Zum Inhalt der Seite

Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

36. Kapitel

Als Ryon die Tür hinter sich geschlossen hatte und sie seine Schritte auf dem Gang draußen nicht mehr hören konnte, sprang Paige – zumindest für ihre derzeitigen Verhältnisse – aus dem Bett.

Eins der großformatigen Fotos blieb an ihrer nackten Fußsohle kleben und wurde mitgeschleift, bis sie das Bad erreicht hatte.

Schon bei Ryons letzten Sätzen, seiner kurzen Verabschiedung, hatte sie so gut schauspielern müssen, wie nie zuvor in ihrem Leben.

Es war wieder da.

An der Innenseite ihres Oberschenkels hatte es angefangen. Ein leichtes Pochen zuerst, das eigentlich nur dazu führte, dass Paige sich an der Stelle kratzen wollte. Als sie aber spürte, dass sich etwas unter ihrer Haut bewegte, sich kriechend ihr Bein hinunter bewegte, wollte sie am liebsten panisch um sich schlagen.

Oder das Ding einfach aus sich rausholen.

Zitternd stand sie im Bad auf den stabilen Fliesen und sah an sich hinunter. Ihr Bein schien ihr kaum noch Halt zu geben, wurden ihre Muskeln doch von dem egelartigen Ding vollkommen willkürlich zusammengedrückt und wieder gedehnt. Ein Keuchen entrang sich ihr, als sie endlich den Schock ein wenig überwunden hatte und erneut anfing zu atmen.

„Raus. Raus aus mir!“

Ihr Bein stand lichterloh in Flammen, bevor sie überhaupt realisierte, was sie tat. Ein hohes Zischen war zu hören und zu Paiges Überraschung ließ das Jucken zwar nicht nach, aber die grünen, sonst so stabilen Schuppen auf ihrer Haut, schienen schwarz anzulaufen.

„Aber das kann doch nicht...“

Wie hypnotisiert beugte sie sich nach unten, umfasste eine der Schuppen mit ihren Krallen und zog daran.
 

Exakt neunzehn Minuten und zweiundzwanzig Sekunden später schlüpfte er auch schon wieder mit einer großen Termoskanne voll heißem Wasser, Teebecher und einer Einkaufstüte, die wesentlich mehr als nur Tee enthielt, in Paiges Zimmer zurück.

Zu gehen, um die Sachen zu besorgen, war sehr schwer gewesen. Auch wenn man ihm das vermutlich kaum glauben würde. Aber nicht umsonst war er leicht außer Atem, als er die Sachen abstellte und zu ihrem Bett hinüber ging.

Die ständige Panik, etwas könnte mit Paige passieren, während er gerade in der Schlange an eine der Kassen anstand, hatte ihn enorm angetrieben.

Sie nun aber wieder zu sehen, beruhigte ihn umgehend. Selbst wenn ihre Körperfarbe größtenteils eher einem Oger glich als einem Menschen.

Als er wieder so neben ihrem Bett kniete, da darauf einfach kaum Platz für ihn selbst gewesen wäre - außerdem war es nicht wirklich anständig - holte er ein paar Mal tief Luft, bis er sich wieder gefangen hatte. Sein Haar war vom Nieselregen draußen noch immer leicht feucht und er machte einen etwas zerzausten Eindruck. Aber das störte ihn im Augenblick nur wenig.

Während er weg gewesen war, hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie er Paige am besten helfen konnte. Als er in Ägypten so krank gewesen war, schien sie wenigstens gewusst zu haben, was sie dagegen tun konnte, er stand hier aber vor einem vollkommenen Rätsel.

„Einmal von einer Teegesellschaft abgesehen, hilft dir sonst noch etwas? Wie sieht es mit Essen aus, kriegst du etwas hinunter, oder wäre das eher fatal? Und was ist mit der Temperatur. Ist dir zu kalt, zu heiß?“

An seinem fast schon plappernden Tonfall konnte man nur zu deutlich erkennen, wie aufgewühlt er war. Etwas, an das man sich bei ihm wohl erst noch gewöhnen musste. Ganz davon abgesehen, dass Ryon selbst erst wieder damit umzugehen lernen musste. Wenn man nichts oder kaum etwas fühlte, war es leicht, sich zurück zu halten. Wenn man aber nur noch so davon überquoll, wie es bei Gestaltwandlern eigentlich von Natur aus so war, dann war das eine ganz schöne Herausforderung. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Mitmenschen.
 

Inzwischen mit einem schwarzen Trägershirt und einem Slip bekleidet, saß sie wieder im Bett, als Ryon zurück kam. Der Tasche in seiner Hand nach zu urteilen, war er bei seinem kleinen Einkauf außerordentlich erfolgreich gewesen.

