf den Weg zur örtlichen Forschungskammer war, musste er sich die Predigt seiner kleinen Freundin anhören.

»Abregen? Kenny, hörst du dir eigentlich Mal selber zu?« In ihren Augen glitzerten Tränen, während sie nun etwas verzweifelt nach den Arm des Blonden griff.

»Verdammt noch Mal, Geld ist nicht alles!«, setzte Kaylee nun noch verzweifelter hinter her und schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte nicht dass Kenny dahin ging. Dieser Ort war nicht gut für ihn und das Schlimmste daran war, dass der Junge das schlicht weg nicht einsehen wollte. Für ihn zählte nur das Geld. Geld, Geld, Geld. Das war es um was sich Kennys kleine Welt drehte.

»Weißt du, Kaylee? So kann nur jemand sprechen, der keine Ahnung davon hat, wie es ist mit der Armut klarzukommen.« Kenny klang wütend. Seine Nackenhaare stellten sich auf, während sich seine Hände zu Fäusten ballten.

»Du hast absolut keine Ahnung wie es ist, ständig mit der Angst zu leben, morgen nichts auf den Tisch zu haben!« Kaylee musterte ihren besten Freund einen Moment, sagte aber nichts.

»Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. « Kenny beschleunigte seinen Schritt, in der Hoffnung sie abhängen zu können, doch so einfach wollte Kaylee es ihm nicht machen. Sie war ihm halb hinterher gerannt und packte seinen Arm.

»Warum suchst du dir nicht einen anderen Job? Warum muss es denn so was sein? Ich meine… wer weiß was passieren könnte!« Kenny verzog das Gesicht und presste ein sehr gezwungenes Lachen über seine Lippen.

»Was soll denn bitte passieren?«

»Das ist nicht komisch, Kenny.«, Kaylee presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht fassen, wie leichtfertig ihr Freund mit diesem Thema umging. Sie sah so aus als hätte sie ihm am liebsten eine geohrfeigt.

»Das war auch kein Witz.« Auch Kennys Gesichtsausdruck hatte sich erhärtet, denn er meinte seine Worte ernst.

»Es ist doch scheißegal was die da mit mir machen. Im schlimmsten Fall wache ich morgen wieder im Forschungslabor auf, ohne dass irgendwer Notiz davon nimmt.«

»Es ist nicht scheißegal, Kenny! Was ist wenn du nicht mehr aufwachst? Wir beide wissen nicht was das ist. Vielleicht solltest du es nicht so ausreizen!« Kenny sagte nichts mehr, im Gegenteil, er wurde nur noch schneller und verschwand schließlich in der Tür des Forschungszentrums. Kaylee schrie laut und wütend auf.

»Das darf doch nicht wahr sein!«
 

»Entschuldigen Sie?« Kaylee verstummten schlagartig und drehte sich zu der Gestalt um, die sie gerade in ihrem kleinen Ausbruch unterbrochen hatte. Es war eine bleiche Gestalt, nicht besonders groß, aber dennoch ein Blickfang. Etwas an ihm wirkte einfach falsch.

»Ich denke mir geht es nicht gut. Mein Magen krampft sich in unregelmäßigen Abständen zusammen.« Der Mann nickte müde und legte den Kopf nachdenklich schief.

»Soll ich einen Arzt rufen?« Kaylee war schon kurz davor ihr Handy hervorzuziehen, als der Dunkelhaarige schon den Kopf schüttelte.

»Nein. Ich dachte Sie können mir sagen was mir fehlt.«

»Ich… bin kein Arzt, Mister.« Sie runzelte die Stirn und musterte das Gesicht des Mannes mit wachsender Neugierde. Er wirkte irgendwie ziemlich weltfern, seine grauen Augen fixierten keinen bestimmten Punkt, sondern wanderten ziellos durch die Gegend, so als würden sie etwas suchen. Dann ein lautes Knurren. Kaylee starrte zu dem Mann der sich nun mit fast verärgertem Gesicht den Bauch hielt.

»Wann haben Sie das letzte Mal was gegessen? Vielleicht… haben Sie Hunger?«

»Hunger? …Das könnte natürlich sein.«, er griff sich abermals an den Bauch und schüttelte ungläubig den Kopf, so als würde er das erste Mal in seinem Leben etwas Derartiges verspüren. Die Jugendliche hingegen schien nicht halb so verwundert über den Fakt, dass er hungrig war, als dass er überhaupt danach fragte.

»Und wo bekomme ich etwas zum Essen?« Kaylee verzog das Gesicht. So wie der Mann die Worte betonte hätte man glauben können, dass er eine vollkommen andere Sprache im Kopf hatte.

»Da gibt’s ’nen Supermarkt.«, sagte sie nun etwas zögerlich und setzte ein gespielt freundliches Lächeln auf, das binnen Sekunden allerdings wieder von ihren Lippen wich.

»Da… können Sie etwas kaufen.«, fügte sie unsicher hinzu, als sie den irritierten Ausdruck in seinen Augen sah.

»Kaufen?«

»…Ja, kaufen… Mit Geld… ähm Sie wissen schon.« Er wusste nicht und das sah man seinem Gesicht auch recht deutlich an. Kaylee runzelte überfordert die Stirn. Sie hatte keine Ahnung was sie von diesem merkwürdigen Typen halten sollte. Am liebsten wäre sie einfach weggegangen, aber irgendwie hatte sie nicht das Gefühl einfach so verschwinden zu können.

»Geld? Wie bekommt man… Geld?«

»Durch Arbeit?« Wie alt war der Kerl? Stellte er sich mit Absicht so dumm, oder tat er nur so? In Kaylees Kopf spielten sich plötzlich einzelne Horrorszenarien ab, die irgendwie alle auf Kidnapping hinausliefen. Sie schluckte einmal schwer und versuchte ihr Unterlid zucken unter Kontrolle zu bringen.

»Und wie bekommt man eine… Arbeit?« Kaylee schüttelte den Kopf. Das konnte doch einfach nicht sein Ernst sein. Einen kurzen Moment fragte sie sich welcher Anstalt genau er entsprungen war, dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und atmete einmal tief ein.

»Durch… ähm… das Arbeitsamt?«

»Und wo finde ich ein solches… Arbeitsamt?« Der Typ konnte nicht von hier sein. War er ein zu groß geratenes Kind, oder was tickte in seinem Kopf nicht richtig?

»Da vorn.. also die Straße entlang und dann einfach rechts. Da ist eins. Einfach eine Nummer ziehen und warten.« Kaylee lächelte etwas verschwitzt und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich muss dann auch los, ähm man sieht sich.« Das Mädchen war so schnell weg, dass sogar Tod nicht mit dem Schauen hinterher kam.
 

»Nr. 346, bitte in Raum 12. Nr. 346, bitte. «
 

Tod betrat den Raum etwas zögerlich und ließ seinen Blick schweifen. Lediglich eine Büroangestellte, die ab und an aufschaute saß auf einen Stuhl und blickte ihn auffordernd an.

»Setzten Sie sich. Ihr vollständiger Name, bitte?«, fragte sie etwas pikiert und tippte geschäftig auf ihrer Tastatur herum.

»Damien.«

»Damien und weiter?« Tod antwortete nicht. Stattdessen wanderte sein Blick hektisch über die Bücherregale, auf der Suche nach einem tragbaren Namen. Doch hier war nichts.

»Was… denken Sie?«

»Bitte was?«

»Was Sie denken, was mein Name ist?«, setzte er nach und hatte damit wohl das Falsche gesagt. Die Frau schüttelte verärgert den Kopf und schaute von ihrem Computerbildschirm hoch.

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Tod schluckte. Was für eine seltsame Frage. Warum sollte er sie auf seine Arme nehmen wollen? Bei aller Liebe so vertraut waren sie sich doch jetzt auch nicht.

»Ähm, oh! Der gleiche Name wie Sie!«

»Kingsley?« wiederholte die Büroangestellte mit einem ungläubigen Unterton, während ihre Finger allmählich wieder zurück auf die Tastatur glitten.

»Ja, genau das war es.«

»Kann ich ihren Personalausweis sehen?«, Tod riss die Augen auf und begann fieberhaft zu überlegen. Personalausweis?

»Ist verbrannt.«

»Ihre Geburtsurkunde?«

»Ist auch verbrannt.«

»Irgendwelche Leute, die bestätigen können, wer sie sind?«

»Alle verbrannt… Schrecklicher Unfall.« Völlig fassungslos musterte die Büroangestellte den bleichen Mann und schien nicht glauben zu können, dass er von hier stammte.

»Verbrannt… also. Nun gut, dann sollten Sie sich erst einmal darum kümmern, dass diese Papiere neu beantragt werden. « Tod zuckte teilnahmslos mit den Schultern.

»Ich kann zumindest schon Teile des Formulars hier ausfüllen. Haben Sie denn irgendwelche Referenzen?«

»Referenzen?« Tod starrte sie unmissverständlich an. Diese ganze Fragerei war ihm einfach zuwider. Warum konnte sie ihm nicht einfach einen Job geben und fertig? Nein, Menschen mussten alles verkomplizieren.

»… Als was haben Sie vorher gearbeitet?«, fügte die Angestellte nun etwas entnervt hinzu, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte.

»Keinen fest definierten Beruf, den Sie als solchen anerkennen würden.«

»Praktika? Ausbildung? Schulabschluss? « Langsam aber sicher verlor die Frau die Beherrschung. Ihren Computer hatte sie schon lange vergessen. Stattdessen war ihr Augenmerk nun voll und ganz auf den bleichen Mann gerichtet.

»Nein.«

»Wie, nein? Irgendwas müssen Sie doch gemacht haben!«

»Ich habe Lebe- Leute abgeholt.«

»Jetzt reicht’s! Raus!«

»Was…?« Die Frau war nicht mehr gewillt zu antworten. Bestimmt zeigte sie mit ihrer Hand nach draußen, während ihre Nasenflügel gefährlich bebten.
 

Als Tod das Arbeitsamt –wohlgemerkt ohne Arbeit- verließ, war er alles andere als gut gelaunt. Sein Magen knurrte immer noch unablässig, während seine Gedanken wie im Chaos durch seinen Kopf fegten. Was war das nur für eine bescheuerte Welt? Ein Arbeitsamt, dass ihm keine Arbeit geben wollte, ein Junge der nicht starb… diese Welt war eine Katastrophe, die sich nicht einmal an die einfachsten Regeln halten konnte.
 

Inzwischen war es dunkel geworden, die Sonne hatte sich längst verabschiedet und eine unangenehme Stille trat in die wie leer gefegten Straßen. Tod seufzte schwer und bog in eine Seitengasse. Wie sollte er als nächstes vorgehen? Hier arbeiten? Nun sein Magen machte ihm ziemlich deutlich was er als nächstes tun sollte. Für jemanden der in seinem Leben nie zuvor so etwas wie Hunger verspürt hatte, war es wirklich schwer einzuschätzen wie lange man, dass aushalten konnte.

»Hey, Alter.« Tod drehte sich etwas irritiert auf dem Absatz um. Tatsache, er war gemeint. Eine Gruppe halbstarker Jugendlichen hatte sich ihn genähert. Der Junge der gerade gesprochen hatte ging einen Schritt vor und war allem Anschein nach der Anführer seiner kleinen Gang.

»Schicke Fetzen trägst du da.« Tod hob skeptisch eine Augenbraue an. Auch wenn er noch nicht lange in der Welt der Lebenden war, bemerkte auch er, dass das hier ganz offensichtlich die Art unter Menschen war sich gegenseitig zu beleidigen.

»Hey! Ich rede mit dir.« Tod reagierte nicht, stattdessen setzte er seinen Marsch fort. Hunger war echt ein beschissenes Gefühl. Doch plötzlich bemerkte er eine Hand auf seine Schulter die ihn herumriss und bevor Tod irgendwas entgegnen konnte, spürte er schon einen glühend heißen Schmerz auf seiner Wange.

»Mann, der hat doch nix.«, es war ein brünetter Junge, der offensichtlich gerade Mal über die Pickelphase hinweg gekommen war. Er kaute auf dem Rest Stummel seiner Zigarette herum und warf einen Blick zu der bleichen Gestalt, die es zu Boden gerissen hatte.

»Das werden wir ja sehen. Du da! Her mit deinem Handy.« Tod rieb sich mit der flachen Hand über die Wange. So etwas war ihm wirklich noch nie passiert! Noch nie! Er atmete rasselnd aus und rappelte sich ziemlich unbeholfen wieder auf die Beine.

»Was…?«

»Dein Handy, Mann!« Der Junge trat wieder auf Tod zu und schlug ihm in die Magengegend. Keuchend sank dieser zu Boden. So etwas hatte er noch nie gefühlt. Er rang nach Luft und versuchte sich aufzurichten, doch ehe er sich hatte rühren können, spürte er abermals dieses elende Stechen. Der Junge hatte ihn noch mal getreten.

»Alter, der hat nix.«, wiederholte der Eine und versuchte seinen Kumpel zurückzuzerren.

»Friss das!«, der Junge holte abermals aus und im nächsten Moment wurde es schwarz um Tod.
 

Ein Bett. Zumindest vermutete Tod es, als sein Bewusstsein langsam wieder in den menschlichen Körper drang.

»Hey, Mann.« Kenny lächelte dem Fremden aufmunternd zu und verschränkte die Arme. »Auch schon wach?« Der Blonde streckte sich ausgiebig und musterte den Kerl. Irgendwas an ihm war so vertraut, dass Kenny das Gefühl hatte ihn kennen zu müssen. Vielleicht war das der Grund warum er ihn mitgenommen hatte. Der bleiche Mann sah furchtbar aus. Sein Gesicht war teilweise geschwollen und sein linkes Auge war blau. Er sah so aus als wäre er wirklich übel verprügelt worden.

»Wo bin ich?«

»42. Ecke, Mapel Street. Ich hab dich gefunden und gedacht ich bring dich hier her, damit du erst Mal zu dir kommen kannst. Alles okay soweit?«

»Denke.« Tod klang nicht überzeugt und hielt sich den Kopf. Hatte er das Ganze nur geträumt? Er war einen Moment derart benommen, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Warum war er hier? Richtig er wollte jemanden abholen. Sein Blick wanderte zu dem Blonden und plötzlich schien es ihm wie Schuppen vor den Augen.

»Dich habe ich gesucht.«, sagte er plötzlich und setzte sich auf. Kenny starrte ihn verwirrt an.

»Mich…?«, er konnte sich nicht vorstellen warum jemand ausgerechnet nach ihn suchen sollte. Doch sein Gegenüber schien vollkommen überzeugt.

»Vielleicht solltest du einmal duschen und dann reden wir, okay?« Tod zuckte mit den Schultern. Ihm sollte es recht sein, Hauptsache er erfuhr was es mit Kenneth Hawker auf sich hatte.

»Ich bin Kenny.«

»Ich weiß.«

Tod verzog das Gesicht und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Wie erwartet verzog der Jugendliche das Gesicht und musterte ihn nun mit einer Mischung aus Argwohn in den Augen.

»Was…?«

»Ähm Mar- Damien. Mein Name ist Damien.«

»Oh… Okay. « Ohne noch etwas zu sagen führte Kenny seinen Gast zum Badezimmer und drehte sich um.

»Handtuch und Duschzeug ist da. Liegt gleich neben dem Waschbecken.« Mit den Worten verschwand Kenny in sein Zimmer. Etwas an diesem Mann faszinierte ihn. So als wäre er nicht von dieser Welt. Völlig in Gedanken ließ sich der Blonde auf sein Bett fallen und schloss die Augen. Dann, ein plötzlicher Aufschrei. Kenny wirbelte herum, sprang aus dem Bett und lief wieder zurück zum Bad.

»H-hey ist alles in Ordnung?«

»Ich bin entstellt!«

»…Was?« Kenny runzelte nun endgültig überfordert die Stirn.

»Entstellt…! Ich bin hässlich!«

»Alter, du wurdest verprügelt. Da kann es passieren, dass Gesichtspartien ein wenig verrückt sind. «, erklärte der Blonde ein wenig verwirrt und klopfte einmal an die Tür.

»Geh weg!«

»Benimm dich doch nicht wie ’ne Tussi!« Kenny seufzte entnervt. Warum hatte er nicht einfach einen Krankenwagen gerufen und war verschwunden? Warum hatte er ihn mitgenommen und ließ ihn auch noch hier übernachten! Gott, war er denn vollkommen bescheuert? Jetzt hatte er den totalen Freak bei sich zu Hause hocken, von dem gerade Mal wusste dass er Damien hieß.

»Fantastisch, Kenny, einfach fantastisch.« murmelte er leise und schlug seinen Kopf gegen die Badezimmertür.
 

»Gut Kenny, mir reicht es endgültig.« Kaylee raufte sich durch die Haare und schüttelte sich vehement.

