Zum Inhalt der Seite

Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

15. Kapitel

Geduldig und mit völlig angespannten Nerven, wartete er darauf, wie sie sich entscheiden würde. Beide Optionen waren nicht unbedingt das, was Ryon als Herzenswunsch bezeichnen würde. Aber er tröstete sich damit, je eher sie es hinter sich brachten, umso schneller würden sie wieder aus dieser mehr als nur heiklen Lage heraus kommen. Wenn er dann wieder alleine in seinem Hotelzimmer war, konnte er immer noch den Schaden richten, den das alles hier seiner emotionslosen Fassade angetan hatte.

Das „Okay.“ traf ihn wie einen Peitschenhieb und ließ für einen Moment seinen Atem stocken, ehe er bemüht ruhig, weiter zu atmen versuchte. Gut, dass Paige in diesem Augenblick sein Gesicht nicht sehen konnte, oder seine ganz und gar angespannte Haltung. Er hatte sich kaum noch im Griff.

So leicht ihre Finger auch seinen Oberschenkel berührten, so spürte er diese Geste doch umso deutlicher, da es dunkel war und er wusste, was ihnen beiden gleich bevor stand.

Ryon biss sich auf die Unterlippe, bis es deutlich schmerzte, während seine Augen die Bewegung ihrer Hand verfolgten, die sich zu seinem nackten Bauch hoch arbeitete.

Seine Finger gruben sich in den festen Boden unter ihm, als seine durchgefrorene Begleiterin ihn auch an den Schultern berührte und sich dann wieder auf seinen Schoß zog, wo sie zitternd und zu einem Ball zusammen gerollt, schweigend liegen blieb.

Sie war auf keinen Fall zu schwer und trotzdem schien ihm in seiner eigenen Haut zu eng zu werden.

Sein erster Instinkt wäre Flucht gewesen, da er aber bekanntlich wenig auf das hörte, was sein Körper ihm sagen wollte, blieb er ruhig sitzen und schwieg ebenfalls, bis die Stille lauter als ein Schrei wurde.

Verdammt, konnte sie sein rasendes Herz klopfen hören? Hoffentlich nicht. Das war das einzige an seinem Körper, das er nicht kontrollieren und einer ruhigen Fassade unterwerfen konnte.

Jede Sekunde die auf diese vollkommen ungewöhnliche Art verging, schien sich bis in die Ewigkeit zu ziehen und ihn so sehr zu foltern, dass er das Gefühl hatte, eine ganze Armee von Armeisen mit Elektroschockern würden durch seine Nervenbahnen marschieren.

Wenn er vorhin schon geglaubt hatte, er wäre angespannt und völlig Energie geladen, dann musste er feststellen, dass das nichts im Vergleich zu jetzt war. Still zu halten, wurde plötzlich zu einer unmöglichen Sache, weshalb er schließlich etwas dagegen tun musste, um nicht zu zappeln anzufangen. Egal was. Alles war besser, als dieses stumme Verharren, also hob er langsam seine Arme und schloss sie wieder um Paiges zitternden Körper, während er seinen Rücken etwas krümmte, um die schützende Wärmehülle, in die seine Begleiterin bereits steckte, noch etwas zu verstärken.

Er zog sogar seine Knie leicht an. Erst da wurde ihm deutlich bewusst, wie zierlich sie im Gegensatz zu seiner großen Statur wirkte. Sie war nur ein kleiner Ball auf ihm, das Gewicht feder leicht und köstlich zu fühlen...

Ryon zuckte unmerklich zusammen. Das hatte er doch gerade nicht wirklich gedacht, oder?

Doch, er musste, denn sonst würden ihn jetzt nicht Zeus Blitze persönlich die Brust durchlöchern. Seine Gefühlsbarrikade hatte soeben ein deutliches Leck bekommen. Seine andere Seite wollte sich an die Oberfläche kämpfen, um das längst ausgehungerte Bedürfnis nach körperlicher Nähe wenigstens nur einen flüchtigen Moment lang zu befriedigen. Selbst wenn es nur ein ganz kleines Bisschen war.