Nachdem er sich wieder neben das Bett gekniet hatte, sah sich Paige mit einem Schmunzeln seine Haare an und hörte seinem Wortschwall zu.

Wenn sie sich überhaupt noch über ihn wundern könnte, hätten sich ihre Augen ob seiner Kommunikationswut überrascht geweitet.

Das Wort „süß“ kam ihr in den Sinn, als sie darüber nachdachte, was sie von seinem eigentümlichen Verhalten halten sollte. Statt allerdings weiter darüber zu grübeln, beantwortete sie lieber seine Fragen. Zumindest so weit sie konnte. Denn in ihrer Hand hielt sie etwas, das sie ihm gern zeigen wollte, während ein Schauer ihren Rücken hinunter kroch, als sie in sich hinein fühlte. Es war da. Es wand sich in ihrem Innern und war über ihre Aktion im Bad keinesfalls glücklich. Da sollte es erst warten, was noch alles kommen würde...

„Nein, nichts zu essen, danke.“

Sie sah ihm fest in die Augen. Dem sich schnell verändernden Ausdruck darin, folgte sie mit Interesse. Aber es hielt sie nicht davon ab, weiter zu sprechen, während sie den kleinen Schatz zwischen ihnen hochhielt, damit Ryon ihn betrachten konnte.

„Ich kann sie wegbrennen.“

Der Ausdruck, der sich auf ihrem Gesicht spiegelte, war eindeutig Triumph.
 

Stumm blickte er von dem schwarzen Ding in ihren Händen zu ihrem Gesicht und wieder zurück, bis er schließlich die Hand ausstreckte und es ihr vorsichtig aus den Fingern nahm.

Während er seine Gedanken kreisen ließ, schob er die verbrannte Schuppe auf seiner Handfläche hin und her, hielt sie hoch, drehte sie ein paar Mal herum, ehe er seinen Kopf hob, um Paige anzusehen.

„Ich werte deinen Gesichtsausdruck als ein gutes Zeichen. Aber wenn du sie alle wegbrennen willst, wie wirst du dabei vorgehen und hilft es wirklich, oder nimmst du dabei irgendwie Schaden?“

Er sah etwas hilflos auf die Schuppe hinab.

„Ich meine, ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass diese Seite wirklich zu dir gehört, aber als dir dieser Duftspender deine Schuppen heraus riss, sah das keinesfalls angenehm aus.“

Seine Augen blitzten für einen Moment wütend auf, als er daran dachte.

„Er hat dich verletzt… Kannst du mir garantieren, dass du dich nicht noch schlimmer zurichtest?“, verlangte Ryon zu wissen. Natürlich wäre es ihre Entscheidung und sie kannte sich sicher besser in diesen Dingen aus als er, aber wenn er sich so diese verbrannte Schuppe ansah, dann machte er sich natürlich Sorgen.

„Sag mir einfach, was ich tun kann und erkläre es mir. Ich habe immerhin keine Ahnung, was dich und deine Anatomie angeht.“

Vielleicht würde ihm das etwas von den Bedenken nehmen. Er war noch immer skeptisch. Paige war zwar eine halbe Feuerdämonin und kannte ihre Kräfte, aber das tat er nicht. Es wäre daher leichter, wenn er es verstehen würde.

„Was hat dieses ‚Experiment‘ eigentlich mit dir gemacht? Ich meine, warum hat es dich so … verändert?“

Ryon gab ihr die Schuppe zurück und sah sie fragend an. Er wollte so viel darüber wissen, wie er konnte.
 

Weil Ryon nicht sofort auf ihre tollen Neuigkeiten ansprang, wollte sie schon zu einem Redeschwall ansetzen. Aber sein besorgter Blick auf die angekohlte Schuppe und seine Fragen hielten sie erfolgreich zurück.

Mit nachdenklich gekräuselter Stirn setzte sie sich so hin, dass sie Ryon direkt zugewandt war. Die eine Decke zog sie sich über die Schultern, während sie die Wolldecke dazu benutzte, ihren Körper von der Hüfte abwärts zuzudecken.

Weniger um besser sehen zu können, als aus einer Gewohnheit heraus, strich sie sich die Haare hinters Ohr und drehte das Beweisstück ihres Triumphes zwischen den Fingern.

