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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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63. Kapitel

Tennessey hatte doch tatsächlich versucht, ihm die Sache mit den Fesseln noch einmal auszureden, aber Ryon ließ sich in diesem Punkt nicht erweichen.

Hätte Delila ihn nicht höchstpersönlich niedergestochen, vielleicht hätte er sich die Sache dann noch einmal überlegen können, aber so kam es einfach nicht in Frage. Er würde seinem Freund nicht dem Risiko aussetzen, ebenfalls verletzt zu werden. Immerhin war dieser kein Gestaltwandler und somit wesentlich verwundbarer.

Irgendwann, nach endlosen Diskussionen sah Tennessey seine Niederlage endlich ein und setzte sich schweigend und vermutlich auch ein bisschen schmollend zu der Wölfin ans Bett, um eine weitere Reise in ihr Gedächtnis zu machen.

Er erklärte nichts, weshalb Ryon nicht genau sagen konnte, was sein Freund eigentlich da tat. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mühsam hoch zu rappeln, sich seine Seite zu halten und an der offenen Tür auf Paige zu warten, um die er sich jede Sekunde lang Sorgen machte.

Ryon wollte sie wieder bei sich haben. Er fühlte sich immer schlecht, wenn er nicht genau wusste, dass es ihr gut ging. Und jeder Moment ohne sie, war einer zu viel für ihn. Wie sehr er doch hoffte, dass das alles hier endlich vorbei sein möge und sie in Frieden leben konnten.

Dass er sich diesen Zustand noch nicht einmal vorstellen konnte, war traurig, aber seine Hoffnung verlor er dadurch bestimmt nicht. Er durfte sie einfach nicht verlieren.
 

Beim Fahren fiel Paige erst richtig auf, wie spät es war. Die halbe Nacht hatte sie sogar gearbeitet und der Stress fiel auch jetzt sicher nicht von ihr ab, wo sie wieder dorthin steuerte, wo vor gar nicht allzu langer Zeit eine Schlacht stattgefunden hatte. Krampfhaft versuchte sie nicht daran zu denken, was Sally und die anderen Hexen wohl mit den Überresten der beiden Dämonen angestellt hatten.

Als sie in die richtige Straße einbog, wartete Sally bereits hinter der Grundstücksgrenze, wie sie es abgesprochen hatten. Innerhalb der schützenden, magischen Barriere, aber zum schnellen Einsteigen und Weiterfahren bereit. Zu lange wollte Paige auf keinen Fall an einem Ort verweilen. Schon gar nicht hier, wo sie eine Schwachstelle vermutete. Immerhin konnte es Boudicca nicht entgangen sein, dass zwei ihrer Handlanger in Rauch und Asche aufgegangen waren.

Daher ließ sie den Wagen nur sehr langsam, aber immer noch rollen, als sie an Sallys Haus kam und stieß von innen die Beifahrertür auf. Die Hexe begriff sofort und warf sich mitsamt ihrer recht großen Handtasche ins Innere des Wagens. Die Tür riss sie mit einem lauten Knall ins Schloss und sank dann sehr tief in ihren Sitz. Dass die Frau den Kopf einzog, war nur allzu verständlich und Paige gab so viel Gas, wie es zulässig war, um unauffällig zu bleiben.

„Wir brauchen ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis wir an der Hütte sind. Dort sammeln wir Ryon ein und fahren dann zu seinem Haus. Wenn Sie möchten, kann ich Sie dann wieder nach Hause bringen. Oder sie frühstücken noch mit uns.“

Jetzt konnte sie ein Gähnen doch nicht mehr ganz unterdrücken und ihr Magen fing bei dem Gedanken an Essen nicht gerade leise an zu knurren. Sally wirkte etwas eingeschüchtert, nickte aber mit dem Kopf.

„Darf ich... Darf ich Sie etwas fragen, Paige?“

Überrascht wandte sie den Kopf und lächelte.

„Aber klar. Schießen Sie los.“

„Es ist vielleicht sehr persönlich.“ Die Hexe sah nervös auf die Tasche in ihrer Hand und schaffte es auch nicht den Kopf zu heben, als sie weitersprach.

„Aber... Was... Ehm... Was genau sind Sie eigentlich?“

Die Frage war wirklich direkt, aber Paige brauchte trotzdem nicht lange zu überlegen, bevor sie antwortete. Und peinlich war ihr das Gesprächsthema auch nicht. Immerhin wollte sie, dass Sally ihr vertraute. Und soweit sie das einschätzen konnte, vertraute keine Mensch etwas, das er nicht kannte.

„Ich bin halb Mensch, halb Feuerdämonin. Aber keine Sorge. Dämonen sind im Allgemeinen nicht das, was Sie aus dem Fernsehen kennen. Zumindest hoffe ich, dass mir keine schiefen, gelben Reißzähne gewachsen sind, seit ich das letzte Mal in den Spiegel gesehen habe.“
 

Sie unterhielten sich die ganze Fahrt über. Es ging um Paiges Natur, Sallys Erlebnisse als Hexe, als Mitglied eines Zirkels und natürlich um die Geschehnisse, denen sie sich gegenüber sahen. Nicht unbedingt die positivste Unterhaltung, aber zumindest verstrich die Zeit im Handumdrehen und Paige wunderte sich fast, wie schnell sie es bis zu dem Waldstück geschafft hatten, in dem die Hütte lag.

Jetzt bemerkte sie auch, dass Sally wieder nervöser wurde und sich immer wieder umblickte.

„Wir sind gleich da. Ryon, sein Freund Tennessey und eine Frau werden dort sein. Erschrecken Sie bitte nicht, aber die Dame steht vielleicht auf der anderen Seite. Daher kann man leider nicht wirklich von Gastfreundschaft sprechen.“

Sally nickte entschlossen und blickte nun geradeaus, bis die kleine Holzhütte in Sicht kam. Paige erkannte Ryon im Türrahmen und schüttelte ansatzweise den Kopf. Mit seiner Verletzung hätte er sich lieber hinlegen sollen.
 

"Sie sind da."

Bei Ryons Begeisterung hätte man eigentlich etwas davon in seiner Stimme hören müssen, aber das hatte er vermeiden können, damit er Tennessey nicht erschreckte und der irgendetwas in Delilas Gehirn verpfuschte.

Umso überraschter war er also, als sein Freund plötzlich hinter ihm stand und an ihm vorbei nach draußen blickte.

"Wegen Delila musst du dir keine Sorgen machen. Ich hab ihre Hände und Füße gefesselt, obwohl sie in einem komaähnlichen Zustand ist und bestimmt nicht daraus aufwachen wird, bevor ich es nicht so will."

Ryon nickte zufrieden, während er dem Auto beim Näherkommen zusah.

"Willst du nachher eigentlich Tyler mit den Sachen rüberschicken, oder soll ich sie mir selber holen. Die Frau wird sicherlich nicht weglaufen und wenn das mit dem Schutz auch nur halb so gut funktioniert, wie bei uns Zuhause, mache ich mir wegen Eindringlinge von Außen auch keine Sorgen."

"Ich will Tyler keinem unnötigen Risiko aussetzen und dich auch nicht. Ich bring dir die Sachen selber rüber."

Tennessey sah zuerst den Verband um Ryons Torso und dann seinen Freund zweifelnd an, ersparte sich aber eine Antwort, denn der Blick des anderen sprach Bände. Momentan war mit dem Kater wirklich nicht gut Kirschen essen. Von Verhandeln konnte da erst Recht keine Rede sein.

"Wenn du meinst." Er zuckte mit den Schultern.

"Bin ja mal gespannt, was Paige dazu sagen wird."

Ryon fuhr herum und wollte gerade zu einer herrischen Antwort ansetzen, als ihm nichts einfiel, was er hätte antworten können. Schließlich wussten sie beide, dass er sich nach Paige richten würde und was sie für das Beste hielt. Er konnte gar nicht anders. Das war der Gefährte in ihm, der sich nur um das Wohl und Glück seiner Gefährtin sorgte.

Um Tennessey nicht doch noch irgendetwas an den Kopf zu werfen, weil er momentan einfach keine Geduld mehr für diese Psychospielchen hatte, kam er den beiden Damen entgegen und ergriff sofort Paiges Hand, nachdem sie ausgestiegen war. Er musste sie einfach berühren. Gerade jetzt war ihm das ein ständiges Bedürfnis.

"Wie lange glauben Sie, wird der Zauber brauchen, bis er wirkt?"

Kein Hallo, kein schön Sie zu sehen, sondern einfach nur gleich auf den Punkt kommen. Seine Geduld war wirklich schon hart an der Grenze des Belastbaren.
 

Sally, die etwas eingeschüchtert von Ryons „Begrüßung“ dastand, als könnte sie gar nichts mehr sagen, suchte Hilfe suchend Paiges Blick.

„Keine Sorge, er ist nur so charmant, wenn man ihn eine Nacht lang nicht schlafen lässt und ihm stattdessen ein Messer in die Magengegend rammt.“

Sie drückte seine Hand, legte ihre andere sanft auf den Verband an seinem Oberkörper und schenkte ihm ein warmes Lächeln, das ihn ein wenig beruhigen sollte. Soweit Paige das beurteilen konnte, schien alles hier ganz gut verlaufen zu sein. Keine Spuren von einem Kampf. Zumindest keinem Körperlichen.

„Können Sie vielleicht trotzdem gleich anfangen? Bitte. Wir würden uns alle sehr viel wohler fühlen.“

Jetzt nickte die Hexe und zerrte ihre große Tasche vom Beifahrersitz ins Freie. Das Gepäck musste ziemlich schwer sein. Was Paige vorhin, als Sally eingestiegen war, gar nicht weiter ins Auge gefallen war. Als die andere Frau die Tasche anhob und ein Stück auf das Haus zutrug, hörte man es sogar leise darin klimpern. Als würden Glasfläschchen aneinander klicken.

Interessiert und fasziniert, weil sie noch nie einer Hexe bei ihrem Handwerk zugesehen hatte, wagte Paige einen Schritt nach vorn. Von ihrer typischen, großen Neugierde getrieben lehnte sie sich ein Stück vor, um über Sallys schmale Schultern in die Tasche sehen zu können. Dabei war sie immer noch ganz automatisch über ihre Hände mit Ryon verbunden, den sie bestimmt nicht vergessen hatte. Aber das, was sie zu Gesicht bekam, war einfach auch verdammt spannend.

Es handelte sich um eine Art Werkzeugkoffer mit verschiedenen Abteilen, in denen sich wirklich Fläschchen, andere Behältnisse aus Glas und auch Ton fanden. Alle fein säuberlich beschriftet. Und darunter in einem Säckchen aus weichem Samt waren noch weitere Dinge verborgen, die Paige sehr interessierten. Am liebsten hätte sie gleich selbst in diesem Wunderkoffer herum gekramt. Nicht zu vergessen eine Art Crashkurs in Sachen Zauberei von Sally bekommen. So, wie die Frau irgendwelche Kräuter und andere getrocknete Dinge in einen Mörser schüttete, kam Paige ihre dämonische Seite schon fast seltsam banal vor. Als könne jeder in Feuer aufgehen, wenn er sich nur genug anstrengte. Aber was Sally dort tat ... war reinste Handwerkskunst.

„Paige?“

Die Hexe zuckte zusammen, als sie die andere Frau so nah neben ihrer Schulter erblickte. Doch nach einem gegenseitigen Lächeln und dem Pink, das Paige in die Wangen schoss, erholte sie sich schnell wieder.

„Würden sie mir sechs möglichst runde Steine suchen? Etwa so groß.“

Mit Daumen und Zeigefinger beider Hände zeigte sie die Größe an und Paige war sofort mit Feuereifer dabei nach den Steinen Ausschau zu halten. Die ersten verwarf sie, weil sie nicht perfekt genug aussahen, fand dann nach einer Weile aber doch sechs annehmbare Brocken und brachte sie Sally, die mit der Pampe, die sie in dem Mörser fabriziert hatte, verschiedene Zeichen darauf malte.

„Es...“ Sofort wirkte sie wieder absolut klein und schüchtern, als sie sich an Ryon wandte, um ihm zu erklären, was sie vorhatte: „Es ist nicht der gleiche Zauber, den Marlene angewandt hat. Aber für diese kleine Hütte ist er sehr viel wirkungsvoller und schneller. Sobald die Steine in einem Sechseck in der Erde vergraben sind, wird niemand sich an diesen Ort heran trauen oder ihn finden, außer ihr Freund, der darin ist, möchte es so.“
 

Ryon blieb bei Paige, selbst als sie sich sehr für die Hexenkunst zu interessieren schien und für seinen Geschmack viel zu dicht, bei Sally war, um ihr zuzusehen. Er selbst starrte die ganze Zeit den Waldrand an, als ob er dort irgendeine Gefahr vermutete, doch dort war nichts. Das was ihn wirklich beunruhigte, war das, was direkt vor seiner Nase passierte.

Natürlich glaubte er an Zauberei, an die Hexenkunst und an das Handwerk, aber erneut dabei zu sein, erinnerte ihn unweigerlich an Marlene. Er hatte ihr gerne bei ihrer Arbeit zugeschaut.

Fast schon erleichtert, entließ er Paige zum Steine suchen, während er sich ans Auto lehnte und keine Sekunde lang, die Augen von ihr nahm. Seine Hand lag auf seiner Verletzung, die langsam wieder zu schmerzen begann, da vermutlich das Schmerzmittel nachließ. Gott, er freute sich schon aufs Bett.

„Wenn ich unseren Gast richtig verstanden habe, heißt das, ich könnte auch dich von hier fern halten?“

Mit einem unangebrachten Schmunzeln, lehnte sich Tennessey neben ihn an den Wagen und sah der Hexe dabei zu, wie sie Zeichen auf die Steine malte, die Paige gefunden hatte.

„Nur in deinen Träumen, mein Freund.“

Tennessey lächelte immer noch, ehe er sich kurz bei Sally vorstellte, um seinen Manieren alle Ehre zu machen. Währenddessen nahm Ryon Paige ein Stück zur Seite.

„Wenn Sally hier fertig ist, bringen wir sie zum Haus. Danach hatte ich noch vor die Sachen für Tennessey vorbei zu bringen. Willst du mit kommen?“

Eigentlich wollte er sie nicht unbedingt dabei haben, weil es erneut ein weiteres Risiko für sie wäre, andererseits wollte er auch nicht ohne sie sein.
 

Immer noch von dem, was die Hexe dort tat, fasziniert, ließ Paige sich trotzdem von Ryon ein Stück zur Seite bugsieren. Er sah ihrer Meinung nach wieder blasser um die Nase aus, was ihr gar nicht gefiel. Die lange Nacht ging ihm bestimmt genauso nach wie ihr. Von seiner Verletzung ganz zu schweigen. Plötzlich flammte Ärger über sich selbst in Paige auf. Sehr viel größer, als alle Neugierde und Eifersucht zusammen. Wie konnte sie sich nur immer wieder von seiner Fassade täuschen lassen?! Man hatte ihn fast erstochen, um Gottes Willen!

Es war auch eine entschuldigende Geste, dass sie sich nicht entsprechend um ihn gekümmert hatte, als sie sich an ihn drückte und ihre Hände kurz über seine Seiten streicheln ließ. Auch wenn es normalerweise nicht ihre Art war, ihre Beziehung in der Öffentlichkeit stark auszuleben, drückte sie Ryon einen langen und sehr zärtlichen Kuss auf die Lippen, bevor sie auf seine Frage antwortete.

„Ich werde dich auf jeden Fall begleiten. Aber ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn ich dich im Bett wüsste, um dich auszuruhen. Könntest du es über dich bringen, mich mit Tyler herfahren zu lassen?“

Schon an der Falte zwischen seinen Augenbrauen erkannte sie das heraufziehende Donnerwetter. Und auch wenn Ryon es niemals direkt ausleben würde, wollte sie es doch gleich im Keim ersticken.

„Bitte. Stell' dir doch nur vor du wärst an meiner Stelle.“
 

Ryon zog sie noch ein Stück weiter zur Seite. Das hier ging die anderen nun wirklich nichts an.

Nachdenklich zupfte er an einem von Paiges zerknitterte Flügel herum und strich ihr dann vorsichtig über den überschminkten Bluterguss.

„Glaub mir. Ich weiß, was du denkst und mir sagen willst. Aber wenigstens heute will ich dich nicht mehr ohne meine Begleitung irgendwo hin fahren lassen. Ich…“

Er suchte nach den richtigen Worten, bis er ihr tief in die Augen blickte.

„Ob ich nun im Bett liege oder mit dir die Sachen hier her bringe. So oder so…ich brauche dich. Lass uns das noch gemeinsam erledigen und dann schließen wir diese Nacht ab. Sally wird bestimmt nichts dagegen haben, wenn sie ein bisschen länger bei uns bleibt, bis wir sie wieder sicher nach Hause bringen können. Tyler würde bestimmt auch lieber bei Ai bleiben. Ich will gerade ihr in ihrem Zustand nicht noch mehr Sorge aufladen. Aber wenn wir zwei fahren, ist das vielleicht nicht sicherer, aber Hauptsache wir haben uns.“

Ryon zog trotz der seitlichen Schmerzen Paige enger an sich und schmiegte sein Gesicht in ihrem Haar, während er ihr ganz dicht ans Ohr flüsterte: „Ich könnte mir keine bessere Rückendeckung vorstellen.“

Sanft lächelte er sie an. Seine Gefährtin war die einzige, auf die er wirklich zählte und der er sein Leben anvertraute. Selbst seine Freunde konnten das nicht von sich behaupten. Nur sie.
 

„Schmeichler...“

Mit einem kleinen Seufzen zog sie sich schließlich von ihm zurück und sah zu Sally hinüber, die den letzten der sechs Steine gerade in die Erde bettete, noch etwas murmelte, bevor sie ihn wieder bedeckte und dann aufstand. Wie eine Architektin schien sie sich eine Minute lang ihr Werk anzusehen, auch wenn Paige nichts Anderes erkennen konnte, als zuvor.

„Ist es... Ist es fertig?“, fragte sie etwas banal und sogar skeptisch, als die Hexe wieder zurück zu ihrer Tasche kam und sie ordentlich wieder schloss.

Mit einem zufriedenen Nicken lächelte Sally zu Paige und Ryon hinüber und kam sogar ein Stück auf die beiden zu. Ihr vollbrachtes Werk schien sie auch dem finster drein blickenden Wandler gegenüber sicherer zu machen. Was Paige nur als großen Pluspunkt werten konnte. Immerhin sollte sich die Hexe einigermaßen wohl fühlen, wenn sie eine Zeit lang im gleichen Haus mit ihnen allen verbringen musste.

Nun ja, nicht mit ihnen allen...

Paige trat nun ganz von Ryon weg und ging zu Tennessey hinüber, der im Türrahmen der kleinen Hütte stand und schon wieder rauchte. An den Anblick wollte Paige sich nicht wirklich gewöhnen. Aber sagen würde sie trotzdem nichts dazu. Es ging sie schlichtweg nichts an. Und in gewisser Weise konnte sie ihn sogar verstehen.

„Tennessey, es tut mir leid. Wenn Mia und Ai nicht wären...“

Was sollte sie sagen? Dann würde sie ihn hier draußen mit einer offensichtlich sehr gefährlichen Gestaltwandlerin nicht allein lassen? Was für eine müde Aussage.

„Mach dir keine Sorgen. Unkraut vergeht nicht.“

Selbst ein Lächeln brachte sie nicht zustande, sondern blickte in die Hütte, wo Delila immer noch scheinbar schlafend auf der Liege ruhte. Paige wusste einfach nicht, was sie von ihr halten sollte. Einerseits war ihr Mitleid groß, andererseits hatte sie Ryon verletzt. Was sie sonst noch mit ihm hatte tun wollen, versuchte Paige der Wölfin wegen außer Acht zu lassen und wandte sich lieber noch einmal dem Arzt zu, um freundschaftlich seinen Arm zu drücken.

„Gib' auf dich Acht, ja? Wir kommen nachher noch vorbei und bringen dir ein paar Sachen.“
 

"Ich kann schon auf mich aufpassen. Aber behalt' unseren Kater im Auge. Auf dich hört er wenigstens. Er soll bis spätestens Morgen Abend im Bett bleiben, bis zumindest oberflächlich alles genug Zeit zum Heilen hatte, damit nichts mehr aufbricht. Und Paige-"

Tennessey zog noch einmal tief an seiner Zigarette, während er Ryon betrachtete, der Sally zumindest inzwischen höflich beim Einsteigen ins Auto half.

"-keine körperlichen Anstrengungen für mindestens zwei Tage lang. Ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass ich bei dir mit diesem Rat besser aufgehoben bin."

Er schenkte ihr noch ein Lächeln, das Bände sprach, ehe er die Zigarette mit dem Fuß ausdämpfte und in die kleine Hütte zurückkehrte.
 

Als Ryon endlich halbwegs sauber - mehr als eine Katzenwäsche war es nicht - in die weichen Kissen und unter die Decke glitt, glaubte er, sich nie wieder daraus zu erheben. Allein der Gedanke daran, schien ihm viel zu anstrengend zu sein und das erst Recht, nachdem sich nach und nach seine Muskeln zu entspannen begannen. Er war fix und alle und zugleich hatte er es inzwischen so satt, ständig gejagt, verfolgt, verletzt und verraten zu werden. Wäre da nicht Paige, Mia und die anderen, er wäre einfach zu Boudicca spaziert und hätte ihr einen Kampf auf Leben und Tod angeboten. Dann hätten sie diese hinterlistigen Szenen wenigstens hinter sich und er hätte entweder seinen Frieden oder wäre erlöst. Aber das hier war die reinste Folter und zugleich wollte er doch nicht tauschen. Boudicca hatte ihm Paige beschert. Alleine dafür hätte er ihr dankbar sein müssen.

Sofort nachdem auch seine Gefährtin zu ihm unter die Decke gerutscht war, streckte er seine Arme nach ihr aus und zog sie nah an sich heran. Ryon sog tief den Duft ihrer Haut ein, genoss ihre kühle Wärme an seinem Körper und das Gefühl, sie uneingeschränkt bei sich zu haben. Obwohl es vollkommen seltsam war, so war er doch jeden Augenblick lang, den er mit ihr verbringen konnte, tief in sich drin glücklich. Egal was die äußeren Umstände ihm sonst noch so alles an Gefühlen entlocken wollten.
 

Beim Zähne putzen ließ Paige eine gedanklichen Checkliste herunter rattern. Mia, Ai und Tyler ging es gut. Tennessey war auch soweit in Sicherheit. Sally schlief in einem anderen Gästezimmer und Ryon... Ryon lag nebenan im Bett. Er hatte wirklich nicht gut ausgesehen, als sie ihn aus der Dusche bei seiner kurzen Wäsche beobachtet hatte. Entweder täuschte sie sich oder die Schmerzen wurden immer schlimmer, statt besser. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn der Doktor ihnen noch etwas dafür mitgegeben hätte. Aber anscheinend hatte Ryon in letzter Zeit zu viel von dem Zeug nehmen müssen. Gut konnte das auch nicht sein. Allerdings... Ihn mit einer Stichwunde einfach so ins Bett zu stecken.

Erst als sie eine geschlagene Minute auf die Tür gestarrt hatte, die das Bad vom Schlafzimmer trennte, fiel ihr auf, dass sie sich nicht mehr die Zähne putzte. Als sie das wieder aufnahm, überlegte sie weiter. Ob sie sich zu viele Sorgen um ihn machen konnte? Oder zu wenig? Sie wusste nicht, was Ryon alles aushalten konnte und was nur Show war. Immerhin konnte er ein ganz schön harter Knochen sein, wenn er wollte.

Als sie sich noch kurz die Haare föhnte, fielen ihr schon immer wieder die Augen zu und der anschließende Weg ins Nebenzimmer schien ungewöhnlich lang zu sein. Der Gedanke, dass sie in diesem Zustand glücklicher Weise nicht so auf das Chaos im Raum achten konnte, streifte sie nur sehr kurz.

Vollkommen erledigt und dankbar für ein weiches Bett, glitt sie zu Ryon unter die Decke und legte sich vorsichtig in seine Arme. Sanft streichelten ihre Finger sein Kinn und seine Wange, bevor sie ihm einen Kuss gab. Selbst die Tatsache, ihm so nahe zu sein, ihn zu spüren, ließ ihre Sorge um ihn kaum kleiner werden. Sie würde sicherstellen, dass er so lange im Bett blieb und sich erholte, wie Tennessey geraten hatte. Und wenn sie ihn hier festbinden musste.

„Schlaf gut, mein Lieber.“

Am besten diesen ganzen Tag und die folgende Nacht hindurch, fügte sie in Gedanken hinzu und küsste Ryon noch einmal, bevor sie sich gemütlich an ihn kuschelte und selbst die vor Müdigkeit brennenden Augen schloss.
 

"Okay, also wenn sich etwas bei ihrem Zustand tut oder du etwas brauchst, melde dich. Bis dahin halten wir hier die Stellung."

Ryon steckte sich noch eine gefüllte Teigtasche in den Mund, während er Tennesseys Stimme am anderen Ende der Leitung zuhörte.

"Ja, vielleicht. Also, bis dann."

Er legte auf, bevor sein Freund den Gruß erwidern konnte. Ryon hätte beinahe geschnaubt. Er würde doch nicht noch unnötig länger hier im Bett sitzen und Däumchen drehen. Zwar war er noch immer nicht ganz fit, aber er war munter und das reichte bekanntlich schon, um ihn aus dem Bett zu bringen. Lediglich Paige hatte ihn bisher noch davon abhalten können und Essen war an sich keine schlechte Idee gewesen. Aber danach würde er auf alle Fälle aufstehen. Schließlich war er niemand, den man so einfach ans Bett fesseln konnte. Da müsste er schon im Koma liegen.

"Das war Tennessey."

Mit nachdenklicher Miene hielt er Paige eine der gefüllten Teigtaschen hin, um sie zu füttern. Seines Erachtens konnte sie ruhig auch noch etwas mehr ihre Energiereserven auffüllen. Gerade weil er nichts dagegen hatte, mit ihr zusammen im Bett Abend zu essen.

"Er meinte, Delilas Zustand würde sich bessern und dass er schon den Großteil der Blockaden in ihrem Gehirn gelöst hat. Er will nicht zu schnell alles lösen, weil er nicht sicher ist, ob Boudicca nicht doch irgendwo eine Falle eingebaut hat, aber nach allem, was er bisher gesehen hat, denkt er das nicht. Die Frau ist seiner Meinung nach eine blutige Anfängerin, die kaum weiß, was sie tut. Was auch gut so ist. Weil wir kaum eine Chance hätten, wenn sie mit ihrer Macht auch noch richtig umzugehen wüsste."

Er seufzte. Das alles war schon ziemlich hoch für ihn. Er war ein Kind der Natur und Wildheit. Alles was mit dem Inhalt von Köpfen zu tun hatte, war etwas, das er sich kaum vorstellen konnte. Aber dass es möglich war, hatte er ja gesehen. Darum gab es in diesem Punkt auch keine Zweifel.

"Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn wir noch etwas mehr Zeit dadurch gewinnen. Es würde mich sehr interessieren, was Delila hinter den feindlichen Reihen gesehen hat und nun, da der Schutz von Sally uns zusätzlich unterstützt, läuft uns ja so gesehen nichts davon." Auch wenn das nur ein Ausnahmezustand war und garantiert nicht als Dauerzustand akzeptiert wurde. Trotzdem war es gut, sich besser vorbereiten zu können. Es könnte schließlich alles davon abhängen.
 

Paige saß im Schneidersitz auf dem Laken und versuchte die Gesprächsfetzen einem Zusammenhang in dem Telefongespräch zuzuordnen. Vor ihr stand eine Tasse Kakao auf dem Tablett, das sie Ryon über die Beine gestellt hatte. Diese Dinger mit den ausklappbaren Stützen hatten sie schon immer fasziniert. Selbst hatte sie so eins nie besessen, aber dass Ryons Haushalt eines hatte, war klar gewesen.

In ihrer Tasse schwamm ein einzelner, großer Marshmallow, der sich ein wenig träge im Kreis drehte. Paige kniff ein Auge zusammen und er karamellisierte zu einer goldbraunen Oberfläche, während Ryon das Gespräch etwas rüde beendete. Dass er wegen der Tatsache, dass er das Bett hüten sollte, ziemlich angefressen war, konnte man beinahe riechen. Trotzdem würde sie dafür sorgen, dass er so lange wie irgendwie möglich hier blieb.

Die Teigtasche, die er ihr reichte, gab ihr glücklicher Weise etwas mehr Zeit, über einen Kommentar zu dieser ganzen Sache nachzudenken. Sie kaute lange und ausgiebig darauf herum, bloß weil ihr nichts Rechtes einfallen wollte, was sie hätte sagen können. Dabei wusste sie genau, was sie eigentlich sagen wollte. Welche Fragen sie gern gestellt hätte.

Um sich davon aber selbst abzuhalten, versuchte sie sich an das Thema zu halten, was in diesem Falle sogar unverfänglicher sein konnte.

„Wie ist Boudicca mit ihrer stümperhaften Art nur so weit gekommen? Wenn sie keine Ahnung von dem hat, was sie da tut... Warum kann sie die Leute überhaupt so weit manipulieren, dass sie ihr gehorchen?“
 

Ryon strich sich durch die strubbeligen Haare und zerzauste sie dadurch noch mehr. Doch das bemerkte er noch nicht einmal.

„Ich habe wirklich keine Ahnung. Soweit ich weiß, ist Tennessey in dieser Fähigkeit ausgebildet worden. Er hat vor Jahren einmal etwas Ähnliches durchklingen lassen. Aber was Boudicca angeht, weiß ich es nicht. Vielleicht hat sie jemanden gefunden, der es ihr grob zeigte, vielleicht hat sie aber auch einfach nur solange herum probiert, bis sie den Dreh heraus bekommen hat. Auf jeden Fall hege ich keine Zweifel daran, dass es in ihrem Dunstkreis genug unterbelichtete Opfer für sie gegeben hat, an denen sie sich versuchen kann. Es gibt genug Menschen die einen schwachen Geist haben und ihr wohl kaum Widerstand bieten können.“

Etwas erschöpft legte er seinen Kopf zurück an das ramponierte Kopfteil des Bettes und sah aus dem Fenster. Unbewusst rieb er sich leicht über seine Verletzung, während er nachdachte.

„Wer weiß, vielleicht hat sie was von diesem Duftspender gelernt. Seine Fähigkeiten funktionieren vielleicht etwas anders, aber das Prinzip scheint mir das gleiche zu sein.“

Dass der Typ ihm bloß nie wieder unter die Augen kommen sollte, war mehr als nur klar. Damals war Paige noch nicht seine Gefährtin gewesen und darum hatte es ihn noch nicht so sehr aufgeregt, was der Kerl mit ihr angestellt hatte, aber wenn er jetzt im Nachhinein so darüber nach dachte, könnte er schier an die Decke gehen!
 

„Wenn es so ist, befürchte ich, dass sie ziemlich schnell lernt. Ansonsten stünde wahrscheinlich nicht sie, sondern er am oberen Ende der Nahrungskette in dieser ... Organisation.“

Mit den Fingerspitzen fischte sie den Marshmallow aus ihrer Tasse, steckte ihn sich ganz in den Mund und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen, während sie weiter nachdachte. Dabei fiel ihr Blick auf Ryons Sturmfrisur und sie musste schmunzeln. Inzwischen schien er von seinem geschleckt, perfekten Auftreten schon ein wenig abgekommen zu sein. Natürlich ließ er sich nicht gehen, das hätte sie auch nicht gewollt, aber gegen diese korrekte Frisur – wenn es denn eine gewesen war – hatte sie schon immer etwas gehabt.

Während sie sich etwas vorlehnte und ihm ein paar Strähnen zurecht zupfte, fiel ihr nur ein Begriff dazu ein. Ein wenig verschlafen und mit diesem jenseits von perfektem Haarschopf sah er einfach nur ... süß aus.

Als er ihr seinen Blick zuwandte, setzte sie keine entschuldigende Miene auf. Paige war durchaus klar, wie ernst das Thema war und dass sie alles Andere um die Ohren hatten, als ihr Aussehen, aber das änderte nichts.

Versonnen ließ sie ihre Hand zu seiner wandern und zeichnete kleine Kreise auf seinen Handrücken, während sie laut nachdachte.

„Was tun wir weiter, wenn Tennessey Delilas Geschichte kennt? Glaubst du, er wird auch mehr Informationen über Boudiccas Standort herausfinden?“

Danach zu fragen, was passieren würde, wenn Ryons alte Bekannte tatsächlich ein Mitglied der gegnerischen Seite war, wagte Paige zu diesem Zeitpunkt nicht.
 

Manche sind geborene Anführer, manche geborene Untertanen und irgendetwas muss sie an sich haben, dass so viele sie fürchten. Ansonsten würde ich dir zustimmen, was den Duftspender angeht. Allerdings hat er nicht so große Macht wie sie, wenn er nur ein Geschlecht kontrollieren kann und Boudicca offensichtlich nicht dazu gehört.“ Wer weiß, vielleicht war sie am Ende gar keine Frau und seine Schwester hatte er bereits entschärft. So schlecht standen ihre Chancen also gar nicht.

Ryon ergriff Paiges Hand und führte sie zu seinen Lippen, um einen zärtlichen Kuss in die Handinnenfläche zu hauchen.

„Wir werden sehen, was Tennessey heraus kriegt und bis dahin…“ Er zuckte mit den Schultern und sah Paige auf eine Weise an, die die ganze Welt ausschloss und sie als Einzige zu seinem Universum zu machen schien.

„Du weißt, dass ich dich liebe, Paige.“ Seine Stimme war sanft, schon fast einschmeichelnd.

„Aber wenn ich noch länger im Bett bleiben muss, könnte ich ganz schön ungemütlich werden.“

Er ließ ein nicht ernst gemeintes leises Knurren hören.
 

„Vielleicht ist sie erschreckend schön.“ Wie sie genau darauf kam, wusste Paige nicht. Sie hatte sich bis jetzt ehrlich noch nie darum gekümmert, wie Boudicca als Person aussehen könnte. Sie ging lediglich davon aus, dass sie eine gewisse Grundausstrahlung haben musste. Ganz ohne hätte sie trotz ihrer Fähigkeiten wohl nicht so viele Anhänger finden können.

Genau aus diesem Grund hätte der Duftspender, wie Ryon ihn so nett nannte, keinen Zirkel aufstellen können, wie Boudicca es getan hatte. ER besaß kein Charisma, sondern nur seine eigentümliche Macht Menschen durch Gerüche zu manipulieren. Etwas, das er vielleicht nicht 24 Stunden am Tag aufrecht erhalten konnte...

Ryon holte sie sanft aus ihren Gedanken, indem er sie mit einem Blick ansah, der ihr einen warmen Schauer über den Rücken jagte. Dieser verflüchtigte sich auch bei seinen Worten nicht, obwohl Paige darüber schmunzeln musste. Immerhin über 18 Stunden hatte er es im Bett ausgehalten. Er war brav gewesen, hatte sich für seine Verhältnisse lange erholt und auch wenn ein bisschen länger nicht geschadet hätte, konnte sie ihm das bei dieser nett vorgebrachten Bitte kaum antun.

Daher entzog sie ihm ihre Hand, stellte das Tablett zur Seite und schwang sich auf seinen Schoß, sodass sie ihn ansehen und sein Gesicht in ihre Hände nehmen konnte. Ihre Nasenspitzen rieben kurz aneinander, bevor sie ihn küsste. Sanft und forschend, mit einer Geduld und Zeit, die sie sich schon lange nicht mehr gegönnt hatte.

„Ich liebe dich auch.“ Sie hauchte es gegen seine Lippen und schloss die Augen, als sie ihn noch einmal genussvoll küsste. Danach sah sie ihn leicht tadelnd an.

„Aber das mit dem ungemütlich werden lässt du schön sein. Ich habe Tennessey versprochen, dass du dich zwei Tage lang körperlich nicht anstrengen wirst.“
 

„Ja, schrecklisch schön. Mit Betonung auf schrecklich.“

Als Paige sich auf seinen Schoß schwang und ihn mit so viel Liebe und Aufmerksamkeit küsste, wie sie es schon seit einer Weile nicht mehr hatten tun können, war Boudicca mit einem Schlag vergessen. Keine Frau könnte jetzt in seinen Gedanken sein, während seine Gefährtin bei ihm war.

Seine Hände strichen ihren Rücken entlang nach oben, um sie näher an sich heran zu ziehen.

„Ich kann auch gemütlich werden und mich nicht anstrengen, wenn du das willst…“ Er küsste hauchzart ihre Lippen und rieb seine Wange ganz in Schmusekatermanier an ihrer, während er tief ein und aus atmete. Gott, wie er diesen Duft liebte!

„…aber nur unter ein paar Bedingungen.“

Ryon zog sie weiter seinen Schoß hinauf. Küsste ausgiebig und mit aller Geduld der Welt ihren Hals, um ihr währenddessen leise zuzuflüstern: „1. Du teilst mit mir die auferlegte Folter und bleibst bei mir im Bett.“

Liebevoll biss er sie neckisch und leckte dann genüsslich über die Stelle.

„2. Du überdenkst die umfassende Bedeutung des Begriffs ‚Anstrengung‘ und 3. …“

Seine Hände umfassten ihr Gesicht, ehe er sie hingebungsvoll und voller Feuer küsste, bis ihm fast schwindlig wurde.

„… 3. wir beide müssen eben erfinderisch sein, um uns etwas die Zeit bis zu meiner Entlassung zu vertreiben.“
 

Gemütlich und nicht anstrengen hörte sich hervorragend an. Noch dazu, wenn er es so schön mit Küssen und Streicheleinheiten untermalte. Punkt eins der Bedingungen stimmte sie ohne Vorbehalte sofort zu, kraulte dabei Ryons Nacken, während sie seine Lippen auf ihren Hals unendlich genoss.

Wie lange war es denn schon her, dass sie sich Zeit für einander genommen hatten? In der realen Welt noch nicht sehr lange. Doch die Umstände schienen den Zeitraum ins Unendliche zu dehnen.

Wäre Paiges Blick nicht auf das Kopfteil des Bettes gefallen, auf die Stellen an denen tiefe Kerben das Holz schmückten und ganze Stücke darin fehlten, sie hätte sofort ja gesagt.

So mischte sich allerdings Sorge in ihren vor Liebe sprühenden Blick, als Ryon sich nach einem hingebungsvollen Kuss von ihr löste.

Ihre Hand streichelte über den dicken Verband und die Stelle, wo sich darunter noch immer die Stichwunde verbarg. Vielleicht war sie äußerlich sogar schon zugeheilt... Aber es war so knapp gewesen. Tennessey hatte gesagt, nur ein paar Zentimeter links oder rechts und Ryon hätte...

Als sich ihre Arme fest um ihn schlangen und Paige ihr Gesicht an Ryons Hals vergrub, war ihr klar, dass er sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Er war stark und konnte sehr gut einschätzen, was zu viel für ihn wäre. Und dennoch... Sie wollte ihn keinesfalls auch nur im Geringsten gefährden. Mein Gott, es war so knapp gewesen. Er hätte tot sein können, während sie im Raum nebenan nicht einmal etwas davon geahnt hatte!

Mehrere tiefe Atemzüge lang blieb sie so an ihn geklammert. Erst als sie sich ruhiger fühlte, seine Wärme auf ihrem Körper und das Streicheln seiner Hände wieder richtig spüren konnte, hauchte sie einen Kuss auf seinen Hals.

„Für nichts in der Welt würde ich dich allein hier im Bett lassen.“, murmelte sie leise gegen seine Haut und küsste sich hinauf zu seinem Ohrläppchen.

„Aber weil der Doc mich damit beauftragt hat, dafür zu sorgen, dass du dich nicht überanstrengst...“

Sie sah ihm in die goldenen Augen, die ihr einmal wieder den Atem nehmen wollten. Doch sie musste sich selbst zur Ordnung rufen. Es war einfach zu riskant. Und außerdem hatten sie alle Zeit der Welt...

„... werd ich dir nur versprechen können, dass ich mir was Kreatives einfallen lasse, wenn du wieder ganz gesund bist.“
 

Er konnte sie spüren – Paiges Sorge um ihn und dass es ihr nicht leicht fiel, standhaft zu bleiben. Ryon selbst hätte diese Kraft kaum aufgebracht, allerdings, wen Paige verletzt wäre… Nein. Daran wollte er gar nicht denken.

„Du solltest nicht zu sehr auf diesen alten Mann hören.“, murrte Ryon leise, aber nicht böse, während er eine von Paiges Haarsträhnen immer wieder um seinen Finger wickelte, bis sie sich lockte.

„Aber das muss dann schon wirklich etwas sehr Kreatives sein. War da nicht etwas, dass auch mit Essen zu tun hatte?“

Aufheiternd lächelte er Paige an, ehe er sich erneut einen leidenschaftlichen Kuss von ihren Lippen stahl, bevor sie dagegen Einspruch erheben konnte. Am liebsten hätte er sie nie wieder los gelassen. Um nichts auf der Welt.

Zum Glück war ihre fruchtbare Zeit momentan vorüber, sonst wäre es wirklich gefährlich geworden, denn auch so war sein Hunger schon groß nach ihr. Groß genug zumindest, um viel zu verlockend zu sein, um anständig zu bleiben.

Da kannte er sich selbst viel zu gut.

„Was hältst du davon, wenn wir Mia als Anstandsdame zu uns holen und uns eine weitere Portion Cartoons gönnen? Glaubst du, das wäre unanstrengend genug?“
 

„Mhmmm...“ Ja, ihr kam ein Gedanke, der durchaus mit Essen und etwas sehr Unanständigem zu tun hatte. Aber das wollte sie Ryon jetzt noch nicht auf die Nase binden. Vorfreude war zwar die schönste Freude, aber quälen wollte sie ihn ja auch nicht.

Dafür ließ sie sich gern in den langen Kuss ziehen und machte es sich auf seinem Schoß ein bisschen gemütlicher, bis er ihr einen sehr vernünftigen Vorschlag unterbreitete.

„Das ist eine sehr gute Idee. Ich hab ihr vorhin, als ich unser Abendessen geholt habe, sowieso versprochen, dass sie dich heute noch besuchen darf.“

Er bekam noch einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze, bevor sie ihm zuzwinkerte und aufstand.

„Sie hat dich schon viel zu lange nicht mehr gesehen.“

Paige schnappte sich mit neuer Begeisterung das Tablett und verschwand aus dem Zimmer, um Mia und ein paar Sachen einzusammeln. Zuerst setzte sie ihr Engelchen mit einem dicken Märchenbuch bei Ryon ab, um die beiden zu vertrösten, während sie noch etwas zu Trinken aus der Küche besorgte.

Dort traf sie auf Ai und Sally und sofort trat ihr eine peinliche Röte in die Wangen. Nicht nur stand sie im Schlafanzug hier, sondern hatte die Hexe auch schon fast vergessen. Eigentlich hatte sie versprochen, sie nach dem Abendessen nach Hause zu bringen.

Wie froh sie war, als Ai ihr aus der Patsche half, konnte sie gar nicht ausdrücken.

„Kann Ryon immer noch nicht aufstehen?“, wollte ihre beste Freundin besorgt wissen.

„Er könnte.“, antwortete Paige wahrheitsgemäß, fügte dann aber hinzu: „Aber er sollte nicht. Die Stichverletzung war selbst für seine Verhältnisse sehr ernst. Und ich bin froh, dass ich ihn nicht an die Matratze ketten muss, sondern nur Mia brauche, um ihn dort festzuhalten.“

Sie wandte sich an die Hexe, um sie einzuladen noch eine Nacht hier zu verbringen. Wahrscheinlich war es eher eine Bitte, aber Sally lehnte nicht ab. Anscheinend gefiel ihr der Gedanke hier zu bleiben, wo sie sicher und von Boudiccas Schergen sehr weit entfernt war.
 

Ein paar Minuten später war Paige zurück im Schlafzimmer und hörte noch beim Ende vom Froschkönig zu. Sie setzte sich zu Mia und Ryon aufs Bett und wurde von dem kleinen Mädchen sofort in die Geschichte mit einbezogen, indem sie die Erzählung unterbrach und mit einer Hand auf die Zeichnung der Prinzessin deutete, die sich über den Frosch ärgerte.

„Frosch pfui Sessin.“

Paige lächelte und nickte.

„Ich fände es auch nicht besonders schön, mit einem Frosch im Bett liegen zu müssen. Der ist bestimmt kalt...“

Mia kicherte, als Paige sie im Nacken unter den blonden Löckchen kitzelte und es dann Ryon überließ, den Schluss der Geschichte vorzulesen.
 

„Na, dann bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, ich müsste das Bett wegen einem Lurch räumen.“

Ryon lächelte breit, während er Mia am Bauch kitzelte und dann weiter an seine Brust heran zog, damit auch für Paige Platz war. Immer würde er zwar nicht für beide groß genug sein, aber bis dahin würden hoffentlich noch einige Jahre vergehen. Sehr viele Jahre. Denn dafür genoss er das alles hier zu sehr. Mia war sein Sonnenschein. Das hätte er niemals für möglich gehalten.

Mit einer gewissen väterlichen Euphorie erzählte Ryon das Märchen mit dem Froschkönig zu Ende, bis er das große Märchenbuch zuklappte und Mia auffordernd ansah.

„Morgen liest du mir aber der König der Löwen vor, ja?“

Die Kleine sah ihn zuerst etwas stutzig an, lächelte dann aber mit so viel Charme, wie es für eine so junge Lady verboten gehören sollte und schüttelte den Kopf. Offensichtlich wollte sie das Amt des Märchenerzählers nicht von ihm oder Paige nehmen. Nun ja. Später vielleicht.

„Okay. Dann muss eben der Roadrunner herhalten.“

Ryon sah Paige mit einem selbstzufriedenen Lächeln an, weil er ja nicht aufstehen durfte, um die DVD einzulegen, wenn es nach ihr ging.

„Wärst du so nett … Flame?“

Er schnurrte das letzte Wort mit so viel Gefühl, dass Honey, Schatz oder Darling niemals hätten heran reichen können. Und zugleich war es für ihn ein Andenken an eine Zeit, als er noch nicht einmal den Namen dieser wunderbaren Frau gekannt hatte.
 

Wenn sie nicht wüsste, dass er es ihr nicht heimzahlen wollte, hätte sie ihm für dieses Lächeln ins Ohr gebissen. Mal davon abgesehen, dass ihm das wahrscheinlich eher gefallen als ihn bestraft hätte...

Flame?

Paige konnte sich nicht erinnern, diesen Namen schon einmal direkt von Ryon gehört zu haben. Oder doch? Es gefiel ihr jedenfalls, denn hinter dem Wort schien so viel mitzuschwingen, wie sie es von einem Kosenamen kaum erwartet hätte.

„Aber klar doch.“

Sie legte die DVD ein, suchte den Videokanal und kuschelte sich dann mit der Fernbedienung in der Hand zu Mia und Ryon ins Bett.

„Die Folge mit der Rakete haben wir schon gesehen...“

„Eis!“, stimmte Mia zu und Paige war sehr positiv überrascht, dass sich das Mädchen daran erinnerte. Es war immerhin schon eine ganze Zeit lang her, seit sie zu zweit auf dem Sofa im Wohnzimmer gesessen und Eis löffelnd Cartoons gesehen hatten.

„Zu dritt macht das viel mehr Spaß, findest du nicht?“

Mia nickte begeistert und setzte dann eine so ernsthafte Miene auf, dass Paige die Fernbedienung wieder sinken ließ. Als das kleine Mädchen fröhlich losplapperte, war sie einigermaßen überrascht.

„Mia Katse lieb. Fe lieb.“

Zwar lächelte Mia, schien aber noch nicht fertig zu sein. Sie überlegte so angestrengt, dass Paige ihr liebend gern geholfen hätte.

„Du hast uns beide lieb, Mia?“

Sie nickte wieder und diesmal so stark, dass ihre Löckchen flogen.

„Wir dich auch. Sehr, sogar.“

Mit warmen, sanften Fingern strich sie Mia über den Kopf und wollte gerade Ryon ansehen, als dem Mädchen wohl endlich einfiel, was es die ganze Zeit über hatte sagen wollen. Das Wort platzte so freudig und ehrlich aus ihr heraus, wie es schöner nicht hätte sein können.

„Familie!“
 

„Ja, Mia. Wir sind eine Familie.“

Ryon lächelte das kleine Mädchen an, doch es lag nicht nur Freude und Liebe darin. Sein Herz tat ihm weh, wegen so vielen Dingen. Flüchtig schenkte er Paige einen Blick, der zu viel beinhaltete, als das man es in einem Satz hätte packen können, doch dann wechselte er das Thema und ließ nicht mehr länger hinter seine Fassade blicken.

„Also, Mia. Kannst du mir die Folge mit der Rakete erklären? Ich war da ja offensichtlich anderweitig beschäftigt.“ Er wusste nicht genau womit, aber er konnte es ahnen und es war gut so wie es war. Das sollte ihnen allen nicht den Abend verderben. Dafür war er zu kostbar.



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