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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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66. Kapitel

Ryons Verstand überschlug sich, weil er nicht genau wusste, wo er anfangen sollte. Sollte er die Adresse auskundschaften, die sie bei der Zurückverfolgung der Telefonnummer auf den Steckbriefen herausgefunden hatten? Sollte er zu Sally fahren und sie nach allen Einzelheiten ausquetschen? Aber selbst wenn, die gute Hexe würde sicherlich noch immer nicht den Aufenthaltsort von Boudiccas Versteck wissen. Also blieb nur die erste Möglichkeit, so wage sie auch war.

Beinahe hätte er Delila überfahren, die plötzlich Mitten auf der Waldstraße stand und sich nicht von der Stelle rührte. Nach ihrem gehetzten Atem zu urteilen, musste sie gerannt sein, um ihn jetzt noch einzuholen, was nicht schwer gewesen sein dürfte, wenn sie einfach querfeldein gelaufen war.

Ryon bremste erst im letzten Moment ab, nicht sicher, ob er sie nicht doch einfach überfahren hätte sollen. Seine Wut hätte es ihm auf jeden Fall gestattet. Sein rationaler Verstand jedoch nicht.

Ohne zu fragen, ging sie um das Auto herum und stieg auf der Beifahrerseite ein.

Paiges Klamotten an ihrem Leib zu sehen, war für ihn fast unerträglich, also fuhr er wieder weiter, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

„Wie hast du das vorhin gemeint, dass ich mich nicht mehr von dir unterscheide?“

Delila starrte ebenfalls gerade aus, während sie den Haltegriff an der Tür fest umklammert hielt und sich trotz ihrer Kühnheit von gerade eben, so weit von ihm entfernt hielt, wie es ihr in dem beengenden Raum nur möglich war.

Ryon biss die Zähne zusammen. Er wollte nicht darüber reden, da es zu sehr weh tat und Mann und Tier nur noch mehr aufbrachte, als ohnehin schon. Trotzdem…

„Ich habe schon einmal eine Gefährtin und ein Kind an den Tod verloren. Boudicca ist gerade dabei, mir beides noch einmal zu nehmen und wenn du auch nur noch einen Funken von Verstand besitzt, dann wirst du wissen, dass ich die Wahrheit sage.“

Dass er sich in diesem Moment eingestand, Paige zusätzlich mit einem Kind zu verbinden, das in einer möglichen Zukunft lag, war sich Ryon nicht bewusst. Er wusste nur, dass er dabei war, erneut alles zu verlieren und dass er nur hoffen konnte, Delila hätte endlich ein Einsehen, was die Wahrheit anging.

Sie schwieg so lange, dass sie schon auf halber Strecke in die Stadt waren, bis sie endlich wieder den Mund aufmachte.

„Bieg‘ dort links ab und dann immer gerade aus. Wenn du genauso fühlst wie ich, bringe ich dich direkt in die Hölle und du wirst keine Sekunde zögern.“

Daran hatte Ryon keinen Zweifel, als er Delilas Anweisungen schweigend folgte, ohne über die Folgen nachzudenken.
 

Zuerst war sie nicht sicher, ob es bloß die Kopfschmerzen waren. Sie hatten sich leise angeschlichen, zuerst mit Druck auf die Schläfen und einem leichten Ziehen in ihrem Nacken, dann mit immer schlimmer werdenden Stichen direkt unter der Schädeldecke. Als hätte sich dieser klebrige Geruch in ihrem Hirn gesammelt, hatte Paige nun jede Sekunde das Gefühl, sich vor Ekel übergeben zu müssen. Alles waberte, troff, überzog sich wie mit rosa farbenem Schleim und schien ihr keinen Ausweg zu lassen. Sie fühlte sich wie eine Fliege, die ihren Tod klebend an einem süßlichen Fliegenfänger finden würde.

Alles schien sich seit einigen Minuten um die eigene Achse zu drehen und das Gefühl von Seekrankheit noch zu verstärken. Nur dass Paige den Horizont nicht sehen konnte, um zumindest ihren Blick daran festzuhalten.

Das Einzige, woran sie sich halten konnte, war das leicht orange Glimmen, das sich gegen den Gestank von außen an ihr zu behaupten versuchte. Doch es ließ nach. Paige hatte mit Entsetzen festgestellt, dass sie ihre Fingerspitzen kaum noch in diesem Ton sehen konnte. Wie ein verschrecktes Tier, zog sich die Farbe an ihr weiter zurück.

Ein Grund, warum sie bei dem aufkommenden Geräusch in ihrer Nähe nicht dem Instinkt nachgab und sich vollkommen in Flammen hüllte, war die Tatsache, dass die Mischung aus Ryons und ihrem eigenen Geruch vor allem in ihren Kleidern hing.

Es waren Schritte, die sie gehört hatte. Nur sehr leise und in einiger Entfernung, doch sie kamen näher. Es konnten weder normale Schuhe, noch Stiefel sein, sonst hätte der umgebende Stein sie stärker zurück geworfen. Aber gerade weil es weiche Sohlen waren, konnte Paige kaum orten, von woher man auf den Käfig und sie zuging.

Immer wieder wirbelte die Geruchswand um sie herum auf, als sie sich schnell umdrehte, gehetzt atmete sie die klebrigen Duftstoffe ein, wenn sie das Gefühl bekam, jemand würde in ihrem Rücken auftauchen. Ihr war schwindelig und übel und doch wagte Paige es nicht, sich des Scheins ihres Feuers zu bedienen. Diese Kräfte würde sie noch brauchen. Sie musste sich schonen.

'Komm nur näher...'

In ihrem Inneren schrie sie erschrocken auf, als sein Gesicht plötzlich aus den wirbelnden pinken Gerüchen auftauchte. Er schien für eine Sekunde frei zu schweben, bis sich auch der Rest des Körpers in Paiges Sichtfeld schälte und sie einen langen, goldenen Dolch in seiner Hand erkennen konnte.

Nun übernahm die Dämonin das Handeln und auch entgegen ihres guten Wissens, flammten Paiges Hände auf.

Das Feuer tauchte die braune Haut des Magiers in warmes Licht und brachten das Metall in seiner Hand zum Schimmern. Als er den Mund öffnete, hätte Paige am liebsten den Kopf vor dieser verhassten Stimme eingezogen.

Er konnte nur froh sein, dass die goldenen Stäbe, die zwischen ihnen lagen, ihn schützten.

„Fe-lein... Du bist immer noch schön...“

„Und du immer noch zum Kotzen. Glaubst du dein Messerchen erschreckt mich? Komm doch hier rein, wenn du dich traust.“

Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde schmal und grausam.

„So widerspenstig... Naja, wir werden sehen, wie lange noch...“

Der Dunst wurde noch einmal dichter, als er darin verschwand. Paige konnte ihn nun fast wie tastende, krabbelnde Finger auf ihrer Haut fühlen.

„Du Scheißkerl!!! Komm zurück und ich zeig dir, was widerspenstig ist!!“
 

„Das ist es also?“

Ryon sah skeptisch auf den modernen Glasbau, der mitten in der Stadt fast schon in der Erscheinung störte und auf jeden Fall hervor stach. Von Unauffälligkeit konnte nicht die Rede sein, aber gerade deshalb würde man nie vermuten, dass hier keine reiche Firma, sondern eine Hexe und ihr Gefolge tätig waren.

Er konnte es nicht glauben, aber Delilas Blick, in dem sich sowohl Angst, Abscheu und Sehnsucht spiegelte, war Antwort genug.

„Mehr kann ich nicht für dich tun.“

Oder sie wollte es nicht. Das ließ ihr Tonfall offen. Sie vertraute ihm immer noch nicht, aber das hätte ihn auch gewundert.

„Eine Sache gebe es da noch…“

Ryon riss sich von dem Anblick des Gebäudes los und sah stattdessen die Wölfin an. In Delilas Gesicht lag fast schon so etwas wie Resignation, offenbar wollte sie sich bereits wieder mit ihrem Schicksal abfinden. Wie viel es brauchte, um so etwas bei einem Gestaltwandler zu verursachen, dessen Gefährten man entrissen hatte, wusste nur Gott. Wenn Ryon eines wusste, dann dass er es niemals so weit kommen lassen würde. Paige würde er niemals aufgeben!

„Ich habe einen Plan. Vielleicht könnte er auch dir nützlich sein.“

Delila schnaubte leise, als könne sie es nicht glauben, sie sah ihn trotzdem an. Wartend.

„Was für ein Plan?“
 

Mit aller Gewalt versuchte er sich ein Gähnen zu unterdrücken. Er hätte gestern nicht mehr mit seinen Kumpels um die Häuser ziehen sollen, dann würde er jetzt vielleicht nicht mit der Langeweile und vor allem der Müdigkeit kämpfen.

Phil, sein Kollege, stieß ihm schon wieder den Ellenbogen in die Rippen, um ihn aufzuwecken.

„Soll ich dir einen Kaffee mitbringen oder wäre es besser, wenn gleich du gehst?“

Er schüttelte den Kopf.

„Schon okay. Ich geh‘ schon. Halt du hier die Stellung.“

„Besser, als du auf jeden Fall.“

„Ha Ha.“

Er überprüfte routinemäßig noch einmal, ob seine Pistolen auch an der richtigen Stelle unter dem Angestelltenanzug saßen, ehe er den Empfangstresen verließ und in Richtung Pausenraum aufbrach, während Phil die Monitore beobachtete, oder wohl eher das Fußballspiel auf dem kleinen Minifernseher.

Als er mit zwei dampfenden Bechern zurück kam, warf er nur gewohnheitsmäßig einen Blick auf die gläsernen Eingangstüren, durch die ohnehin kaum jemand anderes, als ihre eigenen Leute kamen. Höchstens einmal eine Mutter mit Kind, um das WC zu benützen, aber das war’s dann auch schon an Aufregung.

Als sein Blick dieses Mal zwei Gestalten streifte, die sich gerade mit der wieder selbst schließenden Flügeltür abmühten, verbrühte er sich an den Kaffeebechern die Finger.

Die süße Wolfsschnecke war zurück und offenbar auch noch mit ihrem Auftrag.

Mit einem Schlag war er hell wach, ließ die Kaffeebecher fallen und zog seine Pistole. Er hatte den riesigen Kerl auf den Steckbriefen sofort wieder erkannt, auch wenn er halb bewusstlos über der zarten Schulter der Frau hing; seine Klamotten zerrissen, der Oberkörper von blutigen Kratzern übersät, den Kopf schlapp gen Boden hängen lassend und mit den Händen auf den Rücken gebunden, so dass er mit seiner blutenden Wunde an der Seite den schönen auf hochglanz polierten Marmorfußboden einsaute.

Phil war ebenfalls von seinem Stuhl aufgesprungen und um den Tresen herum gerannt. Die Waffe im Anschlag auf die Beiden gerichtet.

Mit einem mühsamen Stöhnen ließ die Wolfsbraut den Gefangen auf den Boden fallen.

„Könnte mir einer von euch Lahmärschen mal vielleicht helfen? Der Kerl wieg glatt eine halbe Tonne!“

„Sag bloß, ne süße Puppe wie du, hat den Kerl gefangen? Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

Phil gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er ihm Feuerschutz geben sollte, während er seine Waffe wieder einsteckte und auf den riesigen Kerl zu ging, der sich nicht rührte.

„Schnauze. Was kann ich dafür, wenn Typen wie ihr zwei, nichts auf dem Kasten haben. Macht euch gefälligst nützlich und schleppt ihn zu ihr.“

Es juckte ihn im Finger, die Tussi einfach abzuknallen, aber dann wäre er nicht nur seinen Job sondern auch noch sein Leben los. Nein danke, das war sie nicht wert.
 

Sie lag auf dem Boden, zusammen gerollt mit einem kleinen Bündel ihrer eigenen Kleidung in den Armen. Mit jedem ihrer Atemzüge schien nicht nur das kleine, orange Leuchten, sondern auch ein Stück Hoffnung zu schwinden.

Paiges Gedanken waren inzwischen so zähflüssig, wie die verdichtete, rosa-pinke Masse um sie herum. Der Ekel davor hatte immer noch die Oberhand, aber genau deshalb war sie in den Stunden, die sie nun hier liegen musste, auf die Frage gekommen, was mit ihr passieren würde.

Leider erinnerte sie sich noch sehr gut daran, was der Magier bei ihrer letzten Begegnung mit ihr im Sinn gehabt hatte. Dass sich das nicht geändert haben konnte, war ebenso klar. Aber ... war sie nur deswegen hier?

Paiges Herz pochte ängstlich mit ihrem schmerzenden Kopf um die Wette. Natürlich war das nicht der einzige Grund. Boudicca. Sie musste ganz nah sein. Und wenn sie wusste, dass Paige Ryons Gefährtin war...

Ihre Arme schlossen sich enger um das Kleiderbündel und Paige vergrub verzweifelt ihre Nase darin, während sie versuchte keine Bilder in ihrem Verstand hochkommen zu lassen. „Ich will nicht, dass man dir was antut...“

Er würde kommen, um sie zu befreien. Das war so sicher, wie jeder Morgen, der auf eine Nacht folgte. Doch was würde passieren, wenn Ryon es bis hierher schaffte? Wäre Paiges Gehirn dann bereits Matsch? Würde man mit ihr so verfahren, wie mit Delila?

Die Wölfin hatte sehr lange und gegen alle möglichen und unmöglichen Versuche durchgehalten, sie zu manipulieren. Sie war sich selbst nie vollständig untreu geworden. Und wenn sie das schaffte...

Paige schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. In der Dunkelheit, die sie umgab konnte sie nichts hören. Es war erschreckend still.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, fanden sie das orangene Glimmen nicht mehr. Wie ein winziges Stückchen Glut war es verloschen. Paige hob den Kopf und konnte stattdessen etwas Anderes sehen. Das Rosa schloss sich wie ein unaufhaltsamer Wirbel um sie.
 

Eines musste man Delila lassen. Wenn es um einen guten Plan ging, war sie außer ordentlich gründlich. Vielleicht war sie das ohnehin, aber wie sollte Ryon das schon wissen. Er kannte sie schließlich kaum. Auf jeden Fall tat ihm dank ihr wieder alles weh und er sah bestimmt so aus, wie er sich fühlte. Es war einfach perfekt.

Selbst den letzten Schlag, der ihn halb bewusstlos schlagen sollte, hatte sie ohne zu zögern und mit einer Präzession ausgeführt, die man nur beneiden konnte. So musste er nicht den hilflos ausgelieferten Gestaltwandler spielen, den man in einen Aufzug schleifte, um dann mehrere Stockwerke nach oben zu fahren.

Er war ausgeliefert. Ganz und gar. Seine Hände waren gründlich auf seinem Rücken gefesselt, seine Beine fühlten sich wie Wackelpudding an und sein Schädel dröhnte so stark, dass er sich am liebsten eine ganze Ladung Aspirin hinunter gekippt hätte. Doch genau so sollte es sein, also beschwerte er sich nicht, sondern hielt still, ließ mit sich machen, was seine Feinde wollten, während er sich darauf konzentrierte, wieder schnell zu klarem Verstand und zu Kräften zu kommen.

Die würde er brauchen, wenn man ihn zu ihr – Boudicca – bringen würde. Woran er keine Zweifel hegte. Delila spielte ihre Rolle perfekt und selbst wenn sie es nicht tat und ihn wirklich herein gelegt hatte, sie war ihm trotzdem nützlich. Sonst wäre er nicht hier.

Paige… Ich komme…

Ryon versteifte sich bei dem Gedanken an sie und was man ihr alles angetan haben könnte, während er sich hier Zeit ließ. Doch um nicht zu sehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, stöhnte er leise vor Schmerz und ließ sich noch schwerer auf die Arme der beiden Typen fallen, die ihn halbwegs aufrecht hielten.

„Hast dir ja lange Zeit mit ihm gelassen, Süße. Warum das? Ist dir was ‚dazwischen‘ gekommen?“

Beide Männer lachten bei dem anzüglichen Tonfall, aber anhand ihres Geruchs ließ sich leicht erkennen, dass das nur Unsicherheit und Anspannung war.

Delila konnte es ebenfalls riechen, weshalb sie nicht weiter darauf einging, sondern stattdessen einfach schwieg.

Diese Typen waren echt das Letzte und an Delilas wütendem Geruch konnte man die unausgesprochene Drohung erkennen, die über den beiden Idioten lag. Sollte sich eine Gelegenheit bieten, so würden die beiden sicher als erstes dran glauben müssen.

Das erlösende Klingeln des Aufzugs und das sanfte Geräusch der auseinandergleitenden Fahrstuhltüren kamen gerade rechtzeitig, bevor Delila die Hand auskommen konnte.

Doch zugleich bedeutete es, Ryon kam ihrem wahren Feind unangenehm Nahe. Angst breitete sich in ihm aus, die so tief saß, wie diese Sache schon dauerte, doch zugleich konnte es ihm gar nicht schnell genug gehen. Jede Sekunde zählte, in der Paige etwas Schreckliches passieren konnte oder man ihr bereits etwas antat. Vielleicht war sie aber auch schon…

Nein!

„Hey, halt‘ ihn bloß fest. Er wird langsam wieder lebhaft.“

„Wie wär’s, wenn wir ihm noch einen Schlag verpassen? Nur um sicher zu gehen?“

„Wenn ihr zwei Hohlköpfe riskieren wollt, dass Boudicca noch eine Stunde länger warten muss, bis sie mit dem Gefangenen reden kann, nur zu. Ich halte euch nicht auf.“

Delilas Tonfall war schnippisch und voller Verachtung, aber er hielt die beiden Idioten zuverlässig davon ab, Ryon einen weiteren Schlag zu verpassen, der ihn vielleicht ganz ausgenockt hätte.

Schweigend schleiften sie ihn aus der Kabine, Delila mit ungebrochenem Selbstbewusstsein voran, durch einen edel ausgestatteten Flur mit weichem Teppichboden, Kunstobjekten und mehreren Türen.

Hier stank es überall unangenehm süßlich und zugleich nach Kräutern und Mixturen. Sie mussten ganz nahe an der Höhle des Löwens sein.
 

„Hi!“

Das Mädchen saß auf dem lila Sofa und lächelte. Sie mochte Anfang zwanzig sein, aber in ihrem gelben Sommerkleid, mit den Schleifen im rotblonden Haar, sah sie aus wie ein kleines, fröhliches Mädchen.

„Hallo.“

Es war seltsam, dass sie hier auf dem Boden lag. In einem Raum, der vollkommen leer war, bis auf die Couch, auf der das Mädchen saß und einem kleinen Häufchen Kleider neben ihr, die irgendwie...

„Ich hab dir was zum Anziehen mitgebracht.“

Ihr Gegenüber hatte sich vorgebeugt und hielt ein zusammen gefaltetes Kleidungsstück in Grün in den Händen. Als sie es weiter nach vorn streckte, glitzerten goldene Ornamente darauf.

„Es... Es ist fast durchsichtig...“

Als das blonde Mädchen aufsprang, erfüllte ihr glockenklares Kichern den ganzen Raum.

„Aber besser als das, was du jetzt trägst. Außerdem ist es dort, wo wir hingehen, schön warm.“

Sie hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen und kaum dass sie auf ihren Füßen stand, musste sie dem Mädchen Recht geben. Es wäre besser, als vollkommen nackt dorthin zu gehen.

„Wie heißt du denn?“

Die blauen Augen des Mädchens sahen sie freundlich und neugierig an. Mit einem kleinen Glitzern, das auch sie lächeln ließ. Obwohl die Frage sie etwas verstörte.

„Ich... Ich weiß es nicht.“

Eigentlich wusste sie gar nicht so genau, wer sie war und wie sie hierher gekommen war. Oder warum sie komisch rote Haut hatte, die sich mit dem Rosa biss, das überall zu sein schien und um ihre bloßen Füße waberte.

„Ach, das macht nichts. Er wird dir einen geben.“

Sie sah das Mädchen fragend an, doch es antwortete nur mit einer auffordernden Handbewegung.

„Los, zieh dich an. Dann können wir los. Du hast bestimmt auch Hunger.“

Langsam nickte sie und nahm den weichen, fließenden Stoff entgegen. Es war eine halb durchsichtige Tunika, die eine ihrer Schultern frei ließ und auch sonst nicht wirklich viel verdeckte, obwohl sie ihr bis über die Knöchel reichte.

„Sieht super aus! Na komm'.“

Als das Mädchen ihre Hand nahm und begeistert loseilte, musste auch sie lächeln. Ob es schön dort war, wo sie hingingen?
 

Ryon wurde mit dem Gesicht nach unten auf einen glattpolierten Holzboden gestoßen, der nicht nur eine seltsam gefleckte dunkle Farbe aufwies, sondern auch sehr merkwürdig roch. Es war eine Mischung aus Holz, Ölpolitur, Kräutern, Kreide, Asche und … Blut.

Der Gestank drehte ihm beinahe den Magen um, weshalb er sich mühselig etwas aufrichtete, um wenigstens nicht mehr direkt die Nase darauf zu haben. Doch sofort trat ihm ein fester Schuh ins Genick und drückte sein Gesicht wieder nach unten.

„Halt gefälligst den Kopf unten und erweise Respekt vor unserer Herrin!“

Der Tiger in ihm brüllte vor Wut, doch Ryon konnte das aggressive Knurren unter drücken. Seine Hände rissen unbemerkt an seinen Fesseln, um wieder ein Gefühl hinein zu bekommen, doch sie rührten sich keinen Millimeter.

Da er nichts sehen konnte, außer dem Zeugen vergangener Bluttaten, versuchte er mit seinen restlichen Sinnen, den großzügigen Raum zu erkunden, in den man ihn gebracht hatte.

Es roch nach Kerzenwachs, den beiden Männern, die ihn her gebracht hatten und nach Delila, die nun sonderbar still geworden war, während ihr Geruch so viele Facetten angenommen hatte, dass man die einzelnen Emotionen kaum noch heraus filtern konnte.

Woran mit Sicherheit die beiden Werwölfe schuld waren, die er ebenfalls witterte.

Der Geruch einer menschlichen Frau ging da fast unter, wenn er nicht so scharf und stechend gewesen wäre, wie es nun einmal Hochmut und Arroganz an sich hatten.

Boudicca…

Sie musste es sein. Da es ihm die Nackenhaare schier zu Berge stehen ließ und sein Herz heftig raste. Ryon hatte keine Zweifel daran.

Zusätzlich zu den schweren Düften der Gegenstände im Raum und der Anwesenden hing noch etwas anderes in der Luft. Etwas, das er nicht benennen konnte, da er es nicht wirklich mit der Nase wahrnahm, sondern eher nur ein niederdrückendes Gefühl war. Etwas, das ihn irgendwie … abstieß und aufforderte, sofort das Weite zu suchen und doch schien es ihn zugleich anzuziehen, wie etwas Vertrautes.

Es verwirrte ihn total.

„Geht wieder auf euren Posten. Ich kann euch hier nicht gebrauchen.“

Ryon wurde los gelassen und auch der Druck in seinem Nacken verschwand.

„Nein. Delila, du bleibst. Du bist mir eine Erklärung schuldig, wieso das solange gedauert hat.“

Die Stimme – Boudiccas Stimme – war sonderbar normal und doch so Befehlsbeton, dass man sich dem kaum wiedersetzen konnte. Zumindest nicht, wenn man unter ihrer Fuchtel stand, was die meisten der Anwesenden offensichtlich taten, denn keiner protestierte.

Als die Tür sich hinter den beiden Männern wieder geschlossen hatte, richtete Ryon sich mit einem Ruck auf. Er wollte dem Teufel in die Augen sehen, wenn er ihm schon gegenüber stand und wissen, wessen Kehle er zerfetzen würde, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

Allerdings kam er nicht so weit, sondern blieb wie angewurzelt an dem Amulett auf Boudiccas Brust hängen. Das verstörende Gefühl ging nicht etwa von dieser Hexe aus, sondern von dem Schmuckstück. Es war…

„Ah, wie ich sehe, erkennst du es. Gut.“

Boudiccas Tonfall war schmeichelnd und schnurrend, ganz und gar anders, als der zuvor und zugleich riss er Ryon aus seiner Erstarrung. Stattdessen musterte er die Frau nun als Ganzes.

Sie hatte es sich in einer Chaiselongue aus rotem Samt gemütlich gemacht. Ihr langes Kleid, das fast an eine Robe erinnerte, dabei aber doch zu eng dafür an ihre dünne Gestalt geschmiegt war, verstärkte den düsteren Eindruck, den die blasse Frau ohnehin aus jeder Pore ausstrahlte. Ihr dunkles Haar war zu einem komplizierten Gebilde an dem Hinterkopf hochgesteckt und obwohl Ryon sein ganzes Vermögen darauf verwettet hätte, sie wäre nichts weiter als eine hässliche Kröte, konnte er es doch nicht sagen. Sie war … in ihrer finsteren Art, schön und trotzdem genauso herzerwärmend wie eine Eiskulptur.

Ein Mann hätte sich liebend gerne neben einem toten Fisch gelegt, ehe er auch nur sie angefasst hätte. Zumindest ein Mann, der noch bei klarem Verstand war, denn dicht an sie geschmiegt, lagen die beiden Werwölfe, die sich aufs Haar glichen und Ryon keine Sekunde lang aus den Augen ließen.

Nicht nur anhand ihrer furchteinflößenden Größe, sondern auch an ihrem Verhalten konnte man auf den ersten Blick erkennen, dass das hier keine Hunde und auch keine normalen Wölfe waren. Dazu waren sie zu still und mit viel zu menschlichen Augen, die alles genau beobachteten.

Und doch waren sie nichts weiter mehr, als Boudiccas Schoßhündchen. Ryon konnte Delilas Schmerz verstehen. Es war absolut erniedrigend.

„Um das Amulett zu bekommen, wirst du mich töten müssen.“

Eine Feststellung, nichts weiter.
 

Sie waren nur um zwei oder drei Ecken gerannt, als sie vor einer großen Holztür stehen blieben, hinter der gedämpft Musik zu hören war.

„Du darfst nicht gucken, ok? Es ist eine Überraschung. Und ich bin sicher, dass es dir gefallen wird.“

Inzwischen hatte sich das Mädchen vorgestellt. Sie hieß Zimt. Das war ein schöner Name und passte zu ihrem Haar. Sie sagte, dass ihr Beschützer sie so genannt hatte. Früher wäre sie genauso ohne Namen gewesen, wie alle anderen, die der Beschützer aufgenommen hatte. Ob sie auch so einen schönen Namen bekommen würde?

Ein wenig Aufregung flatterte in ihrem Bauch und sie fasste Zimts Hand fester.

„Keine Sorge. Alle werden nett zu dir sein. Versprochen.“

Zimt zwinkerte mit einem Lächeln und drückte ihre Hand, bevor sie ihr mit dem Zeigefinger einmal an die Nase stupste.

„Augen zu. Ich sag dir, wann du sie wieder aufmachen kannst.“

Obwohl sie von einer Sekunde zur anderen immer aufgeregter und nervöser wurde, gehorchte sie mit einem leisen: „Okay.“

Sie ließ Zimt's Hand nicht los, schloss aber ihre Augen, so wie sie es gesagt hatte. Nachdem sich Zimt versichert hatte, dass sie nicht spitzelte, hörte man die große Tür aufgehen. Musik quoll lockend und erfrischend zugleich heraus und schien die beiden Frauen einzuhüllen.

Zimt zog sie ein Stück mit sich. Vorsichtig und langsam, damit sie auf dem manchmal ein wenig holprigen Boden nicht stolperte. Vermutlich waren sie über die Schwelle getreten, als sich Zimts Arme um ihre Schultern legten und sie das Kinn des Mädchens auf ihrer Schulter spürte. An ihrem Ohr hörte sie die leisen und dennoch freudigen Worte.

„Jetzt darfst du gucken.“

Um von dem bunten Licht nicht geblendet zu werden, musste sie ihre Augen mit der Hand abschirmen. Hier war es so viel heller, als in dem Raum mit dem Sofa. Aber auch so viel ... gemütlicher.

Ihr blieb für eine Weile der Mund offen stehen und sie sah sich staunend um, während Zimt sie noch weiter in den großen Raum hinein schob. Das Auffälligste neben den kunterbunten, leuchtenden Bonbonfarben überall, war der riesige Brunnen in der Mitte des Saals. Er hatte drei Ebenen, reichte über eines der beiden Stockwerke des Raumes und sein sprudelndes Wasser verströmte noch mehr der rosa wattigen Wölkchen, die hier überall gegenwärtig waren.

Die Wände strahlten in jeweils einer anderen Farbe: Blau, Gelb, Lila... Immer in leichtem Pastell, das den Eindruck der anderen Farbtöne nur noch unterstützte. Überall lagen dicke, weiche Kissen herum, auf denen man sitzen oder sich sogar hinlegen konnte. Die Musik kam aus Lautsprechern, die wie Süßigkeiten geformt waren und überall gab es kleine Tischchen, auf denen Leckereien drapiert lagen.

Doch was sie wirklich faszinierte, waren die vielen ... Personen. Hauptsächlich waren es Frauen, die zusammen saßen, sich unterhielten, miteinander tanzten oder allein irgendwo saßen oder schliefen. Ein paar hatten sich ganz in der Nähe um einen der wenigen Männer versammelt und kicherten, als dieser offensichtlich einen Witz erzählte. Ein zweiter Mann, näher am Brunnen zeigte immer abwechselnd auf zwei Mädchen und als sein Finger stoppte, kicherte die Gewählte, bevor sie den Arm des Mannes ergriff und die beiden zusammen hinter einem glitzernden Perlenvorhang verschwanden.

„Wo gehen sie hin?“

Zimt winkte gerade ein paar anderen Mädchen, die alle ein bisschen aussahen wie Alice im Wunderland. Mit langen blonden Haaren, kurzen Kleidchen mit einer weißen Schürze und Ringelstrümpfen.

„Hm? Oh, das erzähl ich dir später. Der Beschützer hat sowieso allen gesagt, dass nur er dich mitnehmen darf. Wahrscheinlich weil du neu bist.“

Das verstand sie nicht ganz. Aber gerade kam ein Pärchen aus einer Öffnung mit einem Perlenvorhang und lehnte sich an die gelb und blau geringelte Brüstung auf der oberen Empore. Sie sahen beide recht zufrieden aus und der Mann machte irgendein Zeichen mit den Fingern, das einen anderen unten neben dem Brunnen zum Lachen brachte. Hinter den Perlenvorhängen musste also etwas Gutes passieren.

Sie gingen weiter und Zimt zeigte ihr besonders schöne Eckchen, mit den flauschigsten Kissen, den leckersten Törtchen und anderen Dingen. Bald hätte sie sich von all diesen Eindrücken vielleicht überfordert gefühlt, als Zimt auf einmal ihre Hand losließ. Stattdessen legten sich zwei Hände auf ihre Wangen und ein Mann trat auf sie zu. Er trug ziemlich viel Schmuck und dem Ausdruck in Zimts Gesicht nach, musste er sehr nett sein. Zimt sah aus, als hätte man ihr gerade ein Geschenk gemacht.

„Hallo... Schön, dass du doch noch hierher gekommen bist.“

Doch noch?

„Ich verstehe nicht, ich-“

„Ist schon gut.“

Der Mann lächelte ein sehr breites Lächeln und ließ seine Hände zu ihren Schultern wandern. Er trat einen Schritt zurück und sah sie sich genau an.

„Du siehst ... wunderschön aus. Das Gewand steht dir sehr.“

Sie neigte leicht den Kopf und bedankte sich.

„Bist du ... der Beschützer?“

Von seinem Lachen war sie überrascht. Auch Zimt kicherte neben ihr. Genauso wie ein paar andere Frauen, die neben ihnen standen. Es war ein wenig verunsichernd.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“

Hilfesuchend sah sie Zimt an und dann den Mann, der ihr immer noch gegenüberstand. Keine Sekunde später zog er sie an sich, schlang seine Arme um sie und streichelte ihr Haar. Sie konnte hören, wie er an ihrem Hals schnupperte.

„Aber nein, meine Fairy. Du hast nichts Falsches gesagt. Ganz im Gegenteil.“
 

„Tapfere Worte für jemanden, dem sein eigenes Leben egal ist. Und glaube mir, sollte mir am Ende nichts anderes übrig bleiben, werde ich diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Aber bis es soweit ist, schlage ich vor, dass du mir das Denken überlässt. Ich verlöre nur ungern einen so prächtigen Kämpfer an meiner Seite.“

Ryons Blick verfinsterte sich noch weiter, da er sich die Doppeldeutigkeit von Boudiccas Worten durchaus bewusst war. Aber soweit würde er es nicht kommen lassen.

„Nur in deinen Träumen, Miststück!“

Boudiccas Miene blieb unberührt, trotz der Beleidigung, die er ihr an den Kopf geworfen hatte. Stattdessen musterte sie ihn gründlich mit leicht schräg gelegtem Kopf.

„Delila. Bring mir den Anhänger auf seiner Brust.“

Die junge Frau neben ihm zuckte leicht unter dem Befehl zusammen, der sich plötzlich auf sie richtete und trotzdem zögerte sie keine Sekunde, ihm nachzukommen.

Furchtlos, was an mehreren Gründen liegen mochte, trat sie dicht neben Ryon und berührte sein Schmuckstück.

Wäre er nicht darauf vorbereitet gewesen, er hätte aus reinem Reflex nach der Hand geschnappt, die ihm das Amulett wegnehmen wollte, doch so ließ er es einfach geschehen und unterdrückte den Drang, die Kette zu beschützen. Stattdessen starrte er unentwegt Boudicca an.

Delila hob den Anhänger lediglich von seiner Brust hoch, ehe sie sich an ihre Herrin wandte.

„Die Kette hat keinen Verschluss.“ Und sie war zu klein, um sie ihm einfach über den Kopf zu ziehen.

„Die Kette ist mir egal, bring mir das Amulett. Sofort!“

Ryon hatte es zwar kommen sehen, war aber von Delilas Stärke überrascht worden, mit der sie kräftig an der Kette riss.

Es knackte leise in seinem Genick, als er ruckartig zur Seite gerissen wurde und doch nicht ganz auf dem Boden aufschlug, sondern stattdessen von dem zierlichen Goldkettchen gewürgt wurde, bis er sein Gewicht mit einem Knie wieder selbst auffangen konnte.

„So so. Daher die Narbe um deinen Hals.“

Boudicca hörte sich nicht gerade enttäuscht an, sondern eher, als wäre sie nun in ihrer Vermutung bestätigt.

„Ich sagte bereits, dass du das Amulett nicht bekommen wirst.“, knurrte Ryon leise, als er wieder genügend Luft bekam.

Erneut riss er an seinen Fesseln, was dennoch sinnlos war. Delila wusste definitiv wie man Knoten machte und noch dazu waren seine Hände so gebunden, dass er sich selbst mit seinen Krallen nicht befreien konnte.

„Du sagtest, dass ich dich dazu töten müsste. Allerdings bin ich da anderer Meinung. Dean, halt ihn fest.“

Sie schnippte einmal mit den Fingern, woraufhin sich der linke Werwolf erhob und sich noch auf halber Strecke zu ihm in einen ausgewachsenen, nackten Mann verwandelte, den Ryon kaum wieder erkannte.

Wäre da nicht das tätowierte ‚D‘ in dessen Nacken, er hätte geglaubt, es mit einem völlig anderen Werwolf zu tun zu haben. Aus den jugendlichen Zügen und Leichtsinn in Deans Gesicht war inzwischen Härte und grausames Schweigen geworden. Die Augen eines Killers schweiften ebenso emotionslos über sein Gesicht, wie das über Delilas. Als würde er sie nicht einmal als seine Gefährtin wieder erkennen.

Sofort wich die Wölfin vor dem Mann zurück und senkte den Blick, damit man die schmerzliche Sehnsucht nicht in ihren Augen sehen konnte.

Ryons Wut steigerte sich, weshalb er sich gegen den festen Griff des anderen zur Wehr setzte, weil er es nicht ertragen konnte, von einem solchen Verräter auch nur angefasst zu werden. Am liebsten hätte er dem Werwolf den Kopf abgerissen, in dem Wissen, was dieser Kerl seiner Gefährtin alles bereits angetan hatte!

In der unterlegeneren Position hatte Ryon keine Chance gegen den Werwolf, gab aber trotzdem erst Frieden, als dieser ihm beinahe das Genick brach und ihm den Kehlkopf zusammen quetschte. Erst als er sich wirklich nicht mehr rührte, glitt Boudicca von der Chaiselongue und kam – begleitet von ihrem zweiten Wachhund – auf ihn zu.

„Auch du wirst noch lernen, dass Wiederstand völlig zwecklos ist. Nur wer sich fügt, wird von mir belohnt werden.“

Ryon hätte der Schlampe am liebsten die Meinung gegeigt, aber er bekam noch nicht einmal richtig Luft, um ein einziges Wort zu formulieren. Stattdessen knurrte er sie einfach an. Was ihr lediglich ein müdes Lächeln abrang.

„Wollen doch mal sehen, was so alles in deinem Kopf vor sich geht. Dass du sehr viel denkst, bezweifle ich. Männer wie du bestehen nur aus Muskeln und wenig Gehirn. Wie praktisch für eine Frau wie mich.“

Sie tätschelte den wuchtigen Kopf des Werwolfs, ehe sie ihre beiden Hände ausstreckte, um Ryons Schläfen zu umfassen.

Ryon wehrte sich erneut, gegen den Stahlharten griff von Dean, nur um nun wirklich keine Luft mehr zu bekommen.

Als ihm schon fast schwarz vor den Augen wurde, fühlte er die kühlen Finger seines verhassten Feindes auf sich. Sofort versuchte er seine Gedanken zum Erliegen zu bringen, damit Boudicca nichts in die Hände bekam, das sie gegen ihn verwenden konnte. So hatte es ihm Delila und auch Tennessey einmal erklärt, aber natürlich war es fast unmöglich.

Denn Hass auf diese Frau musste er nicht verbergen und dass er vorhatte, sie in alle erdenklichen Fetzen zu reißen, wenn er erst einmal frei war.

Boudicca lachte leise.

„Wie interessant. Und warum willst du das tun?“

Ein kurzes Bild von Paige flackerte bei dieser Frage in ihm auf, ehe er es tief in sich vergraben und mit anderen Bildern des Amuletts überdecken konnte. Ryon hoffte, dass sie nichts gemerkt hatte, während er sich gegen den Druck von Außen auf seinen Geist standhaft wehrte.

Momentan versuchte sie nur, seine Gedanken und Erinnerungen zu lesen, was schwerer zu verhindern war, als er angenommen hatte. Sehr viel schwerer, gestand sich Ryon ein. Was würde passieren, wenn sie versuchte, ihn zu kontrollieren?

Ryon musste zugeben, dass er sich seiner Sache nicht mehr allzu sicher war.

Diesen Gedanken konnte er nicht rechtzeitig unterdrücken, ehe Boudicca ihn Ryon mit einem zufriedenen Lächeln entriss.
 

Beim ersten Probieren nahm sie ihren Zeigefinger, stippte damit etwas Creme von dem bunten Cupcake und steckte sich beides in den Mund. Als sich der zuckersüße Geschmack in ihrem Mund ausbreitete, musste sie grinsen und ihre Augen leuchteten auf.

„Siehst du, ich hab dir gesagt, die sind gut.“

Zimt saß ihr mit zwei anderen Frauen gegenüber. Eine trug eines dieser Alice-Kostüme in schwarz-weiß kariert, die andere hatte eine ähnliche Toga an, wie 'Fairy'. Nur war ihr Lila. Die beiden hießen Sunshine und Sugarplum.

„Mhm...“

Als sie begeistert in das Gebäck biss, hinterließ es regenbogenfarbene Creme auf ihrer Nasenspitze und in den Mundwinkeln, die sich zu einem noch breiteren Grinsen hoben. Es schmeckte einfach göttlich und je mehr sie aß, desto mehr hatte sie das Gefühl, vor dieser Mahlzeit schon länger nichts mehr zu sich genommen zu haben.

„Die da schmecken nach ... Apfel, Banane, Schokolade, Nougat, Kokos und Himbeere.“

Sunshine zählte alle Cupcakes ab und nahm sich dann den mit Kokos auf der Creme, um auf einer Seite die Creme herunter zu schlecken.

'Fairy' kaute weiter, weil sie ihre Frage nicht mit vollem Mund stellen wollte und sah sich dabei um. Inzwischen waren kaum noch Männer hier und die Lampen waren etwas herunter gedreht worden. Als würde es allmählich spät werden.

„Ist es bald Zeit zum Schlafengehen?“, wollte sie daher wissen.

„Ja. Die Lichter werden immer dunkler und dann gehen wir schlafen, bis sie wieder hell werden.“

Zimt zwinkerte gerade einem etwas gelangweilt aussehenden Mann zu, der ein buntes Papier in den Händen hielt. 'Fairy' betrachtete ihn einigermaßen neugierig, wagte aber nicht, nach dem Papier zu fragen. Allmählich kam sie sich ein bisschen dumm vor, weil sie überhaupt nichts darüber wusste, wie alles hier funktionierte.

Sugarplum, die neben ihr saß, half ihr aus der Patsche, indem sie sich an 'Fairy' schmiegte, ihre Arme um deren Hals wand und mit einem Finger auf den Mann zeigte.

„So ein Papier bekommen sie, wenn sie für die Chefin des Beschützers etwas Tolles gemacht haben. Dann dürfen sie hierher kommen und mit uns zusammen sein. Ein paar von denen kommen öfter, Andere nur einmal.“

Sie kicherte ganz nah an 'Fairys' Ohr.

„Aber sie sind alle besonders.“

Während sie sich fragte, was an dem Mann besonders war, biss 'Fairy' wieder von ihrem Cupcake ab. Es gefiel ihr hier, ganz wie Zimt es versprochen hatte. Aber gerade diese Männer machten sie irgendwie ... sie mochte den Gedanken einfach nicht, dass sie hier jederzeit herein schneien und bei ihnen sein konnten. Auch wenn sie nett waren, neigten die meisten von ihnen doch dazu, den Mädchen ziemlich unanständig nahe zu kommen. Einer hatte Sugarplum sogar mit beiden Händen an den Po gefasst und fest hinein gekniffen.
 

Taumelnd zwischen den Welten von Bewusstsein und Ohnmacht, wurde es immer schwieriger, sich gegen Boudiccas mentale Angriffe zu verteidigen. Immer mehr Informationen entschlüpften ihm, weil die Atemnot ihn zusätzlich schwächte, aber zum Glück nahm es ihm auch die Fähigkeit zu stark nachzudenken und somit noch mehr Bilder frei zu geben.

Bisher war es eher belangloses Zeug. Gedanken, die ihn im Augenblick beschäftigten und sich um Boudicca und das Amulett drehten. Doch jedes Mal, wenn er glaubte, nun würde es ein Ende haben, in dem er endgültig in Ohnmacht fiel oder Boudicca genug hatte, wurde ihm wieder etwas mehr Luft gelassen, während diese verdammte Hexe erneut den Mund aufmachte, um für ihn verheerende Dinge zu sagen, die eine neue Bilderflut auslösten.

Inzwischen hatte sie eine wahre Freude für sein Leid entwickelt und bohrte nur zu gerne, immer gründlicher nach.

„Ihr Name war also Layla. Wirklich ein hübsches Baby. Schade, dass sie nicht überlebt hat. Sie wäre sicher nach ihrer Mutter gekommen. Da hast du dir wirklich eine sehr zerbrechliche Gefährtin ausgesucht.“

Ryon zitterte inzwischen am ganzen Leib, während der Tiger sich ebenso vor Qualen wand wie er, während die Bilder nur so aus ihm heraus sprudelten. Genug. Es sollte aufhören. Er konnte einfach nicht mehr, zumal er sich noch nicht einmal einen einzigen Gedanken an Paige erlauben durfte, um seinen Entschluss des Wiederstandes zu festigen.

Zu spät, bemerkte Ryon, dass Boudicca wieder zu sprechen aufgehört hatte und die hämmernden Kopfschmerzen machten ihm deutlich, dass sie bereits wieder ans Werk gegangen war.

„Paige. Warum hör ich immer wieder dieses Echo ihres Namens in deinem Gedächtnis?“

Er antwortete nicht. Versuchte seine Gedanken still zu halten.

„Das ist doch die Diebin, die ich dir an den Hals gehetzt habe und ebenfalls auf der Flucht war. Dass sie jetzt im Hühnerstall dieses eingebildeten Klosteins hockt, weißt du wohl noch nicht.“

Der Schmerz schnürte sich wie ein Stacheldrahtzaun um sein Herz. Harem? Paige? Klostein?

Beinahe hätte Ryon dieser verdammten Hexe die Stirn mit seiner eigenen zertrümmert, wenn Dean hinter ihm, ihn nicht rechtzeitig zurück gehalten hätte.

Erneut knackte es laut in einem seiner Wirbel und für einen Moment sah er nur noch schwarz, während er schlaff und benommen schwer im Griff des Werwolfs hing.

Boudiccas Lachen, war das einzige, dass er noch richtig wahrnahm.

„So ist das also. Na dann. Delila, hol den Duftbaum und lass ihn gleich sein neuestes Spielzeug mitnehmen. Ich bin mir sicher, dass wird ein amüsanter Abend werden.“



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