Automatisch zog Ryon Paige noch enger an sich heran. Ein schwacher und sinnloser Versuch das klaffende Loch in seiner Brust zu füllen, das dort brennend immer größer zu werden drohte.

Er begann zu zittern, aber garantiert nicht vor Kälte. Ganz im Gegenteil, der Kampf um die Kontrolle mit sich selbst, verbrannte ganz schön Energie und deren Nebenprodukt war noch mehr Hitze.
 

Jedem Menschen wäre diese Situation wahrscheinlich zu Kopf gestiegen und hätte ihn schläfrig gemacht. Ryons Hitze sammelte sich unter dem Mantel und hüllte Paige ein, bis sie endlich spüren konnte, dass ihr eigener Körper die Wärme annahm.

Es dauerte lange, quälend langsam vergingen die Minuten, die sie so an ihn gelehnt ausharrte. Immer darauf bedacht ihm trotz der körperlichen Berührung nicht zu nahe zu treten. Was sich nicht ganz einfach gestaltete. Immerhin funktionierte die Wärmeübertragung gerade an den Stellen am besten, an denen ihre nackte Haut seine direkt berührte.

'Bloß nicht darüber nachdenken, Paige.', ermahnte sie sich selbst und versuchte sich stattdessen eine Ferieninsel vorzustellen. Ein Liegestuhl in der Sonne. Am Strand, wo es warm war und das Meer gegen den Sand schlug. Auf jeden Fall irgend ein Ort, wo sie nicht frieren musste.

Ryons Bewegungen waren wie ihre eigenen nur klein und hauptsächlich dazu da, ihre Position so zu ändern, dass keinem von ihnen beiden ein Körperteil einschlief. Paige versuchte peinlichst darauf zu achten, ihm nicht zu schwer zu werden oder ihm irgendeine unbequeme Position aufzubürden. Daher spannte sie die Muskeln leicht an und rollte sich noch mehr zusammen, als er die Beine leicht anzog und sich weiter aufsetzte. Bestimmt wurde es ihm mit der Zeit-

Paiges Augen wurden groß und sie hielt so lange den Atem an, bis sie glauben konnte, was gerade passiert war. Was allerdings glücklicher Weise ungefähr mit dem Zeitpunkt zusammen fiel, der kurz vor dem lag, an dem sie vor Sauerstoffmangel blau angelaufen wäre.

Ryon hatte die Arme unter dem Mantel um sie geschlungen. Allein das war so völlig fern jeder seiner Reaktionen, die sie sich vorstellen konnte, dass sie das Folgende kaum noch härter treffen konnte.

Er zog sie an seinen Körper und hielt sie so fest, dass Paige automatisch mit einer Hand nach seinem Arm griff.

Das hier war nicht allein der Wärme wegen. Allein an seiner Haltung, wie sie seinen Atem in ihrem Haar spüren konnte, als wolle er sein Gesicht darin vergraben, verriet ihr schon genug. Das leichte Zittern machte sie daraufhin nun doch völlig fertig.

Sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Das machte das ganze nicht nur unangenehm, sondern ängstigte sie beinahe. Mit jeder Faser ihres inzwischen wieder recht wachen Körpers, versuchte sie zu erfühlen, was mit ihm los war. Er würde doch nicht wieder weinen... Oder sich übergeben... Wenn er hier in Ohnmacht fiel...

Während ihrer Überlegungen waren ein paar Augenblicke verstrichen. Ryons Atmung war nicht anders als sonst. Er zitterte nur leicht und machte keine Anstalten etwas anderes zu tun, als sie festzuhalten. Aber was sollte Paige denn nun tun? Sie hatte das Gefühl, das sie auch damals überkommen hatte, als er vor ihren Augen zusammen gebrochen war. Er kam ihr verletzlich vor. Und sie wollte ihm helfen, soweit sie es konnte. Immerhin hatte er ihr noch vor einer geschätzten halben Stunde das Leben gerettet.

Zaghaft streichelte ihr Daumen über seinen Handrücken. Sie versuchte ihre Haltung etwas zu entspannen, ohne allerdings ihre Wachsamkeit aufzugeben. Wenn sich sein Verhalten in dieser Weise änderte, konnte es vermutlich auch sehr schnell in das Gegenteil umschlagen.
 

Sie war leicht. Sie war sanft und zugleich doch so gewaltig, dass sie seine Mauern für einen Moment vollkommen niederriss. Diese kleine, zögerliche Geste, als Paiges Daumen über seinen Handrücken streichelte, war für jemanden wie Ryon, der seit Jahren keinerlei körperlichen Kontakte dieser Art an sich heran ließ, so enorm wie ein reißender Fluss nach einer ewig langen Dürre.

Das körperbetonte Tier in ihm brach sich gewaltsam mit Krallen und Zähnen seinen Weg an die Oberfläche und nutzte Ryons stumme Überraschung über Paiges Handel gnadenlos aus. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie ihn auf diese Art berührte und das vollkommen freiwillig.

Während sein Verstand wie gelähmt war, da so viele verschiedene Gefühle auf ihn einstürmten, dass er damit nicht fertig wurde, schmiegten sich seine Arme regelrecht um Paiges zarten Körper, der kein Gramm Fett zu viel zu haben schien. Sein Gesicht vergrub sich in ihr köstlich duftendes Haar, um mit einem einzigen Atemzug ihre Witterung tief in sich aufzunehmen und als wäre das nicht bereits schlimm genug, ließ seine Bestie ein tiefes auf und ab steigendes Vibrieren in seiner Brust entstehen.

Verdammt noch mal, er schnurrte voller Wohlbehagen!

Sein Kopf knallte so stark gegen die Felsen hinter ihm, dass er einen Moment lang nur noch Sterne sah und das Geräusch durchaus deutlich hörbar durch den Gang hallte. Wäre er nicht so ein Dickschädel, er würde sicherlich bluten, so aber kam ihm der stechende Kopfschmerz ganz gelegen. Er gab Ryon die Kraft das verräterische Biest zurück in sein Innerstes zu jagen und dort mit dicken Fesseln einzusperren, wo es sich jaulend und jammernd nach mehr von dieser Wärme sehnte, die die eiskalte Einsamkeit in seinem Herzen für einen winzigen Augenblick lang hatte verschwinden lassen.

Gnadenlos schlug Ryon die Tür zu dem Käfig zu, um das Winseln nicht mehr hören zu müssen. Das Tier sollte ruhig weiter in der Stille leiden. Es war an allem Schuld. Niemals würde er ihm auch nur noch einen weiteren Moment der Zufriedenheit gönnen. Das Biest hatte es nicht anders verdient und er ebenfalls nicht.

Weshalb er sich schließlich sanft aber bestimmt von Paige löste.

„Tut mir leid, Paige. Ich kann das nicht länger.“, gestand er leise, aber ehrlich. Scheiß auf seinen Stolz und die Preisgabe seiner Schwäche. Das war einfach zu viel und so weit schien sie ja wieder aufgewärmt zu sein. Wenn nötig, würde er sie wirklich bis an die Oberfläche tragen. Dort war es bestimmt warm genug, um sie nicht noch einmal erstarren zu lassen.
 

Paige hielt den Mund. Normalerweise nahm niemand ihr so schnell die Worte von der Zunge, aber Ryon schaffte es mit seinen merkwürdigen Anwandlungen immer wieder.

Nachdem er sich zuerst tatsächlich schnurrend an sie gekuschelt hatte, war er mit einem Ruck zurück geschreckt und hatte sie losgelassen. Was den dumpfen Schlag ausgelöst hatte, konnte sie nur zu leicht erraten, aber warum er sich selbst wehtat, würde sie wahrscheinlich nie erfahren.

Es versetzte ihr einen winzigen Stich, dass er sie nicht nur von sich herunter schob, sondern ihr auch noch diese Worte hinpfefferte.

Es tat ihm leid? Das hörte sich so an, als hätte sie ihn darum gebeten. Ob nun um seine Wärme oder darum, dass er sie an sich gezogen hatte wie ein lang vermisstes Plüschtier. Keines von beidem hatte sie von ihm verlangt. Warum sollte er sich also dafür entschuldigen, dass er es ihr wieder entzog. Sie konnte im Moment auf beides nur zu gut verzichten.

Als sie aufgestanden war und zufrieden die wiedergekehrte Elastizität ihrer Gelenke registriert hatte, wollte sie ihren Mantel wieder ordentlich anziehen. Erst als sie einen Arm in das Innenfutter stecken wollte fiel ihr die zweite Lage Stoff auf. Wieder ein kleiner Stich und ein säuerlich verzogener Mund, als sie sich erneut aus den Klamotten schälte und Ryon das Hemd in den Schoß fallen ließ.

"Danke, dass du mich aus der Kältestarre geholt hast."

Für sonst nichts. Warum konnte sie nicht genau sagen, aber Paige war beleidigt. Es tat ihm leid, dass er sie umarmt hatte. Das hatte ihr noch nie jemand an den Kopf geworfen.

"Du wirst vor mir her gehen müssen, damit ich den Weg im Dunkeln finde. Die Flamme werde ich nicht wieder anmachen, bis wir wissen, dass es nicht mehr weit ist."

Damit zog sie sich auch noch ihre Schuhe wieder an, ehe sie ihre Hand an auf die klate Felswand legte und darauf wartete, dass Ryon in die Gänge kam. Dass er sich das Hemd anzog und voraus ging. Paige selbst hatte leider nicht die geringste Ahnung, wie weit es noch bis zu der Weggabelung und dann durch den anderen Gang zur Oberfläche war. Aber sie würde schweigend hinter ihm herstapfen. Zum Reden hatte sie keine Lust und bevor sie ihn angiftete, war Schweigen auch die wesentlich bessere Alternative.
 

Er roch ganz genau, dass sie sauer war, dazu müsste er noch nicht einmal ihre Worte hören, die zwar absolut nichts sagten, aber sie brachte nun mal nicht seinen gefühlskalten Tonfall zu stande, weshalb weniger immer noch mehr war, als er benötigte, um zu verstehen.

Schweigend nahm er sein Hemd und stand auf.

Während er es sich überstreifte und zuknöpfte, nutzte er die Gelegenheit, die Risse in seiner Fassade mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln notdürftig abzudecken, bis er die Chance hatte, sie in aller Ruhe völlig zu verschließen. Das würde einen Haufen Arbeit bedeuten. Denn was da gerade passiert war, hatte nicht nur alte Wunden aufgerissen, sondern neue Dinge hinzugefügt. Ryon hatte gewusst, dass er seine Hilfe noch bereuen würde. Die Quittung bekam er jetzt dafür.

Wieder einmal verfluchte er das eingesperrte Tier in sich. Hätte er es gekonnt, er hätte es völlig umgebracht, um es los zu sein.

„Gut.“

Das war alles, was er dazu zu sagen hatte.

Da Ryon wusste, dass Paige protestieren würde, griff er einfach nach ihrer Hand und hielt sie fest, so dass sie sich ihm nicht mehr entziehen konnte, danach zog er sie hinter sich her, dabei die Unebenheiten auf dem Boden ausweichend, damit sie nicht stolperte. Er würde sie erst los lassen, wenn sie da waren, oder sie ihm die Finger verbrannte. Allerdings konnte sie bei Letzterem dann versuchen, selbst hier heraus zu kommen.
 

"Hey!"

Seine Berührung machte sie nur noch wütender. Glaubte er denn wirklich, dass sie bloß wegen dieses Ausfalls nicht mehr allein laufen konnte? Sie brauchte den großen Helden Ryon nicht, um hier heraus zu kommen.

Naja, doch, sie brauchte ihn. Aber er musste sie nicht hinter sich herschleifen, als wäre sie ein Kindergartenkind, das man bei der Hand nehmen musste.

Bei jedem Stein, über den sie in der Dunkelheit stolperte und jedem Riss im Boden, an dem ihre Schuhspitze hängen blieb, wurde ihre Laune schlechter. Sie grummelte vor sich hin und würde bald explodieren, wenn sie den Ausgang nicht bald fanden. Jedem Beobachter wäre sie mit ihrem Gesichtsausdruck und dem bockigen Gehabe bestimmt tatsächlich kindisch vorgekommen, aber das war ihr jetzt auch herzlich egal. Am liebsten hätte sie die Sache von eben mit Ryon ausdiskutiert. Die Tatsache, dass er einfach gar nicht oder mit dieser blasierten Stimme antworten würde, machte sie rasend.
 

Zum Glück hatten sie schon ein gutes Stück des Wegs geschafft, bevor Paige zusammen geklappt war, so kamen sie dank des schnellen Tempos schon nach einigen Minuten in die Nähe des Lochs, wo sie, vor einer Ewigkeit wie es schien, hindurch gefallen war. Als sie direkt darunter standen, ließ er ihre Hand wieder los, froh darüber, noch vollkommen unversehrt zu sein. Er hätte es sogar verstanden, wenn sie ihm weh getan hätte.

Erst jetzt drehte er sich wieder zu ihr herum und sah sie an. Jetzt war er auch wieder dazu in der Lage, Farben zu erkennen, weshalb ihre Erscheinung auf Anhieb plastischer erschien und somit noch realer, als es ihr Geruch ohnehin schon war. Gewaltiges Unbehagen erfüllte ihn, fühlte sich aber so dumpf und wattig an, dass er es nicht genau zu ordnen konnte. Ganz im Gegensatz zu dem pochenden Schmerz in seinem Kopf, der mit seinem beständigen Hämmern, ihn seiner Reizschwelle gefährlich nahe brachte.

Wüsste er es nicht besser, würde er sagen, seine Finger zuckten vor Wut immer wieder leicht unkontrolliert. Selbst wenn dem wirklich so sein sollte, war er alleine der Grund dafür. Paige hatte nichts falsch gemacht. Sie traf keine Schuld. Wie immer lag sie nur bei ihm selbst. Weshalb er sich noch mehr zusammen riss.

„Kommst du alleine hoch?“, fragte er daher mit gesenkter Stimme, da das die Tonlosigkeit darin etwas dämpfte. Er wollte jetzt nicht austesten, wie hoch Paiges eigene Reizschwelle war. Verdammt, was würde er froh sein, endlich alleine in seinem Hotelzimmer zu sein. Auch wenn Flucht absolut zwecklos war, so war der Gedanke daran, dennoch sehr verlockend.
 

Jetzt konnte sie ihn erst recht nicht ansehen. Genau das, was sie befürchtet hatte, war eingetreten.

Hätte er seine Arme nicht um sie gelegt und dann so seltsam reagiert, hätten sie diese Episode einfach vergessen und weiterhin normal mit einander umgehen können. Soweit es einen normalen Umgang zwischen ihnen beiden überhaupt gab.

Aber jetzt war sie sauer und ihr Stolz war verletzt. Was noch schlimmer wog als die Verwirrung über Ryons Verhalten. Er war ein komischer Typ, aber das vorhin hätte er sich wirklich sparen können! Und jetzt also da weiter, wo der Mist begonnen hatte?

Paige sah zu dem Stückchen Nachthimmel hinauf, das sie durch die Öffnung über ihren Köpfen erkennen konnte. Es war ein ganz schöne Strecke, bis zu dem schrägen Stück, das sie herunter gerutscht war. Aber die Blöße noch weiter auf seine Hilfe angewiesen zu sein, würde sie sich vor Ryon nicht geben. Nicht jetzt und hier.

Ein paar dickere Wurzeln hingen aus dem Erdreich, die Paiges Einschätzung nach kräftig genug waren, um ihr Gewicht für einen Moment zu halten.

Sie sprang und erwischte das Geflecht, sodass sie ein Bein zur Sicherung hochschwingen und dann ihre Fingernägel in der Erde vergraben konnte.

Jetzt, wo sie die Oberfläche bald erreichen würden, konnte sie getrost auf ihre dämonische Seite zurück greifen. Draußen war es lange nicht so kalt wie dort unten in den Tunneln. Ihr Körper würde sich ganz von allein aufwärmen und sie musste sich kein Sorgen mehr machen, in eine Starre zurück zu fallen.

Mit mehr Anstrengung als ihr lieb war, aber trotzdem recht zügig erkletterte sie den Weg zum Rand des Lochs und zog sich auf die noch feuchte Wiese zwischen den Grabsteinen, wo sie zwei Atemzüge lang auf dem Bauch liegen blieb, um sich umzusehen. In der näheren Umgebung war nichts und niemand auffälliges zu entdecken. Eigentlich schade. Paige hätte sich gern an irgendetwas abreagiert. Wo waren diese aggressiven Wasserspeier, wenn man sie denn mal brauchte?

Schnell rappelte sie sich hoch, um nicht so auf der Erde zu liegen, wenn Ryon ebenfalls die Oberfläche erreichte. Wenn sie hätte wählen können, wäre sie einfach ohne ihn weiter über den Friedhof gelaufen und hätte den Eingang gesucht. Immerhin lag das auch noch zusätzlich zu allem Ärger zwischen ihr und ihrem Begleiter ziemlich stark auf ihrer Seele. Sie waren ihrem Ziel kein Stück näher gekommen.
 

Ryon blickte ihr nicht hinterher oder sah dabei zu, wie sie sich nach oben kämpfte. Stattdessen starrte er die Felswand ihm gegenüber an, als wäre sie das Interessanteste, das er je gesehen hatte. Am liebsten hätte er seine Fäuste dort hinein gerammt.

Sein Körper war inzwischen das reinste Nervenbündel und das ganz ohne Gefühle. Wenn er die auch noch ertragen müsste, wäre er vermutlich schon längst explodiert.

So sehr wie in diesem Augenblick hatte er sich die Kampfarena noch nie herbei gesehnt.

Der Aufstieg zur Oberfläche war viel zu leicht und viel zu schnell vorbei, um wirklich etwas von der viel zu hohen Konzentration an Energie in ihm abzubauen. Da Klettern für jemanden wie ihn, keine große Sache war, würde er sich wo anders abreagieren müssen. Aber erst, wenn er alleine war. Paige musste nicht noch mehr von den Dingen mitbekommen, mit denen er persönlich zu kämpfen hatte. Es reichte schon, dass sie ihn vermutlich für vollkommen durchgeknallt hielt.

Als er an der Oberfläche ankam, wartete Paige bereits auf ihn. Kein Wunder, er hatte wesentlich länger gebraucht als sie, um hier her zu kommen, auch wenn es nicht an der Kletterei gelegen hatte.

„Was hältst du davon, wenn wir es für heute gut sein lassen und morgen weiter suchen?“

Es war schon spät, sie beide waren nicht gerade das Abziehbild von Sauberkeit und er brauchte für heute nicht noch weitere Angriffe von seinem Inneren, gegen die er in Paiges Gegenwart am Besten auch noch standhalten sollte.

Allerdings bedeutete das auch, dass sie wieder mit der Metro fahren mussten. Hoffentlich waren wenigstens um diese Uhrzeit nicht mehr so viele Leute unterwegs. Noch einmal würde er es bestimmt nicht, bei einem ruinierten Aktenkoffer belassen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück