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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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37. Kapitel

Das erste, was sie spürte, war ihr Magen. Er gluckste leise, für die Außenwelt nicht hörbar und nicht gerade vor Vergnügen. Es war so, als hätte man ihr Prügel mit schweren Schlagringen verpasst und erst jetzt hatte sich ihr Körper von seinem Schock erholt und merkte, dass es weh tat.

Paige seufzte im Halbschlaf tief und drehte sich ein wenig mehr auf die Seite – auf der Suche nach einer Position, die weniger auf ihre angeschlagene Seite oder ihren Rücken mit den neuen Blutergüssen drückte.

Nach einigem hin und her, das schon wieder viel zu viel ihrer Kräfte beanspruchte, lag sie halb auf dem Bauch an etwas gekuschelt, das weich und warm war. So warm, dass Paige sich nicht dazu aufrappeln konnte, ganz aus dem Schlaf hochzukommen, der wie Kaugummi an ihr klebte.

Stattdessen wurden ihre Träume bunt und flauschig. Als würde die Welt um sie herum aus rosa Zuckerwatte bestehen und sie konnte dieser Süße gar nicht entkommen. Nicht dass sie es gewollte hätte.

Zweimal schnellte ihre dunkle Zunge zwischen ihren Lippen hervor, um etwas von dem Geschmack, der sie umgab aufzunehmen. Er brachte sie wieder zum Seufzen. Körnige Wärme, die sich auf ihren Gaumen legte und in tausende wunderbar schmeckende Tröpfchen zerfloss.

Paige kuschelte sich wohlig in das warme Nest, in dem sie lag und kostete noch einmal von dieser Wärme, die ihr auf so angenehme Art neu und dennoch so bekannt vorkam. Auch wenn ihre reale Umgebung nicht zu ihr durchdrang, eins wusste sie ganz genau. Hier war sie sicher.
 

Als sich etwas an ihm zu bewegen begann, wurde Ryon aus seinem leichten Schlaf gerissen. Sofort hielt er still, da er zuerst Paiges Bewegungen zuordnen wollte, um zu wissen, ob sie sich nur im Schlaf bewegte, oder doch im Aufwachen begriffen war.

„Paige?“, seine Stimme war heiser, rau und kaum hörbar, als wär er es gewesen, der dort in der Badewanne vor Schmerz geschrien hatte. Doch zu diesem Zeitpunkt hätte auch Schreien nichts mehr gebracht, darum war er stumm geblieben.

Bis auf ein leises Seufzen, bekam er auch von dem Bündel in seinen Armen keine Antwort. Paige drehte sich im Schlaf so, dass sie nun fast Bauch an Bauch lagen. Ihr Kopf kuschelte sich an seine Brust, ehe ihre Bewegungen zum Erliegen kamen.

Ryon nutzte die veränderte Position dazu, vorsichtig die Decke und das Handtuch von ihrem Rücken anzuheben. Natürlich war er auf den Anblick der unzähligen Blutergüsse gefasst gewesen, dennoch spannten sich seine Kiefernmuskeln, als er sah, wie groß sie waren.

Zudem wusste er nur zu gut, dass sie auch an vielen anderen Stellen ihres Körpers wie geprügelt aussah.

Hoffentlich würden sie beide das nie wieder durchstehen müssen. Noch einmal könnte er dabei nicht mehr zusehen.

Sanft legte Ryon seine große Hand in Paiges Nacken und strich rhythmisch darüber, während er wieder die Augen schloss und seinen Kopf an das Holzteil des Bettes lehnte.
 

Schon eine ganze Weile lag sie mit offenen Augen da und lauschte auf die Geräusche um sie herum.

Dem kräftigen, ruhigen Herzschlag ganz nah an ihrem Ohr. Und der gleichmäßigen Atmung, die seine Brust und damit auch Paiges Körper hob und senkte.

Keinen Millimeter hatte sie sich bewegt, seit sie aufgewacht war und mitbekommen hatte, wo sie sich befand. Zuerst hatte sie hauptsächlich Wärme gespürt und ihre malträtierten Muskeln, die schon beim Gedanken an eine Bewegung zu ächzen schienen. Paige hatte Magenschmerzen, wie noch nie in ihrem Leben und ihr pochender Kopf sagte ihr, dass sie dringend etwas trinken sollte. Bloß wollte sie beim Gedanken an Wasser vor überschäumenden Gefühlen gleich wieder anfangen zu zittern.

Also hatte sie nichts getan. Ganz ruhig lag sie weiterhin auf Ryons Bauch, den Kopf auf seine Brust und fühlte seine Hand leicht in ihrem Nacken. Selbst die Hand, die sie im Schlaf um seine Seite geschlungen hatte, beließ sie, wo sie war. Obwohl der Drang mit ihrem Daumen über den Stoff seines Shirts zu streicheln sogar sehr viel größer war als derjenige, den Arm einfach wegzuziehen.

Wenn sie einfach hätte wieder einschlafen können. Sie hatte es versucht. Einfach die Augen wieder geschlossen und an gar nichts gedacht. Nicht daran, dass sie mehr oder weniger auf ihm lag, in nicht mehr als ein paar Decken gehüllt...

Paige blinzelte heftig und schloss ihren Mund, der nur eindeutig zu viel des Geschmacks von Ryon an sie heran ließ. Sie sollte das nicht tun. Er hatte sie offensichtlich aus der Wanne geholt und sie gewärmt. Wie er es schon einmal getan hatte. Jetzt, da sie wach war, konnte man es reine Gier nennen, dass sie sich noch an ihn schmiegte. Und es war nicht nur die pure Körperwärme, die sie festhielt.

Sie würde einfach warten, bis er aufwachte. Immerhin wollte sie ihn nicht aus dem Schlaf reißen und ihn dann wieder kniend auf den Boden verweisen.

Gerade den stillsten Moment suchte sich ihr Magen heraus, um auf ein weiteres seiner Probleme hin zu weisen. Paige hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen.
 

Ein knurrender Magen weckte ihn. Ob es seiner war oder der von Paige, konnte er nicht sagen, da er erst richtig munter wurde, als das Geräusch schon wieder verklungen war.

Ein kurzes in sich hinein fühlen und Ryon kam zu der Überzeugung, dass es durchaus sein Bauch gewesen sein könnte. Wie immer hatte er einen Bärenhunger, wenn er mehrere Stundenlang nichts zu sich nahm und soweit er sich zurück erinnern konnte, hatte er zuletzt ein Sandwich kurz vorm Start des Fliegers verdrückt. Auch eher nur aus reinem Nutzen als aus Lust. Immerhin hatte er seine Kräfte gebraucht. Jetzt allerdings war es ihm egal. Er wollte sich noch nicht von Paige lösen, nur um dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Also seufzte er einmal tief und schloss wieder die Augen.

Die Finger, die inzwischen reglos auf ihrem Nacken gelegen hatten, begannen wieder mit dem inzwischen vertrauten Streicheln. Es beruhigte ihn mehr, als er zugeben würde, fühlte er so doch ihre Körperwärme, die weit entfernt davon war, sie in eine Kältestarre verfallen zu lassen.

Als er geschlafen hatte, musste sie einen Arm aus der schützenden Hülle ihrer Decke befreit haben, denn ihre Hand lag an seiner Seite. Das spürte er deshalb so deutlich, weil er sich jeden Zentimeter von ihr vollkommen bewusst war. All seine Sinne waren auf sie ausgerichtet, weshalb ihm schließlich die Veränderung in ihrer Atmung auffiel.

Sie war nicht mehr so tief.

Einen Moment lang blieb Ryon das Herz stehen, ehe es zu rasen begann. Er wollte sich schon erschrocken aufrichten, bis ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, dass Paige auch einfach nur aufgewacht sein könnte und deshalb nicht mehr so tief atmete, wie man es für gewöhnlich im Schlaf tat. Vielleicht war tatsächlich alles soweit in Ordnung mit ihr. Dennoch musste er sich sicher sein.

„Paige?“, fragte er leise mit noch immer rauer Stimme, aber zumindest weniger heiser. Seine Hand in ihrem Nacken glitt zu ihrer Halsbeuge und legte sich darauf, um über ihre Halsschlagader ihren Puls messen zu können. Zwar hörte er ihren Herzschlag, aber so leise, dass er sich nicht sicher sein konnte.

Seine Position machte es ihm nur möglich, ihr auf den Scheitel zu blicken, sollte sie wach sein, müsste sie schon nach oben schauen, um ihn sehen zu können.

Ryon hoffte darauf, dass sie es tat. Nur um wieder das Leben in ihren Augen erkennen zu können. Erst wenn er ihre dunklen, menschlichen Augen sah, würde er sich endlich halbwegs entspannen können.

Wie als Ausdruck seiner Gedanken, strich sein Daumen von ihrem Hals hinauf zu ihrer Wange. Da waren keine scharfkantigen Schuppen, nur weiche, unversehrte Haut.

Sie hatte es tatsächlich geschafft.
 

Als er ihren Namen laut aussprach, brach er damit den Zauber, den Paige sich in seiner Umarmung selbst erschaffen hatte. Schon als sich seine Muskeln unter ihr für einen kurzen Moment so angespannt hatten, als wolle er sich bewegen, war ihr klar gewesen, dass er ebenfalls aufgewacht war.

Weiterhin hielt sie still, ohne ein Wort von sich zu geben, als sie die Bahn von Ryons Fingern verfolgte, die sich zuerst auf ihren Hals legten, um dann zu ihrer Wange zu wandern. Es war ein sehr seltsames Gefühl zu wissen, dass er gerade hatte sichergehen wollen, dass ihr Herz noch schlug.

Das Letzte, woran Paige sich erinnern konnte, war Ruhe und Leere. Außerdem eine schwarze Schicht, die sie von allem abzukapseln schien. Sie musste noch in der Badewanne gelegen haben. Aber was danach passiert war, davon hatte sie nicht die geringste Vorstellung. Ryons Verhalten nach könnte es recht schlimm um sie gestanden haben. Auch wenn Paige in diesem Moment oder vielleicht nie realisieren konnte, dass sie dem Tod mit Ryons Hilfe gerade so von der Schippe gesprungen war. Dass er allerdings die ganze Zeit bei ihr gewesen war und ihr geholfen hatte, war ihr auch ohne konkretes Wissen bewusst. Immerhin war er immer noch hier. Niemals hätte Paige geglaubt, dass sie sich nach dem Vorfall in Ägypten noch einmal so nah kommen könnten.

Paiges Herz schlug erschrocken eine Spur schneller und ihre Hand legte sich völlig automatisch kurz fester an Ryons Seite, bevor sie ihn ganz los ließ. Mit aufgerissenen Augen und dem lauernden Gefühl von Horror im Nacken starrte sie auf das weiße Hemd, das den Großteil ihres Sichtfelds einnahm.

Sie musste damit rechnen. Gestern, als er her gekommen war, um nach ihr zu sehen und ihr in ihrer 'Krankheit' beizustehen, war er verändert gewesen. Paige hatte seine Augen im wahrsten Sinne des Wortes leuchten sehen... Und jetzt?

Wenn sie den Kopf hob, war dann alles wieder vorbei? Wie ein schöner Traum, den sie mit einer falschen Bewegung zerstören würde?

Alles in ihr sträubte sich umso mehr, als Ryon mit seinen Fingerspitzen sanft über ihre Wange strich. Nur um zu prüfen, ob es funktioniert hatte? Damit er aufstehen und sie allein lassen konnte?

Wenn diese ganze Aktion nicht zu viel für ihn und sein Verschlossenheitsprinzip gewesen war, dann wusste Paige auch nicht, was ihn mehr einfrieren sollte.

Ihre Hand ballte sich zu einer Faust und sie presste ihre Augenlider so fest zu, dass sie bunte Lichtpunkte in der Dunkelheit aufflammen sehen konnte. Sie wollte nicht! Wenn sie jetzt wieder tote Pupillen und ein eingefrorenes Wesen dahinter sehen würde... Was dann?

Sie würde nicht zerbrechen, zumindest nicht körperlich. Aber es würde so viel zerstören, dass Paige sich nicht vorstellen konnte, weiterhin auch nur entfernten Kontakt mit Ryon zu haben. Wie hatte er gesagt? Er konnte das nicht? Paige würde es auch nicht können. Dafür hatte sie zu tief in diese goldenen Augen gesehen, die voller Leben und Gefühle gewesen waren.

Irgendwann würde sie es trotzdem tun müssen. Spätestens wenn ihre Schwäche keine Ausrede mehr war, hier auf ihm in einem schmalen Hotelbett herum zu liegen. Und das würde bald sein.

Einen Augenblick später wusste sie selbst nicht, was in sie gefahren war. Ihre Arme schienen sich ohne ihr Zutun um seinen Körper zu schlingen, ihre Finger hielten sich an seinem Hemd und den Muskeln darunter fest, als könne sie damit verhindern, dass er ihr bald verloren ging. Viel zu bald schon...

Anstatt ihn anzusehen, hob sie ihren Kopf nur, um ihr Gesicht an seiner Halsbeuge zu vergraben, wo sie so viel seiner Wärme einatmete, wie sie nur in dieser kurzen Zeit bekommen konnte. Gleich würde er sie von sich zupfen, wie ein lästiges Insekt und sie würde sich noch nicht einmal wehren. Aber sie würde so viel mitnehmen, wie sie konnte.
 

Paige schaffte es erneut, seinen Puls in die Höhe schnellen zu lassen, als sie sein Innerstes aufwühlte.

In dem sie sich fast schon verzweifelt an ihm fest hielt und ihr Gesicht an seiner Halsbeuge vergrub, war es wie eine Reflexion seiner eigenen Empfindungen.

Nur zu deutlich spürte er ihre Finger durch den dünnen Stoff seines Shirts, konnte fühlen, wie sie sich an ihn drückte, ihm so nahe wie nur möglich kam, als hätte sie Angst, jeden Moment könnte es vorbei sein.

Erneut bildete sich in seinem Hals ein dicker, mit winzigen Stacheln bespickter Kloß, den er einfach nicht hinunter schlucken konnte.

Ryon hätte Paiges Körper fest umschlungen, wenn er nicht fürchten würde, ihr damit nur noch mehr weh zu tun, als es ohnehin schon der Fall sein dürfte. Denn so wie ihr Körper aussah, musste sie Schmerzen bei jeder Bewegung haben. Darum blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr vorsichtig den Arm um die entblößten Schulter zu legen und sie sanft noch etwas näher an sich heran zu ziehen.

Seine andere Hand suchte nach eine der ihren und fand schließlich Paige schlanke Finger, die er sofort mit den seinen umschlang.

Wer nun wen fest hielt, war nicht ganz klar. Offensichtlich war jedoch, dass sie es wohl beide dringend brauchten.

Was Paige gerade dachte oder fühlte, konnte er nur erahnen. Ryon selbst war noch immer von der Angst erfüllt, die er in den letzten Stunden um sie ausgestanden hatte. Zudem war da immer noch das Entsetzen, das er verspürt hatte, als er sie mit Gewalt unter Wasser drücken musste. Das würde er wohl nie wieder vergessen können.

Wortlos, aber ganz sicherlich nicht teilnahmslos, drückte auch Ryon sein Gesicht an Paiges Schulter. Nun konnte er ein Zittern doch nicht mehr ganz unterdrücken, vor allem, da sofort wieder die Bilder der letzten Stunden hochkamen, nachdem er die Augen geschlossen hatte. Doch öffnen wollte er sie auch nicht. Er traute dem brennenden Gefühl in ihnen nicht.

Der Sturm mochte vielleicht inzwischen abgeflaut sein, aber kleine Nachwehen ließen sich einfach nicht vermeiden. Weshalb er fest die Lippen aufeinander presste, um jeden verräterischen Laut zu unterdrücken.

Paige hatte schon genug eigene Ängste und bestimmt fühlte sie sich nicht nur körperlich verdammt elend. Ryon wollte das mit seinen Reaktionen nicht auch noch schlimmer machen. Es war vorbei und das Gefühl sollte sie auch bekommen.

Weshalb er mehrmals tief durchatmete, um sich wieder zu fangen.

Es war die zarte Wärme ihrer Haut, das Gefühl ihres leichten Gewichts auf ihm und ihr Duft, die es letztendlich schafften, das Brennen in seine Augen zu mildern, den Kloß in seinem Hals zu schmälern und das Zittern verebben zu lassen.

Doch erst, als er sich sicher war, dass seine Stimme nicht brechen würde, wagte er es, die Stille um sie herum zu brechen.

Sein Daumen streichelte sanft über ihr Schultergelenk, während seine Lippen ein Stück weiter daneben fast ihre Haut berührten, als er leise dagegen flüsterte: „Es ist vorbei, Paige… Du hast es geschafft…“

War das, was er sagte, wirklich die Wahrheit? Ryon begann kurz darauf schon zu zweifeln. War es denn wirklich schon vorbei? War die Angst, die Sorge um sie, tatsächlich in Zukunft nicht mehr nötig? War er davor sicher?

Allein der Gedanke daran, er müsste das Erlebte noch einmal durchmachen, ließ ihn erschaudern. Paige hatte ihn darum gebeten, doch noch einmal könnte er dieser Bitte nicht nachgehen. Nein, das konnte er nicht.

„Es ist vorbei…“, wisperte er noch einmal kaum hörbar. Doch fast schon klang es wie eine Frage. Denn schon die Vorstellung alleine, er hätte sie in dieser Nacht verlieren können, reichte dazu aus, dass er seine Lippen gegen ihre Haut drückte, um sie vom Beben abzuhalten.

Ohne es mitbekommen zu haben, hatte Paige mehr Platz in seinem Leben eingenommen, als er für möglich gehalten hätte. Er konnte sich nicht vorstellen, sie nicht zu kennen. Genauso wenig, wie er sich vorstellen könnte, sie nie wieder zu sehen, wenn das alles vorüber war. Das hatte ihm dieses Experiment bewiesen.

‚Doch das ist im Augenblick nicht wichtig‘, ermahnte er sich selbst und hob wieder den Kopf. Dabei konnte er ihren Geschmack auf seinen Lippen schmecken, als er sie mit seiner Zunge etwas benetzte, um seine nächsten Worte ruhig und weiterhin im Flüsterton darüber zu bringen.

„Jetzt ist wieder alles so, wie es sein sollte.“

Das konnte er nur bestätigen und hoffentlich nahmen seine Worte ihr auch etwas die Angst, ihre Aktion könnte gescheitert sein. Denn das war sie ganz und gar nicht. Zumindest am Ende nicht.

Um sich selbst davon abzuhalten, an ihren Beinahetod zu denken, löste er seine Finger von den ihren und legte sie ihr auf den Hals. Dort fuhren seine Fingerkuppen sanft, die Linie ihrer Halsschlagader nach oben, zu der unglaublich weichen Stelle unterhalb ihres Ohrs.

„Keine scharfkantigen Schuppen...“

Er folgte der Spur ihres Kiefernknochens entlang bis zu ihrem Kinn.

„Keine schlammgrüne Farbe…“

Sein Daumen streichelte besänftigend über ihre Wange, ehe er seinen Kopf noch weiter zurück bog und zärtlich ihr Kinn anhob, damit er ihr endlich in die Augen sehen konnte. Denn das musste er. Unbedingt. Erst dann würde er es glauben!

Langsam, Stück für Stück hob er ihren Kopf immer weiter an, bis er endlich ihren Blick einfing, der ihm förmlich den Atem verschlug.

Ihre Augen waren so voller Leben, nicht nur deshalb, weil sich die verschiedensten Gefühle darin tummelten, sondern weil er sich in ihren dunklen Seen selbst erkennen konnte und somit auch den Ausdruck seines eigenen Gesichts.

Seit Ewigkeiten hatte er nicht mehr so viele Emotionen in seinen eigenen Augen gesehen. Er versuchte zwar ruhig zu bleiben, aber das änderte nichts an dem Ausdruck in ihnen. Sorgenvoll, bekümmert, erleichtert, traurig, entsetzt, verwirrt und … sanft.

Ryon lächelte gequält, als ihn die Erkenntnis traf, wie unvollständig er gewesen war, ehe er durch Paiges Augen hatte sehen können, was er nun wieder gewonnen hatte. Dank seiner Freunde, dank der Dinge, die sein Leben umgekrempelt hatten und dank Paige.

„Siehst du, alles wieder in Ordnung.“

Sein Daumen zeichnete die Augenbraue nach, die er zuvor an Paige nicht hatte erkennen können, da diese Hälfte ihres Gesichts von der dämonischen Seite verunstaltet worden war. Nun aber, war alles wieder an seinem richtigen Platz.

„Selbst deine Nase…“

Langsam fuhr er mit dem Daumen ihren Nasenrücken entlang, über die Nasenspitze, ihre Oberlippe, bis er an ihrer Unterlippe hängen blieb, während der Rest seiner Finger sich um die Kontur ihres Kinns schmiegten.

Ohne es beabsichtigt zu haben, bekam Ryon Herzklopfen, als sein Blick seinem Daumen gefolgt war. Als er dann wieder in Paiges Augen sah, durchfuhr ein solch derartiges Prickeln sein Rückenmark, wie er es nicht für möglich gehalten hätte. Weder in diesem Augenblick, in dieser Situation, noch in diesem Leben, mit dieser Frau.

Doch es war da und obwohl es bar jeglicher Vernunft war, konnte Ryon nicht verhindern, dass er diesem Gefühl nachgehen wollte. Das er einfach wissen musste, ob sich dahinter etwas verbarg, oder ob sich sein völlig überdrehter Verstand einfach eine Pause von dem ganzen Erlebten nahm und er gerade überschnappte.

Ryon hatte sich bereits ein Stück auf Paige zubewegt, so dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, ehe in ihm alle Alarmsysteme los schrillten. Doch seltsamerweise waren diese so leise, dass er sie kaum hören konnte. Da war nur diese drängende, fast schon quälende Frage: War es überhaupt noch möglich, dass da mehr sein konnte?

Als wären in diesem einen Augenblick alle Fragen, bis auf diese eine vollkommen weggewischt, überbrückte Ryon die letzte Distanz zwischen sich und Paige. Seine Hand glitt von ihrem Kinn zu ihrer Wange und zog sie in selben Moment an ihn heran, als er den letzten Schritt nach vorwagte.

Ihre Lippen berührten sich so leicht, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, während er im Anblick ihrer Augen versank, bis er schließlich seine Lider niederschlug und sich langsam zurück zog. Nicht weit, aber trotzdem weit genug, um bebend ausatmen zu können. Die Fassungslosigkeit über sein Tun, war weit nicht so intensiv, wie die Antwort auf seine Frage.

Da war mehr…
 

Bei jedem Wort, das er sagte, schien etwas von dem riesigen Stein abzubröckeln, der auf Paiges Seele lastete. Sie fühlte sich den Umständen entsprechend gut. Keine Schuppen waren ihr an ihrem gesamten Körper bewusst, die sie dort nicht haben wollte. Und doch blieb die Angst, dass es nur ihr persönliches Wunschdenken war. Schon so mancher Geist hatte seinem Besitzer etwas vorgegaukelt, um ihn vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren, oder nicht?

Doch Ryon schien für sie sehen zu wollen. Ihr Spiegel zu sein, in den sie selbst jetzt noch nicht zu schauen gewagt hätte. Keine Schuppen, kein Grünton und auch keine geänderten Züge, die ihr Gesicht verschandelten. Ihr Herz wurde leichter. So, als würde Ryon es mit ihrem Kopf zusammen anheben, als sie seine Finger unter ihrem Kinn spürte.

Eigentlich wollte sie ihn doch nicht ansehen. Aber gegen seinen offensichtlichen Wunsch anzukämpfen, dafür war sie ebenfalls nicht stark genug.

An der Stelle, die damals in Ägypten so unangenehm gezogen und geziept hatte, meldete sich eine neue Empfindung. Etwas, das sich wie ein leises Klingen anfühlte, ein sanft berührtes Glöckchen, das sich kaum traute einen Ton von sich zu geben. Paige konnte es selbst kaum hören, als sie von dem Blick in Ryons Augen von der Welt abgelenkt wurde.

'Du lebst.'

Sie hielt völlig still. Fasziniert von dem Ausdruck in seinem Gesicht, den Funken sprühenden goldenen Augen, bekam sie nur am Klingen in ihrem Körper mit, dass seine Finger sanft über ihre Gesichtszüge wanderten.

Ihr eigener Herzschlag, stark und regelmäßig, hinderte Paige beinahe am Atmen. Ryon war so nah.

Die ganze Zeit über hatte sie auf ihm gelegen, in seinen Armen geschlafen und einfach nur geruht. Aber erst jetzt wurde ihrem Geist wie auch ihrem Körper auf einen Schlag bewusst, was das wirklich bedeutete.

Keinen Millimeter wagte sich Paige zu bewegen. Flach sog sie die Luft ein und versuchte ruhig zu atmen, um nicht rot anzulaufen. Ein Kribbeln breitete sich über ihren Körper aus, das sie für einen Moment offensichtlich um den Verstand brachte. Ryon würde doch nicht...

Ihre Nasenspitzen berührten sich fast und Paige hatte das Gefühl sie müsse sich zurück ziehen. Um ihn zu schützen. Oder sich selbst? Aber er würde nicht.

Auch wenn seine goldenen Augen sie immer mehr hypnotisierten. Auch wenn seine Finger sich sanft und gefühlvoll über ihre Haut bewegten. Er würde niemals...

Paiges Inneres wollte vibrieren als er es doch tat. Die Berührung war mehr eine Andeutung, als ein Kuss, aber es reichte aus, die Welt für Paige für einen Moment anzuhalten. Die Zeit blieb im wahrsten Sinne des Wortes stehen, als sie meinte in Ryons Augen die Sonnenoberfläche erkennen zu können. Sprudelnd von Feuer und Energie, die viel zu lange unterdrückt worden war.

Es fühlte sich wie eine schmerzende Rettung an, als er die Wimpern niederschlug und sie ihn nicht mehr auf ihren Lippen spüren konnte. Der Moment war so kurz gewesen, dass Paige glauben könnte, er wäre nie geschehen.

Aber da waren ihre Finger, die sich sanft in sein Shirt gekrallt hatten, ihre Daumen, der über den Stoff streichelte und die kleinen bunten Sternchen, die vor ihren Augen explodierten, weil sie bis jetzt vergessen hatte, dass sie Sauerstoff zum Leben brauchte.

Paiges Kopf war wie leer gewischt. Irgendetwas sagte ihr, dass sie auf das, was gerade geschehen war, reagieren sollte. Aber wie, sagte ihr niemand.

Also legte sie ihren Kopf einfach wieder auf Ryons Schulter ab, zog sich die Decke über die Schultern und legte anschließend ihre Hand wieder auf seine Seite, um weiter über den glatten Stoff seines T-Shirts zu streicheln.

„Ja, es geht mir gut.“
 

Ryon war immer noch wie paralysiert, als Paige sich wieder an seine Schulter kuschelte. Ihre Worte wollten kaum durch das intensive Surren in seinem Kopf vordringen. Doch sie mussten wohl positiv gewesen sein, denn er wurde den gegebenen Umständen entsprechend ruhiger. Zumindest was seine Sorge um sie anging.

Als er sich selbst wieder zurück lehnte, starrte er an die Zimmerdecke, ohne jedoch etwas zu erkennen, während sich seine Hand erneut schützend um Paiges Nacken legte und dort sanft mit dem Daumen darüber streichelte.

Sein Herz schlug immer noch rasend schnell, als wolle es seiner Brust entfliehen, während es in seinem Kopf vor lauter sich überschlagenden Gedanken nur noch so wimmelte.

In seinem ganzen Körper kribbelte es, am intensivsten jedoch an den Stellen, wo Paige ihn mit ihren Fingern streichelte. Doch war es nichts im Vergleich zu dem abflauenden Prickeln auf seinen Lippen, wo er gerade noch Paiges Wärme förmlich hatte schmecken können.

Er hatte sie geküsst, oder?

Ja, das hatte er. Denn sonst würde er nun nicht die Antwort auf die eine Frage kennen, die er sich bisher selbst nicht hatte stellen wollen. Einfach nur, weil er es für unmöglich hielt, jemals überhaupt eine Antwort darauf zu bekommen. Oder besser gesagt, eine, die ihn so derart überraschen konnte.

Ryon mochte zwar nicht sehr viel Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Frauen haben, aber wenn er sich bei einem sicher war, dann dass es sich nicht so anfühlen würde, die Lippen einer Frau zu küssen, wenn es einfach nur irgendeine gewesen wäre.

Es hätte sich auch anders angefühlt, wenn da lediglich eine geschäftliche Beziehung zwischen Paige und ihm herrschen würde. Freundschaft fühlte sich ebenfalls anders an. Vertraut zwar und ebenso beruhigend, aber ein freundschaftlicher Kuss könnte niemals dieses Inferno in ihm hervor rufen.

Das hatte bisher nur eine Person gekonnt und diese unterschied sich in vielerlei Dingen so grundsätzlich von Paige, dass es kein kläglicher Versuch sein konnte, lediglich ein paar alte Erinnerungen aufzufrischen. Eigentlich hatte das Wirrwarr in seinem Inneren nur eines mit Marlene zu tun… Er fühlte sich schuldig.

Natürlich. Ryon hätte es nicht anders erwartet. Das konnte und musste er sogar akzeptieren. Aber das ließ ihn nicht vergessen, dass Schuld nicht das einzige war, das er in diesem Augenblick mit Paige im Arm empfand.

Trotz der vergangenen Stunden war er doch glücklicher, als in all den Momenten der vergangenen einsamen Jahre und das, obwohl er nicht einmal wusste, ob dieser flüchtige Wunsch nach etwas mehr in seinem Leben, überhaupt von Paige geteilt wurde. Sie hatte ihn für seine Kühnheit nicht geohrfeigt, angeschrien oder schräg angesehen. Ja noch nicht einmal etwas darauf erwidert. Vielleicht war Resignation sogar schlimmer, als all das zusammen.

Da er nichts auf ihre Worte erwidert hatte, da er einfach in seiner eigenen Welt herum geirrt war, dauerte das Schweigen eine ganze Weile an, bis er sich so weit von seinen Gedanken entfernen konnte, um sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

„Brauchst du etwas?“, fragte er leise nach, während er sich daran erinnerte, dass er die Einkaufstüte extra neben das Bett gestellt hatte, damit er nicht aufstehen musste und Paige somit unnötige Bewegung zumutete. Wasser und Essen war also vorhanden. Auch Verbandszeug, falls sie sich schon bereit dazu sah, es mit ihrer verletzten Seite aufzunehmen. Was anderes, außer Wärme und Gesellschaft konnte er ihr leider nicht bieten.
 

Die stillen Momente waren verstrichen, ohne dass Paige über irgendetwas nachgedacht hätte. Sie kannte sich einfach zu gut, um das jetzt zu riskieren. Dann hätte sie mehr kaputt gemacht, als nötig. Aber sie wollte viel lieber in Ryons Armen liegen, an seinen warmen Körper geschmiegt und leicht seinen Geschmack bei jedem Atemzug über ihre Zunge streichen lassen.

Dabei war sie ihm eigentlich ganz dankbar dafür, dass er nüchtern ein völlig anderes Thema anschnitt. Hätten sie darüber gesprochen, was eben passiert war, Paige hätte ihnen beiden zugetraut, dass sie es nur völlig verdreht und zerfetzt hätten.

Es war schön gewesen. Und irgendwann würden sie vielleicht darüber sprechen müssen. Aber nicht jetzt.

„Mhm.“

Mit zwei tiefen Atemzügen wappnete sich Paige gegen den Schmerz, den sie garantiert zu erwarten hatte. Mit den Händen halb auf Ryon, halb auf die Matratze unter ihm gestützt, hob sie ihren Oberkörper ein wenig an, um sich auf die Seite zu drehen. Mit aufeinander gepressten Augenlidern schaffte sie es nur so weit, dass sie mit der Schulter an Ryon lehnen und einigermaßen schräg vor ihm sitzen konnte. Ihr Rücken hätte Weiteres absolut verboten. Selbst jetzt schien jede kleine Stelle zu pochen und in ihr Inneres auf unangenehme Weise auszustrahlen.

Sie wollte gar nicht wissen, wie es da drin aussah. Es war anzunehmen, dass die Essenz einiges aufgewühlt, wenn nicht sogar nachhaltig verletzt hatte.

Ihr Herz wollte anfangen hart gegen ihre Brust zu klopfen, als sich der Gedanke an innere Blutungen formte. Aber Paige kämpfte selbst die kleinste Idee hinunter und sah stattdessen Ryon an.

„Du hast doch Tee mitgebracht... Auch was zu essen?“

Niemals würde sie zulassen, dass er aufstand, um etwas zu holen. Daher war die Hoffnung auf eine positive Antwort umso größer.

Ein Blitzschlag wollte ihren Nacken spalten, als Paige den Kopf wandte, um auf ihrem Nachtkästchen nach dem übrig gebliebenen Schokopudding zu schielen. Vor Schmerz zuckte sie zusammen und griff sich in einer automatischen Reaktion an die Stelle, die wie Feuer brannte.
 

„Paige… Als dein vorrübergehender Pfleger, befehle ich dir, dich zurück zu lehnen, dich nicht anzustrengen und auf gar keinen Fall, wirklich, unter keinen Umständen darfst du dir etwas selbst holen. Verstanden? Ich verbiete es dir.“

Sein Ton war nicht ernsthaft genug, um bedrohlich zu wirken, aber es lag sehr wohl seine Sorge darin und wie in jeder Geschichte, steckte auch in seinen Worten ein Fünkchen Echtheit.

Sanft zog er ihre Hand von ihrem Nacken, der vermutlich der Grund für das plötzliche Erbleichen ihres Gesichts gewesen war.

Während er ihre Position mit einem Arm stützte, rieb er vorsichtig mit dem Daumen über die Stelle, die sie sich selbst schon gerieben hatte und sah ihr dabei eindringlich in die Augen.

„Das Wasser für den Tee sollte noch warm sein. Essen habe ich natürlich gleich mit besorgt.“

Immerhin würde er nicht extra noch mal das Zimmer verlassen, nur um ihnen etwas zum Beißen zu besorgen. Eher ließ er sie beide verhungern, als Paige in ihrem Zustand alleine zu lassen.

Nachdem sie wieder halbwegs Farbe bekommen hatte, hielt er sie vorsichtig fest, während er mit der anderen Hand hinter sich griff und die Kissen so hin und her arrangierte, bis er Paiges Oberkörper damit abstützen konnte.

Er selbst fiel dabei fast schon aus dem Bett, doch nachdem er sich so seitlich vor sie hingesetzt hatte, dass er ihre Beine quer über seinen Schoß legen konnte, war jegliche Absturzgefahr gebannt und zudem hatte er nun beide Hände frei.

Also griff er nach der Tüte, um ihnen zuerst einmal den Tee zubereiten zu können.

Während er das tat, versuchte er nicht daran zu denken, wie schlimm es Paige gehen musste, wenn sie sich kaum bewegen konnte, ohne dabei die schlimmsten Schmerzen zu empfinden.

Als er sie vorhin mit den Kissen gestützt hatte, war ihm nicht die verfärbte Stelle zwischen ihren Schlüsselbeinen entgangen, die deutlich sein Zeichen trug. Es waren nicht nur die Druckstellen, seiner Finger und Handballen, sondern es zogen sich auch deutlich fünf leuchtendrote Linien zu den Abdrücken hin.

Während des Kampfes mit diesem bösartigen Etwas, war es ihm natürlich kaum aufgefallen, aber eigentlich war zu erwarten gewesen, dass er seine animalische Seite bei dieser Grausamkeit nicht ganz hatte zurückhalten können. Er hatte sie gekratzt. Bestimmt war an ihren Knöcheln ebenfalls etwas davon zu sehen. Nicht tief, aber dennoch ein deutliches Warnmal an ihn. Kratzer hinterließen auf seiner Seele immer Narben, gerade wenn er sie jemand anderen zugefügt hatte und nicht sich selbst.
 

„In Ordnung, ich werde versuchen mich pflegen zu lassen.“

Das war das Beste, was sie anbieten konnte. Paige war zugegeben nicht gerade gut darin, anderen Leuten zur Last zu fallen. Es hatte absolut nichts mit Vertrauen zu tun. Das hatte sie zu manchen gehabt, die ihr hatten helfen oder sie bemuttern wollen. Aber Paige war so erzogen worden. Um sie kümmerte man sich einfach nicht. Egal, wie es ihr ging, sie hatte immer das Gefühl, allein zurecht kommen zu müssen. Daher war ihr Satz sehr viel tiefgreifender, als Ryon ahnen konnte. Denn sie meinte ihn ernst und würde tatsächlich versuchen, sich einfach ein wenig auszuruhen und Ryons Hilfe und Pflege annehmen.

Während er ihren Körper so drapierte, wie er es für richtig hielt, fielen Paige zwei Dinge auf, die ihr gleichermaßen eine Gänsehaut über die Arme laufen ließen. Erstens beeindruckte sie Ryon gerade in dieser Situation mit seiner körperlichen Stärke. Ohne auch nur Anstrengung zu zeigen, hob er sie hoch und setzte sie so aufs Bett, wie er es für richtig erachtete. Paige wurde erst jetzt klar, wie selbstmörderisch es damals gewesen war, sich in ihrer Wohnung einfach auf ihn zu stürzen. Hätte er gewollt, wäre es Ryon ein Leichtes gewesen ihr einfach den Kopf abzureißen. Ob sie nun in Flammen stand oder nicht. Umso unwirklicher fühlte es sich jetzt an, dass er sie so leicht herum hob. Er hatte sie bestimmt auch auf seinen Armen hierher getragen, sie in die Decken eingewickelt -

Paige lief so rot an, wie selten in ihrem Leben. Ginge es nach ihrem Körpergefühl, müssten ihre Ohren wie Scheinwerfer glühen, bloß um von ihren heißen Wangen noch übertroffen zu werden. Ihre malträtierte Haut riss schmerzhaft auf, als sich ihre eigenen, roten Schuppen bis zu ihrem Hals über ihren Körper legten.

Paige wusste nicht, wo sie hinsehen sollte, zupfte nervös an ihrer Decke herum, die ihr sowieso bis über die Schultern lag und wäre garantiert ins Stottern gekommen, wenn ihr denn nur ein einziges Wort eingefallen wäre, das sie hätte sagen können.

Er hatte sie aus der Wanne geholt, sie sauber gemacht und hierher gebracht. Auch in die Decken gewickelt hatte sie sich nicht allein...

Die Wolle streifte so unangenehm direkt über ihre bloße Haut, dass Paige sich am liebsten völlig darunter vergraben hätte. Ryon hatte sie nicht nur schwach gesehen, nein, er hatte sie in der einzigen Form vor sich gehabt, in der Paige sich tatsächlich nackt fühlte. Wenn sie ihre dämonische Seite nach außen ließ und Flammen ihren Körper bedeckten, war ihr der Umstand, dass sämtliche Kleidung das Zeitliche segnete herzlich egal. Ihre Schuppen bedeckten sie. Aber so war es nicht gewesen.

Selbst Paiges Gesicht schien zu knistern, während ihr das Blut so stark in den Ohren rauschte, dass sie kaum etwas Anderes hören konnte.

'Er hat nicht darauf geachtet. Ganz sicher hatte er Anderes zu tun.'

Ja, das stimmte. Dem Schmerz in ihrer Rippengegend nach zu urteilen, hatte er seine Gedanken ganz wo anders haben müssen. Aber trotzdem war sich Paige gerade jetzt ihres bloßen Körpers unter der Decke sehr stark bewusst.

Sie zog an dem Stoff des Handtuchs, um sich noch fester darin einzuwickeln und konnte immer noch nicht in Ryons Augen sehen, als er mit der Einkaufstüte in den Händen offensichtlich auf eine Reaktion wartete.
 

Da er nicht genau wusste, was Paige denn im Augenblick überhaupt hinunter brachte, zog er die Tüte an sich heran und begann zuerst das Essen zwischen ihnen beiden auszubreiten. Es war nicht viel, sollte aber zumindest solange ausreichen, um den Hunger von ihnen beiden zu stillen.

Sandwiches mit verschiedenen Füllungen, ein paar süße Teigtaschen, zwei große Äpfel und eine große Tafel Schokolade. Letzteres konnte kurzfristig ganz schön den Energielevel heben. War aber für Dauergebrauch nicht zu empfehlen. Zumindest nicht, wenn man keinen überdurchschnittlich hohen Stoffwechsel hatte. Somit sehr beliebt bei Gestaltwandlern.

Gerade als Ryon den Tee in zwei großen Bechern aufgoss, suchte er sich den ungünstigen Moment aus, um einen flüchtigen Blick zu Paige hinüber zu werfen, die bisher nicht sehr viel gesagt hatte.

Beinahe wäre ihm die Termoskanne aus der Hand geglitten, als er ihr rotes Schuppenkleid zwischen dem Stoff des Badetuchs und der Decke hindurch schimmern sah.

Noch rechtzeitig, erinnerte er sich daran, was er gerade hatte tun wollen, weshalb ihnen beiden ein nasses Plantschen im Teewasser erspart blieb.

„Wie ich sehe, ist auch das wieder so, wie es sein sollte.“

Ohne sie direkt anzusehen, nickte er in Richtung der roten Schuppen, ehe er die Termoskanne auf den Boden stellte und Paige einen Becher mit ihrem Tee reichte.

Was auch immer sie plötzlich so aufbrachte, es war ihr deutlich anzusehen. Wo vorhin noch ein bleiches Gesicht gewesen war, herrschte nun flammende Röte. Hoffentlich bekam sie kein Fieber.

„Dir ist hoffentlich klar, dass, wenn du das Bett ankokelst, ich dich mit dem Feuerlöscher besprühen muss.“, erwiderte er trocken nach einem kurzen unangenehmen Moment des Schweigens. Allerdings lag in seinen Augen ein Funkeln, das er Paige bisher noch nie gezeigt hatte.

Seine Mundwinkel zuckten leicht, ehe er an seinem Tee nippte, um diese Reaktion zu verbergen. Die Situation war alles andere als lustig. Was er fühlte, war alles andere als lustig. Paiges Schmerzen waren ebenfalls alles andere als lustig, aber irgendwie wollte er sie von all dem ablenken.
 

Paige nahm einen Schluck Tee und sah dann auf ihre Finger, die um den warmen Becher lagen.

„Du glaubst gar nicht, wie gut es sich anfühlt, wieder in meiner eigenen zweiten Haut zu stecken.“, sagte sie leise und wahrheitsgemäß. Und sie wäre mit ihrer Beschreibung fortgefahren, hätte Ryon sie nicht über seinen Scherz stolpern lassen.

Wie auf dem Friedhof in Paris brauchte sie einen Augenblick, um den kleinen Seitenhieb als Solchen überhaupt zu erkennen. Wieder war da das Klingen. Diesmal lauter, als Paiges Blick an Ryons schelmisch gehobenem Mundwinkel hängen blieb.

Mit einem breiten Lächeln nahm sie eine Hand von ihrem Teebecher und streckte sie Ryon langsam entgegen. Als sie die Finger leicht bewegte, spielte das Licht auf den leicht gewölbten, glatten Schuppen.

„Sie sind nicht heiß.“

Aufmunternd blickte sie ihn an. Wahrscheinlich war es reiner Eigennutz, aber Paige fühlte sich in ihrem dünnen Panzer so wohl und zu Hause, dass sie Ryon gern zeigen wollte, dass ihre dämonische Seite nicht zwingend etwas Abschreckendes haben musste. Besonders er als Wandler musste das bestimmt verstehen können.

Bloß weil er ein Raubtier in sich trug, hieß das nicht, dass eben diese Katze jeden angreifen würde, wenn er sie an die Oberfläche ließ.

Sofort wurde der Ausdruck in Paiges Augen weniger fröhlich und fast suchend, als sie erneut in Ryons goldene Augen sah. Ob er sich mit seinem Tier ausgesöhnt hatte? In so kurzer Zeit hatte er sich so sehr verändert, dass es bestimmt zu viel verlangt war. Aber Paige hätte es ihm gegönnt. Beiden.
 

Er glaubte ihren Worten auf der Stelle, immerhin war Ryon selbst verdammt froh, ihre roten Schuppen zu sehen. Eine Tatsache, die er niemals geglaubt hätte, wenn man es ihm damals in ihrer Wohnung mitgeteilt hätte.

Doch obwohl, oder gerade weil er ihre Fähigkeiten respekteinflößend fand, war ihr Schuppenkleid allemal schöner, als das des Dämons, den sie durch die Experimente ihres Vaters zum Leben erweckt hatte.

Es war, als würde man einen der germanischen Drachen aus dem Mittelalter, mit einem der chinesischen Drachen vergleichen. Ersterer war meistens rau, eckig und sah zudem keinesfalls vorteilhaft aus. Paiges dämonische Seite hatte jedoch etwas sehr … Zartes und Weiches an sich.

Darin fühlte er sich nur bestätigt, als Ryon seinen Becher auf den Nachttisch abstellte, um sich voll und ganz auf die ihm entgegen gestreckte Hand konzentrieren zu können.

Seine Daumen fuhren ohne zaghaftes Zögern tastend über ihre Handinnenfläche. Sie fühlte sich tatsächlich angenehm kühl und weich an, obwohl er deutlich jede einzelne ihrer Schuppen auf seiner Haut fühlen konnte.

Da waren keine scharfen Kanten, die sich in seine Haut schnitten, so wie sie es getan hatten, als sie beide darum kämpften, eben genau diese rötlichen Schuppen zu retten.

Viel mehr erinnerte es ihn an das Schuppenkleid einer Schlange. Die schimmernden Blättchen ließen einen glitschigen Eindruck vermuten, doch wenn man sie berührte, waren sie mehr als nur trocken. Sie waren wie glatte Seide, fest und doch nachgiebig boten sie den idealen Schutz vor Nässe und anderen Einflüssen.

Ryon war neugierig, was man ihm auch ansah.

Mit Zeige- und Mittelfinger strich er jeden ihrer Finger nach, tippte ihre Fingerspitzen an, drehte ihre Hand herum, zog Kreise auf ihren Handrücken, dem Handgelenk, nur um ihre Hand wieder zu wenden, um erneut die Innenseite zu erkunden. Das Gefühl war seltsam und doch sehr angenehm.

Er war mit dem Wissen aufgewachsen, dass er sowohl die menschliche Haut seiner Eltern bei jeder Umarmung oder jeder vertrauten Geste spüren konnte, wie auch ihr Fell, wenn sie einmal ihrer anderen Natur ihre Freiheiten ließen und als größte Raubkatzenart der Welt dürfte das auch kein Wunder sein. Freiheit war für sie ein Grundbedürfnis.

Bis auf den Unterschied, dass er hier Schuppen anstatt Fell berührte, änderte sich für Ryon nichts. Paiges dämonische Seite als das anzuerkennen, was sie war, nämlich als ein Teil von ihr, war für ihn einfach nur natürlich. Obwohl er seine eigene Natur lange geächtet hatte und es zum Teil immer noch tat, so akzeptierte er es doch an anderen.

„Wie übertragen sich Berührungen in dieser Form auf dich?“, fragte er neugierig nach, während seine Finger die unsichtbaren Linien ihrer Adern auf der Unterseite des Handgelenks entlang streichelten. Unter dem Schuppenkleid konnte er sie nicht sehen, aber er spürte nur zu deutlich, wie das Leben darunter hindurch rauschte.

„Gibt es für dich einen Unterschied zu deiner menschlichen Haut, oder fühlt sich alles gleich an?“

Sein Blick hob sich von ihren ineinander verschlungenen Händen zu ihren dunklen und ganz und gar menschlichen Augen.
 

Das Staunen darüber, dass Ryon sie ohne Weiteres berührte und auch noch neugierig über ihre Schuppen fuhr, ließ sich nicht so leicht abstellen. Nach allem, was bis jetzt zwischen ihnen passiert war, fühlte sich Paige so, als müsse sie immer auf der Hut sein. Als könne sich Ryon jede Minute wieder dazu entscheiden, sein Verhalten und Auftreten von Grund auf zu ändern. Es blieb ihr kaum etwas Anderes übrig und außerdem wollte sie in diesem Augenblick auch nichts Anderes, als genau diese Verwandlung so lange wie möglich hinaus zu zögern.

Paige überlegte.

Über Ryons Frage hatte sie zuvor noch nie nachgedacht. Jede ihrer beiden Seiten trat in bestimmten Situationen zu Tage. Bis jetzt hatte sich Paige noch nie überlegt, ob sich Berührungen weniger stark übertrugen, als direkt auf ihrer menschlichen Haut.

„Naja ... es ist eine Panzerung. Zwar nicht besonders dick, aber durchaus schützend.“

Wenn sie es recht bedachte, hatte sie ihr Schuppenkleid bis jetzt nur in Situationen getragen, in denen sie das Gefühl hatte, sich schützen zu müssen oder wenn ihre Gefühle die Überhand gewonnen hatten.

„Ich fühle den Druck deiner Finger. Meine menschliche Haut liegt ja direkt unter den Schuppen. Aber es ist ... ein wenig gedämpft.“

Mit einem Lächeln registrierte sie, wie Ryons Finger immer noch über ihr Handgelenk strichen. Mal fester, mal leichter, wenn auch nie um zu testen, wie viel die Schuppen tatsächlich aushielten.

„Selbst wenn du deine Krallen ausfahren würdest, wäre es schwierig für dich, mich zu verletzen.“

Dafür müsste er direkt in die Zwischenräume der aufgestellten Schuppen fahren.

Um es ihm zu zeigen, zog Paige ihre Hand ein wenig zurück und tippte mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf eine Reihe Schuppen, die sich dann wie eine Schar Soldaten aufstellten.

„Siehst du? Da müsstest du rankommen.“

Mit dem Fingernagel hob sie eine Schuppe so weit an, dass ihre Haut darunter zu sehen war. Bis ihr einfiel, dass er das bereits einmal gesehen hatte.

Bevor ihr der Gedanke an den Magier allerdings zu peinlich werden konnte, nahm sie lieber von selbst Ryons Hand und zog ihre Schuppen langsam zurück, während sie über seine Finger streichelte.

„Und selbst dann könnte ich dir noch ganz schön Feuer unterm Hintern machen.“, meinte sie zwinkernd.
 

„Eigentlich ist es nicht besonders klug, mir deine Schwachpunkte zu zeigen.“, stellte er bar jeglicher Emotion in den Raum, da er bei diesem Satz tatsächlich nichts empfand. Es war Sachwissen. Zwar eines, das in den falschen Händen gefährlich werden konnte, doch so wie sie seine Hand nahm, war Ryon der absoluten Überzeugung, dass seine eigenen nicht zu dieser Sorte gehörten. Sie selbst mochte es nicht wissen, aber eigentlich war sie bei ihm, zumindest vor ihm sicher.

Spielerisch fing er ihre streichelnden Finger wieder ein.

„Außerdem…“ Ryon beobachtete dabei, wie sich die unterschiedliche Beschaffenheit ihrer Struktur aneinander rieb und somit gegenseitig erforschte.

„…käme es mir nie in den Sinn, dich vorsätzlich zu verletzen. Meine Krallen bleiben also da, wo sie keinen Schaden anrichten können.“ Zumindest solange, wie er sie beherrschen konnte.

Dieser Gedanke brachte ihn auf einen weiteren, der ihn dazu veranlasste, innezuhalten.

Noch einmal sah er sich die Färbung ihrer Schuppen an, ging noch einmal ihre Worte im Kopf durch, ehe er seinen Blick hob und Paige ernst ansah.

„Da du mir im Augenblick kein Feuer unter dem Hintern machst, nehme ich an, ich habe nichts allzu Ernstes getan, aber wenn du mir sagst, dass deine Schuppen eine Panzerung darstellen, wieso…“

Bevor er den Satz beendete, gestattete er sich selbst noch eine kurze Gedankenpause. Eigentlich hatte er an Paige diese Seite bisher nur immer in Situationen gesehen, in denen sie sich hatte verteidigen müssen. Warum also jetzt?

Seine Hände schlossen sich um ihre Hand. Hielten sie aber ohne Gewalt fest, nur mit dem Bedürfnis sie zu beschützen.

„Mache ich dir Angst?“

Was wäre es doch nur allzu verständlich!? Immerhin war in letzter Zeit so viel passiert, dass er selbst noch lange nicht alles in Gedanken durchgearbeitet hatte. Da im Augenblick aber wichtigere Dinge anstanden, als reine Gewissensforschung, hatte er somit wenigstens die Möglichkeit, sich einmal auf etwas anderes zu konzentrieren, als nur auf sich.

Wie hatte Tyler es doch so schön ausgedrückt? Er benahm sich egoistisch, konnte nur an sich selbst denken und überhaupt hätte man ihm in fetten Buchstaben H-O-F-F-N-U-N-G-S-L-O-S auf die Stirn tätowieren können, wenn dort nicht zu wenig Platz gewesen wäre.
 

Die Stimmung änderte sich nach Ryons Frage schlagartig. Paiges Finger, die gerade noch auf seinem Handrücken kleine Achten gezeichnet hatten, hielten aprupt inne, während ihr Gesicht wie das sprichwörtliche Fragezeichen aussehen musste.

„Ob du mir Angst machst?“

Das Rattern ihres Hirns musste wirklich laut zu hören sein. Bestimmt bis hinunter in die Lobby des Hotels, wenn nicht gar bis auf die Straße. Zumindest hatte Paige das Gefühl, es müsse so sein, bis endlich der Groschen fiel.

„Nein... Nein, gar nicht. Es ist nur...“

Sie senkte den Kopf und musste sich stark konzentrieren, um ihre eigene Aussage nicht Lügen zu strafen und noch mehr Schuppen auf ihrer Haut sprießen zu lassen. Dass Ryon jetzt auf so eine absurde Idee kommen konnte, war wirklich schlechtes Timing. Aber verdenken konnte sie es ihm auch nicht. Immerhin hatte sie ihm nur die eine Seite ihrer Schuppen – nämlich die der schützenden Panzerung – erklärt.

Noch ohne ihn anzusehen, sprach sie weiter und überlegte fieberhaft, wie sie ihm das Ganze begreiflich machen sollte, ohne selbst dafür zu sorgen, dass selbst ihr Gesicht nicht nur mit rein menschlicher Röte gezeichnet wurde.

„Dir ist doch sicher aufgefallen, dass ich in meiner menschlichen Form auch Hitze erzeugen kann. Vor allem wenn ich mich aufrege oder wütend werde.“

Jetzt sah sie unter leicht gesenkten Wimpern doch zu ihm hoch und versuchte ein Lächeln, das allerdings unter den Worten, die noch kommen sollten etwas schief geriet.

„Naja, mit den Schuppen ist das so ähnlich. Sie sind etwas, das ich in gewissem Sinne überstreifen kann, wenn ich mich zu sehr auf dem Serviertablett fühle. Und ... tja...“

In einer recht hilflosen Geste packte sie mit den freien Hand die Decke und zog sie ein Stück hinauf, um ihm zu zeigen, was sie meinte. Allerdings wollte sie bei seinem interessierten Gesichtsausdruck doch verbal noch etwas nachhelfen.

„Im Moment trage ich nur das Handtuch und diese Decke...“

Ihr Lächeln war sanft und sie hob die Augenbrauen, während sie abwartete, ob Ryon verstand, was die Schuppen verursacht hatte. Paige nahm an, dass er bloß selbst noch nicht daran gedacht hatte, weil er sie mit Feuer überzogen schon ein paar Mal nackt gesehen hatte.
 

Erst als er ihrer Bewegung folgte, wie sie sich noch mehr in die Decke hüllte, verstand er, was Paige ihm sagen wollte.

Offenbar schämte sie sich dafür, nur mit zwei Stofflagen bekleidet vor ihm zu sitzen, die man nicht mal als Kleidung bezeichnen konnte. Wie gut er dieses Schamgefühl nachempfinden konnte, würde sie ihm wohl niemals glauben. Allerdings musste es, wenn man es im rechten Licht bedachte, noch schlimmer für sie sein. Immerhin konnte sie anhand ihrer Lage, ihrem sauberen Zustand und den fehlenden Kleidungsstücken erraten, wie es zu alldem gekommen war.

Ryon senkte den Blick.

„Ich verstehe.“

Das tat er wirklich und zugleich verspürte er so etwas wie ein bisschen Neid, über ihre Fähigkeit, sich selbst im nackten Zustand noch bedecken zu können. Er konnte das nicht. Entweder trug er Fell oder Kleidung. Alles dazwischen war für ihn etwas sehr Persönliches. Weshalb er Paiges Empfindungen nur zu gut nachfühlen konnte.

Wieder sah er sie an, mit einem ruhigen Ausdruck in den Augen. Ihr Lächeln konnte er nicht erwidern. Das war noch viel zu schwierig.

„Ich weiß, diese Bitte ist völlig sinnlos, aber mach dir deswegen keine allzu großen Gedanken. Ich wollte dein Schamgefühl nicht verletzen. Aber es war besser, als die Alternative.“

Mehr konnte er dazu nicht sagen. Er wollte ihr nicht die Wahrheit darüber erzählen, was nach ihrer Bewusstlosigkeit alles vorgefallen war. Weder über die vielen toten Schuppen in der Wanne, den ganzen Schmutz, die panischen Ängste, das Entsetzen oder gar ihrem Herzstillstand.

Außerdem, selbst wenn er versucht hätte, sich an deutliche Details ihres nackten Körpers zu erinnern, alles drum herum war so entsetzlich gewesen, dass er sich nicht darauf hatte konzentrieren können.

Es war eine Sache, einen Körper in Ruhe und mit Hingabe betrachten zu können und eine vollkommen andere, dabei durch eine Notlage abgelenkt zu werden und ständig den Tod im Nacken sitzen zu haben. Zu dem Zeitpunkt war das keine nackte, weibliche Haut, sondern lediglich ein sachlich betrachteter Körper. Punkt.

„Ich finde, du solltest etwas essen.“, wechselte er schließlich das Thema und hielt ihr ein Sandwich hin, ohne dabei ihre andere Hand los zu lassen, die immer noch mit einander verschlungen waren. Unbewusst streichelte sein Daumen über ihre Haut, als hätte dieser ein Eigenleben entwickelt. Dabei war das für seine Rasse im Grunde nur natürlich. Berührungen waren zu großen Teilen dazu gedacht, ihr Temperament zu zügeln, da Gestaltwandler nur zu gerne zu Gefühlsausbrüchen neigten. Ryon zählte sich selbst zwar nicht unbedingt dazu, aber das änderte nichts an der lindernden Wirkung auf ihn.
 

Ruhig sah sie Ryon beim Denken zu. Nicht nur nachdem er ihr versichert hatte, er habe ihr nicht zu nahe treten wollen, sah man ihm an, dass er lieber vergessen würde, was er gesehen hatte. Da sie selbst keine Ahnung hatte, was passiert war, konnte sie nur auf den Nachhall dessen hören, was sich nach ihrem inneren Kampf abgespielt hatte. Der Schmerz an ihren Rippen und die Tatsache, dass sie vollkommen sauber war. Keine Spur einer verbrannten grünen Schuppe an ihr. Zumindest in so weit sie das selbst überblicken konnte. Bis jetzt war immerhin noch keine Zeit gewesen, ihren Körper ausführlich in Augenschein zu nehmen.

Als sie sich ein wenig anders hinsetzten wollte, sagte ihr der Druckschmerz auf ihrer Hüfte und am Rücken auf sehr verständliche Weise, dass es vielleicht auch besser so war. Den Anblick konnte sie sich gut und gerne noch eine Weile ersparen.

Mit einem Lächeln fügte sie innerlich hinzu: Auf jeden Fall so lange, wie Ryons Hand, die ihre hielt, sie daran hindern würde, aufzustehen.

Mit der freien Hand nahm sie das Sandwich entgegen und sah es sich an. Noch nie war sie ein sonderlich großer Fan von diesen fertig abgepackten belegten Broten gewesen, aber jetzt knurrte ihr Magen vor Begeisterung und Erwartung des ersten Bissens.

Aber bevor sie dem nachgab, hatte sie noch etwas viel Wichtigeres zu tun.

Ryons Daumen, der sie unablässig gestreichelt hatte, hielt inne, als Paige seine Hand ein wenig drückte. Er schien an ihrem Blick sofort zu erkennen, dass sie etwas Bedeutendes sagen wollte.

Während sie sein Gesicht betrachtete, ihre Augen sich auf seine schmalen Lippen legten und sich ihre Finger unwillkürlich noch eine Spur fester um seine legten, wünschte Paige sehr, dass sie den Mut aufbringen würde, sich anders zu bedanken. Wie gebannt musste sie ihren Blick von seinen Lippen losreißen, um ihm in die nicht weniger hypnotischen Augen zu sehen.

„Vielen Dank. Ich vermute, dass du mir mal wieder das Leben gerettet hast. Aber auf jeden Fall meine Haut...“, versuchte sie zu scherzen. Aber selbst Paige brachte kein Lächeln zustande, sondern sah Ryon nur weiterhin einfach an.

„Ich danke dir. Ohne dich hätte ich es auf keinen Fall geschafft.“

Jetzt!

Der Moment, in dem sie sich hätte vorlehnen und ihn küssen können, verstrich. Warum es so war, konnte sich Paige nicht erklären. Ihr fehlte einfach der Mut dazu, denn die Situation war so anders, als vorhin. Da hatte sie in seinen Armen gelegen und er hatte sich um sie gesorgt. Paige wollte nicht glauben, dass das der einzige Grund gewesen war, aber ein einzelnes Wort leuchtete so hell in ihrem Kopf, dass sie den Blick lieber auf ihr Sandwich senkte und vorsichtig hinein biss.
 

Spannung lag in der Luft und zwar eine von der Sorte, die kurz vor einem Sommergewitter herrschte. Der Himmel verdunkelte sich, ein Elektrisieren prickelte förmlich auf jeder Oberfläche und jeden Moment könnte das Naturschauspiel in seiner vollen Pracht beginnen.

Nur dass es dieses Mal nicht dazu kam.

In der Erwartung, Paige würde gleich ein wichtiges oder schwieriges Thema beginnen, da sie seine Hand auf eine Weise drückte, die irgendwie als Vorbereitung für etwas zu dienen schien, hatten seine Gedanken zu rasen begonnen. Genauso wie sein Puls, als er sich ihres Blickes an seinen Lippen bewusst wurde. Sie hatte nichts gesagt oder getan, aber dieser eine Blick, war ein Beweis für ihn, dass sie den Kuss nicht mit vollkommenem Desinteresse hingenommen hatte. Sonst würde es sie nicht beschäftigen. Zumindest war das seine Vermutung.

Als sie ihm dann allerdings in die Augen sah und sich bei ihm bedankte, war er irgendwie… Nun nicht enttäuscht, sondern eher … unbefriedigt.

Diese Spannung war stärker geworden, als läge da etwas zwischen ihnen, das keiner so recht beim Namen nennen konnte, dennoch deutlich spürbar war und anstatt mit ihren Worten diese aufgeladene Atmosphäre zu lösen, wie es eigentlich sein sollte, wurde es nur noch heftiger. Als würde sich ein Orkan zusammen brauen.

In dem Moment, wo der erste Blitz den Horizont erleuchten hätte müssen, senkte Paige den Blick und biss in ihr Sandwich.

Ryon sah sie an. Wortlos und mit einem plötzlich aufflammenden Hunger, der garantiert nichts mit seinem knurrenden Magen zu tun hatte, sondern viel tiefer saß. Ein Hunger nach jenem Gefühl, das diese flüchtige Berührung ihrer beiden Lippen in ihm ausgelöst hatte. Hunger nach noch viel mehr der schlichten Berührungen, wie sie zwischen ihren Händen herrschte.

Mit einem Mal empfand Ryon die Einsamkeit in seinem Leben als solch erdrückende Last, dass er bereit wäre, auf den Knien zu rutschen und zu betteln, nur um etwas davon abgeben zu können.

Er hatte Marlene über alles geliebt und würde sie auch immer lieben. Doch die Ressourcen an den Dingen, die er ihr nur allzu gerne und bereitwillig geschenkt hatte, waren nun unberührt, angefüllt bis obenhin, ohne einen Nutzen zu erfüllen. Er quoll förmlich über davon, was die Einsamkeit am Ende nur noch unerträglicher machte.

Erst als er Paiges Lippen geküsst hatte, war ihm erst die Tragweite dieser Tragödie bewusst geworden. Nichts zu bekommen, war absolut nichts im Vergleich zu dem Gefühl, nichts mehr geben zu können. Diese Erkenntnis traf ihn tief.

„Bis auf die Nummer in der Wanne, würde ich es wieder tun.“

Paiges Dank anzunehmen war schwer, weil er nicht das Gefühl hatte, es wäre nötig.

Selbstverständlich hatte er für sie getan, was er konnte. Es war irgendwie nur natürlich. Sie hatte auch ihn auf ihre Weise gerettet. Mehr, als sie ahnen konnte. Und so wie die Dinge lagen, schien diese Rettungsaktion lange noch nicht vorbei zu sein.

Ryon ließ ihre Hand los, um wieder nach seinem Tee zu greifen. Er brauchte jetzt etwas, um seine trockene Kehle zu befeuchten, auch wenn er dafür das Gefühl ihrer Haut aufgeben musste.

Doch er hatte nicht alles verloren, was er auch dadurch unterstrich, dass er seinen Arm auf Paiges Beine quer über seinen Schoß legte und durch den Stoff der Decke hindurch, ihre Konturen fühlen konnte. Das musste einfach genügen. Was er kriegen konnte, würde er nehmen. Mehr durfte er sich nicht erbitten. Denn obwohl er es doch immer noch anders sah, so hatte ihm das Schicksal schon sehr viel Glück bereitet. Nicht jedem Gestaltwandlermann war es im Leben vergönnt, eine Gefährtin für sich zu finden. Es sogar zweimal zu erleben, war wohl daher ein Ding der Unmöglichkeit. Doch wenn es jemanden gebe, den er dafür in Betracht ziehen würde, dann wäre es Paige und zwar nur sie alleine.

Er seufzte innerlich, während er auf das Muster von Paiges Decke starrte, die ihre Beine auf seinem Schoß verhüllte.

„Ich will dir noch keine zu großen Bewegungen zumuten, also wenn du dich vorerst mit einem Bademantel zufrieden geben möchtest, müsstest du zumindest nicht ohne irgendetwas herum sitzen.“

Denn er nahm nicht an, dass er ihr beim Ankleiden helfen sollte. Höchstens vielleicht, wenn sie in ihrer dämonischen Form war.
 

Das Brot in Paiges Mund schien beim Kauen nicht weniger, sondern mehr zu werden. Als würde es nicht nur wie Gummi aussehen, sondern vielmehr daraus zu bestehen. Dabei war das Sandwich gar nicht schlecht. Belegt mit Pute und Ruccola-Blättern hatte es einen interessanten Geschmack. Aber Paige kam es im Moment so vor, als könne sie genauso gut auf einem alten Taschentuch herum kauen.

Mit dem wunden Rücken in das Kissen gelehnt, ihre Beine über Ryons Schoß gelegt, passierte Paige etwas, das sie schon ewig nicht mehr erlebt hatte. Sie wurde nervös. An den Stellen, an denen Ryon sie bloß durch die Decke berührte, schien jedes Molekül ihrer Haut vor Freude hüpfen zu wollen. Und dabei musste sie sich auf das Kauen und Schlucken konzentrieren, um nicht wie leicht angeknackst vor sich hin zu grinsen.

Wie kleine Luftblasen in einem Sektglas wollte sich Lachen und glückliches Geplapper einen Weg aus ihr heraus bahnen. Wenn sie nicht weiterhin aufpasste, würde sie vor aufgestautem Herzflattern spätestens dann in Flammen aufgehen, sobald sie nicht mehr widerstehen konnte und Ryon erneut in die goldenen Augen sah. Falls sie nicht vorher explodierte und ihm doch noch ins Gesicht sprang.

Bevor diese Idee erschreckend reale Formen annehmen konnte, unterband Ryon die sich aufbauende Spannung, indem er sie auf eine Möglichkeit hinwies, sich zu bedecken. Völlig unbedarft und immer noch kauend, legte sie die Reste ihres Sandwiches auf dem Nachtkästchen ab und überdachte den Vorschlag. Ein Bademantel wäre eine Möglichkeit. Allerdings würde sie sich darin auch nicht wesentlich angezogener fühlen, als mit dem Handtuch, das im Moment um ihren Körper gewickelt war.

„Ich stecke in einer Zwickmühle“, gab sie mit lächelnden Augen zu, die richtig vermuten ließen, dass es sich um nichts allzu Dramatisches handeln konnte.

„Du hast mir verboten irgendetwas selbst zu holen. Und ich will meinem Pfleger bestimmt nicht widersprechen.“

Vorsichtig lehnte sie sich ein Stück vor, um sehen zu können, wie weit der Weg bis zu ihrem Koffer und dann ins Badezimmer war. Das Ziehen in jedem kleinen Muskel war eigentlich Zeichen genug, um es bleiben zu lassen.

„Aber ich würde mir gern was Richtiges anziehen. Naja, richtig im Sinne von meinem Schlaf-T-Shirt und Unterwäsche.“

Das würde schon gehen. Mit Bedacht und sehr vorsichtig zog Paige ihre Beine an, überprüfte mit ihren Händen den Sitz des Handtuchs um ihren Körper und schob dann die Decken etwas herunter. Ryons Blick hielt sie allerdings für einen langen Moment fest und brachte sie dazu mit ihrer freien Hand sein Knie unter der Decke zu drücken.

„Außerdem muss ich kurz da hin, wo auch der Papst allein hin geht. Also entschuldige mich, ok?“

Nur eine Tür würde sie trennen. Und selbst die würde sie nicht absperren. Denn wenn sie ehrlich war, hatte Paige angesichts ihres pochenden Rückens und der stechenden Schmerzen, die in ihrem Magen sofort einsetzten, als sie versuchte aufzustehen, bestimmt mehr Angst als Ryon, dass sie nicht lange durchhalten würde.
 

Er wollte ohnehin protestieren, da ihm sofort ihre unzähligen Blessuren in den Sinn kamen, als sie ans Aufstehen dachte. Denn auch wenn er nicht unbedingt auf die Vorzüge von Paiges Körper in nacktem Zustand geachtet hatte, so waren ihm doch die vielen blauen Flecken förmlich auf der Netzhaut eingebrannt. Auch die Druckstellen und Kratzer, für die er persönlich verantwortlich war.

Als er sah, wie sie sich aufmühte, machte es in Ryon klick und er kam schneller in die Gänge, als ein Geliebter der den Ehemann seiner Angebeteten herein kommen hörte.

Vorsichtig und doch entschieden ergriff er Paiges Taille und zog sie auf seinen Schoß zurück, so dass sie auf ihm saß. Danach schlang er einen Arm um ihren Rücken und legten den anderen wie schon gewohnt unter ihre Kniekehlen. Allerdings machte er keine Anstalten, sich mit ihr zusammen zu erheben. Dafür sah er ihr eindringlich in die Augen.

„Was dein Pfleger sagt, ist Gesetz. Also wenn du keinen Ärger mit mir bekommen willst, dann solltest du die Möglichkeit von einem Kompromiss in Betracht ziehen und zwar einen, mit dem ich einverstanden bin.“

Jetzt erhob er sich, mit ihr im Arm und ging zu ihrem Koffer, nur um dort wieder in die Knie zu gehen, damit sie ihn erreichen konnte. Immerhin wollte sie sich ja die Sachen zum Anziehen mitnehmen.

„Der Papst kann machen was er will, immerhin bin ich nicht katholisch und der Kerl ist mir absolut egal. Aber du wirst solange das persönliche Pflegertaxi in Anspruch nehmen, bis du mindestens eine Minute lang auf einem Bein balancieren kannst.“, fuhr er ungerührt fort, da er sich in diesem Punkt sicherlich nicht erweichen ließ.

„Ich setz dich an deiner Haltestelle aus und hol dich dann auch wieder ab. Was du dort machst ist deine Sache. Also mach dir keinen Kopf deswegen, ich werde hinter der geschlossenen Tür warten.“
 

Dass sich tragen lassen körperlich so unangenehm sein könnte, hätte Paige niemals vermutet. Ihre Arme um Ryons Hals zu schlingen wäre wegen der Möglichkeit zu fallen nicht nötig gewesen. Aber Paige musste sich wohl oder übel ein wenig aus seinen Armen hoch ziehen, damit ihr Gewicht nicht genau an der Stelle auf seinem Arm ruhte, an der sie sich das Schulterblatt blau geschlagen hatte.

Beim Koffer angekommen, dachte Paige gar nicht daran zu widersprechen, sondern suchte in ihren Sachen ihr hellblaues, leicht knittriges T-Shirt in Größe XL und einen Slip heraus und legte sich beides auf den Bauch.

Es war gar nicht ihre Art, aber weil die Situation sie eindeutig dazu zwang, würde sie sich herumtragen lassen. Zumal Ryon sie wahrscheinlich sogar auf einem seiner muskulösen Arme hätte balancieren können, wenn er es für richtig erachtet hätte. Hatte er nicht schon einmal gedroht, sie am ausgestreckten Arm verhungern oder einfach in den Abgrund fallen zu lassen?

Ungläubig darüber, dass sie beide noch die Gleichen sein sollten wie damals, als sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen wollten, starrte sie Ryon einen Moment wortlos ins Gesicht. Auch das Wort 'seltsam' schien nicht mehr passen zu wollen – dabei war es vor einigen Wochen noch das Einzige gewesen, mit dem sie Ryon betiteln konnte. Jetzt fiel ihr gar nichts mehr dazu ein. Aber das schien im Moment auch nicht nötig.

Stattdessen lächelte sie ihn an.

„Ok, kann losgehen.“

Er trug sie sanft das kurze Stück zu dem kleinen Badezimmer und stellte sie dort wie eine zerbrechliche Kristallfigur auf dem Fliesenboden ab. Mit argwöhnischen Augen kontrollierte er, ob sie auch tatsächlich allein stehen konnte, bevor sie ihn mit einem Wink aus dem Zimmer befahl.

„Geh schon. Es ist allmählich wirklich dringend.“

War es nicht. Aber hätte er gesehen, wie Paige keine Sekunde später, als die Tür geschlossen war, in die Knie knickte und sich nur durch den Halt am Waschbecken von einem Sturz fangen konnte, er hätte sie wahrscheinlich heute keinen Moment mehr aus den Augen gelassen.

Mit zusammen gebissenen Zähnen zog sich Paige am Waschbecken hoch und stützte ihren linken Fuß lediglich auf den Ballen auf. Anscheinend hatte der bereits angeschlagene Knöchel bei der zweiten Aktion in der Badewanne erneut etwas abbekommen.

Leicht strich Paige mit den Fingerkuppen über ein paar rote Kratzer auf ihrer Haut und sah dann das Holz der Tür an, hinter der Ryon bestimmt Wachposten bezogen hatte.

„Verstehe...“, hauchte sie leise, als der Satz von vorhin erst jetzt Sinn für sie bekam. Sie wussten beide, dass es die einzige Möglichkeit gewesen war. Aber dennoch war es bestimmt schrecklich gewesen, ihren krampfenden Körper unter Wasser zu drücken.

Einen tiefen Atemzug nahm Paige zur Stärkung, bevor sie das Handtuch achtlos von ihrem Körper fallen ließ und zur Toilette hinüber humpelte. Im Sitzen war das mit dem Anziehen sicher auch viel leichter.



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