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Time Began To Play

HP/LV, DM/HG
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche euch allen ein wunderbares Osterfest!
Pünktlich zum wichtigsten Fest des Christentums gibt es auch endlich ein neues Kapitel dieser FF!
An dieser Stelle möchte ich wie immer Robino danken, die auch dieses Mal wieder ausgezeichnete Beta-Arbeit geleistet hat! *knuff*
Und auch euch, denjenigen, die diese Fanfiktion lesen, kommentieren oder mich anschreiben, um sich nach ihrem Fortschritt zu erkunden. Ohne euch wäre ich niemals soweit gekommen. Danke.

P.s.: Mexx, deine FF-Optionen werden von Update zu Update besser. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und endlich geht es weiter mit TBTP!
Danke an alle Leser, die immer noch dabei sind und besonders an die Reviewer des letzten Kapitels!! Ich freue mich immer sehr über jegliche Art von Feedback. <3
Außerdem wurde dieses Kapitel wieder einmal von der großartigen Robino korrigiert. Vielen Dank dafür! *knuddel*
Doch nun viel Vergnügen mit dem Kapitel!

P.s.: Der englische Text am Anfang (inklusive dem Kapitelnamen) stammt aus dem Lied „Run“ von Snow Patrol. Komplett anzeigen

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Prologue: Tom

Prologue: Tom
 

London 1940
 

Er konnte nicht schlafen.
 

Das war an und für sich nichts ungewöhnliches, er hatte noch nie so viel Schlaf wie seine Mitmenschen gebraucht. Sechs bis acht Stunden Schlaf? Nicht für ihn, man konnte die Zeit viel besser für andere, nützlichere Dinge nutzen, zum Beispiel einen neuen Zauber erlernen oder ein Buch durchwelzen.

Außerdem war es besonders in letzter Zeit nicht sicher, allzu lange der Realität fern zu bleiben, vor allem in der Muggelwelt.
 

Es herrschte Krieg. Die Nazis verübten immer öfter Luftangriffe auf Großbritannien, mit dem einzigen Ziel, alles und jeden zu zerstören und dadurch die Weltherrschaft an sich zu reißen. Darüber hinaus war es nicht ganz klar, was an den Gerüchten dran war, dass der dunkle Lord – Gellert Grindelwald – diesen Irrsinn unterstützte.
 

War diese Zerstörung wirklich nur auf den Mist der Muggel gewachsen oder steckte mehr dahinter?
 

Als Professor Dippet Tom Riddle diesen Sommer zurück zu seinem verhassten Waisenhaus geschickt hatte, war ihnen beiden klar gewesen, dass er vielleicht niemals nach Hogwarts zurückkehren würde. Dabei hatte er ihn darum gebeten – ihn angefleht – bleiben zu können, zumindest so lange es so gefährlich war. Er hatte sich auch für seine anderen Mitschüler eingesetzt, die zu ihren Muggeleltern zurückkehren mussten, nur um in Sicherheit bleiben zu können.

Er hatte doch noch so viel vor! Er hatte groß werden wollen! Er hatte alles verändern und eine bessere Welt schaffen wollen!
 

Doch Professor Dippet hatte auf Dumbledore gehört – so wie immer – und deshalb war er jetzt hier, in seinem erbärmlichen Zimmer, in diesem erbärmlichen Waisenhaus, während all diese erbärmlichen Kinder um ihn herum friedlich schliefen und er selbst nicht einmal ein Auge zumachen konnte.

Der einzige Lichtblick in seiner Situation war, dass Abraxas – lieber, guter, treuer Abraxas – ihm angeboten hatte, am nächsten Tag nach Malfoy Manor zu reisen, um dort den Rest seiner Ferien zu verbringen.

Somit hieß es, nur noch eine Nacht zu überleben und dann wäre er endlich wieder Zuhause.
 

Im Gegensatz zu Hitler und seinen Anhängern, sah der dunkle Lord davon ab, Großbritannien auch nur anzutasten. Ein Umstand, der ihn sehr verwirrte. In der magischen Welt war die Insel eine Hochburg. Wer sie unter Kontrolle hatte, konnte im Grunde ganz Europa kontrollieren. Warum also hielt er sich von hier fern?

Nun, ihm konnte es recht sein, so hatte er ein Problem weniger, um das er sich kümmern musste.
 

Natürlich hatte er – wie alle Schwarzmagier seiner Generation – darüber nachgedacht, sich ihm anzuschließen, war jedoch zu dem Schluss gekommen, es zu unterlassen. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er ein grauenvoller Anhänger wäre und eine führende Position würde er als Neuling kaum erhalten. Deshalb hieß es abwarten und Tee trinken und genau beobachten, was passieren würde. Doch vor allen Dingen würde er diese Nacht überleben müssen.
 

Tom war eigentlich nicht der Typ für Todesangst. Tatsächlich war er mit dem festen Glauben gesegnet, dass das Schicksal noch einen bestimmten Plan für ihn hatte und er dadurch jede Schwierigkeit überleben müsste. Dummerweise glaubte er auch, dass selbst das Schicksal manche Dinge nicht aufhalten konnte, zum Beispiel eine explodierende Bombe auf seinem Waisenhaus.
 

Verdammt, wenn er wenigstens schlafen könnte, dann müsste er nicht hier liegen und darüber nach grübeln, ob die Deutschen heute angreifen würden oder...
 

Irgendwo in der Ferne begann eine Warnsirene zu heulen. Als wäre dadurch die ganze Stadt erstarrt, war das für einige Sekunden das einzige Geräusch, dass man in London hören konnte. Doch kurz darauf herrschte Chaos. Tom wusste genau, wie es jetzt aussah. Menschen rannten panisch durch die Straßen, Mütter verfrachteten ihre Kinder in den Kellern ihres Hauses, während sie verzweifelt für die Rückkehr ihrer Väter beteten, die Bunker waren innerhalb weniger Minuten überfüllt und kurz darauf würde man die erste Bombe explodieren hören. Wie lange das ganze dauern würde, war dem Zufall beziehungsweise der Willkür der Deutschen überlassen, aber die Dauer war im Grunde egal. Sterben taten selbst mit einer einzigen Bombe genug.
 

Krieg bedeutete aber nicht nur sterben. Er bedeutete auch Verlust, Vergewaltigungen, Misshandlungen, Diebstähle, Verzweiflung, Wahnsinn. Er bedeutete, dass man für sein eigenes Überleben, einen anderen töten oder verletzen musste. Und er bedeutete, von einem Tag zum anderen allein zu sein. Jeder verlor einen geliebten Menschen in einem Krieg. Egal ob Freunde, die große Liebe oder ein Familienmitglied. Es gab nur Leid, nur Schrecken, nur Grausamkeiten.
 

Ein Mensch, der einen Krieg begann, war ein Monster. Trotzdem würde er viele Jahre später selbst einen beginnen.
 

In diesem Moment, in dem das Waisenhaus um ihn herum erwachte, wusste er jedoch nichts davon, tatsächlich wäre dieser Gedanke ihm lächerlich erschienen, da es jetzt nur um eines ging: Überleben. Die Chance war natürlich in einem Bunker oder einem Keller erheblich größer als sonst wo, aber er kannte die Kinder und Erzieherinnen gut genug, um zu wissen, dass er hier nie und nimmer in so etwas hineinkommen würde. Diese Leute würden wahrscheinlich jubeln, wenn sie seine entstellte Leiche finden würden.
 

Aus diesem Grund schlüpfte er in Windeseile in seine Schuhe, packte seine Tasche, die er für solche Notfälle bereitgestellt hatte, griff nach seiner Jacke und eilte hinaus. Kinder kamen ihm entgegen, Babys schrien und die Erzieherinnen versuchten, so viele wie möglich in den Keller zu befördern. Ein paar ältere Kinder halfen ihnen dabei, aber die meisten waren genauso wie er zu egoistisch, um in diesem Augenblick an andere zu denken. Wobei es bei ihm auch daran lag, dass er genau wusste, dass sie ihn alle aus tiefster Seele hassten. Deshalb befand er sich kurz darauf auf der Straße, wo ebenso viel Chaos herrschte, wie überall sonst.
 

Sein Ziel war die Winkelgasse, der Eingang befand sich fünf Straßen weiter, wenn er sich beeilte, würde er dorthin kommen und dort in Sicherheit sein, da ein magischer Schutz das Eindringen von Bomben verhinderte. Das dumme war, dass er bereits jetzt in der Ferne die Explosionen hören konnte, was bedeutete, dass sie innerhalb von Sekunden hier ankommen würden. Jetzt war es wirklich nur noch eine Frage des Glücks.
 

So schnell wie er konnte, rannte er an den vielen Menschen vorbei, die genauso wie er verzweifelt nach Schutz suchten. Nur einige wenige, die nichts mehr zu verlieren hatten, saßen einfach am Rande und kuschelten miteinander oder mit ihren Hunden und beobachteten das Treiben mit müden Augen – vorrangig Bettler, aber auch Prostituierte. Inmitten des Chaos waren sie beinahe verstörend, weshalb Tom beschloss, sie zu ignorieren. Er musste sie ignorieren.
 

Um seinen Weg abzukürzen, wählte er die Route durch den kleinen Park, der eigentlich nichts weiter als ein Spielplatz mit ein, zwei Bäumen und den ein oder anderen verwelkenden Busch war. Um diese Uhrzeit trieb sich hier nur Gesindel herum, aber unter den gegebenen Umständen, war er menschenleer. Nicht weiter verwunderlich, hier gab es nichts, was einen vor den Bomben schützen könnte.
 

Mit der Absicht, ihn so schnell wie möglich hinter sich zu lassen, betrat er ihn also – und merkte sofort, dass das ein Fehler war. Kaum, dass er auch nur einen Fuß hinein gesetzt hatte, wurden alle Geräusche erstickt und er spürte hinter sich einen magischen Schutzschild, der sich von einem Moment zum anderen um den gesamten Park gelegt hatte und der ihn nicht mehr durchließ.

Entweder hatte er Glück und hier hatten sich ein paar Magier versteckt oder er hatte Pech und irgendein Magier hatte ihn hierher gelockt, um... ja warum eigentlich?
 

Argwöhnisch zog er seinen Zauberstab hervor und sah sich um.

„Der wird dir nichts nützen, Junge.“

Sofort wirbelte Tom herum und... sah sich einem Engel gegenüber. Anders konnte es nicht sein, denn ein einfacher Mensch konnte nicht eine solche Schönheit besitzen. Schulterlanges, blondes Haar, leuchtende, grüne Augen und eine strahlende, kraftvolle Aura. Wäre nicht die tiefe Stimme gewesen, hätte er ihn für eine Frau halten können.

„Gellert Grindelwald“, flüsterte er. Natürlich hatte Tom Bilder von ihm gesehen – wer hatte das nicht? – aber sie waren nichts im Vergleich zu seiner lebendigen Ausgaben.
 

Angesprochener grinste. „Wie schön, dass du weißt, wer ich bin, Tom Marvolo Riddle. Das spart uns eine menge Zeit.“

Er trat einen Schritt auf ihn zu und Tom wich sofort einen zurück. Gutes Aussehen hin oder her, das hier war ein dunkler Lord und er war sicher nicht einfach so hier. Wollte er ihn töten?

„Nein, will ich nicht“, meinte Gellert, der offenbar seine Gedanken lesen konnte. Wie hieß diese Fähigkeit noch einmal? Legilimentik... wenn er hier irgendwie wieder herauskam, würde er es dringend lernen müssen.

„Oh, mach dir darüber mal keine Sorgen. Das werden wir dir schon beibringen.“
 

„Beibringen?“, wiederholte Tom misstrauisch und wich noch mehr vor ihm zurück, während der Zauberstab in seiner Hand leicht zitterte. „Was meinen Sie damit?“

„Dass du dich glücklich schätzen darfst, Tom“, sagte er immer noch grinsend und breitete einladend seine Arme aus. „Ab heute bist du mein Schüler.“

In diesem Augenblick explodierte direkt hinter Tom eine Bombe.
 

Und die Zeit ging das erste Mal seit vielen Jahrhunderten in Führung.

This Is War

A warning to the people,

The good and the evil:
 

This Is War
 

London – Gegenwart
 

Das Licht war erloschen.

Alles war finster, dunkel, man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Vor einigen Stunden hatte hier noch reges Treiben geherrscht. Muggel, wie Zauberer waren zwischen den Einkaufsläden entlang geschlendert und hatten sich die neuesten Ergebnisse der boomenden Wirtschaft angeschaut. In den Schaufenstern hatte die Reklame geleuchtet, Fernseher hatten potentiellen Käufern ihre Qualität gezeigt, in einer Ecke hatte eine Gruppe in grellen Farben für ein Festival geworben, das nächste Woche stattfinden sollte.

Nun war nichts mehr davon zu sehen, aber das hatte nicht nur etwas damit zu tun, dass alles Licht verschwunden zu sein schien.
 

Es war mitten in der Nacht und darüber hinaus ein Wochentag. Die meisten waren Zuhause und schliefen, um am nächsten Tag wieder dem Leben zu begegnen. Schüler würden in die Londoner Schulen strömen, Studenten würden in den Cafés der Stadt sitzen, Männer und Frauen in Anzügen würden mit ihren Aktenkoffern über die Gehwege schlendern und über die Aktienkurse diskutieren. Alles würde wie immer sein.

Aber jetzt war Nacht, jetzt war Stille, eigentlich vollkommen normal für diese Uhrzeit.
 

Wäre es nicht London gewesen, eine Stadt, die niemals schlief. Wo war das Licht der Straßenlaternen? Wo waren die Obdachlosen, die in einer Ecke schliefen? Wo war die Musik, die selbst mitten in der Nacht aus den Nachtclubs strömte?

Wo war der Beweis, dass das hier wirklich eine Großstadt war?

Es gab ihn nicht. Nur aus der Ferne konnte man das nächtliche Treiben hören, aber es wirkte wie aus einer anderen Welt.

Dieses Viertel hier schien tatsächlich ausgestorben zu sein.
 

Zumindest wirkte es so auf den ersten Blick. Wenn man jedoch genauer hinschaute, konnte man auf den Dächern den ein oder anderen dunklen Schatten erkennen. Näherte man sich ihnen, wurde deutlich, dass es sich um Menschen handelte. Die meisten von ihnen war jung, wahrscheinlich hatten sie gerade erst die Schule beendet, und beobachteten aufmerksam die dunkle Straße, so als erwarteten sie, dass hier bald eine große Parade stattfinden würde.
 

Besonders auffällig waren zwei junge Männer, die gemeinsam das Dach einer Buchhandlung besetzt hatten. Einer von ihnen hatte schwarzes Haar und einen zwei-Tage-Bart. Er war – wie alle hier oben – in schwarze Kleidung gehüllt, die ihm eine gewisse Tarnung bot. Die meisten anderen sahen immer wieder besorgt oder hochachtungsvoll zu ihm hinüber, denn jedes Kind in ihrer Welt, der magischen Welt, wusste, wer er war: Neville Longbottom. Der Auserwählte. Der Junge, der lebt.

Auch sein Begleiter warf ihm einen Blick zu. Sein Haar leuchtete rot und von ihm ging eine gewisse, unheimliche Aura aus. Niemand konnte wirklich verstehen, warum ausgerechnet er an der Seite ihres Helden geduldet wurde, aber dennoch war er seit zwei Jahren Nevilles ständiger Begleiter: Ronald Weasley.
 

Selbstverständlich würde niemand abstreiten, dass die beiden ein beeindruckendes Team abgaben. Weasley war ein ausgezeichneter Duellant, der in der dunklen Armee bereits gefürchtet wurde, wenn man den Gerüchten glauben durfte. Selbst Alastor Moody, der legendäre Auror, zog vor ihm seinen Hut.

Anstatt jedoch selbst die Befehlsgewalt über mehrere Leute zu übernehmen, blieb er an Nevilles Seite und achtete dabei darauf, dass er nicht in Lebensgefahr geriet. Im Grunde war er sein persönlicher Bodyguard geworden, auch wenn keiner so richtig wusste warum. Der Auserwählte würde schon wissen, was er tat. Immerhin war er ihr Held, ihre Hoffnung, ihr Retter und jeder, der ihn beschützte, war ebenfalls ein Held.
 

Doch zurück zum eigentlichen Thema.
 

An diesem speziellen Abend fuhr ein leichter Windzug über die Dächer und Neville schauderte.

„Ich hoffe, Snape hat uns keine Fehlinformationen gegeben“, meinte er düster. „Am Ende findet der Angriff in einer anderen Stadt statt und während dort Menschen rücksichtslos abgeschlachtet werden, sitzen wir hier und tun nichts, als zu frieren.“

„Damit würde er aber zeigen, dass seine Loyalität Du-weißt-schon-wem gehört“, entgegnete Ronald leise. „Und das würde nicht in seinem Interesse liegen, egal, ob es stimmt oder nicht, denn damit würde er entweder von den Menschen verstoßen werden, die er unterstützt oder er würde seine Position als Spion in unseren Reihen verlieren. Beides würde ihm nichts nützen. Von daher können wir davon ausgehen, dass sie kommen werden. Aber wir sollten auch damit rechnen, dass sie vorbereitet sind.“
 

„Du hast Recht“, sagte Neville nachdenklich. „Gut, dass Albus und Moody ihn aus der Planung heraushalten. So kann er unsere Taktik nicht verraten.“

„Das braucht er gar nicht. Du-weißt-schon-wer bekommt sie auch von dir.“

Der junge Mann ballte seine Hände zu Fäusten. „Ich weiß“, sagte er. „Ich weiß, Ron. Aber ich kann es nicht aufhalten. Er ist zu stark und seit damals scheint unsere Bindung noch enger geworden zu sein. Nicht einmal Okklumentik hilft.“
 

Der Rothaarige sah ihn kurz schweigend an, ehe er ihm kurz auf die Schulter klopfte. „Es ist okay, Neville. Du kannst nichts dafür. Ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden werden, deinen Geist vor ihm zu schützen. Spätestens, wenn Harry wiederkommt.“

„Harry“, wiederholte er und seufzte schwer, während er zum wolkenverhangenen Himmel hinauf sah. „Zwei Jahre ist es jetzt her und seitdem hat keiner mehr etwas von ihm gehört. Ich hatte gehofft, wenigstens dieser Krieg würde ihn zurückholen, aber ich habe mich geirrt. Wer weiß, ob wir ihn je wiedersehen werden.“

„Das werden wir“, versicherte ihm Ronald. „Aber nur, wenn wir diese Nacht überleben.“

Neville nickte leicht und wollte etwas erwidern, als unter ihnen ein paar Plopps ertönten.
 

Augenblicklich spannten sich alle an und blickten hinunter. Mehrere dunklen Gestalten waren erschienen, die sich argwöhnisch umschauten. Einer von ihnen sprach schließlich ein Lumos maxima, wodurch die Straße erhellt wurde und sie ganz deutlich die neun Todesserroben erkennen konnten.

Bevor Neville jedoch weitere Details ausmachen konnte, zog Ronald ihn zurück. „Sie haben Greyback dabei“, flüsterte er ihm ins Ohr. „Verdammt, sie haben wirklich mit uns gerechnet.“

„Konntest du sonst jemanden ausmachen?“, wisperte er zurück.

„Ich bin mir nicht sicher, aber der eine Kerl könnte Crouchs Sohn sein. Wusste ich doch, dass er einer von ihnen ist. Kein Wunder, dass sein Vater...“
 

„Was hat mein Vater?“, fragte eine Stimme, ehe ein Todesfluch auf die Stelle krachte, wo die beiden noch einen Augenblick zuvor gehockt hatten. Glücklicherweise waren sie rechtzeitig aufgesprungen und hatten gleichzeitig ihre Zauberstäbe gezückt.

„Barty Crouch Junior“, sagte Ronald und verbeugte sich spöttisch. „Was für eine große Freude, Sie kennenzulernen, Herr Rechtsanwalt. Ich hatte mich schon immer gefragt, warum Reinblüter so auffallend oft freigesprochen werden, wenn Sie mit von der Partie sind.“

„Tja, schön, dass ich dir vor deinem Tod noch eine Erleuchtung geben konnte. Incendio!“

„Aguamenti!“
 

Und schon hatte der Kampf begonnen. Überall, auf den Dächern und am Boden kämpften Ordensmitglieder gegen Todesser. Neville beschloss, dass Ronald klarkommen würde und sprang stattdessen nach unten, um Dean Thomas aus der Patsche zu helfen, der ein paar Schwierigkeiten mit einem der jüngeren Anhänger des dunklen Lords hatte. Wahrscheinlich waren sie sogar gemeinsam zur Schule gegangen, hatten dieselben Aufgaben erledigt, die gleiche Mahlzeit gegessen, vielleicht sogar zusammen gelacht. Jetzt waren sie Feinde und standen sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber.
 

//Das ist es, Harry//, dachte Neville, während er jemanden entwaffnete und mit einem Schockzauber niederstreckte. //Das ist der Krieg, den wir alle erwartet haben. Wo zum Teufel bist du also?//

Er hatte das Gefühl, die Antwort nie zu erfahren.
 

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„Es ist soweit.“

Hermione blickte auf, als sie diese Worten hörte und sah zur Uhr, während Lily Potter neben ihr nickte. „Ja, Molly. Es ist soweit.“

„Oh, ich hoffe, es wird nichts schief gehen“, jammerte die Weasley und überprüfte zum etwa hundertsten Mal den Vorrat an Heiltränken, die für all jene vorbehalten waren, die verletzt aus den heutigen Kämpfen zurückkommen würden. Verarztet wurden sie in der extra dafür eingerichteten Krankenstation des Ordens, da das Ministerium sich weiterhin weigerte, sie bei ihrem Feldzug gegen den dunklen Lord zu unterstützen und das St. Mungos ihnen damit verschlossen blieb.
 

Es war dem Minister nicht wirklich zu verdenken. Bislang arbeitete die dunkle Seite noch verdeckt. Einzelne Überfälle, nichts auffälliges, nur Hinrichtungen bestimmter Leute oder der Versuch, neue Anhänger zu gewinnen. Noch war der Krieg nicht bis in alle Ecken durchgedrungen, weshalb viele in der Lage waren, ihn ohne Probleme zu leugnen. Dennoch war es eine Tatsache, dass er existierte und schon einige von ihnen in den Tod gerissen hatte.
 

Besorgt legte Hermione ihre Hände auf ihren gewölbten Bauch und strich vorsichtig darüber. Dies blieb von den anderen Frauen nicht unbemerkt.

„Ach, Kind“, sagte Molly und lächelte sie freundlich an. „Mach dir keine Sorgen um Ron, er wird sicher unbeschadet wiederkommen, immerhin hat er einen guten Grund dafür.“ Sie strahlte Lily, Madam Pomfrey und Cho Chang an, die in der Nähe standen und alles mithören konnten. „Wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet mein Jüngster sein würde, der uns das erste Enkelkind in die Familie bringt? Selbst in diesen Zeiten gibt es noch Hoffnung.“

„Es ist die falsche Zeit für ein Kind“, entgegnete Lily kühl. „Wer weiß, ob es überhaupt geboren wird.“

Die anderen Frauen sahen sie entsetzt an, nur Madam Pomfrey und Hermione selbst nickten zustimmend.
 

Eine Schwangerschaft war nie geplant gewesen. Besonders nicht, während sie immer noch an Ronald gefesselt war. Dennoch hatte sie es nicht über sich gebracht, das Kind zu töten, das in ihr heranwuchs. Es war ein Stück Leben, ein Teil von ihr und für sie der einzige Hoffnungsschimmer, den sie noch hatte. Seitdem sie schwanger war, achtete Ronald stets darauf, nicht in ihrer Nähe zu sein, wenn einer seiner inzwischen immer seltener werdenden emotionalen Ausbrüche stattfand. Dafür war sie dankbar, denn es zeigte, wie rücksichtsvoll er eigentlich war.

Außerdem freute sie sich aufrichtig auf das Baby. Es würde ihr eine Entschuldigung geben, das Land zu verlassen und sie hätte dann an diesem neuen Ort wenigstens eine Aufgabe.
 

Doch vor allen Dingen war das hier ihr Kind und das würde ihr niemand nehmen können. Niemand, außer der Tod.
 

Während sie ihren Gedanken nachhing, meckerte Molly an Lily herum.

„Nur weil du Schwierigkeiten mit deinem Sohn und deinem Mann hast, musst du deine negative Energie nicht auf das junge Glück meiner Familie übertragen! Wer weiß, was du angestellt hast, damit der eine wegläuft und der andere dich aus seinem Haus...“

Mit einer fließenden Bewegung stand die Potter auf und richtete ihren Zauberstab auf Molly. „Wage es nicht, Vermutungen oder Spekulationen über meine familiäre Situation anzustellen, Molly Weasley“, sagte sie eisig. „Du hast kein Recht darauf und nicht die geringste Ahnung! Also halt deinen Mund!“
 

Glücklicherweise kamen in diesem Moment die ersten Kämpfer zurück, weshalb die Situation nicht eskalieren konnte. Hermione sah sofort, dass es nicht die Truppe um Neville und Ronald war, da als allererstes Moody den Raum betrat und finster umherblickte. „Bei uns ist niemand gekommen“, knurrte er. „Was ist mit den anderen? Sind sie in London aufgetaucht?“

„Wir haben noch keine Nachricht bekommen, Sir“, sagte Cho Chang. „Sie sind der erste, der zurückgekommen ist.“

Hinter ihm kam Remus Lupin herein und sah sich besorgt um. „Vielleicht hatte Severus doch Recht und Mundunges Unrecht.“

„Unsinn“, knurrte er. „Snape würde ich nicht einmal trauen, wenn er den Unbrechbaren schwören würde. Die lassen sich dort nur unnötig Zeit. Das kommt davon, wenn man Kindern...“
 

Ein lautes Plopp ertönte und im nächsten Moment waren die Betten von stöhnenden und schreienden Verwundeten gefüllt.

„Severus kann man also nicht trauen, ja?“, fragte Lily gereizt und machte sich wie alle anderen daran, die Verwundeten zu versorgen. Hermione fiel sehr schnell auf, dass es keine Fluchverletzungen waren und Neville, der kurz darauf mit Ronald hinein gestürmt war, bestätigte ihre Theorie: „Sie hatten Greyback dabei!“, sagte er aufgebracht. „Gegen dieses Monster hatten wir keine Chance! Aber dafür haben wir viele Todesser ausschalten können.“
 

Remus blickte bei der Erwähnung von Greybacks Namen auf, sagte jedoch nichts. Hermione bemerkte, dass er seltsam blass geworden war. Warum? Da fiel ihr ein, war Remus nicht von ihm verwandelt worden? Hatte das bei Werwölfen nicht irgendeine Bedeutung, wenn sie von jemanden gebissen wurden?

Nun, es war eigentlich egal. Jetzt würde sie sich erst um die Verletzten kümmern müssen.
 

Währenddessen fluchte Moody unschön. „Jemand hat sie gewarnt, hat ihnen gesagt, dass sie mit Gegnern rechnen müssen. Interessant, dass es gerade dort war, wo Severus einen Angriff vermutete.“

„Vielleicht wollten sie ihn einfach von Anfang an mitnehmen“, meinte Neville. „Immerhin hatten sie es auf ein hochrangiges Mitglied des Ministeriums abgesehen, das Familie hat. Greyback wäre sicher ein gutes Druckmittel, wenn sie das Kind gefunden hätten.“

„Da könntest du Recht haben, Longbottom. Aber ich traue Snape trotzdem nicht. Für meinen Geschmack verkehrt er ein wenig zu sehr mit den Todesserfamilien.“

„Es ist doch überhaupt nicht bewiesen, dass sie welche sind“, warf Lily ein, die nebenbei Dean Thomas untersuchte. „Nehmen wir zum Beispiel die Malfoys...“
 

„Ich weiß, dass du nicht hören willst, dass sie alle verdammte Schwarzmagier und Todessern sind“, murrte Moody. „Nicht zuletzt weil dein Sohn bei ihnen aufgewachsen ist. Armer Junge, wäre sicher ein guter Mensch geworden, wenn er bei euch aufgewachsen wäre. So ist er aber auch nichts weiter, als ein...“

Bevor er auch nur den Satz beenden konnte, hatte er die Zauberstäbe von Lily, Remus, Neville, Hermione und überraschenderweise auch Ronald im Gesicht.

„Wage es ja nicht, Harry in den Schmutz zu ziehen, Moody“, meinte dieser und seine Augen flackerten gefährlich. „Er ist nämlich ein tausendmal besserer Mensch, als du es jemals sein wirst. Außerdem machst du dir damit mehr Feinde, als du glauben kannst. Sowohl auf unserer Seite, als auch auf der von Du-weißt-schon-wer.“
 

Der Ex-Auror sah sie alle ungläubig an. „Was soll denn bitte schön an diesem Jungen so besonders sein?“

„Das wirst du schon selbst herausfinden müssen“, sagte Lily ungewöhnlich ruhig und ließ ihren Zauberstab wieder sinken. Der Rest tat es ihr zögernd nach. „Allerdings würde ich dir empfehlen, es dir das nächste Mal zweimal zu überlegen, bevor du ihn in unserer Gegenwart beleidigen willst.“ Damit drehte sie sich um und stolzierte davon.

Auch der Rest verteilte sich langsam, wobei sie ihm noch alle böse Blicken zuwarfen. Einzig Hermione blieb stehen wo sie war und versorgte weiter ihren Schub Verletzte.
 

Moody schnaubte, sobald sich alle verteilt haben. „Und das alles nur für diesen Jungen. Den werden wir nie wiedersehen oder erst, wenn der Krieg vorbei ist. Ein Feigling mehr unter unseren Landsleuten.“

Hermione brauchte all ihre Selbstbeherrschung, um ihn nicht anzufahren. Dummerweise hatte er ja Recht. Harrys Verschwinden von vor zwei Jahren wirkte wirklich so, als wäre er vor diesem Krieg geflüchtet, aber sie war sich sicher, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Das sähe ihm einfach nicht ähnlich. Er würde sie nie einfach so im Stich lassen.

Es gab hundertprozentig eine logische Erklärung.
 

Dummerweise kam sie nicht darauf.

//Harry, wo steckst du nur?//, fragte sie in ihren Gedanken, während sie die Wunden ihres Patienten heilte. //Warum lässt du dir nur soviel Zeit?//
 

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Die Rufe des Mannes hallten durch den gesamten Eingangsbereich des Zaubereriministeriums und mehrere Menschen – Rufus inbegriffen – drehten sich interessiert nach ihm um.

„Thomas Mask! Thomas! Warte bitte! Nur einen Moment! Thomas!“
 

Rufus sah zu dem Angesprochenen hinüber, der gerade mit Lucius Malfoy und Barty Crouch Junior gesprochen hatte. Innerhalb der letzten zwei Jahren hatte er einen beeindruckenden Start im Ministerium zurückgelegt.

Schneller als jeder andere vor ihm war er innerhalb der Hierarchie aufgestiegen und gehörte nun zu einem angesehenen Mitglied der politischen Welt. Tatsächlich hatte er bereits eine eigene Partei gegründet, die besonders von jungen Leuten oder alten, schwarzmagischen Familien unterstützt wurde. Er selbst konnte dem nur zustimmen. Thomas Mask war in der Lage, alte und neue Vorstellungen zu verbinden und schien dieselben Ziele wie der umstrittene dunkle Lord zu haben, nur dass er sie um einiges diplomatischer durchsetzte.
 

Er könnte wirklich etwas verändern, aber frühestens in zehn, zwanzig Jahren, da er einfach viel zu jung war. Wenn man jedoch die sich mehrenden Angriffe der Todesser mit in die Überlegung einbezog, könnte es gut sein, dass er niemals die Chance dafür bekommen würde.

Rufus konnte wirklich nicht verstehen, warum Minister Crouch all das ignorierte und den Orden nicht bei seinem Feldzug gegen diese Rebellen unterstützte.

Worauf wartete er denn bitte schön? Dass es unschuldige Opfer gab? Dass sie Muggeldörfer überfielen? Dass sie das Ministerium direkt angriffen? Nein, es war ihm unbegreiflich.
 

Ein weiteres „Thomas!“ ertönte und im nächsten Moment kam James Potter vor dem jungen Mann zum Stillstand. Jeder Anwesende wusste, was er von ihm wollte. Sie alle hatten zwei Jahre lang darauf gewartet, dass der Ältere die Geduld verlor und ihn endlich auf das ansprach, was auch Rufus brennend interessierte. Aus diesem Grund näherte er sich den beiden unauffällig, um das Gespräch ja nicht zu verpassen.
 

„Mr. Potter“, sagte der junge Mann höflich und schenkte ihm ein Lächeln. „Wie schön, Sie zu sehen. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Rufus fand, dass das eine äußerst kühle Art und Weise war, mit seinem potentiellen Schwiegervater umzugehen.
 

Es war ein offenes Geheimnis, dass Thomas Mask und Harry Potter vor dessen Verschwinden eine feste Beziehung geführt hatten und er selbst hatte gesehen, dass die beiden mehr verband, als eine flüchtige Liebe. Würde er es nicht besser wissen, würde er behaupten, das Schicksal selbst habe die beiden aneinander gekettet, aber das wagte er dann doch zu bezweifeln.

Dennoch glaubte er nicht, dass ihre Zuneigung füreinander in den zwei Jahren gelitten hatte, die beiden kamen ihm vielmehr wie ein Paar vor, das durch lange Trennungen noch mehr zusammengeschweißt wurde. Aber vielleicht bildete er es sich auch nur ein. Dafür kannte er sie dann doch nicht gut genug.
 

James schien jedenfalls auch wie vor dem Kopf gestoßen über die Höflichkeit des jungen Mannes, beschloss jedoch, es zu übergehen und fragte stattdessen: „Hast du etwas von meinem Sohn gehört?“
 

Diese Frage brachte viele Informationen.

Zum einen, dass Harry sich offenbar nicht einmal bei seinem eigenen Vater meldete, zum anderen, dass dieser glaubte, bei dessen Freund eine Antwort erwarten zu können – was Sinn machte, Harry war ein Mensch, der nicht von seinen Eltern abhängig war.

Thomas sah sich kurz um, ehe er den Mann eine Hand auf die Schulter legte und ihn in eine ruhige Ecke führte. Glücklicherweise befand sie sich in der Nähe von Rufus, weshalb er weiterhin jedem Wort lauschen konnte.
 

„Ich habe auch seit zwei Jahren nichts von ihm gehört oder gesehen“, erklärte Thomas dem Mann ruhig. „Soweit ich weiß, hat er sich nicht einmal bei Narcissa oder Draco gemeldet. Niemand weiß, wo er ist oder wie es ihm geht. Ich hatte eigentlich gehofft, er würde wenigstens mit dir im Kontakt stehen.“ Er hörte sich an, als hätte diese Enthüllung all seine Hoffnungen zerstört.

Auch James seufzte traurig, nickte aber. „Ich verstehe. Ich danke dir für die Information.“

„Es tut mir Leid, dass ich dir nicht mehr geben kann“, meinte er bedauernd. „Aber sei unbesorgt. Ich bin überzeugt, dass er bald wiederkommen wird. Harry ist nicht der Typ, der seine Familie und Freunde im Stich lässt.“
 

„Verstärkt Du-weißt-schon-wer deshalb in letzter Zeit seine Angriffe?“, fragte James. „Weil er Harry dazu bringen will, zurückzukehren?“
 

Nun, das war doch mehr als interessant. Warum glaubte er, dass das etwas miteinander zu tun hatte? Oder ob Thomas darüber Bescheid wusste?
 

Angesprochener schwieg für einige Augenblicke, ehe er langsam sagte: „Ich weiß nicht... wie du auf die Idee kommst, dass ich darüber etwas wissen könnte.“

„Du hast ausgezeichnete Beziehungen zu den Malfoys und jeder weiß, dass sie ihm sehr nahe stehen. Es hätte ja sein können, dass sie dir Informationen gegeben haben.“

„Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber dem ist nicht so“, entgegnete Thomas kühl. „Und selbst wenn, warum sollte der dunkle Lord Interesse daran haben, ob Harry zurückkehrt oder nicht?“

„Das weißt du genauso gut, wie ich“, meinte James und sah sich unauffällig um. Dabei entdeckte er dummerweise Rufus, weshalb er sich straffte und das Thema wechselte: „Ich hoffe, es geht dir gut?“
 

„Bei mir läuft alles bestens“, meinte er schlicht. „Danke für die Sorge.“

„Harry hat dich gewählt“, erklärte der Mann schulterzuckend, so als würde es alles erklären. „Du gehörst jetzt quasi zur Familie. Es ist das mindeste, was ich tun kann, nachdem...“
 

„Nachdem du ihn jahrelang bei den Malfoys gelassen hast, ohne dich auch nur einmal zu melden?“, fragte Thomas. „Stimmt. Es ist das mindeste.“ Er trat einen Schritt von ihm zurück und bedachte ihn mit einem unterkühlten Blick. „Harry läuft nicht vor diesem Krieg davon, James, sondern vor den Menschen, die ihn zu etwas zwingen wollten, was er nie tun wollte, sowie denjenigen, die ihn in den letzten Jahren immer mit Füßen getreten haben. Er wird zwar wiederkommen, aber er wird es für keinen von euch tun. Auf Wiedersehen, Mr. Potter.“

Damit drehte er sich um und rauschte – zugegebenermaßen eindrucksvoll – davon.
 

Rufus und James sahen ihm beide hinterher, ehe auch letzterer sich wegdrehte und davon schritt.

Interessant. Äußerst interessant.
 

Thomas Mask und James Potter wussten also, was Harry war und was er vollbringen könnte. Darüber hinaus schien auch der dunkle Lord etwas darüber zu wissen. Ob das wirklich der Grund für seine im Hintergrund geschehenen Angriffe? Weil er den Tempus Amicus dazu zwingen wollte, sich zu zeigen? Und was hatte sein „Freund“ damit zu tun?

Er würde Thomas im Auge behalten. Sehr genau sogar, denn mit etwas Glück würde er dadurch herausfinden, was die Zeit für die nächsten Jahre geplant hatte.
 

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Der englische Text am Anfang und der Titel dieses Kapitels stammen aus dem Lied „This is War“ von 30 Seconds To Mars.
 

Vielen Dank an alle, die zum Prolog ein Review hinterlassen haben und an alle, die auch den zweiten Teil von TCE verfolgen. Es freut mich, dass ihr wieder dabei seid. <3

However, dieses Kapitel sollte in erster Linie dazu dienen, die weiße Seite zu beleuchten und einen kleinen Überblick dazu zu geben, was dort momentan Sache ist. Nächstes Mal sehen wir uns mal die schwarze Seite an. ^^
 

Bis dahin wünsche ich euch ein paar angenehme Tage.

Liebste Grüße, Ayako

Missing You

Hallo ihr Lieben und willkommen zur wöchentlichen Dosis dieser FF.

Vielen Dank an meine Beta, die dieses Kapitel wieder einmal korrigiert (und kommentiert) hat, sowie an alle Reviewer des ersten Kapitels. <3

Beim Titel dieses Kapitels wurde ich diesmal vom Kingdom Hearts 2-Soundtrack inspiriert. Hach, ich mag das Spiel... *träum*

Wie auch immer, ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen von:

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Missing You
 

Für Nagini war Tom, ihr Lord, ihr Meister, ihr Mensch immer wie ihr eigenes Kind gewesen. Zwar waren Schlagen nicht dafür bekannt, einen ausgeprägten Mutterinstinkt zu besitzen – tatsächlich war ihr Nachwuchs spätestens nach der Geburt in der Regel auf sich allein gestellt – aber Tom war immer eine Ausnahme gewesen. Vielleicht lag es daran, dass er ein Mensch war und Parsel sprechen konnte. Oder eben, dass er das gewisse Etwas hatte.

Was immer es auch sein mochte, sie stand immer hinter ihm und unterstützte ihn, so gut es ihr möglich war, doch in den letzten Monaten war er auch ihr etwas zu reizbar geworden.
 

Natürlich wusste sie – wie alle anderen – wer daran Schuld war. Harvey-Harry war vor zwei Jahren einfach so verschwunden, nachdem er ihrem Master genommen hatte, was ihm am wichtigsten war: Seine Seele. Oh, er war wütend gewesen. In den Wochen danach hatte er mehr Untertanen gefoltert, als je zuvor und selbst sie war Opfer seiner Magieausbrüche gewesen. Wie hatte der Junge es auch wagen können? Zuerst erschlich er sich das Vertrauen ihres Meisters, um ihn dann für dessen schlimmsten Feind zu verraten. Sie hatte ja immer gewusst, dass man ihm nicht trauen konnte, wobei sie sich hütete, das in Toms Gegenwart zu erwähnen.
 

Soweit, so gut. Nagini konnte trotz alledem nicht umhin zuzugeben, dass er sich seit neuestem recht merkwürdig verhielt. Merkwürdiger als sonst, verstand sich. Nachdem sich seine Wut vor circa einem Jahr gelegt hatte, schien er immer mehr in einer ungewöhnlichen Schwermut zu versinken und er verbrachte viel Zeit außer Haus. Würde sie es nicht besser wissen, würde sie behaupten, er vermisse Harvey-Harry. Doch wenn, dann höchstens, um ihm den Hals umzudrehen und ihr den Jungen danach zum Fraß vorzuwerfen, davon war sie überzeugt. Dieser nichtsnutzige Verräter hatte es nicht verdient, noch länger zu leben.
 

Langsam glitt sie über die frisch geputzten Böden des alten Manors, das nun bereits seit vielen Jahren ihr Zuhause war und folgte dem Geruch des Blutes, der vor ein paar Minuten aufgetaucht war. Es war das Blut eines Todessers, des blonden Todessers, Harvey-Harrys Vater. In den letzten Jahren war es oft vergossen worden. Der Mann war aber auch selbst Schuld, wenn er seine Aufgaben nicht erfüllen konnte. Ihr Meister vertraute ihm und seinen Fähigkeiten. Also würde er gefälligst alles richtig machen und nicht so... stümperhaft sein!
 

Kurz darauf kam sie im Stuhl-Raum an, ein großer, leerer Saal, in dem Treffen abgehalten wurden und nur ein einziger Stuhl stand. Auf diesem saß ihr Meister und starrte abwesend seinen Zauberstab an, während sich – wie vermutet – der Blonde unter einem Fluch in seiner eigenen Blutlache wand. Nagini zischte ihm böse Worte zu, während sie sich ihren Weg zu Tom bahnte. Dort angekommen, schlängelte sie sich an dem Stuhl hinauf und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab.

Als würde er dadurch in die Realität zurückkehren, löste der dunkle Lord den Zauber, wodurch der Blonde – Lucius, sein Name war Lucius – erschlaffte.
 

„Ich bin enttäuscht“, flüsterte ihr Meister und fuhr mit einer Hand über Naginis Kopf. „Meine Enttäuschung kennt keine Grenzen. Ich habe dir eine einfache Aufgabe gegeben, eine kleine, einfache Aufgabe, die sogar Wurmschwanz schaffen könnte. Doch anstatt wie sonst zufriedenstellende Leistungen hervorzubringen, kannst du selbst nach zwei Jahren, zwei langen Jahren, was mehr als genügend Zeit ist, nicht einmal den geringsten Fortschritt vorweisen.“

„Mylord“, flüsterte Lucius und versuchte mühsam, sich aufzurichten, wobei er durch das Blut abrutschte und wieder auf den Boden knallte. Aus diesem Grund blieb er liegen und fuhr langsam fort: „Er ist in Frankreich... man hat ihn... gesehen, aber...“
 

„Natürlich ist er in Frankreich!“, entgegnete der dunkle Lord sanft. „Es war von Anfang an klar, dass er dort ist, immerhin befinden sich dort Menschen, die dumm genug sind, ihn vor mir zu verstecken und darüber hinaus ist es das einzige Land, in das wir nicht einfallen können, um ihn zurückzuholen. Jeder mit nur halb so viel Verstand wie er würde sich dorthin zurückziehen!“

„Ihr meint, er hat bei Felice Poulain und Regulus Black Unterschlupf gesucht? Bei allem Respekt, Mylord, aber glaubt Ihr wirklich, Harry...“

Nagini hatte kaum Zeit, der Bewegung ihres Meisters zu folgen, aber im nächsten Moment befand sich der Blonde wieder unter einem Folterfluch. Diesmal war er definitiv selbst Schuld. Nicht einmal sie durfte in seiner Gegenwart den Namen des Jungen aussprechen.
 

„Was ich glaube oder nicht glaube, hat dich nicht zu interessieren, Lucius“, sagte er und stand langsam auf, wobei Nagini wieder von seiner Schulter glitt und auf dem Stuhl liegen blieb. Sie befand, dass es sicherer war, einen gewissen Abstand zu halten. Wenn er in dieser Stimmung war, wollte sie ihn nicht unnötig reizen, am Ende beschloss er noch, Schlangensushi zu erfinden.
 

„Ich möchte, dass du ihn findest und zurückbringst“, fuhr er fort, während er langsam um den Mann herum schritt. Damit sein Untergebener mithören konnte, hatte er den Fluch von ihm genommen, aber es war selbst aus ihrer Position aus zu erkennen, dass dieser furchtbare Qualen leiden musste. „Es ist eine leichte Aufgabe und das mindeste, was du tun kannst, nachdem du ihn zuerst aus deiner Familie und danach aus unserem Land vertrieben hast.“ Er hockte sich neben ihn, wobei er darauf achtete, dass sein Umhang nicht das Blut berührte, das nach wie vor auf dem Boden schimmerte, und tätschelte Lucius' Kopf. „Es würde sicher auch deine Frau freuen, wenn er zu uns zurückkehren würde, oder?“
 

Er bekam keine Antwort.

Aus diesem Grund seufzte der dunkle Lord und stand wieder auf, wobei er mit einem unsäglichen Zauber die Türen öffnete. „Severus, es gibt Arbeit für dich.“

Sofort kam der Zaubertrank-Mann herein. Er lief langsam, mit gemächlichem Schritt, während seine Augen die komplette Szene in sich aufnahmen. Als er seinen inzwischen wahrscheinlich bewusstlosen Freund auf dem Boden bemerkte, schien er kurz innehalten und etwas sagen zu wollen, aber er war klug genug, es schweigend hinzunehmen. Während ihr Meister zu ihr zurückkehrte, um ihr abwesend über den Kopf zu streicheln, rief der andere eine Bahre herbei und wollte den Blonden nach draußen bringen. Bevor er jedoch den Raum verlassen konnte, wurde er zurückgehalten: „Severus.“
 

Das erste Mal in ihrem Leben war Nagini froh, nicht diejenige zu sein, die von ihrem Meister angesprochen wurde. Seine Stimme war gefährlich kalt und emotionslos, beinahe drohend. Was immer er wollte, es konnte für den Adressaten nichts gutes bedeuten.

Deshalb war sie überrascht, als sich dieser in aller Ruhe umdrehte und ihn mit einem höflich-interessieren Blick bedachte. „Mylord?“
 

„Dein Vorschlag, Fenrir mit nach London zu schicken, war tadellos und hat uns einen kleinen Sieg gebracht, den wir ohne ihn nicht hätten. Aus diesem Grund verzeihe ich dir die Doppelrolle, die du beim gestrigen Angriff gespielt hast. Wenn du jedoch noch einmal genaue Angaben über unsere geplante Vorgehensweise an Albus Dumbledore übermittelst, werde ich mich dazu gezwungen fühlen, dich als einen Verräter einzustufen. Etwas, worauf ich offen gestanden verzichten möchte.“

Der Zaubertrank-Mann blinzelte. „Genaue Angaben, Mylord?“
 

„Du bist nicht mein einziger Spion in Albus kleinen Vogelorden, mein lieber Severus“, erklärte er bereitwillig und schenkte ihm ein grausames Lächeln. „Verlässliche Quellen – mehrere wohlgemerkt – haben mich über alles in Kenntnis gesetzt, was du auf der letzten Versammlung hast verlauten lassen. Ich denke, wir beide wissen, dass es mehr war, als besprochen.“
 

Nun zog es auch der Todesser vor, zu schweigen. Verständlich, das war eine heikle Situation. Nagini war froh, nicht in seiner Haut zu stecken. Gleichzeitig empfand sie sein Handeln jedoch als eine Unverschämtheit! Wie hatte er ihren Meister nur so hintergehen können? Er sollte sich genauso wie der Blonde auf dem Boden winden und solange gefoltert werden, bis er nicht einmal mehr um Gnade betteln konnte.
 

Bedauerlicherweise hatte ihr Meister andere Pläne. „Ich verstehe, warum du es getan hast, Severus“, sagte er in einem verständnisvollen Tonfall. „Jetzt wo Lily Potter mit ihrem Mann auf dem Kriegspfeil steht, wärst du natürlich ein Dummkopf, wenn du nicht versuchen würdest, es zu nutzen. Ich durfte am eigenen Leib kennenlernen, wie weit dich die Macht der Liebe treiben kann, weshalb deine Handlungen nachzuvollziehen sind. Dennoch solltest du überdenken, was du tust. Es wäre wirklich zu schade, wenn ich dich beseitigen müsste.“
 

„Das würdet Ihr nie tun, Mylord“, entgegnete der Mann überraschenderweise. „Es gibt genau einen Menschen auf dieser Welt, dessen Meinung für Euch zählt und er würde sich wirklich für immer von Euch abwenden, wenn Ihr in seiner Abwesenheit all die umbringen würdet, die ihm etwas bedeuten. Das ist auch der Grund, warum Lucius bisher noch nicht gestorben ist, nicht wahr?“

Nagini zischte wütend auf, doch bevor der Fluch ihres Meisters ihn treffen konnte – den er berechtigterweise abgefeuert hatte – war der Zaubertrank-Mann bereits aus dem Raum und kurze Zeit später aus dem Haus verschwunden.
 

Oh, dieser elende...!!! Wenn sie das nächste Mal allein mit ihm war, würde er ihre Zähne und ihr Gift kennenlernen! Was fiel ihm ein, ihren Meister noch mehr zu reizen, als ohnehin schon und dann auch noch mit dem Tabu-Thema überhaupt! Jetzt würde er sich wieder stundenlang abreagieren müssen, bevor er zu einem vernünftigen Gespräch fähig sein....

Da fiel ihr ein, dass sie gerade das einzige Lebewesen in seiner Nähe war. Jetzt, hier, während er mehr als aggressiv und mordlustig war.

Schlecht. Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr schlecht.
 

Ohne weiter zu überlegen, schlängelte sie sich vom Stuhl hinunter und eilte auf das nächste Mäuseloch zu. Die Gänge dahinter waren in der Regel groß genug, dass sie bis zum nächsten kommen würde und dort wäre sie zunächst vor ihm sicher. Außerdem würde sie dort glücklicherweise auf die Ratte – Wurmschwanz – treffen, der schon seit einigen Tagen verschwunden war. Oh, er würde sich erschrecken und sie hätte einen guten Grund, diesen Faulenzer zu jagen!

Doch zuvor musste sie es bis dorthin schaffen, was nicht sonderlich einfach war, da ihr Meister sich inzwischen wieder an ihre Gegenwart erinnert hatte und wahllos Flüche auf sie abfeuerte. Moment, war das gerade der tödliche Fluch gewesen? Was sollte das?! Sie war seine treuste.... okay, es war ein Todesfluch.
 

Sofort erhöhte sie ihr Tempo und war mehr als erleichtert, als sie schließlich durch das Loch sauste und dem Weg folgte, den die Nagetiere hier angelegt hatten.

Es wurde wirklich Zeit, dass jemand Harvey-Harry zurück brachte. So sehr sie ihn auch verabscheute, wenn er da gewesen war, hatte sich ihr Meister zu benehmen gewusst!

Aber wenn nicht einmal der Blonde in der Lage war, ihn zu finden, wer könnte es dann schaffen?
 

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Während Nagini über diese lebenswichtige Frage nachdachte, saß Draco Malfoy im Manor seiner Eltern. Genaugenommen saß er auf einem harten Lederstuhl, eine neue Errungenschaft, die den ebenfalls neu angelegten Wintergarten schmückte. Um ehrlich zu sein, hasste er diesen Stuhl, genauso wie er die Kästen voller Lilien verabscheute, die hier ein Zuhause gefunden hatten, sowie den ewigen Sonnenschein, der nun schon seit Anfang des Jahres nur selten durch einen Regentropfen ersetzt wurde und durch die riesigen Fenster in den Raum hinein schien.

Er hasste dieses ganze Zimmer.
 

Einige Menschen – vor allem seine männlichen Freunde – nahmen an, dass es daran lag, dass seine Verlobte ihn oft dorthin zerrte, um bei einer Tasse Tee über die bevorstehende Hochzeit in wenigen Wochen zu plaudern.
 

Sie hatte die bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, den im Untergrund herrschenden Krieg zu ignorieren und stattdessen nur darüber zu sprechen, was für sie momentan das interessanteste war: Heiraten. Dabei spielte es nicht einmal eine Rolle, dass er selbst – ihr zukünftiger Gatte – sich regelmäßig an den zum Teil heftigen Auseinandersetzungen beteiligte. Man nehme nur den gestrigen Angriff in London. Weasley selbst hatte sich ihm in den Weg gestellt, nachdem er Barty Crouch Junior zwischen ein paar neumodischen Muggelgeräten (Fernsehgeräte mit Vier-D-Funktion, was immer das auch sein sollte) zu einer Zwangspause gezwungen hatte.
 

Ihm war es nach wie vor ein Rätsel, warum der rothaarige Bastard so ein guter Duellant geworden war – selbst die Weasley-Zwillinge waren über diese Entwicklung mehr als empört gewesen – aber es änderte nichts daran, dass man sich als Todesser entweder auf eine Gefangenschaft oder den Tod freuen durfte, wenn man ihn als Gegner hatte. Durch pures Glück und etwas Hilfe von Fenrir Greyback hatte er es jedoch geschafft, diesem Schicksal zu entrinnen.

Eine Begebenheit, die eine kleine Diskussion und bewundernde Glückwünsche wert wäre, oder? Doch stattdessen durfte er sich wieder einen Vortrag über Hochzeitstorten, unerwünschte Gäste und schlittschuhfahrende Eisbären anhören, die zwischen dem Buffet hin und her düsen sollten.
 

Vielleicht hatten seine Freunde doch nicht so Unrecht, wenn sie glaubten, es könnte an seiner Verlobten liegen, dass er diesen Raum hasste.
 

Dummerweise war ihr nerviges Gerede im großen und ganzen amüsant und eine angenehme Zerstreuung, weshalb er bereit war, die Theorie zu widerlegen, dass sie an seinem Missfallen Schuld war.

Tatsächlich hielt er es für wahrscheinlich, dass die Ursache bei der anderen Frau in seinem Leben lag.
 

Seine Verlobte ignorierend, hob er seinen Kopf und blickte zu seiner Mutter hinüber, die in einem Schaukelstuhl an der Fensterfront saß und nach draußen spähte. Ihr blondes Haar, das einst voll und kräftig gewesen war, wirkte nun schlaff und war zu einem Knoten zusammengebunden worden, damit es nicht wie Spinnweben ihr blasses Gesicht umrahmte. In den letzten beiden Jahren war sie beängstigend dünn geworden und sprechen hatte er sie auch schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gehört.

Ihre Tage verbrachte sie zumeist in genau diesem Schaukelstuhl da drüben und tat nichts, außer nach draußen zu blicken. Zum Essen musste man sie zwingen.
 

Draco hasste seine Mutter dafür, dass sie sich so gehen ließ, dass sie in ihrer Schwermut versank, dass sie ihn und seinen Vater im Stich ließ. Er hasste sie so sehr, dass er oft einfach nur auf sie zugehen und wach schütteln wollte. Warum tat sie ihnen das an? Warum war sie nicht da, wenn er sie brauchte?

Er war kurz davor zu heiraten, er hatte keine Ahnung, was das eigentlich alles bedeutete, er liebte eine andere und ganz nebenbei kämpfte er auch noch in einem Krieg, bei dem er diese Andere vielleicht würde töten müssen.

Er brauchte seine Mutter. Er brauchte aufmunternde Worte. Er brauchte jemanden, der ihn in den Arm nahm und zumindest für ein paar Sekunden dafür sorgte, dass alles wieder gut wurde. Er brauchte jemanden, der ihn bedingungslos liebte.
 

Dummerweise war er nicht der Sohn, den sie brauchte und somit würde ihm das alles verwehrt bleiben.
 

Sein Vater war auch keine besonders große Hilfe. Die meiste Zeit war er unterwegs, um für den dunklen Lord Aufgaben zu erledigen und wenn er da war, erholte er sich meist von dessen Wutanfällen, die mit jedem vergehenden Tag schlimmer wurden. Er brauchte demnach alle Kraft und jedes Mitleid für sich selbst und hatte nichts, was er Draco geben konnte, nicht zuletzt, da auch ihn der Zustand seiner Frau mitnahm.
 

Dementsprechend blieb nur noch er selbst übrig um für sich und seine Eltern stark zu sein. Einen Umstand, den er noch mehr hasste als diesen Wintergarten.

Wer an allem Schuld war, war eindeutig: Harry. Wenn dieser Mistkerl irgendwann wieder auftauchen würde, würde er ihm den Hals umdrehen! Wegen ihm war der dunkle Lord wütend und folterte seinen Vater, wegen ihm wurde dieser ständig bestraft, wegen ihm war seine Mutter ein wandelndes Frack und wegen ihm fühlte Draco sich so verdammt schuldig.
 

Er spürte in letzter Zeit gegenüber seiner Familie nur noch Hass und Verachtung und das war falsch. Man musste seine Eltern und Geschwister lieben, zu ihnen halten und alles tun, damit sie sicher und fröhlich sein konnten. Das war die Regel, an die sich alle halten mussten!

Aber er konnte es einfach nicht mehr. Dafür taten sie ihm zu sehr weh.
 

„Draco?“, unterbrach Pansy, die dummerweise mit seiner Verlobten gleichzusetzen war, seinen Gedankengang. „Hörst du mir überhaupt noch zu?“

//Natürlich nicht. Kein Mann würde dir freiwillig zum tausendsten Mal dabei zuhören, wie du über eine Hochzeit schwärmst, die er am liebsten verdrängen würde.//

„Natürlich habe ich dir zugehört, Pansy. Du weißt doch, ich höre dir immer zu.“ Könnte ihn bitte irgendjemand erschlagen? Aber sie schien es glücklich zu machen, zumindest schenkte sie ihm ein Lächeln und redete weiter.
 

„Ich möchte auf jeden Fall einen Schokoladenbrunnen“, sagte sie. „Der den Mittelpunkt einer kleinen Stadt sein wird, deren Häuser aus Schalen mit Früchten besteht, die man in den Brunnen tunken und dann essen kann. Und wir müssen auf jeden Fall dafür sorgen, dass es genug Kuchen gibt, von der Hochzeitstorte werden nur die wenigstens etwas abbekommen, aber ich möchte nicht, dass auch nur einer unserer Gäste hungern wird. Was meinst du?“
 

„Solange es dich glücklich macht und nicht unser Budget überschreitet...“

„Wird es nicht! Ich und der Hochzeitsplaner haben schon alles durchgesprochen! Wir werden auf jeden Fall nicht zu viel ausgeben, das verspreche ich dir. Oh und mein Kleid... es ist ein Traum, es ist so wunderschön, aber leider darf ich es dir noch nicht zeigen, du weißt ja, es würde Unglück bringen!“
 

//Nicht mehr Unglück, als diese ganze Ehe ohnehin bringen wird//, dachte er und stand einfach auf. Sofort verstummte sie und sah dabei zu, wie er langsam auf Narcissa zuging und der Frau eine Hand auf die Schulter legte. „Mutter?“, fragte er sanft. „Es ist Essenszeit. Willst du mir und Pansy Gesellschaft leisten?“ Sie zeigte ihm nicht einmal die kleinste Regung.
 

Er seufzte und legte vorsichtig eine Decke über sie, da sie immer sehr schnell kalt wurde. Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ich komme später wieder“, versprach er. „Und dann lese ich dir weiter aus dem Roman vor, den wir gestern angefangen haben, okay? Also halt solange hier die Stellung.“

Ihre leeren Augen richteten sich auf ihn und sie blinzelte, was er als ein „okay“ interpretierte. Deshalb lächelte er ihr noch einmal aufmunternd zu, ehe er auf die Tür zuging und den Raum verließ.
 

Pansy folgte ihm eilig. „Du bist so ein guter Sohn, Draco“, meinte sie, während sie gemeinsam durch die leeren Korridore schritten. „Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich nie und nimmer die Geduld haben, immer noch so liebevoll mit ihr umzugehen.“

„Tja, das unterscheidet uns wohl“, meinte er schlicht und lief etwas schneller.

Pansy, die wohl merkte, dass sie etwas falsches gesagt hatte, beschleunigte ihren Schritt ebenfalls. „Es tut mir Leid, Draco. Der Kommentar war blöd, ich weiß.“

Er ignorierte sie.
 

„Draco!“, sagte sie. „Es tut mir Leid, wirklich. Jetzt sei doch nicht so...“

Er blieb stehen und atmete tief durch, ehe er sich zu ihr umdrehte. „Schreibe du mir nicht vor, wie ich zu sein habe. Damit wirst du keinen Erfolg haben. Niemals.“

Sie wirkte wie vor dem Kopf gestoßen und senkte den Blick. „Verzeih...“, sagte sie nur.

Schnaubend wirbelte er herum und schritt weiter. Manchmal fragte er sich wirklich, warum er dieser Verlobung zugestimmt hatte. Dummerweise war die Antwort einfach: Er wollte seine Familie stolz machen und darüber hinaus weiteren Ärger vermeiden.

Seine Eltern hatten bereits genug Probleme und Sorgen. Da wollte er nicht auch noch welche hinzufügen. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass das alles ein großer Fehler war.
 

Bevor er jedoch weiter darüber nachsinnen konnte, erschien der Hauself der Familie, Dobby, vor ihnen und sagte: „Der Master ist mit Master Snape angekommen und befindet sich in seinem Zimmer. Er hat Dobby darum gebeten, Master Draco darüber zu informieren.“

Draco wechselte einen beunruhigten Blick mit seiner Verlobten, ehe er sich umdrehte und zum Schlafzimmer seiner Eltern eilte. Lucius war heute Morgen für einige Minuten da gewesen, um ihnen zu sagen, dass Harry, sein Adoptivbruder, in Frankreich gesichtet worden war. Danach hatte ihn der dunkle Lord zu sich gerufen, was bedeutete, dass er nun von dort zurückkehrte.

Er wollte eigentlich gar nicht wissen, in welchem Zustand sich sein Vater momentan befand.
 

Seit Harrys Flucht, anders konnte man es nicht nennen, war er mehr als launisch und aggressiv geworden. Jeder Todesser fürchtete sich mehr denn je, bei ihm vorsprechen zu müssen, da es in der Regel mit viel Schmerz und Folter endete.

Deshalb hofften alle insgeheim, dass Harry bald zurückkam. Es würde die Laune ihres Lords sicher heben. Oder das genaue Gegenteil bewirken.
 

Vor seinem Ziel angekommen, klopfte Draco an die Tür und wartete auf das leise „Herein“, seines Vaters. Pansy war klug genug gewesen, ihn allein gehen zu lassen, weshalb er alleine das Zimmer betrat.

Lucius lag mit blassem Gesicht auf dem Bett und zitterte immer noch, eine Nachwirkung der Folterflüche, unter denen er sich noch vor einiger Zeit befunden haben musste.
 

Severus stand neben seinem Bett und murmelte ein paar Heilzauber, als Draco näher trat. „Heute war er besonders schlecht gelaunt“, sagte der Zaubertrankmeister verstimmt. „Ich habe ihn aus seinem eigenen Blut auflesen müssen. Es wird von Mal zu Mal schlimmer. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis er ihn tötet.“

„Glaubst du wirklich, dass er das tun wird?“, fragte der Jüngere und griff vorsichtig nach Lucius' Hand. Sie war kalt. „Vater hat ihm immer gut gedient. Er ist einer seiner besten Männer. Nicht einmal er würde...“
 

„Wir reden hier vom dunklen Lord, Draco. Ihm haben in seinem Leben nur drei Menschen etwas bedeutet und zwei davon sind tot, während der dritte vor ihm geflüchtet ist.“ Er sah ihn ernst an. „Harry mag vor ihm sicher sein, selbst wenn er gerne das Gegenteil behaupten würde, aber der Rest von uns ist ersetzbar und nur solange von Bedeutung bis wir nur noch Fehler machen. Das musst du immer im Hinterkopf behalten, bei allem, was du tust, nur so wirst du die nächsten Jahre überleben.“
 

Draco betrachtete das Gesicht seines Vaters und musste ihm unwillkürlich Recht geben. Vor ihm war momentan keiner sicher. „Ich wünschte, Harry würde endlich zurückkehren“, sagte er leise.

Der Mann verdrehte die Augen. „Glaubst du wirklich, dass das etwas ändern wird? Selbst wenn er selbst vor ihm sicher ist, wird auch er ihn nicht davon abhalten können, unsereins zu benutzen und nach Belieben wegzuwerfen.“

„Darüber bin ich mir bewusst“, flüsterte Draco. „Aber vielleicht würde dadurch Mutter...“ Er hielt mitten im Satz inne, aber Severus verstand ihn auch so. Zumindest sah er ihn von der Seite an und legte ihm dann eine Hand auf die Schulter.
 

„Er wird zurückkommen“, sagte er leise. „Gib ihm einfach noch ein wenig Zeit. Trotzdem solltest du dir nicht zu viel von seiner Rückkehr erwarten. Auch er kann keine Wunder vollbringen.“

„Ich weiß“, flüsterte Draco.
 

Aber er wünschte, es wäre anders.

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Soviel zur schwarzen Seite. Nächstes Mal gibt es ein wundervolles Zusammenfassungskapitel und Harry wird endlich mal wieder vorkommen.

Wie es ihm wohl geht?

Friends For Life

Heyho!

Danke an alle Reviewer des letzten Kapitels, sowie an meine Beta. <33

Dieses Kapitel hier ist für den aufmerksamen Leser eher uninteressant, da hier viiiiiel zusammengefasst wird. Aber dafür kommt Harry wieder vor. ^^

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Friends For Life
 

Felice Poulain trat von dem großen, bis auf den Boden reichende Fenster zurück und zog dabei den Vorhang wieder zu, um den Blick nach draußen – und hinein – zu versperren. Ihre lockigen Haare wirbelten dabei auf und ab, während ihre Stirn besorgt gerunzelt war.

„Schon wieder hat er ein paar Todesser hierher geschickt“, meinte sie und drehte sich dabei um. „Er wird langsam ungeduldig.“

„Stimmt“, meinte Luna Lovegood, ohne von dem Buch aufzublicken, in dem sie gerade blätterte. „Zwei Jahre sind eine lange Zeit. Ich finde es erstaunlich, dass er solange ruhig geblieben ist. Allerdings wird er es nicht mehr lange sein. Wenn er noch länger warten muss, könnte er etwas dummes tun.“

„Sind die Angriffe, die in England stattfinden nicht schon dumm genug?“, fragte Felice und setzte sich zu ihr auf das Sofa.
 

Sie waren in einem Apartment im Herzen der Stadt der Liebe: Paris. Es war relativ klein, hatte aber außer dem Bad und der Küche noch zwei weitere Zimmer. Die Einrichtung wirkte bunt zusammengewürfelt und alles war mit Büchern, Pergamenten und seltsamen Gegenständen voll gestellt.

In der Küche befand sich darüber hinaus ein Kessel, in dem momentan eine seltsame Flüssigkeit gluckerte, die äußerst ungesund wirkte. Somit war klar, dass es sich um den Wohnsitz einer Person mit magischen Fähigkeiten handelte.

Die Vorhänge waren in der Regel – genauso wie heute – zugezogen, weshalb nur wenig Tageslicht in die Räume kam. Damit nicht völlige Finsternis herrschte, brannten ein paar Kerzen.

Hier konnte man keine „Willkommen Zuhause“-Atmosphäre finden, doch für Studien und Nachforschungen war dieser Ort ideal.
 

Es gab nur zwei gemütliche Plätze in diesem Apartment: Das Bett im Schlafzimmer und das Sofa, auf dem die beiden jungen Frauen momentan saßen. Diese hätte man auf den ersten Blick für Schwestern halten können, zumindest waren sie beide blass und hatten blondes Haar.

Luna war kleiner als die andere und hatte einen oft abwesenden Blick, was daher rührte, dass sie eine Seherin war.
 

Seher waren in der Lage, einen Teil der Schicksalsfäden zu sehen und konnten dadurch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deuten. Da die Fäden jedoch immer wieder neu gespannt wurden, waren ihre Vorhersehungen meist sehr wage und es bestand nie eine hundertprozentige Sicherheit, dass alles so geschehen würde, wie sie es prophezeiten.
 

Da ihre Gabe erst spät entdeckt worden war, hatte sie in ihrer Zeit in Hogwarts große Schwierigkeiten gehabt, mit anderen Menschen auszukommen oder in der Gegenwart zu verweilen. Außerdem hatte sie oft Dinge gesehen, an die niemand sonst glaubte, weshalb man sie schnell als Verrückte abgestuft hatte. Erst nach ihrem Schulwechsel nach Durmstrang war sie in der Lage gewesen, ihre Fähigkeiten völlig auszuschöpfen und sie gezielt einzusetzen.
 

Doch egal, wo sie gewesen war, sie hatte stets eine enge Freundschaft zu Harry Potter gepflegt, der früher als Harvey Malfoy bekannt gewesen war und auch jetzt hielt diese Verbindung immer noch an, obwohl sie wusste, dass sie für ihn niemals das sein könnte, was die Frau neben ihr war.
 

Felice war eine waschechte Französin, auch wenn man davon in letzter Zeit nicht so viel merkte, da sie auffallend ruhig geworden war. Ihr Gesicht hatte eine ungesunde Farbe und es kam immer öfter vor, dass sie von heftigen Hustenanfällen geschüttelt wurde. Die Heiler meinten, dass es eine chronische Erbkrankheit wäre, die jedoch in der Regel nicht tödlich endete. Man wollte ihnen gerne glauben, aber es war nicht einfach, wenn man einen ihrer Anfälle miterlebte.

Davon abgesehen war sie eine begabte Hexe, die sich hervorragend darauf bestand, mit anderen Menschen umzugehen, was nicht zuletzt an ihrem Dasein als Empathin lag.
 

Empathen waren nichts weiter als geborene Legilimentiker, die ohne Probleme in die Köpfe andere Personen eindringen und ihre Gedanken manipulieren konnten. Dadurch konnten sie unter Umständen recht gefährlich werden, aber da sie immer nach einem bestimmten Muster vorgingen, bestand die Möglichkeit, sie abzuwehren. Jedoch nur wenn man wusste, wie man es anstellen musste.
 

„Die Angriffe in England“, sinnierte Luna und reagierte damit auf Felices ursprüngliche Frage. „Sie sind nichts weiter, als ein Versuch, den Tempus Amicus aus der Reserve zu locken und ihn zum handeln zu zwingen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der dunkle Lord Menschen angreift, die ihm nahe stehen, um ihn zur Rückkehr zu bringen.“
 

Sie drehte sich zu dem jungen Mann um, der im Türrahmen stand. Er hatte schwarzes Haar und leuchtende, grüne Augen. Für sein Alter war er auffallend klein und wirkte überhaupt eher zierlich als männlich, doch seine Intelligenz und sein Geschick machten das alles nebensächlich. Momentan bevorzugte er dunkle Kleidung und hatte die Arme verschränkt, während er seinen beiden Freundinnen zugehörte.

Auch Felice sah zu ihm hinüber und sagte leise: „Wirst du zurückkehren, Harry? Oder wirst du weiterhin hierbleiben?“
 

„Nicht deswegen“, sagte er schlicht und betrat nun richtig den Raum, wobei er auch seine Arme aus der Verschränkung löste. Während er langsam auf sie zu schritt, sprach er weiter: „Ich will nicht, dass er glaubt, dass ich wegen irgendetwas, das er getan hat, zurückkomme. Er soll sich nichts darauf einbilden oder auf die Idee kommen, ich würde für ihn zurückkommen. Das würde nur darin enden, dass dasselbe geschieht wie vor zwei Jahren.“

„Du meinst, dass du versuchst, ihn umzubringen?“, fragte Luna. „Eure Beziehung ist tatsächlich recht merkwürdig, wenn ihr euch nicht einmal gegenseitig am Leben lassen könnt.“
 

Felice gluckste leise, während Harry ihr einen bösen Blick zuwarf und sich auf einen Sessel niederließ, der gegenüber vom Sofa stand und in der Regel voller Pergamente und Bücher war. Heute war er jedoch leer und konnte so von dem jungen Mann als Sitzgelegenheit verwendet werden.

„Ich habe nicht versucht, ihn umzubringen. Ich habe nur dafür gesorgt, dass sein Horkrux zerstört wurde. Wer kommt auch auf die Idee, seine Seele zu spalten? Kommt schon, er hat es doch quasi herausgefordert.“

„Wir verurteilen auch nicht, was du getan hast“, sagte Felice sanft. „Es war richtig. Du hast damit Neville gerettet.“
 

„Ja, ich kann immer noch nicht glauben, dass er ihn wirklich auf so eine feige Art und Weise töten wollte“, murrte Luna. „Neville sterben zu lassen, wäre ja nicht einmal das Problem. Ich würde den dunklen Lord gerne siegen sehen, damit das Gleichgewicht zwischen schwarzer und weißer Magie wieder hergestellt wird. Vielleicht würden dann endlich all die Todesopfer zurückgehen, die es jährlich gibt, weil Kinder die falsche, magische Erziehung bekommen haben.“

Luna sprach aus eigener Erfahrung, da ihr Vater vor etwa drei Jahren auf Grund dieser falschen Erziehung gestorben war.
 

Grob unterteilte man Magie in zwei Arten: weiße und schwarze Magie. Zwar gab es noch viele Zwischenstufen und einige Ausnahmen, aber im großen und ganzen konnte man es mit gutem Gewissen so stehen lassen. Im Grunde unterschieden sich diese beiden Magiearten nicht im geringsten, wobei schwarze Magie meist zu aggressiveren und zerstörerischeren Zaubern neigte als weiße Magie, die eher defensiv und heilend wirkte. Natürlich konnten auch weiße Zauber zerstörerisch sein und schwarze heilen, aber die Tendenz war deutlich.
 

Jeder Mensch wurde mit einer bestimmten Magieart geboren.

Die jeweilige Ausprägung war tief in den Genen verankert und wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei war es nicht von Vorteil, wenn man die falsche, magische Erziehung genoss, da es zu verheerenden Nachwirkungen führen konnte.
 

Bedauerlicherweise stellte schwarze Magie in England und weiten Teilen Europas ein Tabu dar, wobei die Ausübung schwarzmagischer Zauber oft mit Gefängnis- oder Todesstrafen endete.

Aus diesem Grund waren viele Kinder in der Vergangenheit dazu gezwungen worden, weiße Magie auszuüben, obwohl es ihren Genen widersprach. Wenn sie Glück hatten und aus schwarzmaigschen Familien kamen, hatte das in der Regel keine schlimmen Folgen, da ihre Eltern bereits dafür gesorgt hatten, dass sie damit umgehen konnten oder entsprechende Zauber im Selbststudium lernen konnten.
 

Kinder aus Muggelfamilien oder bei denen es unerkannt geblieben war, dass sie Schwarzmagier waren, hatten weniger Glück.

Da sie dazu gezwungen wurden, weiße Magie auszuüben, bildete ihr Körper eine Abwehrreaktion darauf, was es ihnen unter Umständen unmöglich machen würde, Zauber auszuüben.

Oder, was im Endeffekt schlimmer war, es würde sich keine Abwehr bilden und stattdessen würden die aufgezwungene weiße und die natürliche schwarze Magie damit anfangen, gegeneinander zu kämpfen, was zu Zusammenbrüchen, Krankheiten, psychischen Störungen und im schlimmsten Fall zum Tod führen konnte.
 

Deshalb war es wichtig, dass jedes Kind in seiner Schulausbildung in der richtigen Magie unterwiesen wurde oder einen Mentor hatte, der einem dabei half, mit der falschen Magie umzugehen. Im Grunde war das ganz einfach und vollkommen nachzuvollziehen.

Problematisch wurde dann erst der Umstand, das nur wenige über diese wissenschaftliche Seite der Magie aufgeklärt waren und lieber der konservativen Einstellung folgten, dass schwarze Magie Teufelswerk sei und alle, die sie ausführten, böse.
 

Dieses Vorurteil war auf die Zeit zurückzuführen, in die der legendäre König Arthur mit Merlin – der immer noch als der mächtigste Zauberer aller Zeiten gehandelt wurde – gegen die Schwarzmagierin und Seherin Morgana le Fay gekämpft hatte. Diese war tatsächlich eine teuflische Hexe gewesen, die dem Klischee des absoluten Bösen ohne Probleme gerecht wurde. Nach ihrer Eliminierung war die Welt antischwarzmagisch geprägt worden und das konnte man nach wie vor in den Gesetzen vieler europäischer Staaten wiederfinden.
 

Aber eben nicht in allen.
 

Logischerweise hatte die schwarzmagische Gesellschaft sich das nicht gefallen lassen und in der Geschichte hatten sich mehrere dunkle Lords hervorgetan, die für die Rechte ihrer Interessengruppe gekämpft hatten. Der erste Erfolgreiche war Gellert Grindelwald gewesen, der parallel zum zweiten Weltkrieg in der magischen Welt gegen die weißmagischen Regime vorgegangen war und in mehreren Ländern tatsächlich für Toleranz und Akzeptanz sorgen konnte. Besonders hervorgetan hatten sich dort Frankreich, das in Amerika und Asien als das „Land der Toleranz“ bezeichnet wurde, da es hier nur noch kaum einen Unterschied machte, ob man weiß oder schwarz war.
 

So die offizielle Geschichte.

Nur eine handvoll Menschen wussten, dass das in Wahrheit die Folgen der sogenannten „Schicksalsspielen“ waren Das war ein Spiel zwischen dem Schicksal und der Zeit, bei dem letztere verhindern musste, dass erstere mit ihren Plänen für die Zukunft der Menschen durchkam.

Dafür hatte sie sich einige Gehilfinnen zusammengesucht, die man Mira nannte, die wiederum mehrere Menschen zu ihren Verbündeten und Werkzeugen gemacht hatten.
 

Die wichtigste Rolle spielten hierbei die Tempora Amici. Dies waren Magiekatalysatoren, die die Magie und Gefühle anderer Menschen manipulieren konnten. Außerdem wurde behauptet, dass jeder, der einen auf seiner Seite hatte, seinen Krieg gewinnen würde, was wahrscheinlich wirklich nicht mehr als ein Gerücht war.

Harry James Potter war ein solcher Tempus Amicus und er hasste diesen Umstand über alles, doch inzwischen hatte er gelernt, damit umzugehen.
 

Er seufzte und schlug die Beine übereinander, wobei er seine Freundinnen ansah. „Ich werde bald nach England zurückkehren, aber ich werde es erst tun, wenn es einen guten Grund dafür gibt.“

„Du meinst einen Grund, der nichts mit Tom Riddle, dem dunklen Lord oder Thomas Mask zu tun hat?“, fragte Felice.

„Ein aussichtsloses Unterfangen“, meinte Luna hinter ihrem Buch. „Wir alle wissen, dass du ihn wiedersehen willst.“

Harry warf ihr wieder einen bösen Blick zu, während Felice seufzte. „Lassen wir das jetzt, okay?“, versuchte sie die Situation zu entspannen. „Wie willst du zurückkehren? Hast du schon einen bestimmten Zeitpunkt ausgesucht?“
 

Ehe Harry darauf reagieren konnte, hob Luna den Kopf und sagte: „Todesser sind auf den Weg hierher. Sie werden jeden Moment hier eindringen.“

„Werden sie wahllos Zauber durch den Raum schicken?“, erkundigte er sich. Es war bereits einmal vorgekommen, aber er hatte sich in dem Moment glücklicherweise im Badezimmer befunden und war davon verschont geblieben.

„Nein, aber sie haben Greyback dabei. Ich würde vorschlagen, wir verschwinden in die Villa Black.“

Harry seufzte. „Das kommt mir sehr ungelegen. Aber es muss wohl sein. Vor Greyback können wir uns nicht verstecken, der wird uns auch durch die Schutzzauber aufspüren können. Gut, dass ich hier keine wichtigen Informationen gelagert habe.“

„Du meinst, gut dass du auf mich gehörst hast“, meinte Luna munter und erhob sich. „Wir sehen uns in der Provence.“ Und schon war sie disappariert.
 

Felice und Harry blieben noch einen Augenblick sitzen und sahen sich an.

„Gibt es etwas, das du mitnehmen willst?“, fragte sie leise. „Ich glaube nicht, dass wir hierher zurückkehren können. Dieses Apartment müssen wir aufgeben.“

„Da hast du wohl Recht“, meinte er und stand ebenfalls auf, was seine Freundin ihm nach tat. „Aber es gibt hier nichts, was nicht ersetzbar wäre.“

„Okay“, meinte sie und lächelte ihn an. „Dann bis später. Willst du einen Tee trinken?“

„Es wäre wunderbar“, meinte er und erwiderte ihr Lächeln. Sie nickte und war im nächsten Augenblick ebenfalls verschwunden.
 

Vor der Tür konnte er nun bereits die näher kommenden Schritte der Todesser hören. Sie würden jeden Moment hereinstürmen und alles auf den Kopf stellen. Wenn er nicht bald verschwand, würden sie ihn mitnehmen und zum dunklen Lord zerren. An und für sich wäre es nicht einmal schlecht. Dann hätte er zumindest die Auseinandersetzung mit diesem Mann hinter sich.

Trotzdem konnte er das nicht zulassen.
 

Aus diesem Grund fanden die Todesser, die kurz darauf die Tür aufbrachen, ein leeres Apartment vor und sie wussten alle eines mit absoluter Sicherheit: Die Wut ihres Herrn würde fürchterlich sein.
 

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In der Provence stand am Fuße eines Weinberges eine der vielen Villen der Familie Black. Darin lebte momentan der Erbe der Familie, Regulus Black, der in Frankreich bereits eine einflussreiche Position im Ministerium erreicht hatte. Oft hatte man auch Felice Poulain dort gesehen und man erzählte sich, die beiden würden insgeheim eine Beziehung führen. Ob das stimmte, wurde bisher jedoch noch nicht offiziell bestätigt.
 

Es war eine schöne Villa, die zu dem Lavendel, dem Wein und der nahen Mittelmeerküste passte und sie war der Ort, an dem Harry auftauchte. Als Harry vor zwei Jahren hier angekommen war, hatte Regulus sofort mehrere Schutzzauber um das Haus gezogen, die Felice, Luna und er selbst verstärkt hatten. Kurz darauf hatte auch Sirius Black, Regulus' Bruder, seine Zauber dazugegeben. Er war für lange Zeit in der Gestalt seines Animagus gesperrt gewesen, aber Harry und Felice hatten es vor etwa einem Jahr geschafft, den Zauber zu brechen, der über ihn gelegen hatte.

Es war ein sehr komplizierter Fluch gewesen und nun wollte Sirius die Person finden, die ihn verflucht hatte, um Rache zu üben.

Doch das war eine andere Geschichte.
 

Sobald Harry das Haus betrat – man konnte nur draußen apparieren – begegnete er Gabrielle Delacour. Sie war Felices Ziehschwester (die Delacours waren damals, nachdem sie ihre Eltern verloren hatte, so freundlich gewesen, seine beste Freundin aufzunehmen) und kam in letzter Zeit öfter vorbei, um diese zu besuchen. Gerade lief sie die Treppe herunter und strahlte, sobald sie ihn erkannte.
 

„'Arry!“, rief sie und plapperte munter auf Französisch weiter: „Wie schön, dass ich dich doch noch sehen konnte! Monsieur Black hat mich soeben weg gescheucht, weil er sagte, du würdest kommen und ich hatte schon befürchtete, dich zu verpassen!“

„Das ist aber nicht sehr nett von ihm, dich einfach wegzuschicken“, meinte Harry mit einem charmanten Lächeln, was sie tatsächlich zum Erröten brachte. „Aber er hat Recht. So wie wir dich kennen, wirst du sicher zu Fuß nach Hause laufen und der Weg ist lang. Bis du Zuhause bist, wird die Dämmerung lange eingesetzt haben und heute ist Vollmond. Es ist besser, wenn du jetzt schon losgehst.“
 

„Da hast du Recht!“, meinte sie und schien tatsächlich erstaunt zu sein. „Wer hätte gedacht, dass Monsieur Black so fürsorglich ist? Aber ich finde es trotzdem schade, dass wir uns nicht länger sehen können.“

„Nun, da kann man nichts machen. Vielleicht das nächste Mal.“

„Unbedingt!“, erwiderte sie strahlend. „Heißt das, du bist jetzt öfter hier?“

„Es könnte möglich sein...“ Zumindest, solange er noch in Frankreich war.

„Trés bien!“, rief sie. „Dann bis bald, 'Arry!“
 

Er winkte ihr und sah dabei zu, wie sie das Haus verließ. Sobald er sich wieder umdrehte, fand er sich vor Felice wieder, die ihre Arme verschränkt hatte. „Es macht dir wohl langsam Spaß, was?“

Er schmunzelte unwillkürlich. „Fel, du bist eine Empathin. Du müsstest von allen am besten wissen, wie viel Spaß es macht, jemanden zu manipulieren.“
 

„Mag sein, aber vergiss nicht, dass wir nur die Gedanken anderer manipulieren, während du mit ihren Gefühlen spielst. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, der im Endeffekt viel ausmacht.“

Er seufzte schwer. „Du bist schlimmer als le professeur.“

„Das könnte daher rühren, weil ich jetzt auf dich aufpassen muss, während le professeur sich mit den Engeln unterhält“, meinte sie verstimmt. „Du bist ein Tempus Amicus, Harry. Als solcher musst du dich verantwortungsvoll verhalten und...“
 

„Schon klar, Fel“, sagte er und drehte sie um, damit er sie in den nächsten Raum schieben konnte. „Ich weiß, was du meinst. Ich werde in Zukunft verantwortungsvoller sein und keine Spielchen mehr treiben. Großes Indianerehrenwort.“

„Seit wann interessierst du dich für Indianer?“, fragte Felice belustigt.

„Seit neustem“, meinte er munter und betrat mit ihr gemeinsam das gemütliche, kleine Wohnzimmer des Hauses, wo sich auch ein Kamin befand, in dem zu jeder Jahreszeit das Feuer prasselte. Es war ein schöner Raum, mit großen Fenstern und einer Einrichtung, die wahrscheinlich aus dem achtzehnten Jahrhundert stammte. Auf Sitzgelegenheiten hatten sich bereits die Gebrüder Black, sowie Luna niedergelassen und plauderten miteinander.
 

Sirius war der erste, der aufblickte und sein Blick wurde sofort besorgt. „Harry! Alles in Ordnung mit dir? Es ist so schrecklich, dass dir das Apartment genommen wurde, wir wissen alle, wie sehr...“

„Es war nur eine einfache Wohnung“, sagte er schlicht und nickte Regulus zur Begrüßung zu, ehe er sich neben Luna setzte. „Nichts weiter. Kein Grund zur Theatralik.“

„Deine Einstellung ist sehr erwachsen“, kommentierte der jüngere der Blackbrüder – Regulus – und zog Felice zu sich.
 

Sie alle wussten, dass er die junge Frau mehr liebte als alles andere auf der Welt, jedoch hatte keiner von ihnen eine Ahnung, wie es mit ihr stand – sie selbst inbegriffen – weshalb diese Beziehung sowohl tragisch als auch überaus romantisch war. Zumindest war das Lunas Kommentar dazu, wenn man sie nach ihrer Meinung fragte. Harry selbst war zu der Überzeugung gekommen, dass Romantik Ansichtssache war und er sich nicht in diese Angelegenheit einmischen wollte. Die beiden waren erwachsen und würden schon wissen, was sie taten.
 

„Es ist übrigens ein Brief für dich hier angekommen“, bemerkte Regulus und nickte in Richtung Couchtisch, wo tatsächlich mehrere Briefe lagen. „Von Draco Malfoy. Es wundert mich, dass er richtig erkannt hat, dass du hier bist.“

„Draco ist eben kein Idiot“, meinte Felice schlicht. „Was der junge Mann wohl von dir will?“

„Wir werden es gleich wissen“, meinte er und suchte nach den an ihm adressierten Umschlag.
 

Darin war eine hübsch verzierte Karte. Interessiert schlug er sie auf. In einer Schrift, die hundertprozentig magisch und damit tausendmal kopiert worden war, stand dort: Einladung zur Hochzeit von Draco Malfoy und Pansy Parkinson.

Er hob unwillkürlich eine Augenbraue, während er das schlichte Schreiben überflog und das Datum in sich aufnahm. Sie würden also tatsächlich heiraten und das bereits in wenigen Wochen. Er konnte es beim besten Willen nicht verstehen. Die beiden passten zusammen wie die Sonne zur finsteren Nacht. Das würde nie gut gehen.
 

Er drehte die Karte um und bemerkte, dass sein Adoptivbruder ihm eine handgeschriebene Nachricht hinterlassen hatte: Bitte komm. Wenn nicht für mich, dann für Mutter. Wir müssen sehen, dass du noch lebst. In Liebe, dein Bruder.
 

Harry blickte auf und begegnete den abwartenden Blicken der Menschen, die in den letzten beiden Jahren für ihn ihr Leben riskiert hatten. Er hatte gehört, wie der dunkle Lord auf sein Verschwinden reagiert hatte, weshalb sie alle wussten, was passiert wäre, hätte er zu hundert Prozent sagen können, dass Harry bei ihnen war. Dass sie trotzdem den Mund gehalten und immer zu ihm gehalten hatten, obwohl sie alle ihn schon tausendmal gedrängt hatten, nach England zurückzukehren, war etwas, das er ihnen niemals vergessen würde.
 

Nun schenkte er ihnen ein leichtes Lächeln, während er die Karte wieder in den Umschlag steckte. „Sieht so aus, als hätte ich eine gute Entschuldigung dafür gefunden, nach England zurückzukehren.“
 

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Während Harry mit seinen Freunden in Frankreich saß und über seine Rückkehr nach England diskutierte, saß Neville im Hauptquartier des Ordens. Genaugenommen saß er in der Küche, wo momentan nur Hermione herum werkelte und Ronald den Tagespropheten überflog.
 

Solange er an seiner Tasse Tee nippte, die er sich zubereitet hatte, beobachtete der Auserwählte seine beste Freundin. Die Schwangerschaft tat ihr augenscheinlich gut, zumindest war sie seit Jahren das erste Mal wieder richtig aufgeblüht und summte fröhlich vor sich her. Außerdem hatte es auch positive Auswirkungen auf Ronald, der sie so gut es ging verwöhnte und selbst etwas auftaute. Er freute sich offenbar wirklich, Vater zu werden, auch wenn der Zeitpunkt nicht schlechter hätte sein können.
 

Die dunkle Seite wusste, dass Ronald ihr bester Mann war. Somit würden sie alles tun, um ihn auszuschalten und ein Kind war da ein gutes Druckmittel. Dieses Kind und Hermione selbst würden immer in Gefahr sein und deshalb mussten sie alles tun, damit ihnen nichts passierte.

Langsam stellte er seine Teetasse ab und sah seinen rothaarigen Freund an. „Gibt es etwas Neues?“

„Nicht wirklich... nur eine Neueröffnung von einer Filiale des Ladens meiner Brüder. Wo immer sie auch das Geld hernehmen.“

„Ihre Scherzartikel sind genial und jeder kauft sie. Sie haben sicher Geld im Überfluss. Schade, dass sie sich weigern, dem Orden ein Sonderangebot zu machen, dabei sind sie doch selbst Mitglieder.“

„Ich trau den beiden nicht mehr über den Weg als Snape“, sagte Ronald schlicht und blätterte um.
 

Neville runzelte die Stirn. Fred und George Weasley waren eigentlich fröhliche, nette Jungs, die immer für einen Spaß zu haben waren und sicher nichts mit der dunklen Seite zu tun hatten. Warum also verglich er sie mit Severus Snape, die Nummer eins auf der Potentielle-Todesser-Liste?

Hermione, die bisher den Mund gehalten hatte, schien ebenfalls verwirrt zu sein. „Was meinst du damit?“

„Sie sind Todesser“, meinte er. „Aber leider habe ich noch keine Beweise, weshalb ich sie nicht auffliegen lassen kann.“

„Deine Brüder? Todesser? Das glaubst du doch selbst nicht“, meinte Neville. „Gut, sie können manchmal schon unheimlich sein, aber sie würden doch niemals deine Familie verraten.“
 

„Die Abgründe der Menschen sind unergründlich“, sinnierte er und schlug die Zeitung zu. „In diesen Zeiten kann man niemandem vertrauen, weder der Familie, noch den Freunden, noch sonst irgendjemanden. Selbst ich könnte letztendlich nur ein Spion sein, der in Wahrheit für den dunklen Lord arbeitet und sich dein Vertrauen erschlichen hat, Neville, um dich ihm irgendwann auszuliefern.“
 

Auf diese Worte folgte ein betretenes Schweigen, in dem die beiden Männer sich ansahen und Hermione auf die Tischplatte starrte. Ronald hatte natürlich Recht. In diesen Zeiten konnte man niemanden vertrauen, am allerwenigsten er selbst. Der dunkle Lord wollte ihn töten, er war für ihn so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins. Wenn er nicht aufpasste, würde er sterben und die Möglichkeit bestand, dass es durch die Hand seines engsten Freundes geschah. Wobei er nicht glaubte, dass ausgerechnet Harry ihn ans Messer liefern würde und was Ronald anging...
 

„Du bist kein Spion, zumindest nicht seiner.“

„Kannst du dir da wirklich sicher sein?“, fragte Ronald mit gehobenen Brauen.

„Nein“, gab Neville zu. „Aber ich weiß es. Für wen auch immer du eigentlich arbeitest, es ist nicht Du-weißt-schon-wer.“

Hermione sah verwirrt zwischen ihnen hin und her. „Für wen soll Ronald denn arbeiten, Neville? Wovon redet ihr?“

„Neville wird wohl einfach paranoid“, kommentierte der Rothaarige trocken. „Endlich. Es wurde aber auch Zeit. Moody ist zwar ein alter, verrückter Kauz, aber er hat Recht, wenn er sagt, dass wir niemanden vertrauen dürfen. Dadurch werden wir nämlich alle etwas länger am Leben bleiben.“
 

Er stand auf und ging zu Hermione, um ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund zu drücken. „Warte heute Nacht nicht auf mich. Es wird länger dauern.“

„Sei vorsichtig“, sagte sie leise und sah ihn mit sorgenvollem Blick an.

Er nickte ihr als Antwort ernst zu, ehe er noch einmal liebevoll über ihren Bauch strich und dann aus der Küche verschwand.
 

Sobald die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stöhnte Neville und legte seinen Kopf auf dem Tisch ab. „Dieser Typ macht mich wahnsinnig.“

„Ich weiß... Ronald ist etwas schwierig“, kommentierte seine Freundin seufzend. „Aber er ist der einzige von ihnen allen, der um dich zu beschützen, ohne Zögern sterben würde.“

„Ja, aber warum? Seit unserem zweiten Schuljahr hatte er mich gehasst.“

„Vielleicht hat er in Wahrheit ja immer nur deine Freundschaft gewollt“, sagte sie leise. „Er war immer allein. Es kann nicht einfach gewesen sein.“

„Ich weiß“, murmelte er. „Trotzdem.“
 

Sie schmunzelte und stellte ihm eine neue Tasse Tee hin. „Trink und ruh dich aus. Der nächste Kampf kommt bestimmt und mit etwas Glück wirst du dabei auf Du-weißt-schon-wen treffen und all das beenden. Aber dafür brauchst du Kraft.“

„Du hast Recht...“, meinte er seufzend. „Ich werde mich dann gleich hinlegen und schlafen.“

„Gut“, sagte sie sanft. „Nicht, dass du uns noch vor Erschöpfung umkippst.“

Er gluckste leise. „Keine Sorge, Hermione. Das wird nicht geschehen.“
 

Denn es lag nicht im Interesse der Zeit und selbst das Schicksal hatte andere Pläne.
 

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trés bien – sehr gut

le professeur – der Professor
 

Das nächste Mal sehen wir uns an, wie Harry nach England zurückkehrt. Mal sehen, bei wem er zuerst vorbeischauen wird.

Diagon Alley

Vielen Dank an alle Leser, meine Beta und den lieben Reviewern zum letzten Kapitel.

Diesmal gibt es ein wenig Action, Tod, Zerstörung und einen inneren Monolog voller Selbstmordgedanken. Sagt also nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.

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Diagon Alley
 

Das seltsamste daran, nach zwei Jahren in seine Heimat zurückzukehren, war nicht etwa festzustellen, dass sich nichts – oder in manchen Fällen auch alles – geändert hatte, sondern dass auf einmal wieder von allen Seiten die eigene Muttersprache ertönte. Plötzlich verstand man die Menschen wieder ohne Probleme und sie verstanden dich. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Zumindest war das Harrys Meinung, als er durch die Winkelgasse lief und um sich herum die Rufe der Verkäufer und Gesprächsfetzen der Einkaufenden aufschnappte. Zwar war sein Französisch nicht unbedingt schlecht, aber es war trotzdem schön, wieder einmal fließendes Englisch zu vernehmen. Er hatte gar nicht bemerkt, wie sehr er es eigentlich vermisst hatte.
 

Während er über die Einkaufsstraße schritt, bemerkte er, dass der Bürgerkrieg, der in England herrschte, bisher offenbar noch nicht in das einfache Bürgertum durchgedrungen war, zumindest waren alle gut gelaunt und im Kaufrausch. Nur einige wenige wirkten verspannt und auf der Hut, weshalb er annahm, dass es sich um eingeweihte Auroren, Mitglieder von Dumbledores Phönixorden oder Todesser, die er nicht kannte, handelte.

Er fragte sich wirklich, wie das Ministerium es schaffte, die Kämpfe bedeckt zu halten, wenn selbst er in Frankreich etwas davon mitbekommen hatte.
 

//Vielleicht liegt es auch daran, dass du nach den Zeichen geschaut hast, während der Durchschnittsbürger andere Probleme hat.//

Das wäre selbstverständlich eine Möglichkeit.
 

Auf seinem Weg durch die Winkelgasse begegnete er niemanden, der ihn kannte, was ihn einerseits beruhigte und andererseits ärgerte. Dafür, dass der dunkle Lord seine Rückkehr erzwingen wollte, überwachte er Orte, an denen er auftauchen könnte, wirklich schlecht.

//Er rechnet einfach nicht damit, dass du einfach so am helllichten Tag durch die Winkelgasse läufst. Es ist ja auch verständlich, immerhin bist du lange genug weg gewesen, um dafür zu sorgen, dass niemand so schnell deine Rückkehr erwarten würde.//

Es war also doch die richtige Entscheidung gewesen, bereits eine Woche vor der Hochzeit nach England zurückzukehren. Ansonsten wäre er wahrscheinlich kaum, dass er einen Fuß in das Land gesetzt hätte, zum dunklen Lord gebracht worden und darauf hatte er momentan noch keine Lust.
 

Nun kam aber vielleicht die Frage auf, warum er gerade die Winkelgasse gewählt hatte und nicht das Hause Malfoy oder vielleicht sogar seine leiblichen Eltern. Eigentlich war es eine natürliche Reaktion, nach mehreren Jahren Abwesenheit, zunächst die Familie aufzusuchen und sie von seiner Rückkehr in Kenntnis zu setzen. Und wenn nicht die Familie, dann wenigstens die besten Freunde – Neville und Hermione zum Beispiel.

Er musste zugeben, dass er all diese Möglichkeiten – selbst den dunklen Lord selbst – in Betracht gezogen hatte. Dummerweise hatte er bei jeden einzelnen von ihnen mindestens einen Grund gefunden, warum er sie nicht zuerst wiedersehen wollte und darum war er nun hier.
 

Seufzend blieb er vor den buntesten Schaufenstern des magischen Londons stehen. Dort hatten sich bereits ein paar Kinder, die wahrscheinlich dieses Jahr ihre Karriere in Hogwarts beginnen würden, versammelt, um die dargebotenen Güter staunend zu betrachten. Auch im Inneren befand sich für diese Zeit auffallend viel Kundschaft, aber Harry wusste aus Erfahrung, dass in den Sommerferien – die bald sein würden – mindestens dreimal soviel los sein würde. Es war schon erstaunlich, wie viel sie aus ihrer anfänglichen Geschäftsidee gemacht hatten.
 

Er betrat den Laden, schlenderte in aller Ruhe durch die Gänge und begutachtete die verschiedenen Waren. Dabei näherte er sich langsam der Kasse, wo sich die beiden Besitzer des Ladens mit einem schwarzhaarigen Mann unterhielten.

Die Zwillinge wirkten so fröhlich wie eh und je. Gut gelaunt unterhielten sie sich mit Severus Snape, während immer einer von ihnen den Laden im Blick behielt, damit Diebe keine Chance hatten. Der Zaubertrankmeister war währenddessen grummelig und redete in einem strengen Tonfall auf sie ein. Diese drei ihm so vertrauten Menschen wiederzusehen, tat unerwartet gut.

Sie lebten noch, sie hatten keine ernsthaften Verletzungen und sie schienen sich nicht im geringsten geändert zu haben. Ganz im Gegensatz zu ihm.
 

Neugierig musterte er weiterhin die Gegenstände in den Regalen, während er sich langsam auf die drei zubewegte, um ihr Gespräch mithören zu können. Gerade sprach Severus: „...wird langsam misstrauisch. Ihr müsst euch bedeckt halten und euch ein Alibi verschaffen, wenn es wieder einmal eine Versammlung gibt. Wäre Thomas nicht seit Harrys Verschwinden so schlecht gelaunt, würde ich vorschlagen, dass ihr ihn fragt, ob ihr fern bleiben könnt, aber momentan explodiert er öfter als sonst...“
 

„Warum ist Harry eigentlich so einfach verschwunden? Er schrieb, es sei, weil er eine Auszeit bräuchte, aber so lange?“, fragte Fred.

„Wenn er klug ist, wird er solange wegbleiben, bis dieser Krieg zu Ende ist“, meinte Severus. „Wenn er hier ist, wird er nur verlieren, egal für welche Seite er sich entscheidet, denn er wird immer gegen jemanden agieren müssen, den er liebt.“

„Er ist doch abgehauen, nachdem er Neville das Leben gerettet hat, oder?“, meinte George und lehnte sich an die Verkaufstheke. „Bedeutet das nicht, er hat sich gegen Thomas entschieden?“

„Dann wäre er nicht abgehauen“, widersprach der Zaubertrankmeister. „Dann würde er jetzt an Longbottoms Seite kämpfen. Doch das tut er nicht und das bringt mich zu dem Schluss, dass er sich noch nicht entschieden hat.“
 

Ein Schweigen folgte seinen Worten, weshalb Harry nach einer Packung „Euphorie Schokolade“ griff und damit zur Kasse ging. Sofort wandten alle drei ihm ihre Aufmerksamkeit zu. „Einmal das bitte“, meinte er und begann, nach seiner Geldbörse zu suchen.

Da er dadurch zu einem normalen Kunden wurde, der keine Beratung mehr brauchte und er darüber hinaus Vielsafttrank genommen hatte, um wirklich in aller Ruhe hierher zu kommen, nahm George die Schokolade und klimperte auf der Kasse herum, während er zu den anderen beiden Männern sagte: „Es könnte natürlich auch sein, dass er nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet. Würde mich nicht wundern, wenn er auf der Hochzeit nächste Woche auftaucht.“

„Damit rechnet Thomas auch“, sagte Severus. „Deshalb wird er dort sein und jede Person zweimal überprüfen.“
 

„Reden Sie von Harry Potter?“, fragte Harry interessiert und stieg damit von „einfacher Kunde“ zu „interessanter Kunde“ auf. Es gab Tage, an denen liebte er es, ein Tempus Amicus zu sein.

Die Zwillinge sahen ihn diesmal genauer an und versuchten wahrscheinlich herauszufinden, ob sie ihn kannten. Aber egal was sie taten, sie würden nicht auf die Idee kommen, dass er Harry war. Dafür würde er sorgen. Severus war da eine andere Geschichte.
 

Da er ein brillanter Legilimentiker und Okklumentiker war – nur Empathen würden ihn übertreffen können – war es schwer, auf seine Gefühle zuzugreifen und genau das tat er als Tempus Amicus. Er nahm die Gefühle seines Gegenübers und manipulierte sie so, wie er es wollte. Vor zwei Jahren hätte er nie geglaubt, dass er das wirklich jemals tun würde, aber inzwischen machte es ihm einen Heidenspaß.
 

Allerdings beließ er es bei harmlosen Sachen, wie Sympathie, eine leichte Abneigung oder Misstrauen. Dauerhafte, anhaltende Dinge wie Freundschaft, Hass oder Liebe versuchte er zu vermeiden, weil genau solche Manipulationen das waren, was den TAs so einen schlechten Ruf eingebracht hatte. Harry konnte nicht wirklich verstehen, wie man andere Menschen dazu zwingen konnte, einen zu lieben. Es wäre doch überhaupt nicht das, was die andere Person empfinden würde und somit eine Lüge.

Anderseits: Konnten existierende Gefühle eine Lüge sein?
 

„Was wissen Sie über Harry Potter, Sir?“, fragte Fred misstrauisch, während Severus die Stirn gerunzelt hatte und seine Körperhaltung, seine Gesten, sein ganzes Auftreten observierte. Harry war gespannt, wie lange es dauern würde, bis der Groschen fiel.

„Nur das, was alle wissen“, entgegnete er und legte ihm das Geld hin, das er für die Schokolade bezahlen musste. „Wunderkind, Familienkrise, mit dem aufsteigenden Politiker Thomas Mask liiert und seit zwei Jahren verschollen. Wie lange haben Sie den Euphorietrank ziehen lassen?“

Die Frage bezog sich auf die Schokolade, da dort mit einer hohen Wahrscheinlichkeit genau das drin war.
 

Die Zwillinge schien es zu verwirren, doch Severus' Augen weiteten sich, ehe er ihn am Arm packte und mit sich zog.

In einem Nebenraum angekommen wurde Harry von seinem Paten an die nächste Wand gepresst, während der Mann ihm die Kehle zudrückte. „Du Dummkopf“, zischte er. „Wenn ich der dunkle Lord wäre, würde ich dich jetzt höchst wahrscheinlich zu Tode foltern!“

„Aber du bist nicht der dunkle Lord, Sev“, brachte er leise hervor und erwiderte seinen wütenden Blick ruhig. „Und mich vor ihm zu töten, wird weder dir noch ihm etwas bringen.“
 

Der Mann schnaubte und trat einen Schritt zurück, wobei er ihn freigab. „Jetzt wieder aufzutauchen, ist sowohl mutig als auch töricht. Er sucht dich bereits seit zwei Jahren mit dem einzigen Wunsch, dich dafür büßen zu lassen, was immer du ihm auch angetan hast. Es kann nicht allein dein Verschwinden sein oder sollte ich lieber Flucht sagen? Wie konntest du auch so dumm sein, Longbottom...“
 

„Wenn Neville gestorben wäre, hätte Tom diesen Krieg gewonnen, das ist wahr“, sagte Harry. „Aber es wäre eine Herrschaft gewesen, die sich auf Angst und Terror stützt. Früher oder später wäre dadurch alles eingestürzt, was er aufgebaut hätte und er selbst wäre höchst wahrscheinlich gestorben.“ Er sah Severus ernst an. „Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles so wird, wie es das beste für uns ist. Also erwarte nicht von mir, dass ich etwas unterstütze, was nach einigen Jahren schon wieder zerstört sein wird.“

Severus seufzte schwer. „Na schön. Ich verstehe deine Argumentation, allerdings glaube ich nicht, dass er sie verstehen wird.“
 

„Keine Sorge, ich habe auch nicht vor, ihn damit zu belästigen“, sagte Harry und lächelte ihn an. „Weißt du eigentlich, wie schön es ist, dich wiederzusehen?“

„Spar dir deine netten Worte, Potter. Ich bin zu wütend auf dich, als dass sie mich rühren könnten.“

„Tut mir Leid, dass du dir wegen mir Sorgen machen musstest.“

Severus schnaubte wieder und verschränkte die Arme. „Was hast du jetzt vor? Wehe, wenn du bei mir unterkommen willst, das kannst du dir gleich wieder aus dem Kopf schlagen. Ich habe nicht vor, ihn unnötig zu provozieren, indem ich dich vor ihm verstecke. Am besten wäre es ohnehin, wenn ich dich sofort zu ihm bringen würde.“
 

So ging es eine ganze Weile weiter, weshalb Harry sich einfach an die Wand lehnte und ihm schmunzelnd zuhörte. Sein Pate konnte sagen, was er wollte, er hatte sich Sorgen gemacht und er war mehr als erleichtert, ihn wiederzusehen – selbst wenn es mit falschem Aussehen war.
 

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Severus gab ihm bereitwillig Auskunft über alles, was momentan in England vor sich ging und kommentierte dabei jede noch so unbedeutende Einzelheit mit seinem unvergleichbaren Sarkasmus. Als Harry „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze“ also eine Stunde später – immer noch in seiner Vielsafttrankgestalt – verließ, wusste er im großen und ganzen über alles Bescheid.
 

Ronald kämpfte an Nevilles Seite und Hermione erwartete von ihm ein Kind – okay, wo war die versteckte Kamera?
 

Draco wollte Pansy wirklich heiraten, obwohl er darüber unglücklich war – welch Überraschung – während Lucius die Aufgabe hatte, ihn – Harry – zu finden und zum dunklen Lord zu bringen. Dadurch hatte er in den letzten Jahren mehr Cruciatiusflüche abbekommen, als jeder andere Todesser, nicht zuletzt, weil er ihm damals seine Flucht ermöglicht hatte.
 

Diese Tatsache tat ihm wirklich Leid, zeigte ihm aber gleichzeitig, dass er seinem Adoptivvater nun vollkommen verzeihen konnte, für alles, was in der Vergangenheit geschehen war. Er hatte seinen Hals für ihn in die Schlinge gelegt und höchst wahrscheinlich dafür gesorgt, dass ihn niemand finden konnte. Er würde sich überlegen müssen, wie er sich dafür bedanken würde.
 

Was ihn jedoch am meisten beunruhigte, war Narcissas Zustand. Er hätte nie geglaubt, dass sein Verschwinden ihr so sehr zusetzen würde und es bereitete ihm ein mehr als schlechtes Gewissen. Er konnte nur hoffen, dass seine Rückkehr sie aus ihrer Schwermut befreien würde.
 

Dann waren da noch seine biologischen Eltern, die laut Severus nach wie vor getrennt lebten und nur wenige Worte wechselten, selbst im Orden, obwohl sie dort ziemlich oft aufeinandertrafen – was sollte er bitte schön davon halten? Am besten würde er sich irgendwann mit James unterhalten oder Sirius' Bericht abwarten, immerhin hatte dieser vor, ihn so bald wie möglich zu besuchen.
 

Soviel zu seiner Familie. Blieb jetzt nur noch Tom... Thomas... der dunkle Lord, der seit zwei Jahren durchgehend schlechte Laune hatte und explodierte, wenn man den Namen „Harry“ auch nur erwähnte. Merlin, ihr Zusammentreffen würde lustig werden. Am besten ging er schon einmal zum nächsten Leichenbestatter und ließ sich einen Sarg anfertigen.
 

Es war ja auch verständlich. Er hatte seinen Horkrux zerstört und damit Neville ihm vorgezogen und ihm dauerhaft geschadet. Darüber hinaus erinnerte er sich noch gut an die Worte, die der Tagebuch-Tom ihm entgegen geschleudert hatte, als er von Ronald erledigt worden war:

„Wie konntest du? Von allen Menschen dieser Welt? Wir haben dich geliebt! Wir hätten dir die Welt gegeben! Warum, Harry?“
 

Weil er es hatte tun müssen, aber das klang im Nachhinein nur wie eine feige Ausrede.

Aber ob es stimmte? Ob Tom ihn wirklich geliebt hatte? Und wenn ja, tat er es immer noch?

//Du wirst es wissen, sobald ihr euch das nächste Mal getroffen habt.//

Nur, wenn er diese Begegnung überleben würde.

//Zur Not wirst du ihn eben dazu zwingen müssen, dich zu lieben. Du bist ein Tempus Amicus, wenn es jemand kann, dann du.//

Natürlich wäre das eine Möglichkeit, aber er wollte es nicht. Dafür war ihm Tom einfach zu wichtig.

//Es wäre dir also lieber, wenn er dich hasst?//

Nein, aber darauf würde er es ankommen lassen.
 

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lief er wieder über die Winkelgasse. Nach wie vor war die Stimmung gelöst und friedlich und keiner achtete großartig auf ihn. Er genoss es wirklich, wieder hier zu sein. So schön Paris auch war, das hier war seine Heimat, sein Zuhause, das Land, in dem er geboren und aufgewachsen war. Nichts würde das jemals ersetzen können.

Mit einem Gefühl der Nostalgie lief er an den Schaufenstern vorbei und betrachtete die ausgestellten Waren, während er sich daran erinnerte, wie er vor seinem ersten Schuljahr in Hogwarts mit Narcissa, Lucius und Draco hier gewesen war, um seine ganzen Sachen für die Schule zu kaufen. Inzwischen hatte er diese für immer hinter sich gebracht und musste erwachsen sein.
 

//Zwei Jahre zu flüchten ist nicht sehr erwachsen. Es ist vielmehr kindisch.//

Mag sein, aber er hatte es tun müssen um...

//...zu überleben? Zu lernen? Zu wachsen? Zu reifen?//

Genau.

//Das hättest du auch hier tun können.//

Ja, schon, aber...

//Du bist lieber davongerannt. Du hast dich versteckt und hast den Konflikt gescheut. Gut, damals sah es wirklich so aus, als würde er dich töten, aber vielleicht hätte er es nicht getan und deine Abwesenheit hat nun alles schlimmer gemacht.//

Das war eine Lüge.
 

//Er hätte nie einen Krieg begonnen, wenn du da gewesen wärst, um es zu verhindern. Menschen, die jetzt tot sind würden noch leben.//

So viele waren noch nicht gestorben und das schlimmste würde er vielleicht verhindern können.

//Die wenigen Toten, die es gab, holt es trotzdem nicht zurück. Und es macht auch nicht wieder gut, dass Lucius zwei Jahre lang nur gefoltert wurde.//
 

Das war nicht seine Schuld. Dafür konnte er nichts. Er hatte nach Frankreich gehen müssen, um dort zu lernen, denn er war...

//Du bist ein Tempus Amicus. Das ist richtig und es ist auch richtig, dass du in Frankreich gelernt hast, was es heißt, einer zu sein. Aber es ändert nichts daran, dass es deine Pflicht gewesen ist, diesen Krieg niemals beginnen zu lassen. Und du hast versagt.//

Warum war seine innere Stimme eigentlich immer so hart zu ihm?

//Warum bist du immer so hart zu dir?//

Oh, wie sehr er sie doch hass...
 

In genau diesem Augenblick ertönten mehrere Appariergeräusche in der Winkelgasse und im nächsten Moment schrien mehrere Leute auf. Todesser waren erschienen und schossen nun mit verschiedenen Flüchen um sich. Fensterscheiben zerbarsten, Menschen brachen zusammen, Kinder schrien und dazwischen war das Lachen eines Mannes zu hören, den Harry als Barty Crouch Junior erkannte.

Offenbar ging der dunkle Lord nun dazu über, seine Angriffe öffentlich zu machen.
 

Großartig. Warum musste es denn ausgerechnet an dem Tag passieren, an dem er hier entlang ging?
 

Eilig verschwand er in der nächsten Gasse und entfernte sich damit von den Menschenmassen, die auf den Ausgang der Winkelgasse zuströmten oder sich in Geschäfte retten wollten und damit die perfekte Zielscheibe für die Angreifer waren. Er selbst konnte entweder einfach in der Dunkelheit stehen bleiben und warten, bis es vorbei war oder sich von hier aus durch die verwinkelten Gassen jenseits der Winkelgasse schlängeln und einen Ort suchen, wo man apparieren konnte. Kaum waren die Todesser nämlich angekommen, hatten sie dafür gesorgt, dass ihnen niemand einfach so entkommen würde können. Eins musste man ihnen lassen, sie wussten, was sie taten.
 

Dummerweise war genau diese Tatsache das schreckliche. Schweigend sah Harry dabei zu, wie gleich mehrere Todesser sich auf eine junge Mutter stürzten, die ihr Kind wegbringen wollte und sie mit Flüchen folterten. Die Frau schrie und flehte, während sie verzweifelt versuchte, wenigstens das Kind – es war ein Junge – zu beschützen.

„Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt“, hörte er sie sagen. „Aber verschont meinen Sohn.“

Im nächsten Augenblick ging ihr Körper in Flammen auf und Harry stolperte entsetzt ein paar Schritte zurück. Wie konnte Tom so etwas zulassen?
 

//Weil Menschen ihm nichts bedeuten. Er ist ein dunkler Lord. Ihm geht es nur um Macht. Und um dich.//

Da war er sich gar nicht mal so sicher.

Vorsichtig zog er sich mehr in die Dunkelheit der Gasse zurück. Ein Held wie Neville oder diese Figuren aus den Muggelcomics, die besonders bei Schulkindern sehr beliebt waren, hätte sich wahrscheinlich todesmutig in den Kampf gestürzt und versucht, so viele wie möglich zu retten.
 

Harry jedoch war kein Held. Er sah es überhaupt nicht ein, sich selbst für irgendwelche Unbekannte umbringen zu lassen. Dafür hing er zu sehr an seinem Leben, nicht zu vergessen, dass ihm in den letzten beiden Jahren oft genug eingeschärft worden war, dass er sich auf keinen Fall töten lassen durfte.

Er musste leben, denn er war der Tempus Amicus.

Er war die Hoffnung.

Nett, dass ihn niemand gefragt hatte, ob er diese Rolle haben wollte.
 

Plötzlich hörte er, wie jemand hinter ihm laut einatmete, was ihn zusammenzucken ließ. Er hatte geglaubt, alleine zu sein. Allerdings fiel ihm bald auf, dass das nicht einfaches atmen war. Das war schnüffeln und das taten bekanntlich nur Tiere oder...

Das erste Mal seit langer Zeit wünschte er sich, er hätte Unrecht. Doch die Stimme, die kurz darauf in sein Ohr flüsterte, ließ seine Hoffnungen zu Staub werden: „Ich kenne deinen Geruch. Es war unklug von dir, hierher zurückzukehren, Harry.“
 

Er wirbelte herum und zog zeitgleich seinen Zauberstab. Zuallererst glitt sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde über den reglosen Körper eines kleinen Mädchens, ehe er den Mann fixierte, von dem er nie gewusst hatte, ob er sein Freund oder Feind war. „Fenrir Greyback“, flüsterte er und er sah nun mit anderen Augen zu dem Mädchen hinüber.

Der Werwolf lachte über diese Handlung. „Überrascht? Sie war ein wirklich hübsches Ding, das gebe ich zu, aber ihr Vater hat den dunklen Lord einmal zu oft beleidigt. Deinen Stab kannst du übrigens wegstecken. Er wird dir – wie du weißt – nichts nützen.“
 

Harry trat vorsichtig einen Schritt zurück und betrachtete ihn argwöhnisch. „Ich hatte dich nie für jemanden gehalten, der mordet, nur weil es ihm befohlen wird.“

„Ich hatte dich auch nie für jemanden gehalten, der zwei Jahre einfach so grundlos verschwindet.“ Gutes Argument. „Was mich angeht, so habe ich nie behauptet, ein guter Werwolf zu sein“, er grinste breit und zeigte damit seine blutverschmierten Zähne.

Harry spürte, wie ihm bei diesem Anblick schlecht wurde.
 

„Ich liebe töten. Ich liebe verletzen. Ich liebe Blut und ich liebe Menschenfleisch. Ich habe nur einmal in meinem Leben einen Menschen aus Wohltätigkeit zu einem Werwolf gemacht und dieser wird mich für alle Zeit dafür hassen.“

„Dass Remus dich immer wieder abweist, ist kein Grund dafür, deine Wut an unschuldigen Kindern auszulassen!“

„Dass du dem dunklen Lord das Herz gebrochen hast, ist auch kein Grund dafür, anderen Vorträge über ihre Gefühle und Taten zu halten.“

„Das Herz gebrochen?“, wiederholte Harry schnaubend. „Das glaubst du doch selber nicht.“
 

„Ich habe ihn gesehen“, entgegnete er schlicht. „Ich habe ihn jeden Tag gesehen. Ihn und seine Taten. Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aber du hast ihn zu einen gebrochenen Mann werden lassen. Nicht, dass es mich stören würde. Dank ihm kann ich nun in aller Ruhe meinen Tätigkeiten nachgehen und das alles unter dem Deckmantel eines großen Krieges.“

„Du bist doch vollkommen wahnsinnig.“

„Harry, wir alle sind wahnsinnig. Das ist einfach das Merkmal dieser Zeit. Aber was mache ich jetzt mit dir? Soll ich dich zum dunklen Lord bringen? Oder gleich selbst umbringen?“
 

Er trat einen Schritt vor und schnüffelte an ihm. „Ich habe mich schon immer gefragt, wie du schmecken würdest. Ich bin mir sicher, es wäre traumhaft. Und da du offiziell immer noch verschwunden bist und dein Körper sich nicht zurückverwandeln wird, wenn du jetzt stirbst, wird niemand wissen, dass du es bist, den ich getötet habe. Niemand könnte mir etwas vorwerfen.“

„Das ist doch nicht dein Ernst!“, flüsterte er, während er sich darüber bewusst war, dass hinter ihm immer noch Todesser dabei waren, die Winkelgasse in Schutt und Asche zu legen. Er hoffte nur, Severus und die Zwillinge hatten davon gewusst und würden verschont bleiben.
 

Allerdings war das Problem vor ihm etwas dringender. Fenrir sah wirklich so aus, als hätte er große Lust, ihn zu seinem Mittagessen zu machen und er wusste, dass Zauber und auch seine Fähigkeiten als TA nicht viel gegen einen Werwolf ausrichten konnten. Er hatte keine Chance gegen ihn. Soviel zum Thema, die Zeit würde auf ihn aufpassen.

//Vielleicht ist sie ja abgelenkt.//

Was auch immer sie ablenkte, er hoffte, dass es mindestens dreimal interessanter als er selbst war, ansonsten wäre er nämlich mehr als beleidigt.
 

Unauffällig ging er noch einen Schritt zurück, als auf einmal eine dunkle Gestalt vor ihm erschien und sich auf den Werwolf stürzte, während irgendjemand seine Hand nahm und ihn mit sich zog. Für einen Augenblick wollte er protestieren, als er erkannte, wer ihn da wohl gerade die Haut gerettet hatte. Na gut, vielleicht hatte die Zeit doch auf ihn aufgepasst.
 

„Du warst sehr unvorsichtig, Harry“, sagte Ronald Weasley und bahnte sich mit ihm einen Weg durch die Todesser, die nun offensichtlich gegen Mitglieder des Ordens kämpften. „Wir sind hier mitten in einem Bürgerkrieg. Da solltest gerade du nicht alleine herumlaufen.“

Harry konnte sich einen sarkastischen Kommentar einfach nicht verkneifen: „Und müsstest du nicht dem Auserwählten den Rücken decken?“
 

Der Rothaarige schnaubte. „Wenn er getötet wird, nur weil ich mal zwei Minuten nicht auf ihn aufpasse, hat er es nicht verdient, als Auserwählter bezeichnet zu werden.“

„Stimmt“, entgegnete er glucksend und duckte sich, als ein roter Zauber über ihn hinweg flog. „Dennoch, womit habe ich die Ehre verdient, dich als Beschützer zu bekommen?“

„Mit deiner eigenen Blödheit“, sagte er schlicht und stieß ihn in einen Laden. „Das Flohnetzwerk funktioniert. Was auch immer du tun musst, tu es. Aber lass dich ja nicht umbringen, verstanden?“

„Sind das deine Worte oder ist das ein Befehl von oben?“, fragte er amüsiert.

Ronald grinste breit. „Glaub mir, Harry, meine Worte wären um einiges vulgärer.“
 

Damit stürzte er sich in die Straßenschlacht. Harry beobachtete ihn kurz dabei, wie er mehrere Todesser außer Gefecht setzte und musste seine Fähigkeiten unwillkürlich bewundern. Egal, wie er es geschafft hatte, so gut zu werden, es hatte sich definitiv gelohnt.

Als jedoch ein Todesfluch direkt an Harrys Wange vorbeischoss, beschloss er, dass es an der Zeit war, zu verschwinden. Ohne noch einen weiteren Blick zurückzuwerfen, ging er zum Kamin und war kurz darauf verschwunden.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Draco hatte den Tag im Ministerium verbracht, obwohl er dort nicht gerne unterwegs war. Die Manipulation, die Intrigen, das Streben nach Macht, all das war einfach nichts für ihn. Er war kein Politiker, er war es nie gewesen, aber er würde es sein. Denn er war der einzige Erbe der Familie Malfoy und als solcher war es seine Pflicht.

Oh, wie sehr er sein Leben doch hasste.
 

Der einzige Lichtblick an diesem Tag war, dass Pansy nicht da sein würde. Da er erst spät nach Hause kam, hielt sie es nicht vonnöten, sich in Malfoy Manor aufzuhalten und blieb bei ihrer eigenen Familie. Was sollte sie auch dort, wo nur eine Frau im Wintergarten saß und kein Wort von sich gab?

Was sollte sie dort?

Was sollte er dort?

Warum war er eigentlich noch hier?
 

Schlecht gelaunt ging er zu seinem Zimmer, wo er sich umzog und über die Straßenschlacht nachdachte, die vor einigen Stunden in der Winkelgasse stattgefunden hatte. Das ganze Ministerium war in Aufruhr gewesen, als sie davon erfahren hatten und man hatte sofort eine Delegation Auroren dorthin geschickt, die allerdings nur einen Leichenberg und gefesselte Mitglieder des Phönixordens vorgefunden hatten. Die Todesser waren zu diesem Zeitpunkt schon längst verschwunden gewesen.

Überhaupt hatte es sich um einen sehr spontanen Angriff gehandelt, wenn man den Zwillingen glauben durfte, die Draco kurz darauf getroffen hatte. Sie selbst waren nicht einmal gewarnt worden, obwohl sie Todesser waren und dort einen Laden hatten.

Der dunkle Lord wurde wirklich immer unberechenbarer.
 

Draco selbst war nicht für den Angriff eingeteilt worden und er wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.

Natürlich würde er sich nicht darüber beschweren, so scharf war er wirklich nicht darauf, Gebäude zu zerstören, Menschen zu quälen und Todesflüche zu verteilen. Allerdings war es selten gut, wenn der dunkle Lord einem keine Aufgaben gab, da es oft bedeutete, dass man ihn irgendwie enttäuscht hatte und niemand, der auch nur ein wenig Verstand besaß, würde das riskieren.

Niemand außer Harry.
 

Seufzend stützte er sich auf seinem Waschbecken ab – er war ins Badezimmer gegangen, um etwas Wasser in sein Gesicht zu spritzen – und betrachtete sein Spiegelbild. Er sah nicht sehr malfoyhaft aus. Er war zu blass, seine Augenringe waren zu dunkel, sein Blick zu gehetzt, das Haar zu fahl. War er wirklich so in der Öffentlichkeit herumgerannt? Und hatte ihn wirklich niemand darauf aufmerksam gemacht? Schoben sie sein Aussehen auf die nahende Hochzeit und auf den damit verbundenen Stress? Oder wussten sie, wie es um seine Familie stand und hatten alle zu viel Mitleid, um ihn auch noch im Ministerium daran zu erinnern?
 

Ohne wirklich darüber nachzudenken, was er tat, griff er nach der Seife und schleuderte sie auf sein Spiegelbild. Mit einem vorwurfsvollen Klirren zerbrach es und die Glasscherben fielen als kleine, scharfe Geschosse auf das Waschbecken, das sich kurz darauf rot färbte. Draco wunderte sich zunächst darüber – wo kam denn auf einmal die rote Farbe her? – doch dann bemerkte er die Glassplitter, die sich in seine Hände gebohrt hatten und seine Verwirrtheit legte sich wieder.

Kurz dachte er daran, dass er sich verarzten müsste, nicht dass noch Narben zurückbleiben würden, doch dann ließ er sich einfach auf die kalten Fliesen sinken und starrte an die Decke.
 

Irgendwie kam ihm alles sinnlos vor. Seine Familie war am Ende und dieser Krieg würde ihn sowieso umbringen, wenn das nicht vorher Pansy erledigte. Eigentlich könnte er das auch einfach beenden. Es würde ihn ohnehin niemand vermissen. Seine Mutter war schon lange fort, sein Vater würde das ganze auch nicht mehr lange durchhalten, Blaise würde einen anderen Freund finden und Pansy wäre mit einem anderen Ehemann ohnehin viel besser dran.

Er sollte es wirklich beenden. Dann wäre es endlich vorbei.
 

„D... Draco?“

Die Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Er hörte sie trotzdem und verstand, was sie sagte und auch, was sie nicht sagte. Aber es musste ein Hirngespinst sein. Sie sprach nicht, schon lange nicht mehr. Oder vielleicht doch?

Langsam ließ er seinen Blick zur Tür gleiten und da stand sie, leichenblass und doch so wunderschön wie eh und je, während ihre Hände einen Brief umklammerten.

„Mutter“, flüsterte er.
 

Für einen Moment starrten sie sich einfach an, während wohl keiner von ihnen glauben konnte, was sie da gerade sahen. Doch dann stürzte Narcissa auf ihn zu – wobei sie den Brief nicht losließ – und kniete sich neben ihn. „Draco, was beim Barte des Merlin tust du da?!“, rief sie entsetzt und betrachtete seine Hände. „Willst du dich umbringen?!“

Anstatt ihr zu antworten, setzte er sich auf und sah sie an, als wäre sie eine Erscheinung. Was sie für ihn ehrlich gesagt auch war. Warum redete sie wieder? Warum war sie auf einmal wieder lebendig? Warum schimpfte sie ihn aus und sorgte sich plötzlich wieder um ihn?

Eigentlich gab es darauf nur eine Antwort.
 

„Mutter, von wem ist dieser Brief?“, fragte er leise.

Sie betrachtete ihn noch einmal besorgt, ehe sie ihm diesen in die Hand drückte.

Es war eine der Einladungen zu seiner Hochzeit mit Pansy. Allerdings war es nicht irgendeine Einladung, sondern die, die er Harry geschickt hatte.

Und dort, unter seiner privaten Nachricht an seinen Bruder standen vier neue Worte: Ich werde da sein.
 

Draco begann zu weinen.
 

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Das nächste Mal gibt es endlich die von euch allen herbeigesehnte Hochzeit von Draco und Pansy. Freut euch auf tränenreiche Dialoge, eine kitschige Trauung und eine heiße Hochzeitsnacht, in der... ups, das hier ist ja gar keine Draco/Pansy-FF.

Na ja, dann gibt es eben nur eine kitschige Hochzeit, tränenreiche Dialoge und ein Wiedersehen der Familie Malfoy. Außerdem munkelt man, dass Thomas Mask auf der Hochzeit sein soll.

Mal sehen, was an diesem Gerücht dran ist...

I've always envied you

Vielen Dank – wie immer – an alle Reviewer, Leser und meine Beta. <3

Dieses Mal gibt es ein eher heiteres Kapitel, untermalt mit einer beinahe kitschigen Sentimentalität und einer Brise von Harrys Sarkasmus.

Ja, ich habe es wirklich gerne geschrieben.
 

P.s.: Für alle, die einen Soundtrack dafür wollen, bei der Korrektur habe ich „New Age“ von Marlon Roudette gehört...

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I've always envied you
 

Harry beobachtete schweigend, wie die Gäste wohlgeordnet und in bester Stimmung zum Eingang von Malfoy Manor liefen und dort ihre Einladungskarten vorzeigen mussten, um Eintritt zu erhalten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren wirklich beeindruckend. Mehrere Schutzwälle waren um das Gebäude gespannt worden von denen er annahm, dass auch der dunkle Lord daran beteiligt war. Die Eingänge rund um das abgesperrte Gebiet wurde von einer strengen Security bewacht, die niemand Unerwünschtes hereinlassen würde. Außerdem ging das Gerücht um, dass riesigen Wachhunde an der Grenze patrouillierten und alles und jeden zu Kleinholz verarbeiteten, der sich unerlaubt Zutritt verschaffte.
 

Die Hochzeit eines Malfoys war ein öffentliches Ereignis. Ganz England und auch ausländische Gäste würden da sein, um sie zu bezeugen und über das Hochzeitskleid der Braut zu tratschen. Es war die perfekte Gelegenheit für Unruhestifter – und einen Angriff gegen die schwarzmagische Schiene der Gesellschaft – weshalb man sich nicht einmal vorstellen wollte, unter welchem Druck die Familien Malfoy und Parkinson heute stehen würden. Wenn etwas schief lief, wären sie daran Schuld.

Hoffentlich würde alles gut gehen.
 

Für dieses freudige Event der Extraklasse hatten sich alle mehr als edel herausgeputzt. Schicke Frisuren, atemberaubende Ballkleider, edle Anzüge – jeder vom kleinsten Kind bis ältesten Greis hatte sich in Schale geworfen und schien den jeweils anderen übertreffen zu wollen. Daran hatten sie auch ihre Sprache angepasst, alle redeten hochtrabend und verwendeten ein Vokabular, bei dem man sich sicher sein konnte, dass sie nicht einmal selbst wussten, was die Worte bedeuteten. Aber immerhin klang es beeindruckend.
 

Felice, die gemeinsam mit ihm und Regulus darauf wartete, endlich zum Eingang vorzustoßen, amüsierte das ganze ungemein. Zumindest schloss Harry das aus ihren zuckenden Mundwinkeln, wann immer jemand in ihrer Nähe ein hochtrabendes Wort losließ.

Sie trug ein mitternachtsblaues Kleid mit Korsett und einen langen, auf den Boden reichenden Rock. Ihr Haar fiel offen auf ihre nackten Schultern und eine wunderschöne Kette, die wahrscheinlich ein kleines Vermögen wert gewesen war, vervollständigte das Bild. Harry war sich sicher, dass sie die einzige auf dieser Veranstaltung war, die auch nur ansatzweise mit der Braut würde konkurrieren können und an den Blicken der umstehenden Männern, war er nicht der einzige mit dieser Meinung.
 

Dies blieb Regulus natürlich nicht verborgen, der deshalb einen Arm um sie gelegt hatte und sie besitzergreifend an seiner Seite hielt. Hach, Liebe war schon was schönes. Da fiel ihm ein, Thomas Mask würde sicher irgendwo dort drinnen herumstolzieren. Das wiederum bedeutete, dass ihr erstes Zusammentreffen nach zwei Jahren vor aller Augen stattfinden würde – was sowohl gut als auch schlecht war.

Er hatte keine Ahnung, wie er selbst darauf reagieren würde, ihn wiederzusehen beziehungsweise wie Thomas reagieren würde, vom dunklen Lord einmal abgesehen, aber eines konnte er mit Sicherheit sagen: Er würde ihn nicht foltern. Nicht während dutzende von Zeugen um sie herum stehen würden. Hoffte er zumindest.
 

„Wenn ich du wäre, würde ich mir mehr Sorgen um Draco machen. Du bist zwei Jahre weg gewesen und seiner Familie ging es in diesen zwei Jahren mehr als bescheiden. Wenn ich er wäre, würde ich dich so richtig schön verprügeln“, meinte Felice munter.

„Vielen Dank für deine motivierenden Worte“, sagte er sarkastisch, woraufhin sie kicherte.
 

Regulus, der sich normalerweise aus ihren Dialogen heraushielt, sah sich gezwungen, ausnahmsweise seinen Senf dazuzugeben: „Felice hat Recht. In den Augen deiner Familie muss dein Verhalten sehr egoistisch gewesen sein.“

„Was es auch gewesen ist“, warf Felice dazwischen.

Regulus ignorierte sie. „Sie kennen nicht die ganze Geschichte und werden dementsprechend reagieren. Lucius mag dir vielleicht bedingungslos vertrauen, da er weiß, was du für eine Aufgabe hast und Narcissa wird blind vor Mutterliebe sein, aber Draco... nun, du kannst den Satz wohl selbst am besten beenden.“
 

Das konnte er tatsächlich. Somit würde er es also mit einem wütenden Bruder und einem noch wütenderen dunklen Lord zu tun haben. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, gerade am Tag der Hochzeit zurückzukehren, aber für Bedenken war es jetzt zu spät.
 

Felice schien seine Entscheidung zu tolerieren, da sie sich nun bei ihm unter hakte und sie so gemeinsam auf die Security zuschritten. Diese bestand – an diesem Eingang – aus zwei großen, bulligen Männern in dunkler Kleidung, die jeden Ankömmling mit Blicken erdolchten und sich das hier wohl nur antaten, weil die Bezahlung großzügig war.

Als einer von ihnen ihre Einladungen überprüfte – Felice war als Regulus' Begleitung gekommen – wurden sie argwöhnisch betrachtet, besonders Harry, der dummerweise seine eigene Einladung zu Draco zurückgeschickt hatte und deshalb ebenfalls als Begleitung durchgehen musste. Oder – im Idealfall – als ein Mitglied der Familie Malfoy.
 

Offenbar schien der Mann nicht sonderlich kooperativ zu sein: „Man darf nur eine Begleitung mitbringen, Sir.“

Regulus blinzelte. „Aber der junge Mann vor uns“, der sicher über achtzig gewesen war, „durfte auch mehrere Personen mit hineinnehmen.“

„Das kommt daher, dass es seine Kinder gewesen waren“, sagte der Mann mürrisch. „Außerdem war es auf der Karte verzeichnet gewesen. Bei Ihnen dagegen steht: 'Regulus Black und Begleitung'. Das heißt, Sie werden sich entscheiden müssen, ob sie lieber mit einem Mann oder einer Frau gesehen werden wollen.“

„Aber...“

„Kein aber. Ich mache auch nur meinen Job, Sir, also bitte entscheiden Sie sich. Es geht nur einer als Begleitung durch, die andere Person wird draußen bleiben müssen.“
 

Bevor es zur nächsten Phase der Verhandlung kommen konnte – Schmeicheleien, Bestechung, Drohungen, Gewalt – legte von hinten jemand eine Hand auf Harrys Schulter. „Dann wird der junge Mann als meine Begleitung mitkommen“, sagte eine tiefe Stimme und eine Einladung wurde vorgelegt.
 

Alle vier drehten sich zu dem Neuankömmling um. Es war Rufus Scrimgeour. Mit kühlem Blick war er hinter Harry getreten und strahlte dabei so viel Autorität aus, dass er damit selbst dem dunklen Lord Konkurrenz machte. Harry hatte ihn immer gemocht. Er besaß die perfekte Mischung aus Freundlichkeit und Brutalität – perfekt für seine Position im Ministerium.
 

Der Security-Mensch schien über diese Entwicklung nicht sonderlich begeistert zu sein, aber da sich hinter ihnen inzwischen eine ziemlich lange Kette gebildet hatte, ließ er sie passieren.
 

„Lange nicht gesehen, Mr. Potter“, sagte Rufus freundlich, während sie durch eine kleine Allee mit blühenden Kirschbäumen liefen. Blühende Kirschbäume... dabei war es weder die richtige Jahreszeit, noch hatten hier jemals welche gestanden. Harry fragte sich, auf wessen Mist das gewachsen war. Narcissa und Draco hatten eigentlich etwas mehr Stil, was bedeutete, dass bei ihnen Schönheit so natürlich wirkte, dass sie nicht übermäßig auffiel. Was hier sicher nicht der Fall war.

Nun, er selbst war glücklicherweise nicht für die Dekoration verantwortlich. Schandhaft war es trotzdem.
 

„Es stimmt, Mr. Scrimgeour, es ist lange her“, sagte er höflich und warf dem Mann einen forschenden Blick zu. Was versprach er sich wohl davon, ihm zu helfen? „Es ist sehr freundlich, dass Sie mir den Eintritt ermöglicht haben, ohne dass ich großes Aufheben darum machen musste, wer ich bin.“

Es wunderte ihn überhaupt, dass das bisher noch keinem aufgefallen war. Heute war er ausnahmsweise als Harry Potter hier, als Adoptivbruder des Bräutigams, als die Person, die zwei Jahre lange vermisst wurde. Nicht, dass er Aufsehen erregen wollte, aber die ein oder andere Reaktion hatte er sich doch erhofft.
 

„Kein Problem“, sagte Rufus abwinkend und lächelte ihn an. „Ich wollte ursprünglich meine Frau mitnehmen, aber sie liegt mit einer Zaubergrippe im Bett, weshalb ich alleine kommen musste. Als ein Mitglied des Ministeriums ist es dummerweise meine Pflicht. Und so konnte ich wenigstens eine gute Tat vollbringen und den verlorenen Sohn zurückbringen.“

„Ja, Sie sind wirklich ein Held“, meinte Harry trocken, was seinen Gesprächspartner zum Glucksen brachte. Eine kranke Frau also. Interessante Geschichte. „Sie sind immer noch Chef der Aurorenzentrale, nicht wahr?“
 

„In der Tat“, entgegnete der Mann und wandte sich nun Regulus und Felice zu, die mit ihnen gelaufen waren. War das Höflichkeit oder wollte er einem weiterführenden Gespräch mit ihm ausweichen? „Mr. Black, es ist schön, Sie wiederzusehen und Sie sind...“

„Felice Poulain“, sagte diese mit ihrem strahlendstem Lächeln und schüttelte ihm die Hand. „Es ist mir eine große Freude, Sie kennenzulernen.“

„Mir ist es ebenfalls eine Freude“, sagte er höflich und war kurz darauf mit Regulus in einer politischen Debatte versunken. Offenbar wollte er tatsächlich nicht mit ihm sprechen. Aus mangelndem Interesse oder...?

//Lass es sein. Es bringt sowieso nichts, darüber nachzudenken.//

Stimmt.
 

So durchquerten sie wie alle anderen die Allee und kamen kurz darauf zu einem riesigen Festzelt, wo höchstwahrscheinlich die Trauung stattfinden würde. Davor stand eine kleine Armee von Bediensteten, die extra für diesen Tag angestellt worden waren und jeden zu ihren Plätzen führten, damit jeder die Trauung des Jahres beobachten würde können.

Überwacht wurde das Treiben von einer Blondine, deren Alter schwer einzuschätzen war, aber sicher jenseits der zwanziger lag. Obwohl er sie noch nie zuvor gesehen hatte, wusste er, wer sie war und Felice, die sich wieder bei ihm unter harkte, bestätigte seine Vermutung: „Das ist Bellatrix Lestrange. Sie heißt heute Bella Malfoy und ist eine entfernte Verwandte von Lucius. Sie steht nur hier, um nach dir zu suchen.“

„Von meiner Familie oder von ihm aus?“, fragte er leise.

Felice lächelte nur.
 

Kurz darauf kamen sie in Bellas Blickfeld. Sobald sie Harry erkannte, hörte man ein lautes Kreischen, bei dem alle Umstehenden zusammenzuckten und ein paar Augenblicke später wurde Harry an eine – auch in dieser Gestalt – monströse Brust gepresst. „Harry! Du bist endlich wieder Zuhause!“

Felice, Regulus und Rufus nutzten diesen Moment, um sich klammheimlich aus dem Staub zu machen – typisch Freunde, aber Rufus konnte er es nicht verdenken, der Mann wollte wahrscheinlich einfach nur wieder zurück zu seiner kranken Frau.
 

Allerdings wäre es wirklich nicht zu viel verlangt gewesen, wenn einer von ihnen Bella darauf hingewiesen hätte, dass sie ihn gerade erstickte, oder? „Bella... keine... Luft!“

„Oh, entschuldige!“, rief sie und ließ ihn sofort los. „Komm mit, ich bring dich zu Draco, er wartet auf dich, er weigert sich, diese Hochzeit zu beginnen, bevor du da bist.“

„Tatsächlich?“ //Da ist wohl mal wieder jemand die Dramaqueen hoch zehn. Wäre das heute nicht eigentlich die Rolle der Braut?//
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Draco war wirklich fertig mit den Nerven.

Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief er in seinem Zimmer hin und her und ignorierte beide Elternteile, die auf ihre Art und Weise versuchten, ihn zu beruhigen. Tatsächlich waren die drei so beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, wie Harry mehrere Minuten lang am Türrahmen stand und das ganze beobachtete. Schließlich beschloss er, dass es das beste wäre, auf sich aufmerksam zu machen, weshalb er laut an die Tür klopfte. Sofort schossen drei Köpfe herum und er wurde angestarrt.
 

Narcissa und Lucius sahen sofort so aus, als wären Ostern und Weihnachten zusammengefallen und waren wahrscheinlich kurz darauf, sich auf ihn zu stürzen, um ihn zu Tode zu knuddeln, aber Draco kam ihnen zuvor. Ohne darauf zu achten, dass es absolut nicht malfoyhaft war und er sich damit wie ein Mädchen verhielt, warf er sich ihm um den Hals und schluchzte herzzerreißend. „Du verdammter Idiot!“, schniefte er, während er sich fest an ihn drückte. „Warum hast du nur so verdammt lange gebraucht?!“

„Es tut mir Leid“, sagte er leise und erwiderte die Umarmung vorsichtig. „Aber die Security wollte mich nicht reinlassen.“
 

Damit brachte er alle drei zum glucksen und Draco löste sich sogar von ihm und sagte mit arroganter Miene: „Das kommt davon, wenn man seine Einladung zurückschickt, Potter. Wirklich, die hatten mir gesagt, du hättest Verstand.“

„Sieht so aus, als hätten sie sich geirrt“, meinte er grinsend.

Sein „Bruder“ erwiderte das Grinsen, ehe er ausholte und ihm mit der Faust in die Wange schlug. Autsch, das tat weh.

„Draco!“, rief Narcissa empört, während dieser ihn ernst ansah. „Wenn du das noch einmal machst, Harvey, bring ich dich um. Verstanden?“
 

Er rieb sich die Wange und lächelte leicht. „Sehr deutlich, Bruderherz. Obwohl ich anmerken sollte, dass sogar ein Mädchen besser zuschlagen kann als du.“

„Mach so weiter und ich zeig dir, dass kein Mädchen besser zuschlagen kann als ich“, zischte Draco, grinste aber breit, was seine Drohung zu Nichte machte. Offenbar war seine Wiedervereinigung mit seinem Bruder besser gelaufen, als gedacht.
 

Dieser drehte sich nun zu seinen Eltern um. „Könnt ihr uns allein lassen?“

Lucius nickte langsam, während Narcissas Augen sorgenvoll wurden. „Aber...“

„Wir haben nachher sicher genügend Zeit, miteinander zu reden“, sagte Harry sanft. „Oder in den nächsten Tagen. Ich werde nicht wieder einfach so verschwinden. Versprochen.“

„Das würde ich dir auch raten“, sagte Lucius verstimmt. „Du hast dir ohnehin zu viel Zeit gelassen.“ Er ging zur Tür und klopfte ihm beim Weg nach draußen auf die Schulter. „Es ist gut, dass du wieder da bist.“

Harry lächelte leicht. „Ich habe dich auch vermisst, Lucius.“

Der Mann hielt kurz inne, ehe er langsam weiterging und den Raum verließ.
 

Seine Frau zögerte noch einen Moment, in dem sie Harry fest ansah. „Du wirst auch wirklich bleiben?“

Aus einem Impuls heraus ging er auf sie zu, nahm ihre rechte Hand und küsste sie sanft. „Ich verspreche es dir, Mutter.“

Ihre Augen huschten prüfend über sein Gesicht, ehe sie nickte und ebenfalls den Raum verließ.
 

Es war ein Hochzeitsgeschenk. Das wusste er genauso gut wie Draco. Wenn der Blonde heute nicht heiraten würde, hätten die beiden darauf bestanden, zu bleiben, um Harry verhören oder – in Narcissas Fall – einfach nur umarmen zu können. So jedoch gehörten diese letzten Momente des Junggesellendaseins den beiden Brüdern. Harry war etwas überrascht, dass tatsächlich er diese Ehre bekam. Entweder lag es daran, dass sie sich zwei Jahre nicht gesehen hatten oder...
 

„Ich mache einen Fehler, oder?“

Harry sah zu ihm hinüber und betrachtete ihn. Der Malfoy hatte sich auf sein Bett gesetzt und starrte mit zusammengepressten Lippen auf seine neuen, polierten Schuhe. Seine Hände hatte er in seine weiße Hose gekrallt. Weiß, die Farbe der Hochzeit. In südlichen Ländern war es die Trauerfarbe. Ein wirklich köstlicher Zusammenhang. Dummerweise waren Farben momentan nicht das Thema.
 

Er setzte sich neben Draco und ließ sich mit den Rücken auf das Bett fallen. Dass dabei sein Umhang höchst wahrscheinlich zerknittert und seine Haare durcheinander gebracht wurden, war ihm egal. Wenn man wusste wie, konnte man das alles wieder richten. Mit einem zufriedenen Seufzer streckte er die Arme von sich und starrte an die Decke über ihn.

„Erinnerst du dich noch daran, wie wir als Kinder genau auf diesem Bett saßen und du mir unter die Nase gehalten hast, dass du eine Verlobte hast, während ich noch nicht einmal ein vollwertiges Mitglied der Familie Malfoy war?“

„Das war so kindisch... ich hätte das nicht tun sollen“, entgegnete der andere, ohne sich aus seiner deprimierten Haltung zu lösen.
 

Harry jedoch lachte leise. „Natürlich war es kindisch. Wir waren damals immerhin Kinder, es wäre seltsam, wenn wir uns wie Erwachsene verhalten hätten. Damals habe ich dich wirklich beneidet.“

Er machte eine Kunstpause, in der sich sein Bruder tatsächlich zu ihm umdrehte und ihn verdutzt ansah. Also fuhr er fort: „Du sahst so glücklich aus und du hast dich wirklich gefreut. Für dich gab es damals nichts größeres, als eines Tages in Lucius' Fußstapfen zu treten und eine schöne Reinblüterin an deiner Seite zu haben, mit der du... ich glaube es waren zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen – bekommen würdest.

Du warst so glücklich und es hat dich auch über die Tatsache hinweggetröstet, dass du kaum lesen konntest und Abraxas es aufgegeben hatte, dir das Cellospielen beizubringen. Du glaubst nicht, wie sehr ich dich beneidet habe.“
 

„Aber warum solltest du das getan haben?“, fragte Draco absolut verblüfft. „Du bist doch immer so verdammt talentiert gewesen, hast alles ohne Probleme hinbekommen und sowohl Großvater, als auch Mutter haben auf dich größere Stücke gesetzt, als sie es bei mir jemals tun werden.“

„Da hast du Recht, aber denkst du, ich wollte irgendetwas davon? Ich wollte nie ein Genie oder talentiert sein. Ich wollte nicht, dass irgendjemand irgendwelche Erwartungen in mich setzt. Ich wollte einfach nur ein ganz normaler Junge sein, der von seinem Vater mit auf die Arbeit genommen wird und irgendwo vielleicht ein hübsches Mädchen hat, das ihn anhimmelt. Ich wollte genauso glücklich sein wie du.“
 

„Harry...“, flüsterte Draco entsetzt. Damit hatte er offenbar nicht gerechnet.

Seufzend setzte er sich nun wieder auf und sah ihn ernst an: „Was ich damit sagen will, Draco: Ja, du machst einen Fehler. Wahrscheinlich wirst du es tausendmal bereuen. Aber das ändert nichts daran, dass es mal einen kleinen Jungen gegeben hat, der sich das alles hier erträumt hatte und vielleicht wirst du eines Tages in der Zukunft aufwachen und merken, dass dieser Junge immer noch da ist und du doch die richtige Entscheidung getroffen hast.“ Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und lächelte. „Also hör auf, hier wie ein deprimierter Kloß herumzusitzen. Du heiratest heute, das ist in der Regel ein Grund zur Freude. Darüber weinen kannst du hinterher immer noch.“
 

Mehrere Sekunden lang wurde er einfach nur angesehen, dann sprang Draco mit einer energischen Bewegung auf und reckte den Kopf. „Also eines ist klar, Potter, deine Reden sind genauso herzzerreißend wie vor zwei Jahren. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss zu meinen Trauzeugen. Du warst ja nicht da, um dich um den Posten zu bewerben.“

„Ach, das macht nichts“, meinte Harry munter und erhob sich ebenfalls, wobei er seinen Umhang wieder glatt strich. „Ich werde mich einfach von meinem Platz aus an deinem gequälten Gesichtsausdruck erfreuen.“
 

Als Antwort kam ein Kissen in seine Richtung geflogen.
 

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Draco selbst führte Harry zu seinem Stuhl in der ersten Reihe – direkt neben Narcissa – ehe er gemeinsam mit Blaise nach vorne ging, um auf seine Braut zu warten. Der Stuhl auf seiner anderen Seite war frei und er wollte lieber nicht darüber nachdenken, wer da eventuell gleich sitzen könnte.
 

Das Festzelt, das einzig zum Zweck der Trauung aufgestellt worden war, war eindeutig auf Pansys Mist gewachsen. Rosa dominierte das Farbschema und einzig die um einiges schlichteren Kleider und Anzüge der Gäste hielten Harry davon ab, sich bei diesem Anblick zu übergeben. Vielleicht hätte er seinem Bruder diese ganze Hochzeit doch ausreden sollen.
 

„Es ist grauenvoll, nicht wahr?“, fragte eine sanfte Stimme und im nächsten Augenblick ließ sich kein geringerer als Thomas Mask auf dem freien Stuhl neben ihm nieder. Na vielen Dank auch, das hatten sie hundertprozentig absichtlich gemacht.

„Was ist grauenvoll? Die Hochzeit oder die Dekoration?“, entgegnete Harry, während er sich darüber bewusst war, dass wahrscheinlich sämtliche Augen auf sie gerichtet waren. Die Nachricht, dass er „heimgekehrt“ war, hatte bereits die Runde gemacht und jetzt brannten die Klatschtanten wahrscheinlich nur darauf, herauszufinden, wo er gewesen war.
 

Es fühlte sich wirklich toll an, wieder Zuhause zu sein. Er sollte sich daran erinnern, wenn er das nächste Mal in einen Angriff auf der Winkelgasse geriet, so hätte er dann wenigstens einen Grund weiterzuleben. Es wäre immerhin grauenhaft, wenn all diese Leute nichts mehr zu tratschen hätten.
 

Thomas gluckste leise, während Narcissa seufzte und die Leute, die hinter ihnen saßen, auffallend ruhig geworden waren. Ein weiterer Grund, warum es nichts schöneres als das hier gab: Alle Gespräche waren so privat, dass bald das ganze Festzelt jedes Wort wiederholen würde können. Das war übrigens der einzige Grund, warum Harry nicht die Flucht ergriff.
 

In seiner Zeit in Frankreich hatte er den Werdegang von Thomas Mask – dem Alias, das Tom sich zugelegt hatte, um im Ministerium Fuß zu fassen – genau verfolgt und wusste deshalb, dass ihm nichts ferner lag, als mit dem dunklen Lord in Verbindung gebracht zu werden. Das bedeutete, dass er den gutmütigen, freundlichen, zielstrebigen – und mit etwas Glück verliebten – jungen Politiker spielen würde und von dem hatte er wenig zu befürchten. Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, den ganzen Tag irgendwelche Zeugen um sich zu haben und er würde das ganze ohne Probleme genießen können.
 

Dummerweise kannte er Tom gut genug, um zu wissen, dass er einen Weg finden würde, Harry von der Festtagesgesellschaft zu entfernen und ihm genau zu zeigen, was er von seiner „Flucht“ hielt und diese Tatsache bereitete ihm Magenschmerzen. Allerdings glaubte er nicht, dass er in Lebensgefahr war, ansonsten hätten Narcissa, Lucius und Draco ihn aus dem Haus geworfen und zurück nach Frankreich geschickt – hoffte er zumindest.
 

„Es ist mehr die Dekoration“, sagte Thomas amüsiert und lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück. „Die Hochzeit an sich ist ein freudiges Ereignis, nicht zuletzt, da sie dich hierher getrieben hat. Du hast uns allen mit deiner langen Abwesenheit sehr viel Sorge bereitet.“

Harry schenkte ihm ein schiefes Lächeln, während seine Augen aufmerksam über sein Gesicht glitten. „Wenn mein geliebter Bruder mich quasi auf den Knien anfleht, zu seiner Hochzeit zu erscheinen, kann ich kaum ablehnen. Ansonsten hätte ich immerhin diesen einzigartigen Anblick verpassen müssen.“

„Das gequälte Gesicht deines Bruders?“

„Nein, dieses rosarote, riesengroße Herz, das hinter dir an der Wand angebracht worden ist.“ Er runzelte die Stirn. „Irre ich mich oder war das gerade noch nicht da?“
 

„Das war Pansys Idee“, sagte Narcissa und begutachtete das Herz missbilligend. „Es spürt offenbar die Liebe zwischen zwei Menschen und verfolgt die beiden solange, bis die beiden ihre Liebe öffentlich gemacht haben.“

Thomas sah so aus, wie Harry sich fühlte, aber beide waren klug genug, ihren Mund zu halten. Stattdessen beäugte der Jüngste der drei das Herz misstrauisch. „Ich hoffe nur, dass es nicht mich verfolgt.“

„Warum, bist du etwa verliebt?“, erkundigte sich Thomas in einem auffallend uninteressierten Tonfall.
 

Harry schnaubte. „Nein, aber diese Dinger sind dafür bekannt, nie richtig zu funktionieren. Am Ende denkt es noch, ich würde auf Albus Dumbledore stehen.“ Eilig drehte er sich um und ließ seinen Blick über die Gäste gleiten, was die Lauscher hinter ihnen zum Anlass nahmen, eilig ein Gespräch über das neuste Rezept in der Hexenwoche zu beginnen. Also wirklich, noch auffälliger konnten sie es nicht machen, oder? Doch anstatt sich darüber aufzuregen, fragte er an seine Mutter gewandt: „Ist er eigentlich hier?“

„Er wurde eingeladen“, entgegnete sie, während ihre Mundwinkel verdächtig zuckten.

„Verdammt“, murmelte Harry, woraufhin seine beiden Gesprächspartner glucksten.
 

„Keine Sorge, Harry, wir beschützen dich vor dem großen, bösen Schulleiter mit dem langen Bart und dem unmöglichen Geschmack für Mode“, versprach Thomas amüsiert.

„Ich bin gerührt“, entgegnete er trocken. „Wo ist eigentlich Lucius? Soweit ich informiert bin, ist er nicht der Vater der Braut und müsste demnach mit uns hier sitzen und darauf warten, dass sein Sohn ein für alle Mal seine Männlichkeit verliert.“

„Harry“, sagte Narcissa tadelnd, doch die Lauscher aus den hinteren Reihen kicherten unisono. War das wirklich so amüsant gewesen? Offensichtlich.
 

„Entschuldige, Mutter“, sagte er sanft. „Ab jetzt werde ich meine Kommentare für mich belassen und damit aufhören, die Stimmung heben zu wollen.“

„Sehr lieb von dir“, meinte sie und berührte flüchtig seine Hand. „Es ist so schön, dich wieder zu haben“, sagte sie so leise, dass nur er es hören konnte. Er begnügte sich auf ein Lächeln als Antwort und fragte sich insgeheim, wie lange sie etwas von ihm haben würde. Letztendlich kam es wohl ganz auf die Laune des dunklen Lords an, sobald er ihn alleine erwischte – und auf das Glück.
 

Verstohlen sah er Thomas an. Eigentlich war es lächerlich, dass er tatsächlich zwischen „Thomas“ und „Tom“ unterschied, aber... sie waren verschieden. Thomas war der perfekte Freund, anders konnte man es nicht sagen. Freundlich, witzig, zuvorkommend, fürsorglich und in der Öffentlichkeit furchtbar romantisch. Darüber hinaus war er ein brillanter Diplomat und im Ministerium sicherlich bereits als geselliger Kollege bekannt. Man durfte auch sein Aussehen nicht vergessen. Etwas größer als Harry, schwarzes Haar, ein selbstbewusstes Auftreten – all das machte ihn zu einer überaus lohnenden Partie.
 

Harry mochte ihn nicht sonderlich. Es war der dunkle Lord, in den er sich verliebt hatte und nicht diese lächerliche, friedliche Maske. Auch wenn er mit ihm nicht immer übereinstimmte, war es der kühle, sarkastische, arrogante, selbstsüchtige, besitzergreifende Stalker, der ihn – so kitschig es auch klingen mochte – verzaubert hatte. Oder mit anderen Worten: Sein wahres Ich.
 

Aus diesem Grund würde er erst beruhigt sein, wenn er wusste, was Tom von der ganzen Sache hielt. Dass Thomas sie vorerst überging, war ein gutes Zeichen, da es bedeutete, dass sie in der Öffentlichkeit weiterhin liiert bleiben sollten – zumindest vermutete er es.

Aber das hieß nicht, dass ihn kein Cruciatusfluch treffen könnte. Ein Wutanfall wäre durchaus angebracht, nach allem, was er getan hatte.
 

Der Mann bemerkte seinen Blick und erwiderte ihn schweigend. Seine Augen musterten Harrys Gesicht kühl, aber er glaubte, ganz weit hinten die alte Wärme zu sehen, die vor zwei Jahren stets da gewesen war. Vorsichtig ließ er seine Hand in Thomas' gleiten und drückte sie vorsichtig, während er sich umwandte, um dabei zuzusehen, wie Lucius auf sie zugeeilt kam und kurz darauf die Braut das Festzelt betrat.
 

Als Thomas seinen Händedruck erwiderte und die Hochzeitsmusik begann, fing er das erste Mal an zu glauben, dass seine Zukunft vielleicht doch nicht so schlimm sein würde, wie er es sich ausgemalt hatte.
 

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Ob er Recht hat, erfahren wir im nächsten Kapitel, denn dann gibt es das Harry/Tom-Gespräch... oh je...

*wink*

Graveyard Talking

Ausnahmsweise gibt es diesmal schon mitten in der Woche ein neues Kapitel. Aber nur ausnahmsweise.

Deshalb danke ich an dieser Stelle allen Kommischreibern, sonstigen Lesern und vor allen anderen wie immer meiner Beta Robino. *sie knuddel*
 

In diesem Kapitel gibt es noch mehr von Pansys Deko, ein Gespräch mit Dumbledore und wunderbare Beschreibungsübungen, die sich von mal zu mal schlimmer anhören.

Viel Spaß damit. <3
 

P.s.: Warnungen für dieses Kapitel: Pansyhafte Dekoration, Folter und – ich hasse mich dafür – Slash. Für alle, die das nicht mögen: keine Sorge, noch ist es jugendfrei...
 

P.p.s: Harry ist übrigens achtzehn, falls es jemand vergessen haben sollte. ^^

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Graveyard Talking
 

Diese Hochzeit war tatsächlich sehr von Pansy geprägt worden. Anders konnte Harry es sich zumindest nicht erklären, warum es einen Schokoladenbrunnen, Eisskulpturen – die durch einen Zauber nicht schmolzen – Schlittschuh laufende Eisbären, rosarote Tischdecken und diese grauenvolle Geigenmusik gab. Auch die Hauselfen, die sich zwischen den Tischen hindurch schlängelten, trugen rosa Schürzen mit einem roten „I love you“ auf der Brust und sahen dabei mehr als unglücklich aus.

Aber all das wäre erträglich gewesen, hätte es nicht diese scheußlichen Herzen gegeben, die hinter einem herflogen und einen dazu bringen wollten, sich in die nächstbeste Person zu verlieben. Die jungen Singles aus Dracos und Pansys Freundeskreis machten sich einen großen Spaß daraus, aber Harry fand es einfach nur nervig.
 

Die Gäste schienen sich jedoch nicht sonderlich daran zu stören. Fröhlich drehten die Paare auf dem Tanzparkett ihre Runden und überall unterhielt man sich prächtig. Regelmäßig waren Lacher und aufgesetzt entsetzte Rufe zu hören, wenn eine weitere Tratschgeschichte ihren Anfang nahm. Zwischendurch ging jeder einmal zu dem frisch getrauten Brautpaar, um ihnen zu gratulieren oder Pansys zugegebenermaßen beeindruckendes Kleid zu bewundern.

Harry selbst hielt es für außerordentlich unpraktisch, da es eine sieben Meter lange Schleppe besaß, aber davon abgesehen war es überraschend schlicht und elegant, ganz wie es sich für die neue Mrs. Malfoy gehörte.
 

Ihre Mutter saß gut gelaunt in der Nähe und erzählte jedem, der es hören wollte, wie stolz sie auf ihr kleines Mädchen sei.

Sie hatte auch allen Grund dazu. Die Familie Malfoy war alt, einflussreich und wohlhabend. Dort einzuheiraten war immer eine gute Partie, besonders wenn man die Frau des einzigen Erbens wurde. Pansy war für den Rest ihres Lebens versorgt, außer wenn dieser Krieg alles zerstören würde. Aber vielleicht gab es ja noch Hoffnung. Vielleicht.
 

Vorsichtig spähte er zu Thomas hinüber, der sich ein paar Tische weiter mit ein paar Ministeriumsangestellten unterhielt. Nach der Trauung hatte er sich sofort von Harry entfernt und seitdem kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Es war zunächst etwas verstörend gewesen, besonders wenn er bedachte, wie er sich im Festzelt ihm gegenüber verhalten hatte, aber wahrscheinlich war das ein Zeichen dafür, dass er nicht vergessen hatte, was passiert war und dass die Vergeltung noch kommen würde. Großartig. Er konnte es kaum erwarten.
 

Unweit von Thomas saß Rufus Scrimgeour mit ein paar Aurorenkollegen zusammen an einem Tisch. Harry bemerkte mit einer gewissen Zufriedenheit, dass Alastor Moody nirgends zu sehen war. Der Ex-Auror war dafür bekannt, sich keine Gelegenheit entgehen zu lassen, um die Feierlichkeiten schwarzmagischer Familien aufzusuchen und eine deprimierende Stimmung zu verbreiten. Wahrscheinlich hatte die Familie ihn auf die „Diese Personen haben keinen Zutritt“-Liste gesetzt. Eine sehr kluge Entscheidung.
 

Weißmagier waren ebenfalls spärlich gesät. Ein paar Ministeriumsarbeiter, einige Bekannte, der ein oder andere Lehrer aus Hogwarts, das war es. Von der Familie Weasley waren augenscheinlich nur die Zwillinge eingeladen worden, die sich momentan mit Draco unterhielten und Harry aus dem Weg gingen. Sie nahmen es ihm scheinbar übel, dass er sich ihnen bei seinem Besuch in der Winkelgasse nicht offenbart hatte. Er konnte es ihnen nicht verdenken und würde einfach warten, bis sie bereit waren, ihm zu verzeihen.
 

Seine biologische Mutter war nicht eingeladen worden, genauso wenig wie Neville oder Hermione. Demnach war die Person, die neben Harry saß, eine große Überraschung gewesen.

„Es ist nicht so, als ob es mich stören würde“, sagte er und riss seinen Blick von Thomas los, um seinen Gesprächspartner anzusehen, „aber seit wann verstehst ausgerechnet du dich mit der Familie Malfoy?“
 

James Potter schenkte ihm ein breites Grinsen, bevor er an seinem Glas nippte. Erst, als er herunter geschluckt hatte, antwortete er ihm: „Ich gebe zu, dass ich selbst überrascht war, als mich die Einladung erreicht hat. Ich bin mir immer noch nicht sicher, wessen Idee das gewesen ist, aber ich werde mich nicht beschweren. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich mich beleidigt fühlen sollte, dass du es vorziehst, zunächst eine Hochzeit zu besuchen, bevor du mir erzählst, dass du wieder da bist.“ Er zwinkerte seinem Sohn zu, was bedeutete, dass er es ihm nicht wirklich übel nahm.

Aus diesem Grund gluckste Harry leise. „Falls es dich beruhigt, Lily weiß es auch nicht. Soweit ich informiert bin, lebt ihr ja immer noch getrennt.“
 

„Du hast gute Informationsquellen“, sagte er anerkennend. „Dafür, dass du für zwei Jahre verschollen gewesen bist.“ Er musterte ihn mit aufmerksamen Augen. „Sie haben dir gut getan, oder?“

Harry wusste was er meinte. In den zwei Jahren war er etwas gewachsen – aber leider nicht viel – und seine Haut war leicht gebräunt, da er viel Zeit in der Mittelmeersonne verbracht hatte. Außerdem schien sich seine Ausstrahlung geändert zu haben, wenn man Felice glauben durfte.
 

„Deine Magie hat sich gewandelt“, hatte sie an einem sonnigen Tag gesagt, als sie beide über den Strand unweit von Regulus' Haus gelaufen waren. „Dadurch, dass du lernst, was du als Tempus Amicus alles tun kannst, entwickelt sich auch deine Aura und Ausstrahlung weiter. Man kann es spüren, aber auch sehen. Deine Haltung ist um einiges ausgeglichener und entspannter geworden und du bist noch anziehender als früher. Wer immer dir nach deiner Rückkehr nach England Vorwürfe macht, ist dem gegenüber immun oder ein Idiot.“
 

Harry wusste inzwischen, was sie gemeint hatte. Menschen um den Finger zu wickeln und ihnen irgendwelche Gefühle auf zu zwängen, war lächerlich einfach. Die richtigen Worte, die richtigen Gesten, der richtige Gesichtsausdruck und noch ein, zwei magische Anstupser und schon lag ihm jeder Gesprächspartner zu Füßen. Kein Wunder also, dass so viele Leute Albus Dumbledore – dem anderen Tempus Amicus – blind folgten.
 

Allerdings war es nur bei Fremden so einfach. Umso näher man selbst einer Person stand und umso mächtiger sie war, umso schwieriger wurde es, sie zu manipulieren. Das lag daran, dass diese Menschen einen zu gut kannten oder immun gegenüber Manipulationen waren. Natürlich konnte ein Tempus Amicus sie trotzdem beeinflussen, aber dafür wurde weitaus mehr Magie gebraucht und es konnte mitunter sehr schlimme Nebenwirkungen haben, weshalb Harry das lieber unterlassen wollte.
 

Kleine Manipulationen mochten noch so viel Spaß machen, er würde seine Kräfte niemals einsetzen, wenn die Gefahr bestand, dass er bei der jeweiligen Person einen bleibenden Schaden verursachen könnte. Aus diesem Grund konnte er Leute wie Gabrielle Delacour ohne Probleme beeinflussen, aber bei Narcissa oder dem dunklen Lord würde er es sein lassen.
 

Was James anbelangte, so war er sich selbst nicht sicher, was er mit ihm anfangen sollte. Auch wenn der Mann in seinen Augen sein Vater war – was immerhin den Tatsachen entsprach – war es bereits vor zwei Jahren schwer gewesen, mit ihm zu agieren und er hatte das Gefühl, dass es auch jetzt nicht besser werden würde. Natürlich könnte er seine Fähigkeiten nutzen, um es zu verbessern, aber das wollte er nun auch wieder nicht. Gefühle sollten einem Menschen nicht aufgezwungen werden. Das war einfach nicht richtig.
 

„Diese zwei Jahre waren notwendig“, sagte Harry langsam. „Ich brauchte sie, um mit mir selbst ins Reine zu kommen. Es wird nicht jeder verstehen und ich erwarte es auch nicht, dass es jemand tut, aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es noch einmal so machen.“

James nickte. „Und wirst du nun hierbleiben?“

Unwillkürlich glitt sein Blick wieder zu Thomas, der ihn weiterhin ignorierte. „Ich... weiß es noch nicht.“
 

„Er wird dir vergeben.“

Vater und Sohn blickten auf. Albus Dumbledore war zu ihnen getreten und setzte sich ungebeten auf einen freien Stuhl. „Oder sollte ich vielleicht sagen, dass er dir bereits vergeben hat?“

James runzelte verwirrt die Stirn, während Harry eine Augenbraue hob. „Und wie sind Sie zu dieser These gekommen?“

„Einfache Menschenkenntnis“, meinte er munter und untersuchte mit geschultem Auge die Köstlichkeiten, die auf dem Tisch standen. Es handelte sich dabei um kleine Kuchen und appetitliche Häppchen. So schrecklich Pansys Dekoration auch war, das Essen war vorzüglich. „Allerdings wird er sich davor sehr bitten lassen. Er ist ja so stolz.“
 

„Sind wir das nicht alle?“, fragte Harry.

Der Schulleiter wandte seinen Blick von den Lebensmitteln ab und betrachtete ihn durch seine Halbmondbrille. „In der Tat. Wir Menschen neigen tatsächlich dazu, uns von unserem Stolz leiten zu lassen und den Verstand zu ignorieren. Aber manchmal ist es auch die Liebe.“

„Ich nehme an, dass Sie mir als nächstes erzählen werden, dass Neville Longbottom mich sehr vermisst und es ihm das Herz brechen würde, wenn ich ihn nicht bei dieser Auseinandersetzung unterstütze.“
 

Dumbledore gluckste. „Oh, Harry, ich fürchte, dass ich deine Intelligenz ein wenig zu sehr respektiere, um dich mit solch offensichtlichen Manipulationen abzuspeisen. Allerdings sollte ich anmerken, dass du Recht hast. Neville vermisst dich tatsächlich sehr, genauso wie deine restlichen Freunde. Es wird sie erleichtern zu hören, dass du zurückgekehrt bist.“

„Was Sie natürlich mit dem größten Vergnügen tun werden“, sagte er und erhob sich. Dieses Gespräch ermüdete ihn. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden“, verabschiedete er sich, ehe er in Richtung Haus davon schritt.
 

Es würde für alle so aussehen, als würde er die nächste Toilette aufsuchen, weshalb er sich in aller Ruhe von den Gästen entfernen konnte, ohne unhöflich zu wirken. Würde er Draco nicht so sehr mögen, wäre er niemals freiwillig hierher gekommen. Was fanden die Menschen nur an solchen Veranstaltungen? Kopfschüttelnd ging er weiter, ohne zu bemerken, wie mehrere Augenpaare jede seiner Bewegungen verfolgten.
 

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Malfoy Manor bestand nicht nur aus dem einzigartigen Haus, das Harry so gut wie seine Westentasche kannte, sondern auch aus einer wunderschönen Parkanlage, die nur von der um Slytherin Manor übertroffen wurde. Mehrere Pfade schlängelten sich durch Büsche und Wiesen hindurch und führten zu erstaunlichen Orten. Viele kreuzten sich dabei sogar und konnten Besucher des öfteren in die Irre führen. Tatsächlich gab es nur einen einzigen Weg, der am Haus begann und sich erst an seinem Ziel mit einem anderen kreuzte.
 

Es war ein schmaler Weg, der an jahrhundertealte Bäume vorbeiführte und erst vor einigen Jahren gepflastert worden war. Stolz und anmutig trotzte er seiner Umgebung, während er sich weder durch Schnee noch durch Regen aus der Ruhe bringen ließ. Es war ein Weg für die Ewigkeit.

Bedauerlicherweise schien die Natur selbst gegen ihn anzukämpfen, da er an manchen Stellen bereits vermoost und überwachsen war. Dies war jedoch nicht weiter verwunderlich, da er nur selten benutzt wurde.
 

Wenn sich aber doch einmal jemand auf ihn verirrte und ihm bis zum Schluss folgte, kam diese Person zu einem alten Kupfertor, das in eine gut erhaltene Mauer eingelassen worden war und sich stets ohne Probleme öffnen ließ. Trat man dort hindurch, fand man sich in einem viereckigen, vollkommen ummauerten Bereich wieder, der sich deutlich vom Rest des Geländes unterschied. Efeu schien hier zu regieren, er war überall, auf den Steinwegen, den Skulpturen, den Kreuzen und auch dem kleinen Gebäude, das in der Mitte stand.
 

Vögel, die ironischerweise schwarze Federn besaßen, hockten auf den wenigen Bäumen und beobachteten mit feindseligen Blick jede Person, die sich hierhin traute. Ab und an stießen sie dabei kehlige Laute aus, aber in der Regel blieben sie ruhig sitzen, ohne sich auch nur im mindestens zu rühren. Es wurde gemunkelt, dass sie die Wächter dieses Ortes waren, dazu verflucht, bis in alle Ewigkeit hier auszuharren, um dafür zu sorgen, dass jene, die hier ihren Frieden gefunden hatten, nicht gestört wurden.
 

Frieden war überhaupt ein gutes Stichwort für diesen Ort. Eine beinahe unheimliche Stille hatte sich hier ausgebreitet, die nur von dem leichten Rascheln der Blätter unterbrochen wurde, wenn sich ein Igel oder ein anderes Säugetier darin bewegte. Auch Insekten waren hier zu finden. Wespen, Bienen und Fliegen flogen durch die Luft und wirkten dabei wie Gefängniswärter, die ihre Runden drehten.
 

Ein wirklich verstörender Anblick.
 

Zumindest war das Harrys Meinung, als er langsam den Familienfriedhof betrat und an den zum Teil uralten Gräbern vorbei schritt. Hier lag jedes einzelne Mitglied der Malfoys begraben. Ihre Namen waren meist bereits verblichen – sowohl auf den Grabsteinen, als auch in den Erinnerungen – doch sie durften weiterhin hier liegen und daran erinnern, dass auch sie einmal existiert hatten.

An manchen Nächten konnte man sogar ihre Geister sehen, die ruhelos umher schwebten und einen Weg nach draußen suchten. Zu ihrem Pech war der Friedhof von einem Schutzschild umgeben, der für Geister unpassierbar waren, weshalb sie stattdessen im Mausoleum spukten, das sich unter der Erde befand.
 

Harry und Draco war es immer verboten gewesen, dieses zu betreten, weshalb man logischerweise davon ausgehen konnte, dass sie es versucht hatten. Oft hatten sie sich hierher geschlichen und nach einer Möglichkeit gesucht, die steinerne Tür am Fuß der Treppe zu öffnen, die in die unterirdischen Gänge führte, aber sie waren dazu vor ihrer Zeit in Hogwarts nie in der Lage gewesen und danach hatten sie schlicht und einfach das Interesse verloren. Andere Dinge waren wichtiger geworden. Neue Freunde, die Schule, die ein oder andere Schwärmerei, der Wunsch, genau wie der andere zu sein. Erwachsenwerden war wirklich eine merkwürdige Angelegenheit.
 

Somit konnte Harry guten Gewissens sagen, dass er niemals dort unten gewesen war, obwohl es ihm immer in den Fingern gejuckt hatte. Aus diesem Grund verharrte er für einen Moment und betrachtete schweigend den Eingang des Mausoleums. Er hatte zumindest Zeit und mit seinem jetzigen Wissenstand würde er dort ohne Probleme eindringen können.
 

//Lass das. Du bist kein Kind mehr.//

Das stimmte. Er war alles, aber sicher kein Kind. Dafür war es nun endgültig zu spät.

Mit einem bitteren Lächeln ging er an dem Gebäude vorbei und stand kurz darauf vor seinem Ziel.
 

„Hallo, Großvater“, sagte er leise und legte vorsichtig die einzelne Lilie ab, die er für diesen Zweck mitgebracht hatte. Heute schienen noch andere Leute auf die Idee gekommen zu sein, Abraxas Malfoy zu besuchen, da neben seiner Blume noch ein paar Sträuße und brennende Kerzen abgelegt worden waren.

Harry selbst war das letzte Mal zur Beerdigung hier gewesen. Vor zwei Jahren... damals hatte er noch nicht damit gerechnet, dass er kurz darauf in Frankreich sein würde, um sich vor einem dunklen Lord zu verstecken und seine Fähigkeiten als TA zu trainieren.

Waren es wirklich zwei Jahre gewesen? Es kam ihm zugleich länger und kürzer vor, aber Zeit war ja bekanntlich relativ.
 

Somit konnte er nicht sagen, wie lange er hier allein gestanden hatte, als er auf einmal eine Veränderung in der Umgebung spürte. Bis gerade eben hatten die Strahlen der Julisonne noch Wärme abgegeben, doch nun herrschte Kälte. Alles um ihn herum schien sich zu verdüstern, die Schatten der Grabsteine wurden länger, die grüne Farbe der Pflanzen schien dunkler zu werden und die Flammen der Kerzen, die bisher noch gebrannt hatten, erloschen.

Harry lief es eiskalt den Rücken herunter. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, sich davonzustehlen.
 

Schweigend stand er da und lauschte, aber bis auf das Rascheln der Blätter im Wind war nichts zu vernehmen. Aus diesem Grund zuckte er heftig zusammen, als er auf einmal die Spitze eines Zauberstabes spürte, die sich fest in seine Wange bohrte.

„Es war sehr dumm von dir, alleine hierher zu kommen“, zischte ihm die Stimme des dunklen Lords ins Ohr. Er stand direkt hinter ihm und hatte sich hinunter gebeugt, um ihm dort hinein flüstern zu können. Sein kalter Atem schlug gegen Harrys Haut, während seine freie Hand sich drohend und besitzergreifend in dessen Nacken legte.
 

Der Mann war wütend, mehr als wütend, auch wenn er gut kontrollierte. Wenn Harry auch nur ein falsches Wort sagte oder eine falsche Bewegung machte, wäre das hier das letzte, was er jemals erleben würde.

Deshalb sah er stur gerade aus und versuchte, seine Atmung zu regulieren, während der dunkle Lord den Druck des Zauberstabs etwas verminderte und stattdessen spielerisch über seine Wange fuhr.

Wie es aussah, war er viel geschickter, sein wahres Ich und Thomas Mask zu differenzieren, als Harry geglaubt hatte.
 

„Andererseits bist du alles andere als dumm, mein kleines Wunderkind“, das letzte Wort betonte er beinahe hasserfüllt. Das wurde ja immer besser. „Du hast sicher gewusst, dass ich dir folgen würde, sobald du einen ruhigen Ort aufsuchst, was bedeutet, dass du dieses Gespräch offensichtlich erwünscht hast. Aber selbst ich hätte nicht damit gerechnet, dass du dir dafür ausgerechnet einen Friedhof aussuchen würdest.“
 

Wahrscheinlich um ihn zu ärgern, machte er eine kleine Kunstpause, in der er sanft mit seinem Lippen über Harrys Ohrläppchen fuhr, ehe er ohne Vorwarnung hinein biss. Es kostete seine ganze Willenskraft, um bei dem plötzlichen Schmerz nicht überrascht auf zu keuchen, aber sein plötzliches Atemholen verriet, dass ihn das keineswegs kalt ließ.

Amüsiert gluckste der dunkle Lord und drückte kurz seinen Nacken, ehe er sich von ihm löste und einen Schritt zurücktrat. Nur sein Zauberstab verharrte, wo er war, als kleine Erinnerung, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei war.
 

„Gib mir einen Grund“, sagte der dunkle Lord sanft, „einen einzigen Grund, warum ich nicht sofort dafür sorgen sollte, dass auch du hier deinen ewigen Schlaf findest.“

Was für eine wundervolle Metapher. Manchmal fragte Harry sich wirklich, ob seine Reden spontan entstanden oder ob er sie vorher plante.
 

Langsam drehte er seinen Kopf, um ihn ansehen zu können. Es war tatsächlich der dunkle Lord, der vor ihm stand. Abwartend, aber ansonsten emotionslos sah er ihn an. Seine Augen waren kalt und herzlos, seine Lippen nichts weiter als eine dünne Linie. Sein ganzes Äußeres sollte Angst und Furcht erzeugen.

Warum musste er nur immer so theatralisch sein?
 

Ohne weiter auf das Holz zu achten, das sich nach wie vor in seine Wange bohrte, verzog Harry seine Lippen zu einem Lächeln. „Du willst wissen, warum du mich nicht tötest? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Du kannst es nicht.“

Das war nicht unbedingt das klügste, was man zu einem dunklen Lord sagen konnte. Tatsächlich war es ziemlich lebensmüde, da diese Aussage ihn unter Umständen dazu bringen würde, ihn jetzt sofort in den Tod zu schicken, allein um ihm zu beweisen, dass er es konnte. Interessanterweise hob er nur amüsiert eine Augenbraue. „Und wie bist du auf diese grandiose These gekommen?“
 

Harry trat vorsichtig einen Schritt näher und griff mit seine Hand in den Stoff von Toms Festumhang. Es überraschte ihn etwas, dass der Andere es zuließ, aber gleichzeitig bestätigte es seine Schlussfolgerung.

„Dass ich noch lebe, ist Beweis genug.“

Ruhig sah er ihm in die Augen, ohne sich im mindesten von dem kalten Blick aus der Ruhe bringen zu lassen. „In den letzten zwei Jahren hättest du selbst hinter mir herkommen können. Wir beide wissen, dass du genau wusstest, wo ich war. Du hättest mich ohne Probleme gefunden. Doch stattdessen hast du mir Todesser hinterher geschickt, besser gesagt Lucius, obwohl dir klar sein müsste, dass er mich dir – trotz seiner Loyalität – nie und nimmer ausliefern würde. Die Frage ist nun, warum du das getan hast.“
 

„Du wirst uns das sicher gleich mitteilen“, entgegnete der Mann trocken, wobei er mit seinem Zauberstab kleine Kreise auf Harrys Wange malte.

„Du warst wütend und hattest auch jedes Recht dazu. Wärst du mir in diesem Zustand hinterher gekommen, hättest du mich höchst wahrscheinlich getötet. Deshalb hast du es nicht getan. Du wolltest mich nicht töten, denn du hättest es hinterher bereut.“

„Und warum sollte ich es bereuen, dich zu töten?“
 

Grinsend löste Harry seine Hand von Toms Festumhang und ließ sie sanft auf seine Wange gleiten. „Das hast du mir vor zwei Jahren selbst gesagt, Tom. Du brauchst mich.“ Zufrieden stellte er fest, wie sich der Ältere tatsächlich leicht in seine Berührung lehnte, während er ihn weiter mit ausdrucksloser Miene ansah. „Neville hat einen Tempus Amicus auf seiner Seite: Albus Dumbledore. Wenn du alleine gegen ihn antrittst, hast du keine Chance und wirst untergehen. Deshalb musst du ihn entweder loswerden oder den Tempus Amicus auf deine Seite bekommen, der momentan von der Zeit geliebt wird.“
 

„Was wahrscheinlich du bist“, sagte er, ohne auch nur im mindesten zu verraten, was er davon hielt. „Du hast mich verraten.“

„Du hast dich selbst verraten, als du diese Horkruxe erschaffen hast“, widersprach Harry und trat einen Schritt vor ihm zurück. Überraschenderweise ließ Tom es zu, wobei der Zauberstab weiterhin auf sein Gesicht geheftet blieb. Langsam ging ihm das auf die Nerven. Entweder sollte er endlich den Zauber aussprechen oder dieses Ding ganz wegstecken.

Um ihm zu zeigen, was er davon hielt, drehte er sich wieder zu Abraxas Grab um. „Du hast deine Seele geteilt und damit das kostbarste verletzt, was du besitzt. Dir hätte klar sein müssen, dass sich das irgendwann irgendjemand zu Nutze machen würde.“
 

„Crucio.“

Der Fluch kam überraschend. Harry hatte damit gerechnet, dass er ihn entweder ganz am Anfang oder nie aussprechen würde. So jedoch fiel er unwillkürlich auf den Boden, während sein Körper von unzähligen Wellen des Schmerzes durchflutet wurde. Es war als wären unterhalb seiner Haut Millionen von Klingen, die sich in unregelmäßigen Abständen nach oben bohrten und ihn auseinanderrissen.

Verzweifelt biss er sich in seine Unterlippe, während sich Tränen in seinen Augen sammelten. Es tat so verdammt weh. Kein Wunder, dass man wahnsinnig wurde, wenn man das zulange ertragen musste, besonders, weil man sein Zeitgefühl verlor.
 

Er wusste nicht, ob er bereits eine Sekunde oder eine Stunde unter dem Fluch stand, er wusste nur, dass es aufhören sollte, dass es verdammt noch mal aufhören sollte, dass er alles tun würde, damit es aufhörte, alles, außer schreien, denn wenn er schrie, dann... dann... ja, was dann? Warum durfte er nicht schreien? Vielleicht war es das, was er wollte. Vielleicht würde er aufhören, wenn er es tat.

//Nein. Er wird es nur noch mehr genießen.//

Es sollte aufhören.

Es tat weh.

Da wollte er doch lieber sterben.

Es sollte aufhören.
 

Und plötzlich hörte es auf.

Ehe er sich allerdings sammeln oder Erleichterung empfinden konnte, wurde sein Kopf an den Haaren hinauf gerissen und er sah sich zwei funkelnden, roten Augen gegenüber. „Du hast mich verraten, mich hintergangen und mich meinem Tod einen Schritt näher gebracht. Jeden anderen würde ich dafür auf eine qualvolle Art und Weise sterben lassen.“ Die Hand, die sich nicht schmerzhaft in seine Kopfhaut grub, legte sich auf seine Wange und streichelte sie geradezu zärtlich. Andererseits war alles zärtlich, nachdem man unter dem Cruciatusfluch gestanden hatte.
 

„Du allerdings bist ein Tempus Amicus“, fuhr er sanft fort. „Und aus diesem Grund kann ich mir vorstellen, dass es nicht deine Idee gewesen ist, meinen Horkrux zu zerstören, sondern du dazu aufgefordert worden bist. Aus diesem Grund werde ich es diesmal aus meiner Erinnerung streichen.“ Würde er nicht und das wussten sie beide. „Doch wenn du mich noch einmal hintergehst, werde ich dich töten, egal, ob es deiner Meinung nach einem höheren Zweck dient oder nicht.“
 

Diese Worte waren ein grausames Versprechen, das jeden normalen Menschen eingeschüchtert hätte. Deshalb war es vielleicht nicht wirklich verwunderlich, dass Harry plötzlich seine Hände um Toms Nacken schlang und ihn zu sich hinunterzog, um ihn zu küssen. Der andere schien darüber leicht verdutzt zu sein, zumindest war er offenbar vor Schreck erstarrt. Das nutzte Harry dafür, ihn noch näher zu ziehen, damit er besseren Zugang zu seinen Lippen hatte.

Verdammt, warum musste sich das nur so gut anfühlen? Natürlich wusste er, dass es berauschend war, ihn zu küssen – das hatte er bereits vor zwei Jahren herausgefunden – aber scheinbar hatte er vergessen, wie berauschend es war.
 

Zufrieden schloss er seine Augen, während er vorsichtig mit seiner Zunge über Toms Lippen fuhr. Sie schmeckten nach Macht, Gefahr und Dominanz, genau das, was er liebte. Selbstvergessen gab er einen zufriedenen Laut von sich.

Das schien Tom endlich aus seiner Erstarrung zu befreien, da er mit einen Mal Harrys Kopf zurück riss, sodass er nun in seinem Nacken lag und den Kuss vertiefte. Harry gab ein protestierendes Geräusch von sich – diese Haltung war nicht sonderlich bequem – doch als sich Zähne drohend in seine Lippen bohrten, beschloss er, es zu ignorieren. Stattdessen ließ er seine Hände auf Toms Schultern sinken und ließ es zu, dass sein Mund geplündert wurde.
 

Geschickt fuhr die Zunge über seine Zähne, erkundete sein Zahnfleisch und wandte sich schließlich seiner eigenen Zunge zu, um sich ihr voll und ganz zu widmen und sie immer wieder zurückzudrängen. Harry ließ es bereitwillig zu, sie beide wussten, wer in dieser Beziehung welche Rolle inne hatte und es tat gut, sich für den Moment dominieren zu lassen.
 

Währenddessen lehnte sich Tom etwas mehr auf Harry, wodurch ein Teil seines Gewichts auf ihn abgelegt wurde. Da er immer noch leicht unter den Folgen des Cruciatusfluches litt, drohte er nach hinten umzukippen, doch eine Hand, die plötzlich auf seinem Rücken auftauchte und ihn eisern festhielt, verhinderte dies. Es machte dem Anderen wohl Spaß, ihre Position so kontrollieren zu können.

Um etwas mehr Macht über diese Situation zu bekommen, krallte er sich in seine Schulter und stellte sich richtig auf seine Knie, wofür sein Körper ihm dankte. Zumindest kam er sich jetzt nicht mehr wie ein Bogen vor, der immer mehr gespannt wurde.
 

Dadurch gewann er eine gewisse Standfestigkeit, die Harry dafür nutzte, sich etwas zurückzulehnen und den Kuss zu unterbrechen, um Luft holen zu können. Gleichzeitig öffnete er seine Augen.

Toms Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und seine Wangen waren überraschenderweise tatsächlich leicht gerötet. Sein Atem ging schnell und er betrachtete ihn mit einem Lust verschleierten Blick, der heiße Schauer über seinen Rücken jagte.

Langsam ließ er seine Hände auf seine Wangen gleiten und fuhr mit seinen Fingerkuppen sanft über Toms Haut. Fasziniert konnte er beobachten, wie die Lider vor den roten Augen flatterten und der Mann wohlig seufzte.
 

„Harry...“, hauchte er und beugte sich vor, um ihn in einen weiteren Kuss zu verwickeln. Während der erste ein dominanter Akt gewesen war, in dem Tom sich nicht im mindesten darum gekümmert hatte, wie es ihm dabei ging, war er diesmal bereit, ihm eine einigermaßen bequeme Haltung zu ermöglichen. Lächelnd schmiegte Harry sich an ihn, um ihn ganz spüren zu können. Er hatte ihn mehr vermisst, als er wahrhaben hatte wollen.
 

Kurz darauf begann der Ältere damit, sein Gesicht mit hauchzarten Küssen zu bedecken, die eine warme Spur auf seiner Haut hinterließen. Harry lehnte seinen Kopf zur Seite, damit er besseren Zugang bekam und auch seinen Hals verwöhnten konnte.

Dummerweise fiel sein Blick dabei auf das nebenstehende Grab, wodurch er sich daran erinnerte, wo sie eigentlich waren. Für einen Augenblick genoss er noch das Gefühl der Lippen auf seiner Haut, ehe er schwer seufzte und ihn von sich schob. „Nicht hier.“
 

Als Antwort küsste sich Tom zu seinem Ohr hoch, wo er wieder spielerisch an seinem Ohrläppchen knabberte. „Du hast angefangen.“

„Nur wegen diesem bescheuerten Fluch, den du mir aufgehalst hast“, entgegnete er und rückte etwas von ihm ab, um ihn mit einem ernsten Blick betrachten zu können. „Nicht hier, Tom. Nicht vor dem Grab meines Großvaters. Das ist krank!“

„Und so wie ich dich kenne, wird es auch heute nicht passieren, nicht wahr?“, sagte er und erhob sich. Sobald er stand, hielt er ihm seine Hand hin und zog Harry auf seine Beine. „Nun, es spielt keine Rolle“, sagte er und strich ihm eine Strähne hinters Ohr. „Du bist zurückgekommen und jetzt werde ich dich nicht mehr gehen lassen.“

„Willst du mich etwa einsperren?“, fragte er mit gehobenen Brauen.

Tom schenkte ihm ein grausames Lächeln. „Wer weiß.“
 

Er holte seinen Zauberstab hervor und verwandelte sich wieder in Thomas Mask, ehe er Harrys Umhang reinigte. „Komm“, sagte er und hielt ihm seinen Arm hin. „Sehen wir uns an, ob noch etwas vom Buffet übrig geblieben ist.“

Harry lachte leise und hakte sich bei ihm unter. „Ich bin optimistisch, dass es keiner gewagt hat, den Schokoladenbrunnen anzurühren. Immerhin wirkt er mehr wie ein Kunstwerk, als etwas, das man essen kann.“

Thomas gluckste leise und zusammen machten sie sich auf den Weg zurück.
 

Wie es aussah, war das ganze doch besser gelaufen, als er vermutet hatte. Aber auch wenn sie sich für den Moment versöhnt hatten, hieß es nicht, dass Tom ihm vollkommen vergeben hatte. Er würde nie vergessen, was geschehen war und bis er ihm wieder vertraute, würde sicher viel Zeit vergehen müssen – falls er es überhaupt jemals wieder tun würde. Doch das spielte ohnehin keine Rolle. Momentan zählte nur, dass er endlich zurückgekehrt war und nun tun konnte, wofür er geboren worden war: diesem Land seinen Frieden zurückzugeben.
 

Leider war das um einiges einfacher gesagt, als getan.

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Im nächsten Kapitel sehen wir uns mal an, was auf der weißen Seite vor sich geht. Da hat sich wirklich eine sehr interessante Freundschaft herausgebildet...

Außerdem gibt es wieder ein Harry/Thomas/Tom-Gespräch, wenn ihr versteht was ich meine. Wenn nicht, wartet einfach auf das nächste Update, dort werdet ihr dann erleuchtet. ;)

New Home

Hallo, ihr Lieben!

Hier haben wir es, das neue Kapitel, in dem die ein oder andere Anspielung und Verschwörungstheorienmöglichkeit versteckt ist. Oder auch nicht...
 

Jedenfalls danke an alle, die mir zum letzten Kapitel ein Review hinterlassen haben – ihr seid die größten! – und natürlich an meine Beta für die Korrektur des vorliegenden Schriftstücks.

Diesmal konnte ich eure Reviews leider nicht beantworten, da ich die letzte Woche damit zu tun habe, mich an meiner neuen Uni zurecht zu finden und bisher noch nicht ganz begriffen habe, wie ich Zugang zum Internet bekomme... aus diesem Grund solltet ihr euch auch auf seeehr unregelmäßige Updates einstellen....
 

Dieses Kapitel widme ich Lady Elysa, die ein wundervolles Wallpaper zu „Time Changed Everything“ angefertigt hat. Vielen Dank dafür, ich habe mich wirklich sehr gefreut. <33333

Wer es sich ansehen will: ihr findet den Link dazu in der Kurzbeschreibung zu dieser FF.

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New Home
 

England – 1940
 

„Lauf etwas schneller, Junge. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

Wenn Blicke töten könnten, wäre Gellert Grindelwald jetzt tot. Dummerweise funktionierte es nicht, weshalb Tom sich darauf beschränken musste, seinen Rücken finster anzustarren, während er schnaufend hinter ihm her stolperte. Er hatte keine Ahnung, wo sie eigentlich waren. Um ihn herum standen überall hohe Bäume, durch die sich der kleine Pfad hindurch schlängelte, dem sie folgten. Altes, vermodertes Laub lag auf dem Boden und ab und an war auch etwas frisches Gras zu erkennen, zwischen dem auch die ein oder andere Blume stolz in die Welt hinaus blickte.
 

Bedauerlicherweise hatte der dreizehnjährige Slytherin keine Zeit, diese seltenen Anblicke zu genießen, da er sich darauf konzentrieren musste, nicht über eine Wurzel zu fallen, die in unregelmäßigen Abständen auftauchten. Wenn er normal laufen könnte, wären sie kein besonders Problem gewesen, aber dieser... dunkle Lord musste ja unbedingt auf so ein Affentempo bestehen. Es wirkte beinahe so, als glaubte er, dass sie verfolgt wurden.
 

Beunruhigt warf er einen Blick über die Schulter, ehe er doch etwas schneller lief. Wenn ihn jemand zusammen mit diesem Mann entdeckte, würde ihm niemand glauben, dass er nichts mit ihm zu tun hatte und höchst wahrscheinlich mit hingerichtet werden. Wieso war der Kerl überhaupt so plötzlich bei ihm aufgetaucht und noch dazu mit so gutem Timing? Im Waisenhaus würde jeder glauben, eine Bombe hätte ihn in tausend Stücke zerteilt und niemand würde dort einen weiteren Gedanken daran verschwenden. Ob sie es Hogwarts mitteilen würden?
 

Eigentlich müsste er jetzt bei Abraxas sein. Wie würde er darauf reagieren, wenn er hörte, dass Tom tot war? Würde er traurig sein? Würde er weinen? Oder würde er es mit einem einfachen Schulterzucken und einem gemurmelten „Schade um ihn“ beiseite schieben und weitermachen wie bisher?

Ehrlich gesagt würde er ihm diese zweite Option nicht übel nehmen. Er selbst würde nicht viel anders reagieren, wenn der junge Malfoy sterben würde. Doch irgendwie war dieses Wissen ernüchternd.
 

Mit ein paar schnellen Schritten holte er zu Gellert auf und fragte: „Wo gehen wir eigentlich hin?“

Zuerst hatte er geglaubt, der Mann würde ihn zu einem geheimen Versteck bringen, wo seine Armee residierte und auf Anweisungen wartete. Stattdessen liefen sie nun schon seit Stunden durch diesen Wald hier, ohne auch nur einmal eine Pause zu machen. Nein, so hatte er sich diesen Tag wirklich nicht vorgestellt. Zwar war das ganze besser, als zu sterben, aber seine Traumbetätigung war es nicht.
 

Finster spähte er zu dem Älteren hinüber. Auf dem ersten Blick wirkte er nicht wie ein dunkler Lord. Er war viel klein, gerade mal ein Kopf größer als Tom und erschien wie ein ganz normaler Mensch. Wobei er durchaus eine gewisse Ausstrahlung besaß, die einem sagte, dass man sich vor ihm lieber in Acht nehmen sollte. Bisher hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt, er war wohl nicht sonderlich gesprächig. Deshalb erwartete Tom nicht, dass seine Frage wirklich beantwortet werden würde und war überrascht, als der Mann sagte: „Das wirst du schon sehen.“
 

Da war er aber gespannt.

Schweigend folgte er ihm weiter durch den Wald, während er sich fragte, ob sie überhaupt jemals ankommen würden. Vielleicht würden sie solange weiterlaufen, bis Tom vor Erschöpfung zusammenbrach, woraufhin der Andere... ja, was sollte er tun? Ihn töten? Ihn vergewaltigen? Ihn zu seinem willenlosen Sklaven machen? Hätte er es wirklich vor, hätte er es sicherlich bereits getan. Oder?

Woher sollte er wissen, was in dem Kopf dieses Wahnsinnigen vor sich ging?
 

Andererseits war „wahnsinnig“ nicht unbedingt das richtige Wort, um ihn zu beschreiben. Ein „Wahnsinniger“ hätte es niemals geschafft, Frankreich – ausgerechnet Frankreich! – auf seine Seite zu ziehen. Dieser Mann musste brillant sein. Trotzdem blieb die Frage, was er von Tom wollte. Woher kannte er ihn überhaupt? Was war hier los?
 

Etwa fünf Meter vor ihnen, verschwand der Weg plötzlich unter Unkraut, umgestürzten Baumstämmen und Sträuchern. Hier war ganz offensichtlich seit langer Zeit kein Mensch mehr gewesen und Tom bezweifelte, dass dahinter irgendetwas von Bedeutung sein könnte. Aus diesem Grund war er doch leicht überrascht, als Gellert ohne zu zögern weiter schritt, ohne sich im mindesten von der natürlichen Absperrung stören zu lassen.

„Komm weiter!“, rief er genervt über die Schulter. „Es ist nicht mehr weit.“
 

„Weit“ war bekanntlich relativ. Genauso verstand es sich mit „nicht mehr weit“.

Den ganzen Tag stapfte Tom durch den Urwald, der sich hier gebildet hatte, stolperte über Steine und Wurzel, riss sich die Kleidung auf, lief sich Blasen, schnitt sich seine Haut an Zweigen und Dornen auf und war zusammengefasst in der Stimmung, diesen verdammten dunklen Lord, der ihn hierher gebracht hatte, auf der Stelle zu kreuzigen. Außerdem merkte er, dass seine Kondition etwas noch nie da gewesenes war, da er so stark nach Luft schnappte, als wäre er bereits vierzig Marathons am Stück gelaufen und mehr schwitzte als je zuvor in seinem Leben.
 

Aber all das wäre erträglich gewesen, wenn dieser... dieser... dieser Grindelwald nicht so schrecklich fit gewesen wäre und so wirkte, als würde ihm das alles nicht im mindestens berühren. Wie schaffte er das? Und wie konnte er auch noch dabei fröhlich vor sich her pfeifen, müsste er nicht wenigstens etwas aus der Puste sein?

Das war doch alles nicht fair!
 

Besonders kränkend war, dass der Mann sich überaus über ihn zu amüsieren schien, zumindest schloss Tom das aus seinem ewig währenden Grinsen und der Tatsache, dass sie keine Pausen machten. Obwohl... er machte sehr wohl Pausen, immer dann, wenn Tom sich durch eine besonders gemeine Stelle quälte. Dann saß Gellert auf dem Boden, einen Stein oder einen Ast und sah ihm in aller Ruhe zu. Doch anstatt ihm ebenfalls einen Moment zum Verschnaufen zu geben, sprang er immer sofort auf, sobald der Schüler ihn erreicht hatte und eilte weiter.
 

Sadistischer, rücksichtsloser Egoist!
 

Schließlich – es dämmerte bereits – kamen sie auf einer Anhöhe an, von wo man einen guten Blick auf alles hatte, was unterhalb des kleinen Hügels lag, den sie gerade erklommen hatten. Dort blieb Gellert stehen, bis Tom ihn erreicht hatte und deute hinunter. „Das dort unten ist unser Ziel.“
 

Interessiert folgte er seinem Blick.

Eingebettet zwischen weiteren Hügeln lag ein gewaltiges Anwesen, das jenes der Familie Malfoy bei weiten in den Schatten stellte. Umgeben von unzähligen Bäumen leuchtete das Haus im Licht der untergehenden Sonne und wirkte dadurch geradezu „magisch“. Tom würde es nicht wundern, wenn darin tatsächlich viel Magie herumschwirrte.

Augenscheinlich war es bereits seit langer Zeit unbewohnt, da die riesige Parkanlage zugewachsen war und das Gemäuer selbst von hier eingefallen wirkte. Natürlich hatte das in ihrer Welt nichts zu bedeuten, vielleicht war das ein Abwehrzauber für ungebetene Gäste, doch irgendetwas sagte ihm, dass dies nicht der Fall war.
 

„Wo sind wir hier?“, fragte er leise und löste sich von dem Anblick, um stattdessen den blonden Mann neben sich ansehen zu können. Dieser hatte ihn genau beobachtet und grinste nun breit. „An der Grenze zu Slytherin Manor, dem ehemaligen Zuhause von Salazar Slytherin. Wenn die Gerüchte stimmen, was ich bezweifle, werden wir dort seinem Geist begegnen.“

„Und... was machen wir hier?“

„Hier wohnen“, sagte er schlicht und drehte ihm den Rücken zu. „Willkommen in deinem neuen Zuhause.“ Damit setzte er sich wieder in Bewegung.
 

Tom blieb dieses Mal jedoch stehen, um ihm entgeistert hinterher zu sehen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass diese ganze Angelegenheit viel ernster war, als er es bisher angenommen hatte.
 

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London – Gegenwart
 

„Willkommen in Ihrem neuen Zuhause“, sagte die Maklerin voller Enthusiasmus und strahlte Thomas an, der sich misstrauisch umsah. Da er sich in einer Muggelgegend befand, trug er ein cremefarbenes Hemd und eine braune Kordhose. Die – in dieser Gestalt kurzen – schwarzen Haare, waren stilvoll zurück gekämmt und er versprühte eine Aura der Eleganz und Offenheit.

Harry fand es immer wieder beeindruckend, wie er seine Mitmenschen in dieser Gestalt um den Finger wickeln konnte. Gleichzeitig tat sich jedoch die Frage auf, warum er es mit diesen rhetorischen Fähigkeiten nötig hatte, als dunkler Lord gewaltsam vorzugehen.
 

Felice, die ebenfalls dabei war, beugte sich zu Harry vor und flüsterte in sein Ohr: „Sie meint wohl eher: willkommen in meinem Leben. Wirklich, es ist nicht sonderlich geschäftsfordernd, wenn man die Begleitperson der potentiellen Mieter an schmachtet.“

Er konnte ihr nur zustimmen. Obwohl er eigentlich nicht zu der eifersüchtigen Sorte Mensch gehörte, ging ihm dieser Ich-zieh-dich-in-meinem-inneren-Auge-aus-Blick ziemlich auf die Nerven. Auch, wenn ihre Beziehung durch die letzten beiden Jahre einen wesentlichen Bruch erlitten hatte, würde er den Teufel tun, jemand anderes an ihn heranzulassen. Erst recht nicht so eine falsche Schlange mit diesem grauenvollen Maklerlächeln.
 

Innerlich grummelnd ging er einen Schritt nach vorne und hakte sich bei Thomas unter, wodurch dieser ihm sofort seine ganze Aufmerksamkeit zu wandte und fragend eine Augenbraue hob. Harry lächelte einfach und fixierte seine eventuelle, zukünftige Mieterin. „Wie alt, sagten Sie, ist dieses Gebäude?“

Die Frau sah zwischen den beiden her, während offensichtliche Enttäuschung auf ihr Gesicht trat: „Etwa hundert Jahre. Aber es ist erst vor kurzem saniert worden.“
 

„Es ist wirklich schön“, meinte Felice, die zum nächsten Fenster getreten war und die Aussicht bewunderte. „Und hat einen guten Preis... zeigen Sie uns bitte noch den Rest?“

„Selbstverständlich, Miss“, sagte sie und führte die drei weiter.
 

Seit Dracos Hochzeit war eine Woche vergangen und inzwischen war der Alltag in das Hause Malfoy zurückgekehrt. Während das Brautpaar sich in den Flitterwochen befand, hatten Lucius und Narcissa die Zeit genutzt, Harrys Wiederkehr zu verarbeiten, sowie um zu begreifen, dass es keinen Sinn hatte, ihn über seine Abwesenheit ausquetschen zu wollen. Wenn er etwas in den zwei Jahren gelernt hatte, dann war es, unangenehmen Fragen erfolgreich mit plausiblen Halbwahrheiten zum Schweigen zu bringen.

Jedenfalls konnte er sie davon überzeugen, dass er nicht sofort wieder aus England verschwinden würde, weshalb er sich nun gemeinsam mit Felice auf Wohnungssuche befand.
 

Ihre Mitmenschen konnten das nicht wirklich begreifen und wollten sie davon abbringen, indem sie alle ihnen einen dauerhaften Wohnsitz in ihren Haushalten anboten. Besonders Regulus und der dunkle Lord konnten kein Verständnis für ihre Entscheidung aufbringen, gemeinsam eine kleine Wohngemeinschaft zu eröffnen, aber inzwischen waren sie immerhin bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.
 

Es war nicht so, dass sie diese Angebote nicht zu schätzen wussten. Sie waren tatsächlich sehr großzügig und verlockend, aber Harry und Felice liebten ihre Freiheit. Sie brauchten das Gefühl, unabhängig zu sein, selbst für sich sorgen zu können und einen Ort zu haben, wo sie jeden anderen aussperren konnten.

Deshalb brauchten sie ein eigenes Zuhause, selbst wenn es nur vorübergehend war. Dass sie trotzdem zusammenwohnten, war eine einfache Sicherheitsvorkehrung.

Es herrschte Bürgerkrieg und ganz davon abgesehen war Felice immer noch nicht ganz gesund. Nicht einmal Harry würde es zulassen, dass sie alleine wohnte.

Darum würden sie ab sofort zusammenleben.
 

Ihr aktuelles Besichtigungsobjekt war ein Wohngebäude, das wie durch ein Wunder die Bombenangriffe der Nazis im zweiten Weltkrieg überlebt hatte und deshalb unter Denkmalschutz lag. Es beinhaltete mehrere Wohnungen mit hohen, großen, hellen Zimmern, die allesamt ihren Preis wert waren.

Somit war es kein Wunder, dass sie kurz darauf zufrieden das Haus verließen und sich darüber einig waren, diese Wohnung zu nehmen – auch wenn sie noch einmal darüber nachdenken würden.

„Wer sich zu schnell entscheidet, wird für Verkäufer ein gefundenes Fressen. Besser ist es, alles zu überdenken und noch weitere Angebote in Betracht zu ziehen“, hatte Regulus ihnen geraten und sie würden ausnahmsweise auf ihn hören.
 

„Eigentlich ist es ja ganz hübsch“, meinte Felice, als sie die Maklerin abgeschüttelt hatten und sich eine ruhige Stelle zum disapparieren suchten. „Wenn nur diese Frau nicht wäre...“

„Mit etwas Glück werden wir sie ja nicht oft zu Gesicht bekommen“, kommentierte Harry, der immer noch bei Tom untergehakt war und nicht vorhatte, ihn gehen zu lassen. Es tat gut, nicht allein zu sein.

„Ich hoffe es“, meinte sie, während sie mit ihren Augen die Umgebung betrachtete. „Gehst du zurück zu Narcissa?“
 

„Er kommt zu mir“, antwortete Thomas für ihn. „Narcissa und Lucius brauchen dringend etwas Zeit für sich, um an ihrer Ehe zu arbeiten.“

„Nun, sie sind definitiv nicht die Einzigen“, sinnierte sie. „Dann werde ich mich auf den Weg zu Regulus machen... das ist nicht weit von hier, ich werde zu Fuß gehen.“

„Sollen wir dich begleiten?“, fragte Harry besorgt.

Sie verdrehte die Augen. „Man kann es mit seiner Fürsorge auch übertreiben, Harry. Macht euch einen schönen Tag.“

Damit bog sie in die nächste Straße ein und war kurz darauf zwischen weiteren Häusern verschwunden.
 

Die beiden sahen ihr für einen Moment hinterher.

„Also... eines ist offensichtlich“, meinte Thomas. „Sie hat sich nicht im mindesten verändert.“

„Nein, das stimmt nicht“, widersprach er ihn und wandte sich um, damit sie weitergehen konnten. „Sie ist ruhiger geworden und hat viel von ihrer Fröhlichkeit eingebüßt. Wäre sie nicht, wer sie ist, würde ich sagen, dass sie erwachsen geworden ist.“

„Aber das war sie bereits zuvor. Genau wie du ist sie zu früh erwachsen geworden.“
 

„Nicht jeder kann ewig ein Kind bleiben“, sagte er lächelnd, während sie an einem Fastfoodrestaurant vorbeiliefen. „Dafür ist diese Welt zu grausam.“

„In der Tat“, entgegnete er nachdenklich und blieb plötzlich stehen, den Blick auf das Restaurant geheftet. Harry blinzelte verwirrt und betrachtete es ebenfalls, konnte jedoch nichts ungewöhnliches feststellen. Hatte der Mann etwa Hunger und wollte hier essen? Hoffentlich nicht.

„Tom? Alles in Ordnung?“, fragte er mit gehobenen Brauen.
 

„Ja...“, sagte er abwesend und Harry konnte eine undefinierbaren Ausdruck auf seinem Gesicht entdecken. „Es ist nur eigenartig, wie sehr sich manche Dinge ändern können.“

Ah, natürlich, so etwas hatte er sich auch schon gedacht, wie hätte es denn anders sein sollen. Wovon zum Teufel sprach er?

Thomas löste sich von dem Restaurant und sah nun ihn an, wobei er seine Verwirrtheit bemerkte und leicht lächelte. „Hier hat sich früher einmal ein Spielplatz befunden. Er war schon heruntergekommen, als ich selbst ein Kind gewesen war. Deshalb ist es wahrscheinlich nicht überraschend, dass er jetzt nicht mehr existiert. Aber ausgerechnet ein Fastfoodrestaurant?“ Er schüttelte ungläubig mit den Kopf. „Das hätte ihn sicher amüsiert.“
 

„Wen hätte es amüsiert?“, fragte Harry verdutzt. Wovon sprach er überhaupt?

„Nicht so wichtig“, entgegnete Thomas und entzog ihm seinen Arm, um ihn stattdessen um Harrys Schulter zu schlingen. „Was hältst du davon, wenn ich dich zum essen einlade? Hier in der Nähe gibt es ein ausgezeichnetes Restaurant.“
 

Normalerweise hätte er es nicht zugelassen, dass er das Thema wechselte, aber dafür erschien es ihm nicht interessant genug. Wahrscheinlich redete er von Abraxas oder einen anderen Bekannten. Oder jemanden, mit dem er auf diesem Spielplatz gespielt hatte, der hier früher einmal laut ihm gestanden hatte. Andererseits fiel es ihm schwer, sich vorzustellen, dass er irgendwann einmal ein Kind gewesen sein sollte, das mit anderen im Sand buddelte und übermütig den Überschlag auf einer Schaukel erreichen wollte. Wie seine Kindheit wohl ausgesehen hatte? Doch er traute sich nicht zu fragen.
 

„Du willst mich zum essen einladen? Hast du nichts zu tun? Soweit ich weiß, bist du jetzt Politiker.“

Er schmunzelte leicht. „Gönne mir ein paar Stunden in deiner Gegenwart. Auch ich brauche ab und zu das kostbare Geschenk der Freizeit.“

„Hm, na gut, dann werden wir es dir gönnen. Auf zum nächsten Qudditchspiel!“

Damit brachte er ihn tatsächlich zum lachen. „Du interessierst dich doch überhaupt nicht für Quidditch.“

„Das stimmt“, sagte Harry grinsend. „Aber ich wollte sehen, ob du dich noch daran erinnerst.“
 

Thomas schüttelte abermals mit dem Kopf und zog ihn dann mit sich.

Fort von diesem Ort der Erinnerung an das, was nie wieder sein konnte. Manche Dinge konnte eben nicht einmal ein Zeitumkehrer ändern.
 

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Geschickt fuhren Lilys schlanke Hände über Hermiones gewölbten Bauch und trugen damit gleichmäßig eine wohltuende Salbe auf. Ihr rotes Haar fiel dabei elegant über ihre Schultern und bildeten damit einen Kontrast zu dem grünen Umhang, den sie heute trug. Für ihr Alter wirkte sie nach wie vor jung, weshalb sie von vielen Frauen im Orden beneidet wurde.

Lily Potter war eine Schönheit, die von jedem Mann bewundert und zum Teil begehrt wurde. Zu ihrem Pech hing sie zu sehr an ihrem Gatten, um sich auf Avancen einzulassen, weshalb jeder, der ihr in irgendeiner Weise seine Zuneigung zeigte, schneller im nächsten Müllcontainer landete, als er „Amen“ sagen konnte.
 

Hermione mochte und bewunderte sie. Es gab keine andere Frau, die so selbstbewusst, kühl und dennoch freundlich war. Aus diesem Grund konnte sie nicht verstehen, warum James ihr stets die kalte Schulter zeigte und auch Harry sich von ihr fern hielt. Sie kannte die Ursache nicht, sie wusste nicht, was diese Familie entzwei gerissen hatte, das einzige, was sie aus Erfahrung sagen konnte, war, dass sie sich während ihrer Schwangerschaft voll auf sie verlassen konnte – sogar mehr als auf Molly oder Madam Pomfrey.
 

Harrys Mutter hielt nicht viel von ihrer Schwangerschaft und zeigte es ihr deutlich, aber trotzdem akzeptierte sie ihren Wunsch nach einem Kind und half ihr bei allen Fragen und Unklarheiten. Sie war ihr persönlicher Engel in dieser Hölle, die sich Leben nannte.
 

„In welchem Monat bist du jetzt?“, erkundigte sie sich mit sanfter Stimme und reichte ihr ihre Tunika, die sie sich sofort überzog.

„Im fünften.“

Lily nickte nachdenklich. „Was sagt Poppy? Geht es dem Kind gut?“

„Ja, es ist vollkommen gesund und meine Werte sind normal.“

„Das ist gut zu hören“, meinte sie. „Warte hier bitte, ich werde die Salbe wegbringen und uns etwas Löwenzahntee kochen. Möchtest du etwas essen?“

„Hast du noch ein paar von diesen wundervollen Keksen?“, fragte sie mit einem verlegenden Lächeln.

Lily gluckste. „Natürlich. Immerhin wusste ich, dass du kommst. Mach es dir hier ruhig gemütlich. Nicht vergessen: Hier ruhst du dich aus und denkst nicht einmal daran, mir zu helfen.“

„Danke Lily“, sagte sie sanft.

Die Frau winkte ab und machte sich auf den Weg in ihre kleine Küche.
 

Nachdem James sie aus seinem Haus verbannt hatte, war diese kleine, gemütliche Wohnung ihr neues Zuhause geworden. Es gab hier nicht viel – ein Bad, eine Küche, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer – doch Lily hatte es so hübsch eingerichtet, dass sich hier so gut wie jeder Zuhause fühlte. Deshalb konnte man Hermione oft hier vorfinden, wenn sie wieder einmal vom Orden wegkommen wollte, nicht zuletzt, da sie hier immer willkommen war.
 

In der Haustür drehte sich ein Schlüssel und im nächsten Augenblick betrat die andere Person, die hier jederzeit herein durfte, die Wohnung: Severus Snape.

Wie immer war er völlig in schwarz gekleidet und leichenblass. Als er sie bemerkte, hob er spöttisch eine Augenbraue. „Wieder vor dem Tyrannen geflüchtet, Granger?“

Sie funkelte ihn an. „Ronald ist kein Tyrann!“

„Natürlich nicht“, entgegnete er schnaubend und ging zur Küche, um Lily zu begrüßen.
 

Hermione war insgeheim davon überzeugt, dass er für sie weitaus mehr empfand, als die Freundschaft, die sie ihnen allen vorgaukelten. Interessanterweise war er neben James der einzige Mann, der damit durchkam. Wahrscheinlich war es auf seine gute Beziehung mit Harry zurückzuführen. Durch ihn konnte sie Neuigkeiten über ihren Sohn erfahren.

Eigentlich war es grausam. Selbst James war ihm bereits begegnet, warum meldete Harry sich also nicht bei seiner Mutter? Wusste er denn nicht, wie viel Sorgen sie sich um ihn machte? Vielleicht sollte sie ihn irgendwann besuchen und mit ihm reden. Nur wo sollte sie ihn besuchen?
 

In der Küche ertönte ein helles Lachen und kurz darauf kam eine nach wie vor lachende Lily mit einem lächelnden Severus... Moment, ein lächelnder Severus Snape?! Sie hatte ihn noch nie lächeln gesehen, geschweige denn mit einem positiven Gesichtsausdruck. Jetzt war es offiziell: Er empfand etwas für sie, etwas tiefgehendes. Mit einem Mal bekam sie Mitleid mit ihm.
 

„So hier sind dein Tee und deine Kekse“, meinte Lily fröhlich und stellte sie ihr auf den kleinen Couchtisch.

„Danke“, sagte sie leise und war recht froh, dass die Frau sich neben sie setzte, weshalb Severus dazu gezwungen war, sich auf dem Sessel niederzulassen. Auch wenn sie jetzt Mitleid mit ihm hatte, bedeutete es nicht, dass sie ihn mögen musste.
 

Severus schien es ähnlich zu sehen, da sein Lächeln wieder erloschen war und er reserviert an seiner eigenen Teetasse nippte. Er war offensichtlich ebenfalls nicht glücklich darüber, Lily mit jemandem teilen zu müssen. Diese ließ sich davon jedoch nichts anmerken und lächelte in die Runde. „Wie geht es Harry? Hast du wieder mit ihm sprechen können?“
 

„Nein“, sagte er. „Aber offenbar ist er mit seiner kleinen Französin auf Wohnungssuche. Das erste vernünftige, was er seit vielen Jahren getan hat, wenn du mich fragst. Er wird sich wohl bei uns melden, sobald er seine Unterkunft gefunden hat.“

„Und sich endlich vom dunklen Lord entfernen, um stattdessen uns zu unterstützen?“

Severus warf Hermione einen Blick zu, ehe er sagte: „Das bezweifle ich. Der dunkle Lord hat, was ihn betrifft, gute Arbeit geleistet. Selbst Albus könnte ihn jetzt nicht mehr überzeugen. Tatsächlich hat er ihn schon vor langer Zeit aufgegeben.“
 

Hermione sah ihn entsetzt an. „Was? Aber das kann nicht stimmen. Harry ist auf unserer Seite! Neville ist doch sein bester Freund!“

„Aber Lucius, Narcissa und Draco sind seine Familie. Und der dunkle Lord... nun, er ist eine andere Geschichte.“

„Eine andere Geschichte?“, fragte sie. „Warum?“

„Es wird der Tag kommen, an dem du es verstehst“, sagte er kryptisch. „Aber dann wirst du dir wünschen, du hättest es nie erfahren.“
 

Sie runzelte die Stirn, hatte aber das dumpfe Gefühl, dass es keinen Sinn haben würde, nachzufragen, da er ihr sicher nicht antworten würde. Solche kryptischen Vorhersagen wurden nie weiter ausgeführt.
 

„Die Hochzeit von Draco und Miss Parkinson war übrigens ein wundervolles Ereignis, sehr rührselig. Momentan befinden sie sich in ihren Flitterwochen und genießen das Eheleben in vollen Zügen. Wer weiß, vielleicht werden Narcissa und Lucius bald ein Enkelkind bekommen.“
 

Es war ein Stich mitten in ihr Herz und er wusste es. Bisher war sie erfolgreich darin gewesen, Dracos Hochzeit zu verdrängen und die Folgen aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Aber nun brachte er die Erkenntnis mit aller Gewalt zurück.

Er war verheiratet, er hatte eine Frau und mit dieser Frau würde er immer zusammenbleiben und Kinder bekommen. Er war vergeben und sie...
 

Mit einem Mal erhob sie sich und lächelte Lily entschuldigend an. „Ich sollte zurück. Ronald wartet sicher bereits.“

„Oh... natürlich“, sagte sie blinzelnd. „Komm jederzeit wieder vorbei.“

„Das werde ich“, versprach sie sanft. „Wir sehen uns.“
 

Ohne den grinsenden Severus Snape noch eines Blickes zu würdigen, verließ sie die Wohnung, um in ihr Zuhause zurückzukehren.

Sie hasste ihn. Sie hasste ihr Leben. Sie hasste ihr Schicksal. Aber vor allen Dingen hasste sie sich selbst, da sie zu feige war, um für eine Verbesserung zu kämpfen.
 

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Zurück im Hauptquartier des Ordens war Hermione überrascht, Fred und George bei Ronald und Neville sitzen zu sehen. Offenbar waren sie gerade dabei, ihnen ihre neueste Erfindung zu zeigen. Als sie Hermione entdeckten, grinsten sie breit.
 

„Na...“

„...schwangere Schönheit?“

„Wieder zurück von...“

„...der Mutter unseres...“

„...verschollenen...“

„...wiedergekehrten...“

„...Findelkindes?“
 

„Sieht ganz so aus“, sagte sie und setzte sich neben Ronald, der ihr einen kurzen, aufmerksamen Blick zuwarf, ehe er sich wieder dem Tagespropheten widmete. Ganz offensichtlich war er nicht im mindesten daran interessiert, was seine Brüder vorzuzeigen hatten und irgendetwas sagte ihr, dass es ihr nicht anders gehen würde. „Was tut ihr hier? Ihr habt euch länger nicht mehr blicken lassen.“
 

„Ach, es gibt...“

„...keinen speziellen Grund, nur...“

„...eine neue Erfindung.“

„Eine Kleinigkeit.“

„Eine geniale Kleinigkeit“, meinte Neville grinsend und zeigte auf die seltsamen Gegenstände, die auf dem Tisch lagen. „Sie nennen es Langziehohren!“

Sie hob eine Augenbraue, während Ronald schnaubte.
 

Fred lächelte nachsichtig. „Zweifelt ruhig daran, es ist eine überaus nützliche Erfindung. Damit kann man Dinge erfahren, die einem sonst immer verborgen blieben. Glaubt mir, bald werden sie die Nummer ins bei allen Spionen sein.“

„Was immer du sagst“, meinte sie und verdrehte die Augen. „Ich habe Snape getroffen.“

Sofort wurde sie von allen aufmerksam angesehen. „Und?“, fragte Ronald.
 

„Er hat gesagt, dass Harry sich eine eigene Wohnung sucht. Mit Felice.“

„Eine eigene Wohnung?“, wiederholte Neville leise. „Das ist gut. Oder?“

„Auf jeden Fall“, sagte Ronald. „Das ist ein Schritt fort vom dunklen Lord. Vielleicht schafft er es so, sich ganz seinem Einflussbereich zu entziehen.“

„Snape schien das für unwahrscheinlich zu halten.“

„Aber es ist nicht unmöglich. Wir müssen ihn besuchen, wenn er diese Wohnung hat und dafür sorgen, dass er wieder mehr mit uns zu tun hat. Er ist zwei Jahre lang in Frankreich gewesen, ein Land, das strikt hinter dem dunklen Lord steht. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er wieder unsere Sicht der Lage begreifen kann.“
 

Fred und George wechselten einen Blick.

„Glaubst du nicht...“

„...dass er das...“

„...bereits tut?“
 

„Würde er es tun, wäre er jetzt hier“, sagte er schlicht, während er seinen Blick wieder auf die Zeitung heftete. „Wir müssen ihn für unsere Sache überzeugen. Harry wäre ein zu gefährlicher und ernst zu nehmender Gegner, als dass wir diese Möglichkeit riskieren könnten. Wenn wir es nicht schaffen, ihn auf unsere Seite zu ziehen, müssen wir ihn eliminieren.“
 

Die Zwillinge betrachteten ihn ernst, während Neville so entsetzt aussah, wie Hermione sich fühlte. Harry eliminieren? Ausgerechnet Harry? Das sollte doch ein Witz sein!

„Du bist ein skrupelloser Mensch geworden, kleiner Bruder“, stellte George fest. „Dieser Monolog hätte vom dunklen Lord selbst stammen können.“

„Wenn du deinen Feind besiegen willst, muss du lernen, wie er zu denken“, entgegnete er. „Wäre es nicht auch für euch vom Vorteil, wenn Harry wieder zu uns zurückkehren würde? Thomas hat ihn euch mit der Hilfe des dunklen Lords weggenommen. Vielleicht könntet ihr ihn zurückgewinnen, wenn er erkennt, wie falsch er eigentlich liegt.“
 

„Netter Versuch, Ronald, aber wir werden ihn nicht manipulieren“, verkündete Fred und packte die Langziehohren wieder ein. „Harry hat Thomas nicht aus politischen Gründen gewählt, sondern weil er ihm tatsächlich etwas bedeutet. Wir werden nicht für dich die Drecksarbeit erledigen. Das wirst du ganz alleine tun müssen.“
 

„Das werde ich“, sagte er. „Aber ihr werdet euch wünschen, ihr hättet es getan.“

Hermione glaubte ihm aufs Wort.

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Das nächste Mal gibt es ein Wiedersehen mit Ginny und einen mehr oder minder eifersüchtigen Tom. Freut euch schon einmal darauf. <3

Sweet Revenge

Kaum ist man an der Uni, schon ist man erkältet... gemein ist das. *ins Taschentuch schneutz*
 

However, hier ist ein neues Kapitel von „Time Began To Play“. Es enthält einen Harry/Tom-Dialog, Ginny und... eine Überraschung am Ende. Na, wenn das nicht viel versprechend klingt.

Jedenfalls danke an alle, die mir zum letzten Kapitel ein Review hinterlassen haben und natürlich – wie immer – an Robino, die alle Versionen – ja, es gab mehr als eine – dieses Kapitels korrigiert hat. Danke dafür. <3

Dummerweise werden meine Antworten auf Reviews ab sofort seeehr spärlich gesät sein, weil mir die Zeit fehlt. Aber keine Sorge, an der FF arbeite ich trotzdem weiter.

Ansonsten wünsche ich Euch viel Vergnügen mit „Sweet Revenge“.
 

P.s.: Ja, es gibt wieder eine Widmung, ich habe irgendwie das Gefühl, dass das ungewollterweise zu einer Gewohnheit wird... *drop* Diesmal geht sie an Xinja, die mich mit ihren vier Reviews so überrascht und motiviert hat, dass es heute schon das neue Kapitel gibt. *sie knuddel*

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Sweet Revenge
 

Nach all dieser Zeit, nach all diesen Nächten, nach all diesen Momenten, die er an diesem Ort verbracht hatte, hatte Harry sich immer noch nicht daran gewöhnt, plötzlich aus einem seiner wirren Träume hierher zu gleiten. Tatsächlich ging es ihm inzwischen ziemlich auf die Nerven und sobald er auch nur Ansätze dieses Liedes hörte, das Tom nach wie vor spielte, wollte er am liebsten die Flucht ergreifen. Dumm nur, dass er noch nicht herausgefunden hatte, wie er selbstständig aus diesem Albtraum entkommen konnte.
 

Diesmal war er direkt im Kreuzgang von Toms Haus gelandet. Unter seinem Rücken fühlte er den Efeu, der hier alles überwucherte, während er über sich die Regentropfen sah, die stetig näherkamen und ihn mit ihrem kalten Wasser bedeckten. Langsam drehte er den Kopf und sah zu dem großen Flügel hinüber, der genau dort stand, wo sich heute Gellert Grindelwalds Grab befand. Davor saß wie immer der junge Tom, ohne ihn zu bemerken.

Manchmal spielte Harry mit dem Gedanken, ihn anzusprechen, aber er glaubte nicht, dass es einen Sinn machen würde. Hier geschah nur, was in ihrem Interesse lag und wenn sie etwas nicht wollte, dann, dass er mehr Zeit als notwendig mit Tom verbrachte.
 

Eifersüchtiges, ekelerregendes Weibsbild. Und so etwas hätte er geheiratet. Was für ein Glück, dass Ariana sich eingemischt und dieses Schicksal verhindert hatte.

Sich das nasse Haar aus dem Gesicht streichend, richtete er sich auf und streckte sich, ehe er aufstand. Er hatte nicht die geringste Lust darauf, hier zu bleiben und sich mit ihr zu unterhalten, aber aus Erfahrung wusste er, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde.
 

Wenn sie wenigstens zu ihm kommen würde, wenn sie mit ihm sprechen wollte, aber nein, wie immer durfte er sie suchen. Typisch. Natürlich konnte er deshalb die nächste Stunde damit verbringen, durch das Haus zu laufen, bis er sie in einem Raum am anderen Ende des Gebäudes fand.

„Ginerva“, begrüßte er sie kühl und begutachtete die Tasse Tee, an der sie momentan genüsslich nippte. Es war feinstes Porzellan, rosa und definitiv teuer. Als hätte sich die Einrichtung dem Geschirr angepasst, gab es hier kitschige Großmuttermöbel, mit Teedeckchen, kleinen Figuren – die alle als Staubfänger dienten – und jede menge rosa. So könnte er sich glatt Pansy Parkinsons zukünftiges Teezimmer vorstellen, besonders, wenn er sich an die grauenhafte Hochzeitsdekoration erinnerte. Waren eigentlich alle Frauen so geschmacklos?
 

Nein, waren sie nicht. Er kannte immerhin Felice, Luna, Hermione und allen voran Narcissa. Jede einzelne von ihnen würde über diesen Ort hier genauso denken wie er selbst. Dummerweise musste er momentan mit dieser... Mira Vorlieb nehmen.
 

„Harry“, sagte Ginny, nachdem sie den Tee herunter geschluckt hatte und sah ihn ernst an. „Du hast lange gebraucht.“

War sie gerade wirklich vorwurfsvoll?

„Ich kann nichts dafür, dass du dich in den hintersten Winkel dieses Hauses zurückgezogen hast.“

Ihre Augen verengten sich und sie stellte die Tasse ab. „Nun gut, dann kommen wir direkt zum Thema“, sagte sie kühl. Es passte ihr wohl ganz und gar nicht, dass er sich so abweisend verhielt, aber daran würde sie sich gewöhnen müssen. „Du verhältst dich lächerlich.“
 

Harry hob eine Augenbraue und ließ sich elegant auf den nächsten Stuhl nieder. „Inwiefern? Momentan bin ich mir keiner Schuld bewusst.“

„Ich rede auch nicht von jetzt“, sagte sie verärgert. „Sondern von deinem Verhalten ihm gegenüber.“

„Mit ihm meinst du Tom, nehme ich an?“

Als Antwort erntete er nur einen bösen Blick. „Du lässt dich bei ihm von deinen Gefühlen leiten. Ich habe zugestimmt, dass du zurückkehrst, weil ich davon überzeugt war, dass du ihn zur Vernunft bringst. Dieser Krieg muss beendet werden!“

„Weil das Schicksal möchte, dass Tom diesen Krieg gewinnt oder weil er ihn verlieren wird?“, fragte Harry. „Aber nein, du musst mir nichts sagen, er wird ihn sicherlich gewinnen. Immerhin kannst du es nicht ertragen, wenn er etwas Glück hat.“
 

„Damit hat das nichts zu tun. Wir haben eine Abmachung.“

„Nein, du hast mir eine Abmachung aufgezwungen“, korrigierte er sie gelassen, während er die grässliche Dekoration bewunderte. „Ich mag ein Tempus Amicus sein, aber das heißt nicht, dass ich den Mann, den ich liebe, in sein Verderben rennen lassen werde, nur weil du ihn nicht leiden kannst.“

Fasziniert griff er nach einem Teller, der vor ihm auf dem kleinen Tischchen stand und drehte ihn interessiert in den Händen. Er sah wirklich elegant aus und war ein wahres Kunstwerk. Wie man auf so etwas essen konnte, war ihm ein Rätsel. Die Gefahr der Abnutzung wäre ihm einfach zu groß.
 

„Ich leugne nicht, dass ich ihm jedes Unglück herbeiwünsche, dass es auf der Welt gibt, deinen Tod ausgenommen“, erklärte Ginny nach einem kurzen Schweigen, in dem sie wahrscheinlich darüber nachgedacht hatte, wie sie sich hier wieder herausreden konnte. „Aber das hier hat damit nichts zu tun. Du kennst unsere Aufgabe, wir müssen dafür sorgen, dass das Schicksal nicht mit seinen Plänen durchkommt.“

„Und was sind seine Pläne?“, erkundigte er sich und drehte den Teller weiter in seinen Händen.
 

„Dass Neville in diesem Krieg triumphieren wird“, sagte sie. Er blickte auf und bemerkte, dass sie seine Hände betrachtete. „Er wird zwar einige Probleme haben, aber er wird gewinnen und deinen Tom in den Tod stürzen.“ Ihre Augen suchten seinen Blick und sie lächelte. „Glaube mir, es ist in deinem Interesse, mir zu helfen. Du willst doch nicht, dass er vernichtet wird, oder?“
 

Nein, natürlich wollte er es nicht und das wusste sie. Aber...

„Tom wird sich nie und nimmer davon abbringen lassen, einen Krieg zu führen“, sagte er leise. „Er ist stur.“

„Dann musst du eben sturer sein“, sagte sie mit einem energischen Unterton. „Du musst dafür sorgen, dass dieser Konflikt nicht eskalieren kann oder es wird viele Tote geben, auch unter den Menschen, die du liebst. Denk nur an deine Paten, an Draco, an Felice... es ist nicht nur Tom, den du verlieren könntest.“
 

Harry schenkte ihr ein entspanntes Lächeln. „Darüber bin ich mir durchaus bewusst, Ginerva.“ //Wenn es nach dir ginge, würden sie wahrscheinlich alle sterben.// „Wäre das dann alles? Ich würde gerne wieder aufwachen, damit ich versuchen kann, ihn von unserer Ansicht zu überzeugen.“

„Nur noch eines“, sagte sie. „Deine Idee, mit Felice zusammenzuziehen ist irrsinnig. Schlag sie dir wieder aus dem Kopf. Wir brauchen dich bei Tom und nicht bei dieser Möchtegern-Empathin.“

Verwirrt runzelte er die Stirn. Möchtegern-Empathin? „Was meinst du damit?“
 

Doch wie immer, wenn ihn etwas wirklich interessierte, fand er sich in seinem nächsten Traum wieder.

War er eigentlich der Einzige, der das unfair fand?

//Frag einfach Felice. Sie kann dir sicher sagen, was Ginerva gemeint hat.//

Wenn sie es wollte.
 

Aber sein Gefühl sagte ihm, dass er auch von ihr keine Antwort bekommen würde.
 

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Am nächsten Morgen weckten ihn sanfte Finger, die durch seine Haare fuhren und unerlaubt mit einer Strähne spielten. Er musste nicht die Augen öffnen, um zu wissen, wer da neben ihm lag. Der Geruch, der teure Stoff unter seiner Wange, der ruhige Atem – er konnte nur bei einem sein.

Harrys Mund verzog sich zu einem Lächeln. Wahrscheinlich würde das hier ihr letzter, friedlicher, gemeinsamer Augenblick sein. Er sollte ihn solange genießen, wie er konnte.
 

Weiche Lippen legten sich auf seine Stirn und kurz darauf fragte eine samtene Stimme: „Worüber lächelst du?“

„Über einen schönen Traum“, entgegnete er und schlug seine Augen auf, um ihn ansehen zu können. Tom betrachtete ihn mit einem sanften Gesichtsausdruck. Eine dunkle Haarsträhne hing in sein schönes Gesicht und Harry musste wieder einmal feststellen, dass er seinen Ich-bin-gerade-aufgewacht-Look äußerst... anziehend fand.
 

„Und um was ging es darin?“, fragte Tom interessiert.

Harry hob eine Augenbraue. „Warum willst du das wissen? Wirst du ihn etwa wahr werden lassen?“ Das bezweifelte er. Damit würden sie einfach zu sehr in die Kategorie klischeehaftes Pärchen hineinrutschen und das war einfach nicht ihr Stil. Aus diesem Grund überraschten ihn Toms nächste Worte.

„Wenn es mir möglich ist...“, sagte er und beugte sich vor um mit seiner Nase über Harrys Wange zu fahren. „Sag, wovon träumst du, Liebster?“
 

Liebster? Dieser Kosename war neu.

Überhaupt war sein Verhalten in letzter Zeit mehr als merkwürdig. Ob er etwas damit bezweckte oder war es einfach auf seine lange Abwesenheit zurückzuführen? Doch er beschloss, ausnahmsweise nicht alles zu hinterfragen. Manchmal musste man einfach genießen.

„Ich träumte von uns“, sagte er deshalb und schloss seine Augen wieder.

„Von uns?“, wiederholte Tom und drückte ihn leicht, als Harry nicht weitersprach. „Ich hoffe doch, es war ein versauter Traum.“

Er musste lachen. „Nein, ich fürchte nicht.“ Er schwieg wieder für einen Augenblick, den er dafür nutzte, sich einen gute Geschichte auszudenken. „Wir waren zusammen“, begann er langsam. „Weit weg von hier auf einer einsamen Insel. Alles war friedlich und still und es gab keinen Krieg. Es war sehr schön.“
 

Diese Seifenoper schien eine gute Wahl zu sein, zumindest wirkte Tom ehrlich betroffen: „Harry...“

„Ich weiß“, unterbrach er ihn und drehte sich so, dass er ihm den Rücken zukehrte. „Es war ein Traum. Eine Illusion. Du willst den Krieg.“

Tom seufzte schwer und schlang seine Arme fest um Harrys Bauch, um ihn an sich zu drücken. „Es ist nicht so, dass ich den Krieg will. Ich möchte nur eine schnelle Lösung und das ist der beste Weg.“

„Menschen sterben. Kinder werden zu Waisen. Unschuldige werden gefoltert. Das kann niemals der beste Weg sein.“
 

„Ich weiß“, sagte er leise. „Du wünschst dir eine gewaltfreie Lösung. Du willst alle retten. Das ist normal für einen Tempus Amicus, aber Diplomatie bringt nichts. Wir haben es lange genug versucht. Jetzt bleibt nur noch...“

„Nein, so etwas darfst du nicht denken“, widersprach ihm Harry und drehte sich wieder zu ihm um. Tom begegnete seinem Blick ernst, aber er wirkte auch leicht resigniert. Wahrscheinlich weil er ebenfalls wusste, dass sie sich bei diesem Thema niemals einig werden würden. „Es muss eine andere Möglichkeit geben. Das, was du tust, ist Irrsinn.“
 

„Ich muss es tun.“

Ah, natürlich. Er musste es tun. Die Standartantwort, wenn man jemandem etwas nicht erklären wollte. Pech für Tom, dass er dieses Spiel ebenfalls spielen konnte.

„Warum?“

„Das würdest du nicht verstehen.“

„Dann erkläre es mir!“ Er sah ihn ernst an. „Ich möchte dich verstehen, Tom. Ich möchte dir helfen. Aber das kann ich nicht, wenn du dich mir verschließt.“
 

Was für eine Reaktion würde man auf so eine Aussage erwarten? Ein Seufzen? Ein „Ach, Harry, es ist kompliziert.“? Oder vielleicht einen langen Monolog, in dem einem das Herz ausgeschüttet wurde? Was immer man auch erwartete, das war es definitiv nicht: Tom begann zu lachen.

Dummerweise war es kein fröhlich-amüsiertes, sondern ein spöttisch-resigniertes Lachen. Eines, das ganz eindeutig sagte: Du bist so naiv, Kleiner.

Er hasste dieses Lachen, denn in der Regel brachte es nichts Gutes.
 

„Du willst mich verstehen? Mir helfen? Das glaubst du doch selber nicht.“ Er bedachte ihn mit einem amüsierten Lächeln, doch seine Augen waren ernst. „Du hast mich verraten, du hast meine Seele zerstört und danach bist du weggerannt, um dich zwei Jahre lang zu verstecken. Ich gebe zu, dass es mein Fehler war. Ich hatte deine Gefühle für Longbottom unterschätzt, aber das ändert nichts daran, dass du mir sehr deutlich gezeigt hast, inwieweit du mir helfen willst.“
 

Er strich mit einem Finger über Harrys Arm, auf dem sich unwillkürlich eine Gänsehaut bildete. „Deine Loyalität gehört nicht mir. Ich war zu lange aus deinem Leben verschwunden, um sie zu gewinnen und solange hat Longbottom seine Chance genutzt, auch wenn es ihm wahrscheinlich nicht einmal bewusst ist. Wenn du zu einer Entscheidung gezwungen wirst, wirst du immer ihn wählen.“

„Und warum bin ich dann hier? Müsste ich nicht bei Neville sein, wenn deine Theorie wahr ist?“ Er hasste es, wenn andere Leute Vermutungen über seine Psyche anstellten.
 

„Du wärst dort, wenn du nicht ein Tempus Amicus wärst“, sagte Tom und zog ihn wieder fest an sich. „Ein Tempus Amicus will immer in der Nähe von absoluter Macht sein. Ihr werdet davon angezogen, wie Fliegen vom Kerzenlicht. Momentan ist meine Magie noch mächtiger als Longbottoms, aber wenn sich das je ändern sollte, wirst du dich von mir abwenden.“
 

Wäre es ungerecht, wenn er sich jetzt beleidigt fühlte?

„Warum lässt du es dann zu, dass ich bei dir bin?“, fragte er abweisend. „Wäre es bei deiner Theorie für dich nicht sicherer, wenn ich verschwinden würde? Oder wenn du mich beseitigst?“

Es wäre tatsächlich sicherer. Die Geschichte hatte bereits gezeigt, dass Toms Theorie vollkommen zustimmte. Tempora Amici hatten sich immer um Machtquellen versammelt, was Harry gut nachvollziehen konnte. Toms Aura war für ihn von Anfang an berauschend gewesen. Allein seine Gegenwart brachte ihm ein Gefühl absoluter Zufriedenheit, besonders jetzt, wo er sich an ihre Wirkung gewöhnt hatte.
 

Allerdings glaubte er nicht, dass jemals irgendjemand auch nur ansatzweise wie Tom sein könnte. Anziehung und Liebe waren zwei verschiedene Schuhe. Ersteres konnte man eventuell ignorieren, aber letzteres war zu tiefgehend und zu zerstörerisch, als dass man sich ihr entziehen konnte. Nicht, dass er das Tom unter die Nase halten würde. Er konnte sich ruhig etwas Mühe geben, wenn er ihn bei sich haben wollte.

Obwohl, wollte dieser das überhaupt? Wahrscheinlich, ansonsten wäre er kaum hier. Oder?
 

„Du hast Recht“, sagte Tom nachdenklich. „Ich hätte dich schon längst töten sollen. Du bist eine potentielle Bedrohung und wenn du dich gegen mich wendest, habe ich tatsächlich ein ernsthaftes Problem.“

„Doch dieses Risiko gehst du ein“, entgegnete Harry.

„So sieht es aus.“

„Warum?“
 

Anstatt ihm zu antworten, vergrub Tom sein Gesicht in seinen Haaren und atmete tief ein. Harry konnte seinen Atem auf seiner Kopfhaut spüren und schloss genießend seine Augen. Das tat wirklich gut.

„Ich bin Opfer meiner eigenen Manipulation geworden“, flüsterte der dunkle Lord. „Aber ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, es zu bereuen.“
 

„Und was heißt das in einer mir verständlichen Sprache?“, erkundigte er sich. Er war nicht in der Stimmung, sich von süßen Worten vom Thema ablenken zu lassen. Oder sich verführen zu lassen. Nicht, dass es den Anderen stören würde. Sanft schoben sich seine Hände auf Harrys Gesicht, um es vorsichtig so zu drehen, dass er ihn küssen konnte. Normalerweise würde er es genießen, aber erstens war er für seinen Geschmack viel zu sanft und zweitens hatte er keine Lust, ab sofort jede Nacht Ginerva treffen zu müssen, weil sie der Meinung war, dass er sich nicht genug anstrengte.
 

Aus diesem Grund drehte er seinen Kopf zur Seite, als Toms Hände über seinen Körper zu wandern begannen und setzte sich auf. „Ich meine es Ernst, Tom. Dieser Krieg, den du führst, ist Wahnsinn. Du wirst damit nur zerstören und nichts erreichen können. Selbst, wenn du ihn gewinnst, wird das, was du dadurch erschaffst, nicht lange halten. Eine Weltordnung, die auf Gewalt beruht, kann niemals ewig währen.“

Tom seufzte und drehte sich auf den Rücken. Dabei streckte er seine Arme von sich, sodass sein rechter auf Harrys Körper ruhte. „Müssen wir schon am frühen Morgen über ein solch tristes Thema sprechen? Das wird nur in einem Streit enden und das weißt du.“

Harry nahm seine Hand und verschränkte ihre Finger ineinander. Er musste ihm zustimmen, ihm selbst wäre auch ein entspanntes Aufwachen lieber. Trotzdem: „Dieser Streit ist notwendig, Tom. Wir müssen das klären.“
 

„Wer sagt das? Du? Oder deine Mira?“ Sein Ton war abfällig, beinahe verachtend. Genauso sah sein Blick aus, als er ihn von der Seite her ansah. „Du bist diese Nacht bei ihr gewesen, nicht wahr? Deshalb redest du nun über dieses Thema, obwohl wir ihm bisher erfolgreich ausgewichen sind.“

„Eurer Verstand ist wieder einmal unübertroffen, Mylord“, kommentierte er spöttisch. „Woher weißt du eigentlich über die Existenz von Miras? Soweit ich informiert bin, ist ihre Existenz nur für Insider.“

Es war neckend gemeint, aber Tom nahm ihn ernst: „Vielleicht bin ich ja ein Insider.“
 

Ohne, dass Harry irgendwie darauf reagieren konnte, wurde er gepackt und im nächsten Moment in das Bett gepresst. Tom lag mit seinem gesamten Gewicht auf ihm und hatte ihn mit seinen lodernden Augen fixiert. War da etwa jemand eifersüchtig? Also bitte.

„Sag mir, wer ist sie?“, fragte er und kratzte erbarmungslos über seine Wange. „Eine Freundin? Deine Geliebte? Oder aber eine Schwester, von der niemand etwas weiß?“

Harrys Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, wobei er das Brennen ignorierte, das Toms Fingernägel hinterließen. Er würde sich dringend eine neue Heilsalbe besorgen müssen, wenn das so weiterging. „Das beschäftigt dich wohl schon länger, was?“
 

Harry schlang seine Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich hinunter. „Du willst wissen, wer sie ist?“, er hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf das Ohrläppchen. „Sie wäre meine Frau geworden. Die Mutter meiner Kinder. Die Person, mit der ich mein ganzes Leben geteilt hätte.“ Zufrieden merkte er, wie Toms Aura sich verdüsterte. Deshalb wusste er, dass seine nächsten Worte gefährlich waren. Natürlich sprach er sie trotzdem aus. „Es ist zu schade, dass sie sterben musste, bevor ich sie richtig kennenlernen konnte.“
 

„Du spielst ein gefährliches Spiel, Harry Potter“, zischte Tom. „Aber ich habe das Gefühl, dass du es genießt. Pass auf, dass du dir nicht die Finger verbrennst.“

Wieder musste Harry grinsen. „Mach dir mal keine Sorgen. Ich steh auf Schmerzen.“

„Das hättest du jetzt besser nicht sagen sollen.“
 

Da hatte er Recht. Seinem Körper wäre es zumindest lieber gewesen.

Wie ein ausgehungertes Tier stürzte Tom sich auf ihn. Geschickt verteilte er Küsse in seinen Nacken, strich mit seiner Zunge über seine Haut und biss schließlich neckend hinein. Protestierend schlug Harry ihm auf den Rücken, doch er ignorierte ihn gekonnt. Stattdessen strich er mit seinen Händen über seine Schultern, seine Arme, seine Hände, bis er seine Handgelenke packte und sie mit geübtem Griff auf dem Bettlaken fixierte.
 

„Im Gegensatz zu dir, bin ich kein Masochist, mein kleines Wunderkind“, erklärte er und setzte sich auf Harrys Hüfte, wobei dieser deutlich die pochende Erregung spüren konnte, die sich unter Toms Schlafanzughose bildete.

Seine Kehle wurde trocken, dennoch schaffte er es, einen Kommentar loszulassen: „Du hast ja keine Ahnung, was du verpasst.“

„Ich kann es mir vorstellen“, entgegnete er und sah ihn mit einem spöttischen Funkeln in den Augen an. „Immerhin muss es einen Grund geben, warum Menschen wie du immer wieder zu mir zurückkommen.“

„Du bist ein sadistischer, arroganter Mistkerl.“

„Schön, dass du das schon weißt. So muss ich dich nicht warnen.“
 

Harry lächelte, woraufhin sich Tom zu ihm hinunterbeugte und ihn in einen Kuss verwickelte. Es war genauso, wie sie es am liebsten mochten: dominant und grausam. Schon bald konnte er wieder sein eigenes Blut schmecken, was ekelerregend und berauschend zugleich war. Wahrscheinlich würde man ihn für wahnsinnig halten, weil er diese Behandlung genoss, doch das änderte nichts daran, dass er dies tatsächlich tat. Zufrieden schloss er seine Augen und beschloss, ihm ausnahmsweise seinen Willen zu lassen.
 

Vielleicht war das der Grund, warum Tom den Kuss auf einmal unterbrach und sich aufrichtete.

„Soweit ich weiß, musst du heute deiner kleinen Französin dabei helfen, Eure neue Wohnung einzurichten“, sagte er mit beherrschter Stimme, während er seine Hände losließ und aus dem Bett schlüpfte. Mit einer eleganten Bewegung hob er seinen Umhang auf, der letzte Nacht aus irgendeinen Grund auf dem Boden gelandet war, um ihn sich überzustreifen. Sobald er damit seinen mehr als attraktiven Körper verhüllt hatte, sprach er weiter: „Sag mir, wann du aufbrichst, dann werde ich mich auf den Weg ins Ministerium machen. Ich fürchte, dass Thomas in den letzten Tagen seine Arbeit etwas vernachlässigt hat.“
 

Ungläubig sah Harry dabei zu, wie er zu seiner Zimmertür lief. Dort blieb er stehen und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. „Wenn du mit mir frühstücken willst, solltest du dich beeilen. Und ich glaube, du könntest eine Dusche gebrauchen.“

Im nächsten Augenblick fiel bereits die Tür hinter ihm zu.
 

Das... war doch ein Witz, oder? Offensichtlich nicht.
 

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Felice wusste, wer vor der Tür stand, lange bevor sie sich überhaupt dorthin auf den Weg gemacht hatte, um sie zu öffnen. Zwar kannte sie die Person nicht sonderlich gut – bisher hatten sie nur wenig miteinander zu tun gehabt – doch sie merkte sofort, dass sie viel gemeinsam hatten. Zum einen hatten sie beide eine nicht ganz unbedeutende Rolle von der letzten Mira – Ariana Dumbledore – zugeteilt bekommen und zum anderen hatten sie gelernt, ihr wahres Ich – wenn nötig – zu verbergen. Eine überaus nützliche Eigenschaft, da man so des öfteren unterschätzt wurde und dadurch in der Lage war, seinen Gegenüber zu überraschen.

Wahrscheinlich war Ronald Weasley deshalb heute hier aufgetaucht, denn wer hätte schon mit seinem Besuch gerechnet? Sie selbst definitiv nicht.
 

In den letzten Jahren hatte sich Harry in seinen Briefen und den vielen Gesprächen nur selten über ihn geäußert. Er war in seinem Leben nie wichtig gewesen und daher hatte auch sie ihm niemals große Aufmerksamkeit geschenkt. Warum auch? Harry hatte ihn als uninteressant dargestellt, als jemanden, der sich am Rande der Gesellschaft befand und niemals irgendeine Rolle in seinem Leben spielen würde.

Amüsant, wie sehr er sich manchmal irren konnte. Wobei es in diesem Fall nicht ganz so lustig war.
 

Sie öffnete die Tür zu ihrer neuen Wohnung, die sie bald mit ihrem besten Freund teilen würde und sah den Gegenstand ihrer Gedanken aufmerksam an. „Guten Tag?“

Weasley betrachtete sie mit demselben Grad an Aufmerksamkeit, während seine beiden Begleiter – Hermione Granger und Neville Longbottom – unruhig von einem Fuß auf den anderen traten.

Es war offensichtlich, dass ihre Anwesenheit mehr als unerwünscht war – um das herauszufinden musste sie keine Empathin sein. Die beiden hatten gehofft, dass nur Harry hier wäre und das aus mehreren Gründen.
 

Erstens: Sie konnten Felice nicht ausstehen, ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte.

Granger war ihrer Meinung nach einfach viel zu weinerlich und inkonsequent, das bewies allein die Tatsache, dass sie trotz ihrer Liebe zu Draco Malfoy ein Verhältnis mit Weasley angefangen hatte und momentan ein Kind erwartete.

Was Longbottom anbelangte, so war es das kindliche Eifersuchtsdenken, dass sie gegenseitig abstieß. Harry war für beide der beste Freund und logischerweise wollten sie ihn nicht mit dem jeweils anderen teilen. Allerdings wusste Felice im Gegensatz zu dem Auserwählten sehr genau, wer Harrys bester Freund war, weshalb ihre Eifersucht durchaus begründet war.
 

Zweitens: Sie waren hier, um Harry zu manipulieren. Ein wirklich amüsanter Plan, der wahrscheinlich darin enden würde, dass der Tempus Amicus sie manipulierte. Interessanterweise war es Weasley gewesen, der ihn entwickelt hatte.

Er hatte bereits richtig erkannt, dass Harry vom dunklen Lord mehr als eingenommen war und ihn mit allem, was er hatte, unterstützen würde. Aus diesem Grund war es wichtig, ihn daran zu erinnern, dass es noch eine andere Seite gab, auf der sich eine Reihe seiner Freunde befand, die eventuell ebenfalls seine Hilfe bräuchten und zwar um einiges dringender als der mächtige, böse, egoistische dunkle Lord.
 

Der Ansatz dieses Planes war gar nicht mal so übel. Harry gehörte tatsächlich zu der Sorte Menschen, die immer mit denjenigen Partei ergriffen, die die meiste Hilfe benötigten.

Dumm nur, dass sich auf der weißen Seite bereits ein Tempus Amicus – in Form von Albus Dumbledore – befand und dadurch das Machtverhältnis durchaus ausgeglichen war. Zwar war dessen Zeit eigentlich schon vorbei, weshalb seine Kräfte nicht mehr so mächtig waren wie früher, doch er hatte jahrelange Erfahrung und wusste genau, wann er was wie tun musste. Somit war er Harry weit überlegen und stellte eine ernst zu nehmende Bedrohung für die dunkle Seite dar. Deshalb war die Wahrscheinlichkeit groß, dass Harry auf Tom Riddles Seite bleiben würde, nicht zuletzt, da er ihn liebte. Oder zumindest glaubte, dass er das tat.
 

Drittens: Nun, momentan konnte sie eigentlich keinen dritten Punkt erkennen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er existierte.
 

„Wir sind hier, um Harry zu besuchen“, brach Weasley schließlich das nervig werdende Schweigen. „Ist er da?“

Felice nahm sich einen Moment Zeit, die drei zu betrachten.

Granger tat ihre Schwangerschaft gut. Ihr Haar wirkte voller als früher, ihre Wangen hatten einen hübschen Rotton angenommen und ihre vom Liebeskummer getrübten Augen beherbergten ein helles Leuchten, das von Hoffnung auf eine bessere Zeit sprach. Sie lief aufrecht und stellte ihren Bauch stolz zur Schau, auch wenn eine gewisse Angst und Unsicherheit zu erkennen war. Ob wegen der bevorstehenden Geburt, des Krieges oder eines anderen Grundes konnte sie allerdings nicht sagen.
 

Longbottom war erwachsen geworden. Sein Gesicht wirkte maskuliner und hatte ein paar markante Konturen bekommen, die ihn durchaus attraktiv machten. Er war rasiert und seine Augen waren erfüllt von Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen. Allerdings konnte man nach wie vor seine Naivität erkennen, die wahrscheinlich nie ganz verschwinden würde. Langsam wurde er zu dem Helden nach dem sich alle sehnten – ein ganz passabler Anführer, auch wenn er niemals mit dem dunklen Lord mithalten würde können.
 

Dafür wäre Weasley um einiges besser geeignet, obwohl er nicht halb so gut aussehend war. Sein Gesicht hatte eine merkwürdige Form, sein Haar einen zu dunklen Rotton und in seinen Augen lag ein dunkler Schatten, der ihm eine unheimliche Ausstrahlung verlieh. Alles an ihm schrie nach unkontrollierter, schwarzer Magie, selbst der dunkle Lord wirkte weniger bedrohlich und das musste etwas heißen. Armer Kerl, er war wohl in der falschen Familie gelandet.

Für den dunklen Lord war er definitiv die größte Bedrohung. Ob dieser es wusste? Sie würde es ihm jedenfalls nicht erzählen, das war Harrys Aufgabe.
 

„Ich wollte wissen, ob Harry da ist“, wiederholte Weasley sichtlich genervt. Für seinen Geschmack hatte sie wohl zu lange geschwiegen.

„Ich glaube, diese Frage kannst du dir selbst beantworten“, meinte sie schlicht und führte die drei in ihr Wohnzimmer, das bereits ein paar Sitzgelegenheiten besaß, die zum größten Teil von Kisten ummauert wurden. Sie hatten noch nicht sonderlich viel Zeit zum Auspacken gehabt. „Entschuldigt die Unordnung, wir sind mitten im Umzugsstress.“ //Und haben eigentlich keinen Nerv für Besucher.// Diesen Kommentar hielt sie jedoch zurück, aus Rücksicht auf das Kind in Grangers Bauch. Sie hatte keine Lust, ein Duell und damit aus Versehen eine Frühgeburt auszulösen.
 

„Ist schon okay“, meinte Granger lächelnd und setzte sich vorsichtig auf eine freie Stelle. Longbottom und Weasley blieben stehen. „Umzüge sind die Hölle. Wir hätten vielleicht ein andermal kommen sollen, aber weißt du, wir haben ihn lange nicht gesehen.“

„Ja, Harry ist, was alte Freunde angeht, ziemlich nachlässig geworden“, pflichtete Felice ihr bei und beobachtete gleichzeitig, wie Weasley den Raum begutachtete. Bei ihren Worten wandte er jedoch ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu.

„Und wo steckt er?“
 

Sie verdrehte die Augen. „Wo wird ein hormonengesteuerter, verliebter, junger Mann wohl stecken?“, stellte sie die Gegenfrage, als sie plötzlich Harrys Gedanken vernahm. Offenbar war er gerade in den Keller appariert und machte sich nun auf den Weg nach oben. Manchmal besaß er ein perfektes Timing.
 

„Das ist sowieso etwas, das mich wundert“, sagte Weasley nachdenklich, doch seine Augen verrieten, dass er die Antwort auf die Frage, die er gleich stellen würde, bereits kannte. „Warum zieht er mit dir zusammen, wenn er genauso gut bei Thomas Mask sein könnte?“

„Ich bin sicher, du wirst uns gleich erleuchten“, entgegnete sie trocken und lehnte sich an das nächste Regal. Dabei blendete sie Longbottoms und Grangers verwirrte Gedanken völlig aus – sie hatten keine Ahnung, was hier eigentlich vor sich ging. Manchmal waren die beiden wirklich zu naiv.
 

Weasley schien ihre Meinung zu teilen, zumindest warf er den beiden einen kurzen, abfälligen Blick zu, ehe er sich wieder Felice zuwandte. „Thomas Mask ist der dunkle Lord, nicht wahr?“

Bevor sie darauf reagieren konnte, betrat Harry den Raum. „Faszinierende Theorie, Ronald“, kommentierte er seine These. Granger und Longbottom gaben Laute der Überraschung von sich, als er plötzlich dastand, während Weasley sich zu ihm umdrehte und ihn schweigend musterte. Harry ließ sich davon nicht im mindesten aus der Ruhe bringen, sondern streifte seine Jacke ab Erst, als er diese auf die nächste Kiste gelegt hatte, lächelte er den Rothaarigen an und sagte: „Ich bin schon sehr auf deine Argumentation gespannt.“
 

Felice grinste breit. Sie konnte es gar nicht erwarten, Harry endlich in Aktion zu sehen. Die nächste Stunde versprach äußerst amüsant zu werden.

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Findet ihr nicht auch, dass ein Cliffi eine schöne Überraschung ist? Aber hey, so wisst ihr wenigstens, was euch im nächsten Kapitel erwartet: Ein Harry/Ronald/Neville/Hermione/Felice-Dialog. *g*

The Task

Hallo, ihr Lieben!

Eine lange Wartezeit liegt hinter euch, aber dafür geht es heute mit einem langen Kapitel weiter. <3

Diesmal widme ich es meiner Beta Robino, die mir mit ihren Korrekturen eine sehr große Hilfe ist. Vielen Dank dafür. *knuddel*

Doch jetzt wünsche ich euch erst einmal viel Spaß mit:

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The Task
 

„Das ist sowieso etwas, das mich wundert“, sagte Ronald nachdenklich, doch seine Augen verrieten, dass er die Antwort auf die Frage, die er gleich stellen würde, bereits kannte. „Warum zieht Harry mit dir zusammen, wenn er genauso gut bei Thomas Mask sein könnte?“

„Ich bin sicher, du wirst uns gleich erleuchten“, entgegnete Felice trocken und lehnte sich an das nächste Regal. Dabei blendete sie Nevilles und Hermiones verwirrte Gedanken völlig aus – sie hatten keine Ahnung, was hier eigentlich vor sich ging. Manchmal waren die beiden wirklich zu naiv.
 

Ronald schien ihre Meinung zu teilen, zumindest warf er den beiden einen kurzen, abfälligen Blick zu, ehe er sich wieder Felice zuwandte. „Thomas Mask ist der dunkle Lord, nicht wahr?“

Bevor sie darauf reagieren konnte, betrat Harry den Raum. „Faszinierende Theorie, Ronald“, kommentierte er seine These. Granger und Longbottom gaben Laute der Überraschung von sich, als er plötzlich dastand, während Weasley sich zu ihm umdrehte und ihn schweigend musterte. Harry ließ sich davon nicht im mindesten aus der Ruhe bringen, sondern streifte seine Jacke ab Erst, als er diese auf die nächste Kiste gelegt hatte, lächelte er den Rothaarigen an und sagte: „Ich bin schon sehr auf deine Argumentation gespannt.“
 

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Harry nach den letzten beiden Jahren wiederzusehen war ein seltsames Gefühl. Neville konnte sich nicht entscheiden, ob er erleichtert, wütend oder traurig sein sollte.

Erleichtert, weil er noch lebte, weil er zurückgekommen war, weil er gesund zu sein schien.

Wütend, weil er solange gebraucht und sie im Stich gelassen hatte.

Traurig, weil er zu Felice geflüchtet war und nicht zu ihm, weil er sich zuerst bei den Malfoys gemeldet hatte und nicht bei ihm.
 

Neville verstand es nicht. Er hatte immer geglaubt, sie wären gute Freunde und würden sich gegenseitig helfen. Harry war immer für ihn da gewesen, hatte ihn immer unterstützt, hatte alles getan, damit er sich besser fühlte, auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so aussah. Bisher hatte er keine Gelegenheit gehabt, ihm das zurückzuzahlen, aber jetzt, wo er eine Chance bekommen hätte, war sein bester Freund verschwunden, ohne sich von ihm zu verabschieden.

Er hatte immer geglaubt, Harry würde ihm vertrauen. Er hatte sich geirrt.
 

Diese Erkenntnis war ernüchternd, doch sie half ihm über die Enttäuschung hinweg, die er über das Verhalten seines Freundes empfand. Harry hatte nicht falsch gehandelt, Neville war nur zu den falschen Schlussfolgerungen gekommen, als er seinen Weggang analysiert hatte. Somit war alles so wie immer und das war erstaunlich beruhigend. Harry war immer noch wie früher. Er machte immer noch keine Fehler.
 

Bereits bei ihrer ersten, richtigen Begegnung war es diese Unfehlbarkeit gewesen, die Neville am meisten an Harry beeindruckt hatte. Natürlich traf er des öfteren seltsame Entscheidungen, denen er selbst nicht wirklich folgen konnte, aber in der Regel stellte sich früher oder später heraus, dass es in diesem einen, bestimmten Augenblick das beste gewesen war, das man hätte tun können.

Er wusste nicht, wie Harry das schaffte. Vielleicht war es eine angeborene Gabe, ein Talent oder es hatte etwas mit seiner überdurchschnittlichen Intelligenz zu tun. Vielleicht war er in der Lage, jede Situation im Bruchteil einer Sekunde zu analysieren und die richtige Lösung für jedes Problem zu finden.

Angeblich war Albus Dumbledore auch dazu in der Lage und wenn er es konnte, konnte Harry es sicher auch. Oder?
 

Beunruhigt sah er zwischen Harry und Ronald hin und her, die sich gegenseitig musterten. Noch immer konnte Neville die Worte hören, die der Rothaarige ausgesprochen hatte: „Thomas Mask ist der dunkle Lord, nicht wahr?“

Das konnte nie und nimmer stimmen. Thomas war der Mann, den Harry liebte. Er musste also ein netter, freundlicher, anständiger Mensch sein. Harry würde sich wohl kaum in ein solches Monster verlieben! Würde er doch nicht, oder?

Er hoffte, dass sein bester Freund Ronalds These gleich widerlegen würde.
 

Doch bisher machte er nicht einmal Anstalten, das Gesagte richtig zu stellen. Stattdessen hatte er sich auf einen freien Stuhl niedergelassen und lächelte gelassen in die Runde. Das war ebenfalls typisch für ihn. Egal, wie schwer und aussichtslos die Situation auch schien, er war nie aus der Ruhe zu bringen. Bisher hatte er nur einmal die Fassung verloren und das war damals gewesen, als seine Eltern wieder aufgetaucht waren. Wie konnte er immer so ruhig bleiben? Berührten ihn diese Gegebenheiten wirklich nicht?
 

//Das, was Ronald sagt, ist einfach falsch//, versuchte er sich zu beruhigen. //Deshalb kann Harry so gelassen bleiben. Es gibt für ihn keinen Grund, sich aufzuregen.//

Doch wenn er einen Blick auf Hermione warf, die plötzlich seltsam angespannt wirkte und dabei Ronalds selbstsichere Miene betrachtete, wurde ihm doch Angst und Bange. Hatte Harry sie etwa wirklich so verraten?
 

„Wie wäre es, wenn wir einen Tee trinken?“, fragte Felice auf einmal freundlich. „Damit lässt es sich besser reden.“

„Ja, bitte!“, sagte Neville automatisch und war das erste Mal froh darüber, dass sie das Wort ergriffen hatte. Tee kochen brauchte Zeit und solange konnte er noch in dem Glauben leben, dass das alles nicht wahr sein konnte. Dass Harry nicht...

Im nächsten Moment war der kleine Couchtisch vor ihnen voll mit Teetassen, einer Kanne und kleinem Gebäck. Stimmt ja, sie waren alles Zauberer beziehungsweise Hexen. Da brauchte nichts lange, alles geschah im Bruchteil einer Sekunde. Auch das Heraufbeschwören von Tee.
 

Missmutig setzte er sich neben Hermione und auch Felice machte es sich endlich auf einer Sitzgelegenheit bequem. Nur Ronald blieb nach wie vor stehen, eine Angewohnheit, die er sich von Alastor Moody abgeschaut hatte. „Setze dich niemals, wenn du im feindlichen Territorium bist“, lautete die Devise und normalerweise machte sie Sinn, aber das hier war Harry.

//Aber was, wenn Thomas Mask wirklich der dunkle Lord ist?//

Würde es etwas ändern? Nein, es würde nicht etwas ändern, sondern alles.
 

„Du willst also wissen, warum ich glaube, dass Thomas Mask der dunkle Lord ist?“, fragte Ronald und klang dabei deutlich provozierend. „Du weißt ganz genau, warum ich das glaube.“

Harry wechselte einen Blick mit Felice, die so aussah, als müsse sie sich sehr beherrschen, um nicht zu Lächeln. Dann schenkte er in aller Ruhe den Tee aus und sagte dabei: „Wenn ich es wüsste, würde ich dich wohl kaum fragen, oder? Zucker?“, wandte er sich an Hermione. Dabei verweilte sein Blick für einen Moment auf ihrem gewölbten Bauch, ehe ihn wieder hob und sie anlächelte. Sie nickte mit zusammengepressten Lippen, woraufhin er ihren Tee in aller Ruhe versüßte. Dabei war er vollkommen gelassen, was bedeuten musste, dass er sich keiner Schuld bewusst war, nicht wahr? Das wiederum bedeutete, dass Ronald Unrecht hatte. Also war alles gut, oder? Oder?
 

„Deine billigen Tricks wirken vielleicht bei deinen Freunden, aber nicht bei mir, Potter“, zischte Ronald und er beugte sich vor, um ihn besser anfunkeln zu können. „Ich weiß von einer gewissen Mira.“

„Mit Mira meinst du wahrscheinlich eine Gehilfin der Zeit, nehme ich an?“

Gehilfin der Zeit? Mira?

Auch Hermione schien verwirrt: „Eine Gehilfin der...“ Ihre Augen weiteten sich. „Du willst doch nicht etwa andeuten, dass Ronald ein Tempus Amicus ist?!“
 

Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, war Felice in lautes Gelächter ausgebrochen und auch Harrys Mundwinkel zuckten verdächtig, während Ronald Hermione nachsichtig ansah. „Tu uns allen einen Gefallen und rede nicht über Dinge, die du nicht verstehst, Liebes“, sagte er sanft, aber mit einem gewissen, drohenden Unterton, den kein Mann bei seiner Freundin anwenden sollte, ganz recht nicht, wenn sie sein Kind erwartete.
 

Die Hermione, die Neville kannte, wäre darüber empört gewesen und würde es Ronald auch mitteilen, aber die Hermione, die neben ihm saß, presste nur wieder ihre Lippen aufeinander und widmete sich ihrer Teetasse. Das war einfach nicht normal, aber er wagte es nicht, sich einzumischen. Es war nie klug, sich in fremde Beziehungen einzumischen, es gehörte sich einfach nicht.

Natürlich hielt das Felice nicht davon ab, ihren Senf dazuzugeben. „Ich persönlich denke, dass sie verdammt viel von dieser Thematik versteht, wenn sie allein durch diese Fachbegriffe den Zusammenhang zu Tempora Amici erkennt“, erklärte sie liebenswürdig. „Wieso hast denn ausgerechnet du Kontakt zu einer Mira, wenn du kein Tempus Amicus bist, Weasley?“
 

„Warum kennst du dich denn mit den Details aus, Mademoiselle Poulain?“, konterte er. Eine gute Frage, wobei Neville zugeben musste, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, warum das so wichtig war. Natürlich wusste er, was ein Tempus Amicus war, sie hatten es immerhin in der Schule durchgenommen, bei Professor Lupin, den besten Lehrer überhaupt. Allerdings hatte er nichts von einer Mira oder einer Gehilfin der Zeit erwähnt. Wovon redeten die hier?
 

Felice verdrehte derweile die Augen. „Falls du es vergessen haben solltest, Monsieur Weasley, ich bin ein enfant prodige oder wie ihr es in eurer Sprache sagt: ein Wunderkind. Mit anderen Worten: Ich liebe es, mir Wissen anzueignen und es gibt mehr als ein Buch über Tempora Amici und allem, was damit zu tun hat. Deshalb möchte ich wirklich zu gerne wissen, warum ausgerechnet du von allen Menschen dieser Welt Kontakt mit einer Mira hast, wenn du kein Tempus Amicus bist.“
 

„Es geht hier nicht um mich, sondern darum, dass Thomas Mask der dunkle Lord ist“, zischte er.

„Was du angeblich von einer Mira erfahren haben sollst“, meinte Harry und nippte an seinem Tee. „Soviel haben wir verstanden. Allerdings fällt es uns schwer zu glauben, dass du wirklich Kontakt zu einer hast, weshalb deine Theorie nichtig und damit zu einer Verleumdung wird.“
 

Ronald schnaubte. „Verleumdung, klar. Du willst mir doch nicht wirklich erzählen, dass du nicht weiß, wer Thomas Mask ist?“

„Mein lieber Freund, ich kann dir versichern, dass ich weiß, wer der Mann ist, mit dem ich ein Bett teile“, entgegnete er und wurde langsam ungeduldig, was man an seinem leicht gereizten Tonfall erkennen konnte. Eigentlich war es ihm nicht zu verdenken. Thomas war der Mann, den er liebte und mit dem er offenbar sein Leben verbringen wollte. Neville würde es auch nicht toll finden, wenn jemand seiner Freundin – wenn er denn eine hätte – so etwas grauenvolles vorwerfen würde.
 

Überraschenderweise war es Hermione, die als nächstes sprach: „Wenn du das weißt, kannst du dann Neville in die Augen sehen und ihm sagen, dass Thomas Mask nicht Tom Riddle und damit der dunkle Lord ist?“

Es folgte ein längeres Schweigen. Schließlich lächelte Harry und sagte: „Natürlich kann ich das.“ Er drehte sich um und sah Neville fest in die Augen. „Thomas Mask ist nicht Tom Riddle.“

Für einen Moment betrachtete er seine wundervollen, grünen Augen, die er bisher nur bei Lily Potter gesehen hatte und bemerkte verwundert, dass er ihm glaubte. Harry würde ihn niemals anlügen. Sie waren immerhin Freunde.
 

Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis er begriff, dass Freundschaft nicht immer genug war.
 

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„Technisch gesehen habe ich ihn nicht angelogen“, rechtfertigte sich Harry etwa eine halbe Stunde später, als Ronald, Hermione und Neville endlich wieder verschwunden waren und reagierte damit auf Felices gehobene Brauen. Seine Freundin schien sein Verhalten gegenüber Neville und den Anderen offensichtlich zu missbilligen. „Thomas und Tom sind so verschieden, dass man sie unmöglich als ein und dieselbe Person sehen kann.“

„Hey, mir ist es egal, was du Longbottom erzählst“, meinte Felice und hob beschwichtigend die Hand. „Eure Beziehung geht mich nichts an und wenn du es am besten findest, ihn anzulügen, wirst du damit die richtige Entscheidung getroffen haben. Immerhin bist du im Gegensatz zu Ronald Weasley tatsächlich ein Tempus Amicus.“ Sie runzelte die Stirn. „Ich frage mich, warum er so darauf versessen war, dich auffliegen zu lassen... das wird doch nie und nimmer im Interesse der Zeit liegen.“
 

Nein, das tat es sicher nicht. Ginerva würde er es schon eher zutrauen. Die Mira würde alles tun, damit er von Tom wegkam und ihn über seine Hogwartsfreunde zu manipulieren, wäre eine kluge Taktik, aber er glaubte nicht, dass sie dahintersteckte.

„Es ist Ronald, der mich auffliegen lassen will“, erklärte er und sah sofort, dass diese Antwort Felice überraschte. „Er hasst Schwarzmagier und allen voran Tom. Er würde niemals zulassen, dass er diesen Krieg gewinnt und erst recht nicht, dass ich ihn unterstütze. Deshalb wird er alles tun, damit Neville und die anderen Mitglieder von Albus' lächerlichen Phönixorden in mir eine Bedrohung sehen.“
 

„Damit sie dich eliminieren“, schlussfolgerte Felice richtig. „Guter Plan... aber warum hat er Kontakt zu einer Mira?“

„Weil sie seine Schwester ist“, entgegnete er schulterzuckend. Mehr konnte er auch nicht dazu sagen, da er sich bisher nur wenige Gedanken darüber gemacht hatte. Natürlich wusste er, dass es mehr als einen Menschen gab, mit dem Ginerva regelmäßigen Kontakt pflegte: Die Zeit hatte ein großes Netzwerk an Verbündeten, größer, als man sich vorstellen konnte, doch er, der Tempus Amicus war angeblich die wichtigste Schachfigur.
 

„Ronald Weasley... ist gefährlich“, sagte Felice plötzlich, womit sie seine ganze Aufmerksamkeit bekam. Sie saß entspannt auf dem Sofa und spielte abwesend mit einer ihrer zahlreichen Locken, während sie darüber nachdachte, wie sie sich artikulieren sollte. „Er könnte für den dunklen Lord eine ernsthafte Bedrohung werden, wenn der nicht vorsichtig ist. Natürlich heißt es, dass Longbottom für ihn die größte Gefahr darstellen soll, aber ich würde mehr auf Weasley setzen.“

„Warum?“, fragte Harry. „Es stimmt schon, er ist innerhalb kürzester Zeit von einem Nichts zu einem talentierten Zauberer aufgestiegen, aber...“

„Es gibt kein 'aber', Harry“, unterbrach sie ihn streng. „Du hast es selbst gesagt, er ist innerhalb kürzester Zeit talentiert geworden. Man wird nicht einfach so talentiert. Man ist es entweder immer gewesen oder nicht. Die Frage ist, warum er davor so getan hat, als ob er nichts könnte.“
 

Da hatte sie dummerweise Recht. Wieso hatte er so getan, als ob er ein schlechter Zauberer sei? In der Schule hatte ihn das zu einem Außenseiter gemacht. Jeder hatte ihn verachtet und auf ihn heruntergeblickt. Selbst die Lehrer hatten ihn relativ früh aufgegeben, was bei keinem anderen Schüler jemals der Fall gewesen war. Wer würde sich aus welchem Grund einem solchen Leben aussetzen?

Jemand, der etwas zu verbergen hatte. Doch was?

Da fiel ihm ein, dass Ronald offenbar nicht der einzige war, der etwas zu verbergen hatte.
 

Obwohl er wusste, dass das ursprüngliche Thema noch nicht abgehandelt war, wechselte er es: „Apropos Mira, gestern Abend hat Ginerva mich mit ihrer Anwesenheit beglückt.“

Felice hob eine Augenbraue und hörte auf, mit ihrer Locke zu spielen. „Tatsächlich? Dann hast du deine wöchentliche Dosis ja hinter dir“, Ginny hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, ihn einmal wöchentlich zu sich zu rufen, „und kannst stattdessen in aller Ruhe von Tomilein träumen.“

„Wenn er wüsste, dass du ihn so nennst, würde er dich töten.“

„Nein, würde er nicht“, meinte sie fröhlich. „Dafür ist ihm deine Meinung über ihn viel zu wichtig.“
 

Harry lächelte. Manchmal war Felices Unbeschwertheit zwar beinahe skurril, aber es änderte nichts daran, dass sie ihn jedes Mal aufs Neue aufheiterte. Trotzdem wollte er endlich eine seiner Fragen beantwortet haben und deshalb erklärte er ihr: „Ginerva hat gesagt, du wärst eine Möchtegern-Empathin. Was hat sie damit gemeint?“

Ihr Lächeln flackerte kurz, ehe es wieder vollkommen da war. „Möchtgern-Empathin?“, wiederholte sie heiter. „Das ist aber sehr beleidigend.“

Harry schwieg, was sie sofort richtig interpretierte: „Du glaubst, es steckt mehr dahinter.“
 

Das tat er. Selbst seine Abneigung gegenüber der Mira ließ ihn nicht blind werden. So unausstehlich und unmöglich sie auch war, ihre Sticheleien und Manipulationsversuche beruhten immer auf Wahrheiten. Wenn sie ihn zum Beispiel dazu bringen wollte, sich nicht mehr mit Tom zu treffen, erinnerte sie Harry immer daran, dass der dunkle Lord egoistisch, gefährlich und aggressiv war. Sie zählte nur Dinge auf, die er selbst bereits wusste und erzählte keine Lügen. Warum also sollte sie etwas über Felice sagen, was nicht stimmte?
 

„Harry....“, sagte diese, während ihr Lächeln verschwand und sie ihn stattdessen leicht genervt ansah. „Ginerva will dich für sich haben und sie wird alles versuchen, um dich zu isolieren. Wenn du anfängst, an mir zu zweifeln, tust du genau das, was sie will.“

„Also steckt wirklich mehr dahinter?“, hakte er nach und erwiderte ihren Blick mühelos. „Was verheimlichst du vor mir, Fel? Warum nennt sie dich eine 'Möchtegern-Empathin'?“
 

Hätte sie ihm damals bereits die Wahrheit gesagt, hätte es nichts an dem geändert, was später passieren sollte. Es hätte niemanden gerettet, es hätte nicht den Krieg verhindert und auch nicht das Leid, das folgen würde. Nichts wäre anders geworden.

Trotzdem würde sich Harry später oft wünschen, sie hätte es damals getan, denn vielleicht, aber nur vielleicht, wäre er doch einen anderen Weg gegangen.
 

So aber schwieg sie und die neue Zeit nahm ihren Lauf.
 

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Slytherin Manor – 1940
 

Putzen, putzen, putzen, den ganzen, verdammten Tag nichts als putzen! Langsam konnte Tom dieses elende, nach Zitronen duftende Reinigungsmittel nicht mehr sehen, geschweige denn riechen. Wer war überhaupt auf die Idee gekommen, dort Zitronen hineinzugeben? Das war doch ekelhaft! Überhaupt konnte er nicht verstehen, warum er Slytherin Manor – das mit Abstand größte Privathaus, das er je gesehen hatte – auf diese erniedrigende Art und Weise säubern musste. Wozu war er bitte schön ein Zauberer?
 

Aber nein, der so genannte dunkle Lord, der ihn angeblich unterrichten wollte, bestand darauf, dass er selbst Hand anlegte und damit seine überaus kostbare Zeit verschwendete. Er könnte jetzt bei Abraxas sein und seine Ferien in Sicherheit genießen! Er könnte den Schlaf nachholen, der ihm in diesem grauenvollen Waisenhaus gefehlt hatte! Er könnte so viele Dinge tun.
 

Die Frage war, warum er nun eigentlich hier war. Es gab dafür keinen rational erklärbaren Grund, zumindest seiner Ansicht nach. Dies war das Manor von Salazar Slytherin, mit dem er nichts zu tun hatte, wenn man mal davon absah, dass er in Hogwarts dessen Haus besuchte. Darüber hinaus hatte Gellert – der sich übrigens nicht im mindestens an der Säuberungsaktion beteiligte – angedeutet, dass er ihn unterrichten wollte. Soweit so gut, doch was hatte das hier mit unterrichten zu tun? Tom wagte zu bezweifeln, dass es zur Standartausbildung eines schwarzen Magiers gehörte, ein überdimensionales Manor zu reinigen und noch dazu im Alleingang. Wenn er wenigstens zaubern könnte...
 

Im Grunde hielt ihn natürlich nichts davon ab, Gellerts Regeln zu missachten. Der Mann war irgendwo am anderen Ende des Hauses und hatte wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung, was Tom momentan trieb. Theoretisch könnte er also nach einem Fluchtweg suchen oder zumindest in einer Ecke sitzen und fliegende Wischlappen seine Arbeit machen lassen.
 

Wieso also tat er das nicht?

Das elementarste Problem war, dass er schlicht und einfach keine Ahnung von Putzzaubern hatte. Bisher hatte er einfach keinen Grund dafür gehabt, sie zu erlernen. Außerdem war da etwas an Gellert, was es ihm unmöglich machte, zu verschwinden.
 

Davon abgesehen, dass er der mächtigste, lebende Zauberer und noch darüber hinaus ein dunkler Lord war, besaß er ein Charisma, dem man sich nur schwer entziehen konnte. Tom war von ihm und seinen grünen Augen mehr als fasziniert und wollte mehr über ihn wissen. Wer war er? Warum war er dunkler Lord geworden? Was waren seine persönlichen Ziele? Warum hatte er Tom in London aufgegabelt? Weshalb waren sie jetzt hier? Würde er ihn wirklich unterrichten? Wenn ja, warum? Woher hatte er eigentlich von seiner Existenz erfahren?
 

Gellert stellte ein großes Rätsel dar und Tom wäre nicht er selbst, wenn er es nicht lösen wollte. Deshalb würde er hier bleiben und alles tun, was der Mann von ihm verlangte. Es war der schnellste Weg, seinen Wissensdurst zu stillen.
 

Bei anderen Menschen wie Abraxas oder Rubeus Hagrid hätte er sich niemals eine solche Mühe gemacht. Ersterer war von ihm zu beeindruckt, um ihm einen Wunsch abzuschlagen und letzteren konnte man ohne Umstände genug einschüchtern, damit er alles tat, was man von ihm verlangte. Auch seine restlichen Mitschüler und ein Großteil seiner Lehrer waren in eine der beiden Kategorien einzuordnen, weshalb Tom in der Regel immer bekam, was er wollte. Doch wie immer im Leben gab es auch hier Ausnahmen – allen voran Albus Dumbledore und nun Gellert Grindelwald.

Tom war sich nicht sicher, was genau es war, das sie von allen anderen unterschied. Ihre Magie? Ihre Macht? Ihre Ausstrahlung? Ihre Positionen in diesem Krieg?
 

Die beiden repräsentierten die beiden Seiten der magischen Gemeinschaft. Dumbledore war die weiße Seite, die Konservativen, die weiterhin die alten Regeln behalten wollten. Obwohl er sich bisher geschickt aus den Kampfhandlungen heraushielt, war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis er sich einmischen musste. Alle vertrauten darauf, alle wollten es, alle forderten es. Dieser Krieg würde extrem interessant werden, sobald die weiße Seite endlich einen kompetenten Anführer haben würde.
 

Bis es soweit war, dominierte Gellert Grindelwald das Geschehen. Tom hatte bereits an seinem ersten Tag in der magischen Welt von ihm gehört und war mehr als beeindruckt gewesen. Ein Schwarzmagier, der sich nicht sagen ließ, was er zu tun und zu lassen hatte und für die Freiheit seiner Mitmenschen kämpfte. Er war der geborene Anführer und würde sich von nichts aufhalten lassen. Für sie alle war er zu einem Symbol für eine gerechtere und freiere Welt geworden. Sollte er triumphieren, wäre ein neues Europa geschaffen, in dem nicht ein ganzes Haus beinahe ausgelöscht wurde, nur weil sie nicht der gewünschten Norm entsprachen. Dann wäre sie alle nicht einfach...
 

„Master?“, riss ihn eine piepsige Stimme aus seinen Gedanken und Tom blickte von seinem Putzlappen auf. Etwa vier Meter vor ihm lugten zwei große, schokoladenbraune Augen hervor, die zu einer eigenartigen Kreatur mit fledermausartigen, schlackernden Ohren gehörten. Der Rest des Körpers war hinter einer riesigen, alten Vase versteckt, die wahrscheinlich ein halbes Vermögen wert war. Tom brauchte den Bruchteil einer Sekunde, um zu erkennen, was dieses... Etwas war: ein Hauself.
 

In den zwei Jahren, die er Hogwarts jetzt schon besuchte – nach den Ferien würde er sein drittes Schuljahr beginnen – hatte er wenig mit ihnen zu tun gehabt, tatsächlich wusste er nur von ihrer Existenz, weil Abraxas ihm erzählt hatte, dass auch seine Familie über einige von ihnen verfügte. Doch obwohl Tom ihn bereits in den letzten Ferien besucht hatte, war er selbst noch keinem Hauselfen begegnet.

Warum auch? Sie waren keine Menschen und konnten über keine besondere Intelligenz verfügen, wenn sie sich so von der magischen Gesellschaft ausbeuten ließen. Sklaven, die einzig dazu dienten, ihre Master zufrieden zu stellen. Es gab nicht den geringsten Grund, mit ihnen zu verkehren und bis er selbst dazu in der Lage wäre, einen zu besitzen, würde noch viel Zeit vergehen müssen.
 

Deshalb hatte er keine Ahnung, was diese Kreatur von ihm wollte. Was machte es eigentlich hier? Er war bereits seit einigen Tagen hier und bisher hatte nichts darauf hingedeutet, dass hier noch weitere Lebewesen außer ihm und Gellert existierten. Wo kam der Hauself also her? War das am Ende ein Trick oder irgendein Test vom dunklen Lord? Oder ein uralter Schutzmechanismus? Was immer es war, er würde auf der Hut sein.
 

Vorsichtig setzte er sich auf und ignorierte die Wassertropfen, die von dem Putzlappen, den er immer noch umklammert hielt, auf seine Hose fielen. So wertvoll war dieser Lumpen ohnehin nicht. „Wer bist du?“

Ungläubig beobachtete er, wie der Hauself zu zittern begann. Glaubte er, dass Tom ihn umbringen würde? Das war doch lächerlich. Andererseits hatten ihn die verbotenen Flüche schon immer interessiert und wenn er sie an einem Hauself ausprobierte, würde sich bestimmt niemand beschweren, oder? Unwillkürlich zuckte seine Hand in Richtung seines Zauberstabes. Das war wirklich eine verlockende Gelegenheit und wenn er die Flüche meisterte, war das eine große Leistung. So etwas hatte vor ihm sicherlich noch kein anderer Dreizehnjähriger geschafft!
 

Dumm nur, dass die Möglichkeit bestand, dass der Hauself von Abraxas geschickt worden war, um herauszufinden, ob Tom noch am Leben war. In diesem Fall musste er ihn unversehrt lassen, da es seine einzige Chance war, hier wieder herauszukommen. Wobei er das ohnehin erst wollte, sobald er wusste, was Gellert eigentlich mit ihm vorhatte, aber es war immer gut, eine Hintertür offen zu halten.
 

„D...Dobby ist Master Slytherins Diener“, sagte der Hauself und beruhigte sich langsam, zumindest wurde jedes seiner Worte sicherer und bestimmter. „Dobby ist hier um dem Master zu dienen. Dobby und seine Familie haben immer auf die Rückkehr des Masters gewartet und jetzt ist er endlich gekommen! Soll Dobby Baba holen, damit der Master mit ihm die Aufgaben besprechen kann?“

Tom starrte ihn unverwandt an. Master? Diener?

Sprach dieser Elf gerade wirklich mit ihm? Aber da musste eine Verwechslung vorliegen, er war zwar ein Slytherin, aber doch nicht „Master Slytherin“. Das war bestimmt ein Scherz, oder?

„Wer ist Baba?“, fragte er, um sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen.
 

Bevor Dobby darauf antworten konnte, trat Gellert aus der nächsten Ecke hervor und sagte: „Baba ist der Vorstand der Dienerschaft in Slytherin Manor. Der älteste Hauself, der alles organisiert und den anderen Elfen ihre Aufgaben zuteilt. Er war Salazar Slytherins persönlicher Hauself und durfte als Dank ein Lebenselixier trinken, das es ihm ermöglichte, bis heute zu überleben. Er hat sein ganzes Leben lang der Familie Slytherin gedient und alle Hauselfen ausgebildet, die seitdem hier gelebt haben. Dobby vor dir ist der jüngste, er ist gerade einmal drei Jahre alt, deshalb verzeih ihm seine Direktheit und seine Angst, aber er hat bisher noch nie einen Master gehabt, da deine Familie schon vor einigen Generationen den Zugang zu diesem Manor verloren hat.“
 

„Meine Familie?“, wiederholte Tom verdutzt.

„Ja, deine Familie“, sagte Gellert sanft und kniete sich direkt vor ihm hin, sodass sie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Du, mein lieber Tom, bist der letzte Erbe Salazar Slytherins und damit die Person, die ich mein ganzes Leben lang gesucht habe. Deine Mutter und das Schicksal selbst hatten dich gut versteckt, aber selbst das hat Ariana nicht davon abgehalten, dich doch noch zu finden.“ Er streckte seine Hand aus und strich liebevoll über Toms Wange. „Ich mache dir ein einmaliges Angebot, Tom Marvolo Riddle. Das ist deine letzte Chance, auszusteigen, wenn du einmal zustimmst, lass ich dich nicht mehr gehen. Also denke gut darüber nach.“
 

„Dazu müsste ich erst einmal wissen, was das für ein Angebot sein soll“, entgegnete er kühl. Diese Hand auf seiner Haut war furchtbar nervig, aber irgendwie... tat es auch gut.

Gellert grinste breit. „Ich werde dich zu meinem Mündel machen. Ich werde dich für immer aus deinem Waisenhaus herausholen und dein gesetzlicher Vormund werden, weshalb ich bei allen Fragen und Problemen für dich verantwortlich sein werde und nicht diese Mrs. Cole, die ohnehin nur darauf wartet, dass du stirbst. Ich werde dafür sorgen, dass du alles bekommst, was du brauchst und ich werde dir beibringen, was es heißt, der Erbe Salazar Slytherins zu sein. Ich werde dir eine Familie geben und eine große Zukunft, denn ich könnte dich durchaus auch zu meinem gesetzlichen Erben werden lassen.“
 

Er ließ von seiner Wange ab und packte stattdessen sein Kinn und fixierte es so, dass Tom ihm direkt in die Augen sehen musste. „Im Gegenzug dazu, wirst du mir gehorsam sein und meine Anweisungen befolgen, wenn ich dir etwas beibringe oder Aufgaben gebe. Darüber hinaus wirst du mir freien Zugang zu diesem Manor und deiner Dienerschaft gewähren, sowie in das private Verließ der Familie Slytherin in Gringotts. Und sei nicht albern, natürlich habe ich kein Interesse an dem Geld“, fügte er verächtlich hinzu, als Tom genau dieser Gedanke kam. „Ich habe nicht vor, auch nur den kleinsten Ring daraus zu entfernen. Ich mag ein dunkler Lord sein, aber ich bin kein Dieb, außerdem habe ich auch so schon genug Reichtümer.“
 

„Und warum wollen Sie dann Zugang zu den Verließen?“, fragte Tom und befreite sein Kinn aus der Umklammerung, die inzwischen ziemlich schmerzhaft geworden war. Er konnte sich kaum vorstellen, dass jemand so etwas verlangte, wenn er nicht hinter Geld her war.

„Aus rein akademischen Zwecken“, erklärte der Mann und erhob sich wieder. „Ich werde dir zeigen, was ich meine, sobald du zugestimmt hast. Ich gebe dir bis morgen Zeit. Denk gut darüber nach.“

Damit verschwand er wieder. So wie immer. Er tauchte in einem Moment auf und im nächsten war er wieder verschwunden. Wie machte er das? Apparieren konnte es nicht sein, das gab angeblich mehr Geräusche von sich. Konnte er sich etwa unsichtbar machen? Ob er es Tom beibringen würde? Aber diese Fragen waren im Moment nebensächlich.
 

Er... war der Erbe Slytherins? Ausgerechnet von Salazar Slytherin? Einem der Hogwartsgründer? Einem der mächtigsten Schwarzmagier aller Zeiten? Das sollte doch ein schlechter Witz sein! Wenn es so wäre, hätte ihn seine Familie niemals in ein Waisenhaus gegeben. Aber Gellert hatte behauptet, seine Mutter hätte ihn versteckt. Wovor? Vor Gellert?

Warum hatte dieser ihn eigentlich gesucht? Weil er der Erbe Slytherins war? Doch was sollte ihm das bringen? Was befand sich in diesem Haus und in den Verließen, dass der Mann ihn dafür zu seinem Mündel machen wollte? Was versprach er sich davon? Und wer war diese Ariana, die er erwähnt hatte?
 

Dennoch.... obwohl ihn das alles sehr verwirrte, machte es Sinn. Er hatte immer gewusst, dass er etwas besonderes war, dass er anders war, dass er über seinen Mitschülern stand. Als ein Erbe Slytherins gehört er quasi zur Elite der Zaubererfamilien und es würde ihm viele Vorteile bringen, gerade unter den traditionsreichen, schwarzmagischen Familien, die alle auf Rang und Hierarchie bedacht waren. Er könnte viel Einfluss gewinnen und zu einer der einflussreichsten Personen des zukünftigen Englands aufsteigen.
 

Das änderte jedoch nichts daran, dass er seinen Mitschülern gegenüber im Nachteil war. Sie waren ihr ganzes Leben lang darin unterrichtet worden, was es bedeutete, schwarzmagisch zu sein und wussten, wie man sich verhalten und bewegen musste. Alleine würde er es niemals schaffen, mit ihnen mithalten zu können. Wenn er jedoch Hilfe bekam – und dann noch in Form von einem dunklen Lord – wäre er sehr wohl dazu in der Lage.

Gellerts Angebot brachte ihm viele Vorteile. Allerdings war ihm noch nicht ganz klar, wie der Mann das umsetzen wollte. Er war Staatsfeind Nummer Eins in England und würde von den Behörden sicherlich genauso behandelt werden. Wahrscheinlich verfügte er einfach über ein überzeugendes Alias und würde so Toms Vormundschaft beantragen.
 

Er sah zu Dobby hinüber, der sich nach wie vor hinter der Vase versteckte und lächelte. „Dobby?“, sagte er freundlich. „Könntest du die anderen Hauselfen zusammenrufen und einen Hausputz anordnen? Dieses Haus muss unbedingt wieder auf Vordermann gebracht werden, wenn ich hier wohnen soll.“

Der Hauself strahlte ihn an und nickte eilig, ehe er verschwand, um den Rest der Dienerschaft zu mobilisieren. Ausgezeichnet. Jetzt hatte er wenigstens Zeit, sich das Manor einmal genauer anzusehen.
 

Gellerts Beweggründe und die Umsetzung seiner Pläne konnten ihm eigentlich egal sein. Sie hatten nicht den geringsten Einfluss auf seine Entscheidung, denn diese hatte er bereits getroffen, als er sich dazu entschlossen hatte, das Haus im Alleingang sauber zu machen.

Es war sein Schicksal, großartig zu werden und er würde alles dafür tun, damit sich das erfüllte.
 

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Slytherin Manor – Gegenwart
 

Slytherin Manor an einem schönen, warmen, leuchtenden Tag im Sommer war immer ein schöner Anblick, egal, wo man sich befand. Auf einem Hügel, an einem kleinen Teich, im Garten oder im Haus selbst, alles wirkte schön, freundlich, hell und absolut nicht wie das Haus eines dunklen Lords. Eins musste man Salazar Slytherin lassen: Er hatte Stil gehabt. Jeder, der zu diesem Ort Zugang hatte, sollte sich geehrt fühlen, denn es gab sicher keinen schöneren Platz in Großbritannien.
 

In den letzten beiden Jahren hatte jeder Todesser gelernt, genau dieses wundervolle Haus zu fürchten, weshalb es verständlich war, warum Draco Malfoy innerlich tausend Tode starb, während er zwischen alten Säulen in dem kleinen Kreuzgang stand, der den kleinen Garten umgab, in dem sich Gellert Grindelwalds Grab befand. Ursprünglich hatte er gehofft, während seiner Flitterwochen eine gewisse Schonfrist zu erhalten, in der er sich voll und ganz seiner grauen... ähm, er meinte seiner liebreizenden Braut widmen konnte. Dummerweise hatte sein Lord ihm – wie so oft – einen Strich durch die Rechnung gemacht, weshalb er nun hier stand – allein, na ja, fast allein, der Lord war natürlich auch da, außerdem hatte er diese furchterregende Schlange in einer Ecke gesehen – und auf seine Anweisungen wartete. Wobei er das Gefühl hatte, dass es noch eine Weile dauern würde, bis er die bekam.
 

Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, um sie etwas anzufeuchten, bevor er sich leicht räusperte und ein leises „Mylord?“ von sich gab.

Der dunkle Lord stand vor dem Grab seines Vorgängers und betrachtete schweigend die alte Inschrift. Dabei war er ungewöhnlich ruhig und friedlich, beinahe melancholisch, wobei Draco sich hüten würde, dies auszusprechen. Wenn man bedachte, wie er sich noch vor einigen Wochen verhalten hatte – aggressiv, wütend und alles andere als friedlich und melancholisch – war das alles mehr als unheimlich. Was hatte Harry denn jetzt schon wieder getan? Andererseits war es nicht hundertprozentig sicher, ob sein Verhalten auf ihn zurückzuführen war. Vielleicht gab es einen anderen Grund.

//Was auch immer es ist, ich hoffe, es hat nichts mit mir zu tun.//
 

Draco schluckte und sagte diesmal etwas lauter: „Mylord?“

Damit schien er den Mann aus seinen Gedanken aufzuschrecken, zumindest drehte er sich endlich zu ihm um und bedachte ihn mit einem langen Blick. Wenn man ihn so sah, war es verständlich, warum Harry sich so sehr zu ihm hingezogen führte. Der dunkle Lord war attraktiv, gefährlich und verdammt mächtig. Er war unnahbar und ließ sich von nichts aus dem Konzept bringen. Wenn man nun aber die eine Person war, die es doch schaffte, ihn zu beeinflussen und von seinem Normalverhalten abzubringen, war es logisch, dass man sich geschmeichelt und zu ihm hingezogen fühlte. Das Gefühl, der Einzige für ihn zu sein, musste unbeschreiblich sein.

Allerdings konnte Draco nach wie vor nicht verstehen, warum dieser Mann gerade in Harry so vernarrt war.
 

„Ah, Draco“, sprach der dunkle Lord ihn schließlich an. „Wie wunderbar, dass du dich von deiner reizenden Ehefrau entfernen konntest, um mich mit deiner Anwesenheit zu beehren.“

Okay, vielleicht verstand er es doch. Harry war ebenso zynisch und verletzend. „Es ist mir immer eine große Freude, Euch dienen zu können, Mylord“, entgegnete er leise und neigte respektvoll den Kopf.

„Gut, dann wird es dich sicher freuen, dass ich eine Aufgabe für dich habe.“
 

Eine Aufgabe? Langsam hob er seinen Kopf wieder und sah ihn fragend an. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl und dass der Mann plötzlich lächelte, machte es auch nicht besser.

„Ich möchte, dass du Ronald Weasley unschädlich machst.“

Dracos Augen weiteten sich und er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. „Ronald Weasley?“, krächzte er. „Aber...“ Er konnte doch nicht jemanden töten. Natürlich hasste er Weasley – aus mehreren Gründen – und er wusste, dass es für die schwarze Seite mehr als praktisch sein würde, wenn der junge Mann von der Bildfläche verschwinden würde. Trotzdem... so etwas konnte er nicht tun. Er war kein Mörder!
 

Der dunkle Lord schien zu wissen, was in seinem Kopf vor sich ging, zumindest wurde sein Blick mitfühlend, ein Attribut, das geradezu lachhaft war. Der dunkle Lord und mitfühlend? Draco war definitiv im falschen Film.

„Ich weiß, dass es sehr schwer wirkt“, sagte der Mann sanft. „Das erste Mal ist immer das schwerste. Aber ich werde dir eine Motivation geben, damit diese Aufgabe für dich leichter wird: Hermione Granger, deine alte Klassenkameradin, erwartet offenbar ein Kind von ihm.“
 

Dieser eine, im Grunde einfache Satz beinhaltete viele Informationen.

Erstens das offensichtliche: Herm... Granger war schwanger. Von Weasley. War sie jetzt vollkommen verrückt geworden? Dieser rothaarige Schwachkopf hatte sie immer nur gequält und fertig gemacht. Glaubte sie etwa, dass es besser werden würde, nur weil sie einen Braten in der Röhre hatte?

Zweitens: Der dunkle Lord wusste – woher auch immer – dass Draco eine Beziehung mit ihr geführt hatte. Eine wundervolle, verrückte, wahnsinnige Beziehung, die von Anfang an zum scheitern verurteilt gewesen war und das alles nur, weil er selbst so ein feiger Idiot gewesen war. //Und es immer noch bin//, fügte er in Gedanken hinzu.

Drittens: Er war nach wie vor nicht über sie hinweg, denn warum sonst sollte es so weh tun, davon zu hören, dass sie von jemand anderem als ihm selbst ein Kind erwartete?
 

Eigentlich brauchte er keine weiteren Details, genaugenommen wollte er sie nicht einmal wissen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, die eine Frage zu stellen, die essentiell zu sein schien: „In welchem Monat ist sie?“

„Im fünften.“ Der dunkle Lord betrachtete ihn nach dieser Aussage für eine Weile schweigend, ehe er sanft fragte: „Wirst du diese Aufgabe ausführen können?“

Draco ballte seinen Hände zu Fäusten. „Ja, Mylord“, sagte er tonlos. „Das werde ich.“
 

Im fünften Monat. Das durfte doch alles nicht wahr sein!
 

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Ohje... da hat der dunkle Lord sich ganz offensichtlich den Richtigen ausgesucht. Mal sehen, wie das so wird.

Nächstes Mal gibt es jedenfalls wieder ein Kapitel, das die ein oder andere ungeklärte Frage beantworten wird. Freut euch schon einmal darauf. ;)

Liebste Grüße, Ayako

Men's Talk

Soho.... da bin ich wieder. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ihr euch auf unregelmäßige Updates einstellen müsst? Wenn nicht: jetzt wisst ihr es. XD

Jedenfalls danke an alle, die mir weiterhin treu bleiben, allen voran natürlich meiner Beta und allen Reviewern. Ich kann nicht oft genug sagen, wie dankbar ich für euer liebes Feedback bin, besonders, da es für mich immer eine große Hilfe darstellt. <3

Dieses Kapitel – soweit ich es beurteilen kann – mein längstes bisher und ich glaube, dass auch die kommenden Kapitel diese Länge haben werden... deshalb auch die längere Wartezeit. ^.~

Außerdem enthält es – wie versprochen – Enthüllungen, beantwortet die ein oder andere Frage und wirft – meiner Meinung nach – ein paar neue auf.

In diesem Sinne, viel Spaß mit:

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Men's Talk
 

Der Vorteil daran, vom dunklen Lord einen Auftrag bekommen zu haben, war, dass man in der Regel alle Mittel bekam, um diesen ausführen zu können. Man konnte jeden Todesser um Hilfe bitten, alles kaufen, was man für notwendig hielt und war von allen anderen Pflichten freigestellt. Außerdem bot es einem eine wundervolle Ausrede, um so wenig Zeit wie möglich mit seiner Frau verbringen zu müssen. Dumm nur, dass diese oft nicht einsah, warum etwas wichtiger als sie und ihre teilweise anmaßend wirkende Ansprüche sein konnte.
 

„Wir sind in unseren Flitterwochen, Draco!“, zischte Pansy und ihre Augen blitzten vor unterdrückter Entrüstung. „Flitterwochen! Wir sollten auf irgendeiner karibischen Insel sein und nicht hier.“
 

„Hier“ war als Malfoy Manor zu definieren. Eigentlich kein schlechter Ort für die Flitterwochen, immerhin gab es Pferde, Felder, grüne Wiesen, Bäume, einen See, einen Garten und mehrere Hauselfen, die einem jeden einzelnen Wunsch erfüllen wollten. Gut, vielleicht war es nicht unbedingt prickelnd, dass Lucius und Narcissa anwesend waren, aber das Manor war im Grunde groß genug, um sich aus dem Weg gehen zu können. Wenn man es denn wollte. Harry hatte allerdings das Gefühl, dass die Hausherrin ihrer Schwiegertochter diesen Gefallen nicht tun würde.
 

Narcissa war von der Hochzeit viel zu entsetzt gewesen, um sie jetzt in Ruhe zu lassen. Solange Draco und Lucius unterwegs sein würden, würde sie sich mit Pansy zusammensetzen und ihr beibringen, was es bedeutete, eine Malfoy zu sein. In Harrys Augen war das ein aussichtsloses Unterfangen, aber er wünschte seiner Mutter trotzdem viel Glück. Denn wie sagte man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Er war jedenfalls froh, nicht mehr hier zu wohnen, so blieb ihm eine menge erspart, auch wenn er das hier um nichts in der Welt verpassen wollen würde.
 

Grinsend stand Harry an der Tür zu Pansys und Dracos neuen Gemächer und sah dabei zu, wie die frischgebackene Ehefrau ihre Habseligkeiten auf den Regalen und Beistelltischen verstreute, während ihr Mann es sich auf einem Sessel bequem gemacht hatte und den heutigen Tagespropheten las. Eine Taktik, die er sich offenbar bereits von anderen Ehemänner abgeschaut hatte und die in der Regel dazu führte, dass man nicht antworten musste. Immer, wenn Harry so etwas sah, war er mehr als froh, dass er sich mehr zu Männern hingezogen fühlte als zu Frauen. Das weibliche Geschlecht war manchmal einfach viel zu kompliziert und nervtötend.
 

Bis jetzt hatten die beiden ihn noch nicht bemerkt und so konnte er sich noch eine Weile an ihrem Verhalten amüsieren. Wofür war er denn bitte schön sonst ein Bruder?
 

„Es war schon alles gebucht!“, fuhr Pansy aufgebracht fort, während sie ein paar rosarote Sitzkissen auf den nächsten Sessel fallen ließ. Hoffentlich würde Narcissa ihr noch einen anderen Geschmack eintrichtern, diese Farbe würde Harry sonst irgendwann erblinden lassen. „Die beste Suite des Hotels mit Meeresblick und jeden Tag Vollpension! Es hätten die schönsten Wochen unseres Lebens werden können, aber nein, wir mussten ja unbedingt hierher zurückkehren!“

„Wenn es dich so sehr stört, kannst du ja alleine hinfahren“, meinte Draco und blätterte die Zeitung um. „Ich bin sicher, dass sich die Hotelinhaber freuen werden, die junge Mrs. Malfoy in ihrem Haus begrüßen zu dürfen.“
 

Das war die falsche Antwort. Vor Wut sprühend riss Pansy ihm die Zeitung aus der Hand und schleuderte sie gegen das nächste Fenster, das tatsächlich leicht klirrte. Wow, da machte sie ja fast dem dunklen Lord Konkurrenz, wobei bei ihm das Glas wahrscheinlich ohne weiteres zerbrochen wäre.

Manche Menschen waren wirklich temperamentvoll.

„Ich bin deine Frau, Draco“, knurrte sie regelrecht. „Du hast mich geheiratet und das bedeutet, dass ich jetzt die höchste Priorität in deinem Leben sein sollte.“
 

„Tut mir wirklich Leid, aber es gibt noch jemanden, der das so sieht und der würde mich umbringen, wenn ich ihm sagen würde, dass du meine höchste Priorität seist.“ Draco musste wirklich genervt sein, wenn er schon sarkastisch wurde. Die Ehe würde ihm nicht sonderlich gut tun, aber vielleicht war er ja klug genug, sich in den nächsten Jahren, die ein oder andere Affäre zuzulegen, dann müsste er ganz gut über die Runden kommen. „Du kannst dich ja beim dunklen Lord beschweren gehen, wenn es dich so sehr stört!“
 

Für mehrere Sekunden funkelten sie sich gegenseitig an, ehe Pansy schnaubte und sich von ihm abwandte, um sich wieder der Dekoration zu widmen. „Ich verstehe ohnehin nicht, warum er dir ausgerechnet jetzt einen Auftrag gibt. Ich dachte, er würde unsere Heirat gutheißen.“

„Das tut er auch, aber wichtiger als unserer Hochzeit ist es, dass wir endlich über den Phönixorden triumphieren und dafür ist die Erfüllung meiner Aufgabe essentiell. Es ist eine große Ehre, dass ich es tun darf, besonders da ich noch nicht einmal im inneren Kreis seiner Todesser bin.“ Er erhob sich und ging auf Pansy zu. Bei ihr angekommen, schlang er von hinten seine Arme um sie und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf. „Es ist zu unserem besten, Liebste. Das ist ein Test von ihm und wenn ich ihn bestehe, habe ich sicher die Möglichkeit, aufzusteigen und ihm näher zu kommen und wenn erst einmal gesiegt hat, wird er sich daran erinnern und uns reich belohnen.“
 

Harry war gelinde gesagt beeindruckt. Auch wenn er nicht wusste, was ihn mehr überraschte: Dass Draco seine Frau bereits so gut manipulieren konnte oder dass er von alleine auf diese logische Schlussfolgerung gekommen war. Andererseits konnte es auch gut sein, dass Tom ihm genau das erzählt hatte, als er ihm seinen Auftrag übermittelt hatte, um ihn zur Zustimmung zu bringen. Aber das war unwahrscheinlich, Tom gab in der Regel nur so viele Versprechen, wie sie absolut notwendig waren, um sein Ziel zu erreichen und Draco war schon zu sehr in der Rolle des loyalen Schoßhündchens, als dass man ihn mit solchen wirren Zukunftsvisionen abspeisen müsste.

Pansy war da eine andere Geschichte.
 

„Du hast Recht“, sagte sie, nun wieder besänftigt und drehte sich in seinen Armen zu ihm um, damit sie ihn ihrerseits umarmen konnte. „Verzeih mir.“ Sie küsste ihn.

Harry wartete eine Weile, doch nach fünf Minuten beschloss er, dass es besser für seinen Geisteszustand war, wenn er sie jetzt auf seine Anwesenheit aufmerksam machte – er war noch nie ein sonderlicher Fan von Voyeurismus gewesen. Aus diesem Grund klopfte er zweimal laut an den Türrahmen. Sobald Draco ihn entdeckt hatte, begann sein Gesicht zu strahlen und ein Ausdruck tiefster Erleichterung trat in seine Augen. Offenbar war er froh, nicht mehr allein mit Pansy zu sein.
 

Diese sah ihn ebenfalls an, aber anstatt – wie er es erwartet hätte – eingeschnappt darüber zu sein, dass er sie unterbrochen hatte, schenkte sie ihm ein ehrliches Lächeln und löste sich von Draco, um stattdessen auf ihn zuzugehen. „Harry, lieber Schwager, wie schön, dich zu sehen!“

Sie umarmte ihn zur Begrüßung und sah ihn dann herzlich an. Okay...?

„Ich denke, ich lasse euch etwas alleine“, sagte sie sanft und drehte sich zu Draco um, der ebenfalls verwirrt über ihr Verhalten zu sein schien. „Bis später.“

Damit rauschte sie an Harry vorbei und kurz darauf waren ihre Schritte in der Ferne verklungen. Harry sah ihr für eine Weile hinterher, ehe er sich seinem Bruder zuwandte. „Was ist denn mit ihr passiert?“

„Glaub mir... ich hab keine Ahnung.“
 

Kurz sahen sie sich einfach nur an, ehe sie beide zu lachen begannen und im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen. „Es ist so schön, dass du extra gekommen bist, weil ich wieder da bin“, sagte Draco und drückte ihn fest, ehe er ihn losließ und ihn einfach nur lächelnd ansah.

Harry erwiderte sein Lächeln. „Ich hätte doch nie im Leben verpassen können, wie mein Bruder als verheirateter Mann nach Hause zurückkehrt. Außerdem möchte ich Narcissa nicht das Gefühl geben, dass ich jetzt, wo ich eine eigene Wohnung habe, nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte. Du wirst besser als ich wissen, dass sie so etwas immer sehr mitnimmt.“
 

Angeekelt betrachtete er die rosarote Decke, die auf dem Sofa lag und legte sie eilig beiseite, ehe er sich darauf niederließ. Draco setzte sich sofort neben ihn und sah ihn entschuldigend an. „Es tut mir Leid, ich weiß, dass sie nicht den typischen Geschmack hat, aber bisher konnte ich es noch nicht über mich bringen, es ihr auszureden. Sie wird auch so schon viel zu schnell wütend. Ich glaube, sie wird es mir ewig übel nehmen, dass wir die Flitterwochen haben ausfallen lassen.“

„Verständlich“, meinte Harry. „Keine Ehefrau würde auf ihre Flitterwochen verzichten wollen. Ich verstehe nicht, warum Tom euch zurückgeholt hat.“
 

Natürlich hatte er versucht, es herauszufinden, nicht zuletzt, da Luna ihm gesagt hatte, dass Draco durch den Auftrag, den der dunkle Lord ihm gegeben hatte, in Gefahr geraten würde und wenn sie es schon für nötig hielt, ihn darüber zu informieren, musste es kritisch sein.

In der Regel vermied sie es, Andere über die Zukunft zu informieren, da es manchmal katastrophale Folgen haben konnte, wenn Menschen mit dem Schicksal spielten. Dafür gab es bereits die Zeit und der bereitete es ein beinahe sadistisches Vergnügen.

Jedenfalls hatte er mit Tom darüber gesprochen, aber der hatte ihn nur mit einem „Vertrau mir“ fortgeschickt. Dafür, dass er ihn davor unbedingt bei sich behalten hatte wollen, war er jetzt wirklich schnell bereit, ihn wieder loszuwerden. Wahrscheinlich plante er momentan irgendetwas, von dem er wusste, dass es Harry nicht gefallen würde. Dracos nächste Worte bestätigten seine Theorie nur noch.
 

„Ich würde dir gerne davon erzählen, aber der dunkle Lord hat mich absolutes Stillschweigen schwören lassen. Du wirst ihn fragen müssen, wenn du genaueres wissen willst“, er grinste ihn schief an. „Für dich wird das wohl kein Problem sein. Er hängt immerhin so sehr an dir.“

Manchmal hatte Harry das dringende Bedürfnis, demjenigen, der so einen Mist erzählte, eine reinzuhauen. Gut, Tom hing an ihm, das war eine Tatsache, aber das bedeutete nicht, dass er irgendetwas aus ihm herauskitzeln konnte. Er hatte sogar oft das Gefühl, dass Tom ihm gegenüber vorsichtiger war als bei jedem anderen. Ob er Harry je wieder vertrauen würde? Wahrscheinlich nicht. Manchmal glaubte er wirklich, dass auch ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt war. Aber davon musste Draco nichts wissen.
 

„Du hast Recht“, sagte er deshalb heiter. „Ich werde mit ihm darüber sprechen. Ich sollte dich nicht fragen, immerhin wird er wissen, was er tat, als er dir verboten hat, jemanden darüber zu informieren.“

„Genau“, erwiderte Draco. „Es ist gut zu hören, dass du ihm so vertraust, das heißt wohl, dass seine Seite wirklich die Richtige ist, oder?“

Harry hob eine Augenbraue. „Und wie kommst du darauf?“

„Na... du bist intelligent und du kennst beide Seiten. Wenn jemand weiß, was hier vor sich geht und was das Richtige ist, dann du.“
 

Das Schlimme waren nicht seine Worte. Harry war gut darin geworden, Worte zu überhören oder ihre Bedeutung zu ignorieren. Doch da war dieser Blick, dieser furchtbare, vertrauensvolle Blick, so als würde er alle Antworten kennen, die Draco suchte. Ein Irrtum. Er wusste genauso wenig wie alle anderen, was richtig und was falsch war. Wem sollte man folgen? Wer sollte diesen Krieg gewinnen? Was würde katastrophale Folgen haben? Und was würde den ersehnten Frieden bringen?
 

Er war der Tempus Amicus. Er sollte genau das herausfinden. Das war es, was in den Büchern stand und was alle glaubten, die sich mit ihnen befassten. Was würden sie sagen, wenn sie die Wahrheit erfahren würden? Dass es nur eine Mira war, die ihm sagte, was er zu tun und zu lassen hatte?

Innerlich betete er, dass sie es niemals herausfinden würde. Manchmal war es besser, an eine Lüge zu glauben und hier war das definitiv der Fall.
 

„Du übertreibst“, sagte Harry deshalb leise und ließ sich auf dem Sofa zurück sinken. „Ich lasse mich nur von meinen Gefühlen leiten und dummerweise habe ich mich in diesen egoistischen Mistkerl verliebt. Das ist der einzige Grund, warum ich ihm zutraue, dass er weiß, was er tut. Mit Vernunft und Intelligenz hat das nichts zu tun.“

Seltsamerweise reagierte Draco nicht darauf, weshalb Harry seinen Kopf drehte, um ihn ansehen zu können. Sein Bruder starrte ihn mit offenem Mund an. Bei Merlin, was war denn nun schon wieder sein Problem?

„Mund zu, es zieht“, kommentierte er Dracos albernes Verhalten trocken.
 

Sein Bruder überging es. „Du... liebst ihn?!“

„Nein, ich habe das nur gesagt, um zu sehen, wie du die Fassung verlierst. Natürlich liebe ich ihn.“

„Wow... und hast du ihm das schon gesagt?“

Harry schnaubte. „Natürlich nicht.“

„Du solltest es ihm sagen.“

„Du verstehst das nicht.“

„Doch, ich tue es“, sagte er sanft. „Du hast Angst, dass er dich ausnutzen wird, sobald er es weiß.“
 

Harry erwiderte nichts darauf. Er hatte immerhin Recht.

„Er wird das nicht tun“, fuhr Draco fort. „Der dunkle Lord hat zwei Jahre auf deine Rückkehr gewartet und mit jedem Tag, der vergangen ist, ist er weniger er selbst gewesen. Doch kaum warst du zurück, war er wieder vernünftig und wusste, was er tat. Er braucht dich, Harry und er braucht deine Liebe. Du bist sicher der einzige, der ihn jemals wirklich ernsthaft geliebt hat.“
 

„Du mutierst immer mehr zur Frau, Draco“, neckte Harry ihn. „Pinke Dekoration, du hast gelernt, Frauen zu besänftigen und du teilst Beziehungstipps aus. Soll ich dir ein Kleid zu Weihnachten schenken? Ich bin mir sicher, dass dir Rüschen ausgezeichnet stehen würden.“

„Manchmal bist du verdammt undankbar, Potter“, knurrte er beleidigt. „Aber das werde ich mir merken. Noch einmal versuche ich dir nicht zu helfen. Und ich mutiere ganz sicher nicht zur Frau!“
 

„Was immer du sagst, Bruder. Was immer du sagst.“
 

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Nachdem Harry noch eine Weile mit Draco geplaudert hatte, machte er sich auf die Suche nach Narcissa und Lucius, die er bald in der Bibliothek fand. Sie waren gerade mitten in einem ernsten Gespräch, verstummten jedoch, als er den Raum betrat. Sofort lächelte die Hausherrin. „Harry! Wie schön, dass du noch zu uns kommst. Bleibst du zum Abendessen?“
 

„Sehr gerne“, sagte er zärtlich. Es war immer wieder schön, sie wiederzusehen. Auch wenn Lily ihn geboren hatte, Narcissa würde immer seine Mutter bleiben. Wie um es ihm zu beweisen, verfiel sie sofort in diese Rolle. „Geht es dir gut? Brauchst du etwas? Ist eure Wohnung schon eingeräumt? Wie geht es Felice? Sie ist auch immer willkommen, wenn ihr einmal nicht kochen wollt. Ich weiß doch, wie junge Leute so sind, sie haben selten Lust, selbst zu kochen. Außerdem habt ihr keine Hauselfen, oder? Möchtet ihr einen ab haben?“
 

Lucius gluckste. „Narcissa, jetzt lass ihn sich doch erst einmal hinsetzen. Du überrumpelst ihn ja geradezu.“

„Du hast Recht“, sagte sie und lächelte verlegen, während sie ihre Augen nicht von Harry lösen konnte. „Entschuldige.“

„Ist schon in Ordnung“, sagte Harry. „Danke für deine Sorge. Das bedeutet mir sehr viel.“

„Ich werde mich immer um dich sorgen“, sagte sie sanft. „Das weißt du doch.“

„Ja, das tue ich“, er warf Lucius einen Blick zu. „Kann ich... mit dir reden?“

Der Mann blinzelte, nickte aber. „Natürlich. Narcissa, lass uns bitte für einen Augenblick allein.“
 

„Allein?“, wiederholte sie und sah besorgt zwischen ihnen hin und her. Diese Reaktion war verständlich. Das letzte Mal, als Harry alleine mit Lucius reden gewollt hatte, war ihre Familie auseinandergebrochen.

Er lächelte.

„Keine Sorge. Es ist nicht so wie das letzte Mal. Wir werden danach alle zusammen zu Abend essen.“

„Versprochen?“, hakte sie unsicher nach.

„Versprochen“, entgegnete er sanft.
 

Das reichte ihr, denn sie erhob sich und ließ sie allein.
 

Die Bibliothek war nach wie vor Harrys Lieblingsort in Malfoy Manor. Die großen Fenster, die viel Licht hereinließen, die bequemen Sitzgelegenheiten, der Geruch nach alten und neuen Büchern... Er wusste nicht, wie viele Stunden er hier zugebracht hatte, aber es waren genug, damit er mit Sicherheit sagen konnte, welche Bücher neu waren und welche schon immer hier gestanden hatte. Außerdem fiel ihm auf, dass die Regale ein neues Sortiersystem erhalten hatte, denn er war sich ziemlich sicher, dass Eine Geschichte von Hogwarts früher nicht neben Zaubertränke für Anfänger gestanden hatte.
 

Lucius lächelte, als er seinen kritischen Blick bemerkte. „Das ist unser Regal für Schulbücher. Narcissa hielt es für eine gute Idee, Dracos Materialien dort zu sammeln, für den Fall, dass seine Kinder Bücherwürmer werden und sich bereits vor Hogwarts bilden wollen. Der Rest ist aber genauso geblieben wie früher.“

„Verstehe“, murmelte er und setzte sich auf den nächsten Sessel. „Es ist eine gute Innovation. Ihr hättet das schon machen sollen, als ich in euer Haus kam.“

„Ach komm, wir beide wissen, dass du dich nie und nimmer bei den Schulbüchern aufgehalten hättest. Dein Wissensdrang war schon immer viel zu speziell. Ich kann mich nicht daran erinnern, dich jemals mit einem Kinderbuch herum sitzen gesehen zu haben.“
 

„Mit einem musst du mich gesehen haben“, widersprach Harry ihm. „Die Märchen von Beedle dem Barden.“

„Ah, stimmt“, erinnerte sich Lucius. „Narcissa musste es dir jeden Abend vorlesen, einen Umstand, den Draco gehasst hat. Auch wenn ich mir bis heute nicht sicher bin, ob es wegen dem Buch war oder weil sie es für dich getan hat.“

„Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. Aber dafür habe ich die wöchentlichen Ausflüge in die Quidditschstadien gehasst, das gleicht es wieder aus.“
 

Harry erinnerte sich gerne an seine Kindheit. Er war immer sehr glücklich gewesen, wenn man von den kleinen Sticheleien seines Bruders und den typisch-kindlichen Eifersuchtsattacken absah. Es war alles sehr unbeschwert gewesen und seine Familie hatte immer alle Sorgen erfolgreich von ihm fern gehalten. Erst sein zweites Jahr hatte es anders werden lassen. Die Kammer des Schreckens. Ginnys Tod. Die Erkenntnis, dass sie nicht unsterblich waren. Die drohende Rückkehr des dunklen Lords.

Plötzlich waren all die Schrecken aus den Märchen und den Erzählungen der Erwachsenen real geworden. Plötzlich hatten sie erwachsen werden müssen.
 

Aber konnten Zwölfjährige wirklich erwachsen sein? Manchmal kam er sich selbst jetzt noch wie ein Kind vor. Hilflos, unwissend, nach dem Schutz eines Elternteil suchend. Vielleicht sehnte sich deshalb jeder nach der Liebe, denn dann gab es jemanden, der einen festhielt und sagte, dass alles gut gehen würde. Oder man bekam ein Monster ab, dessen Schläge einen alle anderen Sorgen vergessen ließen.
 

Harry seufzte schwer und sah zu Lucius hinüber, der ihn aufmerksam beobachtet hatte. „Wir müssen reden.“

„Solange du keine Beziehungstipps von mir haben willst, bin ich für alles offen“, meinte Lucius munter. „Ich fürchte, dass der dunkle Lord niemand ist, über den ich spekulieren möchte.“

„Keine Sorge“, entgegnete er lachend. „Dafür habe ich schon genug andere Leute, die diese Aufgabe mit Freuden übernehmen.“

„Das kann ich mir vorstellen. Also? Was kann ich für dich tun?“
 

Das erste Mal seit langer Zeit war er wirklich nervös. Dabei gab es nicht einmal einen wirklichen Grund dazu. Es war kaum so, als ob Lucius ihn jetzt herauswerfen oder dass es genauso wie das letzte Mal enden würde. Trotzdem scheute sich etwas in ihm davor, dieses Thema anzusprechen. Es war einfach zu persönlich und darüber hinaus hasste er es, zugeben zu müssen, dass er sich geirrt hatte. Glücklicherweise kam das nicht oft vor.
 

„Ich...“, begann er zögernd und räusperte sich, damit seine Stimme etwas sicherer klingen konnte. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“

Damit hatte Lucius offenbar nicht gerechnet, denn er blinzelte verwirrt und legte den Kopf schief. „Bei mir entschuldigen?“

„Ja, entschuldigen“, wiederholte er entschlossen. „Und gleichzeitig möchte ich mich bei dir bedanken. Ich weiß, dass Tom dir aufgetragen hatte, mich zu finden und du müsstest eigentlich genau wissen, wo ich mich verstecken würde. Trotzdem hast du ihn zwei Jahre lang auf die falsche Fährte gelockt und hast mir damit die Zeit gegeben, die ich brauchte. Dafür danke ich dir.“

„Dafür musst du mir doch nicht danken“, meinte er abwinkend. „Es war meine Pflicht. Du gehörst doch zur Familie.“
 

Harry überging den Kommentar. „Ich hätte fast die Familie ganz kaputt gemacht, indem ich damals zu Severus geflüchtet bin, als ich erfahren hatte, dass Lily und James noch immer leben. Damals war ich einfach zu verletzt und wütend, um zu erkennen, warum du es getan hast. Ich war ein Kind... und ich hatte es als eine Bestätigung gesehen, dass ich für dich nicht hierher gehöre. Ich hatte nur an mich gedacht und dir keine Chance gegeben, noch einmal mit mir darüber zu sprechen und dadurch habe ich dir wahrscheinlich viele Schwierigkeiten verursacht. Ich will gar nicht wissen, wie Narcissa, Bellatrix und Tom darauf reagiert haben.“
 

„Falls es dich beruhigt: Narcissas Reaktion war die brutalste“, meinte Lucius, um die Stimmung zu heben. Es war ihm anzusehen, dass ihn Harrys Worte sehr berührten, aber er war zu stolz, um es sich anmerken zu lassen oder gar darauf einzugehen. Aber das machte nichts, Harry verstand ihn auch so. Zu dumm, dass er es nicht bei dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre belassen konnte.

Seufzend setzte er sich etwas gerader hin und bedachte ihn mit einen ernsten Blick. „Du hast das mit meinen Eltern vor mir geheim gehalten, weil du es James geschworen hast, zumindest habe ich das so verstanden.“

Lucius nickte stirnrunzelnd, wahrscheinlich dachte er gerade darüber nach, worauf er hinaus wollte. „Das ist korrekt.“

Harry nickte ebenfalls. „Das verstehe ich. Aber was mich schon lange wundert... du hast gewusst, dass ich ein Tempus Amicus bin. Woher? Und warum hast du mir das eigentlich nie erzählt?“
 

Für mehrere Minuten bekam er keine Antwort. Dann: „Faszinierend.“

Harry blinzelte. „Faszinierend?“ Hatte er etwas verpasst? Das war doch nie und nimmer die korrekte Antwort auf eine solche Frage!

„Ja, faszinierend“, wiederholte Lucius ruhig. „Es ist also wirklich wahr. Ihr könnt euer Gedächtnis manipulieren.“

„Hä?“ Zugegeben, das war nicht die intelligenteste Erwiderung auf diese Aussage, trotzdem war es die einzige, die ihm einfiel.

„Harry... du hast es mir selbst erzählt“, sagte Lucius ernst „Genau hier an diesem Ort, vor dreizehn Jahren, kurz nachdem du zu uns gekommen bist.“
 

Er starrte ihn entgeistert an.

//Ich habe... was getan?!//
 

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Malfoy Manor – 13 Jahre zuvor
 

Kinderlachen schallte zu den Fenstern des Arbeitszimmers herauf, ein Geräusch, das nach wie vor eine Neuheit darstellte. Nicht, dass Draco nie gelacht hätte, aber nie mit einem anderen Jungen zusammen. Mit einem Bruder.

Lucius starrte schweigend auf die Unterlagen, die er momentan für seinen Job im Ministerium bearbeitete und versuchte, dieses Geräusch auszublenden. Er konnte immer noch nicht fassen, dass Narcissa einfach so – ohne ihn zu fragen – entschieden hatte, Harry Potter zu adoptieren. Ausgerechnet Lilys Sohn! Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

Wahrscheinlich überhaupt nichts. Warum mussten Frauen immer so impulsiv sein? Anstatt vernünftig über eine Sache nachzudenken und so auf ein vernünftiges Ergebnis zu kommen, ließen sie sich von ihren Gefühlen leiten, ohne Rücksicht auf Verluste oder verzweifelte Ehemänner, die nun von allen anderen für diese... Handlung verantwortlich gemacht wurden.
 

„Wie konntest du das nur zulassen?!“, fragte Abraxas Malfoy – sein Vater – ihn nun zum gefühlten millionsten Mal, ohne sich dabei von der Scheibe zu lösen. Wie ein Vogel, der mit Hundert Kilometer pro Stunde gegen das Fenster geflogen war, hatte er sein Gesicht gegen das Glas gepresst und starrte zu den Kindern hinunter, die im Garten Fangen spielten. Dabei wurden sie von Narcissa überwacht, die jeden Tag mehr in ihrer Mutterrolle aufzugehen schien. Sie schien mit der gegenwärtigen Situation vollauf zufrieden, ein beneidenswerter Zustand, den Lucius nicht begreifen konnte.
 

Sein Vater ebenfalls nicht: „Er ist ein Potter! Ausgerechnet ein Potter! Ich könnte verstehen, wenn ihr einen Black adoptiert hättet oder jemand anderes aus einer ehrenwerten, schwarzmagischen Familie, aber ein Potter?! Ihr wisst doch noch nicht einmal, wie man einen Weißmagier erziehen muss! Am Ende stirbt er euch noch unter der Hand weg.“

„Er ist fünf und kein Kleinkind mehr. Seine Magie müsste sich bereits weit genug entwickelt haben, dass es für ihn nicht schädlich sein kann, bei uns zu leben. Außerdem bringt Narcissa ihn jede Woche zu einem Heiler, der seine Werte prüft. Ich kann dir versichern, dass er uns nicht wegsterben wird.“

„Trotzdem“, murrte Abraxas unzufrieden und löste sich endlich vom Glas, um ihn ansehen zu können. „Er ist und bleibt ein Potter! Ein überaus schlechter Einfluss auf unseren Draco, wenn du mich fragst. Wer weiß, was seine Eltern ihn für schreckliche Dinge erzählt haben!“
 

„Es sind diese Vorurteile, die unsereins in der Welt so unbeliebt haben werden lassen“, erinnerte Lucius ihn und legte seine Akten beiseite. Solange sein Vater am Meckern war, würde er ohnehin nicht produktiv werden können. „Harry ist noch jung und er scheint Narcissa sehr zu mögen. Ich bin sicher, dass wir ihn zu einem besseren Reinblüter erziehen können, als Draco es jemals sein wird. Außerdem ist er ungewöhnlich intelligent. Ich denke, er wird zu den Menschen gehören, die alle gegebenen Normen hinterfragen und sich eine eigene Meinung bilden. Von daher mache ich mir keine Sorgen darüber, dass er einen schlechten Einfluss auf meinen Sohn ausüben könnte.“
 

Draußen war plötzlich Narcissas Lachen zu hören, was ihn zum lächeln brachte. Seine Frau war lange Zeit sehr traurig gewesen, sie nun wieder so unbeschwert zu erleben, war Grund genug, Harry in der Familie zu behalten.

Auch Abraxas waren seine Argumente ausgegangen, weshalb er sich nun beleidigt auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch niederließ. „Du hast mir immer noch nicht meine Frage beantwortet, Lucius. Warum hast du das zugelassen?“
 

Die Wahrheit war, dass er es James versprochen hatte. Lucius erinnerte sich noch gut daran, wie er vor ein paar Monaten mit einem schlafenden Harry zu ihm gekommen war – Lily war an jenem Tag bei einer Freundin gewesen, weshalb dem Mann nichts anderes übrig geblieben war, als ihn mitzunehmen – und ihn solange genervt hatte, bis er ihm zugehört hatte. Ohne Probleme war es ihm gelungen, Lucius an alte Zeiten und alte Versprechen zu erinnern und kurz darauf hatten sie mit Peter Pettigrews Hilfe einen unbrechbaren Schwur gesprochen. Sobald James und Lily verschwunden wären, war es an Lucius dafür zu sorgen, dass Harry eine unbeschwerte Kindheit bekam. Allerdings hatte in dem „Vertrag“ nicht dringestanden, dass er ihn aufziehen sollte.
 

//Es ist für Narcissa//, beruhigte er sich innerlich. //Für Narcissa und Lily.//

Lily. Er konnte immer noch nicht glauben, dass ausgerechnet sie in der Lage wäre, ihr eigenes Kind zurückzulassen. Er hatte sie als einen herzensguten Menschen in Erinnerung, den jeder geliebt hatte und die jedem Liebe entgegengebracht hatte. Nun, fast jedem, dem dunklen Lord und seinen Todessern war sie niemals mit einem strahlenden Lächeln und einer Umarmung entgegengetreten. Nein, es war ein kalter, trauriger Blick gewesen, der Lucius ernsthaft daran hatte zweifeln lassen, ob er die richtige Seite gewählt hatte.
 

Sein Gesicht wurde sofort von Trauer überschattet, was Abraxas nicht verborgen blieb. „Was ist mit dir?“

Lucius seufzte schwer. „Lily. Ich kann nicht glauben, dass ich sie wirklich nie wieder sehen werde.“

Auch wenn er im Gegensatz zum Rest der Welt wusste, dass sie noch lebte, glaubte er nicht, ihr noch einmal zu begegnen.

„Es ist besser so. Für alle“, kommentierte sein Vater herzlos. „Dieses Schlammblut hat nichts als Schande über unsere Familie gebracht.“

Musste er das eigentlich immer wieder aufrollen? „Zum letzten Mal: Wir waren betrunken gewesen. Und es war nur ein Kuss! Bellatrix hat das alles nur dramati...“
 

„Ein Kuss ist schlimm genug!“, tobte Abraxas und schlug mit seiner Faust auf den Schreibtisch, der daraufhin für einen Moment bedrohlich wackelte. „Ein Malfoy hat nicht eine andere Frau zu küssen, während seine schwangere Ehefrau Zuhause auf ihn wartet.“

„Sie war im ersten Monat schwanger, keiner hat gewusst, dass sie bereits ein...“

„Ein Malfoy“, unterbrach er ihn entschlossen, „hat nicht betrunken zu sein, wenn er sich in der Öffentlichkeit aufhält.“
 

„Es war eine private Party! Wir waren nur alte Klassenkameraden und Freunde, von der Öffentlichkeit...“

„Und ein Malfoy“, fiel er ihm abermals ins Wort, „hat sich nicht mit solch niederen Gesindel herumzutreiben! Du hast Schande über uns alle gebracht und vor allen über deine Frau, als du diese Feierlichkeit aufgesucht und mit diesem elenden Schlammblut sonst was gemacht hast.“

„Zum letzten Mal, es war nur ein Kuss. Bellatrix war es, die mehr daraus gemacht hat, weil sie unbedingt...“

„Wer weiß, was ihr getan hättet, wenn Bellatrix euch nicht gesehen hätte. Wirklich, es ist für alle das beste, dass sie endlich tot...“
 

Diesmal war es Lucius, der ihn unterbrach und zwar indem er seinen Zauberstab auf ihn richtete. „Wage es nicht, diesen Satz zu Ende zu sprechen, Vater!“, zischte er. „Wage es nicht, zu behaupten, dass es gut sei, dass Lily Potter gestorben ist! Du kanntest sie nicht! Du hast keine Ahnung, von was für einem Menschen du sprichst.“

„Ich weiß genug, um zu wissen, dass sie dir den Kopf verhext hat!“, rief Abraxas aufgebracht und deutete plötzlich zum Fenster. „Dieser Junge, ist er etwa am Ende dein Sohn?! Von den Monaten käme es hin. Hast du ihn etwa deshalb in diesem Haushalt aufgenommen?“
 

„Ganz recht“, entgegnete Lucius, dem das langsam zu bunt wurde. „Er könnte mein Sohn sein, genauso wie er Severus' Sohn sein könnte, oder Rodolphus' oder... Arthur Weasleys! Aber er ist James Potters Sohn, weil er der einzige Mann ist, den es in Lilys Leben gegeben hat.“

„Und warum ist er dann hier?“

Merlin, warum war dieser Mensch nur immer so schwer von Begriff, wenn es um solche Dinge ging?

//Es bringt nichts, wenn ich mich aufrege//, dachte er, während er tief durchatmete und seinen Zauberstab wieder weglegte. Innerlich zählte er bis zehn, was ihm dabei half, wieder ruhig zu werden. Erst dann setzte er zu einer Antwort an.
 

„Weil er Draco sein könnte, Vater“, sagte Lucius sanft. „Er könnte mein Sohn sein und wenn ich sterben sollte, würde ich mir wünschen, dass er in eine gute Familie kommen würde, die sich um ihn sorgt und ihn zu einen wundervollen Menschen heranziehen wird. Darum ist er hier und nichts, was du sagst, wird daran etwas ändern.“

Als Antwort bekam er nur ein ungläubiges Schnauben.
 

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Lucius lächelte, als er spürte, wie sich ein zierlicher Körper an seinen Rücken schmiegte und zwei warme Arme seinen Bauch umschlangen. „Hast du dich wieder mit deinem Vater gestritten?“, fragte Narcissa sanft und drückte ihm einen Kuss in den Nacken. Oh, wie sehr er diese Frau liebte! „Er hat mich und Harry das ganze Abendessen über so böse angesehen.“

„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte er liebevoll. Dabei griff er nach ihren Händen und zog sie zu seinem Mund, um einen Kuss darauf zu drücken. „Er braucht eben ein wenig länger, um zu verstehen, warum Harry jetzt bei uns ist. Aber keine Sorge, ich habe es ihm noch einmal erklärt.“
 

„Gut... ich glaube, er macht Harry Angst, was kein Wunder ist... jedes Kind wäre eingeschüchtert, besonders wenn es erst vor kurzem etwas so furchtbares hat durchmachen müssen.“

„Er wird sich wieder ein kriegen“, versprach Lucius. „Er muss sich einfach an den Gedanken gewöhnen, dass er jetzt ein Teil unserer Familie ist.“

Er konnte ihr Lächeln in seinem Rücken spüren. „Danke. Es bedeutet mir sehr viel, dass du ihn akzeptierst. Ich bin sicher, dass er eine Bereicherung für die Familie Malfoy sein wird.“

„Davon bin ich überzeugt. Immerhin wirst du ihn großziehen.“
 

Wenn ihn jemand fragen würde, was das beste in seinem Leben war, würde Lucius immer mit Narcissa antworten. Seine Frau war alles, was er sich wünschen könnte und er fand es immer wieder erstaunlich, dass sie ihn nicht nur geheiratet hatte, weil ihre Familien die Verbindung für passend befunden hatten, sondern weil sie ihn wirklich liebte. Womit hatte er nur so ein bezauberndes Wesen verdient?

Auf einmal wurde er von dem Wunsch übermannt, sie anzusehen, weshalb er sich aus ihren Armen löste, um sich herum rollen zu können. Momentan lagen sie in ihrem großen, weichen Himmelbett, das nicht nur zum schlafen perfekt geeignet war.
 

Bewundernd ließ er seinen blick über ihren Körper gleiten, der heute bedauerlicherweise von einem Schlafanzug bedeckt wurde. Sie hatte ihre monatlichen Blutungen, weshalb sie auf weitere Intimitäten verzichten mussten. Leider. Trotzdem konnte er nicht aufhören, sie anzusehen. Ihr blondes Haar, ihre leuchtenden Augen, ihre reine, weiche Haut. Wie könnte irgendjemand auf die Idee kommen, dass er diese wundervolle Frau jemals mit Lily betrügen könnte? Das war einfach nur lächerlich.
 

Narcissa schenkte ihm ein atemberaubendes Lächeln. „Was geht nur in deinem Kopf vor, mein lieber Gemahl?“

„Dass du heute wieder einmal bezaubernd aussiehst“, entgegnete er sanft, ehe er sich aufsetzte. „Und dass ich meine Abendlektüre in der Bibliothek vergessen habe.“

Sie lachte. „Dann ab mit dir. Wir wollen doch nicht, dass du auf dein literarisches Pensum verzichten musst.“

Er gab ihr noch einen sanften Kuss, bevor er wieder aufstand und sich auf den Weg in die Bibliothek machte.
 

Früher hatte er stets einen Hauself losgeschickt, um ihm seine Bücher zu holen, aber nachdem sie dauerhaft die falschen gebracht hatten, hatte er sich dazu entschlossen, diese Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen.
 

Seltsamerweise brannte Licht, als er den Raum betrat und schon bald entdeckte er Harry, der allein in einem Sessel saß und in einem Buch blätterte, das sich später als Die Märchen von Beedle dem Barden herausstellen sollte.

Verwundert ging er auf den kleinen zu. „Harry, was machst du denn hier?“, fragte er sanft.

Das war eine dieser Eigenarten, wenn man mit Kindern kommunizierte. Wenn man sie nicht gerade hasste – was leider viel zu oft vorkam – wurde man unwillkürlich nett und freundlich. Wie konnte man auch so ein unschuldiges Wesen mit diesen wunderschönen, grünen, großen Augen anders behandeln?

Diese sahen ihn nun verwirrt an, weshalb Lucius auf ihn zuging und sich vor seinem Sessel hinhockte. „Bist du nicht müde? Es ist doch viel zu spät für einen so kleinen Jungen wie dich. Komm, ich bring dich wieder ins Bett, okay?“
 

Er wollte ihn gerade hochheben, als der Junge seinen Mund öffnete und mit der Ernsthaftigkeit eines Erwachsenen sagte: „Ich muss mit dir reden, Lucius.“

Es war dieser Tonfall, der ihn dazu brachte, seine Hände wieder zurückzuziehen und verwirrt vor ihm hocken zu bleiben. „Reden? Worüber denn reden?“

Was hatte ein Fünfjähriger denn mit einem Erwachsenen zu besprechen? Ob er eine Katze gefunden hatte, die er gerne behalten würde? Oder ging es um ein Spielzeug? Etwas anderes interessierte Kinder in diesem Alter doch in der Regel nicht, zumindest wenn er an seinen Sohn und dessen Freunde dachte. Allerdings durfte Lucius an diesem Abend herausfinden, dass Harry anders als normale Kinder war.
 

„Das Gespräch, das wir jetzt führen werden, werde ich morgen vergessen haben“, sagte dieser beinahe wie in Trance. „Und ich werde mich viele Jahre nicht daran erinnern können, wenn du dafür Sorge trägst. Ich darf mich nicht daran erinnern, hörst du?“

Lucius sah ihn verwirrt an. „Und... warum nicht?“ Langsam wurde ihm dieser Junge doch etwas unheimlich.

„Ganz einfach“, sagte er. „Ich bin ein Tempus Amicus.“
 

Diese Aussage war so abwegig, so verrückt, so unwahrscheinlich, so unglaublich, dass er sie nicht für einen Augenblick in Frage stellte. Ein fünfjähriges Kind konnte nicht von der Existenz dieser Wesen wissen, geschweige denn begreifen, was sie waren. Aber diese Augen, die ihn ansahen, zeigten ihm, dass Harry genau wusste, wovon er sprach und was es für ihn und alle Menschen in seinem Umfeld bedeutete. Das vor ihm war kein normales Kind, sondern eine erwachsene, weise Seele, die ihrer aller Schicksal beeinflussen würde.
 

„Oh Merlin...“, hauchte er. Ob Lily und James davon gewusst hatten? Hatten sie ihn deshalb zurückgelassen. Langsam konnte er es verstehen. Einen Tempus Amicus im Haus zu haben, konnte unter Umständen gefährlich sein. Wer wusste schon, wie er ihre Gefühle manipulieren würde und wie viele Leute versuchen würden, ihn für ihre Zwecke zu gewinnen? Dabei würden sie sicher nicht davor zurückschrecken, die Familie des Jungen anzugreifen. Was hatte er sich da nur ins Haus geholt?!
 

„Hab keine Angst“, sagte Harry plötzlich und sah ihn sanft an. Dabei erinnerte er ihn stark an Lily, wenn sie jemanden aufmuntern wollte. „Dir und deiner Familie wird nichts geschehen. Ich werde morgen nicht mehr wissen, was ich bin, genauso wenig wie ich wissen werde, dass Lily und James noch leben. Ich werde ahnungslos werden, Lucius.“

„Und warum erzählst du mir das?“, fragte er. Es wäre ihm durchaus lieber gewesen, wenn er das nie erfahren hätte.

Harry lächelte als Antwort. „Weil Ariana mir gesagt hat, dass wir dir vertrauen können. Und dass wir dich darum bitten können.“

Wir?
 

„Um... was bitten?“

„Darum, das Geheimnis zu bewahren, bis es an der Zeit ist, sich wieder zu erinnern“, erklärte er geduldig. „Um meine Kräfte voll entwickeln zu können, muss ich alles von mir werfen können, was mich dauerhaft psychisch belasten könnte und das Wissen, ein Tempus Amicus zu sein und dass meine Eltern mich zurückgelassen haben, sind solche Dinge. Ich brauche eine unbeschwerte Kindheit und muss davon fern gehalten werden. Aber gleichzeitig muss ich lernen, was es bedeutet, ich zu sein.“

„Und ich soll dafür sorgen?“, fragte Lucius entsetzt. Wie sollte er das bitte schön anstellen?! Was dachte sich dieser Junge eigentlich? „Wie kommst du darauf, dass ich so etwas könnte?“
 

„Weil Ariana es mir gesagt hat“, erklärte er schlicht und gähnte plötzlich. „Sie vertraut dir und wenn sie dir vertraut, dann tue ich es auch.“ Er schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, dass dem von Lily schmerzhaft glich. „Es tut mir Leid, wenn ich dir Kummer und Ärger bereite, aber ich habe niemanden, den ich sonst darum bitten kann. Ich bin allein und Narcissa ist viel zu freundlich, um sie damit zu belasten.“ Er gähnte wieder und seine Augen fielen langsam zu, während er langsam zurück sank. „Vergib mir bitte.“ Und schon war er tief und fest eingeschlafen.
 

Lucius hockte währenddessen weiter vor ihm und starrte ihn an. Das war der Moment, in dem er ihn nehmen und rausschmeißen sollte. Es würde ihm viel ersparen, vor allen Dingen die Verantwortung, einen Tempus Amicus – ausgerechnet einen Tempus Amicus – großzuziehen. Zwar würde seine Frau es ihm übel nehmen, doch irgendwie würde er sie schon besänftigen können.

Andererseits war es eine große Ehre, so jemanden aufziehen zu dürfen. Die Zeit hatte sicher dafür gesorgt, dass er in ihre Obhut kam, was man ohne Probleme als ein Kompliment verstehen durfte. Darüber hinaus würde der dunkle Lord bei seiner Rückkehr sicher entzückt sein, wenn er erfuhr, dass er – Lucius – für ihn die wichtigsten Verbündeten überhaupt gefunden hatte. Insofern wäre es die Strapazen und die Gefahr durchaus wert.
 

Letztendlich war es aber der Junge selbst, der ihn dazu brachte, ihn hochzuheben und in sein Bett zurückzubringen. Wie er so dalag, so klein, so friedlich, so zerbrechlich, brachte er es einfach nicht über sich, ihn raus zu werfen. Er war doch noch ein Kind. Er konnte doch nichts dafür, dass irgendwelche übernatürlichen Mächte ihn zu einer Schlüsselfigur im Schicksal der Welt gemacht hatten. Er konnte ihn doch nicht für so etwas bestrafen!
 

Aus diesem Grund hielt er ihn fest in seinen Armen, als er an diesem Abend durch die verlassenen Korridore von Malfoy Manor schritt und machte ihn damit unbewusst unwiderruflich zu einem festen Bestandteil seiner Familie. Und zu seinem eigenen Sohn.
 

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Hach, es war schön, sich wieder einmal in Harrys Kindheit zu begeben. <3

Das war es aber erst einmal mit Harry, ab dem nächsten Kapitel wird wieder Draco das Geschehen dominieren. Mal sehen, ob er seinen Auftrag wird erfüllen können....

Liebste Grüße, Ayako

Promises

Eine wunderbare Weihnachtszeit euch allen!

Auch wenn ich annehme, dass eure Reallifes momentan genau so stressig sind wie das meine. Zur Zerstreuung gibt es heute aber ein neues Kapitel dieser FF hier. In diesem Sinne: Danke an alle Reviewer des letzten Kapitels und allen anderen Lesern. <3333

Viel Spaß mit:

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Promises
 

Das Klappern des Bestecks und das gelegentliche Rascheln von Kleidung war für lange Zeit das einzige, was man im Esszimmer des Manors hören konnte. Harry führte es auf Pansys Anwesenheit zurück. Das neuste Mitglied der Familie Malfoy wirkte so fehl am Platz, dass jeder Gesprächsversuch im Keim erstickt wurde. Nicht zuletzt, da sie alles und jeden mit einer bis dahin ungeahnten Boshaftigkeit kommentierte. Einzig Draco und er selbst blieben davon verschont. Tatsächlich pflichtete sie ihnen immer bei und lächelte sie jedes Mal, wenn sie sie flüchtig ansahen, strahlend an.
 

Bei Draco konnte Harry es nachvollziehen, er war ihr Ehemann, aber was wollte sie bitte schön von ihm? Wahrscheinlich glaubte sie wirklich, dass seine Sympathie zu besitzen bedeutete, gleichzeitig das Wohlwollen des dunklen Lords zu besitzen. Ein großer, schwerwiegender Irrtum, doch er würde sich nicht beschweren.
 

Lucius missbilligte ihr Verhalten. Das war leicht daran abzuleiten, dass er es partout vermied, sie anzusehen und jeden ihrer Kommentare ignorierte. Ignoranz war schon immer die größte Beleidigung in reinblütigen Familien gewesen. Normalerweise war es schicklich, immer Freundlichkeit und Nächstenliebe vorzuheucheln. Oder anders ausgedrückt: man trat seinem Gegenüber immer mit einem breiten Lächeln und jeder menge Komplimente gegenüber, egal, ob man es ernst meinte oder ob man die jeweilige Person insgeheim in die Wüste schicken wollte.

Eine Ausnahme bildeten hierbei offene Feindschaften oder Blutfehden, bei denen es durchaus nicht unüblich war, den oder die Betreffende mit Schimpfwörtern oder Flüchen zu bombardieren. All das war legitim und auf jeder öffentliche Versammlung Gang und Gebe.
 

Wenn man jemanden jedoch wirklich beleidigen oder erniedrigen wollte, konnte man auf das härteste Mittel von allen zurückgreifen: Ignoranz.

Nichts war entwürdigender oder frustrierender und nichts brachte mehr Feindschaften hervor. Im Grunde genommen galt es als die größte Unhöflichkeit überhaupt und hatte oft ernsthafte, gesellschaftliche Folgen, über die Harry überhaupt nicht nachdenken wollte – dann würde er wahrscheinlich niemals mit seinem Gedankengang fertig werden und wieder einmal nicht bemerken, dass bereits alle mit dem Essen fertig waren. Etwas, das in der Vergangenheit schon öfters vorgefallen war.
 

Zumindest konnte er Pansy ausnahmsweise nicht verdenken, dass sie Lucius mit ihren Blicken geradezu erdolchte. Es war alles andere als die feine, englische Art, seine Schwiegertochter mit Ignoranz zu strafen, egal, ob sie es nun verdient hatte oder nicht.

Sie war jetzt ein Teil ihrer Familie.
 

Narcissa hatte das bereits verstanden. Zwar war auch sie nicht sonderlich begeistert über ihre boshaften Bemerkungen, aber sie blieb freundlich und versuchte zumindest, Konversation zu schaffen. Beziehungsweise, sie hatte es versucht. Inzwischen herrschte, wie bereits erwähnt, Schweigen.
 

Schweigen war ebenfalls eine interessante Angelegenheit. Es gab viele Arten davon.

Peinliches Schweigen.

Friedliches Schweigen.

Das Schweigen nach einer schlechten Nachricht.

Strafendes Schweigen.

Ängstliches Schweigen.

Glückliches Schweigen.

Das Schweigen bei einer Klassenarbeit oder Prüfung.

Das Schweigen, nachdem jemand seinen letzten Atemzug getan hatte.

Oder wenn man realisierte, dass es keine Hoffnung mehr gab...
 

Was bedeutete Schweigen? Wie sollte man es interpretieren? Warum existierte es überhaupt? War es ein Zeichen dafür, dass man sich nichts mehr zu sagen hatte? Oder etwa, dass man nichts mehr sagen konnte? Gab es nicht ein Sprichwort, das besagte „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“? Doch wenn das stimmte, warum tat Schweigen dann so weh? Warum traf es einen so oft viel mehr, als jedes Wort der Welt?

Und warum fehlte einem so oft der Mut, es zu brechen? Weil man Angst hatte, damit alles zu zerstören? Weil man glaubte, damit alles nur noch schlimmer zu machen? Weil man davon überzeugt war, nicht die richtigen Worte zu finden? Oder aber vielleicht auch, weil man es tief im Inneren überhaupt nicht wollte?
 

//Ich wünschte, ich könnte öfter den Mund aufmachen//, dachte Harry. //Oder dass die Menschen in meiner Umgebung das tun würden. Es hätte so viel ändern können.//

Zum Beispiel die Sache mit Lucius. Er musste zugeben, dass es ihn schon etwas entsetzt hatte, als er dessen Geschichte gehört hatte.
 

Vor dreizehn Jahren war er selbst es gewesen, der seinen Ziehvater in das größte Geheimnis seines Lebens eingeweiht und zum Stillschweigen verpflichtet hatte. Indem der Mann die ganze Zeit über geschwiegen hatte, hatte Harry eine unbeschwerte Kindheit verbringen können, ohne sich im mindesten mit Tempora Amici oder dem Verschwinden seiner Eltern auseinandersetzen zu müssen. Für ihn waren Lily und James tot gewesen, obwohl er eigentlich immer gewusst hatte, dass sie noch lebten, und er war in der Lage gewesen, sich voll und ganz auf Narcissa und Draco einzulassen.
 

Dummerweise hatte dies gleichzeitig dazu geführt, dass er sich vor etwa drei Jahren von dieser Familie gelöst hatte, um Lucius' scheinbarem Verrat zu entgehen.

Hätte der Mann früher seinen Mund geöffnet, wäre es nie soweit gekommen und er hätte gleichzeitig dafür sorgen können, dass Harry zu dem perfekten Anhänger des dunklen Lords herangewachsen wäre. Ganz nach dem Motto: „Du bist der Tempus Amicus und damit das, was er am meisten braucht. Er wird sich gut um dich kümmern und sich zu dir hingezogen fühlen. Ihr werdet ein unschlagbares Paar sein.“
 

So eine Erziehung hätte vieles einfacher gemacht. Damit hätte Harry sich von Anfang an von Neville Longbottom fern gehalten und wäre immer auf der dunklen Seite geblieben. Er hätte Tom voller Freuden begrüßt und ihm bei allem geholfen, was diesem vorgeschwebt wäre. Vielleicht wäre dadurch die ganze Lage nicht so eskaliert und sie müssten sich nun nicht auf einen Krieg vorbereiten.
 

Warum also war das nicht passiert?

//Weil es höchst wahrscheinlich genauso passieren sollte.//

Harry hatte Lucius' Erzählung sehr genau zugehört, weshalb er verstanden hatte, dass es Ariana gewesen war, die damals durch ihn gesprochen und alles in die Wege geleitet hatte. Zuallererst fragte er sich nun natürlich, warum er mit ihr im Kontakt gestanden hatte. Damals war er fünf Jahre alt gewesen! Seine Mira war noch immer am Leben gewesen und er selbst war weit davon entfernt gewesen, seine Rolle als Tempus Amicus einzunehmen. Darüber hinaus würde er sich doch sicher daran erinnern.... okay, den letzten Satz konnte er streichen.

Er hatte bereits verstanden, dass er ein Meister der gewollten Amnesie war. Was würde wohl als nächstes kommen? Eine verdrängte Vergewaltigung von einem fetten, walrossartigem Muggel?
 

„Also....“, begann Narcissa schließlich, woraufhin alle ihre Köpfe hoben und sie ansahen. „Wie lange hast du vor zu bleiben?“

Die Frage war offenbar an Harry gerichtet und er musste zugeben, dass sie gut gewählt war. Wie lange hatte er vor zu bleiben? Eigentlich war es egal, was er darauf antwortete, jede Zeitspanne würde für die Anwesenden zu gering sein. Sie wollten ihn wieder haben, hatten es immer gewollt.

Er war ihr Bruder, ihr Sohn, das fehlende Puzzleteil, das alles zusammenhielt. Früher hatte er es nie glauben können, in seinen Augen war er ein Eindringling gewesen, der nie und nimmer dazugehören könnte. Aber nach dem, was er über die letzten beiden Jahre gehört hatte, hatte er einsehen müssen, dass es tatsächlich stimmte.

Diese Menschen waren irgendwann von seiner Anwesenheit abhängig geworden und wenn er nicht aufpasste, würde er sie damit zerstören können.
 

Fraglich war nun, warum genau sie von ihm abhängig waren. Wegen ihm selbst oder weil er ein Tempus Amicus war und damit ihre Magie unbewusst unterstützte? Er tippte insgeheim auf letzteres, obwohl er nie aufhören würde, auf ersteres zu hoffen.

Zu ihrem Pech waren sie allerdings nicht die einzigen, die ihn brauchten.
 

„Ich denke, ich werde nach dem Essen wieder aufbrechen müssen“, sagte er ruhig. „Ich möchte Felice ungern allzu lange allein lassen.“
 

Er konnte genau sehen, dass keiner von ihnen verstand, was er damit sagen wollte. Kein Wunder, sie kannten seine Freundin nur in Höchstform: frech, gutgelaunt und vor allen Dingen gesund.

Sie hatten nie neben ihr gestanden, wenn sie erneut von einem Hustenanfall durchgeschüttelt wurde. Sie hatten nie das Blut gesehen, dass aus ihrer Lunge strömte, wie Wasser aus einer Quelle. Sie konnten nicht beobachten, wie sie mit jedem Tag dünner und ausgezehrter wirkte. Sie fühlten nicht diese grauenvolle Angst, die er verspürte, wenn sie nicht sofort auf sein Rufen reagierte.
 

Natürlich wusste er, dass die Heiler sagten, dass es eine harmlose, chronische Krankheit sei. Natürlich wusste er, dass sie behaupteten, dass alles schlimmer aussah, als es in Wahrheit war. Natürlich konnte er jedes einzelne Wort ihrer Diagnose wiedergeben.

Aber....
 

Aber....
 

Konnten all diese Symptome wirklich harmlos sein?
 

Lucius war der einzige, der ihn verstand. „Dann bestelle ihr liebe Grüße. Und komm bald wieder.“

Harry sah ihn an, betrachtete seine hellen Augen, sein ernstes Gesicht, das lange, blonde Haar. Dieser Mann, den er solange mit Ignoranz gestraft hatte, hatte so viel für ihn getan. Und obwohl er schon seit langer Zeit jeden Grund dazu gehabt hätte, ihn zu verstoßen, hatte er ihn in seiner Familie akzeptiert und wie einen Sohn großgezogen und ihm eine wundervolle Kindheit geschenkt.
 

//Ob er das auch getan hätte, wenn du kein Tempus Amicus wärst?//

Heute wollte er jedoch nicht auf seine innere, zynische Stimme hören und lächelte deshalb.

„Ich komme bald wieder“, versprach er.
 

Es war eines der wenigen Versprechen, das er wirklich halten würde.
 

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//Liebe kann dich auffressen//, dachte Hermione und wenn sie Lily Potter ansah, wusste sie, dass das stimmte.

Die Frau hatte letzte Nacht wieder geweint, ihre Augen waren geschwollen, aber sie lief mit hoch erhobenen Hauptes durch das Hauptquartier des Phönixorden und funkelte jeden an, der auch nur ansatzweise mitfühlend aussah. Man konnte sagen, was man wollte, sie war eine stolze Frau und Hermiones Ansicht nach machte sie das nur noch schöner.
 

Die Männer teilten ihre Meinung offenbar, da sie sie noch mehr als sonst mit ihren Blicken auszuziehen schienen. Schönheit war ganz eindeutig eine Strafe. Wenn wenigstens der einzige, dessen Aufmerksamkeit sie haben wollte, sie beachten würde, aber das tat er nicht.

James Potter war nach wie vor ein Meister darin, Lily zu ignorieren. Stattdessen beschäftigte er sich mit Sirius Black, der kurz nach Harrys Rückkehr aus Frankreich vorbeigeschaut hatte und seitdem jeden Tag im Hauptquartier des Phönixordens verbrachte.
 

Hermione hatte ursprünglich geglaubt, dass Menschen wie Moody und Ronald dagegen protestieren würden. Sirius war eindeutig ein Mitglied einer schwarzmagischen Familie und hatte in den letzten Jahren bestimmt mehr als einen Grund bekommen, die weiße Seite über alles zu hassen. Überraschenderweise hatte aber niemand etwas über seine Anwesenheit einzuwenden.

„Sirius ist James' bester Freund“, hatte Remus ihr erklärt, als sie mit ihm darüber geschlossen hatte. „Er ist in Gryffindor gewesen und hatte immer große Probleme mit seiner Familie gehabt. Nur sein Bruder ist eine Ausnahme, die beiden stehen sich sehr nahe. Davon abgesehen, ist er auf unserer Seite und wird es immer sein. Wegen ihm musst du dir keine Sorgen machen.“
 

Nun, wenn er es sagte, würde es wohl stimmen.

Jedenfalls hatte Sirius – genauso wie James – die Fähigkeit perfektioniert, Lily zu ignorieren. Hermione fand das einfach nur ungerecht, was bitte schön hatte sie ihnen eigentlich getan? Dummerweise war sie die letzte, die etwas dagegen ausrichten könnte, weshalb ihr nichts anderes übrig bleib, als der armen Frau etwas Gesellschaft zu leisten. Wobei es mehr als eine Person gab, die das am liebsten vereiteln würde.
 

„Hermione, Liebes“, sagte Molly Weasley liebevoll und reichte ihr einen Tee, als Lily den Raum betrat, in dem sie sich befanden. „Sag, was hat die letzte Untersuchung bei Poppy ergeben? Erwartest du ein Mädchen oder einen Jungen?“

„Was immer es auch sein wird, es wird in eine kranke Welt kommen“, meinte Lily trocken und blieb an der Türschwelle stehen. „Hälst du es wirklich für vernünftig, über Babys zu sprechen, während der Vater gut und gerne jeden Tag bei einem erneuten Überfall sterben könnte?“

„Oh, verzeih“, entgegnete Molly und drehte sich mit zusammen gekniffenen Augen zu ihr um. „Ich hatte nicht bemerkt, dass Miss Schwarzmalerin sich zu uns gesellt hat. Ansonsten hätte ich mir jede Frage verkniffen, die auch nur im mindestens etwas positives andeuten könnte.“
 

Warum mussten die beiden sich eigentlich so sehr hassen? Ihr Rumgezicke war schlimmer, als jeder Schulmädchenstreit. Bewundernswerterweise blieb Lily ruhig. „Ich stelle nur Tatsachen klar, Molly. Es bringt nichts, die Außenwelt zu ignorieren, ansonsten wirst du eines Tages überrascht aufwachen und merken, dass sie dich schon längst überrollt hat.“

Ohne auf Mollys empörten Gesichtsausdruck zu achten, legte sie ihre Handtasche auf dem nächsten Sessel ab und ließ sich dann selbst darauf nieder. Sie waren in einer Art Wohnzimmer, der als Aufenthaltsraum genutzt wurde und in dem meistens all diejenigen zu finden waren, die mit den Kampfhandlungen und den dazugehörigen Plänen nichts zu tun hatten. Hermione verbrachte hier gerne ihre Zeit, nicht zuletzt, da sie so Ronald aus dem Weg gehen konnte.
 

Obwohl er seit Beginn ihrer Schwangerschaft äußerst zuvorkommend und liebevoll geworden war, ging es ihr am besten, wenn sie sein Gesicht nicht sehen musste. Noch lieber wäre es ihr allerdings, wenn sie seine Mutter nicht sehen musste. Diese wollte gerade damit fortfahren, Lily anzuschnauzen, doch die Potter kam ihr zuvor, indem sie sich an Hermione wandte und sagte: „Ich habe eine neue Salbe mitgebracht und einen Trank, der deine Rückenschmerzen etwas lindern wird. Ich hoffe, dass es dir helfen wird.“

„Danke, das ist wirklich lieb von dir“, entgegnete Hermione erfreut. „Du bist immer so gut zu mir.“
 

Lily lächelte leicht, wodurch sie sofort ein paar Jahre jünger wirkte. „Keine Ursache. Ich helfe gerne.“

„Oh ja, natürlich tust du das“, spielte Molly sich sofort auf. Sie konnte es ganz eindeutig nicht ertragen, mit ihr im selben Raum zu sein. „Immerhin macht es dir Spaß, das Leben anderer Leute zu zerstören.“

„Was willst du damit andeuten?“, fragte Lily mit einem gefährlichen Unterton.

Hermione schluckte und umklammerte die Teetasse in ihren Händen etwas fester. Das würde böse enden!
 

Ihre Vermutung bestätigte sich, als Molly begann, in aller Ausführlichkeit darzulegen, was genau sie andeuten wollte: „Nun, nehmen wir doch mal die Männer, die du in den Abgrund getrieben hast! Der arme Severus zum Beispiel. Wie lange liebt er dich und tut alles für dich, während du ihn schamlos ausnutzt? Kein Wunder, dass er keine andere Frau gefunden hat. Regelmäßig machst du ihm Hoffnungen, um ihn dann doch wegzuwerfen.

Und dann James... dein Ehemann. Er muss einen Grund haben, warum er dich verstoßen hat und auch, wenn du vielleicht der Meinung bist, dass du mehr leidest, es nimmt ihn sicher doppelt so sehr mit. Der arme Mann, er sollte sich von dir scheiden lassen, aber offenbar hängt er zu sehr an dir, um es zu beenden.

Außerdem gibt es natürlich noch Harry, der...“
 

„Wage es nicht!“

Diese Worte wurden leise ausgesprochen, so leise, dass man sie fast nicht gehört hätte, aber Lilys funklenden Augen reichten aus, um selbst einen dunklen Lord verstummen zu lassen. Normalerweise war die Potter in der Lage, jede Schmähung und Beschimpfung ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen zu lassen, doch Molly hatte soeben wohl eine unsichtbare Grenze überschritten.

„Du kannst mir meinetwegen jedes einzelne Unglück dieser Welt vorwerfen, Molly. Das meines Mannes, das von Severus und auch dein eigenes, wenn es dir Spaß macht. Aber meinen Sohn lässt du da raus!“
 

„Ach? Und warum sollte ich das tun?“, entgegnete Molly, die sich nicht so einfach einschüchtern ließ. „Harry ist wohl die Person, die am meisten unter deinem Egoismus leiden musste! Wie lange wart ihr verschwunden? Elf Jahre? Zwölf Jahre? Ein Jahrzehnt? Mehrere Jahrzehnte? Als ich hörte, dass ihr wieder da seid, dachte ich zunächst, es wäre die Idee des Vaters gewesen, denn welche Mutter würde ihren Sohn ausgerechnet bei den Malfoys und damit bei einer Horde Schwarzmagiern zurücklassen? Doch umso mehr ich mir James ansehe, umso deutlicher wird es, dass es tatsächlich du warst, die den armen Jungen zurückgelassen hat! Du bist die schlimmste Rabenmutter, die man sich...“
 

„Das genügt“, wurde sie von einer ruhigen, aber äußerst gefährlichen Stimme unterbrochen. Als Hermione aufblickte, konnte sie Severus Snape an der Tür stehen sehen, der Molly mit dem Blick betrachtete, der Erstklässler dazu brachte, sich vor Angst in die Hosen zu machen. Mit wehendem Umhang durchquerte er den Raum und stellte sich schützend vor Lily, deren Augen verdächtig schimmerten. Hatte sie das Gesagte wirklich so sehr mitgenommen? Selbstverständlich hatte Hermione gewusst, dass Harry ein Tabu-Thema war. Sie hatte selbst oft genug versucht, über ihn zu sprechen und war jedes Mal mit einer kühlen Antwort abgespeist worden. Allerdings hätte sie nie damit gerechnet, dass es sie so sehr mitnehmen konnte. Ganz im Gegensatz zu Severus.

„Du hattest deinen Spaß“, sagte er eisig an Molly gewandt. „Du konntest deine eigene Unzufriedenheit für ein paar Augenblicke auf sie projizieren. Nun ist es aber genug. Verschwinde und lass sie in Frieden!“
 

„In Frieden lassen? Wie kannst gerade du sie verteidigen? Du bist doch einer, der am meisten unter ihrem Egoismus...“

„Was von meinem 'lass sie in Frieden' hast du nicht verstanden?“, zischte er.

Kurz glaubte Hermione, sie würde ihm eine weitere, bösartige Bemerkung entgegen schleudern, doch dann rümpfte Molly einfach ihre Nase und stand auf. „Schön“, meinte sie. „Schön. Wenn ich hier nicht erwünscht bin...“ Ohne auch nur einen von ihnen noch eines Blickes zu würdigen, verschwand sie aus dem Zimmer.
 

Kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, schluchzte Lily verzweifelt auf und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sofort wirbelte Severus herum und hockte sich vor sie. „Lily...“

„Sie hassen mich“, stieß sie verzweifelt hervor. „Meine Familie hasst mich.“

Er seufzte. „Das stimmt doch nicht.“

„Doch. Ich bin eine Rabenmutter!“
 

Hermione erwartete ein weiteres „Das stimmt doch nicht.“ Allerdings zeigte Severus in diesem Moment wieder, dass er alles andere als mitfühlend war: „Ja, das bist du. Du bist die schlimmste Mutter, die man sich vorstellen kann. Das einzige, was man dir zugute halten muss, ist, dass du ihm immerhin körperlich nie weh getan hast, was bei anderen Eltern durchaus der Fall ist. Dafür hast du ihn seelisch verletzt. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie sehr du ihm damit weh getan hast.“ Lily sah ihn erschrocken an, genauso wie Hermione. Was ging in diesem Mann vor? Zuerst tat er so, als wolle er ihr helfen und jetzt machte er sie fertig? Was sollte das? Doch er war noch nicht fertig.
 

Er holte ein Taschentuch hervor und tupfte ihr damit liebevoll die Wangen ab. „Es bringt nichts, in Selbstmitleid zu versinken. Das ist das Leben, das du mit deinen Entscheidungen herbeigeführt und damit gewählt hast. Also sei jetzt gefälligst auch Frau genug, um es hoch erhobenen Hauptes zu beschreiten.“ Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Ich weiß, dass du das kannst, Lily.“

„Du hast Recht“, flüsterte sie und wischte sich die restlichen Tränen mit ihrem Ärmel weg. „Danke, Sev.“
 

Er nickte schlicht, ehe er sich wieder erhob und den Staub von seinem Umhang klopfte. Dann drehte er sich zu Hermione um. Sein Gesicht war ausdruckslos und verschlossen. Trotzdem konnte sie das leichte Beben seiner Lippen erkennen, das „ein Wort über das, was hier geschehen ist und du bist tot“ bedeutete. Schluckend rutschte sie so weit wie möglich zurück. Kein Wunder, dass ihn so viele Menschen fürchteten!
 

„Granger“, sprach er sie auch schon an und sie zuckte zusammen. Was würde jetzt kommen? Eine Todesdrohung? Zehn Punkte Abzug von Gryffindor? Oder eine Strafarbeit? Oh, sie war ja überhaupt nicht mehr in der Schule. Severus ließ sich von ihrer Reaktion nicht verunsichern: „Sag deinem selbstgewählten Lebensgefährten“, er schnaubte abfällig, „dass er sich in Acht nehmen soll. Der dunkle Lord hat den Befehl gegeben, ihn verschwinden zu lassen.“
 

„Ihn verschwinden zu lassen? Ronald?“, fragte sie verblüfft. „Aber warum?“

„Ich weiß es nicht“, entgegnete er mit sarkastischem Unterton. „Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass er seine Todesserzahlen in beängstigender Geschwindigkeit reduziert oder dass er jeden Attentat auf Longbottom vereitelt. Wobei, das kann kaum der Grund sein, immerhin kann das den dunklen Lord sicher nicht im mindesten verärgern. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er einfach wahllos irgendwelche Leute umbringen lässt, da er nichts weiter als ein unkontrollierbares Monster ist, das sich nichts bei seinen Ermordungen denkt.“
 

Hermione war rot angelaufen und ballte ihre Hände nun zu Fäusten, um ihm keinen Fluch auf den Hals zu jagen. Warum musste er sich immer über sie lustig machen? Warum musste er ausgerechnet über sie höhnen? Sie hatte ihm doch nichts getan!

Der Fötus in ihrem Bauch begann zu strampeln, als er ihre Aufregung spürte und ihr wurde wieder schlecht. Zeitgleich stiegen ihr Tränen in die Augen und sie wusste, dass sie gleich zu weinen beginnen würde. Was ihn sicherlich amüsieren würde. Verdammte Hormone!
 

Glücklicherweise gab es Lily, die sich in diesem Moment zu ihr setzte und beschützerisch ihre Arme um sie schlang. „Hör auf, sie zu ärgern, Severus!“, ermahnte sie diesen streng. „Sie hat es auch so schwer genug.“

Der Zaubertrankmeister schnaubte. „Sie ist selbst schuld, wenn sie sich ein Balg aufhalsen lässt. Aber tröste dich, Granger. Den Vater wirst du sicher bald los sein.“
 

Wie um besonders cool und beeindruckend zu wirken, drehte er sich um und rauschte mit wehendem Umhang davon. Hermione sah ihm mit funkelnden Augen hinterher. Irgendwann würde sie ihn für all seine Gemeinheiten büßen lassen! Irgendwann... wenn nicht mehr jetzt war.
 

Lily seufzte derweile schwer. „Tut mir Leid... normalerweise verhält er sich nicht so. Er kann wirklich nett sein.“

„Vielleicht zu dir“, sagte Hermione. „Mich hasst er.“

„Das stimmt doch nicht. Warum sollte er dich denn hassen?“

//Weil er dich liebt und ich ihm die Zeit stehle, die er dafür nutzen könnte, dich für immer von James loszusagen. Weil er ein Egoist ist und dich ganz für sich allein haben möchte.// Aber sie traute sich nicht, es auszusprechen. Geändert hätte es ohnehin nichts und Lily... war auch so schon traurig genug, obwohl sie gut darin war, es zu verbergen. Hermione hätte nie geglaubt, dass sie sich von Mollys Worten jemals so aus dem Gleichgewicht bringen lassen würde.
 

//Liebe bringt eben nichts als Schwierigkeiten//, dachte sie. //Und genau deshalb ist es gut, dass ich mich dagegen entschieden haben.//

Nicht, dass sie jemals eine große Wahl gehabt hätte, aber es war besser, sich genau das einzureden, als die Wahrheit zu akzeptieren. Denn diese würde sie nur daran erinnern, wie verletzlich sie eigentlich war.
 

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Verletzlich fühlte sich auch Draco Malfoy als er an diesem Tag in einem Sessel der Bibliothek von Malfoy Manor saß und in die Gesichter der anwesenden Todesser sah, die ihn bei seinem Auftrag, Ronald Weasley zu töten, unterstützen würden. Es war eine bunte Mischung, die er nur teilweise zusammengestellt hatte. Der dunkle Lord vertraute ihm offenbar nicht genug, um ihm die gesamte Entscheidungsmacht zu geben.
 

Zum einen waren da seine früheren Schulfreunde Blaise, Crabbe und Goyle. Alle drei hatten sich auf dem einzigen Sofa niedergelassen und warteten mehr oder minder geduldig auf seine Ansprache. Na gut, eigentlich wartete nur Blaise. Die anderen beiden waren mit dem Verzehren der Kekse beschäftigt, die er aus Höflichkeit hatte hinstellen lassen. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, sie in die Sache mit einzubeziehen.
 

Zum anderen war da Bartemius Crouch Junior, der Sohn des Zaubereiministers und ein bekannter Anwalt, der besonders Todesserfamilien unterstützte. Er war elegant angezogen und saß etwas abseits auf einem anderen Sessel, wobei er ein Bein über das andere geschlagen und seine Hände auf dem Oberschenkel des oberen Beines ruhen hatte. Er war die Personifikation höchster Aufmerksamkeit und schien sich von nichts ablenken zu lassen.
 

Nicht einmal von Bellatrix, die ebenfalls anwesend war. Anstatt wie alle anderen zu sitzen, tapste sie in tänzelnden Bewegungen auf ihren schwarzen Stöckelschuhen durch das Zimmer. Ihr ebenfalls schwarzes Kleid, das so wirkte, als hätte sie es bereits vor zweihundert Jahren getragen, flatterte derweile träge um sie herum und ließ besonders das Gewackel ihrer Arme wie elegante Gesten wirken, bei denen Draco sich nicht entscheiden konnte, ob sie ein Ausdruck ihres Wahnsinns oder purer Zufall waren.
 

Doch das Highlight bildeten ihre – natürlich schwarzen – Haare, die zu einem... interessanten Gebilde hochgesteckt worden waren, das wahrscheinlich jeden Moment in sich zusammenfallen würde. Doch trotz ihrer teilweise ruckartigen Kopfbewegungen blieb jede Strähne an Ort und Stelle. Ob sie einen Zauber angewandt hatte, um das hinzubekommen? Natürlich hatte sie einen Zauber angewandt, um es hinzubekommen. Wie sonst sollte es funktionieren?
 

Soweit handelte es sich bei seinen Mithelfern also um einigermaßen intelligente und überaus nützliche Persönlichkeiten – Crabbe und Goyle einmal ausgenommen, wobei auch sie durchaus praktisch werden könnten. Zumindest wenn es um die schmutzigen Arbeiten ging, für die sich alle anderen zu schade waren.

Allerdings konnte Draco beim besten Willen nicht verstehen, was die letzte Person im Bunde hier zu suchen hatte.
 

Peter Pettigrew saß ebenfalls in einem Sessel und kaute auf einem Stück Käse herum. Draco war es unverständlich, warum er immer Käse aß! Gut, er war ein Rattenanimagus, trotzdem, war das nicht etwas zu klischeehaft? Wie auch immer, der Mann war hier, saß da und wartete ebenfalls auf Befehle, Anweisungen, was auch immer und aus irgendeinen Grund war es gerade der dunkle Lord gewesen, der ihn hierher beordert hatte. Aus Hohn? Um ihn zu ärgern? Um ihm zu sagen, dass er eigentlich gar nicht an ihn glaubte?
 

Pettigrew war nie an irgendwelchen Aufträgen beteiligt. Zwar wusste niemand so genau, warum dies der Fall war, trotzdem war es beinahe beleidigend, ihn hier haben zu müssen. Wozu sollte das da denn bitte schön gut sein?

Dummerweise war es ihm vom dunklen Lord befohlen worden, ihn einzubeziehen und aus diesem Grund musste er sich daran halten.
 

„Dracolein“, sang Bellatrix plötzlich und tänzelte hinter ihn. Langsam beugte sie sich zu ihm hinunter und führte ihre Lippen zu seiner Ohrmuschel. „Was ist es, was der dunkle Lord von dir verlangt?“, hauchte sie. „Sag es uns, damit wir dir helfen können.“

Abwartend verharrte sie in dieser Position und starrte ein Loch in seine Wange. Womit hatte er nur so eine Tante verdient?

„Der dunkle Lord hat mir eine Aufgabe von größter Wichtigkeit gegeben“, zischte er. „Und wenn du dich nicht sofort hinsetzt, wirst du mir nicht dabei helfen, sie zu erfüllen.“

Sie verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund, tat jedoch, was er von ihr verlangt hatte und ließ sich mit einem eleganten Plumpsen auf dem Boden nieder. Nun, immerhin lief sie jetzt nicht mehr von einer Ecke des Raumes zur anderen.
 

Mit ernster Miene blickte er auf und bedachte alle nacheinander mit einem prüfenden Blick. Crabbe und Goyle hatten inzwischen aufgehört, sich mit den Keksen vollzustopfen und sahen ihn stattdessen verdattert an, so als würden sie erst jetzt begreifen, warum genau sie hier waren. Pettigrew hatte ebenfalls seinen Käse weggelegt und die anderen beiden Männer waren von Anfang an bei der Sache gewesen. Gut, jetzt konnte er anfangen.
 

Räuspernd brachte er sich in eine bequemere Position. „Der dunkle Lord hat mich darum gebeten, ein bestimmtes Mitglied des Phönixordens zu eliminieren. Dabei ist es ihm egal, wie viele weitere wir töten oder nicht töten, die Hauptsache ist, dass diese eine Person stirbt. Selbst die Methode ist uns selbst überlassen. Daran könnt ihr sicher alle erkennen, was für eine Wichtigkeit dieser Auftrag hat.“
 

Alle nickten.

Ihnen war allen klar geworden, wie ernst die Lage war. Wer immer es war, den sie töten wollten, konnte kein Idiot wie Longbottom sein. Es musste jemand auf Alastor Moodys Niveaus sein, womit sie alle ihr Leben aufs Spiel setzen würden. Und wenn sie nicht starben, aber dafür versagten, würde die Wut ihres Lords unstillbar sein.

Nein, es war nicht einfach, Todesser zu sein.
 

Nichtsdestotrotz konnte Draco nicht umhin, zuzugeben, dass ihm seine momentane Position gefiel. Endlich hörten einmal andere auf ihn und er hatte die Chance, allen zu zeigen, dass er kein einfacher Handlanger war, sondern das Potential zu einem Todesser des Inneren Kreises hatte – dem Bellatrix übrigens angehörte. Ein weiterer Grund, warum ihm seine Position gefiel: Er konnte jemanden befehligen, der weit über ihm in der Hierarchie stand.

Nachdem er sein ganzes bisheriges Leben damit verbracht hatte, nur das zu tun, was man von ihm verlangte, war es ein berauschendes Gefühl, endlich der zu sein, der die Anweisungen gab und das würde er solange auskosten, wie er konnte.
 

„Ihr wurdet ausgewählt“, fuhr er fort, „mir dabei zu helfen. Mit anderen Worten, ihr werdet mir den Weg und den Rücken freihalten, während ich mich um die Zielperson kümmere und für den Fall meine Rolle einnehmen, sollte ich scheitern. Wenn wir versagen, werden wir aufs schlimmste bestraft werden. Das ist es, was der dunkle Lord mir mitgeteilt hat.“
 

Blaise, Crabbe und Gyole tauschten beunruhigte Blicke, während Bellatrix begeistert in die Hände klatschte. Pettigrew schwieg betroffen und Crouch... stellte die elementarste von allen Fragen: „Wer ist die Zielperson?“

Draco schluckte schwer, ehe er ihm darauf antwortete: „Ronald Weasley.“
 

Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie Bellatrix erstarrte. Großartig, wenn sogar sie bei jemand anderes außer dem dunklen Lord erstarrte, konnte das nichts gutes bedeuten.

Der einzige, der sich darüber zu freuen schien, war Crouch: „Ronald Weasley also? Was für wunderbare Neuigkeiten.“ Er grinste Draco an. „Es wird mir eine große Freude sein, dich dabei zu unterstützen.“
 

Draco hob eine Augenbraue. //Weasley, was hast du angestellt, um dir noch einen Feind zu machen?//

Aber eigentlich spielte das überhaupt keine Rolle. Er würde seine Rache bekommen und das war alles, was für ihn zählte.
 

Dummerweise vergaß er dabei, dass er eigentlich kein Recht dazu hatte, Rache zu verlangen.
 

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Als Dracos Mitstreiter wieder gingen, betrat Narcissa die Bibliothek. Sie kam nicht oft hierher, nicht so oft wie Harry oder Lucius zumindest. Ihr war schon früh gelehrt worden, dass eine Frau nicht viel wissen musste, um auf andere anziehend zu wirken. Sie musste nur eine gewisse Eleganz besitzen, sich in Gesellschaften bewegen können und an der Seite eines einflussreichen Mannes stehen, um alle anderen Frauen in den Schatten zu stellen und Narcissa erfüllte alle drei Punkte ohne Schwierigkeiten. Aus diesem Grund war es für sie nicht notwendig, immer neues Wissen anzuhäufen. Sie konnte sich in aller Ruhe um das Haus und ihren Körper kümmern, alles andere erledigte ihr Mann für sie.
 

Draco verehrte die Beziehung seiner Eltern. In seinen Augen – und er wusste, dass Harry diesen Standpunkt mit ihm teilte – waren sie der Inbegriff einer perfekten Ehe. Sie verstanden sich blind und wussten, wie sie mit dem anderen umgehen mussten. Sie konnten auf jede Stimmungsschwankung des anderen perfekt eingehen. Sie waren einfach ein eingefleischtes Team, das es so sonst nirgends gab.
 

Als Kind hatte er sich immer gewünscht, gemeinsam mit Pansy genauso zu werden.

Ein liebendes Ehepaar, das bis ins hohe Alter zusammenhalten würde. Im Grunde eine lachhafte Vorstellung, selbst Harry und der dunkle Lord hatten größere Chancen auf so eine Beziehung als er und seine Frau.
 

Jedenfalls war es selten, dass Narcissa von sich aus die Bibliothek aufsuchte, weshalb es für ihr Hiersein nur einen Grund geben konnte: Sie wollte mit ihm, ihren Sohn, sprechen.

Tatsächlich ließ sie sich auf das Sofa nieder, auf dem kurz zuvor noch seine Klassenkameraden gesessen hatten und klopfte auf das Polster neben sich. „Setzt du dich einen Moment zu mir, Draco?“

Wenn sie ihn schon so bat, wie könnte er da „nein“ sagen?

Also machte er es sich neben ihr bequem und wartete darauf, dass auch Bellatrix, die wie immer viel zu neugierig war, endlich den Raum verließ.
 

Kaum waren ihre Schritte in der Ferne verhallt, drehte er sich zu seiner Mutter um, die ihn schweigend betrachtete. In ihren Augen stand unausgesprochene Sorge geschrieben, weshalb er wusste, was gleich kommen würde. Und er wusste ebenfalls, dass er sehr stark sein musste, denn sonst würde alles, was er in den letzten Stunden geplant hatte, nutzlos werden.
 

„Was verlangt er von dir, Draco?“, fragte sie endlich.

Nein, er hatte ihr keine Details über seinen Auftrag erzählt. Niemand, außer seinen Mitstreitern und dem dunklen Lord selbst wusste etwas davon. Nicht einmal seine eigene Familie. Nicht einmal Harry.

Diese Geheimhaltung war an den Gerüchten über einen Verräter begründet. Bisher wusste niemand, wer es war, aber jemand in den innersten Kreisen der Todesser hatte sie verraten und gab Informationen an den Orden weiter.
 

Für Draco selbst war es unverständlich, wie jemand so etwas tun konnte. Sie waren der Feind! Sie hatten sie alle gequält und auf sie herabgeblickt! Jeder Schwarzmagier sollte dem dunklen Lord auf den Knien dafür danken, dass er versuchte, das zu ändern.

Natürlich gab es da immer noch die Weasley-Zwillinge. Zwar hatten diese bereits auf vielfältige Art und Weise bewiesen, dass sie dem dunklen Lord zu Diensten waren, aber das änderte nichts daran, dass sie Ronald Weasleys Brüder waren. Eigentlich wäre es nur natürlich, wenn sie für ihn spionierten, oder?

Interessanterweise schien der dunkle Lord genau das nicht zu glauben. Doch wer sollte sonst der Verräter sein?
 

„Draco?“

Narcissa sah ihn besorgt an. Wahrscheinlich hatte er zulange geschwiegen. Seltsam, normalerweise passierte das doch nur seinem Bruder...

„Es tut mir Leid, Mutter“, sagte er langsam. „Aber mir wurde verboten, darüber zu sprechen.“

„Der dunkle Lord spricht oft Verbote aus“, entgegnete sie leise. „Er hat nie eine Familie gehabt, weshalb er nicht verstehen kann, dass einige Verbote unzumutbar sind. Niemand kann von einer Mutter verlangen, dass sie ihren Sohn ins Ungewisse rennen lässt, besonders nicht in solch schweren Zeiten.“
 

„Ich renne nicht ins Ungewisse“, entgegnete er genervt. „Ich weiß, was ich tun werde und wie ich es tun werde. Du musst mich nicht mehr bemuttern! Ich bin ein erwachsener Mann. Ich bin verheiratet. Ich brauche das nicht mehr!“ Besonders nicht, nachdem sie ihn die letzten beiden Jahre ihm Stich gelassen hatte.
 

Die Worte verletzten sie, er konnte sehen, wie sie erschrocken zurück zuckte. Es war ihm egal.

Das hier war seine Chance, zu zeigen, dass er es verdient hatte, ein Malfoy zu sein. Er würde das ganz alleine organisieren und triumphieren und damit allen zeigen, dass er nicht das kleine Muttersöhnchen war, für das ihn scheinbar viele hielten. Er würde beweisen, dass er ein besserer Sohn als Harry war. Doch das konnte er nur, wenn er sich von niemanden reinreden ließ, erst recht nicht von Narcissa, die von dem allen keine Ahnung hatte.
 

Diese sah ihn immer noch erschrocken an, bis sich ihre Züge glätteten und sie leise sagte: „Verzeih, wenn dir meine Sorge unangenehm ist.“ Sie erhob sich mit einer fließenden Bewegung und strich ihre Kleidung glatt, ehe sie ihn ernst ansah. „Versprich mir nur eines, Draco: Komm zurück.“

Er gab ihr keine Antwort, selbst nicht, als sie sich auf den Weg zur Tür machte.
 

Erst als sie weg war, seufzte er schwer und starrte an die Decke. Zurückkommen. Wie könnte er ihr versichern, dass er das tun könnte? Er wusste ja noch nicht einmal, ob er in der Lage sein würde, dieses Versprechen zu halten.
 

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Da ich nicht weiß, wann ich dazu kommen werde, das nächste Kapitel on zu stellen, wünsche ich euch schon einmal wunderbare Feiertage! <3

Das nächste Mal wird es dann in Richtung Attentatversuch gehen... ob das mal gut geht?

Liebste Grüße, Ayako

A Rat's Choice

Danke für all die wunderbaren Reviews.

Dieses Kapitel ist sentimentaler geworden, als ich ursprünglich geplant habe... und enthält ein wenig Slash, aber nicht viel.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. <3

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A Rat's Choice
 

In einem Punkt irrte sich Draco Malfoy – allerdings war er da nicht allein, die meisten irrten sich, wenn es darum ging.

Er glaubte, Peter Pettigrew wäre niemals an einem Auftrag, Attentat, Überfall oder sonstigem beteiligt. In Wirklichkeit war allerdings das genaue Gegenteil der Fall: Er wirkte überall mit.

Das Problem war nur, dass ihn keiner sah und das war genau der Punkt, der ihn so wertvoll für den dunklen Lord machte.
 

In der Schule hatte er es immer belastend gefunden, dass sein Animagus ausgerechnet die Form einer Ratte annehmen musste. James und Sirius hatten doch beide so coole Tiere abbekommen! Ein Hirsch und ein Hund. Groß, niedlich und perfekt, um Mädchen aufzureißen. Aber er... er war eine Ratte und eine hässliche noch dazu. Das einzige, was er jemals bei Mädchen bewirkt hatte, war, dass sie mit ihren Absätzen nach ihm getreten hatten oder weggelaufen waren.

Niemand wollte eine Ratte. Genauso wie niemand ihn wollte. Er war nie sonderlich intelligent gewesen, hatte kein besonderes Talent besessen, hatte nie gut ausgesehen. Solange er seine Freunde gehabt hatte, hatte es ihn auch nicht wirklich gestört.
 

Doch dann war ihre Schulzeit vorbei gewesen. James und Lily hatten geheiratet. Sirius begann, von einer Bar zur anderen zu pilgern und Remus suchte überall nach einem Job. An Peter verschwendete keiner einen Gedanken. Diese Zeit verbrachte er vor allem damit, nachts in seiner Rattengestalt durch die Straßen zu ziehen, Freundschaften mit anderen Ratten zu schließen, sehnsüchtig in die Fenster wohlhabender Leute zu blicken und von einem Leben zu träumen, das er niemals haben würde. Tagsüber beteiligte er sich wie alle anderen am Krieg. Ehrlich gesagt hatte er keine Ahnung, wofür er eigentlich kämpfte. Dieser Streit von schwarz und weiß hatte ihn niemals groß interessiert. Er hatte nur gewusst, dass all seine Freunde daran mitwirkten und deshalb musste er auch mitwirken. Er wollte seinem Leben einen Sinn geben, doch in der weißen Seite konnte er diesen nicht finden.
 

Vielleicht wäre es ewig so weitergegangen, wenn nicht eines Tages der dunkle Lord zu ihm gekommen wäre. Natürlich hatte Peter nichts mit ihm zu tun haben wollen. Er war doch auf der weißen, der guten Seite, da, wo seine Freunde waren. Er war kein schlechter Mensch.

Das Problem war nur, dass der Mann ihn verstand.

Er wusste, dass Peter sich verloren und nutzlos fühlte, dass jeder neue Tag für ihn eine Qual war, dass er nicht wusste, wie er so sein ganzes Leben lang weitermachen sollte. Er wusste, wie Peter sich fühlte – und fand eine Lösung.
 

Interessanterweise war es Severus Snape gewesen, der dem dunklen Lord erzählt hatte, dass sie alle wegen Remus Animagi geworden waren. Unregistrierte Animagi, genau das, was er brauchte. Er ließ Peter keine Wahl. Er wollte ihn. Er brauchte ihn – und genau das war der Grund, warum Peter sich ihm anschloss.
 

Es war nicht so, als hätte er überhaupt keine Bedenken gehabt, immerhin ging es hier immer noch um einen bösen, selbstsüchtigen, skrupellosen Menschen, dem es egal war, was mit seinen Untertanen – denn nichts anderes waren sie – geschah. Er würde Peter wegwerfen, wenn er ihn nicht mehr brauchte und ihn bis dahin ohne zu zögern benutzen und manipulieren. Er war nicht mehr bei Albus und seinen Freunden.

Aber gleichzeitig war er auch nicht mehr der kleine, nichtskönnende, alberne, tollpatschige, bedeutungslose Peter. Selbst, wenn die Todesser seinen Wert nicht kannten, selbst wenn sie ihn verachteten, auf ihn rumhackten und sich bei jeder Gelegenheit über ihn lustig machten: Er war einer der wertvollsten Schachfiguren seines Lords und das war alles, was für ihn zählte.
 

Zum ersten Mal in seinem gesamten Leben schien sich jemand ernsthaft für ihn zu interessieren. Wie oft hatte sich der Lord für ihn Zeit genommen? Wie oft hatte er ihn nach seiner Meinung – seiner Meinung? – gefragt? Wie oft hatte er ihm beinahe lächerlich einfache Aufgaben gegeben und ihn hinterher immer wieder aufs Neue reich belohnt?

Bei ihm war er kein Niemand mehr! Er war nicht mehr nutzlos!

Und genau für dieses Gefühl ließ er seine Freunde, sein altes Leben, seine Idealen und alles, was ihn all die traurigen, einsamen Jahre ausgemacht hatte hinter sich.
 

Vielleicht war er der Einzige, der diese Entscheidung getroffen hätte. Vielleicht würde es niemand außer ihm verstehen. Vielleicht war es sogar der falsche Weg, aber das alles war ihm egal. Er hatte seine Entscheidung getroffen und damit würde er leben.
 

Jedenfalls war er nicht überrascht gewesen, als der dunkle Lord ihm angeordnet hatte, Draco Malfoy bei einem Attentat auf Ronald Weasley zu unterstützen. Gut, dass es ausgerechnet Draco war, der ihn eliminieren sollte, hatte ihn doch etwas schockiert, doch der Lord würde seine Gründe haben. Weasleys Tod war zumindest nur eine Frage der Zeit gewesen. Der junge Mann war einfach zu lästig, zu gefährlich, eine zu große Bedrohung und vor allen Dingen skrupellos. Tatsächlich erinnerte er Peter auf unheimliche Weise an den dunklen Lord. Die Art aufzutreten, die Art zu töten, die Art, sich nicht von seinen Gefühlen leiten zu lassen...

Ja, es war definitiv das beste, wenn er lieber früher als später ausgeschaltet wurde. Die weiße Seite brauchte keinen dunklen Lord und die dunkle Seite hatte den ihren schon gefunden.
 

Vorsichtig huschte er noch ein paar weitere Zentimeter vorwärts bis er endlich unter dem Tisch hervorlugen konnte. Es war einfacher als erwartet gewesen, in das Hauptquartier des Phönixordens einzudringen. Albus schien bei seiner Abwehr nicht an ein mögliches Eindringen von Animagi gedacht zu haben, denn er hatte keine entsprechenden Schutz- oder Alarmzauber gefunden. Deshalb war es ihm ohne Probleme möglich gewesen, als Ratte getarnt in den Taschen der Weasley Zwillinge in das Gebäude einzudringen. Sie hatten ihm bereitwillig geholfen, warum auch nicht, sie waren ebenfalls Todesser. Allerdings hatten sie keine Ahnung, dass er wegen ihrem Bruder hier war und wenn es nach ihm ginge, würde er am anderen Welt sein, wenn sie dahinterkamen. Familienliebe war besonders im Krieg unberechenbar.
 

Mit dieser Meinung war er nicht allein.

„Wir können und dürfen nicht auf Harry setzen“, sagte Ronald zum gefühlt tausendsten Mal seit Beginn dieses Gesprächs und sah Neville mit einem durchdringenden Blick an. „Auch, wenn er dein bester Freund und James' Sohn ist, ist er immer noch bei den Malfoys aufgewachsen, wann kapierst du das endlich? Er wird sie nicht einfach ans Messer liefern, indem er sich mit uns gegen den dunklen Lord wendet, besonders weil er sich von diesem zu allem Übermaß auch noch ficken lässt!“

„Es ist doch überhaupt nicht klar, dass Thomas Mask der dunkle Lord ist!“, konterte Neville mit seinem üblichen Gegenargument. „Ich vertraue Harry jedenfalls.“

„Dann wird das dein Tod sein“, entgegnete der Weasley ernst. „Aber hören wir auf, über ihn zu diskutieren. Es hat ohnehin keinen Sinn.“
 

Da hatte er Recht. Was Harry anbelangte, war Longbottom ein gutgläubiger Idiot, wobei Peter ihm das nicht verdenken konnte. Der Potter hatte tatsächlich etwas an sich, was die Menschen dazu verleitete, in ihm nur das beste zu sehen. Genauso wie seine Mutter früher.

Damals hatte jeder Lily Evans geliebt. Jungen, Mädchen, Lehrer, Schüler, Gryffindors, Slytherins, Ravenclaws, Hufflepuffs – jeder hatte sie geliebt, gemocht, geschätzt. Wie auch nicht? Sie war immer fröhlich gewesen, immer aufmunternd, immer freundlich und immer anwesend wenn man sie gebraucht hatte. Sie war so wundervoll gewesen.
 

Aber jetzt war ihr Lächeln verschwunden. An seine Stelle war eine verzweifelte Traurigkeit gerückt, die wahrscheinlich nie wieder verschwinden würde. Peter hatte sie in den letzten Tagen immer beobachtet, wenn sie in der Nähe von Weasley – seinem eigentlichen Ziel – gewesen war. Obwohl die meisten Männer sie nach wie vor mit ihren Blicken auszogen, wurde sie von den meisten gemieden. Nur Hermione schien sich über ihre Anwesenheit zu freuen, während Ronald sie stillschweigend akzeptierte. Peter vermutete, dass er froh war, dass sich jemand halbwegs vernünftiges und sachliches seiner schwangeren Freundin annahm. Molly war zu sehr damit beschäftigt, allen zu erzählen, wie sehr sie sich auf den Nachwuchs freute, um auf die zukünftige Mutter zu achten.
 

Hermione war auch jemand, der Peter ziemlich beschäftigte. Ganz offenbar war sie nicht sonderlich begeistert von ihrer Gesamtsituation. Das könnte eventuell später ihr Schlüssel zum Sieg werden. Wenn sie sie dazu bringen würden, sie bei dem Attentat zu unterstützen, wäre die ganze Angelegenheit um einiges einfacher. Doch dafür müsste sie ihn hassen... Hasste sie ihn?

Er war sich nicht sicher, er glaubte sogar, dass sie es selbst nicht so genau wusste. Eigentlich spielte es auch keine Rolle, sie hatte nichts mit Dracos Plan zu tun, also musste er sich nicht weiter mit ihr beschäftigen.
 

Peters Hauptaufgabe war es, alles über Ronald Weasley herauszufinden. Wann und wo er aß, wie sein Schlafrhythmus war, mit wem er sprach, was er tat, wenn er einmal nicht den Untergang der weißen Seite plante. Er hatte ihn etwa eine Woche lang als Ratte – und mit der Hilfe von anderen Ratten – beobachtet und wusste nun fast alles über ihn. Heute war sein letzter Tag. Danach würde er zu Draco zurückkehren und ihm alles mitteilen. Danach würde der Plan in die Tat umgesetzt werden. Danach würde er sterben.
 

Es war immer wieder seltsam zu wissen, dass dieser Mensch, der gerade noch quicklebendig vor einem herumlief, innerhalb der nächsten Tage tot sein würde. Nun, Weasley war selbst schuld, er hatte sich eben die falsche Seite ausgesucht.
 

Neville und Ronald diskutierten noch etwas über belangloses Zeug, ehe der Rothaarige sich umdrehte und aus dem Raum rauschte. Peter setzte ihm sofort nach. Auch wenn das heute sein letzter Tag war, durfte er ihn nicht aus den Augen verlieren. Vielleicht würde er noch etwas neues erfahren.

Zu seiner Überraschung verschwand Ronald in einem angrenzenden Raum, den Peter bisher noch nicht betreten hatte. Merkwürdig, was wollte er hier? Vorsichtig näherte sich Peter der Tür und schnüffelte. Kein ungewöhnlicher Geruch... alles normal. Also schlüpfte er hinein.
 

Er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Erstens war Ronald nirgends zu sehen – und das, wo der Raum ziemlich klein war. Zweitens sah er direkt vor sich eine Mausefalle. Und drittens wurde er einen Moment später von einer Hand gepackt und hochgehoben. Sofort begann er, wild zu strampeln und nach der Hand zu beißen. Normalerweise reichte das aus, um die meisten Menschen abzuschrecken – nur die wenigsten konnten den Anblick von Ratten wirklich ertragen – aber diese Person hier nicht. Es war ja zu erwarten gewesen. Verdammt, jetzt hatte er ein Problem.
 

„Was haben wir denn hier?“, fragte Ronald Weasley. „Eine miese, kleine, unvorsichtige Ratte.“ Er verfestigte seinen Griff, weshalb Peter erschrocken aufquietschen musste. „Ich habe mich schon gefragt, wer mich die ganzen letzten Tage beobachtet hat.“

Er hob ihn vor sein Gesicht und grinste ihn breit an. Peter wurde schwindlig, auch wenn er nicht wusste, ob es an dem Luftmangel oder an dem Mundgeruch des Rothaarigen lag. Kein Wunder, dass Hermione nicht sonderlich glücklich über ihre Beziehung war. Sein Atem stank schlimmer als verfaulter Käse im Abwasserkanal!
 

„Du kannst glücklich sein, dass ich nur ungern Tiere töte. Aber so habe ich eine Aufgabe für dich.“

Peter sah ihn mit großen Augen an. Eine... Aufgabe?

„Ich möchte, dass du deinem Master etwas ausrichtest“, sagte Ronald und führte seine Lippen vor das kleine Mauseohr: „Ich weiß, was 1964 geschehen ist.“
 

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„1964?“, wiederholte Harry verwirrt und sah zwischen Tom und Peter hin und her. „Was war denn 1964?“

Sie waren in Toms Bibliothek. Harry war nur zufällig hier und an Toms schlechter Laune leitete er ab, dass er den Bericht des Animagus nicht hätte hören sollen. Nun, das nannte er Pech.
 

„Wer weiß, was Weasley sich da zusammen gesponnen hat“, meinte der dunkle Lord in einem abschließenden Tonfall. „1964 sind viele Dinge passiert. Ich nehme an, dass er sich da in etwas hineinsteigert. Wir müssen das nicht weiter beachten.“

„Bei allem Respekt, Mylord“, widersprach Peter leise, „aber er schien sehr genau zu wissen, wovon er sprach.“

„Natürlich schien er das zu wissen“, entgegnete er und spielte ungeduldig mit seinem Zauberstab. „Er ist ein beinahe genau so guter Manipulator wie ich selbst. Er könnte dich von allem überzeugen, wenn er es nur wirklich wollte.“ Er bedachte Peter mit einen strengen, durchdringenden Blick an. „Kein Wort zu niemanden darüber, verstanden?“

„Wie Ihr wünscht, Mylord“, entgegnete er mit einer Verbeugung.

Der dunkle Lord nickte. „Du darfst gehen. Über dein Versagen sprechen wir das nächste Mal.“

Harry sah, wie Peter ihm einen kurzen Blick zuwarf, ehe er sich abermals verbeugte, um sich daraufhin umzudrehen und zu verschwinden.
 

Sobald er weg war, ließ Tom seinen Zauberstab sinken und zog ein paar beschriebene Pergamente auf seinem Schreibtisch näher. „Und was willst du hier?“

Anstatt ihm zu antworten, stellte Harry eine Gegenfrage: „Du lässt Ronald Weasley beschatten?“

Langsam ging er um den Schreibtisch herum und setzte sich auf seine Stuhllehne, während er einen Arm um Toms Schulter schlang, um etwas Halt zu bekommen. Dabei studierte er interessiert die Blätter, die der Mann gerade las. Überrascht bemerkte er, dass es alte Briefe waren und zwar von keinem geringeren als Gellert Grindelwald. Bevor er jedoch genaueres lesen konnte, zog Tom ihn auf seinen Schoss und drehte seinen Kopf so, dass er ihn ansehen musste.
 

„Du bist also hier, um mit mir über Ronald Weasley zu sprechen?“, fragte er interessiert.

Eigentlich nicht. In Wahrheit hatte er ihn... vermisst, aber das konnte er ihm unmöglich sagen, Tom würde sich sofort viel zu viel darauf einbilden. Doch jetzt hatte er ja die perfekte Ausrede gefunden.

„Warum lässt du ihn beschatten?“ Sanft nahm er Toms Gesicht zwischen seine Hände und strich vorsichtig über seine Wangen. „Willst du ihn umbringen?“
 

Tom zog ihn etwas mehr zu sich, bevor er ihn sanft, aber bestimmt festhielt. „Er ist keiner deiner Freunde“, sagte er. „Und er ist – so schwer es mir auch fällt, das zuzugeben – gefährlich. Ich kann ihn nicht am Leben lassen. Doch sei unbesorgt“, fügte er mit einem sarkastischen Unterton hinzu. „Deinem geliebten Auserwählten wird nichts passieren, außer wenn er dumm genug ist, sich einzumischen.“
 

Oh, er liebte es, wenn Tom eifersüchtig war. Wobei er nach wie vor etwas erstaunt darüber war, dass er sich wegen Neville so aus der Ruhe bringen ließ.

//Es könnte vielleicht daran liegen, dass du seinen Horkrux zerstört hast, um Neville zu retten. Das war eine klare Entscheidung. Neville ist dir wichtiger als er.//
 

Nein, das stimmte nicht. Ronald hatte den Horkrux zerstört. Er hatte nur zugesehen... und mitgeholfen. Aber nicht zerstört. Er hätte ihn nie zerstören können. Genauso wenig, wie er sich für Neville entschieden hatte. Natürlich wollte er nicht, dass er starb, aber er wusste, dass es früher oder später dazu kommen würde, dass Tom ihn umbrachte. Den Akt hätte er stillschweigend akzeptiert. Es war die Art und Weise gewesen, die ihn zum handeln gezwungen hatte.
 

Wenn er ihn schon umbringen musste, dann sollte Tom es gefälligst selbst machen. In einem Duell. In einem Kampf. Höchstpersönlich. So, dass Neville zumindest den Hauch einer Chance hatte.

Er fragte sich, ob Tom das je verstehen würde.

„Ist das Dracos Aufgabe?“, fragte er leise, während er ihn forschend ansah. „Ronald zu töten? Darf ich deshalb nichts davon wissen?“

Tom musste ihm nicht antworten, sie beide kannten die Antwort auf seine Frage.
 

„Aber ihm wird nichts passieren, oder?“, fragte Harry leise. „Er ist sicher, nicht wahr?“

„Ich habe ihm die besten Helfer zur Seite gestellt. Wenn ihm etwas passiert, ist er selbst Schuld.“

„Du hast ihm eine gefährliche Aufgabe gestellt. Du weißt selbst, dass er dabei sterben kann. Vielleicht wird er es.“

„Wir sind in einem Krieg. Nicht jeder kann ihn überleben.“

„Bestimmte Tode können immer vermieden werden.“

„Dein Bruder wird nicht sterben.“

„Und wenn doch?“, fragte Harry und sah ihn ernst an. „Darf ich dich dann hassen?“
 

Ohne Vorwarnung packte Tom ihm am Hinterkopf und zog ihn näher bis sich ihre Nasenspitzen berührten. „Du kannst nicht jeden retten, Harry. So sehr du es dir auch wünschst, es ist unmöglich. Selbst ein Tempus Amicus ist dazu nicht in der Lage.“

Natürlich hatte er Recht. Es war unmöglich, alle zu retten. In einem Krieg musste es Opfer geben, aber...

„Lass es mich wenigstens versuchen“, flüsterte er, während er seine Stirn an Toms lehnte. „Ich muss es versuchen. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn nicht.“

Das stimmte. Wie hoffnungslos es auch sein mochten, er musste zumindest versuchen, die, die ihm nahe standen, zu retten. Er konnte nicht einfach daneben stehen und tatenlos zusehen, wie sie sich alle nacheinander umbringen ließen. Es würde ihn zerstören. Doch wenn er darum kämpfte, dass sie überlebten... wenn er alles tat, um sie zu beschützen, dann...

//Dann wirst du dein eigenes Gewissen beruhigen. Du willst ihnen doch gar nicht helfen. Dem einzigen, dem du helfen willst, bist du selbst.//
 

War es wirklich so? Dachte er wirklich nur an sich?

Tom war offenbar nicht dieser Meinung, denn er seufzte schwer und sagte leise: „Du bist viel zu gut für diese Welt.“

„Du meinst, ich bin viel zu gut für dich“, entgegnete er neckend, da er keine Lust hatte, dieses Gespräch weiterzuführen.

„Zu gut für mich?“, wiederholte Tom empört und vergrub seine Finger in Harrys Kopfhaut. „Eigentlich müsste ich doch nur das beste verdient haben!“

„Womit?“, fragte Harry. „Leeren Worten?“
 

„Oh, im Gegenteil“, sagte er und bevor Harry reagieren konnte, wurde er von ihm auf den Schreibtisch gepresst. Da hatte es jemand wirklich nötig. „Ich verdanke es vielen Dingen“, raunte er und fuhr mit seinen Lippen über Harrys Hals. „Meiner Genialität.“ Er hauchte einen Kuss auf seinen Nacken. „Meinem Charisma.“ Diesmal biss er neckend hinein, woraufhin Harrys Augen leicht flackerten, aber sonst konnte er nach wie vor regungslos verharren. „Und natürlich dem wichtigsten von allem.“ Er wanderte spielerisch nach oben, bis er sich über Harrys Gesicht beugte und ihn mit funkelnden Augen ansah. „Du.“
 

Harry hasste sich dafür, dass er schlucken musste, schaffte es aber trotzdem, eine Augenbraue zu heben. „Ich wusste überhaupt nicht, dass ich eines deiner Attribute bin.“

Tom grinste. „Du wirst es schon noch lernen.“ Im nächsten Moment küsste er ihn.

Kurz dachte Harry darüber nach, sich ihm zu verweigern, doch stattdessen schloss er seine Augen und schlang seine Arme um Toms Oberkörper, um auch ihn auf den Schreibtisch zu ziehen. In seinem Rücken spürte er den Brief von Gellert Grindelwald, von dem Tom ihn ablenken wollte. Der Brief dieses Mannes, den Tom gekannt hatte. Woher? Was hatte er mit dem alten dunklen Lord zu schaffen gehabt? Und warum dachte er gerade jetzt darüber nach?
 

Tom löste den Kuss und sah ihn streng an. „Du bist nicht bei der Sache.“

„Nicht jeder denkt dauernd nur an Sex“, meinte er schlicht. „Ich bin zu wütend auf dich, um mit dir zu schlafen.“

Seufzend erhob sich der Mann und ließ sich zurück auf seinen Stuhl gleiten, während Harry sich aufsetzte, um ihn ansehen zu können. „Deinem Bruder wird nichts passieren, außer, wenn er sich allzu dumm anstellt. Ich habe es nicht vor dir verheimlicht, weil ich glaubte, dass er sterben wird, sondern weil ich wusste, dass du dich unnötig aufregen wirst.“ Er griff zärtlich nach Harrys Hand, um sie sanft zu küssen. Er musste unwillkürlich lächeln. Toms... romantischen Phasen waren selten, aber eine willkommene Abwechslung.
 

„Du regst dich immer sehr schnell auf, Harry. Denk doch einmal logisch darüber nach. Warum sollte ich deinem Bruder weh tun wollen? Ich weiß immerhin, dass du dich von mir abwenden würdest, wenn ich zulassen würde, dass ihm etwas passiert und das wäre das letzte, was ich wollen würde, nicht wahr?“

„Wahrscheinlich nicht“, meinte Harry, ehe er sich erhob. „Ich habe trotzdem kein Interesse daran, mit dir zu schlafen. Was sich nicht ändern wird, bis mein Bruder sicher von seiner Aufgabe nach Hause gekommen ist.“
 

„Schon klar“, murmelte Tom und betrachtete ihn mit einem leicht resignierten Gesichtsausdruck. „Ich nehme an, du gehst wieder?“

„Gut erkannt, mein Lieber.“ Er drehte sich weg und lief zur Tür. Es beunruhigte ihn zutiefst, dass Draco Ronald umbringen sollte. Sein Bruder war kein geborener Todesser. Er konnte anderen nicht weh tun, nur weil es ihm jemand befahl, dafür war er viel zu weich, viel zu verwöhnt. Er würde nie und nimmer unversehrt aus dieser Sache wieder herauskommen. Andererseits hatte Tom Recht. Warum sollte er Draco diese Aufgabe geben, wenn er glaubte, dass es ihn umbringen würde? Es machte keinen Sinn.
 

Er war bereits an der Tür, als Tom noch einmal sprach. „Gellerts Tod.“

Harry blieb blinzelnd stehen, drehte sich aber nicht um. „Wie bitte?“

„Du wolltest wissen, was 1964 geschehen ist. Es war das Jahr, in dem Gellert Grindelwald gestorben ist.“

„Interessant“, erwiderte er. „Ich hätte nie gedacht, dass das für Weasley so bedeutsam sein könnte, um dich daran zu erinnern.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er die Bibliothek und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
 

Sein kleiner Besuch hatte mehr Fragen aufgeworfen, als er es für möglich gehalten hatte.

Hatte Tom ihm das ganze wirklich nur verheimlicht, um ihn nicht aufzuregen? War es wirklich richtig, Ronald sterben zu lassen? Würde Draco sicher nach Hause kommen?

Und was hatte Gellert Grindelwalds Tod damit zu tun? Warum hatte Ronald ihn erwähnt? Was hatte er Tom damit sagen wollen?

Harry hatte nicht die leiseste Ahnung, aber er war sich sicher, dass er es herausfinden würde.

So oder so.
 

Aber jetzt war nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Er musste zurück zu Felice. Er hasste es, sie alleine zu lassen, weil er immer befürchtete, dass sie in seiner Abwesenheit einen schlimmen Hustenanfall bekommen würde. Zwar sagte sie ihm immer, dass er sich unnötig viele Sorgen machte, aber er konnte einfach nicht anders. Er brauchte sie, denn an wen sollte er sich mit all seinen Fragen und Problemen wenden, wenn sie nicht mehr wäre?

Eilig beschleunigte er seine Schritte. In Zukunft würde er seine Abstecher zu Tom bleiben lassen.
 

Er war so sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er nicht die Augen eines kleines Tieres bemerkte, dass jeden seiner Schritte beobachtete. Die Augen einer...
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

„Eine Ratte?“, fragte Hermione blinzelnd, während sie Ronald neugierig ansah. „Eine Ratte in diesem Haus hat dich beschattet?“ Sie konnte ihr Amüsement nur schwer unterdrücken. Wer hätte gedacht, dass so etwas jemals passieren würde? Ronald jedenfalls kochte vor Wut.

„Zwei verdammte Wochen!“, rief er und schleuderte seine Schuhe in die nächste Ecke. „Zwei verdammte Wochen hat dieses Vieh mich verfolgt und ich Idiot bin nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es eine Ratte ist! Wie kann er es wagen, mit solch miesen Tricks aufzufahren? Das ist viel zu früh! Einfach unfair! Bisher hat er sich doch auch an die Regel gehalten!“
 

„Regeln?“, wiederholte Hermione amüsiert. „Was für Regeln sollen das sein? Das hier ist ein Krieg, Ron! Da geht es nur darum zu sterben oder zu überleben. Andere Optionen gibt es nicht.“

„Und doch müssen bestimmte Förmlichkeiten eingehalten werden!“, beharrte Ronald und begann unruhig im Raum hin und her zu laufen. „Aber er tut es nicht mehr. Er hat einen Spion auf mich gehetzt und zwar keinen menschlichen, sondern einen... tierischen! Eine verdammte, kleine Ratte!“
 

„Ich dachte, es war ein Animagus?“, erkundigte sie sich und fuhr in aller Ruhe damit fort, ihre Wäsche zusammenzulegen. „Soweit ich weiß, kann nur ein Mensch ein Animagus werden, was wiederum bedeutet, dass er einen menschlichen Spion auf dich gehetzt hat und keine Ratte.“

Ronald gab nur ein wütendes Schnauben von sich.
 

Sie waren in ihren privaten Räumlichkeiten im Hauptquartier des Phönixordens. Wobei Räumlichkeiten übertrieben war, tatsächlich handelte es sich nur um ein einfaches, hässliches Schlafzimmer, das Hermione ebenso sehr verabscheute wie Molly Weasley.

Es gab nicht mehr als ein quietschendes Doppelbett, einen winzigen Kleiderschrank, zwei Nachtschränke und einen baufälligen Schreibtisch. Die Wände waren mit einer grauenhaften, pinken Tapete bestückt, während die Holzdielen am Boden bei jedem Schritt knarrten. Das einzig Gute war, dass zu dem Zimmer ein kleines Bad gehörte, in dem sich eine gemütliche Badewanne befand, in der man es durchaus eine Weile aushalten konnte.
 

Hermione wusste, dass es wegen dem Kind war, dass sie erwartete, ansonsten müssten sie sich hundertprozentig mit den anderen Bewohnern dieser Etage das Bad am andere Ende des Ganges teilen. Manchmal hatte es eben doch einen Vorteil, schwanger zu sein.
 

Der Vater des Kindes war leider kein solcher Vorteil.

„Du stehst auf seiner Seite, was?“, fuhr er sie an. „Dieser Animagus hat uns die ganze Zeit beobachtet! Auch dich!“

„Darüber bin ich mir bewusst“, entgegnete sie genervt und räumte die zusammengelegte Wäsche in den Kleiderschrank. Der Gedanke, von einer Ratte beobachtet worden zu sein, war einfach nur ekelerregend. Wer wusste schon, was sie gesehen oder gehört hatte. Was, wenn sie sie beim Schlafen oder Baden beobachtet hatte? Und was, wenn es ein Mann gewesen war? Einfach grauenvoll!

Die Frage war nur, warum der dunkle Lord Ronald hatte beschatten lassen.
 

//Weil er ihn töten will//, erkannte sie sofort. //Und um das zu tun, muss er seine Schwachpunkte kennen.//

Die Frage war nur, ob die Beschattung bereits vollendet worden war oder ob Ronald das schlimmste noch hatte verhindern können.

//Und was wäre das schlimmste? Wäre es wirklich so schrecklich, wenn er sterben würde?//

Für die weiße Seite ja.

//Und für dich?//
 

Glücklicherweise unterbrach Ronald ihren Gedankengang.

„Wir müssen ab sofort vorsichtig sein“, verkündete er in einem versöhnlichen Tonfall und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. „Dass er einen Spion hierher geschickt hat bedeutet, dass er einen Angriff auf unser Hauptquartier plant. Ab morgen müssen wir uns darauf einstellen, angegriffen zu werden.“

„Ab morgen?“, fragte Hermione, während sie ihre Tunika abstreifte und achtlos auf den Boden fallen ließ. „Das heißt, heute sind wir noch sicher?“
 

„Ja“, meinte er mit einen abwesenden Tonfall. Sie warf ihm einen Blick zu und bemerkte, dass er die Augen geschlossen hatte. Offenbar forderten die täglichen Strapazen langsam ihren Tribut. Gut so, da war er diesen Abend wenigstens zu erschöpft für einen weiteren Wutanfall.

Vorsichtig schlüpfte sie aus ihrer Hose und atmete erleichtert auf. In ihrem Bauch begann ihr Kind sofort freudig zu strampeln. Es mochte keine Hosen, was ihm nicht zu verdenken war. Niemand würde in einem Bauch eingequetscht werden wollen.
 

„Es braucht Zeit, die Informationen auszuwerten, die der Spion gesammelt hat“, fuhr Ronald derweile erschöpft fort. „Außerdem muss er in seine Überlegungen mit einbeziehen, dass ich die Ratte entdeckt habe. Es wäre Wahnsinn, uns jetzt schon anzugreifen.“

Er öffnete seine Augen in dem Moment wieder, in dem sie sich ihr Nachthemd übergezogen hatte und lächelte leicht. „Leg dich zu mir, Hermione. Wer weiß, ob wir noch einmal die Chance haben werden, gemeinsam in einem Bett zu liegen.“
 

„Du bist ein ewiger Schwarzmaler“, kommentierte sie seine Worte, breitete aber trotzdem liebevoll eine Decke über ihm aus. Dass er in seiner Alltagskleidung schlief, ließ sie schon lange unkommentiert. Er war der Meinung, dass er so keine Zeit damit verschwenden würde, sich etwas anzuziehen, sollte er mitten in der Nacht gebraucht werden. Außerdem hatte er laut eigener Aussage nicht vor, in einem Schlafanzug zu sterben. Einen Standpunkt, den sie gut nachvollziehen konnte, sie hoffte ebenfalls auf einen ehrenhaften Tod – falls es so etwas überhaupt gab.
 

Seufzend schlüpfte sie zu ihm unter die Decke, woraufhin sie augenblicklich von seinen Armen umschlungen wurde. Kurz darauf hatten seine Hände auch bereits ihren gewölbten Bauch gefunden und strichen zärtlich darüber.

„Du musst auf euch beide aufpassen“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Egal, was passiert, ihr müsst überleben. Versprich mir das.“
 

Sie blinzelte. Solche Worte war sie überhaupt nicht von ihm gewohnt! Normalerweise vermied er alles, was auch nur ansatzweise mit Gefühlen in Verbindung gebracht werden könnte. Dass er es heute doch tat, konnte nur bedeuten, dass er damit rechnete, dass etwas furchtbares geschehen würde. Rechnete er etwa bereits mit seinem Tod?
 

„Hermione“, flüsterte er diesmal etwas eindringlicher und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. „Versprich es mir!“

„Ich verspreche es dir“, antworte sie leise. „Wir werden das hier überleben.“

Langsam legte sie ihre Hände auf die seinen und drückten sie sanft, woraufhin er sich tatsächlich entspannte. Es dauerte nicht lange bis sie seinen ruhigen, gleichmäßigen Atem hören konnte, den er nur hatte, wenn er eingeschlafen war. Offenbar hatte er den Schlaf dringender nötig, als sie erwartet hatte. Oder aber er wusste nicht, wann er das nächste Mal Schlaf finden würde und versuchte jetzt soviel davon zu tanken, wie er nur konnte.
 

//Ich sollte auch schlafen.//

Doch ihre Gedanken waren zu aufgewühlt, weshalb sie lange Zeit wach lag und Ronalds Atem lauschte. Sie hatte... Angst. Wann würden sie angegriffen werden? Würde der dunkle Lord mit seiner ganzen Armee angreifen? Würde Harry auf der Gegenseite sein? Würde sie Draco dort sehen? Und wer würde alles sterben? Wer würde leben? Wie sollte das alles nur weitergehen?

Schließlich schlief sie aber doch ein und wurde von unheimlichen Träumen heimgesucht.
 

Aus diesem Grund war sie fast dankbar, als sie plötzlich von einem ohrenbetäubenden Knall geweckt wurde.

Ronald war bereits auf den Beinen, während sie noch verwirrt blinzelte und am Rande registrierte, dass es nach Feuer roch. Was war los?

Bevor sie ihre Frage formulieren konnte, wurde die Tür aufgerissen und Neville stürmte herein. „Sie sind hier!“, verkündete er, bevor Ronald ihn überhaupt ansprechen konnte. „Wir werden angegriffen!“

Hermiones Augen weiteten sich. Verdammt.
 

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Das nächste Mal gibt es dann aber wirklich die versprochene Action....

Was Updates anbelangt, so werden sie weiterhin sehr unregelmäßig sein, fürchte ich. Allen, denen diese Wartezeit zu lang wird, können gerne bei meiner neuen Fanfiction „Footsteps In The Rain“ vorbeischauen, an der ich immer dann schreibe, wenn ich von TBTP etwas Pause brauche.

Aber keine Sorge, TBTP ist weiterhin meine Priorität. *nick*

Liebe Grüße, Ayako

Draco's Smile

Vielen Dank an alle Reviewer!!! <333

Ich gebe zu, dass ich es schon etwas schockierend fand, wie viele von euch Ronalds Tod auf so eine... sagen wir leidenschaftliche Art und Weise gewünscht haben. Das gibt mir schon irgendwie zu denken.... *drop*
 

However, an dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es bei den Warnungen zu dieser FF auch die Warnung „Main-Character-Death“ (Tod eines oder mehrerer Hauptcharaktere) gibt. Um nicht zu spoilern, werde ich diese Warnung nicht am Anfang des jeweiligen Kapitels noch einmal aufführen, aber ich würde euch empfehlen, es ab sofort im Hinterkopf zu halten.
 

Apropos, Warnungen zu diesem Kapitel: Feuer, Tod, Bellas Art der Folter und Verwirrung
 

Liebe Grüße, Ayako
 

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Draco's Smile
 

Hogwarts, Dezember 1944
 

Tom hasste das Gerede seiner Mitschüler. Die Aufregung. Die Angst. Den Hass, den sie Gellert entgegenbrachten. Konnten sie nicht sehen, dass er ihnen allen die Gerechtigkeit bringen würde, nach der sie sich alle sehnten? Waren sie wirklich zu dumm, zu erkennen, dass er der Gute war? Er würde nie verstehen können, wie alle so dumm sein konnten.
 

Allerdings musste er zugeben, dass er den anderen ihre Besorgnis nicht übel nehmen konnte, besonders, wenn man sich die Entwicklung in der Muggelwelt ansah. In den letzten Jahren hatte Deutschland gegen alle anderen – und ganz besonders gegen die jüdische Gesellschaft – einen barbarischen Krieg geführt, der zufälligerweise genau dann ausgebrochen war, als Gellert mit seinen Kämpfen gegen die konservative, weißmagische Welt begonnen hatte. Jeder, der ihm etwas vorwerfen wollte, würde darin einen Zusammenhang sehen und Toms Mentor falsch beurteilen. Aber er hatte nichts mit diesem Psychopathen Adolf Hitler zu tun, der unbedingt die halbe Menschheit ausrotten wollte.
 

Das konnte Tom ohnehin nicht begreifen, wo war bitte schön der Sinn darin, alle umzubringen? Wenn man schon einmal die Weltherrschaft an sich riss, sollte es doch wenigstens eine Bevölkerung geben, die man herumkommandieren und unterdrücken konnte. Gellert wäre nie so bescheuert.
 

Missmutig stocherte er in seinem mehr als kargen Mittagessen herum. Auch wenn das magische England größtenteils von allen Kriegen – magisch wie nicht magisch – verschont blieb, waren die Nahrungsmittel vorerst rationiert worden. „Nur für den Fall“, war die Aussage des gegenwärtigen Ministers gewesen, was darauf schließlich ließ, dass er damit rechnete, dass Gellerts Armee bald auch in England vorrücken würde.
 

Tom konnte es gar nicht erwarten. England war sein letztes Ziel, sobald Gellert das Land eingenommen hatte, würden die Kämpfe endlich ein Ende haben und Frieden würde sich über ganz Europa ausbreiten. Erste Länder wie Frankreich hatten bereits ihre Verfassungen geändert und behandelten nun Weiß- und Schwarzmagier gleichberechtigt. Viele hatten sich auch Gellerts Streitmacht angeschlossen und kämpften nun in den verbliebenen Ländern an der Seite ihrer Brüder und Schwestern für eine gerechtere Welt.
 

Auch Tom hätte sich ihnen nur allzu gerne angeschlossen, aber sein Mentor war dagegen gewesen. „Du konzentrierst dich erst einmal auf deinen Schulabschluss. Es ist wichtiger, dass du dein Wissen und deine Fähigkeiten erweiterst. Solange du nicht dazu bereit bist, möchte ich dich nicht in meiner Armee sehen. Es ist nicht dein Schicksal, auf einem Schlachtfeld zu sterben.“
 

Schicksal. Ein Wort, das Gellert gerne in den Mund nahm. Schicksal, Zeit, Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart, Spiele, Miras, Tempus Amicus... das alles waren Begriffe, mit denen er ihn regelmäßig bombardierte, deren Bedeutung er ihm jedoch niemals erklärte. Insgeheim war Tom zu dem Schluss gekommen, dass es einfach sein persönlicher Tick war, wie ihn Menschen in seiner Position zu haben pflegten. Genies bestanden immer zu mindestens einem Drittel aus Wahnsinn.

//Was wird dann dein Wahnsinn sein?//, fragte ihn seine innere Stimme.

Tom hatte keine Ahnung.
 

Er war momentan in seinem letzten Hogwartsjahr. Die Abschlussprüfungen waren nur noch wenige Monate entfernt und waren ein weiterer Stressfaktor, der seine Klassenkameraden immer angespannter werden ließ. Er selbst sah das ganze jedoch ziemlich locker. Es war für ihn offenkundig, dass er jede einzelne Prüfung mit der Bestnote abschließen würde und was den Krieg anging: Gellert würde Hogwarts nicht angreifen, solange Tom hier war.
 

Sie spielten jetzt schon seit etwa drei Jahren das Mentor-Schützling-Spiel und hatten sich relativ gut miteinander arrangiert. Gellert lehrte ihn alles, was er wusste – was übrigens eine Menge war, in den Ferien lernte er immer dreimal so viel, als in einem ganzen Jahr in Hogwarts – trat in der Öffentlichkeit unter falschem Namen als sein Vormund auf und stand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Im Gegenzug ließ Tom ihn in dem alten Manor seiner Familie wohnen und in den alten Schriften lesen, die sich in der Familienbibliothek befanden. Sie hatten sich aufeinander abgestimmt und in gewisser Hinsicht kannten sie sich gegenseitig besser, als jeder andere.
 

Trotzdem gab es Tage, an denen Tom Gellert hasste, vor allem, wenn er wieder einmal eine ganze Woche nichts essen durfte, weil er solange brauchte, um den Zauber zu meistern, den er ihm gerade beibrachte. Oder wenn er das halbe Haus wischen durfte, weil sein Zaubertrank in die Luft gegangen war. Das dumme war nur, dass er durch diese Methoden tatsächlich etwas lernte, weshalb er es ihm nicht wirklich übel nehmen konnte. Niemand wusste so gut wie Gellert, wie man ihm etwas beibringen konnte. Ganz im Gegensatz zu jemand anderem.
 

Mit finsterem Blick spähte er zu dem leeren Stuhl am Lehrertisch empor. Albus Dumbledore war nun bereits seit fünf Tagen verschwunden. Keiner wusste, wo er war. Keiner sagte ihnen, wo er war. Trotzdem hatten alle dieselbe Vermutung: Er war endlich aufgebrochen, um sich Gellert entgegenzustellen.

Verschiedene Stimmen hatten das bereits seit Ausbruch des Krieges gefordert, doch bisher hatte Albus sich immer geweigert.

Was in Merlins Namen hatte ihn also seine Meinung ändern lassen?
 

„Tom, was machen Sie denn heute Morgen für ein ernstes Gesicht?“ Horace Slughorn war neben ihn getreten und bedachte ihn mit diesem dämlichen Grinsen, das er allen hübschen Jungen schenkte. Tom verabscheute ihn. Wie hatte Professor Dippet nur einen Pädophilen einstellen können? Missbilligend sah er dabei zu, wie sein Lehrer ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Es ist Weihnachten, mein Junge! Eine wunderbare Zeit... Sie kommen doch sicher zu meiner Weihnachtsfeier morgen Abend, oder?“

„Natürlich, Professor“, entgegnete er höflich. „Mir würde nicht einmal im Traum einfallen, sie zu verpassen.“

„Ausgezeichnet“, rief Slughorn zufrieden und klopfte ihm fest auf die Schulter. „Dann sehen wir uns spätestens morgen Abend!“

Er wollte bereits weitergehen, um den nächsten Schüler an seine Party zu erinnern, als Tom ihn noch einmal zurückrief: „Professor!“
 

Sofort drehte Slughorn sich wieder um und sah ihn strahlend an. „Ja, mein lieber Tom?“

Die Mädchen um ihn herum kicherten verhalten, aber Tom ignorierte sie und fragte stattdessen: „Wo ist Professor Dumbledore?“

Binnen weniger Augenblicke war die gesamte Große Halle verstummt und alle Augen waren auf Professor Slughorn gerichtet, der sich mit einem Mal mehr als unwohl zu fühlen schien. Nervös spielte er an seinem Kragen herum, während er Tom argwöhnisch ansah. „Professor Dumbledore... nun, er hat sich für ein paar Tage frei genommen.“

„Kurz vor den Weihnachtsferien?“, hakte Tom ungläubig nach. „Ausgerechnet zu diesen Zeiten? Für wie dumm halten Sie alle uns eigentlich?“

Slughorn schluckte, während er von einem Bein aufs andere trat. „Nun....“
 

„Das genügt.“

Professor Dippet hatte sich erhoben. Auch wenn er Toms Meinung nach nichts weiter als ein bemitleidenswerter, leicht zu manipulierender, alter Mann war, handelte es sich bei ihm nach wie vor um den aktuellen Schulleiter von Hogwarts und als solcher strahlte er trotz seiner schwachen Persönlichkeit eine gewisse Autorität aus. Im Moment sah er mit müden Augen zu Tom und Slughorn hinüber, ehe er leise, aber deutlich zu sprechen begann: „Ich denke, wir alle wissen, wohin Albus auf den Weg ist.“ Ein paar Gryffindors brachen bei diesen Worten tatsächlich in Tränen aus und auch die anderen Lehrer sahen mit einem Mal sehr bedrückt aus. Tom konnte darüber nur die Augen verdrehen. So toll war er ja nun auch wieder nicht, dass sie alle wegen ihm in Staatstrauer ausbrechen mussten.
 

„Albus“, fuhr Professor Dippet fort, „hat eine sehr mutige Entscheidung getroffen, als er sich dazu entschloss, sich unserer Armee anzuschließen, um sich dem dunklen Lord in den Weg zu stellen. Er ist ausgezogen, um uns alle zu beschützen. Lasst ihm uns unsere besten Wünsche schicken, dass er gesund zu uns zurückkehren wird.“
 

//Gesund zu uns zurückkehren? Sicher nicht.//

Gellert würde ihn töten. Er musste ihn töten, wenn er diesen Krieg gewinnen wollte. Albus war einfach zu gefährlich, um ihn am Leben zu lassen.

//Genau, er ist gefährlich. Warum also hat Gellert ihn nicht schon längst umbringen lassen?//

Vielleicht hatte er ihn übersehen. Oder er hatte seine Existenz nicht für wichtig genug genommen. Oder er hatte einfach zuerst höhere Prioritäten gehabt. Was immer auch der Grund war, Tom hielt es für einen gefährlichen Fehler.
 

Er selbst – beschloss er – würde niemals diesen Fehler machen. Sollte er jemals einer Armee vorstehen, würde er dafür sorgen, dass alle gefährlichen Variablen eliminiert werden würden, bevor er mit den richtigen Kampfhandlungen beginnen würde. So würde er siegen können.
 

Erst viele Jahre später würde er begreifen, dass man sich bei einer solchen Planung enorm verrechnen konnte.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Hauptquartier des Phönixorden, Gegenwart
 

Das ganze Haus stand in Flammen. Das Feuer loderte überall, im Erdgeschoss, im Keller, im Dachboden und in allen Stockwerken dazwischen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bevor das Gebäude in sich zusammenbrechen und all jene, die nicht rechtzeitig hinaus gekommen waren, für immer unter sich begraben würde. Wie konnte man nur so etwas tun?
 

Neville verstand es nicht. Was war der Sinn darin, sie alle bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen? Wo war da Ehre, wo war da die Möglichkeit eines Duells? Fairness?

//Das ist ein Krieg, hier gibt es keine Fairness.//

Trotzdem, das hier war einfach nur barbarisch.
 

Mit erhobenen Zauberstab spähte er durch den Rauch, wobei das alles andere als einfach war. Die Hitze ließ seine Augen tränen und er musste immer wieder husten. Das hier waren furchtbare Bedingungen und all seine Instinkte schrien danach, von hier zu fliehen und das so schnell wie möglich. Doch er konnte nicht, er musste hierbleiben und dafür sorgen, dass all jene entkommen konnten, die nicht in der Lage waren, sich selbst zu verteidigen. Die Kranken. Die Verletzten. Hermione, die schwanger war. Und natürlich die Kinder. Nicht, dass es davon viele hier gegeben hätte, sie alle hatten gewusst, dass der dunkle Lord sie irgendwann hier angreifen würde, aber...

Aber doch nicht so.
 

Das erste Mal in seinem Leben verstand er wirklich, was das Wort Hass bedeutete.

Es wurde begleitet von Wut und dem Bedürfnis, auf etwas einzuschlagen.
 

//Das ist es, was der dunkle Lord immerzu fühlt//, dachte er. //Hass, Wut, Zerstörungslust. Kein Wunder, dass er so ein grausamer Mensch ist.//

Für einen kurzen Augenblick hatte er Mitleid, doch es verflog sofort wieder. Das, was ihnen allen hier angetan wurde, war zu grausam, um mit dem Kopf, der dahinter stand, auch nur im mindestens mitfühlen zu können. Er hatte sie nicht einfach nur angegriffen. Heute...

//...hat er uns unser Zuhause genommen.//
 

Vielleicht war es albern, einen Ort als Zuhause anzusehen, der nur dazu diente, die Verteidigung gegen einen angreifenden Feind zu planen, aber... es war ihr Zuhause gewesen.

Dort waren sie willkommen gewesen.

Dort waren sie sicher gewesen.

Dort waren ihre Freunde und ihre Familien gewesen.

Jetzt... verfiel all das zu Asche.
 

Wahrscheinlich war es genau das, was der dunkle Lord damit beabsichtigt hatte. Er wollte ihnen ihre Sicherheit nehmen, ihre Zuversicht, ihre Hoffnungen, um sie danach leichter beseitigen zu können.

//Er ist ein Monster.//

Warum hatte es eigentlich keiner der anderen geahnt, was passieren würde? Ronald, Moody, Dumbledore? Normalerweise waren sie dem dunklen Lord doch immer einen Schritt voraus... warum also heute nicht?
 

Plötzlich ertönte hinter ihm ein leises Rascheln, das sich eindeutig von dem Brasseln der Flammen unterschied. Instinktiv duckte er sich und spürte bereits den Zauber über sich hinweg sausen, der ihn wahrscheinlich umgebracht hätte. Gut also, dass er sich rechtzeitig geduckt hatte. Die Gefahr war jedoch noch nicht vorbei.

Mit einer schwungvollen Bewegung drehte er sich um und erschuf einen Schutzschild. Keine Sekunde zu früh, er sah bereits den nächsten Zauber auf sich zuschießen, aber diesmal prallte er einfach ab und er konnte in aller Ruhe in das Gesicht seines Gegners sehen.

Beziehungsweise in das Gesicht seiner Gegnerin.
 

„Longbotti, Botti, Botti“, trällerte Bellatrix Lestrange und schwenkte in einem unregelmäßigen Takt mit ihrem Zauberstab hin und her. „Wie geht es deiner Omi?“

Nevilles Augen verengten sich. „Das geht dich nichts an, Bella.“

Sie zog einen Schmollmund. „Aber Botti.... das ist gemeim! Wo ich doch extra so tun wollte, als würde ich mich für dich interessieren.“

„Das hättest du dir auch sparen können!“, rief er und richtete seinen Zauberstab auf sie. Er hatte sie noch nie gemocht. Sie war verrückt, wahnsinnig und genoss es, anderen Leid zuzufügen. Sie war ein genauso großes Monster wie ihr geliebter Meister. Sie auszuschalten würde ihm ein großes Vergnügen sein.
 

Wären nur nicht dieser elende Rauch und diese unerträgliche Hitze gewesen! Er hatte nie wirklich realisieren können, wie gefährlich Feuer tatsächlich war! Bisher war es für ihn immer nur eine Wärmequelle gewesen, ein Schutz, etwas Gutes. Heute könnte es für sie alle den Tod bedeuten, nicht zuletzt, da es äußerst schwer war, sich unter diesen Bedingungen zu konzentrieren, geschweige denn, eine der besten Duellanten des dunklen Lords zurückzuschlagen.

//In solchen Moment möchte ich Harry sein. Er würde sicher selbst jetzt wissen, was zu tun ist.//

Aber er war nicht Harry. Er war Neville. Der Auserwählte. Derjenige, der das hier alles würde beenden können – oder zumindest war es das, was ihm alle erzählten – er würde allein damit fertig werden.
 

So unauffällig wie möglich, brachte er sich in eine Position, in der er schnell den Platz ändern würde können und betrachtete Bellatrix durch zusammengekniffene Augen. Sie stand vollkommen gelassen da und hatte den Kopf etwas schräg gelegt, während sie ihn mit einem interessiert, neugierigen Ausdruck betrachtete. Sie erinnerte Neville damit ungemein an ein kleines Kind, das das erste Mal alleine das Haus verlassen durfte und sich fragte, ob es mit dem Ball, der vor seine Füße gerollt war, spielen durfte oder nicht.

Der Rauch schien ihr dabei nichts auszumachen, wahrscheinlich hatten sie und ihre „Freunde“ vorher Zauber um sich gelegt, die sie vor dem Feuer schützten.

Neville wünschte sich, er würde die Zauber auch kennen. Hätte er doch nur in Zauberkunst besser aufgepasst.... oder zählte dass hier zu Verteidigung gegen die dunklen Künste? Ach, egal.
 

„Expelliamus!“, rief er, in der Hoffnung, seine Gegnerin entwaffnen zu können. Bevor er jedoch überhaupt zu Ende gesprochen hatte, schoss bereits ein neuer Zauber auf ihn zu, der ihn von den Füßen riss und durch die Luft katapultierte. Wie das Schicksal es so wollte, traf er daraufhin mit seiner Schädeldecke wieder auf dem Boden auf und für mehrere Sekunden schien die ganze Welt schwarz zu werden. Als sich das Bild vor seinen Augen schließlich wieder klärte, sah er Bellatrix, die sich kurzerhand auf seine Hüfte gesetzt hatte und gut gelaunt mit seinem Zauberstab spielte. Verdammt, er musste ihn fallen gelassen haben.
 

Aber was tat sie überhaupt auf ihm? Was versprach sie sich davon? Er war immer noch ein Mann verdammt und ihr damit physisch überlegen! Er würde sie jetzt sofort von sich herunterwerfen, aufspringen und sich seinen Zauberstab zurückholen und dann... dann würde sie ihr blaues Wunder erleben!

//Also los Beine, Arme, bewegt euch!//

Er spannte seine Muskeln an – und merkte, dass er sich nicht bewegen konnte. Warum konnte er sich nicht bewegen?! War er auf einen Nerv aufgekommen, der ihn gelähmt hatte? Hatte er sich etwas gebrochen (nein, hatte er nicht, er spürte keine Schmerzen, außer Kopfschmerzen, wobei die berechtigt waren, er war immerhin mit seinem Kopf aufgekommen... da hätte jeder Kopfschmerzen, nicht wahr?), war sein Körper... am Ende tot und er sah als Geist zu ihr herauf?
 

Diese Ungewissheit war äußerst quälend – und sie versetzte ihn in Panik.

Panik war das letzte, was man in einer solchen Situation empfinden sollte. Sobald man panisch wurde, konnte man nicht mehr denken – zumindest nicht vernünftig – außerdem lieferte sich Neville damit quasi Bellatrix aus, denn die saß immer noch auf ihm und konnte theoretisch nun alles mit ihm machen.

Das einzige Gute daran war, dass seine Panik ihn dazu zwang, tief Luft zu holen, woran er sofort merkte, dass er nicht tot war, da er seine Lunge mit heißem, stickigen Rauch füllte. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen. Er hätte einfach angefangen zu husten und alle Schadstoffe wären sofort wieder verschwunden.

Zu seinem großen Entsetzen konnte er heute allerdings nicht husten. Oh, verdammt.
 

„Ohje... sieht so aus, als würde Botti unter einer Ganzkörperklammer stehen“, meinte Bellatrix entzückt und tätschelte zärtlich seine Wange. „Das einzige, was sich in deinem Körper noch bewegt, sind dein Herz und deine Atmung... dumm nur, dass ich eine Möglichkeit gefunden habe, deinen Hustenreiz zu unterdrücken.“ Sie lächelte ihn zuckersüß an. „Es ist meine neuste Entdeckung, die ich erst vor kurzem bei einem deiner Freunde gemacht habe... ich muss sagen, dass es sehr amüsant gewesen ist, dabei zuzusehen, wie Alastor Moody vor meinen Augen langsam erstickt ist.“
 

Neville starrte sie entsetzt an. Moody?! Moody war tot? Wegen dem hier? Wie sollten sie denn ohne ihn weitermachen? //Und wie soll ich das hier überleben, wenn nicht einmal er einen Ausweg gefunden hat?//

Bereits jetzt hatte er das Gefühl, dass seine Lunge von innen heraus zu verbrennen drohte. Er war so gut wie tot.
 

Er wusste nicht, was schlimmer war: Jetzt zu sterben oder vor den Augen von Bellatrix Lestrange. Er hatte eigentlich immer gedacht, dass es der dunkle Lord sein würde, der ihn eines Tages ins Totenreich schicken würde. Mit etwas Glück durch einen einfachen Todesfluch. Oder... dass er sterben würde, weil er sich vor einen seiner Freunde geworfen hatte, um ihm oder ihr das Leben zu retten. Oder irgendwann in vielen Jahren in seinem Totenbett, umgeben von seinen Kindern und Enkeln und vielleicht sogar noch seiner Ehefrau.

Das hier war niemals eine seiner Todesvorstellungen gewesen.

//Kann es das hier wirklich schon gewesen sein?// Es sah ganz so aus.

Wenn wenigstens sie verschwinden würde!
 

„Was machst du da, Bellatrix?“

Er kannte die Stimme, sie gehörte Barty Crouch Junior, auch ein Todesser, ein verdammter Todesser, würden etwa alle anwesenden Todesser kommen und ihm beim sterben zu... Ahhhh, das brannte. Er hätte nicht noch einmal einatmen dürfen, es wurde dadurch nur noch schlimmer. Am besten die Luft anhalten und versuchen, das Brennen zu ignorieren, ja, das war die beste Taktik... oder zumindest die beste, die ihm einfiel.
 

Während er um sein Leben kämpfte, wandte sich Bellatrix schmollend zu Barty um. „Ich will mich nur etwas amüsieren....“

„Wir haben keine Zeit für so etwas“, zischte er. „Longbottom ist nicht unsere Zielperson. Anstatt dich mit ihm zu vergnügen, sollten wir weiter suchen. Ich glaube, keiner von uns will erleben, wie unser Meister reagieren wird, wenn wir ihn entkommen lassen.“

„Das wird er schon nicht... gib mir nur noch fünf Minuten, dann ist Botti mausetot!“

„Bist du des Wahnsinns!?“, rief er und stieß sie von Neville weg. Sie landete unsanft auf einem Ziegelstein und fluchte laut, während Barty sich neben Neville kniete und ihn sachlich untersuchte. Dabei fuhr er damit fort, Bellatrix zu tadeln: „Du kennst die Befehle! Longbottom gehört dem dunklen Lord! Wir haben ihn nicht anzurühren! Löse sofort deinen Zauber!“
 

Bellatrix schmollte, tat aber, was er verlangte. Augenblicklich begann Neville heftig zu husten. Er erstickte, er erstickte, er erstickte, er... konnte wieder atmen!

Während er nach Luft schnappte, war Barty wieder aufgestanden und sah Bellatrix erwartungsvoll an, die Neville lustlos seinen Zauberstab vor die Füße warf. „Diesmal hast du Glück gehabt, Botti. Das nächste Mal wirst du aber nicht so einfach davonkommen.“

Damit zogen sie von dannen und ließen ihn mitten im Rauch zurück.
 

Für mehrere Augenblicke lag Neville einfach nur da und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er wäre gestorben, wenn Barty nicht aufgetaucht wäre. Er war immer noch so schwach, so schrecklich schwach. Wie konnte er so glauben, irgendjemandem helfen zu können? Ohne Ronald, der auf ihn aufpasste, war er ein Nichts. //Wie kann ich stärker werden? Wie kann ich stark genug werden, um den dunklen Lord aufzuhalten?// Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass seine Begegnung mit Bellatrix und Barty einige Fragen aufgeworfen hatte.
 

Wer war ihre Zielperson? Wen suchten sie?

Hatten sie das Haus nur abgebrannt, um diese Person zu finden?

War Moody wirklich tot?

Was genau war das für ein Zauber gewesen, den Bellatrix auf ihn gelegt hatte? Wirklich nur eine Ganzkörperklammer? Wie konnte man sich dagegen wehren?

Warum lebte er noch? Warum wollte der dunkle Lord ihn lebend?

Und... wo war Ronald eigentlich die ganze Zeit gewesen? Er wich ihm doch sonst auch nie bei einem Todesserangriff von der Seite!
 

//Es ist egal, wo er ist oder was hier vor sich geht, ich muss hier weg! Der Rauch wird immer dichter und das Feuer kommt näher!//

Ja, er musste hier weg. Er würde ohnehin niemandem helfen können.

Mit diesem Gedanken rappelte er sich unbeholfen auf und begann damit, durch den Rauch zu stolpern, während er seinen schmerzenden Kopf zu ignorieren versuchte.

Erst einmal hier herauskommen. Die Verletzungen konnten später immer noch analysiert werden.

Hoffte er zumindest.
 

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Hermione konnte kaum atmen, während sie über Wurzeln und tiefliegende Äste stolperte. Selbst hier, etwa einen Kilometer von der Feuerquelle entfernt, war alles voller Rauch, der ihr die Kehle zuschnürte. Sie hatte Angst. Um sich selbst, um ihr Kind, um Ronald, Neville und all die anderen. Der Rauch... würde er ihrem Kind schaden? Man durfte während der Schwangerschaft nicht rauchen, da war das hier sicher auch nicht gesund.
 

Und würden ihre Freunde heil aus dieser Sache wieder herauskommen? Ronald und Neville waren beim Haus zurückgeblieben, gemeinsam mit allen anderen, die kämpfen konnten, um allen anderen – ihr eingeschlossen – die Flucht zu ermöglichen.

Sie selbst war mit Cho Chang und zwei verletzten Mädchen losgelaufen. Alle drei waren irgendwann von einem vorbeifliegenden Zauber getroffen worden und zurückgeblieben. Sie wusste nicht, ob sie gestorben waren oder nicht. Sie war nicht stehen geblieben, um es zu überprüfen. Hätte sie es getan, würde sie jetzt tot sein und das durfte sie nicht. Sie hatte es Ronald versprochen.
 

Weit hinter sich konnte sie vereinzelte Kampfgeräusche hören, ab und an sogar Schreie, doch ansonsten herrschte eine unheimliche Stille, so als wäre der ganze Wald mit einem Mal ausgestorben – was wahrscheinlich sogar der Fall war. Kein Tier blieb freiwillig in der Nähe eines solchen Brandherdes. Wie viele waren darin wohl umgekommen? Und wie viele waren auf dem Weg zu der Appariergrenze ausgeschaltet worden?

Hermione hatte schon immer gewusst, dass es ihnen eines Tages zum Verhängnis werden würde, dass sie erst ab einem Umkreis von sieben Meilen zum Hauptquartier des Phönixordens apparieren konnten.

An sich war diese Vorsichtsmaßnahme gar nicht so schlecht gewesen, da sie so immer gemerkt hatten, wenn sich ihnen jemand genähert hatte. Heute wurde es ihnen zum Verhängnis.
 

//Wie sind sie nur unbemerkt hereingekommen? Hat dieser Spion wirklich so viel herausfinden können?// Offensichtlich ja.
 

Schwer atmend kam sie an einem umgestürzten Baumstamm zum Stehen und setzte sich für einen Augenblick hin, um sich etwas auszuruhen. Sie war es nicht gewohnt, so eine weite Strecke sprinten zu müssen. Darüber hinaus hatte sie keine Zeit gehabt, sich etwas vernünftiges anzuziehen. Sie war nur schnell in ein paar Turnschuhe geschlüpft, hatte sich ihren Mantel über die Schultern geworfen und dann sofort losgestürmt. Ihre Schwangerschaft tat ihr übriges, nicht zuletzt, da das Kind in ihrem Bauch aufgeregt strampelte und von innen gegen ihren Bauch boxte. Hermione wollte sich gar nicht ausmalen, was die ganzen Stresshormone in ihrem Körper gerade anrichteten.
 

Sie musste unbedingt an einen sicheren Ort! Am besten Hogwarts. Dort war Dumbledore, dort gab es unzählige Schutzzauber, dort wäre es vorerst sicher.

//Wo ist Dumbledore nur heute? Warum ist er nicht hier?//

Weil er auch nicht gewusst hatte, dass sie heute angegriffen werden würden.

//Und warum kommt er nicht?//

Weil er immer noch nicht wusste, was passiert war und genau deshalb würde sie jetzt sofort wieder aufstehen und weiter rennen, damit sie ihm davon berichten und so Hilfe holen konnte.

Wenn sie wenigstens wüsste, wo sie hier eigentlich war!
 

Überall wo sie hinblickte, gab es nur eine endlose Reihe von Baumstämmen und der Rauch verdeckte den Blick zum Himmel, wo man sich eventuell an den Sternen hätte orientieren können. Sie hatte keine Ahnung wo Norden war oder wie weit sie bisher gekommen war. Auch ihr Zeitgefühl hatte sich in Luft aufgelöst. Irrte sie jetzt erst seit wenigen Minuten oder schon seit vielen Stunden durch den Wald?

Überhaupt, wer war auf die Idee gekommen, dass das Hauptquartier sich unbedingt in einem uralten Manor mitten im Nirgendwo befinden musste?! Hätten sie nicht ein Stadthaus nehmen können oder zumindest eine Villa am Rande eines Dorfes? Nein, es musste die Einöde sein. Kein Wunder, dass sich die Todesser darauf gestützt hatten. Ronald und Moody hätten es umgekehrt nicht anders gemacht.
 

Nur, wie kam sie jetzt zur Appariergrenze? Wenn sie diese nicht bald erreichte, würde sie bestimmt irgendein Todesser finden und was der dann mit ihr machen würde, wollte sie sich nicht einmal ausmalen.
 

Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durchs Gesicht und blickte auf. Überall wo sie hinsah, gab es nur Bäume und Büsche und Rauch. Sie war allein und verlassen und hatte sich verlaufen und...

„Die Nerven zu verlieren, wird dich auch nicht weiterbringen, meine Liebe.“

Augenblicklich sprang sie auf und wirbelte herum. Einige Schritte von ihr entfernt stand eine junge Frau mit feuerrotem Haar. Sie trug ein altmodisches Kleid, das wahrscheinlich in Dumbledores Jugend modern gewesen war und sie lächelte freundlich.

„Also wirklich, Hermione... ich verstehe ja, dass die Wiedersehensfreude groß sein muss, aber deshalb musst du mich nicht gleich ansehen, als wäre ich ein Geist.“
 

Hermione starrte sie einfach nur ungläubig an, während sie sich fragte, wie das möglich sein konnte. „G...Ginny?“

Das war unmöglich. Ginny war tot. Sie war in der Kammer des Schreckens gestorben. Hermione hatte ihre Leiche gesehen! Sie war auf ihrer Beerdigung gewesen! Sie hatte die ganze Familie trauern sehen! Außerdem hatte Ronald sich deshalb damals von ihnen zurückgezogen. Weil Ginny gestorben war!

Trotzdem stand sie jetzt vor ihr, kerngesund, wenn auch etwas älter und reifer. Außerdem war sie zu einer wahren Schönheit geworden.

Wieso? Sie war tot! Sie müsste eine verweste Leiche sein und kein... lebender, atmender, wunderschöner Mensch.
 

//Das ist ein Trick... ein übler Trick. Das da vor dir ist eine Illusion. Oder jemand, der Vielsafttrank genommen hat.//

Möglich, aber unwahrscheinlich. Niemand würde glauben, dass Ginny wieder am Leben war. Absolut niemand. Nicht einmal Ronald, der sich seit ihrem Tod nichts sehnlicher wünschte. Somit gab es nur eine logische Erklärung: Das da war wirklich Ginny.
 

„Genau“, entgegnete diese lächelnd und trat einen Schritt auf sie zu. „Ich bin es. Ich lebe. Und ich werde dich jetzt dorthin bringen, wohin du gehen willst.“ Sie streckte ihre Hand nach Hermione aus und sah sie aufmunternd an. „Komm!“

„W...wie kannst du am Leben sein?“, fragte sie verwirrt, griff aber nach ihrer Hand und ließ sich mitziehen. Sie hatte ohnehin keine andere Wahl. „Und was tust du hier?“
 

„Fragen... immer so viele Fragen. Ich habe vergessen, wie wissbegierig du bist“, sagte Ginny fröhlich, während sie losliefen. Hermione vermutete, dass ihr Ziel die Appariergrenze war, zumindest war das das Ziel, das sie momentan am dringendsten erreichen wollte. „Zu dumm, dass es nicht auf jede Frage eine Antwort gibt. Harry und Ronald könnten dir eine lange Geschichte darüber erzählen, wie oft uns das am meisten verwehrt bleibt, was wir am meisten begehren.“

„Und Antworten gehören dazu?“, hakte sie nach. Irgendetwas war anders an Ginny. Früher war sie unbeschwert und ein liebes Mädchen gewesen. Jemand, den man mochte. Jemand, mit dem man reden konnte. Diese Ginny hier aber war... unheimlich. Was war in den letzten Jahren mit ihr passiert? Wo war sie gewesen? Und wer war die Leiche gewesen, die sie beerdigt hatten?
 

Ginny schien zu wissen, was in ihr vor sich ging, denn sie warf ihr einen beruhigenden Blick zu. „Mein Bruder und Harry wissen, dass es nicht die Antworten sind, die gesucht werden müssen. Es sind die Fragen. Nur mit der richtigen Frage kann man die Antwort erhalten, die man sich so verzweifelt herbeisehnt. Du dagegen machst dir nicht einmal die Mühe darüber nachzudenken, ob deine Fragen auch nur im mindestens zu der Antwort passen könnten, die du haben möchtest.“
 

„Aber... ich möchte wissen, wieso du hier bist! Da ist es normal, so etwas...“

„Nein“, unterbrach Ginny sie. „Das willst du nicht wissen. Nicht wirklich.“ Sie waren wieder stehen geblieben. Eigentlich hatten sie sich kaum von der Stelle entfernt, an der sie sich getroffen hatten, trotzdem war hier deutlich weniger Rauch und das Atmen fiel Hermione wieder um einiges leichter. Außerdem konnte sie zwischen dem Laub am Waldboden einen kleinen Trampelpfad erkennen, von dem sie wusste, dass er sie direkt zum Haus führen konnten – oder zur Appariergrenze. Warum war sie ihm eigentlich nicht von Anfang an gefolgt? Ach ja, Cho hatte gemeint, dass es zu gefährlich sein würde...

Cho...
 

Zum Glück sprach Ginny bereits weiter, weshalb sie nicht weiter über die gefallene Asiatin nachdenken konnte: „Die Frage nach meinem Hiersein mag dich momentan beschäftigen, im Grunde ist sie dir jedoch egal. Sie wird dich nicht die ganze Nacht wach halten und dein Leben beeinträchtigen. Es ist keine wichtige Frage, denn die Antwort ist unwichtig. Nein... deine Frage ist eine ganz andere und die Antwort darauf wirst du finden, wenn du diesem Pfad hier folgst.“ Sie deutete in Richtung der Appariergrenze. „Doch auf der Hut. Deine Antwort könnte gefährlicher sein, als du momentan glauben magst und sie könnte dich dein Leben kosten. Deshalb musst du darauf achten, was du tust, denn egal, was auch passieren mag: Das Kind in deinem Bauch muss leben.“
 

Okay...?

„Das ist mir klar, Ginny“, sagte Hermione abweisend. „Es ist immerhin mein Kind. Ich werde es schon nicht sterben lassen.“

„Hoffen wir es“, meinte sie, immer noch mit diesem Lächeln. „Dann geh.“
 

Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, folgte sie dieser Anweisung und begann loszulaufen. Nach einigen Schritten warf sie noch einmal einen Blick zurück und bemerkte, dass Ginny plötzlich spurlos verschwunden war. Sah so aus, als würde sie ihre „Antwort“ alleine erhalten müssen.

//Als ob es die wirklich gibt... wahrscheinlich ist in diesem Rauch irgendeine Substanz drin, die Wahnvorstellungen hervorruft. Ich bin in Wahrheit die ganze Zeit allein gewesen.//

Ja, das war die vernünftigste Erklärung und sie war bereit, ihr zu glauben. Alles andere war einfach zu verwirrend.
 

//Warum Ginny?// Hätte sie nicht jemand anderes besuchen können? Ihre Mutter zum Beispiel? Oder Harry? Oder... Professor McGonagall? Warum Ginny? //Weil sie Ronalds Schwester ist?// Was sollte das bitte schön mit ihren Wahnvorstellungen zu tun haben?
 

Sie lief weiter beziehungsweise sie stolperte weiter. Hier gab es einfach zu viele Ästen und Wurzeln, gut, dass wenigstens kein Winter war. Schnee und Eis hätten jetzt gerade noch gefehlt.

Langsam klärte sich auch wieder die Sicht und sie konnte ab und an einen Blick auf den sternenklaren Himmel erhaschen. Es war eine wunderschöne Nacht, beinahe romantisch... kein Wunder, dass sie gerade jetzt angegriffen wurden. Der dunkle Lord wusste wahrscheinlich nicht einmal, wie man Romantik buchstabierte.
 

//Das stimmt nicht. Wenn er wirklich Thomas Mask ist, der Mann, den Harry liebt, dann weiß er, was Romantik ist...// Sie konnte sich noch gut an das letzte Jahr erinnern, in dem sie gemeinsam Hogwarts besucht hatten. Jeden Tag hatte Harry eine Rose geschickt bekommen. Oder ein kleines Geschenk. Oder eine andere Aufmerksamkeit. Wenn das keine Romantik war, wusste sie auch nicht weiter.

//Ronald hat mir nie etwas geschenkt...//

Warum dachte sie eigentlich ausgerechnet jetzt über Romantik nach?
 

Einige Meter vor ihr verschwand der Pfad zwischen den herabhängenden Ästen einer Trauerweide. Dahinter – das wusste Hermione – war ein kleines Bächlein, das die unsichtbare Appariergrenze markierte. Das erste Mal seit sie aufgebrochen war, spürte sie wieder so etwas wie Optimismus in sich aufsteigen. Sie hatte es gleich geschafft!

Automatisch lief sie schneller und schlüpfte durch die Äste.
 

Sie brauchte einige Sekunden um zu begreifen, was sie sah. Mit dem Rücken zu ihr stand Ronald. Selbst von ihrem Blickwinkel aus konnte sie erkennen, dass er ziemlich ramponiert war – wahrscheinlich hatte er sich duelliert – und er schien Schwierigkeiten zu haben, aufrecht zu stehen. Glücklicherweise hatte er immer noch seinen Zauberstab, den er unbarmherzig auf seinen Gegner gerichtet hatte.
 

Dieser war entwaffnet und blutete aus mehrere Wunden. Um sich aber nicht seiner ganzen Würde zu berauben, blieb er stur stehen und wartete auf das, was kommen würde. Für einen kurzen Augenblick traf sein Blick Hermiones und er schenkte ihr ein resigniertes, beinahe entschuldigend wirkendes Lächeln. Dann wurde er von dem grünen Zauber getroffen und brach in sich zusammen.
 

Ginny hatte Recht. Das hier war die Antwort auf ihre Frage. Nur, dass sie sie niemals hatte haben wollen.
 

„Draco!“

Love

Danke an meine Beta, alle Reviewer und Schwarzleser!

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei Animexx bedanken: DANKE, dass man endlich den bereits formatierten Text einfügen kann und nicht mehr alle Formatierungszeichen einfügen muss!!! Eine wunderbare Neuerung! *strahl*
 

Beim letzten Kapitel gab es einige Verwirrung über Ginnys plötzliches Auftauchen. Einige haben mich gefragt, ob sie jetzt wieder am Leben ist. Die Antwort ist: Nein, sie ist nach wie vor „nur“ eine Mira, allerdings sind Mira in der Lage, sich in der „wirklichen“ Welt zu materialisieren und sich so in die Ereignisse einzumischen. In TCE ist Ariana auch einmal vor Rufus erschienen, falls sich irgendjemand außer mir noch dunkel daran erinnert...
 

Zu Dracos „Tod“: Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ich einem Malfoy eine so einfallslose Todesszene geben würde, die nur einen Absatz lang ist, oder?

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Love
 

Der Plan war einfach gewesen.

Wurmschwanz sollte den Orden ausspionieren, um dabei früher oder später von Weasley oder einem anderen entdeckt zu werden. Wirkliche Informationen hatten sie gar nicht gebraucht, warum auch, die Zwillinge und Snape hatten bereits in den letzten Jahren alles nützliche zusammengetragen, was man wissen musste, um erfolgreich gegen sie vorgehen zu können.

Nein, Wurmschwanz' Aufgabe war es nur gewesen, dafür zu sorgen, dass die Ruhe vor dem Sturm eintrat – und genau in dieser Ruhe würden sie zuschlagen.
 

Als nächstes kamen die Todesser. Um die Hausbewohner abzulenken, sollten sie das Hauptquartier anzünden und damit für Aufregung sorgen. Was Draco nicht bedacht hatte, war, dass sie so leidenschaftlich vorgehen würden. Er hatte niemanden töten wollen, niemanden außer Ronald zumindest. Im Gegensatz zum dunklen Lord hielt er nichts von unschuldigen Opfern. Doch es hatte sie gegeben. Wegen ihm, wegen einer falschen Kalkulation waren auch andere gestorben. Er fragte sich, ob der dunkle Lord nicht das von Anfang an geplant hatte.
 

Draco selbst hatte an der Trauerweide gewartet, die normalerweise als Durchgang zur Appariergrenze genutzt wurde. Dabei hatte er die Schreie der Menschen gehört, als sie erwacht waren und erkannt hatten, dass sie verbrennen würden. Er hatte die Kampfgeräusche gehört. Er hatte Flehen gehörte.

Und hatte nichts unternommen.

Anstatt das ganze zu stoppen und Hilfe zu holen, war er unter der Trauerweide geblieben und hatte gewartet, denn früher oder später würde er ihn finden.
 

Draco machte sich keine Illusionen. Er und auch Weasley wussten, dass das hier nichts mit dem Krieg oder irgendwelchen Machtverhältnissen zu tun hatte. Das hier war eine Sache zwischen ihnen beiden. Und heute Nacht würden sie das endlich klären.
 

Sie hatten sich nie gemocht.
 

Ganz am Anfang war Draco eifersüchtig gewesen, weil Harry mit Weasley und Longbottom mehr Zeit verbracht hatte, als mit ihm selbst, dann hatte niemand Weasley gemocht, weil er immer so komisch gewesen war und zum Schluss hatte Hermione zwischen ihnen gestanden. Das einzige, was sich in all den Jahren zwischen ihnen geändert hatte, war der Grad ihrer Abneigung. Anfangs hatten sie sich nur nicht gemocht, jetzt hassten sie sich. Schon erstaunlich, was eine einzelne Person alles ändern konnte.
 

Heute würde das alles endlich ein Ende haben. Heute würde sich alles entscheiden. Heute... würde einer von ihnen sterben. Die Frage war nur: Wer.

Seufzend setzte er sich auf eine der unzähligen Wurzeln der Trauerweide. Er machte sich keine Illusionen. Ronald war stärker als er. Früher, in der Schule, hätte er vielleicht eine Chance gegen ihn gehabt, doch jetzt... //Wie hast du nur so stark werden können, Weasley? Was ist passiert?//

Draco wusste es nicht und wollte es gar nicht wissen. Er fragte sich nur, warum der dunkle Lord ihn losgeschickt hatte, um Weasley zu erledigen. War das eine Strafe? Wollte er ihn loswerden? Oder glaubte er tatsächlich daran, dass Draco triumphieren würde? //Ja, klar glaubt er das. Eher wird die Hölle zufrieren, als dass er dir so etwas zutraut.//

Wollte er ihn also wirklich tot sehen?
 

Andererseits hatte er vielleicht Draco gewählt, um ihm eine Chance zu geben, sich zu rächen. Der dunkle Lord wusste wahrscheinlich alles über ihn, Hermione und Weasley. War das nun also seine Art und Weise Güte zu zeigen?
 

Bevor er weiter darüber nachsinnen konnte, ging die Wurzel unter ihm in Flammen auf. Erschrocken sprang er auf und klopfte auf seinen Hintern, aus Angst, seine Hose könnte Feuer gefangen haben, während er sich gleichzeitig umsah, um den Idioten zu finden, der das getan hatte.

Es war niemand zu sehen.

Argwöhnisch griff er nach seinem Zauberstab und löschte das Feuer mit einem einfachen Wasserzauber. Irgendjemand war hier und er konnte sich gut vorstellen, wer es war.

„Bist du jetzt schon so feige, dass du mir nicht einmal mehr dein Gesicht zeigen kannst, Weasley?“
 

Zu seiner Linken hörte er ein Schnauben. „Das hättest du wohl gerne, Malfoy.“

Draco drehte sich zu ihm um. Weasley wirkte sichtlich verärgert über die Gesamtsituation, was man ihm eigentlich auch nicht verdenken konnte. Niemand würde es sonderlich amüsant finden, durch einen Angriff auf das eigene Zuhause aus dem Schlaf gerissen zu werden, nicht zuletzt, wenn man eine schwangere Freundin neben sich liegen hatte.

Sofort fühlte er sich etwas besser. Der Gedanke, Ronald Weasley zur Weißglut getrieben zu haben, hatte etwas äußerst befriedigendes an sich.
 

„Du siehst heute äußerst angepisst aus, mein Freund“, provozierte er ihn absichtlich. „Hat dich etwas aus dem Konzept gebracht?“

„Du kannst dir deine Selbstgefälligkeit sonst wo hinstecken, Malfoy“, zischte Ronald und trat noch ein paar Schritte näher. „Ich hätte wissen müssen, dass du hinter diesem Angriff steckst. Der dunkle Lord würde niemals so leichtfertig vorgehen.“

„Leichtfertig?“, wiederholte Draco. „Wieso leichtfertig? Es hat doch funktioniert, oder?“ Er breitete die Arme aus. „Wir haben euch überrumpelt. Insofern war es doch ein voller Erfolg. Obwohl ich zugeben muss, dass ich überrascht bin, wie einfach es war, dich zu überlisten. Ich hätte eher gedacht, du würdest meine Strategie durchschauen und das Gebäude räumen, sobald du Wurmschwanz entdeckt hattest. Schon lustig, dass ich in der Lage war, dich so zu überlisten, nicht wahr?“
 

Als Antwort schoss ein roter Zauber auf Draco zu, dem er allerdings geschickt auswich. „Hast du jetzt auch noch das Zielen verlernt, Weasley?“, zog er ihn auf. „Wirklich, wie kann der dunkle Lord dich als eine Bedrohung ansehen?“

„Wahrscheinlich aus demselben Grund, warum Hermione sich für mich entschieden hat und nicht für dich.“
 

Diese Worte sollten ihn verletzen, aber Draco konnte nur lachen. „Hermione hat sich für dich entschieden, weil ich sie von mir gestoßen habe. Ansonsten wäre sie bei mir geblieben bis zum Schluss.“

„Und dieser Schluss wird heute sein.“ Ronald trat näher, bis sie nur noch wenige Schritte voneinander getrennt waren. Sein Blick war kalt und kalkulierend, wie beim dunklen Lord, wenn er kurz davor stand, einen Feind zu eliminieren. Warum waren die beiden sich so ähnlich?
 

„Du bist ein Todesser, Malfoy“, fuhr Ronald kühl fort, „und der Kopf hinter diesem Angriff. Wegen dir sind viele gestorben, die nicht hätten sterben sollen. Du hast schreckliches getan und dafür musst du bestraft werden.“

„Ach, komm schon Weasley, wir beide wissen, dass es hier nicht um diesen Angriff geht. Der Krieg ist dir im Grund doch genauso egal, wie mir.“

„Da irrst du dich. Der Ausgang dieses Krieges ist alles, was für mich zählt. Der dunkle Lord ist ein herzloses Monster, das besiegt werden muss und schwarze Magie muss weiterhin verboten bleiben. Sie kann nichts als Böses anrichten.“
 

„Wie kannst du so etwas sagen?“, fragte Draco und sah ihn verständnislos an. „Du setzt doch auch nichts anderes mehr ein.“

Es war ihm vor etwa einem Jahr aufgefallen, als er bei einem der ersten Angriffe dabei gewesen war. Damals hatten alle dafür gesorgt, dass er sich in den hinteren Reihen aufhielt, da alle Todesser gewusst hatten, wie sehr seine Mutter unter Harrys egoistischer Abwesenheit gelitten hatte. Keiner hatte riskieren wollen, dass sie nun auch noch ihren leiblichen Sohn verlor, da niemand gewusst hätte, wie sie darauf reagiert hätte.

Aus diesem Grund hatte er die „ehrenvolle“ Aufgabe gehabt, den Kampfstil der stärksten Ordensmitglieder zu analysieren. Zunächst hatte er sich auf die bekannten Kämpfer konzentriert – Moody, James Potter, Dumbledore (wobei der sich meistens aus diesen Aktionen heraushielt) – doch bald war ihm Ronald aufgefallen, der deutlich aus der Masse herausstach.
 

Ursprünglich hatte Draco geglaubt, dass es daran lag, dass er so jung war und keiner damit rechnete, dass er über solch ausgeprägte Duellfähigkeiten verfügte, aber dann hatte er ihn mit Barty Crouch Junior kämpfen sehen – und ab diesem Moment hatte er gewusst, was ihn so einzigartig machte: Er verwendete schwarze Magie.
 

Diese Erkenntnis war ein Schock gewesen.

Ronald Weasley, der wohl konservativste Mensch im Universum und schwarze Magie? Nie und nimmer. Und doch... es war die Wahrheit.
 

Ronalds Reaktion überraschte ihn trotzdem. Sein Gesicht schien sich geradezu zu versteinern, während seine Augen – wenn möglich – noch kälter wurden. Warum waren Menschen, die so viel schwarze Magie in sich hatten immer zu solchen Gesichtsausdrücken fähig?
 

„Manchmal muss man um zu gewinnen, auf Mittel zurückgreifen, die man niemals haben wollte. Nicht, dass ich erwarte, dass ausgerechnet du das verstehst, Malfoy.“

Draco dachte daran, dass er Hermione aufgegeben, Pansy geheiratet und sich dem dunklen Lord angeschlossen hatte, um sein persönliches, eigenes Ziel zu erreichen und kam zu folgendem Schluss: „Vielleicht verstehe ich es besser, als du glaubst.“

Ronald schnaubte. „Spar' dir deine Lügen für andere auf. Ich möchte sie nicht hören.“
 

„Für andere? Ich dachte, du bringst mich jetzt um?“ Beziehungsweise, Draco würde ihn umbringen.

„Umbringen? Dich? Bilde dir ja nicht zu viel ein“, Ronald sah ihn verachtend an. „An dir mache ich mir sicher nicht die Hände schmutzig. Vielleicht hätte ich es früher einmal getan, aber jetzt nicht mehr. Außerdem gibt es eine viel bessere Verwendung für dich.“

„Verwendung?“, fragte Draco. „Was für eine Verwendung? Wovon redest du?“
 

Die Antwort darauf tat weh und das im wahrsten Sinne des Wortes. Es war, als würden tausend, unsichtbare Messer um ihn herumfliegen und nacheinander seine Haut aufritzen. Immer, wenn an einer Stelle der Schmerz verebbte, begann er an einer anderen Stelle wieder von neuem. Dieser Zustand hielt war nur für wenige Sekunden an, aber es war lange genug, um ihm zu sagen, dass er diesen Fluch nie wieder spüren wollte.
 

Seine Beine knickten ein und er fiel auf die Knie. Seine Wunden brannten höllisch und an Gegenwehr war nicht zu denken. Mann, er war wirklich jämmerlich. Sich von so etwas unterkriegen zu lassen. Aber eigentlich hatte er von Anfang an gewusst, dass es so enden würde. Er war nicht so skrupellos, wie der dunkle Lord oder andere Todesser. Er konnte nicht einfach das Leben eines anderen beenden, selbst wenn er ihn so sehr hasste wie Ronald Weasley.
 

//Außerdem ist er Hermiones einzige Chance, um hier lebend herauszukommen. Ich kann ihn nicht töten.//

Hermione... es war schon seltsam, wie alles in seinem Leben um sie zu kreisen schien. Liebe war schon etwas seltsames....
 

Von irgendwo weit weg schien er Ronalds Stimme zu hören: „Du wirst bald herausfinden, was für eine Verwendung du haben wirst, Malfoy. Ich gebe zu, dass ich froh bin, dass du es bist, den wir fangen konnten. So wird es mir eine noch größere Freude sein, es zu beobachten.“
 

Beobachten? Was denn beobachten?

Was immer es war, es bereitete Ronald große Freude und das war für ihn Grund genug, um es irgendwie zu verhindern. Er war ein Malfoy, verdammt noch mal! Er konnte nicht einfach in Selbstmitleid versinken und aufgeben! Er musste aufstehen und kämpfen! Das war das mindeste, was er tun konnte. Für seine Familie. Für seine Ehre. Und für sich selbst.
 

Mühsam rappelte er sich wieder auf, bis er schwankend zum Stehen kam und Ronald ansehen konnte, der ihn geduldig beobachtete. Wahrscheinlich wollte selbst jemand wie er keinem den Rest geben, der wehrlos auf dem Boden lag. Oder es lag daran, dass er Draco Malfoy war. Sein persönlicher Widersacher. Sein Feind. Sein Rivale. Zumindest wusste er nicht, wie er es sich anders erklären sollte.
 

Während er so dastand, bemerkte er aber, dass auch Ronald Schwierigkeiten mit dem Stehen hatte und ein paar Wunden aufwies. Wahrscheinlich war er ein paar anderen Todessern begegnet, die sich seiner angenommen hatte. Zu schade, dass sie ihn am Leben gelassen hatten. Oder waren sie jetzt tot? Er hoffte nicht. Er wollte nicht, dass die schwarze Seite wegen ihm so viele Verluste machen musste. Es war schon schlimm genug, dass er seinen Auftrag nicht fertig ausführen würde.
 

Er hatte keine Chance. Sein Zauberstab war irgendwo zwischen den Wurzeln verschwunden, er konnte kaum laufen und meilenweit war niemand, der ihm helfen würde. Das war es. Er war am Ende angekommen.

Und alles, was er in diesem Moment sehen konnte, war Hermione.
 

Sie kam zwischen den herabhängenden Ästen der Trauerweide hindurchgestolpert. Ihr Bauch war deutlich gerundet, die Schwangerschaft war also definitiv keine Erfindung. Sie wirkte blass und leicht verängstigt, aber sonst schien es ihr gut zu gehen. Ihr war nichts passiert und sie war am Leben. Das war die Hauptsache.

Er hoffte, sie würde glücklich werden.
 

Ihre Blicke kreuzten sich.

Draco sah das Entsetzen in ihren Augen, als sie erkannte, was hier gerade geschah. Ein resigniertes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Ja, das war es. Das Ende eines Malfoys. Er hatte es sich immer ehrenvoller vorgestellt. Dass er mitten in einer Schlacht sterben würde. Oder um jemanden zu retten, der ihm nahe stand. Aber nichts von alledem war hier der Fall.

Verdammtes Schicksal.
 

Er bekam kaum mit, dass er von einem grünen Lichtblitz getroffen wurde. Er merkte nur, wie seine Beine wieder einknickten und ihm schwarz vor Augen wurde.

Das letzte, was er hörte, war sein Name.
 

Danach... nichts.
 

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Nichts.

Das hörte Harry, als er in Malfoy Manor ankam. Es war, als wäre jede Bewegung, jeder Gegenstand, jedes Portrait, einfach alles erstarrt und in tiefer Trauer versunken.

Er fand es immer wieder faszinierend, dass magische Häuser so sehr die Stimmung ihrer Bewohner widerspiegelten. Man wusste immer sofort in welcher Stimmung die Hausherren gerade waren. War etwas Gutes passiert – war zum Beispiel ein Kind geboren oder stand eine Hochzeit an – schien alles mit Wärme erfüllt zu sein. Selbst die dunkelsten Ecken schienen an einem solchen Tag zu leuchten und man fühlte sich augenblicklich fröhlicher.
 

Heute war alles dunkel und still.

Abweisend.

Kalt.

Traurig.

Eine Überreaktion, seiner Meinung nach, aber trotz allem verständlich.
 

Darüber hinaus konnte man die Gegenwart des dunklen Lords spüren. Unterschwellig und abgeschwächt, aber nichtsdestotrotz gegenwärtig. Was hatte er wohl hier zu suchen? Der Familie sein Beileid bekunden? Sich entschuldigen? Oder sich einfach nur davon vergewissern, dass sie ihm jetzt nicht abtrünnig wurden? Harry tippte stark auf letzteres. Egoistischer Bastard.
 

Langsam setzte er sich in Bewegung und ignorierte dabei Dobby, der ihn aufgeregt begrüßen kam. Er wusste, wo er hin musste. Er wusste nur nicht, ob er diesen Weg wirklich gehen konnte.

Er lief zur Lounge. Die Tür war verschlossen und dahinter war nur Stille zu hören. Trotzdem wusste er, dass sie da waren. Er konnte es beinahe spüren. Jetzt musste er nur noch die Tür aufmachen und hinein gehen.

Eigentlich nicht schwer. Er hatte es schon tausendmal getan.

Trotzdem, heute konnte er es nicht.
 

//Du kannst immer noch umdrehen und verschwinden.//

Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit und noch dazu so einfach.

Einfach umdrehen und verschwinden.

Weglaufen.

Darin war er ja schon immer ein Experte gewesen.
 

Vor manchen Dingen konnte man aber nicht weglaufen, so sehr man es sich auch wünschte. Und so sehr er auch hoffte, dass er Draco sehen würde, wenn er diese Tür öffnen würde, wusste er, dass es nicht möglich war.

Draco war fort.

//Aber er lebt.//

Noch.
 

Harry atmete mit geschlossenen Augen noch einmal tief durch, dann drückte er doch noch die Türklinke herunter und spähte vorsichtig in den Raum. Zu sehen waren nur Narcissa und Bellatrix. Erstere verlieh ihrer Verzweiflung Ausdruck, indem sie schrecklich weinte und ihre Schwester jedes Mal von sich stieß, wenn diese versuchte, sie zu trösten. Harry konnte das verstehen.

Narcissa war gerade dabei, ihren Sohn zu verlieren. Da brauchte sie keinen Trost. Das einzige, was sie brauchte, war Draco, doch den würde sie nicht bekommen.
 

Für einen Moment betrachte er sie noch.. Er war nicht für Narcissa hier. Selbst wenn sie ihn persönlich anflehen würde, er würde sie nicht trösten. Er konnte es nicht. Plötzlich hob sie ihren Kopf und für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke.

Sie hätte nun vieles tun können. Seinen Namen rufen zum Beispiel. Oder ihn zu sich winken. Oder noch mehr weinen. Doch sie tat nichts davon. Sie starrte ihn einfach nur an. Und dadurch wusste er, dass sie verstand, dass sie wusste, was er tun musste und dass sie es akzeptierte.

Er hatte selten so stark spüren können, wie sehr er sie eigentlich liebte.
 

Ohne ein Wort zu verlieren, drehte er sich wieder um und ging weiter, auf der Suche nach Tom und Lucius. Irgendwo in diesem Haus mussten sie doch sein. Ehrlich gesagt hatte er gehofft, sie bereits in der Lounge aufzufinden. Das hätte ihm einiges erspart, vor allen Dingen das weitere Hinauszögern des Unvermeidlichen.
 

Er wollte es nicht tun.

//Aber du musst.//

Warum?

//Weil es die einzig richtige Entscheidung ist.//

Vielleicht auch nicht.

//Willst du etwa weitermachen wie bisher? Du bist der Tempus Amicus. Du hast Verantwortung. Weil du nichts getan hast, ist dein Bruder jetzt in der Gewalt der weißen Seiten. Du hättest es verhindern können.//

Nein, hätte er nicht. Er war zu schwach, zu unerfahren, zu verliebt gewesen.

//Bist du das nicht immer noch?//

Ja. Und genau deshalb wollte er es nicht tun. Es würde ihm das Herz brechen.

//Das wäre nicht das erste Mal.//
 

Das stimmte.

Ein Herz konnte aus vielen Gründen brechen.

Bei Harry war es das erste Mal gewesen, als seine Mutter ihn ein „Monster“ genannt hatte. Das zweite Mal als sie und sein Vater ihn zurückgelassen hatten. Das dritte Mal, als er Ginny hatte sterben sehen. Das vierte Mal, als Cedric von ihnen gegangen war. Das fünfte Mal, als seine Eltern und damit seine Erinnerungen daran wiedergekommen waren. Und schließlich das sechste Mal, als er Ronald dabei beobachtet hatte, wie er Toms Horkux zerstört hatte.

Dieses Mal, das siebte Mal, würde er sich selbst das Herz brechen.
 

Manchmal fragte er sich, ob seine Mutter nicht Recht gehabt hatte, als sie ihn als „Monster“ bezeichnet hatte. Wie konnte er nach allem, was passiert war, noch ein Herz besitzen?

//Immerhin hast du noch deine Seele. Ganz im Gegensatz zu jemand anderen.//

Kein Wunder, dass er sich so zu Tom hingezogen fühlte. Sie waren sich einfach zu ähnlich.
 

Seine Füße trugen ihn, ohne dass er wirklich bemerkt, wo er hinging und kurz darauf fand er sich tatsächlich im Garten wieder.

Es war ein wunderschöner Sommerabend. Die Schwüle des Tages ließ langsam etwas nach und über den nahen See konnte man die Insekten ihre Kreise ziehen sehen. Lucius stand unter den beiden Eichen, an denen zu dieser Jahreszeit immer eine Hängematte angebracht wurde. Früher hatten sich Harry und Draco immer darum gezankt, wer sich hineinlegen durfte. In der Regel hatte Draco gewonnen, aber Harry hatte dafür mit Narcissa im Schatten sitzen und ihr ein Buch vorlesen dürfen. Es war eine schöne Zeit gewesen.
 

Auch heute hing die Hängematte dort und schaukelte leicht hin und her, so als wäre sie erst vor wenigen Minuten verlassen worden. Kurz glaubte er sogar noch das Kinderlachen zu hören, das früher ein fester Bestandteil dieses Ortes gewesen war, doch diese Illusion verschwand rasch wieder. Das war nichts weiter als eine ferne Erinnerung an bessere Zeiten. Sie würden nicht wiederkommen, da half kein Wünschen und kein Flehen.

Wäre er doch nur niemals erwachsen geworden.
 

„Sie werden ihn töten.“

Lucius' Stimme war ruhig und gefasster, als Harrys es unter diesen Umständen erwartet hätte. Er schien sich mit der Wahrheit abgefunden zu haben und versuchte nun, irgendwie damit klar zu kommen. Bemerkenswert.

Harry trat neben ihn. „Vermutlich.“

Lucius schloss die Augen und nickte bedächtig. „Es ist meine Schuld“, bekannte er. „Ich hätte besser auf ihn aufpassen sollen. Ihn aus der ganzen Sache heraushalten sollen. Narcissa... sie hat mich immer dafür verurteilt. Ich habe immer gedacht, sie wäre zu beschützerisch, wir würden ihn zu sehr verwöhnen, aber sie hatte Recht... Draco hätte niemals in den Kreis der Todesser aufgenommen werden sollen.“
 

Und da waren sie, die berühmten Schuldgefühle. Setzte das nicht normalerweise erst ein, wenn die betreffende Person tot war?

„Draco ist dein Sohn, Lucius. Er ist ein Malfoy und nicht nur das, er ist auch ein Black. Er ist in zwei Familien hineingeboren, die dem dunklen Lord treu ergeben sind. Du hättest ihn nicht davor beschützen können, ein Todesser zu werden.“
 

Lucius öffnete seine Augen wieder und drehte sich zu ihm um. „Wie kommt es, dass du in den Menschen immer das Beste sehen kannst, Harry?“

„Das tue ich nicht. Das habe ich nie getan.“ Er lächelte leicht. „Ich bin viel besser darin, in jedem nur das Schlechte zu sehen. Aber diesmal bist nicht du Schuld. Draco hat diesen Weg gehen müssen und daran kann niemand von uns etwas ändern. Wir können nur die Zukunft ändern.“

„Und selbst das ist immer schwierig“, sagte Lucius leise. „Warum bist du hier?“
 

„Um dafür zu sorgen, dass du zu deiner Frau gehst“, entgegnete er. „Wie kannst du sie zu einer solchen Zeit mit Bellatrix allein lassen? Und mit Pansy? Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber sie wird sicher auch irgendwo hier herumschwirren und jedem erzählen, dass sie diejenige ist, die am meisten unter der ganzen Sache leidet.“

„Du hältst nicht viel von ihr.“

„Das habe ich noch nie getan.“

„Die Heirat war das Beste für die Familie.“

„Du meinst so, wie es das Beste war, einen Tempus Amicus aufzunehmen?“
 

Stille folgte seiner Aussage, was Antwort genug war.

Harry seufzte. „Du versuchst immer, das Richtige zu tun. Aber manchmal ist das, was richtig erscheint, der schlimmste Fehler, den man machen könnte. Ich weiß, dass du gehofft hast, dass mit Draco und Pansy dasselbe wie mit dir und Narcissa geschieht. Dass Draco sie lieben kann anstatt dem Mädchen, das nicht in die Familie passt. Aber Draco ist nicht wie du. Und Hermione ist nicht meine Mutter.“
 

Lucius wirkte ehrlich überrascht: „Du weißt es?“

„Natürlich“, meinte Harry Augen verdrehend. „Abraxas hat viel geredet, während er mir das Cellospielen beibrachte. Dabei hat er mir auch davon erzählt, wobei ich nicht verstehe, warum ihr sie alle so sehr liebt beziehungsweise geliebt habt... Severus, mein Vater und du.“
 

„Ich weiß. Für dich muss es tatsächlich sehr unverständlich sein“, sagte er leise. „Du hast deine Mutter nur als die grausame, herzlose Frau kennengelernt, zu der sie aus irgendeinen Grund geworden ist. Aber sie war nicht immer so. Früher, als wir noch in Hogwarts waren, waren sie, Narcissa und Severus beste Freunde. Das war der Hauptgrund, warum ich auf sie aufmerksam geworden bin. Sie hatte ein sehr einnehmendes Wesen... sie hat immer gelacht und war eine unverbesserliche Optimistin. Bei ihr fühlte man sich wohl... und man fühlte sich... freier.

Eigentlich habe ich niemals sie geliebt. Ich habe nur geliebt, dass sie in mir etwas sehen konnte, was ich selbst nicht sehen konnte: einen guten, liebenswerten Menschen.“ Er seufzte schwer. „Ich glaube, von uns allen hat Severus sie am meisten geliebt, obwohl er wahrscheinlich noch viel besser als ich weiß, warum du sie meidest. Für ihn hat es nie eine Rolle gespielt, ob sie lächelte oder weinte, ob sie gut gelaunt war oder schlecht, er wollte einfach nur bei ihr sein. Das ist auch der Grund, weshalb Narcissa sich so sehr mit Lily gestritten hat, als sie sich dazu entschloss, mit James auszugehen.“
 

„Weil sie wollte, dass sie mit Severus zusammenkommt?“

„Genau. Narcissa konnte nicht mehr mit ansehen, wie sehr er unter der ganzen Sache litt. Ich glaube, seine Gefühle zu ihr haben sie schon immer sehr gerührt, aber letztendlich war sie doch froh, dass sie sich für James entschieden hat.“

Harry runzelte verwirrt die Stirn. „Und warum?“

„Weil du so geboren werden konntest natürlich.“ Lucius sah ihn ernst an. „Narcissa liebt dich sehr, wir beide tun es. Du bist unser zweiter Sohn, selbst wenn wir nicht deine biologischen Eltern sind. Deshalb bitte, egal was immer du vor hast, bring dich nicht unnötig in Gefahr. Es genügt, dass wir vielleicht Draco für immer verloren haben. Geh du nicht auch noch weg.“
 

Lucius klopfte ihm auf die Schulter, ehe er langsam in Richtung Haus davonging. Harry vermutete, dass er sich auf den Weg zu Narcissa machte. Oder aber er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, um in Selbstmitleid zu versinken. Was auch immer sein Ziel war, sobald er im Haus verschwunden war, trat Tom zwischen den Bäumen hervor.

„Rührend“, kommentierte er das Vater-Sohn-Gespräch. Natürlich hatte er mitgehört. Wie hätte es auch anders sein können. Mistkerl. „Ich wusste nicht, dass Lucius eine solch sentimentale Ader hat.“
 

„Es gibt vieles, was du nicht weißt“, konterte Harry und wandte sich zu ihm um. Hatte er erwartet, in Toms Gesicht Reue zu sehen? Mitgefühl? Verständnis? Eigentlich nicht. Allerdings hatte er auch nicht erwartet überhaupt nichts zu sehen. Es war fast so, als wäre ihm völlig egal, was mit Draco passierte. Wahrscheinlich war es das sogar. Oder er wollte seine Gefühle momentan einfach nur lieber verstecken.

//Jaja, rede dir nur alles schön.//

Und wieder einmal könnte er seinen Verstand am liebsten verprügeln.

//Sei froh, dass er gerade den herzlosen Mistkerl spielt. Das macht alles einfacher.//

Er wollte aber nicht, dass es einfacher wurde.
 

„Warum bist du hier, Tom?“, fragte er. „Solltest du nicht lieber eine Rettungsaktion planen? Einer deiner Todesser befindet sich in Gefangenschaft und soll öffentlich hingerichtet werden. Das ist eine eindeutige Provokation der weißen Seite. Kannst du das in deiner Position als dunkler Lord wirklich auf dir sitzen lassen?“

Es hatte in allen Zeitungen gestanden. Harry war nicht ganz klar, was genau die weiße Seite damit beabsichtigte, ausgerechnet Draco vor aller Augen zu töten. Eigentlich wäre das mehr der Stil der dunklen Seite gewesen. Rache für die Opfer. Vergeltung. Sühne. Hass.

Stand weiß nicht für Vergebung? Liebe? Freundschaft?

//So ist es noch nie gewesen. Die weiße Seite war schon immer konservativ und voller Vorurteile. Es ist nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie damit beginnt, vollkommen böse zu werden.//

Jetzt war es offensichtlich soweit.

Harry war sich ziemlich sicher, dass es auf Ronalds Mist gewachsen war.
 

Tom ließ sich von Harrys Worten nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen lehnte er sich an die nächste Buche, verschränkte lässig die Arme und betrachtete ihn. „Ich bin hier, weil ich einer trauernden Familie, die mir immer treu gedient hat, mein Beileid bekunden möchte. Dracos Tod wird ein schwerer Verlust sein.“

„Noch kannst du ihn verhindern. Stell dich ihnen entgegen, Tom. Hol ihn da raus. Du kannst das.“

„Um in eine Falle von Dumbledores lächerlichen Phönixorden zu laufen? Sicher nicht.“
 

Harry ballte seine Hände zu Fäusten und zwang sich, ihn nicht zu schlagen. Wie konnte er es wagen? Wie konnte er allen Ernstes so vor ihm stehen und tun, als ob nichts weltbewegendes passiert wäre?

//Ganz einfach, weil es für ihn nicht weltbewegend ist.//
 

Harry schüttelte mit dem Kopf und wandte sich von ihm ab, verschränkte dabei ebenfalls die Arme. „Manchmal frage ich mich, ob du wirklich so herzlos bist oder nur so tust.“

„Die aktuelle Situation hat nichts mit Herzlosigkeit zu tun, sondern mit reinem Menschenverstand. Wenn Draco besser...“

„Mein Bruder trägt daran keine Schuld“, unterbrach Harry ihn, wobei er sich weiterhin von ihm abwandte. Er hatte Angst, etwas zu tun, was er hinterher bereuen würde, wenn er ihn ansah. „Er hat nur getan, was er glaubte tun zu müssen, um seine Familie zufrieden zu stellen.“
 

„Falsch. Er wollte sich an demjenigen rächen, der ihm seine kleine Schlammblutfreundin weggenommen hat“, berichtigte Tom ihn ungerührt. „Er hätte seine Rache bekommen können, doch er hat versagt. Jetzt muss er dafür bezahlen.“

Nun drehte er sich doch zu ihm. „Du hast es mir versprochen.“

Irgendetwas in seinem Gesicht schien Tom zu rühren, denn er löste seine Arme aus seiner Verschränkung und trat einen Schritt auf Harry zu. „Harry...“
 

„Du hast es mir versprochen, Tom“, wiederholte er und sah ihn fest an. „Du hast mir versprochen, dass meinem Bruder nichts passieren würde.“

„Ihm wäre nichts passiert, wenn er bei den anderen geblieben wäre. Ich kann nichts dafür, wenn er...“

„Darum geht es nicht“, sagte er und spürte plötzlich Resignation in sich aufsteigen. Das alles hatte doch keinen Sinn. „Es geht nicht darum, was Draco getan oder nicht getan hat. Es geht auch nicht um den Angriff. Es geht um uns.“
 

Tom sah ihn für einen Augenblick mit undefinierbarem Gesichtsausdruck an, ehe er sich wieder an den Baum lehnte und erneut seine Arme verschränkte. Verwunderlich, dass er diese Position überhaupt verlassen hatte. „Ah, jetzt kommt also dieses Gespräch. Ich hatte mich schon gefragt, wie lange es noch dauern würde.“
 

Dieses Gespräch?“, wiederholte Harry mit gehobenen Brauen.

„Das Gespräch bei dem du mir alles an den Kopf werfen wirst, was dir nicht an mir gefällt. In dem du mich beschimpfen, beschuldigen und beleidigen wirst. Und zum Schluss wirst du sagen, dass es aus ist und du dich der weißen Seite anschließen wirst. Aber eines hast du vergessen.“ Tom sah ihn mit kalten Augen an. „Ich lasse dich nicht mehr gehen.“
 

Harry schüttelte seufzend mit dem Kopf. „Du irrst dich. Darauf will ich überhaupt nicht hinaus. Es hätte sowieso keinen Sinn.“

Tom würde ohnehin nicht zuhören. Selbst bei einem sachlichen Gespräch wäre Tom viel zu stur, um auch nur flüchtig in Betracht zu ziehen, dass er falsch liegen könnte. Deshalb gab es nur eines, was er ihm sagen konnte, wenn er zu ihm durchdringen wollte. Nur eine einzige Sache.
 

„Worauf willst du dann hinaus?“, fragte Tom stirnrunzelnd.

Harry betrachtete ihn, ließ seinen Blick über sein Gesicht und schließlich über seinen ganzen Körper gleiten, ehe er ihm direkt in die Augen sah.
 

„Ich liebe dich.“
 

Es waren Worte, die er ihm schon lange hätte sagen können, bereits damals bevor er Ronald Toms Tagebuch gebracht hatte. Allerdings hatte er sie ihm nie gesagt, da er immer Angst gehabt hatte, dadurch die Kontrolle zu verlieren. Tom hätte seine Gefühle benutzt, um ihn zu manipulieren. Heute würde jedoch Harry sie benutzen, um Tom zu manipulieren.
 

Bisher funktionierte es ziemlich gut, denn er starrte ihn sprachlos an. „Was?“

„Ich liebe dich“, wiederholte Harry sanft. Vorsichtig ging er auf ihn zu, bis sie nur noch wenige Zentimeter trennten. Er musste ihm nahe genug sein, um Tom beeinflussen zu können, aber nicht so nahe, dass er selbst nicht mehr denken konnte. Das hier durfte keine „Ich liebe dich für immer und ewig, lass uns heiraten“-Liebeserklärung werden. Er musste ruhig bleiben. Rational. Und gelassen genug, um sich selbst in Stücke zu reißen.

„Ich liebe dich so sehr, dass ich dich am liebsten bei der Hand nehmen und irgendwohin gehen würde, wo uns niemand kennt. Wo es keine Rolle spielt, wer wir sind und wir einfach gemeinsam leben können. Wenn das möglich wäre, würde ich sofort alles hier hinter mir lassen und mit dir gehen.“
 

Tom betrachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. „Tat... sächlich?“

„Ja“, sagte Harry leise und legte seine Hand auf seinen Arm. Dabei behielt er weiterhin den Blickkontakt aufrecht. Er musste dafür sorgen, dass Tom seine Gefühle sehen konnte. Er wollte, dass er ihm glaubte und das er endlich wusste, wie es sich anfühlte, von einem Menschen geliebt zu werden. Harry war klar, dass er bisher nur wenig Liebe bekommen hatte. Irgendwie machte das die ganze Angelegenheit noch grausamer.
 

„Das Problem ist nur, ich kann dir nicht vertrauen.“

Langsam senkte er seinen Kopf und lehnte seinen Kopf an Toms Brust. Dabei suchte er mit seinen Sinnen nach Toms Magiefluss. Als Tempus Amicus würde es für ihn ein leichtes sein, diesen zu verlangsamen. Wobei es bei jemandem mit Toms Kaliber um einiges schwieriger war, als bei den unzähligen Testpersonen, die er in Frankreich gehabt hatte. Gut also, dass er ihn mit seinen Worten ablenken konnte. Und dass er ihm bisher noch nie gezeigt hatte, was er eigentlich konnte.
 

Er spürte, wie sich Toms Arme sanft um seinen Körper schlangen und schloss die Augen. Es tat so gut. Zu gut.

„Es wäre so einfach mich einfach in dir zu verlieren und dir blind zu folgen, so wie es die meisten deiner Anhänger tun“, fuhr er leise fort. „Dir jedes Wort zu glauben und das Denken ganz sein zu lassen. Aber das geht nicht. So ein Mensch bin ich nicht und so einen Menschen würdest du auch niemals an deiner Seite akzeptieren.“
 

„Was hast du nun also vor?“, fragte Tom leise. Es war schwer, aus seiner Stimme schlau zu werden. Er war gut darin, seine Gefühle zu verbergen. Aber da Harry momentan nebenbei direkt auf seine Magie zugriff, konnte er spüren, dass seine Worte etwas in ihm berührten – und ihn überaus verwirrten. Tom hatte nicht mit so etwas gerechnet und war dementsprechend abgelenkt. Perfekt.

Vorsichtig begann er, die Magie zu seinen Gunsten zu manipulieren. Er wollte die Chance haben, von hier zu entkommen und dafür würde er ihn einfrieren lassen müssen. Nicht für ewig... dafür waren seine Fähigkeiten ohnehin noch zu schwach, aber zumindest lange genug, damit er verschwinden konnte.
 

War er wieder einmal ein Feigling? Oh ja.

Er würde sich wahrscheinlich nie ändern.
 

„Ich kann dir nicht vertrauen. Ich werde jeden deiner Schritte hinterfragen und in allem, was du sagst, eine tiefere Bedeutung suchen. Und wenn ich dir widerspreche... wirst du mir vielleicht zuerst zustimmen, aber hinter meinem Rücken doch tun, was immer dir gefällt. So geht das nicht.“ Er löste sich aus seiner Umarmung, ließ seine Hand aber weiterhin an seinem Arm. „Außerdem wirst du bald meinen Bruder auf den Gewissen haben. Du warst es, der ihn dorthin geschickt hat. Und du bist es, der ihn im Stich lässt und ihn sterben lassen will. Ich kann nicht bei dir bleiben.“
 

Er hob seinen Blick und sah, dass Tom seinen Mund öffnen wollte, um etwas zu sagen. Jedoch erkannte er im selben Augenblick, dass er keinen Muskel mehr bewegen konnte. In einer anderen Situation wäre der Ausdruck, der jetzt in seine Augen trat, lustig gewesen. Momentan brachte es seine Entscheidung wieder einmal zum Schwanken.
 

//Du tust das Richtige.//

Tat er das wirklich?
 

Er trat einen Schritt zurück und löste dabei endlich seine Hand von ihm.

„Du darfst mich gerne umbringen, wenn du willst“, sagte er leise.

Er machte einen weiteren Schritt rückwärts.

„Aber ich habe meine Entscheidung getroffen.“

Noch ein Schritt.

„Leb wohl.“
 

In dem Moment, in dem er die Wut in den roten Augen auflodern sah, drehte er sich um und rannte.
 

Und das Schicksal ging wieder einmal in Führung.
 

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Dieses Kapitel hatte einen Wendepunkt, der vielen nicht gefallen wird.... und der eigentlich auch zum Teil nicht rational zu erklären ist. Warum Harry so entschieden hat, wird bald noch genauer erklärt. Deshalb... seid geduldig.

Ich wünsche euch schon einmal frohe Ostern. ;)

Liebe Grüße, Ayako

Talking

Ähm ja, ich bin etwas spät dran mit dem Update... dafür sind es aber auch zehn Seiten meines Schreibprogramms, also möchte ich keine Beschwerde darüber lesen, ja? *g*

Vielen Dank an alle, die mir zum letzten Kapitel ein Review hinterlassen haben. Es bedeutet mir wirklich viel. <3

Und natürlich – wie immer – Danke an meine Beta für ihre gute Arbeit. *knuff*

Liebste Grüße, eure Ayako

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Talking
 

Plötzlich war da Wasser. Kaltes, nein, eisiges Wasser.

Direkt in seinem Gesicht. Über Mund und Augen und Nase. Beziehungsweise in seiner Nase. Und damit direkt in seiner Lunge.

Was sollte der Mist? Wollte da jemand, dass er erstickte?!
 

Prustend und blinzelnd erwachte Draco Malfoy aus seiner langen Ohnmacht und sah sich um. Er war in einem Kerker – wie überaus stilvoll – und seine Beine waren an schweren Eisenketten befestigt, die man nicht so einfach zerstören konnte. Es gab kein Fenster, nur eine stabile Tür, die momentan verschlossen war. Er selbst befand sich in einer sitzenden Position, direkt an die Wand gelehnt und unter seinen Händen spürte er Stroh. Hätten sie ihn nicht gleich in den Schweinestall sperren können?
 

Er hatte Kopfschmerzen.

Seine unzähligen Schnittwunden brannten wie Feuer – man hatte sie also nicht geheilt – und ihm war leicht schummrig zu Mute. Aber er lebte, das war momentan die Hauptsache.

Nur, was hatten sie mit ihm vor?
 

„Fertig mit der Analyse?“

Eine Frauenstimme. Er hatte sie noch nie gehört, trotzdem hatte er das Gefühl, sie kennen zu müssen. Langsam ließ er seinen Blick wandern. Zu ihren Füßen, die in hochhackigen, schwarzen Schuhen steckten. Über ihre langen, dünnen Beine, die unter einem einfachen Rock verschwanden. Weiter nach oben über ihren Umhang, den sie zwischen Hüfte und Dekolleté geschlossen hatten. Über das rote Haar, das in leichten Wellen ihr hübsches Gesicht umrahmte. Und schließlich die Augen. Harrys grüne Augen.
 

Draco hatte immer gedacht, dass Severus, seine Eltern und alle anderen übertreiben würden, wenn sie sagten, sie sei wunderschön, aber jetzt, wo er sie sah, konnte er erkennen, dass sie all die Jahre untertrieben hatten. Wobei es eine andere Schönheit als bei Narcissa oder Felice war. Die beiden hatten eine natürliche Eleganz und eine einzigartige Ausstrahlung, die sie für alle Männer zu einem besonderen Hingucker machten. Ihre Schönheit rührte vor allem daher, wie sie sich bewegten oder wie sie ihre natürlichen Reize einsetzte. Es war eine Schönheit, die man manipulieren musste, damit sie ihr volles Potential erreichen konnte.
 

Lily Potters Schönheit dagegen war einfach da.

Sie musste nur dastehen und nichts tun, um alle Männer in ihrem Umkreis zum schweigen zu bringen. Wahrscheinlich würde sie selbst in zwanzig Jahren noch gut aussehen. Wie machte sie das nur?

An einer guten Seele konnte es nicht liegen. Sie hatte Harry immerhin im Stich gelassen und dieser mied sie seitdem. Draco wusste zwar, dass sein Bruder ab und an übertreiben konnte, aber er ging niemals einem Menschen grundlos aus dem Weg. Was immer diese Frau ihm angetan hatte, musste also herzlos gewesen sein.
 

Warum war sie nun bei ihm?

Aus dem ausgestreckten Zauberstab, den sie in der Hand hielt, schloss er, dass sie es gewesen war, die ihn so unsanft geweckt hatte. Höchst wahrscheinlich hatte sie dafür einen bestimmten Grund.

Er war gerne bereit, ihn herauszufinden. Etwas anderes blieb ihm ohnehin nicht übrig. Überhaupt, müsste er nicht längst schon tot sein? Er war Ronald ausgeliefert gewesen... und er erinnerte sich daran, einen grünen Lichtblitz auf sich zugeflogen gesehen zu haben. Wobei er nicht so genau darauf geachtet hatte. Ihn hatte eher Hermione interessiert.

Hermione....
 

„Was ist mit Hermione?“

Er hatte sie aus dem Wald stolpern sehen. Sie schien unverletzt gewesen zu sein, aber andererseits konnte er da nicht sicher sein. Außerdem meinte er sich daran zu erinnern, dass sie seinen Namen geschrien hatte, als er zusammengebrochen war. Wobei das natürlich auch Einbildung gewesen sein hätte können. Doch wenn nicht... dann hatte Ronald das sicher nicht einfach übergangen.

Draco wollte sich gar nicht ausmalen, was dieses Schwein ihr während der letzten Jahre alles angetan hatte.
 

Lily hob eine Augenbraue. „Es ist also tatsächlich wahr?“, fragte sie überrascht. „Du bist es, den sie eigentlich liebt? Ich hätte vieles erwartet, aber das überrascht mich nun doch etwas... andererseits erklärt das, warum Ronald so empfindlich ist, wenn man den Namen Malfoy in seiner Gegenwart erwähnt.“

Dracos Augen verengten sich. „Beantworten Sie meine Frage!“

Kopfschüttelnd ließ sie ihren Zauberstab sinken. „Du scheinst nicht zu wissen, in was für einer Position du dich befindest, Draco. Du bist in Kriegsgefangenschaft.“
 

„Tatsächlich? Auf die Idee wäre ich jetzt überhaupt nicht gekommen.“ Harry war eben nicht der einzige, der sarkastisch sein konnte. „Was ist mit Hermione?“

„Sie lebt, wenn du das meinst“, sagte sie. „Und sie ist in Ordnung. Ronald ist direkt mit ihr hierher appariert.“

„Wo bin ich?“

„In Hogwarts natürlich. Wo sonst gibt es heutzutage noch solche Kerkerzellen? Die Häuser mancher Reinblüter einmal ausgenommen, versteht sich.“

Dracos Augen verengten sich. „Das sind Vorurteile. In unserem Haus gibt es keine Kerker.“

„Oder dein Vater hat sie dir einfach noch nie gezeigt. Eigentlich unfair, findest du nicht auch?“

„Was wollen Sie?“
 

Er hatte keine Lust auf Provokationen oder irgendwelche Spielchen. Er wusste, dass er gefangen war und dass es keinen Weg geben würde, zu entkommen. Warum auch immer er noch lebte, er hatte es sicher nicht dem dunklen Lord zu verdanken. Eher irgendeiner kranken Idee von Ronald Weasley. Oder gar Albus Dumbledore.

Hätte Ronald ihn nicht einfach umbringen können?
 

Lily seufzte und ließ ein Tablett auf ihn zu schweben. Darauf befand sich eine dampfende Schüssel, ein Stück Brot und ein Trinkbecher. Von seinem Platz aus roch es verdächtig nach Kartoffelsuppe. Wollten die ihn allen ernstes durchfüttern?

„Du musst am verhungern sein“, sagte Lily freundlich. „Iss. Wenn du mich lässt, sehe ich mir danach auch deine Wunden an.“
 

Draco spähte misstrauisch zwischen ihr und dem Tablett, das inzwischen direkt vor ihm gelandet war, hin und her. „Was sagt mir, dass es nicht vergiftet ist?“

„Nichts“, meinte sie. „Aber es macht keinen Sinn, dich zu vergiften. Du sollst eine andere Rolle in diesem lächerlichen Spiel spielen.“

Lächerliches Spiel? Einen Krieg auf ein Spiel zu reduzieren war Dracos Meinung nach ziemlich gewagt. Aber ihm konnte es egal sein. Mit einem letzten Blick auf die Frau, griff er vorsichtig nach dem Löffel, der neben der Schüssel lag und begann zu essen. Seine Hand zitterte und bei seinen Bewegungen begannen ein paar Wunden wieder zu bluten, doch das kümmerte ihn nicht. Er hatte Hunger. Großen Hunger. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Er wusste es nicht.

Wie lange war er eigentlich schon hier?
 

Nebensächlich. Essen war um einiges wichtiger.

Hatte er jemals etwas leckeres als diese Kartoffelsuppe gegessen? Und das Brot.... gut, es war trocken und sicher bereits mehrere Tage alt, aber dadurch nicht weniger köstlich. Natürlich wusste er, dass in der Nahrung nach wie vor ein bestimmtes Gift enthalten sein könnte. Oder eine Droge. Oder Veritaserum. Es war ihm egal. Seine Loyalität zum dunklen Lord war ihm momentan wenig wert und sein Leben war ohnehin verwirkt. Da konnte er davor wenigstens noch ein gutes Essen genießen.
 

Während er alles in sich hinein schlang, setzte Lily sich mit etwas Abstand vor ihm hin und wartete geduldig, bis er fertig war. Sie unternahm keinen Versuch, mit ihm zu sprechen und er war ihr dankbar dafür. Er wollte nichts hören. Er wollte nicht denken. Und erst recht nicht wollte er sie sympathisch finden.
 

Schließlich hatte er alles geleert, woraufhin er sich wieder an die Wand zurückfallen ließ und sie erwartungsvoll ansah. „Also? Was ist nun diese Rolle, von der Sie gesprochen haben?“

Lily seufzte. „Du sollst öffentlich hingerichtet werden. Gemeinsam mit ein paar anderen Gefangenen, die wir machen konnten. Damit will unsere Seite offenbar zeigen, dass sie nach wie vor nicht aufgibt und ein paar Erfolge zu verzeichnen hat... tut mir Leid.“

Es tat ihr Leid?

„Was tut Ihnen Leid?“, fragte er. „Dass Sie mich hier sehen? Dass ich bald sterben werde? Dass Sie mich nicht retten können? Oder dass Sie denen dabei helfen, meinem Leben ein Ende zu bereiten?“ Er sah sie mit ausdrucksloser Miene an. „Wenn es so ist, können Sie sich Ihr Mitgefühl sonst wohin stecken. Ich brauche es nicht.“
 

„Narcissa hat offenbar vergessen, dir Manieren beizubringen“, kommentiere Lily trocken. Er war froh, dass sie so reagierte und nicht mit noch mehr Mitgefühl. Es war leichter, mit jemandem umzugehen, den er hassen konnte und er beschloss, genau das mit Lily Potter zu tun. Er würde sie hassen und verachten.

Trotz allem brauchte er ihre Hilfe. Dass sie hier war, bedeutete, dass sie dafür eingeteilt worden war, um ihn zu versorgen. Ihr Zuspruch könnte überlebenswichtig werden. Wobei er ohnehin nicht mehr lange leben würde.

//Trotzdem, solange es noch einen Funken Hoffnung gibt, solltest du ihn ergreifen.//

Verdammt, warum bereiteten sie einen nie auf so etwas in der Schule vor?
 

„Warum tun Sie das?“, fragte er leise. „Warum helfen Sie mir? Sie könnten mich einfach verrecken lassen. Das ist doch sowieso das, was sie mit mir vorhaben. Oder tun Sie das nur, weil man Sie dazu beauftragt hat?“

„Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wem ich helfe“, entgegnete sie beinahe abweisend und für einen Moment konnte er Harry in ihr sehen. „Und ich tue es auch nicht für dich. Bilde dir bloss nichts ein, Junge.“
 

Junge?! Die Frau nannte ihn einen Jungen?! Was fiel ihr ein?! Er war ein Malfoy! Er war verheiratet! Er war erwachsen!

„Und warum tun Sie es dann?“, fauchte er verärgert. Er wollte ihr noch mehr entgegen schleudern, doch seine nächsten Worte blieben ihm im Halse stecken, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Hatte er tatsächlich einen Nerv getroffen? Es hatte ganz den Anschein.
 

„Ich tue es, weil du der Sohn deiner Mutter bist“, sagte sie mit betont beherrschter Stimme, während sie das Tablett mit dem leeren Geschirr verschwinden ließ. „Der Frau, die meinen Sohn großgezogen hat.“

Ihre Miene wurde wieder ausdruckslos und sie deutete auf seine Wunden. „Darf ich sie mir ansehen? Sie sehen wirklich nicht gut aus und ich bezweifle, dass du hier drin an einer Blutvergiftung sterben willst.“

„Als ob es einen Unterschied macht, ob ich hier sterbe oder da oben“, entgegnete er sarkastisch. Es war einfacher, so mit ihr umzugehen. Ihre Worte verwirrten ihn. Was hatte seine Mutter damit zu tun? Und Harry? Versuchte sie damit, eine Schuld abzuzahlen? Oder ging es hier um etwas anderes?
 

„Es macht einen Unterschied“, reagierte Lily derweile auf seine Frage und holte ungefragt Verbandszeug aus ihren Taschen hervor. „Wenn du nach oben kommst, kannst du vielleicht deine Hermione wiedersehen.“

Dem konnte er nicht widersprechen und so ließ er es zu, dass sie ihn schließlich doch noch untersuchte und versorgte.
 

Sie hatte Recht. Er konnte nicht hier unten sterben. Nicht, solange es auch nur den Hauch einer Chance gab, sie noch ein einziges Mal wiederzusehen. Und wenn es zum Zeitpunkt seines Todes sein sollte.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Lunas Visionen wurden von Tag zu Tag unerträglicher.

Menschen starben. Blut floss. Verderben kam über die Welt. Alles endete im Chaos.

Das Schicksal zeigte sich wieder einmal von seiner besonders sadistischen Seite und anstatt wie sonst einzugreifen, hatte die Zeit sich auf seine Seite geschlagen.
 

Felice schloss gequält die Augen und versuchte die Bilder zu verdrängen, die Luna nun schon seit mehreren Tagen verfolgten. Die Seherin lag zusammengerollt auf Felices Bett und hatte einen alten Teddybären umklammert, während stumme Tränen über ihre Wangen liefen.

Es gab viele Menschen, die alles dafür gegeben hätten, ihre Gabe zu besitzen. Sie sahen darin nur einen Vorteil, da sie die „Zukunft“ sehen konnten. Dabei wussten sie nicht, dass es nicht die Zukunft war, die Luna sah. Es waren die sich stetig ändernden Schicksalsfäden, die alles durchzogen und die Menschen miteinander verbanden. Felice verstand nicht ganz, wie ihre Freundin in der Lage war, sie wahrzunehmen. Sie wusste nur, dass sie es konnte. Und dass es sie innerlich zerstörte.
 

Vorsichtig hob Felice ihre Hand und legte sie gegen die Fensterscheibe, die sich direkt vor ihr befand. Draußen, in London, fiel der Regen unaufhaltsam auf den Boden herab und tauchte die Welt in ein deprimierendes Grau. In der Ferne konnte sie sogar den ein oder anderen Blitz erkennen. Aufgrund des Unwetters waren die Straßen wie leergefegt und selbst in den Häusern herrschte Dunkelheit, so als würde sich die ganze Welt vor dem Gewitter zu verstecken.
 

Felice fand diese Atmosphäre beruhigend. Umso weniger Menschen sich bewegten, umso weniger Gedanken musste sie ausblenden und umso einfacher war es, gegen Lunas Gefühlschaos anzukämpfen. Sie wollte den Schmerz ihrer Freundin nicht teilen. Sie wollte die Zukunft nicht sehen. Nicht diese Zukunft.
 

Sie beugte sich vor und lehnte ihre Stirn gegen das Fenster, genoss das Gefühl des kalten Glases auf ihrer glühenden Haut. Sie hatte wieder Fieber, so wie jeden Tag in letzter Zeit. Ein kleiner Teil in ihr – der egoistische Teil – würde Luna am liebsten aus ihrem Zimmer schmeißen, damit sie sich in ihr Bett legen und für den Rest des Tages schlafen konnte, doch sie wusste, dass es keinen Sinn hatte. Um diese Krankheit zu heilen, brauchte es mehr als ein paar Stunden Schlaf. Aus diesem Grund ließ sie ihre Freundin, wo sie war und wartete. Wartete darauf, dass endlich etwas geschah.
 

Im Flur hörte sie ein Appariergeräusch und kurz darauf kamen Schritte auf das Zimmer zu. Felice seufzte und stellte sich wieder aufrecht hin, den Blick weiterhin nach draußen gerichtet. In Wahrheit betrachtete sie das Zimmer, das sich in der der Scheibe spiegelte. Dadurch konnte sie dabei zusehen, wie Regulus den Raum betrat und innehielt, als er die Szene in sich aufnahm.

„Immer noch keine Besserung?“, fragte er leise. Eine überflüssige Frage. Selbst, wenn man kein Empath war, konnte man das Offensichtliche erkennen: dass Luna alles andere als fit war. Wahrscheinlich wollte er nur höflich sein. Oder das Schweigen brechen. Oder eine Reaktion hervorrufen.

Er bekam keine.
 

Felice verweilte stumm am Fenster und starrte nach draußen. Es fiel ihr mit jedem Tag schwerer, mit ihm umzugehen. Sie wusste, dass er sie liebte. Er ließ es sie bei jedem Zusammentreffen spüren, mit jeder Geste, mit jedem Wort und mit seinen eigenen Gefühlen.
 

Sie wünschte sich, er würde sie hassen.
 

Seufzend ging Regulus auf sie zu, ehe er von hinten seine Arme um sie schlang und sie festhielt. „Du wirkst sorgenvoll“, hauchte er ihr ins Ohr, und drückte einen Kuss auf ihr Haar. „Das passt nicht zu dir.“

Sie lehnte sich in seine Umarmung und erlaubte es sich, seine Nähe und Wärme für einen Augenblick zu genießen. Sie liebte seine Nähe. Seinen Geruch. Sein ganzes Wesen. Und doch ließ sie es nie zu, dass mehr aus ihnen wurde. Manchmal war es ihr unverständlich, wie er es weiterhin mit ihr aushalten konnte.

„Wie könnte ich nicht sorgenvoll sein, bei allem, was in letzter Zeit geschieht?“, fragte sie leise. „Der Tempus Amicus macht einen Fehler.“
 

„Wie kann er einen Fehler machen? Er ist der Tempus Amicus.“

„Das macht ihn nicht vollkommen“, sagte sie sanft. „Er macht einen Fehler. Er hätte sich nicht von Tom abwenden dürfen.“ Sie begegnete in der Fensterscheibe seinem Blick. „Sieh dir doch Luna an... sie sieht die Zukunft. Eine falsche Zukunft. Harry sollte uns den Frieden bringen, aber...“

„Luna sieht, was das Schicksal für uns vorgesehen hat“, widersprach er bestimmt. „Harry wird verhindern, dass es passiert. Immerhin ist er...“

„Eine Spielfigur der Zeit?“ Felice schüttelte mit dem Kopf. „Das ist er schon lange nicht mehr.“

Regulus runzelte die Stirn. „Du redest wirr, Liebes. Wird dein Fieber wieder schlimmer? Du solltest dich hinlegen und ausruhen.“
 

Natürlich. Wenn man etwas nicht verstand oder wahrhaben wollte, schob man es auf eine Krankheit. Typisch.

Dabei verstand Regulus nicht, dass er vollkommen falsch lag. Ein Tempus Amicus kam niemals von sich selbst aus auf die Idee, Frieden zu stiften. Das war ein Irrtum, dem die ganze Welt unterlag und den sowohl Harry als auch Albus Dumbledore, der letzte Tempus Amicus, zu entkräften wussten.

Das einzige, was sie taten, war, dem Rat ihrer Mira zu folgen, die wiederum alles tat, was im Sinne der Zeit lag. Dass dadurch oft Frieden entstand, war einzig und allein der sadistischen Natur des Schicksals geschuldet. Es liebte Tod, Verderben und Leid, weshalb es ihm eine große Freude bereitete, diese Dinge auf die Welt zu bringen. Und da die Zeit immer bestrebt war, dem Schicksal einen Strich durch die Rechnung zu machen, war sie automatisch bestrebt, Frieden und Harmonie zu stiften.
 

Eigentlich müsste dies auch jetzt wieder der Fall sein. Luna sah immerhin, was das Schicksal plante: Dass Harry sich gegen Tom wandte und mit Hilfe der weißen Seite einen erbarmungslosen Krieg gegen ihn und seine Todesser führte.

Mit einer richtigen Mira, die ihre Arbeit gewissenhaft erledigte, würde dies nie passieren. Problematisch war nur, dass Ginevra ihre eigenen Pläne verfolgte. Sie wollte Harry für sich, für sich ganz allein und sah deshalb jeden, der ihn von ihr entfernte, als natürlichen Feind an. Vor allen anderen traf natürlich Tom auf diese Beschreibung zu, doch auch Felice und Luna und seine ganze Familie waren alles andere als willkommen.
 

Sie wollte ihn isolieren.

Sie wollte, dass er allein da stand und nur noch sie hatte, als einzige Person, an die er sich wenden konnte.

Und das dumme war: sie hatte Erfolg.

Felice verstand nicht, wie sie es geschafft hatte, Harry zu manipulieren, aber er spielte ihr momentan direkt in die Hände. Wieso erkannte er es nicht?
 

//Weil sie zu viel Macht hat.//

Eine Mira war keine stille Beobachterin. Sie konnte selbst in das Zeitgeschehen eingreifen, wenn sie glaubte, dass der Tempus Amicus keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefern konnte. Doch was Ginevra tat, hatte nichts mit dem zu tun, was sie tun musste. Es war, was sie tun wollte.

Sie wurde Felice von Tag zu Tag unsympathischer.
 

Regulus, der nichts von ihrem inneren Monolog mitbekam – dafür waren ihre Okklumentikfähigkeiten zu gut geworden – packte sanft ihre Schultern und drehte sie zu sich um, um sie mit seinen großen, sorgenvollen Augen anzusehen. „Ich habe dich erneut verärgert“, interpretierte er ihr Schweigen. „Es tut mir Leid.“

„Es muss dir nicht Leid tun“, sagte sie leise und hob ihren Arm, um seine Wange zu tätscheln. „Du bist wunderbar. Du bist ein wunderbarer Mensch. Ich habe dich überhaupt nicht verdient.“
 

Sofort wurden sein Blick sanft und er schmiegte sich gegen ihre Berührung. „Du hast mich verdient, mehr als jede Andere.“ //Ich liebe dich.//

Er sagte es nicht, aber sein Gedanke genügte. Keine Worte hätten ausdrücken können, was er fühlte. Seine Gefühle waren viel greifbarer, viel verständlicher. Sie hätte weinen können.

Glücklicherweise drehte sich in der Wohnungstür ein Schlüssel, bevor sie dazu gezwungen wurde, ihm zu antworten. Manchmal hatte Harry – denn er war es, der gerade nach Hause kam – ein perfektes Timing.
 

Regulus' Gesicht verdüsterte sich, als er ihn wiederkommen fühlte. Er war alles andere als begeistert, ausgerechnet jetzt unterbrochen zu werden, da er nach wie vor darauf hoffte, dass sie ihm irgendwann seine stumme Frage beantworten würde. Ob sie eine gemeinsame Zukunft hatten.

Wenn es nach ihr ginge, würde er niemals eine Antwort erhalten.
 

Deshalb schlüpfte sie unter seinen Armen hervor und ging zur Tür, wo sie sich an den Rahmen lehnte, ihre Arme verschränkte und dabei zusah, wie Harry mit seinen Schnürsenkeln kämpfte. Wären seine Gedanken nicht so aufgewühlt gewesen, hätte sie ihn nun darauf hingewiesen, dass er sie auch mit Magie öffnen konnte. So blieb sie allerdings nur still stehen und sah ihm zu. Da er sie schon längst bemerkt hatte, machte sie sich nicht einmal die Mühe, auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Harry würde sie ansprechen, sobald er bereit dazu war.
 

„Ich weiß“, sagte er schließlich schlecht gelaunt. „Du hast es mir ja gesagt. Es war sinnlos, zu Albus zu gehen und ihn darum zu bitten, Draco da rauszuholen.“

Natürlich hatte sie Recht gehabt. Albus hatte schon lange keine Macht mehr über seinen albernen Phönixorden. Ronald Weasley und Moody waren die neuen Anführer gewesen und jetzt, da Moody weg war, war nur noch der Weasley da. Plus Neville Longbottom. Doch der zählte ihrer Meinung nach nicht.
 

Harry wusste das eigentlich auch. Er hatte es trotzdem versuchen müssen. Er hätte es sich nie verziehen, wenn er nicht wenigstens das getan hätte. Schon rührend, wie sehr er seinen Bruder schätzte.

Obwohl er gewusst hatte, wie seine Unterredung mit Dumbledore ausgehen würde, hinterließ es in ihm doch ein Gefühl der Resignation. Er hatte gehofft, alles friedlich lösen zu können, dass er nicht bemerkt hatte, dass er damit alleine gegen das Schicksal ankämpfte. Selbst die Zeit schien Dracos Tod für notwendig zu halten. Oder es war Ginevra, die das tat.

Beruhigend, dass Harry noch in der Lage war, sich gegen ihre Entscheidungen zu stellen. Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät, ihn wieder zur Vernunft zu bringen.
 

Apropos, das war ein guter Moment um sein verhasstes Thema anzusprechen: „Tom hat wieder eine Lilie geschickt.“

Als Harry sich von ihm „getrennt“ hatte, hatte keiner von ihnen gewusst, wie der Dunkle Lord darauf reagieren würde. Sie hatten mit allen möglichen Reaktionen gerechnet, von Nichts über einen Tobsuchtanfall bis hin zu Todesdrohungen. Den Tobsuchtsanfall hatte es sicher gegeben, doch Harry hatte von ihm nur Lilien bekommen. Jeden Tag eine, immer um siebzehn Uhr. Gebracht wurde sie von einer weißen Taube, die nur die Blume ablieferte und dann sofort wieder davonflog. Dabei war es wirklich nur eine Lilie. Kein Brief. Keine Karte. Nur die Lilie.

Sie wussten trotzdem alle, dass sie von Tom kam. Harry vermutet sogar, dass er sie jeden Tag von dem Beet abschnitt, das er extra für Harry angelegt hatte.
 

Es war ein stummer Countdown, der anhalten würde, bis auf dem Beet keine Lilien mehr da sein würden, da waren sie sich einig. Tom gab Harry Zeit, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken und zu ihm zurückzukehren. Was passieren würde, sobald es keine Lilie mehr gab, wollte Felice sich gar nicht erst ausmalen.
 

Harry hob bei ihren Worten seinen Kopf und sah sie mit ausdrucksloser Miene an. „Natürlich hat er das“, zischte er. „Er kann einfach nicht einsehen, wenn er verloren hat. Er will mich zurückhaben, weil es an seinem Stolz kratzt, dass ich mich einfach von ihm abgewandt habe.“ //Er will mich benutzen.//

Felice seufzte schwer und trat ganz in den Flur, wobei sie die Zimmertür hinter sich zuzog. Zwar würde Regulus auch so jedes Wort mitbekommen, wenn er lauschen wollte, aber wenigstens gab es ihnen optisch etwas Privatsphäre.
 

Langsam hockte sich Felice direkt vor Harry hin und sah ihn sanft an. „Er vermisst dich. Und er braucht dich. Nicht für diesen Krieg, sondern für sich selbst. Du bist der einzige Mensch auf dieser Welt, der ihm etwas bedeutet.“

Sofort verschloss er sich vor ihr, denn er wollte es nicht hören. Er wollte nicht an seiner Entscheidung zweifeln. Beziehungsweise Ginevra wollte es nicht. Ob Harry merkte, was für einen Einfluss seine Mira auf ihn hatte? Vermutlich nicht. Er würde ihr wahrscheinlich auch nicht glauben, wenn sie ihn darauf hinweisen würde.
 

„Lass uns nicht über dieses Thema sprechen“, sagte Harry und richtete sich wieder auf. Dabei schlüpfte er aus seinen Schuhen und kickte sie achtlos durch den Raum. „Ich muss meinen Bruder retten. Und dafür sorgen, dass es Luna wieder besser geht...“

Natürlich hatte auch Harry ihren Zustand bemerkt, aber er wusste nicht, dass es seine Entscheidung gewesen war, die ihn verursacht hatte. Dabei war es offensichtlich, immerhin war sie in diesem Zustand, seitdem er sich dazu entschlossen hatte, sich von Tom abzuwenden. Felice vermutete, dass er wusste, dass er Schuld war, es aber nicht wahrhaben wollte. Verständlicherweise. Niemand wollte für das Leiden einer Freundin verantwortlich sein.
 

„Und wie willst du ihn retten ohne Toms Hilfe?“, fragte Felice und blickte durch müde Augen zu ihm auf, immerhin hockte sie nach wie vor auf dem Boden. „Du brauchst ihn. Du brauchst seine Armee.“

„Ich brauche ihn nicht“, entgegnete er sofort trotzig. Eine Lüge, wie sie beide wussten. „Ich finde einen Weg. Es muss doch auch ohne ihn gehen.“

„Nicht, wenn du dem Schicksal folgst. Es möchte, dass Draco stirbt.“ Sie stand doch wieder auf und sah ihn ernst an. „Du kannst ihn nicht retten, wenn du so weitermachst wie bisher.“

Harry erwiderte ihren Blick ebenso ernst, doch sie konnte auch eine leichte Wut in ihm spüren. Nicht weiter verwunderlich, niemand würde gerne hören, dass der eigene Bruder – egal ob leiblich oder nicht – verloren war. Besonders nicht, wenn man wie Harry so verzweifelt um ihn kämpfte.

Nicht, dass Felice sich wünschte, dass der Malfoy starb, aber vielleicht wäre es tatsächlich besser, ihn aufzugeben.
 

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, fragte Harry provozierend.

Es war eine alberne Frage, die er eigentlich nicht stellen müsste. Er kannte die Antwort doch. Oder hatte sie einmal gekannt.

Manchmal erkannte sie ihn nicht wieder.

„Ich bin auf deiner Seite, Harry“, sagte sie erschöpft. Sie war es leid, mit ihm zu streiten. Sie war das alles leid. „Ich werde immer auf deiner Seite sein, egal welchen Weg du wählst. Und genau das ist der Grund, warum ich dir das sage, was du nicht hören willst. Es tut mir Leid, wenn ich dich damit verletze.“
 

Seine erste Reaktion war Wut. Die empfand er in letzter Zeit öfter.

Wut auf Tom. Wut auf die weiße Seite. Wut auf Draco. Wut auf die ganze Welt. Wut auf sich.

Ganz anders als der Harry, den sie kannte. Ihr Harry war immer gelassen, ließ sich nicht provozieren und versuchte anderen zu helfen. Ihr Harry dachte nach, bevor er etwas tat.

Dieser Harry ließ sich von seinen Gefühlen leiten.
 

Felice vermutete, dass er das tat, weil er nicht nachdenken wollte. Denn wenn er nachdachte, würde er erkennen, dass er falsch lag und dass er einen Fehler machte. Und dann würde er nicht wissen, was er tun sollte.

Er würde sich hilflos fühlen.

Felice wusste, dass er es hasste, sich hilflos zu fühlen.
 

Anstatt seine Wut jedoch an ihr rauszulassen, beruhigte er sich langsam wieder. Übrig blieb nichts, als müde Resignation. „Es muss dir nicht Leid tun. Mir tut es Leid. Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist.“

„Doch, du weißt es“, widersprach sie ihm sanft.

Es war wegen Tom. Letztendlich führte alles in seinem Leben immer wieder auf Tom hinaus. Egal, in welcher Realität sie lebten, egal, ob sie Todfeinde, Familie, Freunde oder ein Paar waren, ihre Schicksale waren für alle Ewigkeiten miteinander verknüpft.

Eine Tatsache, über die Harry sich sehr wohl im Klaren war.
 

„Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte er und klang dabei so erschöpft, wie sie sich fühlte. „Ich kann nicht zu ihm zurück. Es würde immer nur auf dasselbe hinauslaufen.“

„Du hast ihm nie eine Chance dazu gegeben, etwas zu ändern“, bemerkte sie und schloss für einen Moment die Augen. Ihre Kopfschmerzen kamen zurück, offenbar brauchte sie ein paar Stunden Schlaf. Nun, der konnte warten, bis sie dieses Gespräch beendet hatten. „Du hast ihn immer auf Abstand gehalten und er hat es stillschweigend akzeptiert und gewartet, bis du von selbst zu ihm zurückkommst. Du weißt, wie besitzergreifend er ist. Dass er das für dich getan hat, zeigt...“

„...wie sehr er mich liebt?“, beendete Harry ihren Satz mit einem zweifelnden Tonfall. „Er will mich nur besitzen, mich und meine Macht“, das letzte Wort triefte geradezu von Sarkasmus. „Ich glaube nicht, dass er jemanden lieben kann.“
 

„Vielleicht hast du Recht“, entgegnete sie sanft. Es hatte ohnehin keinen Sinn, darüber zu streiten. Er hatte seine Meinung über dieses Thema gebildet und würde sie sich von niemanden ausreden lassen. „Aber das alles ist keine Antwort darauf, wie du Draco helfen kannst.“

Womit sie zum eigentlichen Thema zurückkamen.
 

Draco zu retten war aus ihrer Sicht ein aussichtsloses Unterfangen. Tom und die Todesser würden nicht helfen. Albus hatte keine Macht mehr. Ronald würde nie und nimmer mit sich reden lassen. Vielleicht würde Dracos Familie mithelfen, aber Harry würde sie nie und nimmer in Gefahr bringen wollen. Und alleine würden sie auch nicht viel ausrichten können.

Ja, Draco war erledigt. Schon schade irgendwie, aber mit etwas Glück hatte er seine Frau bereits geschwängert, dann würde die Familie Malfoy immerhin nicht mit ihm untergehen.
 

Hinter ihr öffnete sich plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer. Langsam öffnete Felice ihre Augen wieder und drehte sich um, um zu sehen, wer sich dazu entschlossen hatte, sich in ihr Gespräch einzumischen. Da sie sich gerade vollkommen auf Harry konzentriert hatte, hatte sie alle anderen aus ihrem Bewusstsein verdrängt – etwas, das ihr früher viel leichter gefallen war, als heute, aber immer noch funktionierte. Deshalb war sie milde überrascht, als sie Luna im Türrahmen stehen sah.
 

Sie zitterte, ganz offensichtlich machte es ihr Mühe, aufrecht zu stehen. Tatsächlich stand Regulus nur einen Schritt hinter ihr und hatte schon einmal vorsorglich die Arme ausgestreckt, um sie zur Not aufzufangen. Wie lange sie wohl gebraucht hatte, um vom Bett an diesen Platz zu kommen?

Ihr Gesicht war aschfahl, das Haar hing schlaff an ihrem Kopf herab, sie wirkte alles andere als gesund. Am schlimmsten waren ihre Augen, die in Harrys Richtung blickten, aber doch nichts zu sehen schienen. Ihre Pupillen waren verschwunden, nur weiße Augäpfel starrten aus dunklen Höhlen hervor. Eine einzelne Träne löste sich daraus und rann langsam an ihrer Wange herab.

Ein sehr beängstigendes Bild. Ob die Orakel im alten Griechenland auch so ausgesehen hatten?
 

Langsam hob Luna ihre Hand und zeigte mit einem Finger auf Harry. „Niemand kann retten, was zum Tode verdammt ist“, sagte sie mit leiser, aber klarer Stimme. „Nur eine Mutter.“

Im nächsten Augenblick erschlaffte ihr Körper und sie brach in sich zusammen. Kurz, bevor sie auf dem Boden aufkam, fing Regulus sie auf und verhinderte damit, dass sie sich verletzte. Kaum hatte er sich davon überzeugt, dass es ihr gut ging – so gut, wie es einer Seherin nach einer Vision gehen konnte – blickte er fragend zu Felice und Harry auf. „Was bedeutet das?“
 

„Ganz einfach“, antwortete Felice. „Es bedeutet, dass wir eine Mutter brauchen, wenn wir Draco retten wollen.“ Sie drehte sich wieder zu Harry um, der sie mit ausdrucksloser Miene ansah. „Und ich habe das Gefühl, dass es nicht Narcissa ist, die sie meinte.“

Harry schwieg. Seine Gedanken gaben ihr jedoch Recht. Es war nicht Dracos Mutter, die ihn retten sollte. Es war jemand anderes. Und Harry gefiel das überhaupt nicht.
 

Das versprach recht interessant zu werden.
 

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Das erste Mal seit Beginn ihrer Schwangerschaft war Hermione davon überzeugt, dass Ronald sie schlagen würde. Wütend genug wirkte er zumindest, als er vor ihr durch den leeren Klassenraum schritt. Nachdem das Hauptquartier des Phönixordens vollständig zerstört worden war, hatten sich die überlebenden Mitglieder nach Hogwarts zurückgezogen, um dort ihre Wunden zu lecken und sich eine neue Strategie zurecht zu legen, wie man ab sofort vorgehen sollte. Sie hatten durch den Angriff der Todesser einige Verluste erlitten, darunter einige ihrer ehemaligen Mitschüler, zum Beispiel Cho Chang, sowie Alastor Moody, der gemeinsam mit Ronald bisher die Führung übernommen hatte.
 

Gerade Moodys Tod war für sie alle ein großer Verlust. Mit ihm hatten sie einen ihrer stärksten Kämpfer und besten Denker verloren. Gepaart mit den anderen Todesfällen war dadurch eine unbezwingbare Wut auf der weißen Seite entstanden, die nun durch einen anderen Tod besänftigt werden sollte: Dracos Tod.

Allein der Gedanke daran, ihn sterben zu sehen, war zu schrecklich, als dass sie ihn aushalten könnte.

Die letzten Jahren waren bereits schlimm genug gewesen, aber wenigstens hatte sie gewusst, dass irgendwo da draußen Draco lebte, gesund war, glücklich wurde, heiratete, eine Familie bekam, einfach atmete.
 

Wäre es ihr lieber gewesen, dabei an seiner Seite zu stehen? Ja, natürlich. Sie hätte beinahe alles dafür getan, an seiner Seite zu stehen. Seine Frau zu werden. Mit ihm gemeinsam eine Familie zu gründen. Doch Draco hatte sich gegen sie entschieden und anstatt um ihn zu kämpfen, hatte sie die erstbeste Hand ergriffen, die ihr ein Leben bieten würde, in dem sie nicht alleine sein würde.

Sie war so erbärmlich.
 

Und das Problem war, dass auch Ronald das nun begriffen hatte.

Mit einer schwungvollen Bewegung wirbelte er herum und sah sie finster, beinahe anklagend an. „Du hast seinen Namen gerufen.“
 

Eigentlich war es unnötig, das auszusprechen. Hermione wusste es. Ronald wusste es. Und auch Draco wusste es. Sie hatte ohne nachzudenken den Namen des Malfoys gerufen. Eine Reflexhandlung für die sie im Grunde nichts konnte und die trotzdem aussagte, was ihr ganzes Sein ausmachte: Es gab nur einen Menschen, um dessen Wohlergehen sie sich sorgte – von ihrem ungeborenen Kind einmal abgesehen – und das war nicht der Mann vor ihr, egal, wie sehr dieser es sich auch wünschen mochte.
 

Sie hatte sich oft gewünscht, es zu können. Niemand hatte es ihrer Meinung nach mehr verdient, von jemanden geliebt zu werden, als dieser ungeliebte Junge vor ihr, der viel zu früh erwachsen geworden war. Bedauerlicherweise war sie nicht in der Lage, ihm zu geben, was er brauchte und dafür würde sie jetzt bezahlen. Deshalb legte sie ihre Hände schützend auf ihrem Bauch und sah ihn abwartend an. Sie konnte so oder so nichts mehr an dieser Situation ändern. Dafür war es jetzt zu spät.
 

„Ich hätte alles für dich getan“, zischte Ronald und lief weiter, umkreiste sie nun, ohne sie auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen. „Ich habe dafür gesorgt, dass du ein Dach über den Kopf hast, ich habe dir alles gegeben, was du wolltest“, Nahrung, Kleider, sogar Bücher. Mit dem, was er beim Orden verdient hatte – auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie er da etwas verdient hatte – war er ihr gegenüber sehr großzügig umgegangen.
 

„Ich habe sogar dieses Balg akzeptiert, von dem wir beide wissen, dass es nicht mein Kind ist.“ Das war es tatsächlich nicht. Ronald hätte sie niemals so an sich heranlassen können, obwohl dieser es mehr als einmal versucht hatte. Man konnte ihm viel nachsagen, aber er war kein Vergewaltiger.

„Ich hätte es mit dir großgezogen und es wie mein eigenes Kind behandelt! Ich hätte dir und ihm Sicherheit gegeben! Und dann rufst du in einem solchen Moment den Namen meines größten Feindes?!“
 

Das schlimmste an seinen Worten war, dass er Recht hatte. Er hatte ihr so viel gegeben, so viel verziehen, war so gut zu ihr gewesen und als Dank gab sie ihm nichts zurück. Er hatte jeden Grund, wütend zu sein. Trotzdem konnte sie das nicht einfach so auf sich sitzen lassen.

„Draco soll dein größter Feind sein?“, fragte sie stur. „Ich dachte, das wäre der dunkle Lord und alles, wofür er steht.“

„Meine Feindschaft zu ihm begründet sich aus meiner Ideologie und meinen politischen Überzeugungen. Meine Feindschaft zu Draco Malfoy ist etwas persönliches. Darum ist er mein größter Feind und als meine Lebensgefährtin, sollte er auch der deinige sein.“
 

Merlin, an seine Theatralik würde sie sich nie gewöhnen.

„Was hast du erwartet?“, fragte sie und starrte stur geradeaus, wobei sie ihn immer noch aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Er stand nun rechts neben ihr, das Gesicht ihr zugewandt. Mit hungrigen, beinahe besessenen Augen starrte er sie an. Nicht mehr lange und er würde sich selbst vergessen. Sie hoffte, dass bis dahin irgendjemand hier vorbeikommen würde.

Bis dahin musste sie ihn irgendwie hinhalten. Dumm nur, dass sie selbst zu aufgewühlt war, um überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, ihn beruhigen zu wollen: „Du weißt ganz genau, was ich für ihn empfinde“, fuhr sie fort. „Du hast es immer gewusst. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht.“
 

„Er hat dich weggeworfen!“

„Das ist mir egal.“

„Er hat eine Andere geheiratet!“

„Das spielt keine Rolle.“

„Er liebt dich nicht!“

„Das stimmt nicht.“
 

Dracos Trennung von ihr hatte sie damals wie einen Schlag getroffen. Sie hatte nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollte, geschweige denn, wie es weitergehen sollte. Für kurze Zeit hatte sie tatsächlich geglaubt, er habe nur mit ihr gespielt. Allerdings hatte sie sehr bald bemerkt, dass dies nicht der Fall gewesen war. In Hogwarts hatte sie ihn jeden Tag beobachtet, hatte wie auch Harry damals bemerkt, dass es ihm mit jedem Tag schlechter ging.

Und dann... vor sechs Monaten...

Aber daran wollte sie nicht denken. Nicht jetzt. Nicht, wenn Ronald bei ihr war.
 

Dieser holte mit einem Mal ohne Vorwarnung aus und verpasste ihr eine Ohrfeige. Dabei hatte er soviel Schwung, dass sie ihren Halt verlor und einige Schritte zurück stolperte, während ihr das Blut ins Gesicht schoss und sich ein unangenehmer Schmerz meldete. Das würde ein blauer Fleck werden.

Normalerweise vermied Ronald es, sie an Stellen zu verletzen, die für alle sichtbar waren. Dass er es heute doch tat, zeigte, wie sehr er neben sich stand.

Mist, sie musste ihn irgendwie wieder aufwecken, ansonsten wusste sie nicht, was passieren würde.
 

Ängstlich blickte sie auf und bemerkte, dass er sich ihr langsam, aber zielstrebig näherte, die Hand zu einer bedrohlichen Faust geballt. Dieses Mal würde er auf ihren Bauch treffen und damit ihr Baby! Nein, das durfte und konnte sie nicht zulassen! Nur was sollte sie tun? Ihren Zauberstab zücken und dadurch riskieren, dass er damit begann, sie mit Magie zu quälen? Oder sich auf ihn werfen und solange küssen, bis Leidenschaft seine Wut ablöste? Da ließ sie sich doch lieber verprügeln.
 

Als er nur noch einen Meter von ihr entfernt war, rief sie das Erste, was ihr in den Kopf kam: „Tu das nicht! Du schadest dem Kind!“

Er schnaubte. „Was kümmert mich, was daraus wird? Es ist ja nicht einmal meines!“

„Mag sein!“, fuhr sie verzweifelt fort. „Aber deine Schwester will, dass ich es beschütze.“
 

Sie war davon überzeugt, dass diese Worte keine Wirkung haben würden. Dass er sie auslachen oder für verrückt erklären würde. Stattdessen schien innerhalb einer Sekunde jegliche Wut von ihm abzufallen und er sah sie einfach nur entgeistert an. „Meine Schwester?“, hauchte er und ließ seine Arme schlaff an seinen Körper hinab fallen. „Du hast Ginny getroffen?“

Er hielt das tatsächlich für möglich?!

Anstatt sich ihre Verwirrung anmerken zu lassen, nickte sie eifrig. „Sie hat gesagt, dass dieses Kind leben muss! Dass ich es unter allen Umständen beschützen soll! Deshalb, bitte, hör auf.“
 

Er starrte sie wortlos an, ehe er sich umdrehte und einfach ging.

Sobald seine Schritte in der Ferne verklungen waren, sank sie erschöpft auf die Knie und brach in Tränen aus. Wie sollte das jetzt nur alles weitergehen?

Diesmal hatte sie Ronald aufhalten können, aber es würde gewiss nicht immer klappen. Und was sollte sie tun, wenn Draco tot war? Wie sollte sie in einer Welt leben können, in der er nicht mehr existierte?
 

So als hätte es ihre Gedanken gehört, trat in diesem Augenblick ihr Kind von innen gegen ihren Bauch und sofort wusste sie, dass es an der Zeit war, mit dem Selbstmitleid aufzuhören und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Eilig wischte sie sich mit einer Hand die Tränen weg, ehe sie aufstand und sich langsam auf dem Weg zur nächsten Toilette machte, um den Schaden begutachten zu können, den Ronald angerichtet hatte.
 

Sie hatte sich die letzten Jahre immer nur treiben lassen und hatte alles genommen, wie es kam. Diesmal würde sie allerdings diejenige sein, die etwas veränderte. Sie würde eine Möglichkeit finden, Draco zu retten. Sie würde ihn da herausholen und dann dafür sorgen, dass er sich von seiner ekelhaften Frau scheiden ließ. Und dann würde sie gemeinsam mit ihm glücklich werden und dieses Kind groß ziehen.

Ja, das würde sie tun!
 

Allerdings hat sie absolut keine Ahnung wie.

A Cup Of Hot Chocolate

Hallihallo!
 

An dieser Stelle möchte ich mich wie immer bei allen Lesern bedanken und vor allen Dingen bei jenen, die mir nach wie vor Reviews hinterlassen.
 

Mehrere von euch haben mich darauf hingewiesen, dass diese FF einen etwas traurigeren Ton anzunehmen scheint. Denjenigen von euch, die das überrascht hat, möchte ich empfehlen, noch einmal einen Blick auf das Genre dieser FF zu werfen. Dort werdet ihr nämlich das Wort „Tragödie“ oder „Darkfic“ entdecken und wir steuern zurzeit auf den Part zu, für den diese Einordnung zutrifft.

Diejenigen von euch, die sich jetzt daran erinnern, dass Tragödien oft ein tragisches Ende haben, möchte ich an dieser Stelle beruhigen: Ich habe – trotz gegenteiliger Gerüchte – nicht vor, diese FF tragisch enden zu lassen. Ich habe nur immer die Möglichkeit offen gelassen, dass es eventuell kein Happy End geben könnte.

Und das dürft ihr jetzt auslegen, wie immer ihr wollt.
 

Zuletzt noch ein großes Dankeschön an Robino, ohne deren gute Arbeit als meine Beta diese FF nur halb so gut wäre! *sie knuddel*

Doch jetzt genug mit den Vorreden, ich wünsche euch viel Vergnügen mit dem neuen Kapitel!

Liebe Grüße, eure Ayako

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A Cup Of Hot Chocolate
 

Slytherin Manor – 1946
 

Tom war inzwischen zwanzig Jahre alt.

Er hatte seinen Schulabschluss mit Bestleistungen bestanden, war der Erbe der alten, ehrwürdigen Familie Slytherin, beherrschte Magie, von der die meisten Menschen noch nicht einmal etwas ahnten und er hatte den mächtigsten Dunklen Lord aller Zeiten aus seiner Gefängniszelle herausgeholt.

Man konnte also ohne zu lügen behaupten, dass er in seinem kurzen Leben bereits mehr vollbracht hatte, als jeder andere Zwanzigjährige.

Trotz allem fühlte er weder das Gefühl der Erleichterung, auf das er gehofft hatte, noch Triumph. Da war nichts als Resignation. Und Schuld daran war nur einer.
 

Wie so oft in den letzten Tagen blieb er an der Tür zu dem kleinen Salon stehen, den Gellert als seinen Rückzugsort gewählt hatte. Es war zugegebenermaßen ein schöner Ort. Große Fenster gaben den Blick auf den Garten frei, ein alter Kamin spendete Licht und Wärme und eine gemütliche Sitzecke gab jedem, der dort verweilte, einen Platz zur Erholung. Hier war es ruhig und friedlich. Hier konnte man sich zurückziehen.

Etwas, das überhaupt nicht zu diesem Mann passte.
 

Gellerts Krieg gegen Europa war vorbei.

In einem legendären Kampf zwischen Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald war letzterer besiegt worden. Danach hatte man ihn – anstatt ihn zu töten – nach Nurmengard geschickt, ein Zauberergefängis, in dem er bis zum Ende seines Lebens hätte bleiben sollen.

Tom hatte das aber nicht zulassen können. Er hatte einige seiner engsten Freunde, sowie Gellerts loyale Anhänger zusammengetrommelt. Mit ihnen war er in der Lage gewesen, den Mann zu befreien, doch dieser war ihm alles andere als dankbar.
 

„Du hättest mich nicht befreien dürfen“, sagte er wieder einmal mit leiser Stimme.

Vorwürfe. Seit Wochen nichts als Vorwürfe. Hätte er das vorher gewusst, hätte er ihn in seiner Zelle verrotten lassen.

//Nein, das hättest du nicht. Dafür...//

...war Gellert zu sehr sein Mentor, sein Freund und in einer unbestimmten Art und Weise sein Vater.

Er hätte niemals tatenlos zusehen können. Trotzdem... war ein einfaches „Danke“ denn wirklich zu viel verlangt?
 

„Ich habe es aber getan“, entgegnete Tom leise. „Ich habe dich rausgeholt. Ich habe es für dich getan.“

„Es war mein Schicksal, dort bis zum Ende meines Lebens zu bleiben“, erklärte Gellert ruhig. Er saß mit dem Rücken zu ihm, aufrecht und gerade. Wann hatte er ihn das letzte Mal angesehen? Tom wusste es nicht.

„Du hättest dich da nicht einmischen dürfen...“
 

„Ich hätte mich nicht einmischen dürfen?“, wiederholte Tom. Mit fünf schnellen Schritten war er direkt vor Gellert und packte seine Schultern, beugte sich zu ihm vor und sah ihm direkt in die Augen, in diese schrecklichen, müden, allwissenden, wunderschönen grünen Augen. Wie sehr er sie doch hasste.
 

„Seit wann interessierst du dich für das Schicksal? Warst du es nicht, der mir immer gesagt hat, dass es falsch ist, ihm zu folgen? Dass wir dagegen ankämpfen sollen?“ Er verfestigte seinen Griff auf Gellerts Schultern, worauf dieser tatsächlich für einen Augenblick sein Gesicht verzog. „Du machst dir doch keine Sorgen wegen dem Schicksal. Dir geht es nur um ihn.“ Das letzte Wort sprach er beinahe hasserfüllt aus.

Er verstand es nicht. Er würde es niemals verstehen.

„Wie konntest du aufgeben? Wie konntest du dich von ihm besiegen lassen? Du bist mächtiger als Dumbledore! Du hättest ihn vernichten können! Aber stattdessen... stattdessen hast du dich einsperren lassen und er ist noch am Leben! Wieso, Gellert? Wieso?“
 

Die grünen Augen erwiderten seinen Blick ernst, während er spürte, dass Gellert seine Oberarme mit seinen Händen umschloss. „Es tut mir Leid, Tom“, sagte er mit ruhiger, müder Stimme. „Es tut mir Leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Aber selbst ein Dunkler Lord ist machtlos gegenüber der stärksten aller Kräfte.“
 

Tom schnaubte abfällig und riss sich von ihm los. „Redest du von Liebe? Diesem elenden Gefühl, das selbst den weisesten Mann zu einem Dummkopf machen kann?“

Nein, er hielt nicht viel von Liebe. Liebe war sinnlos und nur da, um den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Da Tom ohnehin niemals Kinder haben wollte, konnte ihm dieses Gefühl egal sein. Es brachte ohnehin nichts als Ärger. Dass er Gellert gerettet hatte, war der beste Beweis dafür. Er hätte ihn in Nurmengard lassen sollen, dann hätte er selbst der Anführer seiner kleinen Armee werden können. Stattdessen hatte er sich jedoch ausgerechnet von seinen Gefühlen leiten lassen. Er war erbärmlich.
 

Zu seiner Überraschung begann Gellert nachsichtig zu lächeln, als er Toms Schlussfolgerung hörte. „Ich rede nicht von der Liebe, Tom. Ich rede von der Zeit.“

Die Zeit? „Nicht schon wieder“, murmelte Tom genervt und wandte ihm den Rücken zu. Langsam lief er zum Fenster, wo er stehen blieb und in den Garten hinaus spähte, der um diese Uhrzeit in Dunkelheit gehüllt war.
 

Gellert sprach seit Tom denken konnte immer und immer und immer wieder von der Zeit, sowie von dem Spiel, das sie mit dem Schicksal begonnen haben sollte. Er persönlich hielt das für den größten Schwachsinn überhaupt, doch Gellert schien tatsächlich daran zu glauben.

Deshalb war er nicht überrascht, als er seine nächsten Worte hörte: „Albus hat als Tempus Amicus eine große Macht, die du nicht unterschätzen darfst, Tom. Er weiß am besten, was das Schicksal vorgesehen hat und wie man dagegen angehen kann. Das ist der Grund, weshalb ich im Gefängnis gelandet bin. Es war ein Schicksal, das erfüllt werden musste, damit in Zukunft alles anders werden kann.“
 

„Ich kann dich gerne wieder zurück nach Nurmengard bringen, wenn es dir dann besser geht“, sagte Tom abweisend. Vielleicht verhielt er sich kindisch, aber verdammt, er war wirklich wütend auf den Mann.

Warum schmiss er wegen Albus Dumbledore alles hin? Was war an diesem Zitronenbrausebonbon fressenden Menschen so besonderes, dass er Gellert dazu bringen konnte, aufzugeben? Nur weil er so ein komischer Tempus was auch immer sein sollte?

Das konnte doch alles nicht wahr sein.
 

Hinter sich hörte er seinen Mentor seufzen. „Irgendwann wirst du es verstehen, Tom“, sagte er leise. „In vielen Jahren wirst du vor dem Tempus Amicus stehen, der dir bestimmt worden ist und dann wirst du es sein, der dieselbe Entscheidung wie ich trifft.“
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Slytherin Manor – Gegenwart
 

„Nein“, sagte Tom leise. „Ich kann es immer noch nicht verstehen.“

Er stand vor Gellerts Grab und starrte auf die verwitterte Inschrift:
 

Gellert Grindelwald

1883-1967

Jedes Ende ist der Anfang einer neuen Geschichte.
 

Dass sein genaues Geburtsdatum nicht angegeben war, war Gellerts persönlicher Wunsch gewesen und was das Todesdatum anbelangte, so war es Tom gewesen, der nicht jedes Mal, wenn er hier stand, an jenen Tag erinnert werden wollte. Und doch wusste er genau, was für ein Tag es gewesen war, als einer der Menschen, die wirklich etwas in ihm bewegt hatten, für immer von ihm gegangen war.
 

Das Zitat wiederum hätte dem Mann sicher gefallen. Nachdem Tom ihn aus Nurmengard befreit hatte, hatte er sich immer mehr der Unterhaltungsliteratur der Zauberer und der Muggel zugewandt und hunderte von Büchern geradezu verschlungen. Tom hatte diese Faszination für diese Art von Büchern nie ganz nachvollziehen können.
 

Überhaupt gab es viele Dinge in Gellerts Leben, die er nie verstanden hatte, angefangen bei der Tatsache, dass er sich Tom angenommen hatte, über seine Besessenheit mit Albus bis zu seinem Verhalten nach Nurmengard. Umso mehr er von dem Mann kennengelernt hatte, umso weniger hatte er von ihm gewusst. Wahrscheinlich waren sie zu verschieden gewesen oder es lag daran, dass Gellert niemanden an sich herangelassen hatte.
 

Solange sie nur Schüler und Lehrer gewesen waren, war ihre Beziehung unkompliziert gewesen. Sie hatten eine klare Rollenverteilung gehabt und waren in der Lage gewesen, damit umzugehen und zu leben. Doch in dem Moment als der Schüler seinen Lehrer aus dem Gefängnis geholt hatte, waren sie plötzlich gleichberechtigt geworden und dadurch hatte sich alles geändert.
 

Mit einem Mal war Tom in der Lage gewesen, an seinem großen allwissenden Lehrmeister zu zweifeln. Er hatte erkannt, dass Gellert auch nur ein Mensch war. Eine fehlerhafte, unvollkommene Existenz.

Nicht einmal Lebenserfahrung und Weisheit konnten ihn davor schützen, Dummheiten zu begehen und Toms Meinung nach war seine größte Dummheit seine Liebe zu Albus Dumbledore gewesen. Allerdings war er inzwischen in der Lage, zumindest diese zu verstehen.
 

Albus war für Gellert gewesen, was Harry für Tom war, das war ihm nun vollkommen klar. Und Harry war berauschend.

Es war ihm ein Rätsel, wie irgendein Mensch in der Lage sein sollte, sich ihm zu entziehen. Natürlich lag das nur daran, dass er ein Tempus Amicus war und damit unbewusst die Magie seiner Mitmenschen verstärkte oder schwächte, je nachdem, in welcher Beziehung er zu ihnen stand. Gut, in den letzten Jahren hatte er vielleicht gelernt, seine Fähigkeiten etwas zu kontrollieren, aber das änderte nichts daran, dass Tom sich niemals so gut, so mächtig fühlte, als in jenen Augenblicken, in denen er Harry an seiner Seite wusste.

Solange er ihn hatte, würde er jeden Krieg gewinnen können und genau deshalb war er äußerst unglücklich darüber, dass sein kleiner Tempus Amicus momentan nichts besseres zu tun hatte, als sich immer mehr von ihm zu entfernen.
 

Gellert würde ihm in dieser Situation sicher raten, klein beizugeben und Harry auf den Knien anzuflehen, zu ihm zurückzukommen. Eine Option, die ihm selbst nicht einmal im Traum einfallen würde.

Harry gehörte ihm. Da waren sie sich beide einig gewesen. Er hatte ihn bereits einmal gehen gelassen, ein zweites Mal würde er es nicht zulassen.

Tatsächlich hätte er ihn schon längst zurück geholt – und diesmal irgendwo eingesperrt, damit er nicht noch einmal weglaufen konnte – hätte er nicht gewusst, dass Harry einen Grund dafür hatte, verstimmt zu sein. Es stimmte, er hatte versprochen, dass dem jungen Malfoy nichts geschehen würde. Und auch, wenn dieser für ihn selbst keine große Rolle spielte, war er für Harry immer noch wie ein Bruder. Dementsprechend war seine Wut begründet.

Impulsiv vielleicht, aber durchaus begründet.
 

Deshalb hatte Tom beschlossen, ihm Zeit zu geben, sich zu beruhigen und von selbst zu ihm zurückzukehren. Erstens sparte er sich damit die Kraft, die es brauchen würde, ihn zurückzubringen und zweitens würde es viel einfacher sein, mit ihm zu kommunizieren, wenn er selbst eingesehen hatte, dass er sich falsch verhalten hatte.

Und genau das hatte er in Toms Augen. Er konnte unmöglich von ihm verlangen, dass er Draco Malfoy aus der Gefangenschaft im Phönixorden befreite.
 

Zum Einen war der Junge selbst Schuld, dass er gefangen genommen worden war. Hätte er klüger gehandelt und mindestens einen Todesser bei sich behalten, während er auf Weasley gewartet hatte, wären sie diesen Quälgeist jetzt los. Aber nein, man hatte sich ja unbedingt von seinen Wunsch auf Rache leiten lassen und alles im Alleingang machen müssen. Aus Toms Sicht hatte er es allein für seine Dummheit und Arroganz verdient, hingerichtet zu werden.
 

Zum Anderen würde es eine zu große Gefahr für seine Anhänger darstellen. Den Weasley-Zwillingen zufolge hatte der Orden des Phönix sich nach Hogwarts zurückgezogen. Dort einzudringen war zwar nicht unmöglich, aber alles andere als ein Zuckerschlecken. Er konnte es nicht riskieren, einen seiner Leute zu verlieren, nur um jemanden rauszuholen, der versagt hatte. Das wäre taktisch unklug.
 

Warum konnte Harry das nicht sehen?

Weil er sich momentan von seinen Gefühlen leiten ließ. Tom musste zugeben, dass es ihn enttäuschte. Harry war stets gefasst und rational gewesen, eine Eigenschaft, die er immer an ihn bewundert hatte. Selbst bei seinem zweijährigen Verschwinden hatte er sich rational verhalten. Er war vor Tom geflohen, da er seinen Horkrux zerstört hatte. Das Klügste, was er hätte tun können. Tatsächlich könnte er ihn noch heute ab und an zerreißen, wenn er daran dachte, was Harry ihm angetan hatte.
 

Manchmal fragte er sich, warum er es immer wieder auf sich nahm, auf seine Stimmungen einzugehen. In diesen Momenten erinnerte er sich daran, dass er einen Tempus Amicus an seiner Seite brauchte und zwar einen, der ihn liebte. Und genau das tat Harry, er hatte es ihm selbst gesagt. Deshalb würde er zu ihm zurückkommen, früher oder später. Denn genau das tat man, wenn man liebte. Man vergab alles, vergaß alles und kehrte immer wieder zurück, egal, wie wütend man gewesen sein mochte oder wie sehr man sich auch im Recht sah. Man ordnete sich einem anderen Menschen unter. Was der Grund dafür war, weshalb Tom Liebe verachtete. Er wollte sich niemandem unterordnen, niemandem hingeben, von niemandem abhängig sein und erst recht nicht von einem elenden Tempus Amicus. Gellert hatte gezeigt, wohin das führte.
 

Du bist ein Dummkopf“, zischte Nagini, die sich auf dem Kreuzgang zusammengerollt hatte, der den kleinen Garten umgab, in dem Tom seinen Lehrmeister beerdigt hatte. „Nach all den Jahren kommst du immer noch hierher zurück und trauerst ihm hinterher, obwohl da draußen jemand ist, der lebt und dir viel mehr geben kann, als Gellert es jemals konnte. Doch anstatt ihn festzuhalten und zu nehmen, was er dir schenken kann, lässt du ihn gehen.
 

Toms Augen verengten sich. Nagini war ihm lieber gewesen, als sie Harry nicht gemocht hatte. Aber aus irgendeinen Grund war sie zu der Erkenntnis gekommen, dass er einen guten Einfluss auf ihn ausübte. Was für ein Unsinn. Harry machte ihn schwach. Und verletzlich. Würde er ihn nicht brauchen, hätte er sich schon längst seiner entledigt.

Nagini schien seinen Gedankengang wie so oft in der Vergangenheit nachvollziehen zu können, denn sie sagte: „Du brauchst ihn. Du glaubst, du brauchst ihn nur wegen dem Krieg, aber das stimmt nicht. Du brauchst ihn für dich selbst. Ohne ihn kannst du nicht leben, so sehr du es dir auch einzureden versuchst.
 

Er schnaubte und wandte sich von Gellerts Grab ab. „Ich brauche niemanden.

Denn er hatte nicht vor, denselben Fehler wie Gellert zu machen. Er wollte nicht blind vor Liebe werden.
 

Trotzdem konnte er nicht umhin zuzugeben, dass ein Teil von ihm Harry vermisste.
 

„Na wie schön, dass du immerhin schon so weit bist“, sagte da plötzlich eine Stimme, die nicht Nagini gehörte. „Das macht alles viel einfacher.“

Tom setzte ein falsches Lächeln auf und wandte sich wieder Gellerts Grab zu. Dahinter stand auf dem Kreuzgang eine junge, blonde Frau, die er nur allzu gut kannte. „Mademoiselle Poulain“, begrüßte er Felice kühl. „Es gab eine Zeit, da hast du besser ausgesehen.“
 

Tatsächlich war ihr Zustand mehr als besorgniserregend. Ihre natürliche Blässe war zu einer ungesunden Leichenblässe geworden. Sie hatte tiefe Augenringe und ihre Augen wirkten, als würden sie jeden Augenblick zufallen. Außerdem war sie dünner geworden, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte und auch ihr Haar hatte seine einstige Fülle verloren. Trotzdem war sie nach wie vor in der Lage, aufrecht und selbstbewusst vor ihm zu stehen und ihm die Stirn zu bieten. Sie war eine bemerkenswerte Frau, das musste er zugeben. Wahrscheinlich war es deshalb noch viel erschütternder, sie in diesem Zustand zu sehen.

Wie hielt Harry es aus, mit ihr zusammen zu wohnen?
 

Felice verzog ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Deine Sorge um mich ist rührend, aber unangebracht. Ich bin nicht hier, um über mich zu reden.“

„Beruhigend“, entgegnete er gelangweilt. „Ich habe kein Interesse an deiner Lebensgeschichte oder irgendwelchen trivialen Belangen, die...“

„...mit dir nichts zu tun haben und dich damit nicht interessieren, ich weiß“, sagte sie abwinkend. „Dann wird es dich sicher freuen zu hören, dass ich mit dir über ein Thema sprechen möchte, dass dich auf jeden Fall interessieren wird.“

„Tatsächlich? Und was für ein Thema soll das sein?“
 

Als Antwort schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir das Gespräch in eine etwas freundlichere Umgebung verlegen würden? Ich liebe übrigens heiße Schokolade.“

„Da hast du etwas mit jemanden gemeinsam, den ich kenne.“
 

Nämlich mit dem Menschen, der ihnen beiden aus irgendeinen Grund das Wichtigste auf der Welt war.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

„Harry?“

Lily Potter schien wirklich überrascht zu sein, ihn vor ihrer Wohnungstür stehen zu sehen, was er durchaus nachvollziehen konnte. Bisher hatte Harry seine Mutter mit Desinteresse gestraft. Wahrscheinlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass er wusste, wo sie wohnte, geschweige denn, dass er sie jemals aufsuchen würde. Nun, da hatte sie sich geirrt. Er war hier und er würde erst wieder gehen, wenn er bekommen hatte, was er wollte.
 

„Guten Abend, Mutter“, sagte er leise. „Darf ich eintreten?“

Für mehrere Augenblicke sah sie ihn einfach nur schweigend an, ehe sie nickte und einen Schritt zur Seite trat. „Natürlich. Wie schön, dass du mich besuchst.“

Diese Worte sprach sie beinahe sarkastisch aus und das machte sie ihm das erste Mal seit Jahren sympathisch. Der Inhalt der Worte war der einer Mutter, die überraschend von ihrem Sohn besucht wurde und sich darüber freute, ihn zu sehen. Ihr Sarkasmus zeigte, dass sie genauso gut wie er wusste, dass eine solche Beziehung zwischen ihnen niemals möglich sein würde.
 

Dafür war zu viel Zeit vergangen.

Dafür war zu vieles geschehen.

Und dafür liebte er Narcissa zu sehr.
 

Trotzdem war sie die Frau, die ihn geboren hatte, ihm das Laufen und Sprechen beigebracht hatte und die die ersten fünf Jahre seines Lebens über ihn gewacht hatte. Auch wenn sie ihn später von sich gestoßen hatte, war sie für eine Weile der Mittelpunkt seiner kleinen Welt gewesen und egal, was später auch geschehen war, diese Verbindung, die damals entstanden war, würde niemals vollständig verschwinden.

Es wäre viel zu einfach, wenn sie nicht mehr existieren würde.
 

Schweigend ließ er sich von ihr in ein kleines, gemütliches Wohnzimmer führte, wo sie ihm bedeutete, sich auf einem Sofa niederzulassen, während sie sich auf einen Sessel setzte, der direkt gegenüber stand. Allerdings wurden sie von einem Couchtisch getrennt, auf dem zwei benutzte Tassen und eine Teekanne abgestellt worden waren.

„Hermione ist hier“, erklärte Lily, als sie Harrys fragenden Blick bemerkte. „Das arme Kind ist furchtbar aufgewühlt wegen Draco. Der ganze Stress ist absolut nicht gut für ihre Schwangerschaft. Ich habe sie dazu gebracht, sich etwas hinzulegen und zu schlafen. Sie braucht dringend etwas Ruhe.“
 

„Interessant, dass du dich so um sie kümmerst“, kommentierte Harry. „Lass mich raten: sie ist für dich wie die Tochter, die du nie hattest, die du dir aber immer gewünscht hast?“

Lily fand diesen Kommentar alles andere als witzig: „Wenn du nur hier bist, um mir zu zeigen, wie sehr du mich hasst und mich verabscheust, muss ich dich bitten, sofort wieder zu gehen. Ansonsten sag mir, was du trinken willst.“
 

Vielleicht sollte er wirklich gehen, aber dann würde er sich kindisch verhalten. Sie konnten das hier wie Erwachsene klären und danach nie wieder etwas miteinander zu tun haben. Deshalb waren seine nächsten Worte: „Eine heiße Schokolade, bitte.“
 

Lily holte ihren Zauberstab hervor und schwenkte ihn kurz in der Luft, ehe zwei Tassen dampfender, heißer Schokolade in der Luft erschienen. Harry war leicht überrascht, als er Sahne und Mandeln an der Oberfläche schwimmen sah. Woher hatte sie gewusst, dass er es so am liebste mochte?

„Ich hoffe, dich stören Sahne und Mandeln nicht“, meinte Lily und nahm sich ihre eigene Tasse. „So finde ich sie einfach am besten.“
 

„Es stört mich nicht“, meinte er nachdenklich und nippte kurz an seiner eigenen Tasse. „Es ist perfekt.“

Er hatte seit Jahren keine so gute Schokolade mehr getrunken.

„Dachte ich mir“, sagte sie leise. „Du hast sie bereits früher geliebt. Manche Dinge ändern sich wahrscheinlich nie.“
 

Harry zog es vor, diese Worte unkommentiert zu lassen. Die Heiße Schokolade dieser Frau war also die Beste, die er je getrunken hatte. Na gut, damit konnte er leben. Viele Kinder waren der Meinung, dass das Essen ihrer Mütter das Beste auf der Welt war. Das war völlig normal und bedeutete nicht, dass er in irgendeiner Weise an ihr hing.
 

//Mach dich nicht lächerlich.//

Gut, er hing an ihr. Natürlich tat er das. Jedes Kind wollte die Liebe seiner leiblichen Mutter. Das war etwas, das Narcissa nicht ersetzen konnte, niemand konnte das.

//Wenigstens liebt dich dein Vater.//

Ja, aber James war nicht die Person, die er im Moment brauchte. Es war Lily.
 

Schweigend beobachtete er sie dabei, wie auch sie an ihrer Tasse nippte und offenbar darauf wartete, dass er ihr mitteilte, warum er hier war. Er sollte es ihr wirklich sagen, umso eher sie das geklärt hatten, umso eher konnte er hier wieder weg. Er wollte nicht hier sein. Er wollte nicht bei ihr sein. Er wollte nicht mit ihr reden, er wollte sie nicht ansehen und er wollte sie auch um nichts bitten. Tatsächlich wollte er nicht einmal an sie denken.
 

//Tu es für Draco. Er ist der Grund, warum du hier bist.//

Genau. Es war für Draco. Deshalb würde er jetzt die Zähne zusammenbeißen und das hier hinter sich bringen.

Lily kam ihm aber zuvor: „Ich hörte, du bist mit deiner Freundin zusammengezogen? Felice?“

„Ja, das stimmt“, antwortete er bereitwillig, während er sich fragte, was das sollte. Wollte sie ihm das Gefühl vermitteln, dass sie sich für ihn interessierte? Damit kam sie zehn Jahre zu spät.

„Hmm, seltsam“, meinte sie nachdenklich, während ihre Augen – ein Spiegelbild seiner eigenen – ihn kalkulierend betrachteten. „Ich hatte geglaubt, du würdest mit diesem Thomas Mask zusammenziehen, der immer mehr im Ministerium von sich reden macht. Soweit ich weiß, habt ihr eine sehr tiefe Beziehung zueinander.“
 

„Solltest du als meine Mutter dann nicht erleichtert darüber sein, dass ich nicht mit ihm zusammenwohne? So kannst du dir wenigstens sicher sein, dass ich nicht den ganzen Tag mit Sex verbringe.“

Diesmal lächelte sie. „Vermutlich sollte ich das. Er ist der Dunkle Lord, nicht wahr?“

Mit dieser Frage brachte sie ihn tatsächlich aus dem Konzept. „Wie kommst du darauf?“ Er hatte eigentlich gedacht, dass Tom nicht so leicht zu durchschauen war.
 

„Vergiss nicht, dass ich weiß, dass du ein Tempus Amicus bist“, erinnerte sie ihn mit erstaunlich sanfter Stimme. „Ich weiß, dass ihr oft eine sehr enge Beziehung zu einem Lord pflegt und er wird sicher alles getan haben, damit du ihn liebst. Immerhin wird es seinen Plänen sicherlich zu Gute kommen.“

„Nun, der Dunkle Lord wünscht sich sicher, dass ich ihn bedingungslos unterstütze“, erwiderte er kühl. „Aber das heißt nicht, dass er und Thomas ein und dieselbe Person sind.“
 

Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte, aber sie akzeptierte stillschweigend, dass das ein Thema war, dass sie nicht ansprechen sollte. Gut für sie.

Es reichte ihm, dass er bereits dauernd von Felice an Tom erinnert wurde. Da wollte er wenigstens hier seine Ruhe von ihm haben.
 

Er verbrachte die nächsten Minuten damit, weiter seine Schokolade zu trinken, bis Lily ihre eigene Tasse abstellte und ihn aufmerksam ansah: „Da du kein Interesse an Smalltalk hast, hast du wahrscheinlich einen bestimmten Grund, warum du hier bist. Also raus damit: Was willst du?“
 

Was er wollte? Er wollte vieles. Er wollte Antworten. Antworten auf Fragen, die er sich seit seinem fünften Lebensjahr gestellt hatte. Warum hatte sie ihn verlassen? Warum hatte sie ihn als ein „Monster“ bezeichnet? Warum hatte sie sich nie bei ihm gemeldet?

Und warum war sie zurückgekommen?
 

Doch er stellte ihr keine dieser Fragen.
 

„Ich möchte, dass du mir hilfst, Draco zu befreien.“

Lily verzog keine Miene. Stattdessen starrte sie ihn weiterhin unverwandt an, während sie wahrscheinlich darüber nachdachte, wie sie auf diese Aussage reagieren sollte. Oder aber das Pro und Contra abwog.

Schließlich neigte sie jedoch den Kopf und fragte: „Warum ich?“
 

Das hatte Harry sich auch gefragt. Warum Lily? Warum ausgerechnet Lily? War das wieder ein sadistischer Streich des Schicksals? Doch nach längerem Überlegen hatte er verstanden, warum sie es war, die Draco retten musste und sonst niemand: „Weil du weißt, wie es ist einen Sohn für immer zu verlieren.“

Er betrachtete in aller Ruhe ihre versteinerte Miene und lächelte leicht. „Wir haben unsere Chance vertan, Mutter. Vielleicht hätten wir irgendwann vor vielen Jahren eine Familie sein können, aber das ist jetzt zu spät. Wir können nicht mehr Mutter und Sohn sein. Narcissa und Draco können das jedoch und ich weiß, dass du nicht der Typ Mensch bist, der möchte, dass es anderen so schlecht geht, wie dir selbst.“
 

Er musste zugeben, dass es ihm schwer gefallen war in Lily etwas Gutes zu sehen. Dafür war er selbst zu sehr von ihr verletzt worden. Doch nur, weil sie eine Rabenmutter war, machte sie das nicht automatisch zu einem vollkommen schlechten Menschen. Sie war jemand, der wollte, dass alle in ihrer Umgebung glücklich waren und deshalb auch alles tat, um dafür zu sorgen, dass es allen gut ging. Sie war geduldig, mitfühlend und der beste Mensch auf Erden.

Allerdings versteckte sie diese Güte unter einer kühlen Maske, was sie jedoch in den Augen der Männerwelt nur noch attraktiver machte.

Er fragte sich wirklich, wie sie ihn hatte zurücklassen können. Es passte doch überhaupt nicht zu ihr.
 

„Narcissa... muss eine wirklich gute Mutter gewesen sein“, bemerkte Lily plötzlich. Sie betrachtete Harry mit ernster, ausdrucksloser Miene, so als würde sie das alles nichts angehen. Trotzdem meinte er so etwas, wie Trauer in ihren Augen zu erkennen. „Ich bin froh, dass sie es war, die dich groß gezogen hat und nicht jemand anderes.“

Ob sie bei jemand anderes sich selbst mit einbezog?

„Was heißt das jetzt?“, fragte er. „Wirst du mir helfen oder nicht?“
 

„Ich werde versuchen, ihn dort herauszuholen“, sagte sie schlicht. „Ich finde es nicht richtig, was Ronald vorhat. Du solltest dich allerdings aus der Sache heraushalten.“

„Aber...“

„Kein 'aber'!“, unterbrach sie ihn streng und wirkte das erste Mal seit Jahren wieder wie seine Mutter. Nicht, weil sie streng wurde, sondern weil er die Sorge in ihren Augen schimmern konnte. Sie wollte ihn beschützen.

//Vielleicht hat sie das immer getan.//
 

„Du vergisst schon wieder, dass ich weiß, wer du bist. Du bist nicht einfach ein einfacher Bauer auf diesem Schachbrett, dass das Schicksal und die Zeit aufgebaut haben. Du bist am ehesten die Königin, die Figur, die sich frei über das ganze Brett bewegen und damit den meisten Schaden anrichten kann. Du bist zu wertvoll, als dass du es zulassen darfst, dass dir etwas passiert und wenn sie dich dabei erwischen, wie du Draco Malfoy befreist, werden sie dich mit ihm zusammen hinrichten, Tempus Amicus hin oder her.“
 

„Glaubst du wirklich, dass Ronald einen Tempus Amicus töten würde?“, fragte Harry zweifelnd.

„Ja“, entgegnete sie ohne zu zögern. „Genauso, wie der Dunkle Lord dich ohne zu zögern eliminieren würde, solltest du ihm eine ernsthafte Gefahr werden. Er und Ronald sind ein und dasselbe, sie sind beide dazu auserwählt, andere anzuführen. Auch Neville könnte ein perfekter Anführer sein, aber er ist zu weich, selbst wenn er derjenige sein soll, der den Dunklen Lord zur Strecke bringen soll.“
 

„Eine alternative Zukunft“, flüsterte Harry, „die schon lange vergangen ist.“

„Und trotzdem wirkt sie sich bis heute aus. Viele glauben nach wie vor, dass Neville der Auserwählte ist und solange dieser Glaube fortlebt, wird dieser Schicksalsfaden niemals ganz verschwinden. Ich glaube, deine Seherin wird noch heute oft eine Zukunft sehen, in der dein Lord von Neville besiegt wird.“
 

Es überraschte ihn, dass Lily soviel über die Schicksalsspiele wusste. Er hätte nie geglaubt, dass sie zu den wenigen Eingeweihten gehörte. Er würde Ginny nach ihr fragen, wenn diese ihn das nächste Mal zu sich rief. Sie würde ihm gewiss sagen können, was Lilys Rolle in dieser ganzen Angelegenheit sein sollte.

Momentan war er jedoch nicht in der Stimmung über die Zukunft zu diskutieren.

„Wie willst du ihn alleine dort herausholen?“, fragte er deshalb, um zum eigentlichen Thema zurückzukommen.
 

„Sie ist nicht alleine.“
 

Harry und Lily drehten beide ihre Köpfe. An der Tür zum Schlafzimmer – zumindest vermutete Harry, dass dort das Schlafzimmer war – stand Hermione. Sie hatte furchtbar verweinte Augen, wirkte ansonsten jedoch gesund und munter. Ihr Bauch war seit ihrem letzten Zusammentreffen deutlich gewachsen... im wievielten Monat war sie noch gleich? Würde jedenfalls nicht mehr lange dauern, bis das Kind da war.
 

„Hermione, halte dich da raus“, sagte Lily mit einer sanften Stimme, bei der Harry schlecht wurde. „Du musst an dein Kind denken.“

„Das tue ich“, sagte sie entschlossen und trat näher, wobei sie ihre Hände schützend auf ihrem Bauch ruhen ließ. „Ich möchte verhindern, dass mein Kind seinen Vater verliert, bevor es überhaupt geboren wurde.“

„Na ja, es ist ja nicht so, als wärt ihr eine kleine glückliche Familie...“, warf Harry ein. „Wenn ihr Draco da rausholt, wird er zu Pansy zurückkehren und mit ihr gemeinsam die Familie Malfoy weiterführen.“
 

„Nein“, erwiderte sie leise, „Er wird sich von ihr scheiden lassen, sobald dieser Krieg vorbei ist.“

Lily wirkte ebenso überrascht wie Harry sich fühlte. „Was? Aber wie kommst du darauf?“

„Wegen dem Versprechen“, erklärte sie und stellte sich hinter Lilys Sessel. Dabei begegnete sie Harrys Blick. „Dem Versprechen, das mir dein Bruder gegeben hat.“
 

Harry blinzelte verwirrt.

Was für ein Versprechen?

Waiting For You

Ähm.... hallo.

Ich weiß, es ist lange (zu lange) her und ich habe auch keine wirkliche Entschuldigung dafür (außer ein Kreatief und mehrere technische Schwierigkeiten...). Es war nie meine Absicht gewesen, euch so lange warten zu lassen und ich hoffe, dass es auch nicht wieder vorkommen wird.
 

Besonders danken möchte ich an dieser Stelle KISHIRA_22 und Saku-nee-chan, die immer ein offenes Ohr (bzw. Auge) hatten, wenn ich mich wieder über dieses Kapitel aufgeregt habe, sandy325, die mir dabei geholfen hat, wieder zu dieser FF zurückzufinden und Robino, meine zauberhafte Beta, deren Timing sicher vom Schicksal selbst geleitet wird (oder ist es am Ende die Zeit?). Ohne euch wäre dieses Kapitel wahrscheinlich niemals beendet worden. *knuddel*
 

Und natürlich geht mein Dank an Euch, die Leser, Reviewer und all jene, die diese FF immer noch auf ihrer Favoliste haben. Ich kann nicht in Worte fassen, wie wunderbar ihr seid!

Doch genug der langen Vorrede, viel Vergnügen mit:

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Waiting For You
 

London, 6 Monate zuvor
 

Draco hätte niemals damit gerechnet, Hermione so wiederzusehen.

Auf einem Schlachtfeld auf der gegnerischen Seite, den Zauberstab zum tödlichen Schlag erhoben und auf ihn gerichtet: Ja.

In einer Muggelbuchhandlung mit nachdenklicher Miene und ohne ihn zu bemerken? Nein.
 

Trotzdem stand sie dort neben einem großen Regal und blätterte in einem dicken Band, den er selbst vermutlich niemals in die Hand genommen hätte. Ihr Anblick traf ihn wie ein Blitz und es fiel ihm nur schwer, sich von ihrem Anblick loszureißen. Trotzdem beobachtete er sie, während er langsam zwischen den Regalen hindurch schritt.
 

Er hatte kein Recht auf ihre Aufmerksamkeit. Er war es gewesen, der sie verstoßen hatte (für keine geringere als Pansy und auch das nur, um es seiner Familie Recht zu machen), also musste er sie in Frieden lassen und sich auf sein eigenes Vorhaben konzentrieren. Ein Vorhaben, das ihn hierher geführt hatte... in eine Buchhandlung. Eine Muggelbuchhandlung. Fernab aller Magie.

Was hatte ihn nur hierher getrieben?

Ein Impuls, vermutete er, ein Gefühl, das ihm gesagt hatte, dass er in diese Richtung gehen sollte. Genauso wie er sich nun sicher war, dass er hier sein musste. Auch wenn der Grund ihm ein Rätsel war.
 

Wahrscheinlich war es das Schicksal, das ihn quälen wollte (immerhin war es süchtig nach Unterhaltung) oder es handelte sich um eine andere, genauso starke Macht, die ihn wieder auf Hermione treffen ließ. Wessen Wille es auch gewesen war, er wollte gerade den Laden wieder verlassen, als sie aufblickte und ihn entdeckte.

Spätestens jetzt hätte er seine Beine in die Hand nehmen sollen, um zu seiner Mutter und seiner Verlobten zurückzukehren. Stattdessen zwang er sich zu einem Lächeln und trat einen Schritt auf die junge Frau zu. „Hallo Hermione“, sagte er leise, während sie ihn nur mit großen Augen ansah. „Es ist lange her.“
 

Als Antwort verpasste sie ihm eine Ohrfeige.
 

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Seine Wange pochte immer noch, als sie etwa eine halbe Stunde später gemeinsam in einem unauffälligen Café ein paar Straßen weiter saßen. Draco konnte kaum seinen Blick von ihr abwenden, während er an seiner Tasse Kaffee nippte. Sie wirkte blass und müde, trotzdem war sie ihm nie schöner vorgekommen.
 

„Das hier bedeutet nicht, dass ich dir verzeihe“, sagte sie irgendwann, ohne von ihrer eigenen Tasse aufzublicken. Sie hatte ein Muggelgetränk bestellt, dessen Namen er zuvor noch nie gehört hatte, aber ihrem zufriedenen Gesicht nach zu urteilen, musste es ziemlich gut schmecken. „Oder dass ich mich von dir zu irgendetwas breitschlagen lasse. Ich bin nur hier, weil ich den Latte so sehr mag.“
 

Er schmunzelte. „Natürlich. Etwas anderes wäre mir niemals in den Sinn gekommen.“

In Wahrheit konnte sie ihm nichts vormachen. Auch wenn sie sich über ein Jahr nicht mehr gesehen hatten, kannte er sie nach wie vor besser als jeder Andere und deshalb wusste er, warum sie wirklich hier war.

Merlin, er hatte sie vermisst.
 

Allein ihr gegenüber zu sitzen und sie einfach nur ansehen zu können, genügte, um etwas von der Anspannung, die ihn seit Harrys Verschwinden überallhin verfolgte, abfallen zu lassen. Es musste daran liegen, dass sie der einzige Mensch war, vor dem er sich nicht verstecken brauchte. Ihr musste er nicht vormachen, dass es ihm gut ging oder dass er sich über ihre Anwesenheit freute, denn letzteres tat er tatsächlich und ersteres hätte sie ihm ohnehin nicht abgenommen.
 

„Habt ihr schon einen Hochzeitstermin?“, fragte sie und unterbrach damit den Frieden, den er bis eben noch gespürt hatte. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätte dieses Thema niemals angeschnitten. So erinnerte sie ihn nämlich daran, dass das hier falsch war, dass er kein Recht dazu hatte, mit ihr an diesem Tisch zu sitzen und ihre Gegenwart zu genießen, denn Zuhause wartete jemand auf ihn. Nur leider war es die falsche Person.
 

Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. „Willst du das wirklich wissen?“
 

„Natürlich“, erwiderte sie. „Ich muss doch wissen, wann ich meine Glückwunschschreiben verschicke.“ Bei diesen Worten sah sie ihm das erste Mal, seit sie das Café betreten hatten, in die Augen. Ihr Blick war stur und entschlossen, doch er konnte den Schmerz sehen, den sie in ihrem Inneren vergraben und vor der Welt (vor ihm) verstecken wollte. Mit einem Mal fühlte er sich wie der größte Mistkerl, den es je gegeben hatte.
 

„Im Sommer“, verkündete er resigniert. „Es wird... ein ziemlich eindrucksvolles Spektakel.“

Sie nickte mit undurchschaubarer Miene. „Eine Hochzeit zwischen Reinblütern wird sicherlich ein großes Medienereignis und gerade in diesen Zeiten muss sie eine wunderbare Abwechslung bieten.“

„Vermutlich.“
 

Schweigen.

Dann: „Du siehst unglücklich aus, Draco.“

Er genehmigte sich einen weiteren Schluck Kaffee. „Ich habe kein Glück erwartet, als ich mich auf diese Hochzeit eingelassen habe.“

Das Mitgefühl, das daraufhin auf Hermiones Gesicht erschien, hatte er ebenfalls nicht erwartet.
 

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Sie trafen sich danach immer wieder und das, ohne sich vorher zu verabreden. Mal standen sie plötzlich gemeinsam auf einer Brücke, ein andermal liefen sie gleichzeitig durch denselben Park... es war gerade so, als würde sie eine unsichtbare Macht dazu zwingen, sich immer wiederzusehen und schließlich gaben sie ihr nach.
 

Sie endeten im Bett eines Hotelzimmer.
 

Draco hielt sie irgendwann nur noch fest in seinen Armen und zeichnete mit seinen Fingern unsichtbare Zeichen auf ihre nackte Haut. „Tut er dir immer noch weh?“

„Manchmal“, flüsterte sie, während sie sich an ihn schmiegte. „Aber es ist nicht mehr so schlimm wie früher. Ich glaube, er kann sich inzwischen besser kontrollieren.“

„Es gefällt mir nicht, dass du mit ihm zusammen bist.“

„Mir gefällt es auch nicht, dass du bald heiraten wirst.“

„Zumindest versucht Pansy nicht, mich umzubringen.“
 

Sie stemmte sich mit ihrem Arm nach oben, damit sie auf ihn herunterblicken konnte. „Ronald würde mich niemals ernsthaft verletzen.“

Er schnaubte. „Ich werde nie verstehen, warum du mit ihm zusammen bist. Du hättest jeden haben können.“

„Vielleicht hätte ich das“, sagte sie. „Aber der Einzige, den ich haben wollte, hatte sich für Pansy Parkinson entschieden.“

Er lächelte leicht. „Du hättest Single bleiben können.“

Sie erwiderte sein Lächeln, sagte jedoch nichts mehr und er genoss den Frieden zwischen ihnen zu sehr, um das Thema weiter zu vertiefen.
 

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„Ich wünschte manchmal, wir könnten einfach verschwinden“, sagte er, als sie sich das nächste Mal über den Weg liefen. „Wir könnten alles hinter uns lassen und ein neues Leben beginnen. Es wäre so einfach.“

Leider war sie noch nie ein Träumer gewesen: „Glaubst du wirklich, du könntest das deiner Mutter antun?“

„Nein, vermutlich nicht“, erwiderte er seufzend und schritt neben ihr weiter durch den Park, den er eigentlich nur schnell hatte durchqueren wollen. Manchmal war es wirklich unheimlich, wie sich seine und Hermiones Wege kreuzten.
 

Als sie an einem Spielplatz vorbeikamen, hielten sie für einen Moment inne und beobachteten die Kinder, die fröhlich auf den verschiedenen Geräten herumtobten. Er fragte sich, ob er auch Kinder haben würde und wenn ja, ob er lange genug leben würde, um sie aufwachsen zu sehen.
 

„Dieser Krieg... ich glaube nicht, dass ich ihn überleben werde.“ Als er sich zu ihr umwandte, sah sie ihn abwartend an, so als ahnte sie, was folgen würde. „Aber falls ich es doch schaffen sollte“, fuhr er mit einem leichten Beben in der Stimme fort, „und wir beide heil aus der Sache herauskommen, dann werde ich einen Weg finden, damit wir zusammen sein können.“

Ihre Augen leuchteten, als sie antworte: „Versprich nichts, was du nicht halten kannst.“
 

„Das habe ich nicht vor.“

Denn solange es auch nur den Hauch einer Hoffnung dafür gab, eines Tages mit ihr sein ganzes Leben teilen zu können, war es für ihn Grund genug, weiterzuatmen.
 

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Als hätte dieses Versprechen einen unsichtbaren Zauber gebrochen, liefen sie sich danach nicht mehr über den Weg. Egal, wie oft Draco versuchte, ziellos durch die Straßen zu ziehen, egal, wie oft er sich umsah, er konnte Hermione nirgends mehr finden. Dies hätte ihn vermutlich in einen Zustand tiefster Resignation versetzt, wären nicht seine Mutter und Pansy gewesen, für die er stark bleiben musste.
 

Also lebte er von Tag zu Tag, vertrat seinen Vater im Ministerium, lächelte, wenn von seiner bevorstehenden Hochzeit die Rede war, nahm an zahllosen Kämpfen gegen den Orden des Phönix teil und dachte vor allen Dingen nicht an Hermione.
 

Und dann, eines Tages, kam ein Brief für ihn. Es gab keine Namen, keinen Absender, nichts, doch er wusste auch so, von wem er war.
 


 

Wir sehen uns im Frieden.
 

Ein Abschied und ein Versprechen zugleich.

Offenbar hatte sie genauso wie er gemerkt, dass ihre zufälligen Begegnungen der Vergangenheit angehörten und sich zu verabreden, wäre zu riskant. Zum einen für Hermione, die nach wie vor von Ronald abhängig war (auch wenn er das nie verstehen würde) und zum anderen für ihn selbst. Harrys Bruder oder nicht, der Dunkle Lord würde es kaum gutheißen, wenn einer seiner Todesser sich mit dem Feind abgab.

Deshalb würden sie sich während des Krieges nicht wiedersehen.
 

Doch wenn er je enden sollte...

Wenn es wieder Frieden geben sollte...
 

//Frieden ist eine Illusion.//
 

Deshalb heiratete er. Deshalb blieb er bei seiner Familie. Denn auch, wenn er die Liebe gefunden hatte, so waren es die Menschen, bei und mit denen er aufgewachsen war, die im Krieg in erster Linie seine Loyalität verdienten.

Doch ab dem Augenblick, in dem er von Hermiones Schwangerschaft erfuhr, änderte sich alles, denn mit einem Mal gab es die Möglichkeit, dass seine Familie größer war, als er ursprünglich geahnt hatte. Und auch, wenn er Hermione den Frieden versprochen hatte, würde er ihr den Krieg geben, wenn es sein Kind war, das in ihrem Körper heranwuchs.
 

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Wo hatte ihn dieser Entschluss hingebracht? In die Kerker von Hogwarts, mit nichts, außer die Aussicht auf seinen nahenden Tode. Anstatt die zu beschützen, die er liebte, würde er allen nur Kummer und Trauer bereiten. Er hatte versagt.
 

Trotzdem konnte er seine Entscheidung nicht bereuen.
 

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Lilys Apartment, Gegenwart
 

Bis auf das Knistern des Kaminfeuers herrschte Stille. Was gut war, denn Harry brauchte dringend etwas Zeit um Hermiones Geschichte zu überdenken. Er musste zugeben, dass er überrascht war. Nicht darüber, dass es sich bei Draco um den Vater des ungeborenen Kindes handelte – das hatte er von Anfang an vermutet – sondern über dieses alberne Versprechen, dass sein Bruder ihr gegeben hatte.

Sobald der Krieg endete, wollte er also einen Weg finden um mit ihr gemeinsam bis ans Ende aller Tage glücklich zu werden? Eine sehr romantische Vorstellung, die durchaus zu ihm passte, aber in der jegliche Vernunft verloren gegangen war.
 

Andererseits konnte er ihn verstehen. In Kriegszeiten war jeder Funken Hoffnung willkommen und wenn die Aussicht auf ein Happy End Draco und Hermione dabei half, weiterzuleben, gab es nichts, was Harry dagegen hätte sagen können.

//Ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass das wirklich passieren wird.//

Draco liebte seine Familie mehr als alles Andere. Er würde nie etwas tun, was sie entehren oder ihr Probleme bereiten würde.

//Wenn Hermione sein Kind zur Welt bringt, ist sie auch Teil der Familie.//

Was die ganze Situation verkomplizierte. Davon abgesehen, dass Lucius nicht sonderlich begeistert sein würde – von Pansy wollte er gar nicht erst anfangen – so würde Ronald sicher auch ein Wörtchen mitzureden haben.
 

Ronald... Draco... was sahen die beiden nur in Hermione?

Harry könnte verstehen, wenn jemand wie Felice in eine Dreiecksbeziehung verstrickt wäre. Sie war schön, intelligent und hatte ein einnehmendes Wesen. Hermione... war ebenfalls intelligent und nicht unbedingt hässlich, aber sie gehörte nicht zu dem Typ Mensch, den er in einer solchen Konstellation vermuten würde.
 

Das Öffnen der Haustür riss ihn aus seinen Gedanken und als er aufblickte, konnte er Lily erkennen, die ihn offensichtlich verdutzt ansah. „Du bist noch hier?“
 

Es war kein Ärger in ihrer Stimme, nur ehrliche, beinahe erfreute Überraschung, die ihn zum Schmunzeln brachte. „Ich brauchte einen Ort zum Nachdenken und da war es mir lieber, wenn ich es fernab von Empathen tue. Ich hoffe, es stört dich nicht.“
 

„Nein...“, erwiderte sie langsam. „Natürlich nicht.“
 

Harry schenkte ihr dafür ein strahlendes, ehrliches Lächeln, ehe er sich wieder in aller Ruhe zurücklehnte und in seine Gedankenwelt zurückkehrte.
 

Nachdem Hermione ihre Geschichte beendet hatte, hatten sie beschlossen, dass es nur recht und billig wäre, sie an Dracos Befreiung teilhaben zu lassen. Nun, genaugenommen war es Harry gewesen, der es beschlossen hatte. Lily hätte sie lieber aus der ganzen Sache herausgehalten.

War es Eifersucht, die ihm einen leichten Stich versetzte, wenn er daran dachte, wie sehr sich seine Mutter um dieses Mädchen sorgte, während sie für ihn in den letzten Jahren wahrscheinlich kaum einen Gedanken übrig gehabt hatte?

Ja, natürlich war es das und es ärgerte ihn ungemein.
 

//Es ist natürlich.//

Es ist schwach.

//Aber es zeigt, dass du dazu fähig bist, auch jene zu lieben, die dich bis aufs Äußerste verletzt haben.//
 

Nicht darüber nachdenken.
 

Momentan sollte er sich vollkommen darauf konzentrieren, Draco aus seinem Schlamassel rauszuholen und wie es aussah hatte er dafür bereits alles Nötige in die Wege geleitet.

Hermione und Lily hatten die Wohnung vor einiger Zeit verlassen und waren losgezogen, um erste Vorkehrungen zu treffen. Dabei wollten sie Harry aus den Details heraushalten, da es für seine momentane Neutralität in diesem Konflikt unabdingbar war, dass nichts in Dracos Befreiung auch nur in kleinster Weise auf ihn hinweisen könnte. Es ärgerte ihn insgeheim, zum Nichtstun verurteilt zu sein, doch er vertraute auf Lunas Vision. Lily würde in der Lage sein, ihn zu retten.
 

Apropos, die Frau war auffallend still geworden. Neugierig blickte er auf. Seine Mutter saß ihm inzwischen gegenüber – Beine übereinandergeschlagen, während ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ruhten – und sah ihn abwartend an.

Er reagierte mit einer gehobenen Augenbraue. „Ja?“
 

Falls sie sich über seinen zugegebenermaßen arroganten Tonfall ärgerte, ließ sie es sich nicht anmerken: „Willst du gar nicht wissen, ob alles gut gelaufen ist?“
 

„Nun, ich gehe davon aus. Ansonsten wärst du kaum jetzt schon zurückgekommen, oder?“
 

Sie runzelte die Stirn, ließ das Thema jedoch fallen. „Bist du zu einem Ergebnis gekommen?“, fragte sie stattdessen.
 

Diesmal war er es, der verdutzt war. „Ich kann mich nicht daran erinnern nach einem gesucht zu haben.“
 

„Du hast nachgedacht“, erinnerte sie ihn. „Und wolltest nicht, dass Felice etwas davon mitbekommt. Das bedeutet, du wolltest dir über irgendetwas klar werden.“
 

Den Scharfsinn hatte er ganz offenbar von ihr geerbt. Das hieß jedoch nicht, dass sie ein Recht auf eine Antwort hatte. „Was lässt dich glauben, dass ich meine Gedanken gerade mit dir teilen sollte?“
 

Überraschenderweise erschien nun ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Du bist immer noch hier“, stellte sie das Offensichtliche fest. „Dafür wird es einen Grund geben.“
 

//Netter Versuch.//

„Vielleicht möchte ich einfach nur etwas Zeit mit meiner leiblichen Mutter verbringen“, konterte er spitz. „Immerhin hatte ich in den letzten Jahren kaum Gelegenheit dazu.“
 

Ihr Lächeln gefror. „Soweit ich es mitbekommen habe, hast du dir ja einen guten Ersatz besorgt.“
 

Er wollte ihr eine weitere, kühle Antwort entgegenschleudern, aber etwas in ihrem Gesicht brachte ihn zum Verstummen. Konnte das wahr sein? Empfand er jetzt wirklich Schuldgefühle?! Er hatte jedes Recht darauf, wütend auf sie zu sein, sie fertig zu machen, auf ihren Gefühlen herumzutrampeln und sie noch tiefer in ihre Verzweiflung zu stürzen. Er war hier das Opfer.

//Aber wenn du so weitermachst, wirst du zum Täter.//

Oh, wie sehr er seine innere Stimme manchmal hasste. Vor allem, wenn sie Recht hatte.
 

„Ich habe über das nachgedacht, was Hermione uns erzählt hat“, begann er deswegen resigniert. Lily, die wohl wie er mit einer weiteren, bösen Bemerkung gerechnet hatte, blinzelte mehrmals, ehe sie sich sichtlich entspannte. „Diese Treffen mit Draco... alle ungeplant und scheinbar zufällig, kommen mir etwas verdächtig vor. Ein oder zweimal, okay. Aber so wie sie es erzählt hat, muss es häufiger gewesen sein und definitiv zu oft, um es als Zufall abzutun.“
 

„Du glaubst also, es steckt mehr dahinter.“
 

„Ich glaube es nicht“, stellte er klar. „Ich weiß es. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das Schicksal oder die Zeit dafür verantwortlich ist.“
 

„Wäre es die Zeit, müsstest du es doch eigentlich wissen“, warf Lily ein.
 

„Stimmt, aber ich kann nicht glauben, dass das Schicksal dahinterstecken soll.“ Zwar war diese Dreiecksgeschichte sicherlich vollkommen nach seinem Geschmack, aber Ginevra hatte ihn einen Blick auf Dracos Schicksalsfaden werfen lassen. Deshalb wusste er, dass sein Bruder dazu bestimmt war, mit Pansy an seiner Seite die Familie Malfoy weiterzuführen und einen angesehenen Posten im Ministerium zu bekommen. Was übrigens der Grund dafür gewesen war, dass er sich nicht in seine Hochzeitspläne eingemischt hatte.
 

Aber was sollte die Zeit damit bezwecken, Draco und Hermione zusammenzubringen? Zwar wollte sie dem Schicksal immer einen Strich durch die Rechnung machen, doch dabei mischte sie sich selten in Einzelschicksale ein. Es waren die großen Ereignisse, in denen sie ihre Finger im Spiel hatte und nur die Schlüsselfiguren, die, die später in die Geschichtsbücher eingehen sollten – oder jene, die diese Menschen prägend beeinflussten – wurden von ihr angeleitet.

Inwiefern passten die Beiden also in diese Schublade?
 

Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Das Kind.“
 

„Wie bitte?“
 

„Hermiones und Dracos Kind“, spezifizierte Harry seine Aussage und sah seiner Mutter direkt in die Augen. „Das alles diente nur dazu, dass es geboren werden kann. Deshalb haben ihre Treffen auch so plötzlich aufgehört. Das Schicksal hätte sie niemals so einfach abklingen lassen, sondern dafür gesorgt, dass sich ihre Beziehung noch mehr vertieft. Es hätte beobachten wollen, wie sie verrückt vor Liebe werden. Der Zeit dagegen ging es nur darum, dass das Kind gezeugt wird und hat sich danach nicht mehr weiter darum gekümmert. Was immer dem Kleinen auch bevorsteht, es muss eine große Zukunft sein.“
 

Selbstverständlich konnte er sich nicht sicher sein, aber er würde bestimmt bald die Möglichkeit bekommen, Ginevra dazu zu befragen.
 

„Eine große Zukunft also“, wiederholte Lily nachdenklich. „Es scheint manchmal unglaublich, dass so etwas bereits vor der Geburt bestimmt wird.“
 

„Genauso unglaublich wie der Gedanke, dass wir alle nur Spielfiguren höherer Mächte sind, die nichts weiter tun, als ihre Langeweile zu vertreiben“, stimmte Harry ihr zu. „Und doch ist es die Wahrheit.“

Mit einer schwungvollen Bewegung richtete er sich auf und streckte sich leicht. „Ich sollte gehen. Du hast in den nächsten Tagen viel zu tun.“

Als er sie diesmal ansah, ließ er seinen Blick besonders sanft werden. „Ich danke dir, dass du Draco helfen willst. Ich weiß, dass du es nicht für mich tust, aber es beruhigt mich trotzdem sehr. Ich hätte mich ungern auf Verhandlungen mit Ronald Weasley eingelassen.“
 

Sie runzelte die Stirn. „Verhandlungen?“
 

„Nicht so wichtig“, meinte er abwinkend. „Grüß Draco von mir.“

Und ohne ihr die Zeit auf eine weitere Erwiderung zu geben, ging er auf die Wohnungstür zu und disapparierte, sobald er den Raum verlassen hatte.

Er hatte hier getan was er konnte.

Jetzt lag es an ihr.
 

Allerdings konnte er nicht wissen, dass an einem anderen Ort bereits eine andere Macht dabei war, die Schicksalsfäden zu verändern.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Neville Longbottom war jemand, der niemals den Glauben an den Menschen verlor.

Egal, wie schlimm der Ruf des jeweiligen Individuums war, egal, wie sehr diese Person ihm weh getan hatte (oder noch schlimmer: Anderen weh getan hatte), er hörte nicht auf, an das Gute in ihr zu appellieren. In dieser Hinsicht war er genauso wie Albus Dumbledore und nicht wenige verlachten ihn deswegen.

Doch es störte ihn nicht, was die Anderen über ihn dachten. Er hatte seine Meinung und war entschlossen, ihr bis zum Zeitpunkt seines Todes zu folgen. Insgeheim war er nämlich davon überzeugt, dass es diese Fähigkeit des Vergebens war, die weiße Magier von schwarzen unterschied und deshalb wollte er nicht aufhören, diesem Prinzip zu folgen.
 

Aus diesem Grund fiel es ihm schwer, Ronalds Pläne hinsichtlich Draco Malfoy einfach so hinzunehmen. Sein ehemaliger Klassenkamerad war ein Todesser – ja. Aber er war jung. Vielleicht war er dazu gezwungen worden, sich dem Dunklen Orden anzuschließen. Darüber hinaus gab es keinen Grund, ihn hinzurichten. Er war besiegt und gefangen. Sie konnten ihn auch einfach in seiner Zelle lassen und gut damit.
 

Überhaupt war er inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass zwischen den beiden ein persönlicher, tiefgehender Zwist herrschen musste, was die wahre Ursache dafür war, dass alles außer Kontrolle geraten war.
 

In seinen Augen war das inakzeptabel. Hier ging es nicht nur um kleine Kabbeleien, wie es sie in der Schule gegeben hatte. Sie waren in einem Krieg, jede Handlung konnte und würde von der Gegenseite als ein erneuter, direkter Angriff gewertet werden und darüber hinaus stand dieses Mal ein Leben auf den Spiel.
 

Selbstverständlich war dieses einzelne Leben nichts im Vergleich zu den vielen Verlusten, die es in den letzten Kämpfen gegeben hatte. Außerdem konnte ein kleiner Teil von ihm die Intention hinter einer öffentlichen Hinrichtung nachvollziehen. Es ging um ein Statement. Noch waren sie nicht geschlagen. Noch konnten sie kämpfen und siegen, immerhin hatten sie auch diesen einzelnen Todesser besiegen können.
 

Wäre es jemand anderes gewesen – Bellatrix Lestrange zum Beispiel – hätte er sich wahrscheinlich nicht einmal so viele Gedanken darüber gemacht. Stattdessen hätte er sich darauf konzentriert, seine eigenen Fähigkeiten zu verbessern, damit er sich das nächste Mal nicht wie ein Schwächling vorkommen würde, wenn er wieder einem ernsthaften Gegner gegenüberstand.
 

Doch Draco war nicht irgendjemand. Er war Harrys Bruder und deshalb konnte Neville nicht einfach tatenlos zusehen, wie man ihn viel zu früh in die ewigen Jagdgründe beförderte. Das war er seinem besten Freund schuldig, auch wenn er in letzter Zeit immer mehr das Gefühl bekam, dass ihre Freundschaft nur noch für ihn eine wirklich wichtige Rolle spielte.

//Ich sollte nicht so vorschnell sein. Er hat sicher viel zu tun.//
 

Nur was sollte er zu tun haben? Wo war er? Warum war er nicht bei ihnen? Warum kämpfte er nicht an ihrer Seite? Und warum war er nicht einmal auf der Gegenseite? War ihm das alles am Ende etwa egal? Hatte er beschlossen, sich aus der ganzen Sache herauszuhalten und stillschweigend abzuwarten, wie das Ganze ausgehen würde?

//Nein, wenn er keine Seite wählt, dann nur, weil es überall Menschen gibt, die er nicht bekämpfen will.//

Neville hoffte, dass auch er einer dieser Menschen war.
 

Missmutig wanderte er durch Hogwarts, wobei er an mehreren Ordensmitgliedern vorbeilief, die ihn entweder freundlich grüßten oder ignorierten, wenn sie es zu eilig hatten oder beschäftigt waren. Momentan war ihm das vollkommen Recht. Es gab nur eine Person, mit der er jetzt sprechen wollte und die musste er erst finden.

Er bog um die nächste Ecke und blieb erschrocken stehen. Das da vorne... die kurzen, verstrubbelten, schwarzen Haare... war das...?

Er schüttelte mit dem Kopf. Nein, natürlich war das nicht Harry. Die Statur stimmte nicht, außerdem war die Person viel älter. Es war also nur der Vater. James.
 

Neville seufzte. Er musste damit aufhören, nach jemandem Ausschau zu halten, der ohnehin niemals hier auftauchen würde, ansonsten würde er früher oder später wahnsinnig werden.
 

Als hätte er ihn gehört, drehte der Mann sich zu ihm um und lächelte freundlich. „Hallo, Neville. Heute ganz allein unterwegs?“
 

Er erwiderte sein Lächeln, denn er mochte James. Er war meistens gut gelaunt und immer für einen Spaß zu haben, besonders wenn Sirius Black in der Nähe und seine Frau nirgends zu sehen war. Das unterschied ihn sehr vom ernsten, gewissenhaften Wesen seines Sohnes. Manchmal fragte Neville sich, ob Harry ihm ähnlicher gewesen wäre, wäre er nicht bei der Familie Malfoy aufgewachsen.
 

„Sieht wohl ganz so aus“, erwiderte er mit aufgesetzter guter Laune. „Ich kann mich ja nicht immer von Ronald oder Hermione verfolgen lassen. Außerdem suche ich nach Albus.“
 

Nach längerem Überlegen war er zu dem Schluss gekommen, dass Albus Dumbledore der Einzige in ganz Hogwarts war, der in der Lage wäre, Draco zu retten. Die Leute hörten auf ihn und vertrauten ihm. So war es immer schon gewesen. Wenn Albus etwas sagte, schwiegen alle anderen und wenn er etwas für richtig hielt, stimmte man ihm früher oder später zu. Er würde alle überzeugen können, dass das, was Ronald tat, irrsinnig war. Ganz sicher.
 

//Ach ja? Und warum hat er es dann noch nicht getan?//
 

Er verdrängte diesen Gedanken und wandte seine Aufmerksamkeit stattdessen wieder James zu, dessen Miene sich seltsamerweise verfinstert hatte. „Albus ist auf dem Astronomieturm. Er beobachtet dort die Vögel“, fügte er beinahe verächtlich hinzu.
 

Neville blinzelte überrascht. Es kam nicht oft vor, dass jemand so von Albus sprach. Ob etwas zwischen den Beiden vorgefallen war? „Ähm... na ja, es soll entspannend sein, Vögel zu beobachten. Und inspirierend...“
 

„Spar es dir. Er ist nicht mehr das, was er früher einmal war. Er hat sich dafür entschieden, sich aus allem herauszuhalten und seinen Ruhestand zu genießen.“ James schüttelte mit dem Kopf. „Er hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können.“
 

„Er... ist alt geworden. Da kann man es ihm nicht verübeln, wenn er eine kleine Ruhepause...“
 

„Du hast Recht“, unterbrach James ihn. „Albus ist alt. Zu alt. Das Einzige, was er noch tut, ist auf den Tod zu warten. Was immer du also von ihm willst, du kannst es gleich vergessen. Von ihm bekommst du keine Hilfe.“
 

„Das kannst du gar nicht wissen!“, widersprach er automatisch. „Ich bin sicher, er wird auf mich hören und dafür sorgen...“
 

„Warum muss es eigentlich er sein, der dafür sorgt, dass alles so läuft, wie du es dir vorstellst?“, pfefferte der Mann ihm entgegen. Neville verstummte verdutzt. Was...?
 

„Du bist der Auserwählte“, fuhr James sofort fort, während er wild mit seinen Händen gestikulierte. „Du bist der Junge, der lebt. Du bist die Hoffnung dieser Menschen. Du solltest derjenige sein, der die Fäden in der Hand hält, der über Leben und Tod entscheidet und vor allen Dingen derjenige, der an der Spitze des Ordens steht. Doch stattdessen hast du das alles Ronald überlassen.“

Mit einem Mal ließ er seine Hände wieder ruhig an seiner Seite herabhängen, während er Neville mit einem durchdringenden, enttäuschten Blick betrachtete. „Sag mir... warum hast du das getan?“
 

Warum er das getan hatte?

Das war doch sonnenklar: Weil er ein Schwächling – //eine Enttäuschung//, flüsterten seine Gedanken – war, weil er niemals so gut sein konnte wie Ronald. Er hatte keine Ahnung von Strategien oder wie man einen Kampf plante, geschweige denn wie man Verbündete um sich scharrte oder Mitstreiter motivierte. Er wusste nicht, wie man großartige Reden hielt und wann es angemessen war, jemanden für etwas zu bestrafen oder nicht. Er war kein Anführer und: „Es will mich doch ohnehin niemand haben.“
 

Der Orden hatte sich für Ronald entschieden. Sie wollten ihm folgen. Nicht Neville. Die meisten waren aufgewacht und hatten verstanden, dass er nicht das war, was sie sich von ihm erhofft hatten.

Und die, die nichts mit dem Weasley am Hut haben wollten, hatten sich dem Dunklen Lord angeschlossen.
 

James schien zu wissen, was ihm durch denn Kopf schoss, denn er schüttelte mit dem Kopf. „Wenn dich wirklich alle aufgegeben haben, warum ist dann Harry nicht hier? Warum ist er nicht an Ronalds Seite und hilft ihm dabei, alldem ein Ende zu bereiten? Gut, vielleicht kann er ihn einfach nicht leiden und möchte deshalb nicht mit ihm zusammenarbeiten. Aber in diesem Fall könnte er auf der Seite unserer Feinde sein. Warum also zeigt er sich auch dort nicht offen? Warum hält er sich aus allem heraus?“
 

„Keine Ahnung, vielleicht möchte er nichts mit dem Krieg zu tun haben? Ich meine... er müsste auf jeder Seite gegen einen Teil seiner Familie kämpfen. Das würde keiner...“
 

Der Mann ließ ihn gar nicht erst ausreden: „Hör auf, Ausreden zu erfinden. Du weißt genau, warum er nicht hier ist.“
 

//Weil ich ihn wie alle anderen enttäuscht habe//, dachte er, aber er wollte sich vor James nicht diese Blöße geben und entgegnete deshalb stur: „Nein, weiß ich nicht. Und nun entschuldige mich bitte, ich habe noch etwas zu erledigen.“
 

Er wollte nun umdrehen und dramatisch davonstampfen. Mit etwas Glück würde sein Umhang wehen, so wie er es bei Professor Snape immer tat. Das wäre eindrucksvoll und es würde den Älteren davon abhalten, ihm noch etwas hinterher zu rufen.

Offenbar hatte er jedoch kein Glück und so hörte er die Worte, auf die letztendlich das ganze Gespräch – sein ganzes Leben – hinausgelaufen war: „Er wartet auf dich, Neville. Wir alle warten auf dich.“
 

Als Antwort beschleunigte er seine Schritte und lief weiter, ohne darauf zu achten, wohin ihn seine Beine eigentlich trugen oder die Menschen wahrzunehmen, an denen er vorbei hastete.

Erst, als er stehenblieb, wurde ihm wirklich bewusst, wohin er gegangen war: In die Kerker. Zu Draco.
 

Sein erster Impuls war, wieder kehrt zu machen und ans andere Ende des Schlosses zu verschwinden. Er hatte ganz sicher nicht das Bedürfnis, den Gefangenen zu sehen oder gar mit ihm zu sprechen. Dadurch würde er sich nur noch schlechter fühlen, weil er dann wirklich anfangen musste zu glauben, dass es sich nicht um einen bösen Traum handelte. Dass Draco wirklich hier unten war und sterben würde, wenn sie nichts dagegen unternahmen. Sobald er ihn sah, würde er die Verantwortung nicht mehr auf Andere abschieben können. Er würde nicht mehr behaupten können, dass er es nicht gewusst hatte. Oder dass er sich nicht sicher gewesen wäre.
 

Würde er Draco sehen, würde es bedeuten hinzusehen und spätestens ab diesem Zeitpunkt würde er nicht mehr mit sich leben können, wenn er ihn sterben ließ. //Dann wäre ich nämlich nicht besser als ein Todesser.//

Aber war er das nicht sowieso automatisch, wenn er weiterhin wegsah?
 

Er haderte immer noch mit sich selbst, als er auf einmal eine einsame Gestalt bemerkte, die reglos vor der verheißungsvollen Zelle stand. Sie trug ein hübsches Kleid, unter dem sich deutlich ihr gewölbter Bauch hervorhob und das wahrscheinlich um einiges bequemer als eine Hose sein musste. Stirnrunzelnd näherte er sich ihr.

Eigentlich müsste hier unten ein Ordensmitglied sein, das zusätzlich zu den zig Schutz- und Antiausbruchszaubern ein Auge auf Draco haben sollte. Er bezweifelte, dass ausgerechnet sie dazu eingeteilt worden war. Ronald hätte es nie zugelassen. Trotzdem konnte er niemanden ausmachen, weshalb er beschloss, sich zu ihr zu gesellen.
 

„Hermione“, begrüßte er sie leise, während er sich neben sie stellte.
 

Kurz glaubte er, sie hätte ihn nicht gehört, da sie in keinster Weise auf seinen Ansprechversuch reagierte, doch als er seinen Mund abermals öffnete, konnte er ein sanftes „Neville“ vernehmen. Nicht, dass sie auch nur im mindesten daran dachte, sich ihm zuzuwenden. Stattdessen starrte sie mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck die Wand an, von der er wusste, dass man von dieser Seite aus durch sie hindurchsehen und den Gefangenen beobachten konnte, ohne dass dieser überhaupt ahnte, dass er gesehen werden konnte. Eine praktische, magische Erfindung, welche die Überwachung um einiges vereinfachte.
 

Er zögerte noch einen letzten Moment, ehe er sich ebenfalls der Wand zuwandte. Das Innere der Zelle war dunkel und er brauchte etwas, bis er Draco fand. Sobald er ihn jedoch entdeckte, ging ihm sofort ein Gedanke durch den Kopf: „Er sieht... besser aus, als ich erwartet habe.“
 

„Achja?“, kommentierte Hermione. „Was hast du denn erwartet? Dass er in Ketten liegt und aus tausend Wunden blutet?“
 

Um ehrlich zu sein: Ja. Zumindest hätte er es Ronald zugetraut, den Malfoy in einen solchen Zustand zu versetzen. Warum eigentlich? Weshalb hassten sie sich so sehr?
 

Er drehte sich wieder zu seiner Freundin um und flüsterte: „Was ist er für dich? Was bedeutet er dir, dass Ronald ihn so sehr hasst?“
 

Sie schwieg solange, dass er überzeugt war, keine Antwort zu erhalten. Doch schließlich sagte sie genau das, worauf er die ganze Zeit gewartet hatte: „Er ist der Vater meines Kindes.“ Diesmal war sie es, die sich zu ihm umdrehte. Ihre Wangen waren trocken, ihre Augen ausdruckslos, aber er war sich sicher, dass in ihrem Inneren tausend Tränen darauf warteten, an die Oberfläche zu kommen. „Und er ist mein Mann.“
 

Ihr... Mann?!

Glücklicherweise war sie bereit, seine unausgesprochene Frage zu beantworten: „Ich weiß, dass er mit Pansy verheiratet ist“, erklärte sie mit einem traurigen Lächeln. „Und ich weiß, dass seine Familie mich selbst in Zeiten des Friedens niemals akzeptiert hätte. Aber er liebt mich, Neville, und manchmal braucht man nicht mehr als das, um zu wissen, dass man in diesem Leben zusammengehört.“

Er musste nicht nachfragen, ob sie ihn auch liebte.
 

Langsam wandte er sich wieder zu Draco um. „Tja... jetzt weiß ich wenigstens, warum Ronald ihn so hasst.“

Es war nachvollziehbarer. Jeder würde den Mann hassen, der es geschafft hatte, das Herz der geliebten Person zu gewinnen.
 

„Du hast nicht einmal den Hauch einer Ahnung, warum er ihn hasst“, murmelte Hermione mit ausdrucksloser Miene. „Nicht, wenn du glaubst, dass es nur wegen mir ist, denn das stimmt nicht. Wäre ich der Grund, hätte er ihn einfach in dem Wald getötet und es wie eine einfache Kriegshandlung aussehen lassen. Er hätte ihn wahrscheinlich davor gefoltert, ihn leiden lassen und es dann beendet, damit er sich sicher sein konnte, dass Draco nicht mehr da ist, um sich zwischen ihn und mich zu stellen. Aber er hat es nicht getan.“
 

„Weil er eine öffentliche Hinrichtung vorzieht“, flüsterte Neville. „Und es damit auf eine unpersönliche Ebene bringt. Anstatt ihn selbst zu vernichten, sorgt er dafür, dass die ganze weiße Seite die Verantwortung dafür übernimmt.“

Womit es nicht mehr wie eine persönliche Tat aussah und gleichzeitig konnte er den Malfoy dabei als Kriegsmittel verwenden. Gut durchdacht, wobei ihm der Sinn dahinter nicht ganz klar war.
 

Die Schwangere dagegen hatte ihn längst durchschaut: „Ich glaube, er will ihn gar nicht umbringen, zumindest nicht so. Wenn er ihn tot sehen wollte, hätte er ihm schon längst ein Ende bereitet.“
 

„Aber was bezweckt er dann damit?“
 

„Ist das nicht Offensichtlich?“, stellte sie die Gegenfrage und bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Ronald will Harry dazu zwingen, aus seiner passiven Rolle auszusteigen und sich in die Geschehnisse der Gegenwart einzumischen. Er will, dass er endlich seine Entscheidung trifft.“
 

„Was für eine Entscheidung?“
 

Hermione streckte ihre Hand aus und ließ sie für einen Augenblick auf unsichtbaren Wand verweilen, die sie von Dracos Zelle trennte. „Seine Wahl, Neville. Die Wahl darüber, wer diesen albernen Krieg gewinnen soll.“ Sie sah noch ein letztes Mal mit beinahe sehnsuchtsvoller Miene zu dem Vater ihres Kindes, ehe sie sich zu ihm umwandte. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Ronald ihn hierher lockt. Er wird ihn dazu bringen, sich für ihn zu entscheiden und das geht einfach nicht.“
 

Harry. Warum ging es eigentlich letztendlich immer nur um Harry?

Doch er stellte eine andere Frage: „Warum geht es nicht? Wäre es nicht gut, wenn er endlich auf unsere Seite kommen würde?“
 

„Wenn es deine Seite wäre ja. Aber wenn er sich dazu entschließen sollte, Ronald zu unterstützen, läuft es mir kalt den Rücken herunter, sobald ich an unsere Zukunft denke.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte sich dann langsam in Bewegung. „Wenn du mich jetzt entschuldigst, Fred und George haben mich darum gebeten, mir eine ihrer neusten Kreationen anzusehen. Hoffentlich ist es diesmal etwas, das sich nicht bewegt.“
 

Er sah ihr hinterher, während sie langsam zu den Treppen schlenderte und drehte sich erst wieder um, als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
 

Wenn er sich dazu entschließen sollte, Ronald zu unterstützen, läuft es mir kalt den Rücken herunter, sobald ich an unsere Zukunft denke.
 

Und was war mit ihm selbst? Wollte er, dass Harry mit dem Rothaarigen zusammenarbeitete?

Vielleicht würde alles dadurch besser werden. Wenn Ronald Harry unbedingt auf seiner Seite haben wollte, würde er sicher auf ihn hören, oder? Vielleicht würde er dadurch ruhiger werden, klarer denken und endlich die richtigen Entscheidungen treffen.

Vielleicht würden sie dann diesen Krieg gewinnen. Hermione zumindest schien daran zu glauben.
 

//Trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht.//
 

Schweigend betrachtete er Draco, der inzwischen unruhig hin und her lief. Würde seine Anwesenheit Harry wirklich hierher locken? Und würde es wirklich ausreichen, um ihn dazu zu bringen, die weiße Seite zu unterstützen? Wäre das überhaupt richtig? Wäre es nicht... eine Art Erpressung?
 

//Es ist Erpressung. Kein Wunder, dass Hermione verhindern möchte, dass er hierherkommt.//
 

Doch wie sollten sie das verhindern? Harry liebte seinen Bruder. Er würde ihn niemals sterben lassen, wenn er glaubte, dass er es irgendwie aufhalten könnte. Er würde versuchen ihn zu retten. Und das bedeutete, dass sie Draco zuerst würden retten müssen.

Nur wie?
 

Er erinnerte sich daran, was James zu ihm gesagt hatte: Er war der Auserwählte. Er war derjenige, auf den die Leute wirklich setzten, aber da er sich in eine passive Rolle begeben hatte, hatten sich alle Ronald zugewandt. Das durfte so nicht weitergehen. Er musste damit aufhören, die Verantwortung immer nur an Andere abzugeben und anfangen endlich selbst zu handeln.

Seine erste Mission: Draco hier rausholen. Er, Hermione und James konnten unmöglich die Einzigen sein, die etwas gegen seine geplante Hinrichtung auszusetzen hatten. Wenn er genug Leute hinter sich scharren konnte, würde er sich Ronald und seinen Befürwortern in den Weg stellen können.
 

Vielleicht würde er dann das erste Mal das Gefühl haben, Harry nicht mehr zu enttäuschen.
 

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Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich jetzt sowohl auf Twitter, als auch auf Tumblr zu finden bin, wo ich meinen Bearbeitungsstand, sowie Inspirationsquellen und überaus „tiefsinniges“ Geplappere posten werde.

Wenn ihr mir folgen wollt, könnt ihr das gerne tun, indem ihr auf meinem Profil/Steckbrief auf FF.de und/oder Animexx vorbeischaut, wo ich momentan die Links zu meinen Seiten reingestellt habe.
 

Ich wünsche euch allen eine friedliche Adventszeit.

Liebe Grüße, Ria

Taking Sides

Taking Sides
 

Draco wusste nicht, wie lange er auf dem Boden gelegen hatte. Vielleicht eine Minute, vielleicht aber auch mehrere Stunden. Die Zeit entglitt ihm mit jedem Tag mehr. Einzig sein Hunger- und Müdigkeitsgefühl gaben ihm ein Gespür dafür, wie viele Stunden vergangen sein mochten, doch selbst diese waren keine zuverlässigen Faktoren. Er war immer hungrig, er war immer müde und ihm war immer kalt.

Wenigstens hatte er keine Schmerzen mehr.
 

Lily hatte sich um all seine Wunden gekümmert und dafür gesorgt, dass er am Leben blieb. Manchmal war er ihr dankbar dafür, doch es gab Augenblicke, in denen er sie dafür hasste. Was war ein Leben, das in Gefangenschaft geführt wurde? Richtig: langweilig.

Er hatte nichts zu tun. Absolut nichts. Er konnte nur liegen oder durch die Zelle laufen oder die Risse in den Wänden und dem Boden und an der Decke zählen. Oder darauf warten, dass Lily mit einer Mahlzeit zu ihm kam. Wenn er Glück hatte, sprach sie sogar mit ihm.
 

Das war ein weiterer Grund, warum er sie hasste: Da sie die Einzige war, die ihn ab und an besuchte, zwang sie ihn förmlich dazu, sich auf ihr Erscheinen zu freuen. Ausgerechnet auf sie. Harrys Mutter, die Frau, die ihn im Stich gelassen hatte und die nicht einmal ein Lächeln für Draco übrig hatte. Nicht, dass er von ihr angelächelt werden wollte, aber ihre ausdruckslose Miene war auch nicht gerade etwas, das ihn zu Freudensprünge animierte.

Doch sie war ein menschlicher Kontakt und das war besser als nichts.
 

Seufzend verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und starrte weiter hinauf. Er wusste, dass da noch andere Menschen waren. Einige bewachten seine Zelle, andere kamen einfach nur vorbei und schienen ihn zu beobachten. Er fragte sich, ob es Hermione war, die nach ihm sehen kam oder ob sich Weasley oder Longbottom hierher verirrten. Um wen auch immer es sich handeln mochte, Draco empfand stets ein großes Unruhegefühl, wenn sich ihm jemand näherte. Er wusste, dass man ihm zum Tode verurteilt hatte. Ihm stand eine öffentliche Hinrichtung bevor. Es gab keinen Grund zur Hoffnung.
 

Die Tür zu seiner Zelle wurde geöffnet. In der Erwartung, Lily zu sehen, wandte er träge seinen Kopf zur Seite. Als er jedoch sah, wer wirklich zu ihm gekommen war, lachte er. „Bist du hier, um dich an meinem elenden Anblick zu erfreuen? Oder ist bereits der Tag meines Todes gekommen?“
 

Ronald Weasley betrat lächelnd den Raum und ließ die Tür hinter sich zuschnellen. „Nichts von beidem. Ich bin hier, um zu überprüfen, ob meine Leute dich auch mit der dir gebührenden Gastfreundschaft begegnen.“ Er ließ seinen Blick in aller Ruhe durch das Zimmer schweifen. „Wie ich sehe, haben wir dir unsere Luxussuite überlassen. Ich hoffe sehr, dass hier alles zu deiner Zufriedenheit ist?“
 

„Es gibt definitiv nichts zu beklagen“, entgegnete Draco sarkastisch. „Das Essen schmeckt nach Staub und das Bett ist so hart wie der Boden... moment, es ist der Boden! Ich muss sagen, dieser Ort bietet alles, was man von einem Gefängnis erwartet.“
 

Weasleys Lächeln wurde eine Spur breiter. „Das freut mich sehr zu hören. Hermione wäre untröstlich, wenn du nicht ein Mindestmaß an Komfort während deines Aufenthaltes in unserem bescheidenen Zuhause genießen würdest.“
 

Draco setzte sich auf. „Was willst du?“ Innerlich brodelte er. Wie konnte er es wagen, Hermione mit ins Spiel zu bringen? So wie er es wagen konnte, ihn hier unten einzusperren. Ronald hatte die Macht. Über ihn, über sein Leben, über Hermione und über sein ungeborenes Kind. Draco konnte sich nicht erinnern, jemals einen anderen Menschen so sehr gehasst zu haben.
 

„Wie gesagt, ich bin nur hier, um mich über deinen Zustand zu erkunden“, erwiderte der Rothaarige und umkreiste den jungen Malfoy mit langsamen, selbstbewussten Schritten. Um seine Autorität zu unterstreichen, ließ er seinen Zauberstab zwischen seinen Fingern kreisen, genauso wie der Dunkle Lord es in seiner Situation getan hätte. Die Beiden sollten sich zusammentun. Sie würden sicher beste Freunde werden.
 

„Das hast du ja nun gemacht. Wenn du mich entschuldigst, ich würde jetzt gerne damit fortfahren, die Ritzen in der Wand zu zählen.“

Damit legte er sich wieder hin und verschränkte in aller Ruhe die Hände hinter dem Kopf. Ein Fehler. Ein großer Fehler.
 

Der Schmerz kam so überraschend, dass er für den ersten Moment glaubte, ihn sich einzubilden. Im nächsten Moment hörte er auf, einen klaren Gedanken fassen zu wollen, da es nur noch den Schmerz gab. Seine Muskeln schienen sich auszudehnen, seine Adern schienen zum Zerreißen gespannt und ein grauenvoller Schrei schien sein Trommelfeld zerreißen zu wollen.

Erst als der Schmerz wieder verebbte, begann er zu begreifen, dass es sein eigener Schrei gewesen war.
 

„Verdammt“, keuchte er und bemerkte, dass er sich instinktiv zusammengerollt hatte. „Was zum...“
 

„Ein netter Fluch, nicht wahr, Malfoy?“, drang Weasleys selbstzufriedend klingende Stimme an sein Ohr. „Schwarze Magie ist schon etwas faszinierendes. Nichts auf dieser Welt ist in der Lage, solche physische Schmerzen in einem anderen Menschen auszulösen. Und vor allem ist sie so viel sauberer. Ich könnte dich aufschneiden oder vierteilen oder dich mit meinen Füßen niedertrampeln, doch warum die Mühe machen, wenn ich genauso gut nur mit meinem Zauberstab schwingen und dich eine ganz andere Art des Schmerzes lehren kann?“
 

Eine neue Welle des Schmerzes erfasste ihn. Da schien jemand auf den Geschmack gekommen zu sein.

„Warum tust du das?“, fragte er, als er wieder klar denken konnte. „Du hast doch bereits alles, was du willst.“
 

Weasley trat in sein Blickfeld und hockte sich vor ihm hin. Lächelnd streckte er seine freie Hand aus und strich ihm liebevoll über das Haar. „Du glaubst also, ich habe alles, was ich wollte?“, wiederholte er. „Du irrst dich. Erst wenn du und deinesgleichen für immer aus dieser Welt verschwunden seid, werde ich mein Ziel erreicht haben. Du wirst der Anfang sein, Malfoy. Danach werde ich mir Harrys geliebten Dunklen Lord vornehmen. Und sobald er beseitigt ist, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir den Rest eliminieren können.“
 

„Du bist auch wie ich“, zischte Draco und spähte zu ihm hinauf. „Du bist ein verdammter Schwarzmagier. Wenn du uns auslöschen willst...“
 

„Muss ich mich auch auslöschen?“, beendete er seinen Satz grinsend. „Oh, da hast du Recht, aber das wird die Natur so oder so für mich übernehmen. Und bis dahin kann ich mich um den Rest kümmern. Zum Beispiel um deinen kleinen Spross, der in dem Bauch unserer lieben, gemeinsamen Freundin heranwächst.“
 

Grauen erfüllte ihn. Er meinte doch nicht... er wollte doch nicht...

„Oh, keine Sorge, mein Lieber“, sagte Ronald lachend. „Deinem kleinen Nachwuchs wird nichts passieren. Die Zeit hat großes Interesse daran, dass dein Kind zur Welt kommt und am Leben bleibt. Ich verspreche dir, ich werde mich gut darum kümmern.“

Seine Finger vergruben sich mit einem Mal schmerzhaft in seiner Kopfhaut. Draco biss sich auf die Unterlippe, als der Rothaarige sich zu ihm hinunterbeugte, um ihm seine nächsten Worte direkt ins Ohr flüstern zu können: „Ich werde deinen Sohn lehren, deinen Namen zu hassen. Er wird dich verachten, verabscheuen und sich wünschen, dass seine Mutter niemals das Bett mit dir geteilt hätte.“
 

„Es ist doch gar nicht raus, dass ich einen Sohn haben werde“, entgegnete Draco kühl.
 

Er musste einen ruhigen Kopf bewahren. Dieser Psychopath wollte ihn provozieren. Er wollte, dass er etwas Unüberlegtes tat. Zurückschlug. Wahrscheinlich würde es ihn sogar aufgeilen. Nein, er würde ruhig bleiben und seine Wut herunterschlucken. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, sich gegen ihn aufzulehnen. Das würde er sich für ein andermal aufheben, wenn er sich in einer weniger erniedrigenden Position befand.
 

„Sohn, Tochter.... das Geschlecht macht letztendlich keinen Unterschied.“ Ohne Vorwarnung rammte er Dracos Kopf auf den kalten Steinboden, während er ihn als Stütze benutzte, um wieder aufzustehen. Dieser verdammte... „Dein Kind gehört mir und Hermione wird sich nach deinem Tod sicherlich auch wieder daran erinnern, wem ihre Loyalität wirklich gelten sollte.“
 

„Weil Frauen es ja auch so furchtbar sexy finden, wenn man den Vater ihrer Kinder umbringt“, murmelte er. Als Antwort traf ihn wieder Ronalds neuer Lieblingsfluch. Der Kerl hatte definitiv keinen Sinn für Humor.
 

„Du hättest dich niemals einmischen dürfen“, verkündete der Weasley, sobald er den Fluch wieder aufgehoben hatte. „Dann hättest du überleben können. Aber nein, du musstest dich ja lieber der Versuchung hingeben und ihr mit unüberlegten Versprechen den Kopf verdrehen. Doch ich verzeihe ihr diesen Ausrutscher. Es war nicht ihre Schuld. Trotzdem bist du zu einem Problem geworden.“
 

Ein Problem.... aus seinem Mund waren diese Worte ein wahres Kompliment. Allerdings fiel ihm absolut keine passende Erwiderung darauf ein, da er sich Mühe geben musste, sich nicht zu übergeben. Was immer das für ein Fluch war, den er auf ihn richtete, er vertrug sich nicht sonderlich gut mit seinem Kreislauf.
 

Ronald hatte inzwischen damit begonnen, ihn wieder mit schweren Schritten zu umkreisen und fuhr damit fort, ihn an seinen Plänen teilhaben zu lassen, die denen des Dunklen Lord ernste Konkurrenz gemacht hätten:„Zu deinem Glück wird es noch ein wenig dauern, bis ich deine Eliminierung einleiten kann. Lebendig nützt du mir zu diesem Zeitpunkt mehr.“
 

Bevor er fragen konnte, was er damit meinte, wurde er abermals von einer Welle des Schmerzes überrollt. Nur, dass sie diesmal nicht aufhörte. Der Schmerz hielt immer weiter an, wurde immer stärker und schien bald alles in ihm zu erfüllen. Er begann zu schreien, als seine Knochen brachen und er hörte erst auf, als ihm seine Stimme versagte. Dafür hörte er nun das lachen. Ein schrilles, freudloses, grauenvolles Lachen. Und dann hörte er gar nichts mehr.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Neville war nicht klar gewesen, wie sehr die Leute bereits auf Ronalds Meinung vertrauten. Egal, wen er ansprach, egal, wem er ins Gewissen reden wollte, alle warfen ihm befremdliche Blicke zu und wiesen ihn darauf hin, dass es ein verdammter Schwarzmagier war, dessen Leben er retten wollte.

Ja, Draco Malfoy war ein Schwarzmagier. Na und? Warum spielte das eine Rolle? Sirius Black war auch Schwarzmagier und trotzdem durfte er im Orden unbeschadet ein und aus gehen. Nevilles Meinung nach war das ein schlechtes Argument dafür, den Tod eines anderen Menschen zu rechtfertigen.
 

Innerlich hoffte er, dass sie dieses Argument benutzen, weil ihnen kein anderes mehr einfiel. Er wusste inzwischen, wie er seine Mitmenschen davon überzeugen konnte, dass Dracos Hinrichtung einem Mord gleichkam. Einige – allen voran Molly Weasley – waren der Überzeugung, dass dies gerechtfertigt sei. Draco sei immerhin ein Todesser und habe gewusst, worauf er sich eingelassen hatte. Er habe seine Entscheidung getroffen, seine Seite gewählt und er sei sich sicherlich darüber bewusst gewesen, dass der Tod auf ihn warte, wenn seine Mission, Ronald zu töten, scheiterte.

Als Neville ihr – und allen Anderen – daraufhin erklärt hatte, dass sie nicht viel besser als der Dunkle Lord wären, wenn sie ihren Gefangenen hinrichteten, obwohl dieser für sie keinerlei Gefahr darstellte – Draco war immerhin nicht einmal einer der bekannten Führungskräfte – war sie ganz schnell wieder ruhig geworden.

Bis das Argument Schwarzmagier aufgekommen war.
 

„Jeder, der schwarze Magie inne hat, ist böse“, war das Hauptargument. „Wenn sie ausgelöscht werden, wird die Welt zu einem besseren Ort werden.“

„Auch Menschen mit weißer Magie können böse Dinge tun“, erwiderte er darauf. „Das hat nichts mit der Magie zu tun, sondern mit den Entscheidungen, die wir treffen. Niemand wird böse geboren. Wir werden erst zu etwas bösem geformt.“
 

Doch es wollte ihm keiner zuhören. Er war zu lange ruhig gewesen, hatte sich zu lange aus allem herausgehalten und nun war ihm jede Chance auf eine Führungsposition entglitten. Ohne dass es ihm bewusst gewesen war, hatte Ronald seine Rolle innerhalb des Ordens übernommen und jetzt war es ihm beinahe unmöglich geworden, sie jemals zurückzuhalten. Wie hatte er das nur zulassen können? Warum hatte er sich so gehen lassen? Er war ein Idiot gewesen, doch nun würde er alles ändern. Wobei es schwerer war, als er sich ursprünglich vorgestellt hatte.
 

„Es muss doch hier irgendwo jemanden geben, der nicht so engstirnig und konservativ eingestellt ist“, knurrte er verstimmt, während er am Rande eines Innenhofes von Hogwarts saß und sich sein weiteres Vorgehen überdenkte. Wenn er wenigstens einen Verbündeten hätte. Gut, James war auf seiner Seite und wenn er es richtig verstanden hatte, unterstützten ihn auch Sirius Black, Remus Lupin und Nymphadora Tonks. Dummerweise war das nicht genug. Vermutlich würde es niemals genug sein.

Wenn nur Harry hier wäre. Sein bester Freund wüsste, was zu tun wäre.
 

„Weißt du, wenn du hier einsam vor dich rumsitzt und Trübsal bläst, wirst du niemanden helfen können.“
 

Neville blickte auf. Einer der Weasley-Zwillinge war zu ihm getreten. Es war ihm unmöglich zu sagen, wer von den Beiden vor ihm stand, da er sie noch nie hatte auseinanderhalten können. Misstrauisch sah er sich um, doch der zweite war nirgends zu entdecken. Deshalb wandte er sich wieder diesem Zwilling zu. „Bitte?“
 

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du meinem Bruder eins auswischen und Draco aus seiner prekären Lage befreien willst“, verkündete er und setzte sich neben ihn. „Ein wirklich edler Gedanke, doch allein mit Worten wirst du nichts ausrichten können. So funktioniert das leider nicht.“
 

„Und was soll ich sonst tun?“, fragte er gereizt. Für die dummen Sprüche dieses Spaßvogels hatte er nun wirklich keine Zeit. „Sie alle mit einen Fluch belegen und sie dazu zwingen, auf mich zu hören?“
 

„Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass du die Fähigkeiten für einen so aufwendigen Zauber hättest. Aus diesem Grund hätte ich einen besseren Vorschlag.“ Der Rothaarige legte ihm einen Arm um die Schulter und beugte sich vor, um ihm seine nächsten Worte direkt ins Ohr zu flüstern: „Hilf uns.“
 

„Wobei?“, fragte er, ohne sich zu bewegen.
 

„Dabei, Draco aus seinem Gefängnis rauszuholen.“
 

Sein Herz setzte einen Schlag lang aus, ehe es kräftig weiterzuklopfen begann. Sie wollten ihn befreien? Waren sie wahnsinnig geworden? Was, wenn sie jemand erwischte? Dann würde Ronald sie definitiv gemeinsam mit Draco umbringen lassen. Es war verrückt. Es war wahnsinnig. Und gleichzeitig war es die einzig richtige Entscheidung.
 

Langsam rückte Neville von ihm ab, damit er sich zu ihm umdrehen und ihm in die Augen blicken konnte. „Was soll ich tun?“
 

Der Zwilling sah ihn für einen Moment schweigend an, ehe ein ehrliches Lächeln auf seinem Gesicht erschien. „Schön, dich wiederzuhaben, Neville.“
 

Er packte seinen Oberarm und zog ihn mit sich. Neville stolperte ihm etwas unbeholfen hinterher, während der Zwilling auf ihn einredete: „Am Wichtigsten ist es, Ronald abzulenken und dafür zu sorgen, dass unser Fluchtweg frei ist. Hier sind überall Appariersperren, weshalb wir ihn aus Hogwarts herausbringen müssen. Hermione wird sich um meinen Bruder kümmern. Und wir beide, mein Freund, werden den Anderen den Rücken decken.“

„Den Anderen?“, fragte er verwirrt, während er sich darauf konzentrierte, nicht hinzufallen. Warum hatte er es nur so verdammt eilig?

„Diejenigen, die sich um Malfoy kümmern werden.“ Der Zwilling kam zum Stillstand und bedachte ihn mit einem intensiven Blick. „Merk dir diesen Ort, Neville, hier werden wir uns heute Abend treffen, wenn es an der Zeit sein wird, unseren Plan in die Tat umzusetzen. Wir verlassen uns auf dich, okay?“
 

Und ob sie sich auf ihn verlassen konnten. Endlich hatte er die Chance, das Richtige zu tun. Vielleicht würde danach wieder alles gut werden. Vielleicht würde er dadurch die Möglichkeit haben, auf den Weg zurückzukehren, den das Schicksal für ihn bereitgestellt hatte. Und vielleicht würde er dann endlich seinen besten Freund zurückbekommen.
 

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Harrys Schritte wirkten unnatürlich laut, während er durch die inzwischen nur allzu bekannten Gänge von Toms Haus eilte. Dabei fragte er sich nicht zum ersten Mal, warum er gerade hier landete. Warum sollte Ginevra ihn an diesen Ort bestellen, wo sie den Dunklen Lord doch mehr als alles andere verabscheute? Im Endeffekt gab es dafür nur eine Antwort: Er selbst war es, der bestimmte, wo sie waren. Sah so aus, als würde sein Unterbewusstsein nach wie vor nach jenem Mann suchen.

//Natürlich tut es das. Du vermisst ihn.//
 

Seufzend blieb er stehen und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Dabei hörte er... Stille.

Sie war ihm sofort aufgefallen, als er aus seinem eigenen Traum hierher gerissen worden war.

Warum war da Stille? Es durfte keine Stille geben. Da müssten die Töne eines Klaviers sein, eine traurige, herzzerreißende Melodie, von der man sich wünschte, sie möge ewig weitergehen, während man sich gleichzeitig ihr Ende herbeisehnte.

Wo war der einsame Pianist, der einzige Lichtblick in jenen Träumen, die seine Mira über ihn brachte?
 

Als er kurz darauf den Kreuzgang betrat, bekam er seine Antwort. Der junge Musiker und sein wunderschöner Flügel waren verschwunden. An ihre Stelle war Gellert Grindelwalds Grabstein getreten. Wie ein dunkler Schatten ragte er aus dem Erdboden empor und ließ diesen Ort noch düsterer als gewöhnlich wirken. Harry trat an eine der Säulen, die diesen kleinen Friedhof umrahmten und lehnte sich mit der Schulter dagegen. Dabei betrachtete er das Profil des Mannes, der gleich einer Statue vor dem Grab stand. Es war ein älterer Tom als der Pianist, aber ein Jüngerer als der Dunkle Lord. Ein anderer Tom, den er nie kennengelernt hatte. Ob er so ausgesehen hatte, als Gellert Grindelwald gestorben war?
 

„Was hat das hier zu suchen?“, fragte Harry. „Was willst du mir damit sagen, Tom?“

Er erhielt keine Antwort. Natürlich nicht.
 

„Was ist dieser Mann nur für dich gewesen?“, sinnierte er und betrat den kleinen Garten. „Ein Mentor? Eine Vaterfigur? Was hast du in ihm gesehen, dass du ihn in dem bestgesichertsten Teil deines Hauses begraben hast?“

Und warum hatte er aufgehört zu spielen?
 

Ich habe aufgehört zu spielen, als die einzige Person gestorben ist, die mir jemals zugehört hat.

Stimmt. Das hatte er vor zwei Jahren zu ihm gesagt, als er ihm diese Frage gestellt hatte. Damals hatte Harry sich gefragt, wer dieser Mensch gewesen sein mochte, dessen Ende gerade Tom Riddle genug beeinflusst hatte, um ihm die Lust am Klavierspielen zu nehmen. Handelte es sich dabei wirklich um Gellert Grindelwald?
 

„Ich glaube, mir ist nie bewusst gewesen, wie einsam du eigentlich gewesen bist“, sagte Harry leise und stellte sich neben ihn. „Dabei hätte es mir klar sein müssen... nicht viele Menschen betrachten eine Schlange als ihre engste Vertraute. Wobei Nagini eine sehr intelligente Schlange ist, ansonsten würdest du dich sicherlich nicht mit ihr abgeben.“
 

Bereitete ihm diese Erkenntnis Schuldgefühle? Vielleicht.

Er wusste, dass es in gewisser Hinsicht herzlos gewesen war, dem Mann zuerst seine Liebe zu gestehen, ihn dann einzufrieren und ihn daraufhin zu verlassen. Niemand hatte eine solche Behandlung verdient, selbst nicht unter diesen Umständen. Aber in jenem Moment war es ihm wie die einzig richtige Möglichkeit vorgekommen. Die einzige Handlung, die das erzielte Ergebnis hervorbringen würde.

Er hatte Tom zeigen müssen, dass er nicht einfach mit den Leben von Harrys Freunden und Familienmitgliedern spielen durfte. Es ging hier immerhin um Draco. Seinen Bruder, der seit er fünf Jahre alt gewesen war, stets an seiner Seite gestanden hatte (außer in den ersten Jahren in Hogwarts, als kindliche Eifersucht Draco von ihm fortgerissen hatte). Er hätte es sich niemals verzeihen können, wenn er bei Tom geblieben und ihre Beziehung vertieft hätte, während sein Bruder auf seinen Tod wartete.
 

//Aber ist es wirklich notwendig gewesen, ihn zu verlassen?//

Was hätte er sonst tun sollen?

//Kommunikation ist das A und O...//

Kommunikation mit einem Dunklen Lord war dasselbe wie Kommunikation mit einer Wand.

//Du hast ihm nie die Chance gegeben, dir zuzuhören.//

Das stimmte nicht. Er hatte es versucht. Oft.

//Und kaum hattest du das Gefühl, dass es nichts bringt, bist du vor ihm davon gerannt. So wird das nie funktionieren.//

Vielleicht sollte es einfach nicht funktionieren.
 

Im Endeffekt fühlte er sich doch nur von Tom angezogen, weil er selbst ein Tempus Amicus und der Andere ein mächtiger Dunkler Lord war. Alles, was zwischen ihnen existierte, beruhte einzig und allein auf ihrer Magie. Was würde also geschehen, wenn diese Magie verschwinden würde oder wenn Harry niemals ein Tempus Amicus geworden wäre? Wären sie sich dann auch so nahe gekommen oder wären sie sich am Ende egal gewesen?

//Ariana und Albus sagten, dass ihr beide Feinde gewesen wärt, hätte sie nicht damals eingegriffen. Deine Verbindung zu Tom ist ein Werk des Schicksals. Ihr wärt niemals voneinander losgekommen, egal, in welcher Realität du auch gelebt hättest.//
 

Ja, aber sie wären Feinde gewesen. Keine.... was auch immer das eigentlich zwischen ihnen war.

//Du liebst ihn.//

Wenn er das wirklich tat, warum rannte er dann immer von ihm davon?

//Weil du dir nicht sicher bist, ob Tom dich auch liebt.//

In einem war er sich sicher: falls Tom jemanden liebte, dann Harry. Allerdings war es möglich, dass sie verschiedene Auffassungen von dem Wort „Liebe“ hatten.
 

„Weißt du....“, sagte er zu der jüngeren Ausgabe seines Denkproblems, „wir hätten uns in einer anderen Zeit treffen sollen. Ich müsste älter sein... du jünger... und in der Mitte wären wir uns begegnet und hätten gemeinsam großartiges schaffen können.“

//Das könnt ihr immer noch.//

Er drehte sich um und machte sich auf die Suche nach Ginevra.
 

Die Mira wartete mit einer Tasse Tee auf ihn. Als er den Raum betrat, den sie heute beschlagnahmt hatte, bedachte sie ihn mit einem strengen Blick. „Du hast dir viel Zeit gelassen.“

Harry ignorierte sie und setzte sich dafür auf den Stuhl, der am weitesten von ihr entfernt war. Dort angekommen, schlug er die Beine übereinander, um sie daraufhin kühl mit seinen Augen zu fixieren. „Mylady haben mich zu sich gerufen?“

Ungerührt trank sie einen weiteren Schluck Tee. „Es war sehr klug von Luna, dich zu deiner Mutter zu schicken. Sie hat tatsächlich den einzigen Schicksalsfaden gefunden, mit dem Draco Malfoy gerettet werden kann.“
 

„Und dir ist natürlich nicht in den Sinn gekommen, mich darüber in Kenntnis zu setzen, hm?“ Hätte er sich nicht bereits eine äußerst negative Meinung über die Mira gebildet, wäre es spätestens jetzt soweit gewesen.
 

„Warum sollte ich das tun?“, fragte sie. „Es spielt für die Zeit keine Rolle, was mit Draco Malfoy geschieht.“

Harry schnaubte. „Stimmt. Sie war nur daran interessiert, dass er Hermione schwängert.“
 

Ginevra runzelte die Stirn. „Du bist verstimmt.“
 

„Wie kommst du nur darauf?“, murmelte er, aber sie sprach bereits weiter: „Du bist immer verstimmt, wenn du bei mir bist.“
 

„Die wenigsten würden begeistert sein, wenn sie in regelmäßigen Abständen aus ihren Träumen gerissen werden.“
 

„Es ist die einzige Möglichkeit, dich zu erreichen.“
 

„Ich habe nie darum gebeten, erreicht zu werden.“
 

„Ich weiß“, sagte sie so verständnisvoll, dass er den Impuls, sie zu schlagen, unterdrücken musste. „Du hast es dir nicht ausgesucht. Aber ich habe es auch nicht getan. Glaubst du, ich wollte damals sterben? Der Tod ist nicht lustig. Er ist grauenhaft, traumatisierend, oft sogar schmerzhaft. Denkst du nicht, dass ich das lieber vermieden hätte? Trotzdem bin ich gestorben und jetzt bin ich hier, damit wir beide zusammenarbeiten. Ich will dir nur helfen.“

Natürlich wollte sie das. Immerhin würde eine Mira nie und nimmer egoistische Gedanken verfolgen. Er fragte sich, ob Albus es auch so sehr gehasst hatte, auf Ariana zu treffen. Er würde ihn irgendwann darauf ansprechen müssen.
 

„Draco ist mein Bruder“, sagte er leise. „Ich werde ihn nicht sterben lassen.“
 

„Und du bist ein Tempus Amicus“, entgegnete sie. „Das Wohl der Allgemeinheit sollte für dich wichtiger sein, als deine persönlichen Ziele. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Dracos Schicksal ist besiegelt. Wir sollten uns nun wichtigeren Dingen zuwenden.“
 

„Und was für wichtigere Dinge sollen das sein? Die Weltherrschaft?“
 

„Sowas in der Art.“ Sie nippte kurz an ihrer Tasse. „Sobald deine Mutter Draco aus seiner elenden Lage befreit hat und er wieder in Sicherheit ist, wird dein geliebter Dunkler Lord versuchen, dich wieder für sich zu gewinnen und du wirst schwach werden, weil du dich von deinen Gefühlen blenden lassen wirst. Aber du solltest in diesem Moment nicht vergessen, dass er es war, der deinen Bruder dorthin gebracht hat. Er hat dir gezeigt, wie viel er von deiner Meinung hält. Denkst du, das wird sich jemals ändern?“
 

Er beglückwünschte sich dafür, dass er dazu fähig war, ihr ein Lächlen zu schenken. „Meine Beziehung zu Tom Riddle sollte keine Rolle spielen, liebste Ginny. Denk ja nicht, dass ich so naiv bin, wegen ihm das Wohl der gesamten Menschheit aufs Spiel zu setzen.“
 

Sie musterte ihn, lange und intensiv. Vermutlich versuchte sie herauszufinden, was er damit meinte. Sollte sie sich ruhig den Kopf darüber zerbrechen. Er würde weiterhin dasitzen und vor sich hinlächeln, während er der Stille lauschte, die nicht existieren dürfte.

Bis sie plötzlich von dem Klirren der Teetassen unterbrochen wurde, als der Raum zu beben begann. Blinzelnd blickte er auf, während Ginevra das Gesicht verzog. „Dieses dumme Ding.“

Dieses dumme Ding?
 

Im nächsten Augenblick schlug er in seinem Bett die Augen auf und blickte in Lunas blasses Gesicht. Sah ganz so aus, als hätte sich seine Frage gerade von selbst beantwortet.

„Luna“, begrüßte er sie. „Was...?“
 

„Es geht los“, erwiderte sie leise, aber eindringlich. „Sie holen ihn raus. Ich dachte, du willst es vielleicht wissen.“
 

Sofort war er hellwach. „Erzähl mir alles.“
 

Luna lächelte und glitt neben ihn unter die Decke. Vertrauensvoll schmiegte sie sich an ihn und legte ihren Kopf auf seiner Schulter ab. Erst als er einen Arm um ihre schmalen Schultern geschlungen hatte, begann sie zu sprechen.
 

Doch obwohl Harry ihr genau zuhörte und ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkte, erzählte sie ihm nicht alles.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Er musste eingeschlafen sein, denn als Draco das nächste Mal die Augen aufschlug, war er allein.

Allein in seinem Gefängnis. Allein mit seinen Schmerzen.

Es war, als hätte er am ganzen Körper Muskelkater. Seine Arme, seine Beine, sein Hals, selbst seine Rippen schmerzten mit jedem einzelnen Atemzug. Was immer Ronald mit ihm getan hatte, er wollte es nie wieder erleben.
 

Er lag auf der Seite, hatte sich schützend zusammengerollt und die Arme um seinen Bauch geschlungen. Er versuchte, sie zu bewegen, gab es jedoch sofort wieder auf. Es war lächerlich. Es war immerhin nicht so, als hätte der Weasley ihm wirklich weh getan. Vermutlich wirkte dieser Zauber einzig über den Geist und hatte ihn all den Schmerz einbilden lassen. Mit seinem Körper war sicherlich alles in Ordnung. Er sollte stärker sein, mehr Selbstdisziplin, mehr Selbstbeherrschung. Stattdessen lag er hier und jammerte in Gedanken herum. Was für ein überaus ehrenvolles Mitglied der Familie Malfoy er doch war.
 

Das schlimmste an der ganzen Situation, war, dass es sich ausgerechnet bei Ronald Weasley um seinen Peiniger gehandelt hatte. Der Dunkle Lord, ein Auror, Dumbledore, ja selbst bei Longbottom hätte er jegliche Art der Folter einfach wegstecken können. Bei Weasley kratzte es allerdings viel zu sehr an seinem Stolz. Er würde es ihm heimzahlen, das schwor er sich. Aber dafür musste er hier erst einmal rauskommen.
 

So als hätte das Schicksal seine Gedanken vernommen, öffnete sich in diesem Augenblick erneut die Tür. In der Erwartung, der rothaarige Psychopath würde zurückkommen, spannte er sich an, doch es war nur Lily. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so sehr über den Anblick eines anderen Menschens gefreut zu haben.

„Hey“, begrüßte er sie mit rauer Stimme. „Ich hoffe, du hast irgendeinen guten Trank dabei. Ich fühl mich...“ Er verstummte, als einer der Weasley-Zwillinge hinter ihr seine Zelle betrat. Was zum...?
 

„Oh Merlin“, hauchte Lily und sank neben ihn auf die Knie. „Was ist passiert, Draco?“
 

„Also, so wie ich das sehe, hatte mein Bruder wieder einen seiner zerstörerischen Anfälle“, kommentierte der Zwilling. „Es ist definitiv an der Zeit, dass wir ihn hier rausholen.“
 

Dracos Augen weiteten sich. „Ihr wollt....?“
 

Doch Lily bedeutete ihm zu schweigen und holte eine kleine Phiole hervor. „Vielsafttrank“, erklärte sie auf seinen fragenden Blick hin. „Wir werden dich für eine Stunde in George Weasley verwandeln. Niemand wird es ungewöhnlich finden, uns drei zusammen zu sehen und es wird die sicherste Methode sein, dich hier rauszubringen.“
 

„Aber was ist mit den Wachen?“ Er wusste, dass es welche gab. Er hatte sie manchmal miteinander reden gehört, wenn es Zeit für die Ablösung wurde. Seiner Meinung nach war diese Sicherheitsmaßnahme übertrieben gewesen. Als ob er in der Lage gewesen wäre, ohne Zaubstab und im Alleingang aus Hogwarts rauszukommen. Das hätte vielleicht sein Bruder geschafft, aber nicht er.

Einerseits brachte ihm diese Überschätzung seiner Person eine gewisse Genugtuung, andererseits war sie einfach nur albern. Wobei seine Wachen nicht sonderlich intelligent gewesen sein konnten, denn: „Ein kleiner Schockzauber kann Wunder bewirken, Malfoy“, erklärte Fred zwinkernd. „Und bis zur nächsten Ablösung ist noch mehr als genug Zeit. Mach dir also keine Sorgen, wir haben alles im Griff.“
 

Das musste sich erst noch herausstellen. Trotzdem schaffte er es nun, sich mit Lilys Hilfe etwas aufzurichten und den Trank zu schlucken, der seine Fahrkarte nach draußen sein würde. Es war seltsam, seinem Körper dabei zuzusehen, wie er sich an manchen Stellen dehnte und an anderen zusammenzog. Er wurde größer, aber schlacksiger und plötzlich fiel ihm rotes Haar ins Gesicht. Igitt. Er wusste, warum er sein eigenes stets kurz schneiden ließ.

Sobald die Verwandlung beendet war, blickte er auf und wusste sofort, dass etwas vollkommen schief gelaufen sein musste.
 

„Was...?“, setzte er an, verstummte jedoch, als er die Stimme erkannte, die da aus seinem eigenen Mund kam. Oh nein.

Oh doch.
 

„Ich dachte, du hättest mir ein Haar deines Bruders gegeben!“, fuhr Lily Fred an, der Draco mit einer Mischung aus Entsetzen und Schadenfreude betrachtete.
 

„Nun, wie du sehen kannst, habe ich das“, erwiderte er, ging aber sofort in Deckung, als Lily zu einem Schlag ausholte. „Schon gut, schon gut. Ich dachte wirklich, dass es Georges Haar wäre, ehrlich. Woher hätte ich denn wissen können, dass das eine, rote Haar, das sich auf seinem Umhang befindet, ausgerechnet Ron gehören sollte?“
 

Es war also wirklich wahr. Der Vielsafttrank hatte ihn zu Ronald Weasley werden lassen.

Im ersten Moment hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Im zweiten erkannte er die Ironie des Schicksals: Der Körper seines Erzfeindes würde es sein, der ihn ohne größeres Aufsehen aus seiner Gefangenschaft heraustragen würde. Falls der Rothaarige jemals davon erfahren sollte – und Draco würde dafür sorgen, dass er davon erfuhr – würde er sich grün und blau ärgern. Perfekt.

Grinsend legte er eine Hand auf Lilys Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Gehen wir dann los?“
 

Sie halfen ihm auf die Beine. Da er immer noch unter den Nachwirkungen von Ronalds Flüchen litt, schwankte er und zwar so stark, dass Lily beschloss, ihn auf einer Trage herausschweben zu lassen. Absolut nicht unauffällig, aber: „So musst du einfach nur den Ohnmächtigen spielen und kommst nicht in die Verlegenheit, Ron etwas Undronaldhaftes sagen zu lassen.“ Langsam begann er zu begreifen, warum Harry so an den Zwillingen hing. Ihr Humor konnte wirklich amüsant sein, wenn sie auf deiner Seite waren.
 

Auf den Weg aus den Kerkern blieben sie unbehelligt. Erst, als sie das Treppenhaus erreichten, trafen sie wieder auf Menschen. Draco konnte ihre aufgeregten Stimmen und näherkommenden Schritte hören, doch Lily hatte bereits eine Geschichte parat: „Der Gefangene hat Ronald angegriffen. Er muss irgendwo hier herumlaufen. Los, sucht ihn. Wir bringen ihn solange in den Krankenflügel.“

Sofort zerstreuten sich alle und sie konnten weiter.
 

Es war spielend einfach und deshalb hätte ihm klar sein müssen, dass es nicht lange gut gehen konnte. Sie bogen gerade in den Gang ein, in dem laut Lily ihr Ziel lag, als sie alle zum Stillstand kamen. Er verstand es nicht, bis Ronalds Stimme die angespannte Stille durchbrach: „Wirklich interessant, dass ihr gerade dabei seid, mich in den Krankenflügel zu bringen, wo ich mich doch bester Gesundheit erfreue.“
 

Draco setzte sich auf. Vor ihnen erstreckte sich ein Kooridor, dem er während seiner Schulzeit höchstens wegen der einäugigen Hexe einen zweiten Blick gewidmet hätte, die für alle Zeit als Statue an diesen Ort verweilen sollte. Davor hatte sich momentan Weasley aufgebaut, mit Longbottom zu seiner linken und – für einen Moment setzte sein Herzschlag aus – Hermione zu seiner rechten.

Sie wirkte blass, doch ihre Augen leuchteten entschlossen, als sie auf die seinen trafen. Sie war auf seiner Seite, das spürte er. Aber sie sollte nicht hier sein. Nicht bei ihm. Besonders nicht jetzt, wo er genau wusste, wozu dieses Monster fähig war.
 

Er wollte sich auf ihn stürzen und ihn in der Luft zerreißen. Wollte ihn für alles büßen lassen, was er ihnen angetan hatte und ihn vor Augen führen, dass sein selbsternanntes Lebensziel zum scheitern verurteilt war, dass er niemals dazu in der Lage wäre, alle Schwarzmagier auszulöschen und dass sie es sein würden, die triumphierten.

Nie zuvor war er dem Dunklen Lord so loyal gewesen wie in diesem Augenblick. Wenn er hier rauswar, würde er für ihn und seine Ideale kämpfen und zwar nicht mehr nur, weil man es von ihm verlangte. Nein, es war zu seinem eigenen Wunsch geworden. Und Malfoys waren daran gewöhnt, dass ihre Wünsche erfüllt wurden.
 

Im Moment musste er sich jedoch mit seinen finsteren Mordplänen zufrieden geben, da der Rothaarige vortrat und mit einem zweifellos langen Monolog begann: „Ich habe immer gewusst, dass man euch nicht trauen kann“, verkündete er. „Ihr habt schon immer viel zu viel Zeit mit Slytherins und anderem Pack verbracht. Doch von dir“, fügte er an Lily gewandt hinzu, „hatte ich mehr erwartet. Ich bin...“
 

Sie erfuhren niemals, was er war, denn ohne Vorwarnung schlug Longbottom ihm mit nichts geringerem als dem Helm einer alten Rüstung gegen den Hinterkopf. Ronalds Augen drehten sich nach oben und schon sackte er in sich zusammen, wie eine Marionette, bei der alle Fäden durchgeschnitten waren.

Für mehrere Sekunden herrschte Stille, dann fragte Hermione: „Wo hast du den Helm plötzlich hergenommen?“
 

„Ich hatte ihn die ganze Zeit bei mir“, erwiderte der Auserwählte schulterzuckend. „Zufälligerweise habe ich nämlich aufgepasst, als Professor Flitwick uns beigebracht hat, wie man Gegenstände unsichtbar macht.“
 

„Du hast ihn...“, begann Fred ungläubig, ehe er zu lachen begann. „Merlin, das ist genial! Daran werde ich ihn bis an sein Lebensende erinnern.“
 

„Bitte nicht“, sagte Longbottom leicht verlegen. „Ich hoffe ehrlich gesagt, dass er das alles vergisst, damit seine Erinnerungen mit eurer Geschichte übereinstimmen. Ich möchte nicht die wenigen Verbündeten verlieren, die ich bekommen kann.“
 

„Verbündete?“, fragten Lily und Draco wie aus einem Mund, während Fred nickte. „In dem Fall werden wir uns wohl am besten um den kleinen Tunichtgut kümmern müssen. Schafft ihr den Rest alleine?“
 

„Ja, natürlich“, sagte Lily blinzelnd.
 

„Perfekt. Komm, Neville. Und wo hast du eigentlich George gelassen?“

Die beiden Männer beschworen eine weitere Liege herauf und legten Ronald darauf ab. Bevor sie allerdings verschwanden, wandte Longbottom sich noch einmal Draco zu. „Damit eines klar ist, wir sind immer noch keine Freunde. Sollten wir uns auf einem Schlachtfeld begegnen und du auf der Seite der Todesser stehen, werde ich es selbst sein, der dich in den Tod schickt. Verstanden?“
 

Er lächelte. „Glaub mir, ich hätte nichts anderes erwartet.“
 

Er würde sich nicht bei ihm bedanken. Er musste es nicht, denn der Mann gab ihm bereits eine andere Möglichkeit, sich erkenntlich zu zeigen: „Sag Harry, dass er aufhören kann zu warten.“
 

„Was war das denn?“, fragte Lily verwirrt, als die drei um die nächste Ecke gebogen waren.
 

„Neville hat endlich beschlossen, dass es an der Zeit ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen“, erklärte Hermione. Sie stand nach wie vor neben der einäugigen Hexe und hatte nun ihren Zauberstab herausgeholt, mit dem sie diese antippte. Draco staunte nicht schlecht, als sich eine Öffnung auftat. Er hätte überall mit einem Geheimgang gerechnet, aber nicht hier. „Ich glaube, es gibt langsam wieder Hoffnung.“
 

„Hoffnung?“, wiederholte Draco und stand vorsichtig auf. Seine Beine waren immer noch wackelig, trotzdem schlug er Lilys Hand beiseite, als diese ihn stützen wollte. Sollte ihn der Teufel holen, wenn er Hilfe dabei brauchte, um zur Mutter seines ungeborenen Kindes zu gelangen. „Von welcher Hoffnung sprichst du?“
 

„Von der Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wenden kann natürlich“, erwiderte sie und sah ihn an. Er bekam nur geradeso mit, wie Lily sich leise entschuldigte und als erstes im Inneren der einäugigen Hexe verschwand.

Es war Monate her, seitdem sie das letzte Mal alleine gewesen waren, geschweige denn, sich so nah gegenübergestanden hatten. Er wollte sie an sich ziehen, sie küssen, sie festhalten und nie wieder loslassen. Er wollte seine Hände über ihren gewölbten Bauch gleiten lassen, um danach sein Ohr dagegen zu pressen um den Bewegungen seines Kindes zu lauschen. Er wollte ein Leben an ihrer Seite und er wusste, dass sie dasselbe wollte.
 

Trotzdem wandte sie den Blick ab und sagte: „Du musst gehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier jemand vorbeikommt.“
 

„Komm mit mir.“
 

Sie schloss die Augen. „Ich kann nicht.“
 

„Aber...“
 

„Nein, Draco. Ich kann nicht.“ Sie sah ihn wieder an. „Ich liebe dich. Ich tue es wirklich, aber uns beiden gehört der Frieden, nicht der Krieg. Dein Platz ist bei deiner Familie und meiner ist hier.“
 

„Aber...“
 

„Es ist meine Entscheidung. Also bitte, geh!“
 

Er wollte ihr widersprechen und sie anflehen, Vernunft anzunehmen. Das konnte doch unmöglich ihr Ernst sein. Wie konnte sie hierbleiben wollen, bei diesem Mistkerl, der ihr zweifellos ebenso weh tat, wie er ihm weh getan hatte? Wie konnte sie sich und ihrem Kind dieser Gefahr aussetzen?

Aber sie hatte ihre Entscheidung getroffen und sie war schon immer ein Sturkopf gewesen. Aus diesem Grund streckte er seine Hand aus und verhakte ihre Finger ineinander. „Ich liebe dich auch“, sagte er leise und augenblicklich wurde ihre Miene weicher. „Euch beide. Vergiss das niemals.“
 

Damit löste er sich wieder von ihr und kletterte ebenfalls ins Innere der einäugigen Hexe. Er war frei. Er war entkommen. Nichtsdestotrotz hatte er das Wichtigste hinter sich zurückgelassen.

All I've Done

You've been the only thing

that's right in
 

       All I've Done
 


 

Godric's Hollow, 15 Jahre zuvor
 

Es war ein Abend wie jeder andere.

Die Sonne ging langsam unter und strich die Welt in einem warmen Ton, der alles überflutete, was einmal Gestalt gehabt haben mochte. Die Vögel, die den ganzen Tag über unermüdlich ein unverwechselbares Chorkonzert gehalten hatten, verstummten einer nach dem Anderen bis nur noch die Nachtwächter zu hören waren, die die Dunkelheit zu ihrem besten Freund erklärt hatten. Mit jeder verstreichenden Sekunde leerten sich die Straßen von Godric's Hollow und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Nacht alles und jeden für sich beanspruchen würde.
 

Doch noch war es nicht soweit.

Noch war ein rotes Licht am Horizont zu sehen.

Noch war alles gut.

Erst die Nacht würde zerstören, was nie hätte existieren dürfen.
 

Schweigend betrachtete Lily ihr blasses Gegenstück im alten Spiegel ihrer Mutter. Ein Hochzeitsgeschenk, das James immer gehasst hatte. Sie selbst hätte ihn auch niemals gekauft, aber er war von ihrer Mutter und das war Grund genug, um ihn zu ehren, zu pflegen und zu benutzen.

Sie sah gut aus. Ihr rotes Haar mit ein paar Locken zu versetzen, war eine gute Idee gewesen und der Rotton ihres Lippenstifts passte hervorragend zu ihrem neuen, grünen Kleid. Jeder, der sie so sehen würde, würde begeistert sein (einige würden sie auch beneiden) und normalerweise würde ihr dieser Gedanke größte Genugtuung bereiten, wenn nicht heute der Tag wäre, an dem alles zusammenbrechen würde.
 

Für ihre Freunde und Nachbarn sah es so aus, als würden Lily und James heute mit Sirius und seiner aktuellen Liebschaft einen Ball der Familie Malfoy aufsuchen.
 

„Ihr müsst einfach mitkommen“, hatte James' bester Freund mit viel Nachdruck in der Stimme verlangt. „In letzter Zeit nehmt ihr euch nie Zeit. Natürlich kann ich das verstehen, mit einem Kind und Arbeit, da hat man viel zu tun, wobei ihr zugeben müsst, dass Harry ein pflegeleichtes Kind ist. Es wird ihn nicht umbringen, wenn ihr ihn mal eine Nacht in der Obhut eines Babysitters lasst. Kommt schon, nur ein paar Stunden!“
 

Lily hätte das lieber vermieden. Seit dem kleinen Zwischenfall vor ein paar Jahren, als sie und Lucius sich aus Versehen geküsst hatten, war Narcissa alles andere als gut auf sie zu sprechen. Nicht einmal zu ihrer Hochzeit hatte sie sie eingeladen, aber das konnte sie ihr nicht verdenken. Hätte sie ihre beste Freundin mit ihrem Verlobten erwischt, hätte sie nicht anders gehandelt. Obwohl doch: Sie hätte die Hochzeit umgehend abgeblasen.

Insofern war es gut, dass Narcissa ein nicht ganz so hitziges Gemüt besaß.
 

Hinter ihr näherten sich Schritte und kurz darauf konnte sie im Spiegel beobachten, wie James den Raum betrat und sich ihr langsam näherte.

„Du siehst hinreißend aus“, sagte er leise und griff wahllos nach einer Kette, die auf ihrer Kommode lag. Langsam trat er hinter sie und strich behutsam ihr Haar zurück, ehe er sie ihr umlegte. „Ich bin davon überzeugt, dass du die Schönste heute Abend sein wirst.“
 

„Nein“, erwiderte sie und lehnte dabei müde an ihn. „Werde ich nicht.“
 

Seufzend ließ er seine Hände auf ihre nackten Schultern gleiten und drückte einen Kuss auf ihren Haarschopf.

„Mir gefällt das Ganze genauso wenig wie dir, aber du hast Albus gehört. Das ist der einfachste und beste Weg, von hier zu verschwinden, ohne dass jemand zu viele Fragen stellen wird. Zwar wäre es mir lieber, wir könnten uns vernünftig bei allen verabschieden, aber ich verstehe, dass das nicht möglich ist. Albus hat eben doch Recht.“
 

Ja und genau das war der Grund, warum ihr der ganze Plan nicht im geringsten gefiel.

Sie wusste, was Albus war: Ein Tempus Amicus. Jemand, der seine eigenen Gefühle und Wünsche in den Hintergrund stellte, um die Pläne der Zeit zu verwirklichen. Ihr war vollkommen bewusst, was er alles getan hatte, was er Tom Riddle und Gellert Grindelwald angetan hatte und was er beinahe Harry angetan hätte...
 

Sie schloss die Augen, in der Hoffnung, dass sich alles als ein böser Albtraum herausstellen würde, wenn sie sie wieder öffnete. Natürlich wurde ihr Wunsch nicht erfüllt und so war es erneut ihr eigenes Gesicht, das ihr mit ernster Miene entgegenblickte.

„Ich werde Harry ins Bett bringen“, sagte sie leise. „Warte bitte unten auf mich.“
 

Kurz schien er ihr widersprechen zu wollen, doch dann nickte er und ließ sie allein. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er ihr diesen letzten Moment mit ihrem Sohn schenkte. Er liebte Harry – später würden alle glauben, er liebe ihn mehr als sie selbst es tat – und er würde ihn schmerzlich vermissen. Allein sein Glaube in Albus brachte ihn überhaupt dazu, ihn im Stich zu lassen.
 

//Und warum tust du es dann? Warum lässt du ihn im Stich, obwohl du noch nie an ihn geglaubt hast?//

Sie hatte das Gefühl, dass sie niemals auf diese Frage eine Antwort finden würde.
 

Harry war in seinem Zimmer.

Heute saß er in der Mitte des Raumes auf dem Boden und beschäftigte sich mit einem Puzzle, für das Lily niemals die Geduld gehabt hätte. Er jedoch schien seine rege Freude daran zu haben. Hochkonzentriert legte er ein Teil an das Andere, wobei er nur ab und an inne hielt, um das Gesamtbild zu begutachten und nach möglichen Lösungsansätzen zu suchen.

Lily setzte sich zu ihm und beobachtete ihn eine Weile.
 

Es war faszinierend, wie seine kleinen Hände sich bewegten, wie er die Stirn runzelte, wenn er über die richtige Zusammensetzung nachdachte und wie seine Miene sich sofort aufhellte, wenn er begriff, dass er Recht gehabt hatte und alles genauso war, wie er es sich vorgestellt hatte. All dies ließ sie darüber nachdenken, in welche Richtung er sich wohl innerhalb der nächsten Jahre entwickeln würde. Würde er ein Wissenschaftler sein, immer auf der Suche nach neuem Wissen und innovativen Erkenntnissen? Würde er ein Politiker sein, jemand, der die Massen bewegte – faszinierte – oder würde ein Künstler sein, der seinem Wesen mit Hilfe seiner Werke Ausdruck verlieh?

Egal, welchen Weg er gehen würde, sie war sich sicher, dass er großartig sein würde. Immerhin war er ein Tempus Amicus und das bedeutete, dass ihm Großes bevorstand.

Sie wünschte sich, sie könnte ein Teil seines Lebens sein, könnte ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen und ihm dabei helfen, der zu werden, der er sein sollte.
 

Als hätte er ihre Gedanken gehört, hob Harry plötzlich seinen Kopf, um sie durch wache, intelligente Augen (ihre Augen) anzusehen. „Es hinauszuzögern, wird es nicht besser machen, Lily.“
 

Ihr erster Gedanke war, dass sie sich verhört haben musste. Ihren zweiten Gedanken sprach sie aus: „Es ist grausam, dass du mir diesen letzten Moment mit meinem Sohn nimmst.“
 

„Es ist besser so, glaub mir“, erwiderte Harry mit einem viel zu erwachsenen Tonfall. Seinen allwissenden Tonfall, der sie daran erinnerte, dass er viel mehr war als ein einfaches Kind. „Es ist besser, wenn ich dein von Reue gezeichnetes Gesicht vergesse. Und dir wird es leichter fallen, mich in diesem Zustand zurückzulassen.“ Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, ehe er sich wieder seinem Puzzle zuwandte. „Du musst dir keine Vorwürfe machen“, sagte er, während er ein weiteres Puzzleteil an seinen Platz legte. „Du bist eine gute Mutter.“
 

Mit einem Mal fühlte sie sich furchtbar alt. „Offenbar nicht gut genug.“

Ein Teil von ihr wollte weinen.
 

„Es ist nicht deine Schuld“, erwiderte Harry sanft und legte ein weiteres Stück an. „Aber ich muss zu Tom und das ist der einzige Weg, der mir das ermöglichen wird.“
 

//Es muss einen anderen Weg geben//, schrie eine Stimme in ihr, ihr Mutterinstinkt, der sich vor allem anderen dagegen sträubte, den Plan, diesen elenden, grausamen, zerstörerischen Plan in die Tat umzusetzen. Letztendlich fügte sie sich jedoch dem Willen ihres Sohnes, so wie sie es von Anfang an getan hatte.
 

Eine letzte Frage musste sie ihm trotzdem stellen: „Wirst du mir vergeben?“
 

Als wäre ihm auf einmal alle Kraft genommen worden, ließ er seine Hände auf seinen Schoss fallen. Diesmal spiegelten seine Augen ihre eigene Traurigkeit wider, sobald er ihrem Blick begegnete. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er beinahe entschuldigend.
 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand sie auf und brachte ihn ins Bett.

Es war das letzte Mal.
 

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Malfoy Manor, Gegenwart
 

Wieder einmal Malfoy Manor.

Wieder einmal dort, wo sie mehr als einmal ihre Ferien verbracht hatte.

Wieder einmal bei der Frau, die ihre beste Freundin gewesen war.
 

Die Eingangshalle sah so aus, wie Lily sie in Erinnerung hatte. Düster, dunkel, verstaubt, groß, deprimierend, protzig. Perfekt für eine alte Reinblüterfamilie und überaus beängstigend für eine Muggelgeborene wie sie es war. Wenn sie nicht wüsste, dass der Rest des Hauses freundlicher war, hätte sie in diesem Augenblick bereut, dass sie es zugelassen hatte, dass ihr Sohn an einem solchen Ort aufgewachsen war.

Doch sie konnte es nicht bereuen.

Erst recht nicht, als sie sah, wie Narcissa die Treppe heruntereilte, um zu ihnen zu gelangen.
 

Ihre ehemalige Freundin hatte sich verändert.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte in ihren Augen ein ewiges Leuchten geherrscht – besonders wenn von ihrem Verlobten Lucius die Rede gewesen war – und ihr ganzes Dasein war voller Leben gewesen. Doch nun wirkte sie abgestumpft, verloren, beinahe leer. Doch diese Leere wurde gefüllt, als sie erkannte, wer da leibhaftig vor ihr stand.

„Draco.“

Nicht mehr als ein Flüstern und doch wäre in diesem Augenblick kein Schrei lauter gewesen. Der Junge blickte zu seiner Mutter und zwang sich zu einem Lächeln. „Hey...“
 

Ohne die Zeit zu haben, diese Situation wirklich zu begreifen, stürzte Narcissa auf ihn zu und zog ihn fest an sich und schien ihn überhaupt nicht mehr loslassen zu wollen.

„Du bist wieder da“, flüsterte sie, während Freudentränen über ihre Wangen liefen. „Du bist Zuhause.“
 

Lily bezweifelte, dass das hier momentan wirklich das Zuhause des Jungen war. Er musste sich nach einem anderen Ort sehnen, einen anderen Menschen, seine eigene Familie, die eigentlich erst im Entstehen war.

Wer war es wohl gewesen, der ihn und Hermione auseinandergetrieben hatte? Das Schicksal? Oder die Zeit?

Momentan würde sie es beiden zutrauen.
 

Eine junge Frau – wahrscheinlich Dracos Ehefrau – erschien dort, wo Narcissa vor einigen Augenblicken noch gestanden hatte und beobachtete das Geschehen. Sie war durchaus hübsch anzusehen, aber Lily wagte zu bezweifeln, dass die beiden Liebe füreinander empfanden.

Langsam ging sie auf Mutter und Sohn zu und wartete darauf, dass sie sich wieder voneinander lösten. Erst dann erlaubte sie sich ein erleichtertes Aufschluchzen und warf sich ihrerseits dem Jungen um den Hals. Nicht unbedingt die klügste Entscheidung, musste er doch immer noch unter den Folgen seiner längeren Gefangenschaft leiden. Draco ließ es jedoch über sich ergehen und war sogar in der Lage, ihr beruhigende Worte zuzuflüstern.

Nun, vielleicht hatten die beiden ja doch Gefühle füreinander. Allerdings bezweifelte sie, dass sie genug waren, um eine langfristige Beziehung führen zu können.
 

Für Lily war dies der beste Zeitpunkt, um zu verschwinden. Also drehte sie sich um und steuerte auf den Ausgang zu. Draco war in Sicherheit, alle freuten sich und ihr Sohn würde nun keinen Grund mehr haben, sich von Tom Riddle fern zu halten. Alles würde so werden, wie die Zeit es sich vorgestellt hatte und sie würde wieder in ihr eigenes, einsames, unabhängiges Leben zurückkehren.
 

Doch anstatt alles so verlaufen zu lassen, wie es sein sollte, entschied Narcissa sich dazu, wieder einmal genauso zu handeln, wie es die Heldinnen in ihren geliebten Liebesromanen zu tun pflegten: „Lily... warte.“
 

Seufzend blieb sie stehen und wandte sich zu ihrer ehemaligen Freundin um. Dabei konnte sie sehen, wie das junge Ehepaar durch eine versteckte Seitentür verschwand. Wunderbar, sie waren nun also allein. Wie viele Klischees würden denn noch erfüllt werden?
 

Narcissa schien jedenfalls bereit zu sein, weiterhin in dem Dankbaren-Heldinnen-Stereotyp zu bleiben, denn sie spielte nervös an ihrem Ärmel herum, während sie nach Worten zu suchen schien. Lily beschloss, sie zu erlösen und damit gleichzeitig die ganze Sache zu beschleunigen: „Ist Lucius gar nicht da?“
 

Für einen Moment stieß diese Frage auf Überraschung, doch Narcissa fing sich schnell wieder.

„Nein, er ist... nicht da. Er ist... unterwegs.“ Vermutlich im Auftrag des Dunklen Lords. „Ich müsste mich nun wahrscheinlich bei dir bedanken“, fuhr sie etwas selbstsicherer fort, „aber es fällt mir schwer nach allem, was geschehen ist, ausgerechnet für dich Dankbarkeit zu empfinden.“
 

„Sei unbesorgt, ich habe nichts dergleichen erwartet. Wenn du jemanden danken willst, dann geh zu Harry, er hat mich darum gebeten, deinem Sohn zu helfen.“
 

Augenblicklich hellte sich ihre Miene auf und sie lächelte zärtlich. „Ich hätte mir denken können, dass Harry dahinter steckt. Er lässt seine Familie nicht im Stich.“
 

Sollte sie das als ein Seitenhieb auf ihre eigenen, vergangenen Taten interpretieren? Nein, wenn Narcissa jemanden beleidigte, tat sie es direkt. Wahrscheinlich dachte sie im Augenblick überhaupt nicht daran, wie man ihre Worte interpretieren könnte, zu erleichtert war sie, ihre Familie wieder zu haben.
 

Sicher. Lebendig. Bei ihr.

Beneidenswert.
 

„Nun, du hast ihn eben gut erzogen“, erwiderte sie schlicht. „Gibt es sonst noch etwas, was du mir zu sagen hast? Ansonsten würde ich nun nämlich gerne wieder gehen. Zuhause wartet...“
 

„...nichts auf dich.“
 

Lily hob eine Augenbraue. „Na so was, Narcissa. So grausame Worte aus deinem Mund? Sieht dir gar nicht ähnlich. Wo ist deine immer währende Höflichkeit geblieben?“
 

„Mach dich nicht über mich lustig, Lily“, entgegnete sie ernst und strich sich eine Haarsträhne zurück. „Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt. Du hast alles verloren, wovon du immer geträumt hast. Denkst du, ich habe vergessen, was du mir immer und immer wieder erzählt hast? Du wolltest heiraten und viele Kinder kriegen. Du wolltest sie zu guten Menschen erziehen und dabei zusehen, wie sie glücklich werden. Und dann wolltest du deinen Lebensabend mit dem Mann, den du mehr als alles andere auf der Welt liebst, verbringen. Ich kann nicht glauben, dass du dieses Glück, das du in greifbarer Nähe hattest, einfach so wegwerfen würdest.“
 

Ah, darum ging es ihr also. „Du willst wissen, warum ich Harry im Stich gelassen habe. Und du glaubst, dass der Impuls dazu von mir ausging.“ Eine berechtigte Frage, allerdings war sie der Meinung, dass es Narcissa nicht das Geringste anging. „Vor dir muss ich mich nicht rechtfertigen.“
 

„Nein, das musst du nicht“, stimmte sie ihr zu. „Aber ein kleiner Teil von mir hat nach wie vor nicht die Hoffnung aufgegeben, dass sich das alles als ein großes Missverständnis herausstellen wird.“
 

Das überraschte sie jetzt doch. Sie hatte immer geglaubt, dass Narcissa sie hassen würde. Dass sie sie für eine schlechte, unfähige Mutter halten würde, die alles, was ihr widerfahren war, verdient hatte. Stattdessen schien sie immer noch an sie zu glauben und immer noch die in ihr zu sehen, die sie einmal gewesen war.

Gute, liebe, naive, kleine Narcissa.
 

„Ein Missverständnis?“, wiederholte sie leise. „Ich habe ein Kind zur Welt gebracht, es von mir gestoßen und mich jahrelang nicht im mindesten dafür interessiert, wie es ihm geht oder was es tut. Inwiefern soll das ein Missverständnis sein?“
 

„Wenn ich das wüsste, würde ich dich nicht fragen“, erwiderte sie leise und ging einen Schritt auf sie zu. Ihre Miene war hart, doch ihre Augen verrieten, dass sie die Gesamtsituation mehr mitnahm, als sie zugeben wollte. „Ich kann nicht glauben, dass du das alles grundlos getan haben sollst. Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich. Irgendetwas muss passiert sein. Irgendetwas hat dich verändert. Und ich möchte wissen, was es war.“
 

„Und was soll es dir bringen?“, fragte sie kühl. „Hoffst du etwa, dass es sich um einen bösen Zauber handelt und du ihn nur brechen musst, damit alles wieder wie früher wird? In diesem Fall bist du naiver, als ich geglaubt habe.“
 

„Ist es wirklich Naivität das Beste in dem Menschen sehen zu wollen, der einmal wie eine Schwester für einen gewesen ist?“, stellte sie die Gegenfrage. Sie näherte sich ihr einen weiteren Schritt, wobei ihr Gesicht diesmal weicher wurde – und trauriger.

„Weißt du eigentlich wie ähnlich dir dein Sohn ist? Manchmal hatte ich das Gefühl, dich vor mir zu haben, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Das muss ein Grund dafür sein, warum ich mich ihm immer näher gefühlt habe, als meinem eigenen Sohn: Er hat meine Erinnerung an meine beste Freundin am Leben gehalten.“
 

„Rührend“, kommentierte Lily trocken. „Aber du irrst dich, es war ganz sicher nicht seine Ähnlichkeit zu mir, die dich dazu gebracht hat, ihn zu lieben.“
 

Das erste Mal seit Beginn ihres kleinen Gesprächs wurde Narcissa vorsichtig. „Worauf willst du hinaus?“
 

Sie runzelte die Stirn. „Du willst mir doch nicht sagen, dass du es nicht bemerkt hast? Du? Seine Mutter? Die, die ihn großgezogen und seine Pubertät miterlebt hat?“ Da sie immer noch verwirrt aussah, schien das tatsächlich der Fall zu sein. Ungläubig schüttelte Lily mit dem Kopf. „Wahrscheinlich sollte es mich nicht wundern. Er wollte wohl nicht, dass du es erfährst.“
 

„Dass ich was erfahre?“
 

Für einen Moment zögerte sie. Eigentlich sollte sie es Harry überlassen, ihr alles zu erzählen. Es wäre fairer und richtiger. Außerdem gab es sicher einen bestimmten Grund, warum Narcissa nichts wusste. Vielleicht wollte er einen Menschen haben, der in ihm nur einen normalen Menschen sah, ohne besondere Fähigkeiten, ohne einer Macht, die niemand besitzen sollte.

Oder er hatte Angst vor ihrer Reaktion.

//Nun, vor meiner Reaktion hat er sich nicht gefürchtet.//
 

Im Endeffekt war es ihre Verbitterung und der Schmerz der letzten Jahre, die sie dazu trieben, dieser Frau, dieser alten Freundin, dieser Rivalin die Wahrheit ins Gesicht zu sagen: „Unser Sohn ist ein Tempus Amicus.“
 

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Godric's Hollow, 16 Jahre zuvor
 

James hatte sich das erste Mal seit langem dazu entschieden, mit seinen Rumtreiberfreunden trinken zu gehen und ihr kam das gerade recht. So sehr sie ihren Mann liebte, manchmal war sie doch ganz froh, ihn für ein paar Stunden los zu sein. Nicht zuletzt, da sie so etwas Zeit alleine mit ihrem Sohn hatte.

Sie hatte die Bedeutung des Lebens nicht gekannt, bis sie ihn das erste Mal in ihren Armen gehalten hatte.
 

„Die Liebe einer Mutter ist die stärkste Macht auf Erden“, sagte Albus immer und er hatte Recht. Ihr Sohn verlieh ihr eine bisher ungekannte Stärke. Harry gab ihr das Gefühl, alles schaffen zu können. Solange es zu seinem Wohlergehen beitrug, würde sie in der Lage sein, jedes Hindernis zu überwinden und jedes Opfer zu bringen.

James mochte die Liebe ihres Lebens sein, aber ihre Liebe zu Harry würde über ihren Tod hinausgehen, davon war sie überzeugt.
 

Lächelnd stellte sie die Tasse Heißer Schokolade auf einem Tablett ab, mit dem sie sich sofort auf den Weg in das Zimmer ihres Sohnes machte. „Harry, hier kommt deine Schokolade“, singsangte sie munter, während sie den Raum betrat und lächelte glücklich. „Du musst dein Buch für einen Moment weglegen, mein Liebling.“
 

Sie blickte auf und plötzlich glitt das Tablett aus ihren Händen. Die Tasse schlug auf dem Boden auf und zerbrach, woraufhin sich der Inhalt auf dem Teppich ergoss. Das würde hartnäckige Flecken geben, aber das spielte keine Rolle, nicht angesichts dessen, was sie vor sich hatte.

Harry hielt immer noch das Märchenbuch in seinen kleinen Händen, doch er war nicht mehr auf seinem Sitzkissen, wo sie ihn zurückgelassen hatte, als sie in die Küche gegangen war. Stattdessen saß er auf dem Schoß einer rothaarigen Fremden, die sich ihrerseits auf dem Fensterbrett niedergelassen hatte, das gleichermaßen als Sitzgelegenheit diente.
 

Ohne lange zu überlegen zog sie ihren Zauberstab und richtete ihn auf sie. „Lassen Sie sofort meinen Sohn los!“
 

Die Frau hob ihren Blick und lächelte. Ihre Augen kamen ihr seltsam vertraut vor, momentan war sie jedoch mehr an der Frage interessiert, was dieses Miststück hier zu suchen hatte. „Lily“, sagte besagtes Miststück mit einer ekelhaft süßen Stimme. „Wie schön, dich endlich kennenzulernen.“
 

„Ich sagte, Sie sollen meinen Sohn loslassen“, wiederholte sie eisig. Von Nettigkeiten würde sie sich nicht beeindrucken lassen. Diese Frau war unerlaubterweise in ihr Haus eingebrochen, um sich an ihrem Sohn zu vergreifen. Für viele wäre das Grund genug, um sie in die ewigen Jagdgründe zu befördern.
 

Ihr Gegenüber schien das genauso zu sehen, denn sie hob vorsichtig ihre Hände, als Zeichen, dass sie unbewaffnet war. „Ich verstehe deine Wut und die Sorge um dein Kind ehrt dich, aber ich schwöre bei meiner Magie, dass ich nicht hier bin, um dir oder deiner Familie zu schaden.“
 

„Oh, natürlich bist du nicht deshalb hier“, wenn dieses Weibsbild darauf bestand, die Formalitäten wegzulassen, konnte sie das gerne haben, „Harry, komm her. Sofort.“
 

Brav wie er war, glitt ihr Sohn sofort auf den Boden und lief langsam, Schritt für Schritt auf sie zu. Sobald er in Reichweite war, zog sie ihn zu sich und hielt ihn fest an ihrer Seite, während sie weiterhin ihren Zauberstab auf die Fremde gerichtet hatte. Diese war inzwischen selbst aufgestanden und hatte nach wie vor die Hände erhoben. Es wäre nun das Klügste gewesen, sie außer Gefecht zu setzen und einen Auror zu verständigen, der sich ihrer annehmen würde. James hätte das definitiv getan. Allerdings war sie schon immer neugierig gewesen und deshalb fragte sie: „Wer bist du? Und wie bist du hier reingekommen?“
 

„Ich bin die Mira dieser Zeit“, verkündete sie höflich. „Und ich bin hier, weil der Tempus Amicus mich hereingelassen hat.“
 

Sie brauchte zehn Sekunden, um die Bedeutung dieser Worte zu begreifen und zehn weitere, um sie für möglich zu halten, dann: „Raus.“
 

„Lily...“
 

„Raus aus meinem Haus!“
 

„Hör mir zu...“
 

„Ich soll dir zuhören!?“, zischte sie, während sie Harry schützend hinter sich schob. „Ich weiß genau, was du willst. Du willst ihn mir wegnehmen und ihn zu einem zweiten Albus Dumbeldore machen. Aber das lasse ich nicht zu. Er ist mein Sohn.“
 

„Du magst ihn geboren haben“, erwiderte die Mira ruhig. „Aber das macht dich nicht zu seiner Mutter.“
 

Ach nein? Sie war also nicht seine Mutter? Sie, die ihn neun Monate in sich getragen hatte. Sie, die Nacht für Nacht an seiner Wiege gestanden hatte. Sie, die ihm Märchen vorgelesen, ihn ernährt, ihm das Sprechen, das Laufen, das Leben gelehrt hatte? Sie, die ihn mehr als jeder andere auf dieser Welt liebte?

Das sollte doch wohl ein Witz sein.

„Raus aus meinem Haus“, wiederholte sie und ließ ein paar Funken aus ihrem Stab heraus sprühen. Langsam verlor sie ernsthaft die Geduld.
 

Dass diese Mira sie nun abschätzig zu mustern begann, machte es auch nicht besser. „Es ist merkwürdig“, sagte sie langsam. „Jede Andere hätte an meinen Worten gezweifelt und nicht wahrhaben wollen, dass ihr Sohn wirklich ein Tempus Amicus ist. Du jedoch glaubst mir... warum?“
 

Sie konnte nicht anders: Sie verdrehte die Augen. „Ich habe mehrere Sommer im Hause Malfoy verbracht und meinen Abschluss als eine der besten in meinem Jahrgang gemacht. Ich weiß sehr wohl, was ein Tempus Amicus ist und ich kenne die Zeichen.“ Sie hatte sie nur nicht bemerken wollen. Hatte alles auf den Zufall schieben wollen. Denn es gab auch normale Wunderkinder, nicht wahr? Nicht jedes intelligente Kind musste ein Tempus Amicus sein. Warum also ihres?

„Er ist noch ein Kind“, wechselte sie ihre Taktik. „Es dauert noch Jahre bis er seine Aufgabe erfüllen muss. Warum musst du jetzt schon kommen? Ich kann ihn großziehen. Ich kann ihn alles lehren, was er wissen muss. Ich werde ihm eine unbeschwerte Kindheit geben.“
 

„Das weiß ich“, entgegnete die Mira sanft. „Du wärst großartig gewesen, aber dummerweise würdest du ihn in die falsche Richtung lenken.“ Langsam ließ sie ihre Hände wieder sinken und nickte zu Harry, der immer noch schweigend hinter Lily stand. „Du musst wissen, dass er seine Entscheidung bereits getroffen hat. Er hat die Richtung gewählt, in die wir ihn von nun an führen müssen, aber du und James werdet ihn mit eurer Erziehung von diesem Weg abbringen.“
 

„Wenn er wirklich ein Tempus Amicus ist, kann man ihn überhaupt nicht von seinem Weg abbringen, besonders nicht, wenn er seine Entscheidung bereits getroffen hat. Denn unter diesen Umständen wird er immer auf den richtigen Weg zurückkommen.“
 

„Das ist richtig, Lily. Und genau deshalb sind wir hier.“

Es war Harry, der gesprochen hatte und gleichzeitig hatte er absolut nichts von dem Harry, den sie kannte. Er klang.... erwachsen. Und der Blick, mit dem er sie ansah, war ebenfalls älter. Weise.

Zeitlos.
 

„Was zum...?“
 

„Es ist der Tempus Amicus, der aus ihm spricht“, erklärte die Mira mitfühlend. „Jener Teil, der von der Zeit geliebt und geleitet wird. Ein unsterbliches Wesen, das solange sein wird, wie die Zeit existiert.“
 

„Großartig“, kommentierte Lily sarkastisch. Da war also ein unsterblicher Parasit im Körper ihres Sohnes, den sie nicht vertreiben konnte. Die Welt wurde von Minute zu Minute besser. „Und was genau wollt ihr mir sagen? Dass es der Zeit nicht in den Kram passt, dass ich meinen Sohn großziehe?“
 

„Ich denke, momentan ist es eher das Schicksal, dass sich darüber ärgert“, meinte die Mira mit einem triumphierenden Lächeln. „Dank meiner Nachfolgerin haben wir es ziemlich durcheinander gebracht.“
 

„Du solltest dankbar sein“, warf Harry ein. „Ohne unseren Einfluss wären du und James bereits seit einigen Jahren tot.“
 

Sie erzählten ihr alles. Sie erzählten ihr, welche Rolle ihr Sohn gehabt hätte: Der Auserwählte, ein Anführer, derjenige, der den Dunklen Lord besiegen würde.

Ein Junge mit einer grauenvollen Kindheit. Petunia – wie hatte Albus ihn nur zu Petunia bringen können?

Ein Kind, das niemals wirklich Kind sein durfte. Ein Hoffnungsschimmer. Ein Ausgestoßener. Ein Held. Ein Staatsfeind. Ein Freund. Ein Geliebter. Ein Symbol.

Ein Waise.
 

Sie weinte und hielt ihren Sohn noch lange, nachdem die Mira verschwunden war. Sie tat es immer noch, als James einige Stunden später zurück kam und sie in der Mitte von Harrys Zimmer vorfand.

Doch sie hatte verstanden. Ihr Sohn mochte immer noch ein Hoffnungsträger und mit einer schweren Zukunft belastet sein, aber wenigstens würde ihm jenes Leben erspart bleiben, welches das Schicksal für ihn vorgeschrieben hatte.
 

Sie würde alles tun, damit es niemals so weit kommen würde.
 

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Malfoy Manor, Gegenwart
 

Sie hatte gekämpft. Sie hatte nach einem Weg gesucht, die Mutter zu sein, die ein Tempus Amicus brauchte. Sie hatte alles getan, was die Zeit ihr in den darauf folgenden Monaten aufgetragen hatte und es war nie genug gewesen. Es würde niemals genug sein. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte sich gegen die Zeit gestellt. Vielleicht wäre sie dafür bestraft worden. Vielleicht wäre sie gestorben. Aber wenigstens hätte sie in diesem Fall die Liebe ihres Sohnes nicht verloren.
 

Nun war sie hier und stand der Person gegenüber, die so perfekt in die Rolle der Mutter hineinzupassen schien.

Narcissa Malfoy.
 

Sie starrte Lily mit großen Augen an, während sie versuchte, einen Sinn aus den Worten zu machen, die sie soeben gehört hatte. Insgeheim bereute die Rothaarige bereits, ihr Harrys wahre Identität enthüllt zu haben. Es war nicht an ihr gewesen.

Leider waren dies Worte, die man nicht zurücknehmen konnte, nicht nachdem sie einmal ausgesprochen worden waren.
 

„Harry... ist ein Tempus Amicus?“ Ungläubigkeit, Verwirrtheit, sogar eine Spur Angst. Genau das, was sie selbst damals empfunden hatte.
 

„Nicht ein Tempus Amicus“, sagte Lily seufzend. Warum mussten sich immer alle so schwer tun? „Der Tempus Amicus. Warum glaubst du, ist jeder hinter ihm her? Weil er intelligent ist? Alle Seiten haben mehr als genug intelligente Leute bei sich. Er ist derjenige, um den sich alles dreht.“ Was für ein schreckliches Schicksal das doch war. Wenigstens verfügte er diesmal über die Mittel, um damit fertig werden zu können. „Glaubst du, der Dunkle Lord würde sich grundlos um ihn bemühen?“
 

„Nein... aber ich dachte...“, Narcissa schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und schüttelte mit dem Kopf. „Ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Ich glaube, ich habe es nicht sehen wollen.“ Sie hob ihren Blick und blickte ihr schuldbewusst entgegen. „Du musst mich wirklich hassen.“
 

Hassen? Lily blickte ihr schweigend entgegen, ohne zuzulassen, dass ihr Gesicht ihre Gefühlsregung verriet. Für ihre ehemalige Freundin war dies Antwort genug: „Ich würde mich hassen, wenn ich an deiner Stelle wäre. Ein Tempus Amicus holt sich immer das, was er braucht, nicht wahr? Der Gedanke, dass der eigene Sohn eine andere Mutter vorgezogen hat... wie muss dich das doch all die Jahre verfolgt haben.“

Plötzlich wich der schuldbewusste Ausdruck einem glücklichen Lächeln. „Oh ja. Ich würde mich definitiv hassen.“
 

„Du bist vermutlich der einzige Mensch, der sich darüber freut, wenn er gehasst wird“, erwiderte Lily trocken.
 

Das Lächeln wich einem erschrockenen Ausdruck. „Nein. Nein! Du missverstehst mich!“ Narcissa trat auf sie zu und griff nach ihrer Hand. Sie war kalt. „Natürlich möchte ich nicht, dass du mich hasst. Genauso wenig wie ich möchte, dass du leidest. Wie ich bereits sagte: Du bist wie eine Schwester für mich“, ach ja? Vor kurzem war das Verb noch im Präteritum gewesen, „das wird sich niemals ändern. Ich hasse es, dich leiden zu sehen. Aber du hast es mir soeben selbst gesagt: Harry hat mich gewählt. Ein Tempus Amicus hat mich gewählt. Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“
 

„Du glaubst wirklich, es geht hier um mich und dich, oder?“, entgegnete Lily und entriss ihr die Hand, wich vor ihr zurück. „Harry hat keinen von uns gewählt. Harry hat überhaupt niemanden gewählt. Es war dieser Tempus Amicus, den deinesgleichen so zu verehren scheint.“
 

Narcissas Augen weiteten sich. „Heißt das etwa... du weißt, für wen er sich entschieden hat?“
 

Ob sie es wusste? Sie hatte es seit dem Augenblick gewusst, in dem diese Mira im Zimmer ihres Sohnes gestanden hatte. Seit man ihr das Einzige entrissen hatte, was in ihrem Leben einen Sinn gemacht hatte.
 

„Harry war ein Jahr alt, als euer Lord in unser Haus eingedrungen ist, um ihn zu töten.“

Narcissa schnappte erschrocken nach Luft, was Lily gekonnt ignorierte. „Da der Tempus Amicus das nicht zulassen konnte, hat er das Einzige getan, was ihn aus dieser Situation hätte retten können: Er hat Harrys Magie mit der des Dunklen Lords verknüpft und ihn damit zu seinem mächtigsten Beschützer gemacht, während Harry für immer an ihn gebunden wurde. Warum glaubst du, lässt euer Lord ihm soviel Freiraum? Warum hört er auf seine Meinung? Und warum hat er ihn all die Jahre direkt unter Albus Dumbledores Nase zur Schule gehen lassen?“
 

„Weil er sich seiner sicher ist“, hauchte Narcissa. „Weil er bereits weiß, dass er ihm gehört.“
 

Und das Einzige, was er nun tun musste, war darauf zu warten, dass sich Harry dessen endlich bewusst wurde.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Es war dunkel, als Lily in ihr Appartment zurückkehrte.

Dracos Flucht, die Erinnerungen, das Gespräch mit Narcissa, all das hatte sie erschöpft und das war auch der einzige Grund, warum sie sich zu Tode erschrak, sobald die Stimme zu sprechen begann: „Da bist du ja endlich.“
 

Es gab genau zwei Menschen auf dieser Welt, für die sie alles tun würde. Einer davon saß gerade auf ihrem Sofa und wäre sie nicht so schrecklich stolz gewesen, hätte sie sich nun vor seine Füße geworfen, um ihn anzuflehen, bei ihr zu bleiben.

So jedoch legte sie sich theatralisch eine Hand aufs Herz und funkelte ihn an. „Verdammt, James, willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?“
 

Egal, wie oft sie es sah, sein Lächeln würde auf sie immer dieselbe Wirkung haben, wie am allerersten Tag.

„Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.“
 

Für mehrere Sekunden tat sie nichts, als ihn reglos anzustarren, dann glitt sie aus ihrem Mantel, warf ihm über den nächsten Stuhl und schlenderte in aller Ruhe in die Küche. „Was willst du hier?“, rief sie von dort aus, während sie ihren Kühlschrank nach dem Orangensaft durchsuchte, den sie vor kurzem gekauft hatte. Sie bekam trotzdem mit, dass er ihr gefolgt war.
 

„Ich möchte mit dir reden.“
 

Oh, bitte nicht.

„Worüber?“, fragte sie und griff nun stattdessen nach der Milch. Verdorben, igitt. Sie stellte die Packung auf die Anrichte und setzte ihre Suche fort.

Währenddessen schien James nach den richtigen Worten zu suchen, denn als sie sich schließlich – nun endlich wirklich mit dem Orangensaft in der Hand – wieder zu ihm umdrehte, wirkte er äußerst... gespalten.
 

„Ich... glaube, ich habe mich dir gegenüber ungerecht verhalten.“ Sie hob eine Augenbraue. Tatsächlich? Wie war er nur wieder darauf gekommen? „Ich habe dich dafür verantwortlich gemacht, dass wir all die Jahre ohne Harry gelebt haben, ohne auch nur für einen Moment daran zu denken, wie sehr du darunter gelitten hast.“ Gelitten. Noch einer, der mit diesem Argument kam. Er und Narcissa sollten sich zusammentun. „Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Bei dem, was Harry ist. Bei dem, was ich über dich weiß. Ich...“
 

Sie unterbrach ihn, indem sie auf ihn zuging, ihn mit ihrer freien Hand in einen Kuss zog.

„Es ist okay“, flüsterte sie gegen seine Lippen. „Ich hätte dasselbe getan.“
 

Es war nicht okay und das wussten sie beide. Vielleicht würde es nie wieder okay sein.

Doch ihre Ehe war weder für den Sommer noch für den Frieden geschlossen worden, sondern für den tiefsten aller Winter und einen Krieg, dessen Ende sie vielleicht niemals erleben würden.

Deshalb war es okay und deshalb würden sie es für den Moment vergessen.
 

Sie hatte ihn vermisst.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ab dem nächsten Kapitel wird es dann wieder mehr um Harry, seine Beziehung zu mehreren Personen (vorrangig seine beiden Mütter, Felice und - natürlich - der Dunkle Lord) und den weiteren Fortlauf der Schicksalsspiele gehen.
Und da das nächste Kapitel schon zur Hälfte beendet ist, bin ich recht zuversichtlich, dass es in Zukunft vielleicht wieder schneller Updates geben wird. Hoffen wir, dass ich mich nicht irre.
Liebe Grüße, eure Ria Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ab dem nächsten Kapitel wird wieder Harrys Perspektive dominieren, versprochen. Und eventuell könnte es auch wieder eine Begegnung mit dem Dunklen Lord geben....
Ich wünsche euch bis dahin eine wundervolle Zeit.
Liebe Grüße, eure Ria Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (220)
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Von:  Aiyu-TheApfel
2015-10-03T11:11:45+00:00 03.10.2015 13:11
So jetzt habe ich innerhalb der letzten Tage beide Geschichten soweit wie es zumindest da war gelesen und...
Wow du hast meinen Respekt! Die Art wie du schreibst. Echt unglaublich, ich hab schon viele Geschichten gelesen, aber das hier gehört einfach zu den Besten.
Fast schon Schade das du nicht mehr weiter geschrieben hast, ich würde es mir wünschen^^
 
LG Reyu
Von:  Mei2001
2015-06-06T17:40:57+00:00 06.06.2015 19:40
Super Kapi!
Von:  Vegetasan
2015-04-19T02:06:08+00:00 19.04.2015 04:06
Sehr schade das die Geschichte hier endet und du nicht weiter geschrieben hast.

Die Geschichte gefiel mir sehr.
Von:  MamorEngel
2014-02-24T22:16:23+00:00 24.02.2014 23:16
Du hast mich echt erwischt ^^ nie im Leben hätte ich erwartet, dass Peter sich freiwillig fangen lässt ^^ Da war ich echt mehr als erstaunt. Aber der Plan ist ja aufgegangen.

Und schon wieder verlässt Harry Tom T^T Also ich hätte an Toms Stelle da langsam keine Lust mehr drauf xD Ich hab immer da Gefühl Harry läuft weg, anstatt etwas zu bewegen. Aber vielleicht ist es ja diesmal ganz anders und etwas Abstand zu Tom ist vielleicht nicht schlecht, um Entscheidungen zu treffen und seine Ziele zu erreichen.
Von:  MamorEngel
2014-02-23T18:57:48+00:00 23.02.2014 19:57
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein!!! >_<
Ich wusste beim Kapitelnamen genau was passieren würde D: aber ich will es trotzdem nicht *wein* Ich habe sogar herausgezögert es zu lesen, weil ichh Dracos Tod nicht lesen wollte V^V
Einerseits finde ich es ja echt gut, dass du solch wichtige Entscheidungen triffst auch Hauptpersonen sterben zu lassen, das macht die Geschichte noch authentischer;, aber Draco.... T^T
Von:  MamorEngel
2014-02-22T19:57:08+00:00 22.02.2014 20:57
Oh je, jetzt lässt Tom auch noch Harry beobachten. Na ja, überraschend ist es nicht. Ob er das schon länger macht? Ob es einen Anlass gab oder es nur allgemeines Misstrauen ist?

Dass Ron Peter einfach entkommen lässt, fand ich sehr leichtsinnig, fast dumm könnte ich behaupten, wenn Ron nicht den Eindruck machen würde, als wüsste er in dem Moment ganz genau, was er tut. Aber er geht ein großes Risiko ein, indem er einen Anhänger des dunklen Lords laufen lässt, der ihn eine Woche beobachtet hat. Ron scheint wirklich sehr, sehr gefährlich geworden zu sein.
Im Nachhinein schien ihn die Sache mit Peter ja doch sehr aufzuregen. Das fand ich dann doch paradox.

Es stellen sich immer wieder so viele neue Fragen. Das ist toll x3 bestimmt erkennt man beim zweiten lesen viel mehr zusammenhänge wieder und versteht viele Andeutungen. Bei manchen Sachen erkennt man erst im Nachhinein, das etwas tatsächlich eine Andeutung war.
Mir gefällts x3
Von:  MamorEngel
2014-02-21T23:43:46+00:00 22.02.2014 00:43
Weiß Harry wirklich was er tut? Mir kommt es so vor, als würde er alles immer schlimmer machen. Er ist weder der einen noch der anderen Seite loyal. Neville nicht und Tom sowieso nicht. Dabei soll er doch vermitteln und das geht doch nicht, wenn er nicht offen zu beiden Seiten ist. Ich weiß, Neville würde es nicht verstehen, wenn er wüsste, wer Thomas Mask wirklich ist. Aber ihn deshalb anzulügenn... das macht es am Ende sicher nur schlimmer.
Im letzten Kapitel hat man zwar gemerkt, dass er bereit ist mit Tom über den Krieg zu reden aber nicht mit seinen Freunden aus Hogwarz und das ist etwas, was er ebenso dringend tun sollte. Ich hoffe, er wird es und er weiß, was er da macht.

Ich mag Ron nicht. Ich habe fast das Gefühl, das ist von dir beabsichtigt, so wie du über ihn schreibst.
Er hat sich verändert seit Hogwarz. Da zeigte er noch viele, wenn auch sehr einseitig betonte Gefühle. Jetzt wirkt er nur noch verbittert, manchmal sogar noch weniger. Fast emotionslos. Dabei hat er doch inzwischen Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt. Es ist, als hättte er nur noch das Kämpfen im Kopf und dabei vergessen, was es bedeutet zu leben.
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass ich seinen Tod nicht bedauern würde. Noch nicht.
Vielleicht überrascht er mich ja doch noch.
Um Draco würde es mir leid tun, wegem dem, was er bei sich anrichtet, wenn er Ron tötet. Und natürlich würde es mir um Hermine leid tun, einerseits weil ihr der Vater ihres Kindes genommen werden würde, andererseits weil sie sicherlich wieder an früher erinnert werden würde, wenn sie erfährt, dass Draco ihn auf dem Gewissen hat.

Die Fortsetzung ist wunderbar und von Anfang an superspannend. Weiter so <3
Von:  MamorEngel
2014-02-21T10:10:42+00:00 21.02.2014 11:10
Ih habe es nicht ausgehalten.
Ich hatte mir fest vorgenommen, erst mal ein paar Tage Pause zu machen bevor ich die Fortsetzung lese, um die Geschichte auf mich wirken zu lassen. Ich habe es natürlich nicht geschafft xD

Schon an dem Prolog merkt man, wie sehr sich dein Schreibstil entwickelt hat. Der Prolog ist gar nicht zu vergleichen mit dem Prolog von "Time chaned everthing". Er ist wirklch großartig und auch die nachfolgenden Kapitel. Es ist immer wieder toll, wie du jemanden auf die Folter spannen kannst, z.B. weil Harry erst im 3. Kapitel aufgetaucht ist. Die ganzen Szenen, in denen Harry endlich wieder nach Hause zurückkehrt würde man als Leser am liebsten sofort lesen x3 Aber das Herauszögern ist genau richtig. Es verstärkt nur noch die Vorfreude auf das, was kommen wird x3
Antwort von:  Riafya
21.02.2014 13:54
Dann wünsche ich dir auch viel Spaß mit Time Began To Play! <3
Und noch einmal danke für deine vielen Kommentare, you made my week!!!
Von:  peili23
2013-06-16T05:07:58+00:00 16.06.2013 07:07
super kapitel ... und durch die perspektive wird lily einem ja fast wieder sympatisch^^ bin schon ganz gespannt wies weitergeht
Antwort von:  Riafya
16.06.2013 08:04
Vielen Dank! <3
Von:  -Koto-
2013-06-12T22:54:33+00:00 13.06.2013 00:54
jetzt klärt sich ja so einiges und man erfährt was aus Harry Vergangenheit ich bin schon so gespannt was weiter passiert hoffe das im nechste Kapitel wieder Harry und tom vorkommen, ich liebe die zwei!!!!!
Antwort von:  Riafya
14.06.2013 11:48
Uii, danke für deinen lieben Kommentar. <3
Ja, das war mal wieder ein kleines "Aufklärungskapitel", wie ich sie gerne nenne. Es freut mich sehr, dass es wirklich ein paar Dinge klären konnte.
Ich liebe Harry und Tom doch auch. *________*
Aber noch kann ich nicht zu 100 % sagen, ob sie schon im nächsten oder erst im übernächsten Kapitel aufeinandertreffen. Da muss ich erstmal schauen, wie es sich entwickelt...
Liebe Grüße, Ria


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