»Was denn?«

»Weißt du, erst die ganze gefährliche Scheiße, die du in den letzen Wochen so abgezogen hast und jetzt das hier? Verdammt noch Mal! Du lässt einen wild Fremden bei dir wohnen?! Hast du sie nicht mehr alle beisammen?« Tod hob die Hand zum Gruße. Einerseits um zu zeigen das er da war, und andererseits um zu signalisieren, dass er von Frühstückstisch aus jedes Wort der Beiden mühelos verstehen konnte. Sein Gesicht sah nicht mehr ganz so lädiert aus, nachdem er die gröbsten Blutflecke entfernt hatte und irgendwie hatte er sich an seinen Anblick gewöhnt- nun was hieß gewöhnt? Er betrachtete sich einfach nicht mehr im Spiegel (und das zog er konsequent durch)!

»Ich hab das Gefühl ich kenne ihn…«, Kenny senkte die Stimme und zog seine beste Freundin ein Stück zu sich ran, die nun nur noch skeptischer die Augenbrauen zusammenzog.

»Hör Mal, mir kommen tagtäglich irgendwelche Leute bekannt vor, trotzdem lasse ich sie deswegen nicht bei mir wohnen! Was sagen deine Eltern dazu?« Kaylee biss sich plötzlich auf die Unterlippe. Was für eine dumme Frage! Auch Kennys Blick hatte sich erhärtet. Er lachte freudlos auf und schüttelte den Kopf.

»Ich glaube meine Mutter hat noch nicht Mal bemerkt, dass wir seit letzter Nacht einen Gast haben. Also was soll’s.«

Vis-á-Via

»Kenny, der Typ da hat sie doch nicht mehr alle! Sieh ihn dir an.«, auch Kaylee hatte ihre Stimme gesenkt und deutete unauffällig auf den Besucher, der gerade dabei war fasziniert den Toaster zu begutachten.

»Das… ach ich weiß nicht. Ich hab das Gefühl ich sollte ihn kennen.«

»Aaaaah! Du machst mich wahnsinnig Kenny! Mir reicht’s.«, Kaylee drehte sich ab und knöpfte ihre Jacke zu.

»Ich gehe. Dean wartet schon auf mich.«

»D-dean? Seit wann triffst du dich mit Dean?«, Kennys Mund stand weit offen, als er an den hübschen Jungen in seiner Klasse dachte.

»Seit dem ich mit ihm zusammen bin. Oh, hast du das nicht mitbekommen? Kein Wunder bei deiner ganzen Arbeit. «, ihre Stimme klang merkwürdig unterkühlt und ein wenig gezwungen.

»Du hast… einen Freund? Warum hast du mir nichts gesagt?« Kaylee starrte verbissen zu ihm rüber. Offensichtlich war ihr diese Situation mehr als unangenehm.

»Vielleicht hätte ich das ja, wenn du nicht ständig so auf deine Arbeit und das Geld fixiert gewesen wärst.« Die öffnete die Tür und seufzte schwer.

»Hör Mal Kenny ich muss jetzt los, okay? Wir sehen uns.« Die Tür fiel ins Schloss. Der Blonde starrte noch einige Sekunden reglos in die Richtung in die Kaylee verschwunden war, bevor er sich gequält langsam umdrehte, um sich mit an den Frühstückstisch zu setzen.

»Okay… Damien… Wann wirst du gehen?«

»Sobald ich etwas erledigt habe. « Kenny zog eine Augenbraue hoch. Kaylee hatte Recht gehabt. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Kaylee. Der Gedanke an seine langjährige Freundin schmerzte auf eine Weise, die er alles andere als erwartet hätte.

»Naja, also hier kannst du nicht bleiben.«, fügte Kenny nun hastig hinzu und beobachtete seinen Gegenüber genau.

»Warum nicht?«

»Es geht halt nicht.« Es herrschte einen Moment lang eine unangenehme Stille zwischen den Beiden. Doch Tod war zu fixiert auf den Toaster, als das er hätte großartig auf Kennys Worte achten können.

»Ähm, du meintest vorhin, du hast nach mir gesucht.«

»Ja.« Der Blonde starrte zu seinem Gast in der Erwartung, dass er weiter reden würde, aber das tat er nicht. Zumindest nicht über das Thema über das er sprechen wollte.

»Wer war das Mädchen?«

»Mh… Das war Kaylee.« Kenny schaute auf die Tischplatte ohne weiter etwas dazu zu sagen. Tod der gerade sein Toast ein wenig zu dunkel getoastet hatte schaute nun ein wenig enttäusch auf.

»Was ist?«, fragte er schließlich ein wenig verwirrt als er den Gesichtsausdruck des Jungen sah. Offensichtlich ging es ihm nicht gut.

»Nichts.« Dem Blonden war durchaus bewusst wie unglaubwürdig seine Worte klingen mussten, aber er hatte gerade wirklich keine Lust darüber zu reden. Schon gar nicht mit einem Fremden. Nun, dass stimmte nur halb, wurde ihm plötzlich bewusst. Er hatte immer jemanden zum Reden gehabt. Aber die war gerade mit Dean unterwegs und ließ ihn alleine zurück.

»Wie du meinst.« Kenny seufzte leicht. Das Bedürfnis mit irgendwem über seine Probleme zu sprechen war in den letzten Jahren derart angestiegen, dass es ihm in diesem Moment einfach nur schwer fiel, nicht plötzlich über seinen Gast herzufallen und ihn zuzutexten. Aber Kenny konnte sich beherrschen. Er beschloss seine Gedanken lieber wieder auf die Frage zu lenken, warum ihm der Kerl so unglaublich bekannt vorkam. So vertraut.

»Haben wir uns schon Mal irgendwo getroffen?«

»Kann man so sagen.« Tod biss einmal in sein verkohltes Toast und verzog das Gesicht. Menschen waren einfach nur widerlich. Wie konnte man sich denn von so etwas ernähren?

»Das ist echt ekelerregend.«

»Wundert mich nicht… Ist irgendwie ein bisschen verbrannt.« Tod schmunzelte leicht bei der Formulierung.

»Verbrannt. Ja.« Er musterte Kenny kurz und seufzte schwer. Irgendwie musste er den Jungen dazu bekommen mit ihm zu reden. Über seine tiefsten Gedanken. Über sein Geheimnis, das ihn ermöglichte sogar den Tod zu umgehen.

»Nun Junge, in der Tat wir kennen uns von einigen Begegnungen her. Kaum mehr als flüchtig.«

»So?« Kenny hob den Kopf und schob selber ein Brot in den Toaster.

»Ja. Wichtig ist nur, dass du mir vertrauen kannst.« Kenny zog skeptisch eine Augenbraue hoch, doch aus irgendeinem Grund glaubte er dem Mann. Es war die Art wie er sprach, er ihn ansah… Dieser Mann und er. Sie waren verbunden, so albern es auch klingen mochte. Kenny spürte es einfach. Doch sein Gefühl hatte ihn schon einmal getäuscht.

»Na ich weiß nicht.« Der Blonde rührte missmutig in seinem Tee herum.

»Was lässt dich zweifeln?«

»Ich habe schon Leuten vertraut die ich besser als dich kannte und die mich trotzdem verraten haben.« Kenny schaute trotzig zu seinen Fingern. Warum erzählte er das überhaupt? Dieser Mann war unheimlich. Wie konnte allein seine Anwesenheit ihn dazu bringen so offen mit ihm über sein Privatleben zu plaudern?

»Es geht um dieses Mädchen.«, stellte Tod plötzlich trocken fest und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Und wenn schon.«

»Was hat sie getan?« Kenny schüttelte den Kopf.
 

»Sie… sie hat gar nichts getan. Ach, ich weiß nicht… Sie hat jetzt einen Freund… Aber… ach, ich weiß nicht, irgendwie habe ich immer gehofft, dass ich eines Tages der Freund an ihrer Seite sein würde.« Tod runzelte die Stirn. Zugegeben kannte er sich mit so einer Problematik nur begrenzt aus und eigentlich hatte er auf was ganz anderes hinausgewollt. Aber offensichtlich musste er sich hier erst Mal mit dem Jungen auseinandersetzten, bevor er ihm erzählen würde, warum er verdammt noch mal nicht starb.

»Hast du ihr das jemals gesagt?«

»Natürlich nicht.«, Kenny riss die Augen auf und nahm abwehrend die Hände hoch.

