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Düster das Herz

von

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Nehemia XVII

„Du kannst hier nicht sein.“ Noch nie war jemand mit zu mir gekommen. Weder freiwillig noch gezwungenermaßen. Niemand sollte diese Bruchbude, in der wir hausten, als unser Heim kennen. Vor allem nicht er, Jones. Ihn ging mein Leben absolut nichts an. „Geh wieder.“

„Bitte, du kannst mich nicht einfach wegschicken.“ Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit, bittend streckte er die Hände nach mir aus. Ich ignorierte sie, schob ihn von mir weg. Natürlich konnte ich es, ich war ein freier Mensch. Mehr oder weniger, eigentlich eher gar nicht, aber das tat nichts zur Sache.

„Mein Vater hat mich rausgeschmissen, er will mich heute Abend nicht mehr sehen. Wo soll ich denn hin?“ Gleich fing er an zu weinen, so wie er aussah. Was ein schwaches Etwas, wie überstand er meine Bisse, ohne zu sterben? „Ich hab keine Freunde außer dir.“

„Wir sind nicht befreundet.“ Ich hatte keine Freunde, so etwas gab es in meinem Leben nicht, und ich legte auch keinen Wert auf solche scheinheiligen menschlichen Beziehungen. Das war eher etwas für solche armen Wesen wie Jones, der sich permanent nach Aufmerksamkeit und Liebe sehnte. Da bekam ich höchstens das Kotzen.

„Oh.“ Wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hätte ihn kaum mehr treffen können. Das Leben ist hart, genau wie die Wahrheit. Trotzdem fing er sich relativ schnell wieder, wollte nicht vor mir in Tränen ausbrechen und sich blamieren. „Dann nicht. Kannst du mich nicht trotzdem aufnehmen? Nur heute Nacht. Ich schlaf auch auf dem Fußboden, aber lass mich hier nicht alleine stehen.“ Wie sich seine Augen mit Angst füllten. Er drängte sich wieder nahe an mich, klammerte sich fest. Mir wurde ganz schlecht dabei, ich ertrug das nicht lange.

„Unsere Wohnung ist ein Rattenloch. Meine Mutter ist wahnsinnig und fickt mit allem, was sich nicht wehren kann. Du willst ganz sicher nicht zu mir mit.“ Wenn sie ihn sah, würde sie sich vielleicht auch an ihm vergreifen, und ehrlich gesagt ersparte ich ihm lieber diese Erfahrung. Nicht weil ich sonst ein schlechtes Gewissen bekam. Zum Schluss sprach sich rum, wie wir lebten und das Jugendamt erschien.

Dann lieber eine herzlose, sexversessene Mutter in einer völlig heruntergekommenen Wohnung. Gegen die konnte ich mich durchsetzen, wenn man mich nicht vorher überwältigte und festband.

Seine Miene spiegelte Überraschung, Furcht und sogar eine makabere Faszination wider. Den bekam ich nicht los, das sah ich ihm an. Der schlich sich auch ohne Erlaubnis zu uns hinein.

„Dann komm mit.“ Dann sollte er halt das Grauen selbst erleben. Ich hatte ihn gewarnt, mich traf keine Schuld.

Sie war zuhause, mit irgendwem in der Küche am Diskutieren. Sicher mit ihrem Neuen, der nicht alle ihrer Abarten mitmachen wollte. Die Tür hatten sie geschlossen, wir konnten ungesehen hineinschlüpfen. Durch das Wohnzimmer in meinen Raum, begleitet von Tablettenschachteln, schmutziger Wäsche, zerbrochene Teller mit Essensresten vor dem Sofa und ein zerbröckelter Lippenstift. Als ob hier jemand Ordnung hielt.

Eigentlich hätte ich heute noch einmal Jagd auf Engel gemacht, aber nicht mit Jones. Er kannte meine Beschäftigung nicht; im schlimmsten Fall zeigte er mich an und man würde mir die einzige Freude im Leben nehmen.

„Du tust mir leid“, brach es unerwartet aus ihm heraus, als wir mitten im Zimmer standen. „Ich dachte, bei uns wäre es schlimm, aber bei dir…“ Seine Stimme brach weg, er wirkte schockiert und beschämt. Nervös fummelten seine Hände an seinem Reißverschluss der grünen Jacke herum.

„Man gewöhnt sich an alles.“ An Schmutz, Schläge, Verachtung, sogar den Missbrauch durch sie nahm ich hin. Was blieb mir auch übrig, es lief sowieso alles aufs Gleiche hinaus im Leben. Wenn man mich hier nicht quälte, dann vielleicht dort, wo ich stattdessen hinkam. Grausamkeit kannte kein Grenzen.

„Und was wirst du jetzt noch machen?“ Er fing sich wieder. Schaute sich neugierig um, hob ein Buch vom Boden auf. Die Hälfte der Seiten fehlte, ich hatte sie aus Langweile herausgerissen.

„Nichts.“ Dank ihm. Seinetwegen durfte ein Mädchen einen Tag länger über die Erde laufen. Ich zog Jacke und Schuhe, die bald nur noch Fetzen sein würden, aus, warf sie neben das Bett und legte mich hin. Es war erst zehn, keine Zeit zum Schlafen, nur zum Nachdenken.

„Wo soll ich hin?“ Er stand verloren in der Mitte. Suchte nach Möglichkeiten; einer zweiten Decke, ein paar Kissen. Nichts davon gab es hier, ich hatte schließlich nie Gäste. Provisorisch legte er sich meine Kleidungsstücke zusammen, benutze sie als Kissen und Decke, legte sich auf den Teppich vor das Bett.

An Schlaf war nicht zu denken, im Wohnzimmer stritt man sich, warf mit Geschirr oder Polstern. Die üblichen Verhältnisse in diesem Haushalt. Entweder hatte man Streit oder Geschlechtsverkehr, einen Mittelweg schlug hier keiner ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  kyouhaku
2011-10-28T20:48:24+00:00 28.10.2011 22:48
ich bin fasziniert, le magda
und froh, dass hier alle kapitel so knapp sind

wenn wir uns das nächste mal sehn lass ich mich mal ausgiebig darüber aus :D
Von: abgemeldet
2011-10-28T11:52:09+00:00 28.10.2011 13:52
Sex oder Streit.
Das ist heftig.
Dennoch lässt er Jones da bleiben...
Irgendwie ein Vertrauensbeweis, wenn man es mal aus einem anderen Winkel betrachtet, auch wenn er ihn ja die ganze Zeit loshaben wollte. Aber mit Dreistigkeit kennt er sich ja aus. Seine Mutter ist ja nicht anders. Die setzt auch durch, was sie will. Ich habe irgendwie die leise Hoffnung, dass es vorerst ihr Geheimnis bleibt, aber wer einmal gekommen ist, kommt auch wieder. Irgendwann wird Jones sicher erwischt, aber vielleicht ist sie ja gegenüber Fremden...
Nein... das ist unwahrscheinlich. Den Gedanken denke ich lieber nicht weiter.
Sie wird ihrem Sohn nicht gönnen, dass er sich jemand anderem mitteilt, auf welche Weise auch immer. Sie wirkt nicht wie eine, die gern teilt, außer sie will es so...
Von: haki-pata
2011-10-28T06:31:42+00:00 28.10.2011 08:31
Du überraschst.
Mich.
Du machst neugierig.
Auch mich.

Danke dafür.


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