„Dir zu erklären, was genau das Zeug mit mir macht, geht über meine eigenen Kenntnisse. Mein Vater sagte mir damals nur, dass es die dämonische Seite in mir verstärken und alles Menschliche schwächen würde. Er hat mir eine größere Dosis verpasst, als ich es getan habe. Immerhin wollte er sicher gehen, dass es auch funktioniert.“

Paige sah zwar hoch, aber ihr Blick war an Ryons Ohr vorbei in die Ferne gerichtet. An einen Ort, von dem sie nie gedacht hatte, dass sie ihn – selbst gedanklich – je wieder betreten würde.

„Wenn ich mich richtig erinnere, hat er versucht mich völlig umzudrehen. Die Substanz in der Spritze vermengt sich mit meinem Blut und wird erst in meinem Körper zu dem, was mir wirklich schaden kann. Es...“

Nun sah sie tatsächlich für eine Sekunde in Ryons Gesicht. Nicht direkt in seine strahlend goldenen Augen, denn das wagte sie nicht. Stattdessen senkte sie ihre Augen wieder auf ihre Handfläche und sprach so leise weiter, dass ihre Stimme zu brechen drohte.

„Es frisst an mir. In kleinen Dosen ist es dafür gut meine angeborenen Schwächen zu kaschieren. Ich kühle nicht so schnell aus und kann mein Feuer länger am Leben halten...“

Mit zitternden Fingern zog sie ein wenig an der Wolldecke. Nur ein Stück ihres Knies musste sie freilegen, damit er sehen konnte, dass sich etwas in ihr bewegte.

„Nach einer Weile ist es abgestorben. Damals hat es länger gedauert als in Paris. Aber noch nie so lange wie jetzt.“

Sie sah ihn flehend an. Dabei konnte auch Ryon nicht viel tun, um ihr dabei zu helfen, das Ding aus ihrem Körper zu kriegen.

„Ich weiß, dass meine wahre dämonische Seite unter diesen grässlichen grünen Platten immer noch da ist. Wenn ich es schaffe, all die neuen Schuppen weg zu brennen, dann wird sicher auch die Substanz schneller verschwinden.“

Dass das mit Schmerzen einher gehen würde, hatte sie in dem gleichen Maße akzeptiert, wie die Tatsache, dass sie genau das Ryon verschwieg.

„Um nicht das ganze Hotel in einen Aschehaufen zu verwandeln, fällt mir nur eine Lösung ein.“

Zurück in die Badewanne. Ihr Feuer würde unter Wasser nur zwischen den beiden Schuppenschichten brennen und dann sang und klanglos in Hitze verpuffen.

„Solange du mir versprichst dich selbst nicht zu gefährden, könntest du mir helfen.“

Bei ihrem 'Experiment' hatte sie sich hauptsächlich dadurch Blutergüsse und Schürfwunden zugezogen, dass sie sich selbst nicht festhalten konnte. Die Krämpfe und die Gegenwehr ihres Körpers, wie auch der Substanz hatten sie zu sehr mitgenommen.

Aber er konnte.

Ryon war stark genug sie unter Wasser festzuhalten, bis es vorbei war.

„Ich weiß, dass es viel verlangt ist.“, sagte sie leise, aber mit vollkommen ruhiger Stimme.

„Du kannst nein sagen. Aber... ich wäre dir sehr dankbar.“
 

Paris? Sie hatte das Zeug schon einmal in Paris verwendet?

Plötzlich ging Ryon ein Licht auf. Natürlich, damals als sie zum zweiten Mal die Tunnel betreten hatten, um in die Unterwelt zu kommen. Da hatte er doch an ihr einen schwachen Geruch wahrnehmen können, den er zu dem Zeitpunkt nicht verstand. Jetzt war ihm klar, was ihn verursacht hatte. Immerhin erfüllte der gleiche Geruch, mit deutlich mehr Intensität den ganzen Raum.

Es war nicht gerade leicht, akzeptieren zu müssen, dass Ryon langsam aber sicher immer mehr Aspekte in Paiges Leben kennen lernte, die ihn zugleich schockierten und traurig stimmten. Tatsächlich hatte er keine Ahnung gehabt, was sich alles hinter diesen dunklen Augen verbarg und noch immer schien da so viel zu sein, von dem er nichts wusste. Aber da er nun hier war, hörte, wie es ihr schwer fiel, ihn überhaupt um etwas zu bitten, da wusste er, dass er mehr von ihr wissen wollte. Sehr viel mehr und dass, egal was es ihn kosten würde, er ihr helfen musste. Sein Gefühl verlangte es von ihm.

Die Augen auf ihr Knie gerichtet, wo etwas sich wand und schlängelte, das definitiv nicht zu ihr gehörte, fasste er seinen Entschluss. Selbstverständlich würde er ihr helfen, dieses Ding wieder los zu werden. Allerdings nicht etwa, weil er ihr einiges schuldete, sondern weil er es wollte.

