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One Step Forward... Two Steps Back

von

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(Der erste Abschnitt ist ein erweiterter Auszug aus „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ von Joanne K. Rowling, Ende Kapitel ‚Der Rauswurf von Severus Snape’, S. 614 gebundene Ausgabe Carlsen Verlag 2007.)
 

1. Mai 1998, später am Tag

„Es dämmerte mir schon eine ganze Weile“, sagte Percy und tupfte sich mit einem Zipfel des Reiseumhangs unter seiner Brille die Augen, peinlich darauf bedacht, dass die weiten Ärmel der geborgten Robe, die er unter dem Umhang trug, nicht zu weit hoch rutschten. „Aber ich musste einen Weg finden rauszukommen, und das ist nicht so einfach im Ministerium, die sperren andauernd Verräter ein. Ich hab es geschafft, Kontakt mit Aberforth aufzunehmen, und er hat mir vor zehn Minuten den Hinweis gegeben, dass Hogwarts kämpfen wird, und hier bin ich.“ Percy merkte, wie ihm bei diesen Worten schon wieder der Schweiß auf die Stirn trat, aber er wagte es nicht, erneut den Reiseumhang zu bemühen, hätte das doch nur unnötig Aufmerksamkeit erregt. Denn das letzte, was er wollte, war seine Familie förmlich mit der Nase auf all das zu stoßen, was er bei seiner kurzen Erklärung ungesagt gelassen hatte...
 

Ca. 10 Minuten zuvor

„Was war das für ein Lärm gerade?“, fragte Percy und setzte sich mühsam in seinem Bett auf.

Aberforth Dumbledore, der nach seinem Patienten hatte sehen wollen, kaum dass der Gastraum des Eberkopfes wieder verlassen war, eilte zu dem Bett, darauf bedacht, den noch immer stark geschwächten Weasley wieder hinab auf sein Kissen zu drücken. „Das war der Orden des flügge gewordenen Kükens meines verstorbenen Bruders. Offenbar wird Hogwarts kämpfen.“

Diese Erklärung hatte leider nicht die erhoffte beruhigende Wirkung, stattdessen wehrte sich Percy gegen den alten Zauberer, als habe dieser ihm die erbetenen Informationen vorenthalten. „In Hogwarts wird gekämpft? Abe, ich muss nach Hogwarts. Sofort!“

„Ich glaube kaum“, erwiderte der Gastwirt und hielt Percy mühelos mit nur einer Hand auf dem Bett.

„Aberforth! Gerade du solltest verstehen, dass ich jetzt nach Hogwarts muss. Wie soll mir meine Familie je meine Abkehr vom Ministerium glauben, wenn ich bei der entscheidenden Schlacht nicht an ihrer Seite stehe?“

„Erstens habe ich mit keiner Silbe erwähnt, dass deine Familie oben im Schloss ist, und zweitens: Wer sagt dir, dass das die entscheidende Schlacht ist?“, entgegnete der letzte Dumbledore grummelnd.

„Ich bitte dich...“ In Percys Stimme schwang ungewohnter, doch irgendwie kleidsamer Sarkasmus mit. „Natürlich sind meine Eltern oben im Schloss. Der Fuchsbau war in den letzten beiden Jahren Hauptquartier des Ordens des Phönix. Und wenn Hogwarts gemeinsam mit dem Orden kämpft, wird es sich wohl kaum um eine Feld-Wald-und-Wiesen-Schlacht handeln!“

„Junge...“ Aberforth seufzte. „Ich kann dich ja verstehen. Aber du bist kaum in der Lage alleine über den Flur zur Toilette zu gehen. Wie willst du da den Weg bis Hogwarts hinter dich bringen? Von einem ausgewachsenen, magischen Kampf ganz zu schweigen?“

„Wozu sind wir Zauberer? Wozu gibt es Aufpäppeltränke und schmerzbetäubende Tränke?“ Herausfordernd sah der junge Mann Aberforth an. Er wusste, dass der andere einen Zaubertrankvorrat besaß, der selbst Snape hätte neidisch werden lassen. Dass sich darunter auch einige weniger legale Tränke befanden, tat der Wirksamkeit dieser Hausapotheke keinen Abbruch und beim derzeitig herrschenden Regime auch wenig zur Sache.

„Du bist wahnsinnig“, knurrte Aberforth und schlurfte gen Tür. Schließlich wussten sie beide, dass bereits ein nicht zu verachtender Cocktail an Heiltränken durch den Körper des Rotschopfes pulsierte, um die angerichteten Schäden zu beseitigen. In diesem Zustand noch weitere Tränke nehmen zu wollen, konnte man nur mit Wahnsinn bezeichnen.

„Nicht wahnsinnig, nur stur“, erwiderte Percy grinsend, auch wenn sein Gesicht sich schmerzlich verzerrte, als er sich endgültig aufsetzte. An die Tortur, die ihm in Form von Kleidung auf seiner kaum verheilten Haut bevorstand, wollte er besser erst gar nicht denken, trotz der weichen, weiten Robe, die Aberforth ihm gleich darauf stumm entgegenhielt.
 

28. April 1998

Percy war kaum mehr fähig zu stöhnen, obgleich sein ganzer Körper nur noch aus Schmerz zu bestehen schien. Doch seine Stimmbänder waren zu heiser, um auch nur einen Laut zu äußern, der über ein tonloses Wimmern hinausging. Er wünschte, ein ähnlich desolater Zustand seiner Augen würde ihn auch am Sehen hindern und ihm den Anblick seiner Selbst im Spiegel ersparen, doch dies war unglücklicherweise nicht der Fall.

Zuerst hatte er es für eine Marotte des Generals gehalten, geglaubt, es verschaffe diesem eine doppelte Genugtuung, die eigenen Taten im Spiegel wiederholt zu sehen, doch inzwischen wusste Percy, dass der Spiegel in dem Verhörraum Teil der Folter war. Er hatte sich nie für eitel gehalten, aber der Anblick seines zerstörten Körpers setzte ihm auf eine Art mehr zu, als jene Tortur, die das einst glatte Fleisch in dieses Zeugnis der perfiden Brutalität verwandelt hatte. Gleich einer bizarren Pflanze rankten sich die schwarzblauen, nässenden Striemen des Nachtfeuers über seine Brust, den rechten Arm, die Schultern, den linken Oberschenkel. Jedes Mal, jedes Nachtfeuer nicht tief genug eingebrannt, um ihn zu töten, und doch so tief, dass das Gewebe auf immer gezeichnet war. So tief, dass selbst wenn man ihm in diesem Augenblick die beste medimagische Versorgung gewähren würde, Narben blieben. Von den dauerhaft sensibilisierten Nervenenden, die ihm sein Leben lang Probleme bereiten würden, ganz zu schweigen. Aber natürlich dachte man nicht daran, ihm eine irgendwie geartete medizinische Versorgung zukommen zu lassen, die über die lebenserhaltenden Maßnahmen hinausging. Oh nein, Teil der Behandlung, mit der man ihn für seine Taten zur Rechenschaft zog, sah vor, jede Verletzung auf natürlichem Wege heilen zu lassen. Und so seine Qualen zu verlängern. Der General verstand nun mal sein Handwerk. Einschließlich der psychologischen Folter. Verstand, dass es den Geist jedes Mal ein wenig mehr brach, wenn man gezwungen wurde, mit anzusehen, wie der eigene Körper verletzt wurde. Und doch – Percy konnte nicht anders als einen gewissen Stolz beim Anblick der Male zu empfinden. Auch wenn zugleich dabei sein Magen rebellierte und er sich zweifelsohne übergeben hätte, wäre etwas in seinem Magen gewesen. Aber was er getan hatte, war richtig gewesen. Das einzig Richtige! Er würde sich jederzeit wieder genau so entscheiden, selbst wenn es ihm den Tod brachte. Obwohl gerade letzteres wohl nur noch eine Frage der Zeit war. Jeder Besuch des Generals, jedes weitere Nachtfeuermal zerstörte mehr Haut, bis sein Körper jenen Punkt erreichte, wo der tödliche Schock unvermeidlich war. Und der General besuchte ihn jeden Tag. Vielleicht würde bereits beim nächsten Besuch dieser Punkt erreicht...

Ein lauter Knall ließ Percy aus seinen durchmischten Gedanken aufschrecken, obgleich er in seiner aufrecht an die Wand geketteten Position, die bizarr an den vitruvianischen Menschen ad circulum von da Vinci erinnerte, jede noch so kleine Bewegung augenblicklich bereute, zuckten doch neuerliche Schmerzensblitze durch seinen Körper.

„Master Weatherby! Oh Master Weatherby! Winky ist gekommen, Sie hier fortzubringen. Master Aberforth wird Ihnen helfen, Master Weatherby“, brabbelte die Hauselfe aufgelöst, während sie mit Elfenmagie die Ketten öffnete...
 

24. April 1998

Egal wer an der Macht war, an der Tatsache, dass alle ungeliebten Aufgaben an jenen Mitarbeitern des Ministeriums hängen blieben, die in der Rangordnung ganz unten standen, änderte sich nie etwas. Weshalb es auch ungeachtet der Machthaber niemanden kümmerte, wenn besagte Schlusslichter der natürlichen Hackordnung Überstunden machten.

An diesem Abend war Percy zum ersten Mal froh über den Umstand, dass er, trotzdem er den Titel eines Assistenten des Ministers hatte, das rangniedrigste Mitglied seiner Bürogemeinschaft war. Denn andernfalls wäre es aufgefallen, wenn er zu dieser späten Tageszeit – es war schon eher von Nachtzeit zu sprechen – noch durch die Gänge des Zaubereiministeriums ging. Zugegeben, die späte Stunde machte ihn nicht wenig nervös und er musste an sich halten, ganz normal durch die Flure zu schreiten und nicht naturgemäß zu schleichen. Aber er durfte nicht auffallen. Nicht, wenn er Erfolg haben wollte. Unwillkürlich drängten sich ihm die Gedanken an den General auf, jenes furchteinflößende Schreckgespenst des Ministeriums, der jeden, der unter Verdacht stand, ein Verräter zu sein, einsperren ließ. Niemand wusste genaues über das, was mit den Verrätern geschah, aber es war auch nichts, was man unbedingt herausfinden wollte. Energisch schob Percy diese Bilder beiseite, verdrängte die unterbewusste Angst. Er hatte Wichtigeres vor sich!

Seitdem er am Vormittag auf dem Weg zum Büromaterialdepot im Keller des Ministeriums einer Gruppe frischverurteilter Magiediebe – ehemals als Muggelgeborene bekannt – begegnet war, hatte er an nichts anderes denken können.

Sicher, wie jeder Ministeriumsangestellte hatte auch Percy gewusst, was mit denjenigen geschah, die als Magiediebe von der Registrierungskommission für Muggelgeborene verurteilt wurden, aber wie jeder andere im Ministerium, hatte er es vorgezogen, sich wie die drei berühmten Affen zu verhalten: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Dafür hatte nicht zuletzt die scheinbar omnipräsente Figur des Generals gesorgt. An diesem Morgen aber hatte er nicht wegsehen können, hatte das unausgesprochene Flehen gehört und auch wenn er offiziell nichts sagen konnte, kam ein Nichtstun in diesem Fall nicht in Frage. Zu sehr hatte ihn der Blick in den braunen Augen berührt. Jener Blick... Es war der gleiche hilflose Blick, die gleichen Selbstvorwürfe, wie er sie selbst vor fast genau fünf Jahren zur Schau getragen hatte. Damals, als er Ginny nicht vor Riddle und dem Basilisken hatte beschützen können. Als er als großer Bruder versagt hatte. Nur, dass es heute ein Mädchen, beinahe schon eine junge Frau war, bei der er diese Blicke gesehen hatte und sie hatten ihrem kleinen Bruder gegolten. Beide waren sie gemeinsam mit den anderen Verurteilten von den Todesserwachen unbarmherzig knuffend in Richtung der Arrestzelle geschoben worden, wo sie auf ihren Transport nach Askaban warten würden. Askaban, das schreckliche Zaubergefängnis, in welches auf Befehl von Du-weißt-schon-wen die Dementoren zurückgekehrt waren.

Percy kannte die Verzweiflung der jungen Frau zu gut, um untätig zu bleiben. Damals hatte ein anderer seine Schwester gerettet. Heute konnte er wiederum jemandes anderen Geschwister retten. Täte er es nicht, wäre es als würde er Ginny erneut im Stich lassen, sie eigenhändig nach Askaban schaffen. Unmöglich! Selbst wenn das bedeutete, zum Verräter zu werden.

Es war der berühmte letzte Tropfen gewesen, der das Fass seines Gewissens zum Überlaufen gebracht hatte. Denn egal wie blind man sich stellen mochte, egal wie sehr man daran glauben mochte, dass das System funktionierte, dass man sich nur an die Regeln halten musste, konnte kein intelligenter Mensch die Missstände der aktuellen Regierung übersehen. Allein schon die Schwäche, die das Regime zeigte, indem es eines Sündenbocks bedurfte und dann auch noch etwas so absurdes wie den unglücklichen Zufall der Geburt als Auswahlkriterium anführte, zeigte die Borniertheit der Machthabenden. Merkten sie denn nicht, dass sie bloß durch Zufall nicht selbst jener ausgestoßenen Gruppe angehörten? Oder dass die Wahl ganz leicht auf ihre eigene Gruppe als Sündenbock hätte fallen können? Aber Percy wollte ihnen keinen Vorwurf machen, hatte er doch auch zu lange still gehalten. Doch nicht länger! Verschwunden waren die Ausreden, dass er sich ruhig verhielte, um seine Familie zu schützen. Dass er nichts tat, um nicht zu riskieren, dass seine Schwester in Hogwarts verhaftet würde oder sein Vater... Alles Ausreden. Er wusste nur zu gut, dass sein Vater stets bereit war, für das zu kämpfen, woran er glaubte, und er hatte mit angesehen, wie seine kleine Schwester zu einer starken jungen Frau herangewachsen war. Es würde ihn nicht wundern, wenn sie in Hogwarts nicht selbst einen Aufstand anzettelte. Es gab keinen Grund, hatte es nie gegeben. Außer seiner eigenen Feigheit, die er stolz Besonnenheit genannt hatte. Er war ja noch nicht einmal sich selbst gegenüber ehrlich genug gewesen, sich einzugestehen, dass die Angst vor dem General ihn vielleicht zurückgehalten haben mochte. Doch nicht länger!

Percy wusste durch die vielen Überstunden, die er im Laufe des Jahres tatsächlich hatte leisten müssen, dass exakt um Mitternacht ausgewählte Todesser mit einem Portschlüssel von Askaban in das Ministerium reisen würden, um exakt eine Minute später mit den Verurteilten wieder auf die versteckte Felseninsel in der Nordsee zurück zu kehren. Dieser strenge Zeitplan sollte verhindern, dass sich irgendjemand aus dem Widerstand unbefugt an dem Portschlüssel zu schaffen machte. Aber wer sagte, dass man bis Mitternacht warten musste, um mit einem Portschlüssel die Gefangenen an einen anderen Ort zu verbringen?

Seine Finger krampften sich um das Tintenfass, das er bei sich trug. Sollte ihm jemand begegnen, würde er behaupten, ihm sei die Tinte ausgegangen. Das war zwar eine schwache Ausrede, aber dank Hauselfen war das Büromaterialdepot rund um die Uhr besetzt. Und ein Tintenfass war der unauffälligste Gegenstand auf seinem Schreibtisch gewesen, den Percy in einen Portschlüssel hatte verwandeln können.

Er war so mit den Gedanken an die bevorstehenden Minuten beschäftigt, dass ihm gar nicht auffiel, dass der Kellerbereich mit den Zellen viel zu schwach bewacht war. Allein schon das Fehlen einer Patrouille, der er hätte ausweichen müssen, hätte ihn misstrauisch werden lassen müssen... Aber es fiel Percy nicht auf. Er wunderte sich noch nicht einmal, dass es ihm so problemlos gelang, die Arrestzelle zu öffnen und zu betreten. Bis die schwere magieverstärkte Holztür hinter ihm mit einem lauten Schlag ins Schloss fiel und sich aus den Schatten der Zelle, den toten Winkeln, die er beim Betreten nicht hatte sehen können, eine vertraute, gefürchtete Gestalt löste. Ein hochgewachsener, blonder Hüne mit brutalem Ausdruck. Jeder im Ministerium kannte ihn, fürchtete ihn. Der General! Doch er war nicht allein. Zwei weitere Gestalten lösten sich aus dem Dunkel. Ein kleiner, drahtiger, unauffälliger Mann, dessen blasses Gesicht und milder Ausdruck so gar nicht an diesen Ort zu passen schienen. Und... Percys Herz schien stehen zu bleiben.

„Wie es scheint, hattest du Recht meine Liebe“, sagte der blasse Mann.

„Natürlich hatte ich das, General. Das System irrt sich nicht.“ Es war Penelope, die sich geradezu prostituierend an den kleineren Mann schmiegte. Percys Herz schien für einen Moment auszusetzen. Das dort sollte der General sein? Nicht der Hüne, vor dem alle Ministeriumsmitarbeiter zitterten? Fast hätte er es nicht glauben wollen. Aber da war mehr. Seine Penelope... Seine Penelope, mit der er seit über fünf Jahren so ziemlich alles teilte. Einschließlich seiner Gedanken und Ideen hinsichtlich dieser Aktion hier beim gemeinsamen Mittagessen wenige Stunden zuvor... Gedanken und Ideen, die sie genutzt hatte, ihn zu verraten.

Doch noch während seine ganze Welt zusammenzubrechen schien, während er sah, wie der Hüne, der offenbar lediglich eine Marionette oder grobschlächtiger Handlanger des Generals war, auf ihn zukam, um ihn zu packen, konnte Percy einen letzten klaren Gedanken fassen. Er wusste, dass er dem blonden Todesser nicht ausweichen konnte. Aber er konnte den Verurteilten, die sich angstvoll am anderen Ende der Zelle zusammengedrängt hatten, einen Ausweg verschaffen. Es war nicht mal eine Minute mehr, ehe sich das Tintenfass aktivieren würde... Percy überlegte nicht lange, sondern warf den Gegenstand zu der kleinen Gruppe hinüber, inständig hoffend, dass es keine mittels Vielsafttrank verkleideten Todesser waren. Dann ging er zum Angriff auf den Hünen über. Jede Sekunde, die er von den Gefangenen ablenken konnte, war kostbar.

Aus den Augenwinkeln bekam er noch mit, wie ein kurzes Flimmern durch die Zelle geisterte, als sich der Portschlüssel aktivierte, ehe alles um ihn herum schwarz wurde.
 

10. Juli 1995

Der Flurfunk des Ministeriums knisterte nur so vor Neuigkeiten. Erst der mysteriöse Tod von Crouch, dann die Mitteilung, ein Todesser hätte Hogwarts infiltriert – und damit war nicht Snape gemeint – und zuletzt die beängstigende Nachricht, dass Du-weißt-schon-wer wieder auferstanden sei. Letzteres wurde allerdings von Minister Fudge vehement geleugnet, und weil Fudge nach Crouchs Tod höchstpersönlich als Richter für die dritte Aufgabe des Trimagischen Turniers, während der jene Widerauferstehung stattgefunden haben sollte, in Hogwarts gewesen war, neigten viele Ministeriumsangestellte dazu, eher dem Zaubereiminister als den Gerüchten zu glauben. Das waren vor allem jene, die keine Kinder oder jüngeren Geschwister in Hogwarts hatten, die aufgrund von Dumbledores Rede die entsetzliche Neuigkeit mit nach Hause gebracht hatten. Aber was genau war die Wahrheit?

Percy stand förmlich unter Schock. Die vergangenen Wochen waren alles andere als leicht für ihn gewesen und nun diese Nachrichten. Dass die Zukunft immer ungewiss war, war ihm nichts neues, aber dass sie so ungewiss sein konnte, wie in diesem Moment... Zwar war er aufgrund des Geständnisses des Todessers Barty Crouch von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen in Sachen Minister Crouch freigesprochen worden, aber Percy war Realist genug, um zu wissen, dass man ihm in der Abteilung nicht länger traute. Dass man ihm zukünftig wohl kaum mehr Verantwortung übertragen würde, als sie für das Anspitzen der Federn notwendig wäre. Falls man nicht sogar eine Möglichkeit fand, ihn zu einer menschlichen Hauselfe zu degradieren oder ähnliches. Vielleicht sollte er sich vorsichtshalber schon einmal nach einem neuen Job umsehen... Und dann war da noch die Sache mit Du-weißt-schon-wem...

Percy hatte eigentlich keinen Grund seiner Familie nicht zu glauben. Schließlich waren seine Mutter und Bill auch an jenem Tag in Hogwarts gewesen. Es ließ sich auch nicht leugnen, dass Cedric Diggory bei der dritten Aufgabe des Turniers gestorben war. Andererseits behauptete Fudge, dass dies auch Barty Crouch gewesen sei. Dass dieser sich in der Gestalt Alastor Moodys in den Irrgarten geschlichen und Diggory getötet habe. Dass Harry leider beim Kampf gegen eines der vielen magischen Tiere im Irrgarten mit einem heftigen Confundus-Zauber getroffen worden sei, den er selbst auf das Tier gehetzt habe und nun die darauf folgende wirre Traumsequenz über das Schreckgespenst Voldemort für die Wahrheit hielte. Aber weil es ja Harry Potter sei, würden ihm alle glauben.

Barty Crouch war noch am selben Abend von einem Dementor geküsst worden und konnte somit Fudges Gerede nicht widersprechen. Und da es viel angenehmer war, sich in Sicherheit zu glauben – eine Sicherheit, wie man sie in den vergangenen vierzehn Jahren kennen und schätzen gelernt hatte – als sich mit dem Gedanken anzufreunden, der Schrecken von damals sei wieder auferstanden, konnte Percy gut verstehen, wieso viele Leute dazu neigten, Fudge und nicht Dumbledore, der zu Harry hielt, zu glauben. Aber war das der richtige Weg? Gerne hätte er sich selbst auch in jener Sicherheit gewiegt, aber die Aussagen seiner Mutter und seines Bruders so einfach zu ignorieren? Sie hatten keinen Grund ihn zu belügen. Doch sie hatten auch gesagt, dass man nicht alles im Irrgarten habe sehen können. Weder die Mitte, wo der Pokal, von dem Harry behauptete er sei ein Portschlüssel zu einem abgelegenen Muggelfriedhof gewesen, noch einzelne Ecken, von denen Fudge behauptete Harry sei in einer von ihnen dem Confundus-Zauber erlegen. Wem glauben?

„Hat nicht Rita Kimmkorn schon das ganze Jahr über angedeutet, dass Harry an seiner eigenen Vergangenheit langsam aber sicher zerbricht?“, fragte Penelope in diesem Moment, griff über den Tisch nach Percys Hand und riss ihn so aus seinen Gedanken. „Diese Geschichte von Du-weißt-schon-wem...“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist wirklich zu abstrus. Das hat er sich mit Sicherheit nur ausgedacht, um von Cedrics tragischem Tod abzulenken und alle Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. Denn wenn Du-weißt-schon-wer wieder da wäre, würden wir dann, so wie jetzt, gemütlich in einem Straßencafé in der Winkelgasse sitzen können? Dann würden doch bestimmt hinter jeder Ecke Todesser lauern und den Frieden stören, wenn man den Schreckensgeschichten glauben kann, die meine Eltern mir immer erzählt haben.“

Percy wirkte verunsichert. Auch er kannte die Geschichten über die damalige Terrorzeit, konnte sich sogar selbst vage an die allgemein herrschende Angst erinnern.

„Glaubst du nicht, dass sich das Zaubereiministerium seiner Sache sehr sicher sein muss, wenn es der Bevölkerung mitteilt, dass es diese angebliche Gefahr nicht gibt?“, fuhr Penelope mit ihrer Argumentation fort. „Sicherlich wären sie nicht so verantwortungslos das Gegenteil zu behaupten und damit das Leben unschuldiger Bürger zu riskieren, wenn tatsächlich eine solche Gefahr existierte. So funktioniert das System nicht. Und das System funktioniert immer. Wie sonst hätte es erst in Gestalt des magischen Rats und nun in der Gestalt des Ministeriums für Zauberei so lange überdauern können?“ Sie streichelte sacht über seine Hand, während sie sich einen Schluck Kürbiseistee gönnte.

„Das Ministerium besteht in seiner jetzigen Form ja immerhin schon seit dem siebzehnten Jahrhundert...“, stimmte ihr Percy zögerlich zu.

Penelope nickte. „Das Ministerium kümmert sich um die Menschen. Und wenn man sich an die Regeln hält, kann man die Früchte dieses Systems ernten. Betrachte doch nur einmal dich selbst: Weil du dich immer an die Regeln gehalten hast, bist du in Hogwarts zum Vertrauensschüler und sogar zum Schulsprecher ernannt worden. Das System hat funktioniert. Da war es unerheblich, dass deine Familie nicht so viel Geld wie andere reinblütige Zauberfamilien hat. Es ging um das System. Du hast dich an die Spielregeln gehalten und wurdest belohnt. Und genauso hattest du deswegen auch keine Probleme, im Ministerium eine Stelle zu finden. Es konnte ja niemand ahnen, dass Minister Crouch sich von einem Todesser übertölpeln lässt. Aber ich glaube ganz fest daran, dass man im Ministerium Leute wie dich zu schätzen weiß. Das solltest du dir nicht von einem wirr daherredenden Teenager und einem alten Zauberer, über den schon länger Gerüchte im Umlauf sind, er solle lieber in Rente gehen, kaputt machen lassen. Es mag zwar nicht immer leicht sein, aber wer wie du und ich die Spielregeln akzeptiert, kann sich mit dem System prima arrangieren und dabei über sich selbst hinauswachsen. Nimm dagegen deinen Vater. Er ist bestimmt ein anständiger Mensch und Zauberer, aber er hat seine Begeisterung für Muggelnarreteien immer vor die Spielregeln gestellt und es deswegen im Ministerium nicht weiter als bis zu einem kleinen Büro ohne Fenster gebracht. Das System hat auch hier funktioniert. Dein Vater macht sicherlich seinen Job gut, aber es ist kein sonderlich wichtiger Job, also sind die Früchte, die er für seine Familie ernten konnte, auch nicht sonderlich üppig. Du aber... Wer weiß, vielleicht wirst du eines Tages Abteilungsleiter einer bedeutenden Abteilung.“ Sie lächelte ihn stolz an. „Ich würde ja sogar den Posten des Zaubereiministers in Aussicht stellen, aber den, mein Lieber, will ich für mich.“ Sie zwinkerte verschmitzt. „Doch wenn ich dereinst Ministerin bin, dann brauche ich jemanden an meiner Seite, auf den ich mich verlassen kann. Der das System kennt, darauf vertraut, dass es funktioniert und dafür sorgt, dass durch mich dem noch lange so ist.“

Percy konnte nicht anders als Penelopes Lächeln zu erwidern. Und er wusste auch, dass seine Freundin eine weite bessere Zaubereiministerin abgeben würde, als er in dieser Position. Er war sich seiner Stärke am Schreibtisch bewusst, aber er wusste auch, dass er als öffentlicher Repräsentant eine eher klägliche Figur abgeben würde. Eine Schönheit wie Penelope dagegen... Und wenn man bedachte, dass er diese Schönheit für sich hatte gewinnen können, eben weil er sich an die Regeln hielt und auf das System vertraute... Er konnte nicht anders als sich einzugestehen, dass ihre Argumentation schlüssig war. „Dann lass uns hoffen, dass du mit deiner Aussage, dass das System funktioniert, recht hast und ich befördert statt gefeuert werde“, sagte er und nur noch ein winzig kleines Seufzen schwang in seiner Stimme mit.
 

1. September 1987

„Viel Glück in Ravenclaw, Percy! War nett, dich gekannt zu haben.“ Grinsend klopfte Charlie seinem jüngeren Bruder auf die Schulter, ehe er ihn in Richtung des Wildhüters Hagrid schob, der wie jedes Jahr die Erstklässler am Bahnhof von Hogsmeade in Empfang nahm, um sie in der legendären Bootsfahrt über den See nach Hogwarts, der besten Schule für Hexerei und Zauberei in Groß-Britannien, zu geleiten.

„Hör nicht auf ihn“, versuchte Bill, der älteste der drei Weasley-Brüder, die ab diesem Jahr nach Hogwarts gehen würden, den Elfjährigen zu beruhigen. „Selbst wenn du nicht nach Gryffindor kommst, heißt das nicht, dass wir uns nicht sehen oder miteinander was unternehmen können.“

Percival, von allen nur Percy genannt, nickte ein wenig beklommen. Er wusste genau, dass auch sein großer Bruder Bill daran zweifelte, dass er ein Gryffindor werden würde. Dazu war er zu...

„...regelliebend? Was sollte daran ein Hinderungsgrund sein, ein Gryffindor zu werden?“, fragte die merkwürdige Stimme des Sprechenden Hutes in seinem Kopf, als er wenig später bei der Auswahlzeremonie als einer der letzten seines Jahrgangs den Hut aufgesetzt hatte.

„Na ja, sie sagen, um ein Gryffindor zu sein, muss man mutig sein. Und nicht bloß einfach den Regeln folgen.“

„Aha...“ Der Hut machte keinesfalls den Eindruck, als würde er diese Meinung teilen. „Es stimmt, man muss als Gryffindor mutig sein. Aber manchmal erfordert es sogar noch mehr Mut, den Regeln zu folgen, als sie zu brechen. Warum folgst du den Regeln?“

„Weil sie richtig sind. Sie sollen mich beschützen.“

„Und wenn sie nicht richtig wären? Wenn man von dir verlangte, nur noch Sellerie mit Pflaumensoße zu essen, obwohl du gegen Sellerie allergisch bist und Pflaumensoße dazu überhaupt nicht schmeckt?“

Nur mit Mühe konnte es sich Percy verkneifen, bei dieser Frage laut loszuprusten. Sellerie und Pflaumensoße... auf was für Ideen dieser Hut kam! Aber es wäre wohl ziemlich unhöflich, über diesen altehrwürdigen Hut zu lachen. Dennoch dachte Percy etwas genauer über diese lächerliche Frage nach. „Wenn mir diese Regel schaden würde, würde ich sie nicht befolgen“, entschied er schließlich.

„Sehr gut!“, lobte der Hut. „Denn das erfordert überhaupt den größten Mut: Seine eigenen Entscheidungen zu fällen und dazu zu stehen. Sich seine Meinung zu bilden und danach zu handeln. Nichts vorschnell abzutun, bloß weil es einem vielleicht im ersten Moment unangenehm oder absurd erscheint. Und genau deshalb hast du Mut. Mindestens genauso viel Mut wie deine Brüder, weshalb auch für dich nur ein Haus in Frage kommt: GRYFFINDOR!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  _Delacroix_
2011-10-15T15:52:50+00:00 15.10.2011 17:52
Hallo Nifen,

Erstmal möchte ich mich entschuldigen, dass das mit der Auswertung so ewig gedauert hat. Ich bin etwas in Aufgaben und Pflichten versumpft.
Hier nun erst Mal der Kommentar zu deiner Geschichte.
Die Übersichtsseite gefällt mir gut. Sie ist übersichtlich, verrät nicht zu viel und das Zitat ist schön gewählt. Auch der Text ist – wie ich bei dir eigentlich erwartet hatte – übersichtlich und sowohl von der Rechtschreibung als auch von der Grammatik sehr gut. Muss ich dir glaube ich auch nicht sagen.
Ich finde die Charaktere gut getroffen. Gerade Aberforth hatte ich in den Geschichten eher nicht erwartet, aber ich mag es, wie du ihn umgesetzt hast. Auch Penny spielt eine Rolle, die ich ihr so nicht zugetraut hätte, die ich ihr bei lesen aber durchaus abgenommen habe. Ich finde es sehr interessant, dass ihre Prioritäten genauso gelagert zu sein scheinen, wie die Weasleys es im Buch so ewig von Percy angenommen haben. Was sie somit ein wenig zu einem Spiegel macht, der zeigt, was hätte sein können, hätte Percy seine Prioritäten nur ein klein wenig in eine andere Richtung verschoben.
Sehr eindrucksvoll.
Ebenfalls sehr interessant ist es wie du die Geschichte aufgezogen hast. Ich musste beim zweiten Datum erst noch Mal genauer hinschauen, damit mir bewusst, wurde, dass wir uns ja rückwärts bewegen, aber letztlich macht gerade das die Geschichte zu etwas besonderem. Gerade das Ende mit dem sprechenden Hut, das sehr gut zeigt, dass Percy eben nicht nur zu hundert Prozent regeltreu ist, sondern das da mehr dahinter steckt. Im Gegensatz zu Penny, wie man meinen könnte, deren Einstellung zu Regeln ja eine ganz andere ist.
Kurz um, du hast es wieder einmal geschafft mich zu überraschen und das überrascht mich nicht mal mehr. Die Geschichte ist wirklich sehr schön und lässt viel Spielraum für Interpretationen und andere Gedankengänge.

Rundum gelungen, würde ich sagen.
Ein wundervoller, zweiter Platz.
Von: Arcturus
2011-09-17T15:55:44+00:00 17.09.2011 17:55
*lacht eine Runde, vornehmlich über sich selbst*
Nifen, du hast mich gelinkt. Oder ich mich selbst. Irgendwie so in dem Dreh.
Ich hab die FF geöffnet, nicht auf den Autorennick geachtet, gelesen, für gut befunden, und erst dann zufällig nach oben geschielt - und fühle mich jetzt doch ein wenig dämlich. ^^;

Egal.
Fanfic.
Nixi mag. :3
Nixi mag Percy und das ja eh fast immer.
Ich finde es überdies sehr interessant, dass du die Sache hinten angefangen hast und dich chronologisch zurück verfolgt hast. Das gibt der Fic ihren ganz eigenen Flair. Dass du mit dem Hut endest, finde ich da dann besonders stimmungsvoll.

Nur eines verstehe ich nicht: Penelope. Kommt sie mir nur so Todesser-Bitchy vor oder ist sie tatsächlich so intendiert?

lg NIXi


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