»So einfach ist das nicht. Aber das verstehst du nicht.«

»Warum ist es bitte so schwer? Das ist so typisch für euch Menschen, ihr macht euch alles komplizierter als es eigentlich ist.«

»Hast du gerade ihr Menschen gesagt?«

»Nein.«, zwar war Tod noch nicht der beste souveräne Lügner, aber in der kurzen Zeit hatte er sich schon ziemlich gemausert.

»L-lass und spazieren gehen. «, fügte er noch schnell hinzu, um Kenny endgültig von seinen fatalen Worten loszureißen.

»Öhm… Von mir aus.«
 

Die Sonne schien an diesem Tag ziemlich grell, wobei nur wenige Wolken am Himmel vorüber zogen. Trotz allem war es kalt. Der November war zwar ohne Schnee geblieben, dennoch war die Temperatur drastisch gesunken. Kenny presste den Schal ein wenig fester an seinen Hals und biss sich auf die Unterlippe.

»Und woher kommst du eigentlich, Damien?«

»Von weit her.«
 

Sie liefen eine ganze Weile stumm nebeneinanderher, ohne dass sie sich auch nur anschauten. Kenny wusste immer noch nicht was er von dem Typen halten sollte. Vielleicht wäre es wirklich besser ihn so schnell wie möglich los zu werden. Doch Tod sollte ihm einen Strich durch die Rechnung machen.

»Ich kenne dein Geheimnis.« Der Blonde hob etwas irritiert den Kopf. Tod hingegen starrte ihn verständnislos mit den grauen Augen an. Er hatte keine Lust ein Versteckspiel zu spielen. Er wollte seine wertvolle Zeit nicht verschwenden, schließlich sollte sich sein kleiner Ausflug nicht ewig lang ziehen. Denn um ehrlich zu sich selbst zu bleiben – Tod mochte diese Welt nicht besonders. Weder sie noch ihre Bewohner.

»… Was?«

»Du kannst nicht sterben.« Kenny starrte den Mann eine ganze Weile mit unverhaltenem Entsetzen in den Augen an. Was sollte man auf so eine Feststellung erwidern? Nach ein paar Sekunden schaffte der Blonde es schließlich gezwungen aufzulachen und schüttelte den Kopf.

»Was redest du da…?« Tod starrte Kenny mit seinen grauen Augen abermals eindringlich an, so als wollte er ihn mit dem Blick auseinandernehmen. Der Blonde schluckte schwer.

»Wo-woher weißt du das?«

»Ich weiß es einfach.«

»Ich habe dem Tod zahllose Male entgegengeblickt.« Kenny lächelte freudlos und ließ die Schultern hängen. Tod musterte den Jungen mit wachsender Neugierde, um sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen verschränkte er die Arme gespielt lässig hinter seinem Kopf und seufzte betont ruhig.

»Manchmal sehe ich ein helles Licht, aber immer wenn ich ihm näher komme höre ich eine Stimme die mir sagt, es wäre noch nicht an der Zeit. Dann wache ich auf und liege wieder da, ohne dass sich irgendwas für mich geändert hat.«

Kenny lag auf dem Rücken auf seinem Teppich, öffnete seine Augen langsam und richtete sie auf seinen ungewöhnlichen Besucher. Es war einfach merkwürdig. Noch nie hatte er so über seine Probleme reden können. Nein noch nie hatte er über sein großes Geheimnis gesprochen. Warum gerade mit ihm? Damien? Er kannte ihn nicht einmal richtig. Was wusste er schon über den Mann der am Vortag in sein Leben getreten war und es schaffte ihm seine größten Geheimnisse zu entlocken? Eine unheimliche Ausstrahlung, die eine unerklärliche Faszination über Kenny legte, umgab dem dunkelhaarigen Mann, der ihm stillschweigend gegenübersaß. Er sagte nichts, doch jeden Moment in dem er schwieg schien er neues Wissen aus Kenny zu holen, ohne dass dieser etwas dagegen tun konnte. Das war nicht normal, oder?

»Ein wahrer Fluch.« Tod lächelte, ohne auf den Blonden zu achten und schüttelte den Kopf.

»Ein Fluch? Das klingt albern. Nicht sterben zu können ist nicht direkt ein Fluch. Ich verdiene immerhin eine Menge Geld damit. Mit dem Geld kann ich irgendwann… Ich weiß nicht… Weg hier.« Kenny starrte auf seine Füße. Geld war ihm wichtiger als er zugeben wollte. Aber so war die Welt nun einmal. Wenn man so arm war wie er, erkannte man erst was Geld einem alles ermöglichen konnte. Tod biss sich auf die Unterlippe.

Hier waren sie also. Er spürte dass das sie hier einen kritischen Punkt erreicht hatten. Es war der Punkt, an dem er herausfinden musste, wie es der Junge schaffte ihm wieder und wieder zu entkommen.

»Geld? Wie kann man mit so einer… Gabe, denn Geld verdienen?«

»Forschung. Ich teste Pillen auf Nebenwirkungen und stelle mich für Operationen zur Verfügung.«

»Inwiefern stehst du für Operationen zur Verfügung?« Tod hob eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Für Medizinstudenten.«

»Bitte was?« Kenny schaute nicht auf. Mit wachsendem Interesse musterte er nun die Decke und schloss dann doch die Augen.

»Ich bekomme Geld dafür, dass die mich operieren.«

»Für gewöhnlich operiert man doch erst, wenn jemand krank ist.« Tod hob abermals eine Augenbraue an. Dass er nicht besonders viel von lebenserhaltenden Maßnahmen hielt, musste er für sich wohl nicht extra erwähnen.

»Die müssen noch lernen. Für mögliche Ernstfälle. Naja… an mir können sie üben.«

»Tut das nicht weh?«

»Manchmal.« Selbst Tod konnte sich nur schwer vorstellen, dass so etwas wie Geld, dass Ganze wirklich wert war, aber er sagte nichts dazu. Denn er wollte für sich was ganz anderes wissen.

»Wie lange bist du schon in der Stadt, Damien?«

»Huh…? Ähm… Also, seit gestern.«

»Gestern? Willst du dann nicht die Stadt sehen?« Kenny begann zu grinsen und stieß Tod fast freundschaftlich in die Seite.

»Ich weiß nicht, ich denke nicht dass das nötig ist. Städte finde ich nicht sonderlich interessant.«

»Ach, du hast nur nicht die richtigen Ecken gesehen. Sei kein Spielverderber.« Ohne dass Tod noch hätte etwas entgegnen können, hatte Kenny seinen Arm gepackt und verließ mit ihm die heruntergekommene Wohnung. Es war bereits dunkel geworden. Die Dämmerung hatte den Himmel längst verlassen und an ihre Stelle waren ein paar leuchtende Sterne getreten.

»Wohin gehen wir?« Tod bemühte sich nicht mehr wirklich sich zu wehren. Seufzend löste er sich von dem blonden Jungen und musterte den Weg, den sie zügig hinter sich ließen.

»Wird dir gefallen.«
 

Mit allem hatte Tod gerechnet. Vielleicht der Forschungsstation, oder einem Restaurant. Vielleicht auch mit der Haupteinkaufstraße, die mit ihren bunten Lichtern erst nachts wirklich zur Geltung kam. Zugegeben allerdings nicht mit diesem Etablissement.

»Stripclub? Was ist das?«

»Was stellst du für Fragen, Mann?« Tod weitete die Augen kaum merklich. Hatte er jetzt etwas Falsches gesagt und sich verraten? Kenny schien nicht weiter auf seine Bemerkung einzugehen und zog den nun etwas perplexen Mann hinter sich her. Seine Irritation sollte nicht abnehmen. Der Keller war stickig und der Rauch von Räucherstäbchen lag in der Luft. Tod verengte seine brennenden Augen etwas und beschirmte sie mit seiner Hand. Halbnackte Frauen liefen durch den Club und bedienten hier und da ein paar ältere Gäste. Das Hauptaugenmerk lag allerdings unverkennbar auf einer kleinen Hauptbühne inmitten des Raumes. Eine längliche Stange war darauf befestigt und eine blonde Frau, in einem silbrigen Kleid, das mehr zeigte, als das es verdecke, räkelte sich souverän vor den Augen von mindestens zehn Männern.

»Was macht sie da?« Der Blonde hörte ihn nicht. Stattdessen zog er Tod unsanft hinter sich her und setzte sich mit ihm in eine der vorderen Reihen.

»Jetzt entspann’ dich doch Mal.«

»Ich bin entspannt.« Vermutlich hatte Tod noch nie in seinem Leben derart unentspannt gewirkt. Stocksteif saß er auf seinem Sessel und verkrampfte sich mit seinen Fingern fast ein wenig schmerzhaft in die Lehne.

»Na, Süßer?« Tod brauchte einen ganzen Moment bevor er verstand, dass die Brünette Tänzerin an seiner Seite ihn meinte. Sie hatte ein Tablett auf ihren Arm und lehnte sich lasziv ein Stück zu ihm runter, um ihn einen weitgehenden Einblick in ihr Dekolleté zu ermöglichen und lächelte ihn unter einem Zwinkern zu.

»Was trinkst du?«

»Wasser.« Tod würdigte die junge Dame keines Blickes mehr und richtete sein Augenmerk wieder stocksteif nach vorn. Bemüht lässig lehnte er sich zurück und versuchte sich vorzustellen wieder in seinem Reich zu sein. Auf seinem Thron. Eine Kleinigkeit die ihm zugegebenermaßen schwerer fiel, als er sich eingestehen wollte, da für gewöhnlich keine halbnackten Mädchen in seinem Reich vor ihm herumtanzten und versuchten irgendwas in ihm zu bewegen.

»Wasser? Ist ein Witz, oder?« Kenny hatte sich ein Stück zurückgelehnt und seine Stimme etwas angehoben, um die Musik zu übertönen.

»Hey! Damien? Öh…?« Kenny stand auf und schob sich mit sanfter Gewalt an der brünetten Stripperin vorbei die sich empört abdrehte.

»Alter! Du schläfst? Dein Ernst?« Tod schreckte hoch und rieb sich über die müden Augen.

»Mh? Ist das so ungewöhnlich?« Darauf wollte Kenny nun wirklich nicht antworten. Fassungslos drehte er sich ab und schüttelte den Kopf.

»Pennt der ernsthaft im Stripclub. Besser wir gehen.«
 

Kenny und Tod waren eine ganze Weile wortlos nebeneinanderher getrabt, ohne sich gegenseitig auch nur einen Blick zu schenken.

»Du bist echt unmöglich.«, begann Kenny mit einem schiefen Grinsen und legte den Kopf schief.

»Ich? Bitte, du kannst nicht sterben.«

»Du pennst im Stripclub.« Jetzt lächelte auch Tod.

»Oh, ich wusste nicht, dass man das gleichsetzten kann.«

»Ich tu’s. Nein warte! Schlafen in einem Stripclub ist sogar noch schlimmer.« Beide blieben einen Moment stehen und musterten sich gegenseitig ein wenig argwöhnisch. Schließlich lachten sie beide. Kenny schüttelte sich leicht, während Tod die Augen verdrehte.

»Kenny. Ich muss das wissen.« begann Tod nun ruhig und musterte das Kerlchen von dem er anfing es zu mögen.

»Warum stirbst du nicht? « Der Blonde schaute Tod nun etwas unruhig an, bevor er ein unsicheres Lächeln aufsetzte.

»Ich… weiß es nicht. Wirklich.« Tod verengte die Augen.

»Du… musst doch eine Ahnung haben!«

»Nein.« Kenny schaute zu Boden und kramte mit einer Hand in seiner Hosentasche herum, um seinen Hausschlüssel hervorzuziehen.

»Es ist eben diese Stimme. Sie sagt immer wieder es sei noch nicht an der Zeit.« Tod senkte den Blick, als ihn die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Natürlich! Wieso war er nicht gleich darauf gekommen? Er starrte zu dem Blonden und schüttelte leicht den Kopf. Kenny drehte sich auf dem Absatz um und warf ein Lächeln zu seinem Besucher, der in einem Tag seiner Anwesenheit, fast alles verändert hatte.
 

»Du bist echt komisch, Damien. Aber dafür… Bist du ganz in Ordnung, schätze ich.«

»Wie nett von dir.« Tod schüttelte sich etwas. Obwohl er in einer menschlichen Hülle steckte, klang sein Lachen immer noch genauso kehlig wie in der Unterwelt.

»Ich schätze für einen neunzehnjährigen Bengel bist du auch ganz in Ordnung.«
 

»Bist du jetzt glücklich?« Tods Stimme zitterte vor kalter Wut. Er wusste selbst nicht was ihn so aufwühlte.

»Du warst es, oder? Du bist die Stimme!«

»Was war ich?« Leben setzte eine Unschuldsmiene auf und schaute Tod unmissverständlich an.

»Wieso gerade ihn? Warum hast du das Leben nicht aus ihm weichen lassen?«

»Bruder… Die Antwort ist so simpel, dass du eigentlich von selbst darauf kommen solltest.«, Lebens Stimme klang viel ruhiger, als sie eigentlich war. Sie lächelte wissend und hüpfte ungeduldig von einem Bein auf das andere, während Tod seinen Kopf nachdenklich schief legte. Er schaffte es nicht lange wütend zu sein. Obwohl er gerne noch sauer gewesen wäre, verrauchte sein Zorn langsam und ging in Unmut über.

»Klär mich auf.«, seine Forderung klang gewohnt trocken, dennoch konnte man die Neugierde nur schwer überhören.

»Oh, Bruder. Das letzte Mal dass du die Welt der Lebenden betreten hast ist fast 15 Jahre her.« Die Dunkelhaarige setzte sich auf die bunte Wiese, die sich über ihr ganzes Reich erstreckte und strich sanft über eine Blüte, bevor sie wieder aufschaute. Tod blieb stehen und blickte nur unverwandt auf sie runter.

»Das erklärt noch nichts. Warum hast du das Leben nicht aus ihm weichen lassen? Warum hast du mich in die Irre geführt und in diese Welt gelotst? Was bitte sollte das?« Leben seufzte schwer, bevor sich ihr Blick erhärtete.

»Weil du absolut kein Gefühl für die hast, die du abholen sollst. Du bist verdammt noch mal ziemlich bequem geworden! Du holst niemanden mehr persönlich ab… Du nummerierst sogar die Toten durch! Du nummerierst sie durch!«

»Und was ist dein Problem?! Ich war immer zufrieden so wie es war. Warum musst du dich da einmischen?« Leben verengte die Augen und presste einen kurzen Moment lang die Lippen aufeinander.
 

»Weil ich die Lebenden liebe. Und sie haben ein besseres Ende verdient, als du ihnen zukommen lässt. Das ist der Grund. Ich erwarte nicht, dass du sie magst. Ich will nur, dass du wenigstens weißt wie sie heißen.« Leben war ruhig geworden und in ihre Augen war ein Ausdruck getreten den Tod bis Dato nicht kannte. Auch er sagte einen Moment nichts.

»Ich will doch nur, dass du verstehst, was mir die Lebenden bedeuten. Und auch dir bedeuten sollten. Ich dachte… Ich dachte wenn du Mal in die Welt der Menschen gehst, würdest du… ach ich weiß nicht,… die Augen öffnen. « Leben seufzte schwer und drehte sich zur Seite. Ihre dunklen Haare fielen ihr wild über das Gesicht und verdeckten ihren enttäuschten Ausdruck in den Augen.

»Die Augen öffnen? Schwester, hast du auch nur Mal einen Gedanken darauf verschwendet, warum ich die Lebenden nicht mag?«

»Dutzende Male, aber du antwortest ja nie.«, entgegnete Leben wie aus der Pistole geschossen und wischte sich mit einer gekonnten Handbewegung die Haare aus dem Gesicht.

»Es macht keinen Spaß immer der Buhmann zu sein.«

»Was…? Das ist alles?« Leben lachte ein wenig gekünstelt auf und verdrehte die Augen.

»Du hast gut reden. Du bist das Leben. Dich empfangen sie mit offenen Armen. Du bist ein Geschenk. Ich bin der, der ihnen alles wieder wegnimmt. Versteh mich nicht falsch. Ich mache meinen Job. Ich hole die, die mir gehören und dabei spielt es keine Rolle wer sie sind. Da ist es… egal ob sie jung, alt, gebrechlich oder besonders charakterstark sind, aber ich denke du kannst nicht verstehen, was es heißt, immer ein unwillkommener Gast zu sein.«

»Nicht alle lieben mich, Bruder. Es gibt auch jene, die sich den Tod wünsch-« Tod schnaubte unwillkürlich auf und schüttelte sich.

»Niemand will den Tod. Sie wollen sterben, für diesen kurzen Moment. Aber glaub mir, wenn es dann soweit ist, folgt mir keiner wirklich freiwillig.«

»Verstehe.« Leben streckte ihre Arme gen Himmel und lächelte traurig.
 

»Ach jetzt verstehst du mich?« immer noch gefangen in seiner menschlichen Hülle, schaffte er es trotzdem seine Worte unnatürlich trocken klingen zu lassen. Leben lachte auf und schüttelte leicht den Kopf.

»Ich bin launisch. Mal habe ich den vollen Durchblick und manchmal eben nicht.«

»Ich weiß. Du bist das Leben.«, ergänzte Tod bevor sie wieder in ihre für sie so typische Debatte von >Ich-bin-das-Leben-und-weiblich< verfallen konnte.

»Via.«, Leben lächelte und hob verbessernd die Hand.

»Via?«

»Das ist der Name, den mir die Lebenden vor langer Zeit gegeben haben. « Via schloss genüsslich die Augen und schlang die Arme um ihren Oberkörper. Für sie war es natürlich von den meisten Lebenden geachtet, ja sogar geliebt zu werden.

»Verstehe.«, sagte Tod nun unter einem undefinierbaren Lächeln und schaute auf seine Schwester herunter.
 

»Bruder.«, Leben atmete einmal aus und rieb sich über ihre müden Augen.

»Es ist doch so. Wir Beide, wir haben eine Aufgabe auf dieser Welt. Ich kann mir denken, dass es nicht schön ist immer der zu sein, der von den Lebenden gefürchtet wird, aber… Das ist weil sie dich nicht kennen. Sie sehen dich mit anderen Augen. Sie wissen nichts von dir und wir Beide wissen doch, dass es das Beste ist, wenn das so bleibt. « Tod kniete sich langsam runter und schloss die Augen.

»Ich weiß.«

»Aber trotzdem. Du solltest dich nicht von ihnen distanzieren und so tun, als hätten sie nichts von deiner hochgeschätzten Aufmerksamkeit verdient. Ich bitte dich doch nur darum, ihnen eine Chance zu geben.«
 

»Warum Kenny? Warum hast du ihn gewählt?« Schließlich ließ auch Tod sich in das Gras fallen und seufzte genauso schwer wie seine Schwester vor ihm. Er wusste genau, dass Via niemanden zufällig ausgewählt haben konnte.

»Ich dachte mir, wenn ein Lebender es schaffen sollte, dich zu verändern, dann er.« Tod zog skeptisch eine Augenbraue an und verschränkte die Arme wie gewohnt vor der Brust.

»So, so. Darf ich fragen, wie du zu dieser Annahme kommst?«

»Erinnerst du dich nicht? Komm schon, solange ist es nun auch nicht her. 14, Vielleicht 15 Menschenjahre?« Tod musterte sie verwirrt, bis eine längst vergessene Erinnerung in seine Gedanken schlich.

»Du meinst…?«

Leben nickte.
 

»Er hat es geschafft dich dazu zu bringen ihn zu verschonen. Ich glaube sogar, du hattest ihn gern.«

Memento Mori

»Er hat es geschafft dich dazu zu bringen ihn zu verschonen. Du hattest ihn gern.«
 

Der kleine, blonde Junge lag reglos am Boden. Sein Kopf stand in einem unnatürlichen Winkel ab und er hatte eine große Platzwunde auf seiner Stirn. Er war tot. Tod blickte kühl zu dem Kind runter, das gerade sein Leben verloren hatte. Für den Kleinen wich nun jede Farbe aus der Welt und alles Lebende würde für seine Augen verblassen. Langsam verließ der blonde Junge seinen Körper, bereit alles Irdische hinter sich zu lassen. Zumindest sollte das so im Optimalfall laufen. Doch der Junge schien das anders zu sehen. Sein Blick raste wild umher auf der Suche nach jemanden, den er nicht entdecken konnte. Während sich seine großen blauen Augen langsam mit Tränen füllten, stolperte er fast über seine Füße.

»Mama…« Natürlich antwortete niemand.

»Mama! Wo bist du?« Der Kleine drehte sich im Kreis, doch niemand war da. Abgesehen von dieser einen Gestalt. Umgeben von einer nahezu grauen und tristen Aura stand er reglos da, sein dunkles Antlitz ihm zugewandt. Kenny überlegte nicht lange. So schnell ihn seine kleinen Füße tragen konnten, stürmte er in die Richtung des Mannes und schlang seine dünnen Arme um den Teil seines Körpers, der eigentlich hätte Bein sein müssen. Doch Tod, in seinem Kapuzenmantel hatte unter dem Stoff nichts, was für einen Lebenden greifbar gewesen wäre. Keine Beine, keinen Körper. Doch der kleine Junge war tot. Wie sollte er also nicht den Tod persönlich berühren können – für gewöhnlich tat das allerdings keiner. Der Körper des kleinen Jungen wurde von wilden Schluchzern geschüttelt und aus seinem Mund drang kein einziges verständliches Wort. Tod neigte seinen Kopf leicht in die Richtung des Kindes und beugte sich allmählich herunter. Der Junge weinte immer noch bitterlich.

»I-ich bin gefallen…! «, wimmerte er leise und presste sein Gesicht gegen Tods Mantel. Dieser verzog merklich das Gesicht. Er war es nicht gewohnt angefallen zu werden. Diese großen unschuldigen Augen, musterten ihn so ohne Vorwürfe, mit einer so banalen Empfindung von Schmerz, dass Tod einen Moment brauchte um zu erkennen, dass der Kleine offensichtlich nicht verstanden hatte, dass er gerade gestorben war.

»Junge.«Tod kam gar nicht dazu weiter zu reden, denn der Blondschopf schien seine eigene Sprache wieder gefunden zu haben. Schniefend rieb er sich einmal über die Augen und musterte den Fremden kurz.

»Es tut weh.« Tod zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Der Junge war tot. Er konnte sich lediglich einbilden noch so etwas wie Schmerzempfinden zu haben. Er öffnete gerade den Mund, als ihm klar wurde, dass er nicht den geringsten Schimmer hatte, was er darauf antworten sollte. Das Kind starrte ihn vollkommen überzeugt an, ohne auch nur ein bisschen Angst vor ihm zu haben. Offensichtlich sah der Kleine ihn als irgendeinen Passanten, der gerade vorbeigekommen war. Die Finger des Blonden bohrten sich fest in den Mantel des Fremden, während sich ein erwartungsvoller Ausdruck in dessen Augen legte.
 

»Kannst du nicht pusten? Wenn Mama das macht, tut es nicht mehr so doll weh.« Der Blonde schaute traurig zu seinen Füßen, wobei sein gebrochenes Genick ein hässliches Geräusch von sich gab. Auf Tods Lippen kräuselte sich langsam ein Lächeln. Er konnte selber nicht sagen woher es so plötzlich kam, doch etwas an dieser einfachen Frage hatte ihn berührt. In all den Jahren hatte ihn noch nie jemand gefragt, ob er mal pusten konnte. Noch nie hatte man ihn derart unschuldig und ohne Vorurteile gebeten zu helfen. Ohne wirklich darüber nachzudenken schloss er seine Arme um das Kind und hob ihn auf seine Arme. Ein rasselnder Atem verließ seine Kehle und ließ die Wunde schlagartig verschwinden.

»Ist es jetzt besser?«, in Tods Stimme zeichnete sich das erste Mal seit tausenden von Jahren so etwas wie Mitgefühl ab. Der Kleine nickte vorsichtig und wischte sich die letzten Tränen vom Gesicht. Schließlich war er ein angehender Mann. Und Männer weinten nicht.

»Danke… Aber erzähl meiner Mama bitte nichts, die sagt ich soll nicht mit Fremden sprechen.«
 

»Hey!« Kenny schaute auf. Der Mann war verschwunden, stattdessen stand nicht weit entfernt ein kleines Mädchen, die die Augen erschrocken aufgerissen hatte.

»Ist alles okay?«, in Windeseile war das brünette Mädchen zu ihm hingestürmt und beugte sich zu ihm runter.

»Mh… Was soll sein, a-also ich hab nicht geweint, wenn du das meinst.«, der Blonde hatte plötzlich das Gefühl sich vor dem gleichaltrigen Mädchen rechtfertigen zu müssen, doch diese achtete gar nicht auf seine Worte.

»Bi-bist du da gerade aus dem Fenster gefallen?« Etwas zittrig reichte ihm das Mädchen die Hand.

»Ähm, ist nicht passiert. Hat auch gar nicht wehgetan. « Der Blonde biss sich auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Die Brünette schien nicht mitbekommen zu haben, was der Typ hier gerade gemacht hatte und das war auch gut so. Das wäre ja peinlich!

»Ich bin Kenny.« Die Kleine griff nach seiner Hand und lächelte immer noch ein wenig zweifelnd.

»Kaylee.«
 

Tod erinnerte sich. Kopfschüttelnd drehte er sich zu seiner Schwester und begann sich die Schläfen zu massieren.

»Das ist der Grund?« Leben nickte überzeugt und griff nach Tods Hand. Im Gegensatz zu ihm war ihre Haut warm und lebendig.

»Ich habe dich beobachtet und eigentlich hatte ich gedacht, dass…«

»Dass ich mich geändert hätte.«, komplimentierte Tod den Satz seiner Schwester und schüttelte den Kopf.

»Aber das hattest du nicht.«, fügte sie nun trocken hinzu und schloss die Augen,

»Ich habe erkannt, dass wenn ich dich ändern will…« Leben sprach es nicht aus. Es war klar was sie sagen wollte. Damals als sie Hoffnung geschöpft hatte, dass Tod doch etwas für die Lebenden übrig haben könnte, hatte er diese erbarmungslos zerschmettert indem er wieder in seinen alten Trott verfallen war. Doch ab diesen Zeitpunkt hatte Leben gewusst, dass Tod die Menschen zumindest nicht gleichgültig sein konnten, aber um etwas in dem festgefahrenen Gemüt ihres Bruders zu verändern, bedurfte es einfach härterer Maßnahmen, als ein sterbendes Kind. Das was er gebraucht hatte, war eine Irrfahrt in die Welt der Menschen. Doch um ein Wesen wie ihn in die Menschenwelt zu locken, musste man schon ziemlich drastisch vorgehen. Deswegen hatte sie es zugelassen, dass Kenny sich immer und immer wieder in den Tod stürzte und doch nicht starb. Im Nachhinein tat es ihr um den Menschenjungen furchtbar leid. Sie hatte sein Schicksal besiegelt, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hatte darauf einzuwirken. Tod bedeckte seine Augen mit einer Hand und lächelte resignierend.

»Ich verstehe.«
 

»Hey Damien! Da bist du ja wieder. Ich dachte schon du bist einfach abgehauen, ohne dich zu verabschieden, Alter.« Kenny kippelte auf seinem Stuhl hin und her und hielt sich mit einer Hand am Küchentisch fest. Tod erwiderte einen Moment nichts. Stattdessen setzte er sich ruhig auf dem gegenüberliegen Platz und faltete in alter Manier die Hände ineinander.

»Ich werde dich mitnehmen, Kenny.« Die Worte waren wie von selbst über seine Lippen gekommen. Warum auch immer jetzt, aber dies war der Zeitpunkt. Es war der richtige Zeitpunkt, um den Jungen, Kenny, mit in sein Reich zu nehmen.

»Du… du bist hier um mich mitzunehmen? Wie… wie meinst du das? Wohin willst du mich denn mitnehmen?«

»Ich bin der Tod.« Der Blonde zögerte einen Moment und starrte den Mann einen Moment lang so an, als wäre er verrückt geworden. Kenny lachte freudlos auf. Sein Mund war trocken geworden. Das war doch Unsinn! Kaylee hatte recht gehabt, dieser Mann hatte sie nicht mehr alle beisammen und er hatte diesen Irren auch noch in sein Haus gelassen. Mit einem Mal kamen dem Blonden wieder die Erinnerungen an den Tag, an dem er vom Dach gefallen war und geglaubt hatte jemanden zu sehen. Es schien alles zu passen. Die Gestalt, dieses Gesicht, die Aura…
 

»Du lügst!« Kenny schlug den Arm des Mannes beiseite und musterte ihn mit großen Augen. Er wusste, dass er nicht log. Er wusste es einfach. Da war diese banale Endgültigkeit in seinen Worten, die jeden Zweifel aus Kennys Gedanken löschte. Aber dennoch verschloss sich der Blonde vor der Wahrheit. Wie oft war er gestorben? Zu oft und immer war er aufgewacht. Und jetzt? Jetzt sollte sein Leben einfach so zu Ende sein? Tod seufzte schwer und reichte dem Blonden vorsichtig die Hand.

»Komm mit mir. Es ist an der Zeit.«, er sparte es sich zu sagen, dass es schon längst an der Zeit gewesen wäre. Schon zu oft war er davon gekommen. Er richtete sich langsam auf und musterte Kenny mit seinen undurchdringlichen grauen Augen. Doch Kenny zögerte. Langsam schüttelte er den Kopf und stand ebenfalls auf. Zittrig wich er einige Schritte zurück und wäre dabei fast gegen einen Schrank gelaufen.

»Nein… Du… Du musst dich irren
 

»Ich irre mich nicht.« Tods menschliche Hülle schien wie Papier von ihm abzublättern. Alles an ihm wirkte plötzlich anders. Unstimmig zu der Welt der Lebenden. Wie eine groteske Gestalt aus einem schlechten Horrorfilm wandte er sich langsam Kenny zu und glitt auf eine unnachahmliche Weise auf den Blonden zu.

»Es tut mir leid, Kenny, aber es gilt eine Ordnung einzuhalten.«

»A-aber, ich bin doch gerade mal neunzehn!«, Kennys Stimme überschlug sich fast. Sein Körper zitterte.

»Ich… Ich muss doch noch so viel machen! « Kenny dachte an Kaylee, die einen anderen Freund hatte, an seine Zukunft, die er nicht in einem Labor verbringen wollte, an all die Sachen die er doch noch nicht getan hatte, an all die Orte die er noch nicht sehen konnte. Tod schüttelte bedächtig den Kopf. Es war das erste Mal, dass ihm diese Entscheidung nicht leicht viel. Es war allerdings die einzig Richtige und auch Kenny wusste das.

»I-ich will noch nicht sterben, verstehst du?«, Kenny hatte die Augen geschlossen und musste gegen den Drang ankämpfen nicht einfach loszuschreien. Seine Hände verkrampften während sein Blick den von Tod nervös erwiderte.

»Komm mit mir, Kenny.« Der Dunkelhaarige streckte dem blonden Jungen abermals die Hand entgegen. Wie inständig er doch hoffte, dass der Junge es ihm nicht noch schwerer machen würde, als es ohnehin schon war. Kenny schaute Tod mit einem ausdruckslosen Blick an. In seinem Kopf schwirrten tausend, abertausende Gedanken, die sich in keine Ordnung bringen lassen wollten und doch unwiderruflich auf einen finalen Punkt zusteuerten. Er würde sterben. Sterben. Die Erkenntnis traf ihn mit so einer Wucht, dass er seine Schultern schlagartig hängen ließ und seinen Blick unverwandt zu Boden richtete. Völlig resigniert griff er nach Tods Hand, ohne auch nur ein Geräusch von sich zu geben.

»Mein Leben war verschwendet.«

»Sag so etwas nicht, Kenny. Eine gute Freundin von mir würde das gar nicht gerne hören.« Tod beugte sich ein Stück runter, um in die Augen des Blonden schauen zu können und tatsächlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen.

»Du hast mehr bewegt, als du dir vielleicht vorstellen kannst.« Vermutlich konnte sich der Mensch nicht im Geringsten einen Reim darauf machen was er vollbracht hatte. Doch Tod würde es nicht vergessen. Er würde zu schätzen wissen, was Kenny wohl nie verstehen würde. Tod hatte sich verändert und gelernt diese Welt mit anderen Augen zu sehen.

»Und dafür, Kenneth Hawker, danke ich dir.« Kenny schwieg und nickte leicht. Er hatte wirklich keinen blassen Schimmer was genau er gemacht hatte, aber er nahm es still hin. Es war einfach nicht der Moment für Fragen, dessen Antwort er sowieso nicht verstehen konnte. Das alles war so viel größer als er selbst und viel weiter, als er sich es hätte je erträumen können.
 

»Was…Was kommt jetzt?« Tod schaute den Jungen einen Moment verständnislos an.

»Also… Jetzt wo ich tot bin.«, die Worte waren nur schwer über ihn gekommen. Tot. War er wirklich tot? Wie albern das doch klang. Eigentlich fühlte er sich mehr denn je wie in einem unerklärlichen Traum, aus dem er einfach nicht mehr aufwachen konnte.

»Ach, Kenny. Wenn ich dir das jetzt sagen würde, wäre es doch keine Überraschung mehr, oder?«

»Glaubst du sie sind traurig?« Kenny warf einen Blick zu Decke, die vor seinen Augen immer mehr zu verschwimmen begann. Würde es seinen Eltern überhaupt auffallen?

»Das weiß ich nicht.«
 

»Jetzt wo ich tot bin… Hätte ich gerne noch Mal mit meinen Eltern geredet.«

»Mh…?«

»Um sie zu fragen, wo sie waren, als ich noch gelebt habe. Vielleicht hätte es nie soweit kommen müssen.«

»Vielleicht.«, bestätigte Tod knapp und musterte die Jungen einen Moment. Erstaunlich wie ihn dieses kleine Abenteuer verändert hatte. War es das was Leben gewollt hatte? War das der Bezug von dem sie immer und überall sprach?

»Wird es wehtun?«, wie oft hörte man den Satz in irgendwelchen Filmen. Doch jetzt wo es für ihn soweit war, brannte ihm diese eine Frage im Kopf, von der er das Gefühl hatte sie stellen zu müssen. Tod lächelte fast ein bisschen nachsichtig und warf Kenny einen vielsagenden Blick zu.

»Nein.«

Kenny lächelte beruhigt und musterte den Dunkelhaarigen einen kurzen Moment.
 

»Dafür, dass du der Tod bist, bist du in Ordnung.« Der Blonde atmete noch einmal tief ein, bevor sich ein freches Lächeln auf seinen Lippen stahl.

»Schätze ich.« Tod erwiderte sein Lächeln und schloss einen kurzen Moment die Augen.
 

»Für einen toten, neunzehnjährigen Bengel bist du auch ganz okay.«

Philosophie des Lebens

Epilog
 

Es war recht früh am Morgen, als die ersten Glockenschläge einsetzten. Überall tummelten sich Schüler, die ganz und gar in schwarz gekleidet waren und sich im Flüsterton miteinander unterhielten. Lediglich ein Mädchen stand allein und hatte ihren Blick starr auf den Boden gerichtet.

»Wieso…? Er…er.« Kaylee brachte keinen vollständigen Satz heraus. Fassungslos starrte sie nun auf das Grab ihres besten Freundes und musste ein Schluchzen unterdrücken.

»Er ist doch sonst immer aufgewacht. « Wie von selbst bewegten sich ihre Füße vorwärts, bis sie vor dem schwarzweißen Foto von dem Blonden zum Stehen kam. Vorsichtig beugte sie sich runter, wobei einzelne Strähnen ihres dichten Haares über ihre verquollenen Augen fielen.

»Du kannst mich doch nicht einfach alleine lassen.« Kaylee zuckte schreckhaft zusammen, als jemand plötzlich eine Hand auf ihre Schulter legte.

»Hey Kaylee.«

»Dean… Bitte nicht jetzt. Ich… ich will mich nur von ihm verabschieden, okay?«, ihre letzten Worte konnte sie unter ihrem Schluchzen selbst nicht mehr verstehen, aber ihr Freund nickte lediglich kurz. Er hatte verstanden. Vorsichtig richtete er sich auf und verschwand in einer kleinen Gruppe aus Mitschülern. Kaylee achtete nicht darauf. Ihre Augen waren immer noch auf das Foto gerichtet. Es war ein Moment, den sie mit niemand teilen wollte. Langsam streckte sie die Hand nach dem Foto aus und drückte es langsam gegen ihre Brust.

»Kenny… « Mit einem Mal fielen ihr so viele Dinge ein, die sie ihm hätte sagen müssen, als er noch gelebt hatte. Doch dafür war es zu spät. Und das wusste sie.
 

Ein Stück weiter stand eine rothaarige Frau in einem alten, zerschlissenen Kleid, dass irgendwann Mal sehr hübsch gewesen sein musste. Sie war blass und ihr Gesicht wirkte mehr denn je eingefallen. Der Mann an ihrer Seite hatte einen Arm um sie gelegt und schüttelte immer und immer wieder den Kopf, so als könnte er es einfach nicht glauben. Auch aus seinem Gesicht war jede Farbe gewichen. Obwohl er sehr groß war wirkte er schwach, hilflos und klein.

»Es ist nicht unsere Schuld.«, wieder und wieder hatte er die Worte in ihr Ohr geflüstert, so als könnten sie etwas ändern.

»Er ist tot. Kenny. Ist. Tot.«, die Stimme der Frau klang wie ein kraftloses Krächzen. Fast so als wäre sie es, die gestorben war, drehte sie sich zu ihren Mann und starrte ihn mit großen leeren Augen an.

»Verstehst du das? Kenny ist tot.« Ihr Mann erwiderte nichts darauf. Was sollte er auch sagen? Stumm drückte er die Rothaarige an sich, die immer noch wie versteinert auf das Grab ihres Sohnes blickte.

»Es tut mir leid Kenny. Ich… ich wollte nie, dass du… Oh Gott, Kenny bitte verzeih mir.« Zittrig glitt ihre Hand in ihre dreckige kleine Tasche, die von ihrem Arm baumelte und zog eine kleine Flasche hervor. Sie leerte sie in einem Zug und presste ihr Gesicht schließlich gegen die Brust ihres Mannes.
 

»Ist Kenny nicht mit dir gekommen?« Via tanzte von einem Fuß auf den anderen, während sie die Trauergesellschaft, von weiter Abseits, beobachtete. Sie waren seit Stunden hier und hatten die ganze Zeremonie mitverfolgt.

»Nein. Er ist bereits in meinem Reich.« Tod seufzte einmal und zog sich die schwarze Kapuze tiefer ins Gesicht. Leben senkte den Blick.

»Ach so.«, vorsichtig griff sie nach Tods Hand und drückte diese leicht. Auch wenn sie wusste, dass er es niemals vor ihr zugeben würde, hatte auch Tod dieses ganze Abenteuer mitgenommen. Sie ging ein paar Schritte und entfernte sich langsam vom Friedhof, wobei sie ihren Bruder erbarmungslos hinter sich her zog.

»Lass uns gehen.« Tod sagte nichts, ließ sich einfach nur ziehen und folgte ihr teilnahmslos mit auf die Straße. Es waren erstaunlich viele Menschen unterwegs. Er konnte sie immer noch nicht richtig erkennen, dennoch waren sie inzwischen mehr für ihn, als nur unscheinbare Klötze. Leicht lächelnd hielt er mit seiner Schwester schritt und schüttelte den Kopf.

»Du bist unmöglich, Via.« Sie lachte heiter auf und löste ihre Hand von der ihres Bruders.

»Wir sehen uns später.« Leben hob die Hand zum Abschied und verschwand ohne wirklich Aufsehen zu erregen, zwischen den Menschen, die sie gar nicht wahrzunehmen schienen. Tod blieb stehen und drehte sich ein letztes Mal um, um einen Blick auf den Friedhof zu werfen. Er wusste wo Kenny jetzt war und er wusste auch, dass es ihm dort gut ergehen würde. Früher oder später würde das sowieso jeder für sich herausfinden müssen. Bis es soweit war, würde er warten und jedem Leben den Respekt entgegenbringen, den er auch für sich beanspruchte. Letzten Endes war der Tod das, was alle Lebenden miteinander verband. Er lachte auf und wie immer klang sein Lachen kehlig und kratzig.
 

»Ruhe in Frieden Kenny.«



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  JennySmiles
2011-10-21T21:10:45+00:00 21.10.2011 23:10
wundervolle Geschichte !!!
geniale Charaktere!!! Kenny, Kaleey, Via und Tod, einfach alle!!
Alle haben ihre Individuelle Persönlichkeit, auch seine verkorksten Eltern.
Die Beziehung zwischen Leben und Tod ist genial!!
Und alles so toll dargestellt!!
Am Schluss lässt sich nur noch sagen:
Eine wundervolle Geschichte, die man einfach genießen muss!
Von:  JennySmiles
2011-10-21T20:59:50+00:00 21.10.2011 22:59
schockierend !!!
die Eltern merken einfach nichts, weil sie zu sehr mit sich beschäftigt sich und der naive kleine Kenny balanciert aus Spaß auf dem Fenstersims ... das ist echt schockierend, und darum nur noch um so besser!

Ich mag deinen Schreibstil^^ besonders weil du irgendwie total deutlich die Ignoranz seiner Eltern rüber bringst
auch als er aus dem Fenster fällt beschreibst du Situation echt gut^^ mit dem Wind und alles ... und dem Knirschen seiner Knochen^^
Bisher gefällt mir deine Story wirklich gut und die Beschreibung macht einen schon total heiß auf die Geschichte ^^
Ich glaub du hast einen neuen Fan, aber ich bin mal nicht weiter so euphorisch, bevor ich nicht weiter gelesen habe ;)
Von: haki-pata
2011-09-24T18:49:40+00:00 24.09.2011 20:49
Ganz in Ruhe gelesen.
Eine wundervolle Geschichte.


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