„Ich versteh das Ganze zwar noch immer nicht vollkommen, aber…“, begann er mit einem leichten Zittern in der Stimme, ehe er den Kopf hob, um ihr fest in die Augen zu blicken.

„Sag mir, was ich tun soll, um dir zu helfen.“

Zwar hatte er keine Ahnung, was sie von ihm verlangen würde, doch sein Blick zeigte Entschlossenheit. Selbst wenn er es bereuen würde, er würde nicht kneifen. Immerhin könnte er Paige ein Leben in dieser Form nicht antun, wenn es sich verhindern ließ.
 

Paige krallte ihre langen Fingernägel in den Kragen des Bademantels, den sie sich beim Aufstehen übergezogen hatte. Bereits als Ryon ihr zugesagt hatte, dass er ihr helfen würde, hatte ihr die Entscheidung wie ein Klotz Beton im Magen gelegen. Denn an eins hatte sie bei ihrer Bitte nicht gedacht. Oder es zumindest nicht in dem Maße realisiert, in dem sie es in diesem Moment im Badezimmer tat.

Sie standen nebeneinander vor der Badewanne, als wäre sie ein Wunschbrunnen und sie hätten beide nur noch eine Münze und müssten sich für den besten Wunsch entscheiden.

Wäre es tatsächlich so gewesen, hätte Paige ihren Wunsch jedoch sofort formulieren können. Sie wollte das nicht tun müssen. Schon mit der winzigen Dosis in Paris war es schwierig gewesen – und es hatte weh getan.

Und wenn man ihrem rasenden Puls glauben wollte, ihrer Nasenspitze, die ihren Blick nach unten zog und eben nicht zu dem Mann, der neben ihr stand wie eine Marmorstatue, dann würde das hier schwerer werden, als sie angenommen hatte. Und das lag nicht daran, dass ihr Plan nicht aufgehen könnte. Paige zweifelte mit keiner Faser ihres Gehirns an der Möglichkeit auch unter Wasser genug Flammen zu erzeugen, damit es funktionierte. Immerhin würde alles wirklich Wichtige unter ihrer Haut stattfinden.

Haut, die Ryon sehen würde.

Ein Kloß so groß und rau wie ein Steinbrocken bildete sich in Paiges Hals und ließ sich auch mit größter Mühe nicht hinunter schlucken. Ja, sie hatte sich etwas übergezogen. Und wenn es so laufen sollte, wie sie es annahm, würde er so beschäftigt sein, dass er nicht einmal daran dachte, sie anzustarren...

Ein Rasseln, das sich ihre linke Körperhälfte hinunter zog, riss sie derart nachdrücklich aus ihren Gedanken, dass sie in einer entschlossenen Bewegung den Gürtel des Bademantels öffnete und ihn zu ihren Füßen auf den Boden fallen ließ.

Das Wasser fühlte sich so an, als würden winzige Eiskristalle sich zwischen den Schuppen in ihre Haut bohren. Paige zog zischend die Luft ein und sah mit aufeinander gepressten Lippen ihre Füße an, die zuvor die stille Oberfläche kurz aufgewühlt hatten, als sie in die Wanne gestiegen war.

Zuerst tat sich nichts. Paige starrte ihre Zehen an, die sich an den Stellen, die bereits menschliche Haut zeigten von Purpur zu weiß wechselten. Es war verdammt anstrengend in dieser Kälte eine Flamme unter ihrer Haut zu entzünden. Aber ein einziger Blick auf ihr Knie reichte aus, um genug Wut in ihr zu entfachen.

Paiges kurzes Lachen zitterte mit ihrem Körper um die Wette, als sich die Schuppen auf ihrem Fuß zuerst aufstellten, unhörbar klapperten, sich aufbäumten und schließlich ihre Farbe von einem zufrieden stellenden Schwarz überzogen wurde. Mit einem triumphierenden und dennoch sehr blassen Grinsen sah Paige Ryon an.

„Es klappt.“, sagte sie kurz angebunden. Bei mehr Worten wären ihr die eigenen klappernden Zähne wahrscheinlich im Weg gewesen.

Für mehr als nur einen Augenblick war Paige irritiert so etwas wie Unentschlossenheit und Sorge in Ryons Gesicht lesen zu können. Es war schnell wieder verschwunden, als sein Blick ihren fand, aber dennoch war es deutlich da gewesen.

Wenn das hier überstanden war, würde er hoffentlich damit rausrücken, was in der Zwischenzeit passiert war. Dass es nachdrücklich und folgenreich gewesen war, konnte sie ohne Zweifel sehen.

Da sie aber keine Zeit hatte sich jetzt damit auseinander zu setzen, ließ sich Paige schnell bis zum Hals ins kalte Wasser gleiten. Sie sah zu Ryon auf, der trotz seiner knienden Haltung, die er sehr schnell eingenommen hatte, mit seiner Größe noch immer über ihr lehnte.

„Gib mir deine Hand.“

Warum sie so sanft mit ihm sprach, als müsse es eine echte Überwindung für ihn sein, wusste sie nicht genau. So gut es ging hatte sie die Schuppen an den Stellen zurück gezogen, die er berühren würde. Er würde sich also bei der ganzen Sache bestimmt nicht verletzen. Zumindest nicht, solange er sich an den Plan hielt.

Vorsichtig, um ihn mit den scharfen Kanten der grünen Panzerung nicht aufzuritzen, nahm sie seine Hand und legte sie flach genau zwischen ihre Schlüsselbeine. Selbst im Wasser fühlte sich Ryons Haut noch warm an.

„Es wird vermutlich nur kurz dauern, bis das Ding mitbekommt, was passiert.“, setzte sie an und versuchte sich an Ryons Augen festzuhalten. Das erste Mal, seit sie ihn kannte, funktionierte es. Da waren nicht nur tote Pupillen, die eisig auf sie herab sahen und er war nicht der Eisklotz, der mechanisch tun würde, was sie sagte. Er würde es tun, weil sie ihn gebeten hatte. Es ließ sie ruhiger und zuversichtlicher werden.

„Ich werde wissen, wann ich ganz unter Wasser rutschen muss. Du brauchst nichts Anderes zu tun, als mich so gut es geht festzuhalten.“

Keinen winzigen Moment brach sie den Blickkontakt ab. Selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre sie dazu nicht im Stande gewesen.

„Solange nicht der Großteil des Fremdkörpers verschwunden ist ... lass mich nicht los.“

Sie meinte es todernst. Paige würde den Kampf nur aufnehmen, weil sie vorhatte zu gewinnen.

„Bereit?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss Paige die Augen und legte ihren Kopf am Badewannenrand ab. Sie horchte in ihren Körper hinein, um zu wissen, wo sie am besten anfangen sollte. Wäre die Gewissheit nicht gewesen, dass ihre eigenen Schuppen noch da waren, dass sie unter dieser grässlichen Schale noch die Selbe war, sie hätte nie den Mut gehabt.

Wieder regte es sich zuerst in ihrem Oberschenkel. Die Haut wollte sich aufblähen, die Schuppen sich aufstellen und ihre Muskeln sich verkrampfen, aber Paige war schneller. Unter ihren geschlossenen Augenlidern konnte sie die Hitze wie einen hellweißen Punkt sehen, die sie an der richtigen Stelle zu erzeugen versuchte.

Das Ding zog sich zurück. Weiter ihren Oberschenkel hinauf über ihre Hüfte.

Wenn es ihren Bauchraum erreichte, wo es sich mit all seinen abgespaltenen Partikeln zusammen rotten konnte, hatte Paige wenig Chancen.

Um Ryon zu zeigen, was sie tun würde, legte sie lediglich ihre Hand auf seine und atmete so tief ein, wie sie konnte.

Kein Blick, kein Zögern.

Sobald das Wasser ihr Gesicht bedeckte, ließ sie Ryons Finger wieder los und drückte ihre Handflächen gegen die Wände der Wanne, wie sie es schon zwei Nächte zuvor getan hatte.

Selbst für einen weiteren ruhigen Atemzug hätte die Zeit nicht gereicht. Ein Stich wie mit einem brennenden Eisen ging durch ihren Magen und ließ Paige sich vor Schmerzen zusammen krümmen. Luftblasen quollen aus ihrem Mund, als sie kurz aufschrie.

Der Druck auf ihrer Brust, dort wo Ryons Hand sie herunter drücken sollte, ließ nach. Paige griff sich sein Handgelenk und hinderte ihn so daran seinen Arm ganz aus dem Wasser zu ziehen.

Sie öffnete die Augen und sah ihn an.

Durch das Wasser, das sie einschloss, konnte sie ihn nur schemenhaft erkennen. Eine große Silhouette, die sich über sie beugte und wegen der Bewegungen auf der Oberfläche zu zittern schien. Oder war es nur allein das Wasser, das diesen Eindruck vermittelte?

Ein weiterer Schnitt in ihrer Magengegend und sie ergriff Ryons Handgelenk so fest, dass sie ihn bestimmt unabsichtlich gekratzt hatte. Im nächsten Moment landete sie mit dem Rücken flach auf dem Boden der Wanne.

Paige bekam keinen Augenblick Gelegenheit darüber nachzudenken, was alles passieren konnte. Ertrinken war ihr kleinstes Problem, denn der erste ernsthafte Muskelkrampf bog ihr in der nächsten Sekunde das Rückgrad durch und ihre Schuppen sträubten sich so stark, dass sie ihr Shirt aufschnitten.

Gegen die Flammen, die sich in einer geballten Entladung unter den grünen, flächigen Schuppen entlang fraßen, war selbst die emotionale Explosion in Ryons Appartement ein harmloses Lagerfeuer gewesen. Paige legte all ihre Panik, ihre Wut und ihre Verzweiflung in die Hitze, unter der sie ihre eigenen Schuppen spüren konnte. Wie ein vertrautes Kleidungsstück, das man unter einem Stapel alter Lumpen schon ertasten, aber noch nicht heraus ziehen konnte.

Ein Teil des Dings in ihr wand sich wie der Arm eines Tintenfischs ihre Seite entlang nach oben zu ihrer Brust. Paige schrie erneut auf und hätte beinahe unüberlegt tief nach Atem gerungen. Es schien inzwischen überall in und auf ihr zu sein. Je mehr Feuer sie zwischen den beiden dämonischen Schichten erzeugte, desto schlimmer wurden die Schmerzen. Krämpfe schüttelten sie so stark, dass sie sich die Schulterblätter am Boden der Badewanne blau schlug.

Ihre Lungen brannten und trotzdem konnte sie nicht aufhören, gurgelnd gegen den Schmerz anzuschreien. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie in diesem Moment körperlich litt. Ihr eigener Vater hatte dieses Monster eigens für sie geschaffen. Weil er sie für nicht wert hielt, in ihrer Form am Leben zu sein. Paige schrie ihren Hass hinaus, ihre verletzten Gefühle und ihre Verzweiflung darüber, dass sie sich selbst nicht mehr lieben konnte, als es ihr Vater getan hatte. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht war es besser aufzugeben.

Eine schwarze Schuppe bewegte sich träge im Wasser, schaukelte hin und her, bis sich die Verbindung löste und sie in einer sanften Wellenbewegung zur Oberfläche trieb. Sie reihte sich ein in eine schwarze Schicht, die kaum Licht ins Wasser durchschimmern ließ.

Paige fühlte sich friedlich. Ihr Körper schien auf keines ihrer Signale zu reagieren, sondern war taub. Aber das machte nichts. Denn das hieß, es tat ihr auch nichts mehr weh.

Als sie die Augen schloss, rutschte auch ihre Hand ab, die sich bis jetzt noch um das einzig Warme in einem Meer aus Kälte und davon treibenden Schuppen geklammert hatte.

Sie konnte nicht mehr.
 

Das war der härteste Kampf seines Lebens.

Nicht, was den körperlichen Kräfteakt anging, sondern vielmehr die Grausamkeit dabei, die seine neu erwachten Gefühle so entsetzlich folterten, dass er keinen Gedanken daran wagen durfte, sonst würde er zerbrechen.

Paiges Körper vorsätzlich zu verletzten, damit sie sich selbst nicht noch Schlimmeres zufügen konnte, war ein Bruch mit seiner Natur. Zusehen zu müssen, wie sie vor Schmerz schrie und dem Wissen, dass ihr die Luft dabei immer knapper werden würde, war schmerzhafter, als jegliche Verletzung, die man ihm hätte körperlich zufügen können.

Was waren dagegen schon ihre Finger, die sich in seine Hand gruben, bis er blutete? Oder die Schnitte an seiner anderen Hand, die er um ihre Fußgelenke gelegt hatte, da diese sonst unter den starken Krämpfen brutal gegen den Rand der Badewanne geschlagen hätten?

Wüsste Ryon es nicht besser, so hätte er gerade das unbestreitbare Gefühl, Paige in der Badewanne zu ertränken und somit zu ermorden.

Allein ihre Bitte an ihn und der Ausdruck ihrer Augen, hielten ihn davon ab, sie sofort aus dem Wasser zu ziehen. Egal, ob sie danach das ganze Badezimmer ihn inklusive abfackeln würde. Es wäre besser gewesen als diese Tortur.

Doch je wilder sie sich aufbäumte, je lauter ihre gedämpften Schreie durch das Wasser zu ihm vor drangen, umso unnachgiebiger wurde er. Die Grenze, an der sie beide noch hätten zurück können, war überschritten. Sie hatten keine andere Wahl mehr.

Schon bald lösten sich so viele schwarze Schuppen von ihrem Körper, dass er den Kampf in ihrem Inneren nicht mehr mit verfolgen konnte. Viel eher war er damit beschäftigt, nicht selbst auf dem nassen Boden den Halt zu verlieren.

Umso fester drückte er seinen Brustkorb gegen den Rand der Wanne, bis er durchaus nachvollziehen konnte, was für einen Druck seine Hand auf Paiges Oberkörper auslösen musste. Wie groß seine Angst war, ihr dabei etwas zu brechen, konnte man sich kaum vorstellen.

Zum Glück konnte er langsam aber sicher, seine Kraft etwas zurück nehmen, denn ihre Krämpfe wurden schwächer, weniger intensiv, bis sie vollkommen aufhörten und sich eine erdrückende Stille im Badezimmer ausbreitete.

Im selben Moment, als ihre Finger seine Hand los ließen, richtete er sich auf, packte ihre Schultern und zog ihren Oberkörper aus dem Wasser.

Es hätte ihn vermutlich erfreuen müssen, zu sehen, dass ihr Gesicht wieder menschlich war, trotz der schwarzen Schliere auf ihrer Haut, die vom vielen Ruß kamen. Doch das kümmerte ihn im Augenblick so wenig, wie alles andere, das nicht mit ihrer Gesundheit zu tun hatte.

Sie war ohnmächtig geworden, was vermuten ließ, dass sie in der kurzen Zeit, die er gebraucht hatte, um sie wieder an die Luft zu holen, Wasser eingeatmet hatte.

Ryon schlang seinen Arm unter ihre Achseln hindurch und griff mit dem anderen, unter ihre Kniekehlen.

Ihr Körper war eiskalt, als er ihn an sich zog, um Paige aus der Wanne zu holen.

Vorsichtig legte er sie mit dem Rücken auf den durchnässten Badezimmerteppich ab, bog ihr dann den Kopf in den Nacken und hielt sein Ohr an ihren Mund. Sie atmete nicht mehr und ihr Puls war auch so gut, wie kaum noch vorhanden.

Ryon verlor keine Zeit.

Da ihr Oberteil ohnehin völlig zerrissen war, befreite er sie von den Stofffetzen, ging noch einmal sicher, dass ihr Kopf sich in der richtigen Position befand und hielt ihr dann die Nase zu, um sie zu beatmen.
 

Er brauchte drei Herzmassagen und vier Beatmungen, bis ihr Körper endlich krampfhaft zu husten anfing und er sie in die Seitenlage legen konnte, damit sie ihm nicht noch einmal daran erstickte.

Während Paige immer noch von kleineren Hustenanfällen geschüttelt wurde, deckte er sie mit ein paar Handtüchern zu und rieb ihr über den Rücken. Zwar blieb sie auch weiterhin bewusstlos, aber zumindest machte ihr Körper reflexartig das Richtige.

Nachdem er sich mehrmals versichert hatte, dass Puls und Atmung stabil blieben, befreite er die völlig verdreckte Badewanne von den Überresten des Experiments. Ryon warf die ganzen Schuppen einfach in eines der Badetücher, wischte noch mit einem anderen nach, ehe er das Wasser abließ und zusätzlich schruppte, bis die Wanne halbwegs sauber war. Danach ließ er einige Zentimeter lauwarmes Wasser ein.

Inzwischen atmete Paige wieder ruhiger, als er sie von den Handtüchern befreite, um sie erneut in die Wanne zu legen.

Das Wasser fühlte sich für ihn immer noch viel zu kalt an, aber wenn er Paige sofort eine zu hohe Temperatur zumutete, würde das wohl mehr schaden, als nützen. Außerdem, wollte er sie von dem ganzen Dreck befreien, der ihrer Haut anhaftete.

Dazu stützte er vorsichtig ihren Kopf mit der einen Hand. Die andere hielt einen Lufaschwamm zitternd umklammert, mit dem er zuerst ihren Hals reinigte, ihn danach auswusch, dann über ihre Schultern fuhr, ihn wieder auswusch, um sich ihren Armen zu widmen.

Minutenlang gab es nur zwei Gedanken in seinem Kopf. Den Schwamm auswaschen, ihre Haut reinigen. Auswaschen. Reinigen. Auswaschen. Reinigen…

Als Ryon schließlich grob Paiges Haare mit der Brause wusch, war das Wasser, das gurgelnd den Abfluss hinunter lief, vollkommen schwarz.

Dieses Mal ließ er warmes Wasser in die Wanne laufen, bis es Paige bis zu den Schultern ging. Vorsichtig legte er ihren Kopf auf ein zusammen gerolltes Handtuch am Badewannenrand ab, ließ ihre Schultern aber nicht vollkommen los, damit sie nicht hinein rutschte.

Das Drei-Sterne-Hotel bot nicht gerade viel Auswahl, an Badeartikel, doch zumindest war eine Flasche Shampoo und Seife dabei

Ryon nahm die nach Rosen duftende Seife und entfernte noch die letzten hartnäckigen Reste von Schmutz an Paiges Leib, bis sie zu seiner Zufriedenheit vollkommen sauber war und zu dem auch gut duftete.

Ihr die Haare zu waschen, war nicht sehr einfach, aber da er ohnehin keine Gedanken daran verschwendete, was alles schief gehen könnte, gelang ihm das auch schließlich. Nass war er selbst ohnehin schon zu Genüge, das bisschen Extra, machte da auch nichts mehr.

Schließlich, als sogar ihre Wangen eine leicht rosige Farbe angenommen hatten und sie so ruhig aussah, als würde sie lediglich schlafen, zog er sie an sich heran und erhob sich mit ihr.

Im Vorbei gehen griff er nach einem der letzten Badetücher und hüllte Paige darin ein. Ihr Haar hatte er bereits so weit ausgewrungen, dass es nicht mehr tropfnass war und ihr Kopfkissen somit nicht völlig einweichen konnte, als er sie in ihrem Bett ablegte.

Noch einmal ging er sicher, dass ihr nackter Körper es in dem dicken Frottee warm genug hatte, ehe er ihr auch noch die Decke über zog und diese sie kokonartig einhüllte.

Da sie inzwischen wirklich nur noch vor lauter Erschöpfung schlief, dämpfte er das Licht im Raum, ging noch einmal sicher, dass die Tür zu ihrem Zimmer abgeschlossen war, ehe er sich selbst ins Bad begab und sich zum ersten Mal das Chaos richtig ansah, das dort herrschte.

Zuerst einmal warf er alle Schuppenüberreste und völlig unbrauchbar gewordenen Handtücher auf einen Haufen, rollte das Ganze im Badezimmerteppich ein und stopfte es in eine unauffällige Ecke. Er würde die Sachen später wegschmeißen.

Danach zog er sich aus, warf seine schmutzigen Kleider ebenfalls in jene Ecke und glitt dann ins inzwischen stark abgekühlte Badewasser, das er drin gelassen hatte.

Seine Bewegungen waren mechanisch, als er seine eigene Haut von dem ganzen Schmutz befreite, sich die Haare wusch und sich danach tropfend, in die neuen Sachen zwängte, die er sich besorgt hatte.

Das weiße, kurzärmelige Shirt war ihm etwas zu klein, aber zumindest die Jeans passte. Auch wenn es sich neu und nicht gerade angenehm anfühlte, keine Unterwäsche darunter zu tragen. Doch dafür hatte er nun wirklich keine Zeit mehr gehabt.

Zurück bei Paige, schien sie sich überhaupt nicht bewegt zu haben. Sie lag immer noch so da, wie er sie zurück gelassen hatte.

Einen Moment lang, überlegte er, ob er sich um ihre Verletzung an der Seite kümmern sollte, doch sie hatte nach vorsichtigem Säubern nicht so schlimm ausgesehen, weshalb er sich erst später darum kümmern würde.

Vorsichtig, um Paige nicht zu wecken, da sie jede Erholung brauchen konnte, schob er sich neben sie auf die schmale Matratze, fuhr mit einem Arm unter ihren Körper durch und zog sie an sich, damit sie ihm auf der anderen Seite nicht hinunter fiel.

Noch immer in die Decke und das Badetuch gehüllt, veränderte er die Position so lange, bis er mit dem Rücken am Kopfende des Bettes lehnte und Paiges größtenteils auf seiner Brust und dem Bauch lag, während seine Beine sie am Rausfallen hinderten. Genauso wie die Arme, die sich um sie gelegt hatten.

Schließlich, als endlich Ruhe einkehrte, gestattete sich Ryon den Damm brechen zu lassen, der seit Paiges Bitte eine Flut an Gefühlen in ihm aufgestaut hatte.

Sofort begann er heftig zu Beben. Instinktiv drückte er sich näher an Paige heran, damit er sein Gesicht an ihr feuchtes Haar legen konnte.

Er gab keinen Ton von sich, als er die Augen schloss, doch auch so lief ihm ein unablässiger Strom an neuen Gefühlen seine Wangen hinab.

Seine Kehle, seine Augen, sein Herz hatten schon einmal so sehr gebrannt und geschmerzt. Zum damaligen Zeitpunkt hatte er alles verloren, was ihm etwas bedeutet hatte. Fast wäre es wieder geschehen…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück