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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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12. Kapitel

„Das gleiche Modell hätten wir auch in Dunkelblau. Aber ich finde, Sie können das Gold durchaus tragen. Fühlen Sie sich denn wohl darin?“

Mal davon abgesehen, dass es nunmal ein goldenes Kostüm war? Nein. Paige kam sich in der langen, eng geschnittenen Jacke und dem Rock, der sich um ihre Knie wickelte, wie eingeschnürt vor.

Nicht dass dieses Designerding ihr zu eng gewesen wäre, aber sie mochte es nunmal, sich frei bewegen zu können. Paris hin oder her. Außerdem würde sie bei den Begleitumständen dort sicher einmal klettern oder rennen müssen. Das konnte sie in dieser goldenen Unmöglichkeit total vergessen. Und das war bis jetzt nicht das Schlimmste, das sie angezogen hatte.

Die Dame in dem Laden, der so aussah wie ein Klamottenmuseum – mit seinen Glasregalen und Würfeln, auf denen nur hin und wieder ein einzelnes Kleidungsstück lag – hielt es, nachdem Ryon mit irgendeiner Platinkarte gewedelt hatte, wohl für ihre Pflicht Paige irgendetwas 'Chickes' anzudrehen.

„Ehm... Um ehrlich zu sein, ist es mir ein wenig zu...“ Einengend, stocksteif, hässlich. „Konservativ.“

Die Verkäuferin sah so aus, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen.

„Haben Sie nicht etwas Schlichtes? Vielleicht in Schwarz und der Rock etwas weiter geschnitten?“ Bitte.

Wie hatte Ryon sie nur hier allein lassen können? Bei dieser Krähe, die doch eigentlich auf sein Geld aus war und nicht auf Paige. Sie wäre viel lieber in einen der In-Läden gegangen, die am Ende der Hauptstraße lagen. Vielleicht ein paar neue T-Shirts, Karoröcke und Jeans.

Aber immer wieder ermahnte sie sich. Es ging nach Paris. Also ging sie mit einem unterdrückten Seufzen in die Kabine zurück, zog den Vorhang zu und knöpfte Jacke und Bluse auf, um schnell aus diesem strammen Kostüm heraus zu kommen.

Wie jedes Mal erschrak sie, als völlig ohne Vorwarnung der Vorhang zur Seite gerissen wurde und jeder, der es wollte am Körper der Verkäuferin vorbei auf Paige in Unterwäsche starren konnte. Nicht, dass sonderlich viel Betrieb geherrscht hätte in diesem Laden.

„Probieren Sie vielleicht mal das hier an. Der Rock ist noch von der letzten Saison, aber ich denke, er könnte dem entsprechen, was Sie ... sich vorstellen.“

Zu dem Rock, den sich Paige anscheinend nach Meinung der Dame 'vorstellte', bekam sie ein hellblaues Oberteil. Schulterfrei und aus fließendem Stoff. Ja, mit hohen schwarzen Stiefeln und einem Lederband konnte sie sich das vorstellen.

„Haben Sie auch schwarze Stiefel? Ich finde, das könnte gut zum Rock passen?“

Denn der sah wirklich nicht schlecht aus. Schräg geschnitten und in mehreren Schichten über einander gelegt. Sogar an den Enden mit ausgefransten Schlaufen versehen.

Mit einem Grinsen überlegte sich Paige, dass sie ihn schon allein deswegen gern genommen hätte, weil die Verkäuferin dann über sie den Kopf schütteln konnte.

Unter dem Vorhang schob eine Hand mit blutroten Fingernägeln ein Paar weiche, schwarze Lederstiefel hindurch.

Paige blieb beinahe das Herz stehen, als sie das Preisetikett sah. Aber sie wollte es ja auch nur einmal zusammen anprobieren.

Den Blick noch auf ihren Bauch gerichtet, wo sie das Oberteil zurecht zupfte, schob sie den Vorhang zur Seite und trat aus der Kabine.
 

Da Ryon schon seit Jahren keine Kleidung für sich in einem Geschäft kaufte, hatte er auch nicht wirklich eine Ahnung davon, wo Flame … Paige etwas Passendes finden könnte. Zumindest etwas, das für mögliche Fälle in Paris gefordert sein könnte. Man konnte immerhin nie genau wissen, ob man in einer dreckigen Gosse herumschnüffeln oder zwischen Champagner, Kaviar und dem unerträglichen Geschwafel von Snobs seine Tarnung aufrecht erhalten musste. Weshalb Ryon sie auch in diesen Laden geschickt hatte, während er sich auf den Weg machte, um aus dem Hotel aus zu checken.

Dem Hotelpersonal war es natürlich egal gewesen, dass er schon mehrere Tage nicht mehr sein Zimmer aufgesucht hatte, aber er hätte es ohnehin nicht anders erwartet.

Nachdem er seine Sachen im Kofferraum seines Wagens verstaut hatte, erledigte er die nötigen Anrufe, die dafür sorgen sollten, dass ihrer Reise nach Paris nichts im Wege stand.

Zunächst einmal buchte er ihnen einen Privatjet. Alles andere wäre ihm zu unsicher gewesen. Bei mehreren tausend Metern über dem Erdboden, wollte er garantiert kein Risiko eingehen.

Als er auch die Daten für den Reisepass durchgegeben hatte, machte er sich wieder auf den Weg zu Paige. Wenn sie fertig war, brauchten sie noch ein Foto von ihr, um den Pass zu vervollständigen.

Gerade als er wieder die Boutique betrat und sich nach seiner Begleiterin umsah, wurde der Vorhang der einzigen besetzten Kabine beiseite geschoben und Paige kam heraus.

Ryons Blick glitt zu den auffallend schwarzen Stiefel, wanderte über den hervorragend geschnittenen Rock hinweg nach oben, über eine Bluse, die genau wusste, wo sie sich anschmiegen musste und woran sie sich festhalten konnte, bis er irgendwann bei Paiges Gesicht ankam.

Dieser Frau würden mit ihrem Teint bestimmt alle Farben passen, die einen mal mehr, die anderen weniger. Blau stand ihr zumindest sehr gut und obwohl es natürlich absolut unangebracht war, hätte er dieses Oberteil auch gerne in einem dunklen Rot an ihr gesehen. Aber er konnte auch so, nur schwer die Augen davon abwenden.

„Wie fühlst du dich damit?“, fragte er schließlich, um die inzwischen peinlich gewordene Stille zu überbrücken, an der wohl seine gründliche Musterung schuld war.

Es war lange her, dass er einmal eine Frau auf diese Art angesehen hatte und sich Gedanken über ihre Kleidung machte. Für gewöhnlich war er nur so gründlich, wenn es um seine Aufträge ging, von denen er alles mögliche zu erfahren versuchte, um sie später effizienter ausschalten zu können und das wollte er bei Paige ganz bestimmt nicht. Es war nur...

Ryon versuchte den Gedanken nicht weiter zu verfolgen, sondern sich stattdessen zu fragen, wie seltsam seine Reaktion doch gewesen war.

Sollte er Paige nicht eigentlich sagen, dass ihm das Outfit an ihr gefiel? Vermutlich, aber ihm hatte einmal jemand lang und breit erklärt, dass es nicht gar so wichtig sei, wie man in etwas aussah, sondern wie man sich damit fühlte. Man konnte sich in einem einfachen Kleid wie die schönste Frau der Welt fühlen, während man sich in einem Designerkostüm in Grund und Boden schämen konnte, obwohl es einem rein optisch gesehen, absolut stand. Am Ende zählte ohnehin die Ausstrahlung.

Ein Grund vielleicht, wieso er so gerne Anzüge oder zumindest immer etwas mit Hemd und gepflegter Hose trug, anstatt ausgewaschene Jeans und ein Muskelshirt. Es passte einfach nicht zu ihm.
 

Paige biss sich auf die Wange, um nicht blöd zu grinsen, während Ryon sie von oben bis unten musterte, oder besser gesagt, von unten bis oben.

Entweder hielt er sie für ein Gespenst oder ihm gefiel, was er sah. An seinem Gesicht konnte man natürlich weder das Eine, noch das Andere ablesen.

Es könnte also auch sein, dass er sie in diesem Outfit hässlich fand. Wie es ihr selbst gefiel, musste sie erst nach einer Drehung zum Spiegel herausfinden. Ein wenig Herumziehen am Oberteil, eine halbe Drehung, um sich das Ganze auch von hinten anzusehen. Und doch konnte es alles nichts daran ändern, dass sie es auf jeden Fall haben wollte.

Scheiße, wenn es bloß nicht so verdammt teuer wäre. So viel Geld hätte sie nicht für zwei Wochen Lebensmittel ausgegeben. Die Stiefel noch gar nicht mit eingerechnet.

Mit einem Blick in Richtung Kasse, wo die Verkäuferin mit irgendwelchen Zettelchen hantierte, checkte sie die Lage und sah dann wieder Ryon an.

„Ganz ehrlich? Es gefällt mir. Auch wenn es ein bisschen fein ist...“

Mit dem Preisschildchen des Rocks zwischen den Fingern machte sie eine Geste, die bedeuten sollte, dass es völlig überteuert war.

Ein weitere Blick in Richtung der aufdringlichen Dame an der Kasse, bevor sie Ryon unhörbar für diese zuraunte.

„Es wäre total leicht, es einfach mitgehen zu lassen.“

Sie zwinkerte ihm zu, um zu vermitteln, dass sie es nicht ernst meinte und ging in die Kabine zurück, um sich ihre eigenen Sachen wieder anzuziehen. Da er nun wieder da war, hatte Paige keinen Grund mehr hier länger zu bleiben.
 

Während sie sich selbst im Spiegel betrachtete, beobachtete Ryon sie ganz genau. Vor allem ihr Gesicht, um ihre Reaktionen auf das Outfit feststellen zu können. Offenbar fühlte sie sich darin nicht nur wohl, sondern es gefiel ihr auch. Trotzdem machte sie ihm deutlich klar, dass sie sich selbst sowas niemals kaufen würde, da es viel zu teuer war und es auch andere schöne Sachen für weniger Geld gab.

Nun, da stimmte er ihr im Geiste absolut zu, aber Menschen, die mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen waren, konnte man nicht so leicht täuschen, was Kleidung betraf. Für ihn selbst war klar, dass er hauptsächlich für den Markennamen bezahlen würde, aber genau das war es meistens, auf was die Reichen achteten.

Wie viel Geld man für welchen unnötigen Blödsinn ausgegeben hatte, nur um zu zeigen, dass man es sich leisten konnte. Würde es nur darum gehen, hätte er sich Paige geschnappt und wäre wo anders hin gegangen. Aber ihr gefielen die Sachen und sie würde sie auch nach der Parisreise sicherlich noch gebrauchen können.

Als sie ihm leise mitteilte, sie könne es auch locker klauen und ihn dann anzwinkerte, schweifte sein Blick zu dem herausgeputzten Pfau alias die Verkäuferin hinüber. Sie sah vielleicht kompetent aus, aber vermutlich mit null Charakter.

„Verlockendes Angebot.“

Allerdings absolut unter Paiges Niveau. Es wäre einfach zu leicht.

Als sie wieder in der Umkleidekabine verschwand, lehnte er sich leicht gegen die hölzerne Seitenwand, damit er sich immer noch mit ihr unterhalten konnte, ohne dass der ganze Laden etwas davon mit bekam.

„Dir ist doch klar, dass ich mit diesem Outfit in einer Tragetasche heim gehe, ob mit oder ohne dich.“

Im Klartext, egal was sie sagen würde, er würde es trotzdem kaufen und wenn er es sich am Ende an die Wand pinnen musste, nur um diesen Kauf zu rechtfertigen, egal wie überteuert es war.
 

Es überraschte Paige, dass sie Ryons Stimme so nah an der Kabine hören konnte. Kurz zuckte sie in der Erwartung zusammen, dass diese unverschämte Verkäuferin das Taktgefühl eines Nilpferds bewies und den Vorhang zur Seite riss. Aber das passierte nicht und sie konnte sich in Ruhe umziehen.

Vorsichtig und weiterhin von dem weichen, fließenden Stoff des Oberteils und den schönen Stiefeln fasziniert, faltete sie die Sachen zusammen und legte sie auf einen kleinen Stapel. Dann zog sie auch ihre eigenen Schuhe wieder an – schwarze Turnschuhe, deren Sohlen schon ziemlich abgelaufen und glatt waren.

Mit einem breiten Lächelnd trat sie erneut aus der Kabine, den Stapel ihrer neuen Kostbarkeiten vor sich auf dem Arm.

„Ich glaube aber nicht, dass dir die Sachen besonders gut stehen würden.“

Ganz im Gegensatz zu dem maßgeschneiderten Anzug, den er trug. Vor allem das cremefarbene Hemd gefiel ihr an ihm. Es ließ ihn nicht ganz so steinhart wirken, als wenn er zu dem dunklen Anzug auch noch Schneeweiß getragen hätte.

Paige wusste selbst nicht, warum sie sich doch so nah an ihn heran wagte. Es schien immer die Gefahr zu bestehen, sich Frostbeulen zu holen.

„Du weißt, dass das meine völlig unangebrachte Art ist 'Danke' zu sagen, hoffe ich.“

Sie schafften es unfallfrei und ohne zu viel Smalltalk zu bezahlen und mit einer rosa glänzenden Papiertasche mit silbernen Tragegriffen das Geschäft zu verlassen. Paige wog kurz ab, ob sie die Sachen nicht auch in ihrem Rucksack hätte transportieren können. Aber das wäre alles Andere als 'chick' gewesen.

Wie sie dort kurz auf der Straße standen und sich nach dem nächsten Zielpunkt umsahen, grübelte Paige darüber nach, wie viel Geld sie noch in ihrer kleinen, bunten Geldbörse hatte.

„Was hältst du davon, wenn wir etwas für die werdende Mutter besorgen und ich dich anschließend zu einem Kaffee einlade?“

Es sollte keine Wiedergutmachung oder ein Ausgleich sein, dafür hätte ein mickriger Kaffee und ein Stück Gebäck niemals ausgereicht. Aber Paige hätte einfach gern so etwas Normales gemacht, wie in einem Café zu sitzen und sich über ihre Beute zu freuen.

Sie nahm nicht an, dass es zu unvorsichtig war. Hier in der Oberwelt und mitten am Tag würde niemand so dumm sein, um sie zu überfallen. Schon gar nicht mit magischen Kräften. Das könnte das gesamte Gleichgewicht durcheinander bringen.

Andererseits konnten sie ja auch einen Kaffee to go nehmen. Wenn Ryon ihr Angebot überhaupt annahm.
 

Als sie auf der Straße standen und überlegten, wo es als Nächstes hingehen sollte, nahm Paige ihm diese Entscheidung ab. Womit sie natürlich, ohne es zu wissen, seine eigenen Gedanken aussprach. Zumindest was die Sachen für Ai anging.

„Einverstanden. Ich weiß auch schon, wo wir das Richtige finden werden.“

Auf die Gefahr hin, dass sie insgeheim an seiner Wahl zweifeln würde, wenn man den letzten Laden bedachte, den er ausgesucht hatte, ging er los, um Paige zu zeigen, welchen er meinte.

Es war nicht weit, nur zwei Blocks und die konnten sie auch zu Fuß zurück legen. Allerdings hatte Ryon in diesen Minuten auch gründlich Zeit, sich seinen Vorschlag noch einmal zu überlegen, was sich als äußerst ungünstig heraus stellte.

Obwohl er den Firmennamen über der Boutique noch nicht lesen konnte, begann sein Herz bereits schneller zu schlagen. Sein Puls schoss in die Höhe, als er die vertrauten Farben erkannte, die sich noch immer nicht verändert hatten.

In sanft geschwungenen Lettern schlug ihm die Aufschrift ‚Mother‘s World – alles für die werdende Mutter‘ so deutlich entgegen, als wäre sie aus hellgrünem Neon und würde dazu auch noch auffordernd blinken. In Wahrheit verschwand der Name eher unauffällig zwischen den anderen protzigen Läden.

Sein Handflächen wurden feucht.

Bevor sein Körper ihn jedoch noch mehr verraten konnte, in dem er zu zittern anfing, schlug Ryon kräftig die Tür zu seinem Innersten zu und verriegelte sie mit so vielen Schlössern, wie er fand. Danach beruhigte sich auch der Rest von ihm wieder.

Er zögerte keinen Moment, als sie den Laden betraten, der eine so heimelige Atmosphäre ausstrahlte, dass man auch als Nichtschwangere sofort den Wunsch nach einem Baby verspüren könnte. Alleine um die Chance zu bekommen, diese Sachen auch einmal tragen zu können. Was er als Mann natürlich nur bedingt nachvollziehen konnte, aber dennoch war es sehr angenehm.

Im Laufe der Jahre hatte sich einiges geändert, die Inneneinrichtung war erneuert worden, die Kleidung umgeschlichtet und auch die freundliche Bedienung mit dem ehrlichen Lächeln war eine andere, aber trotzdem blieb es der selbe Laden.

Bevor die Verkäuferin für sie Zeit hatte, da sie gerade noch eine andere Kundin mit deutlich gerundetem Bauch bediente, drehte Ryon sich zu Paige herum und brach endlich sein Schweigen. Er war auf dem Weg hierher merklich ruhiger geworden, als sonst auch schon.

„Tennessey meinte, Ai sei ungefähr in der 25. Schwangerschaftswoche. Weshalb wir ihr auch Kleidung mitbringen sollten, die sie zwar jetzt noch nicht anziehen, aber schon für später brauchen kann. In den nächsten Wochen wird sie mit Sicherheit ganz schön an Umfang zulegen und das in sehr kurzer Zeit.“

Allein nur wegen des Kindes, obwohl natürlich auch zu hoffen war, dass Tylers Küche ihr noch etwas mehr Fleisch auf die Knochen zaubern würde.

Ryon trat sofort voller Tatendrang an einen Kleiderständer und begann sich durch die Sachen zu suchen. Er wusste nicht, welchen Geschmack die beiden Frauen hatten, aber er würde ohnehin Paige die Auswahl überlassen.

Seine Finger sollten nur etwas zu tun haben, außerdem waren die meisten Sachen aus sehr angenehmen Materialien. Sie waren zwar ebenfalls nicht ganz billig, aber das lag an den kostbaren Stoffen, die kaum Kunstfaser beinhalteten und besonders verträglich waren.
 

Ihre Empfindungen wechselten von überrascht zu misstrauisch, als Ryon ankündigte, er wisse genau, wo sie für Ai einkaufen könnten und dann auch schon mehr oder weniger davon rannte.

Allerdings schienen seine Schritte immer zögerlicher zu werden, bis er fast stehen blieb, als das Geschäft schließlich in Sichtweite kam.

Paige hatte ihn damals, als er noch ihr Opfer werden sollte, sehr genau beobachtet. Dass er sich wie jetzt, die Hände immer wieder am Stoff seiner Hose abwischte, war normalerweise kein Tick von ihm. Machte ihn der Laden etwa nervös?

Was hätte Paige bloß für eine Regung in diesem Gesicht getan. Sie hätte genauso gut versuchen können, seine inneren Vorgänge aus einem Teesatz zu lesen. Vielleicht sollte sie das irgendwann mal probieren...

Da sie üblicherweise sowieso wenige Worte miteinander wechselten, fiel Ryon anscheinend nicht weiter auf, dass Paige kein Gespräch in Gang bringen wollte. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihn unauffällig im Auge zu behalten. Sie wusste ja nicht, ob er in den nächsten Sekunden nicht wieder wegkippte. Mehr als den blauen Fleck am Knie, mit dem sie ihren gemeinsamen Sturz in seinem Haus aufgefangen hatte, wollte sie bitte in einer Woche nicht kassieren.

Kaum dass sie den gemütlichen Laden betreten hatten, redete er davon, was sie für Ai besorgen mussten.

Paige kam sich wie eine Diletantin vor, weil sie selbst nicht die geringste Ahnung hatte, wie sich der Körper einer Schwangeren in den verschiedenen Monaten genau veränderte. Damit hätte sie sich einfach zur gekommenen Zeit auseinander gesetzt. Warum wusste er solche Sachen?

Über einen Ständer mit Umstandskleidern hinweg musterte sie Ryon so unauffällig wie möglich und versuchte sich einmal wieder einen Reim auf ihn zu machen.

Er hatte sofort diesen Laden vorgeschlagen. Ohne Grund wussten Männer so etwas nicht...

Wie alt mochte Ryon eigentlich sein? Irgendwas Anfang dreißig vielleicht. Dann gab es nicht allzu viele Möglichkeiten. Aber Paige hatte weder in seiner Wohnung, die sie bis ins Kleinste auf den Kopf gestellt hatte, noch in seinem Haus Anzeichen auf Familie gefunden. Wäre es nur eine Schwester oder Cousine gewesen, hätte er sich den Laden sicher nicht gemerkt...

Erschrocken über sein Hochblicken senkte Paige ihren Blick blitzartig auf den Kleiderständer und schob ein paar Bügel hin und her.

„Das finde ich eigentlich ganz hübsch...“

Ein Kleid aus weichem, etwas dickerem Stoff in Pink mit unauffälligen gelben Mustern. Eventuell wäre es Ai etwas zu kurz. Nicht zuletzt, um die Tarnung aufrecht zu erhalten, hielt Paige sich selbst das Kleid vor den Körper. Es ging ihr bis zu den Knöcheln.

„Zu kurz.“

Jetzt sah sie wieder zu ihm hinüber und es fiel ihr schwer das fröhliche Schauspiel bei diesem stechenden Blick aufrecht zu erhalten.

„Ich werde mal die Verkäuferin fragen, wo die Abteilung für schwangere Exmodels ist.“

Damit war sie aus seinem Blickfeld verschwunden und erkundigte sich wirklich nach Sachen, die für Ai passend wären.

Die Verkäuferin stand ihr mit Rat und Tat zur Seite, während Paige immer wieder flüchtige Blicke zu Ryon hinüber warf.
 

Da Paige sich um die Kleiderfrage kümmerte, während sie dabei durch die Verkäuferin unterstützt wurde, sah sich Ryon gründlich im Laden um und überlegte fieberhaft, was Ai noch alles brauchen könnte.

Er war natürlich nicht der Typ, der haufenweise Zeugs kaufte, weil er einfach lieber auf Nummer sicher gehen wollte, anstatt nur die Sachen zu besorgen, die man wirklich brauchte. Aber er wäre nicht der erste nervöse, werdende Vater in der Geschichte dieser Welt gewesen. Der auch noch das nötige Kleingeld für solcherlei Beschäftigungstherapien zur Hand hatte.

Nun aber wandte Ryon sich von den Kleidersachen ab und ging zu den nützlichen Kleindingen über wie: saugfähige Einlagen für den BH, Stilltücher, Milchpumpe, Tees für die verschiedenen Bedürfnisse, und noch vielem mehr.

Er blieb schließlich bei den Cremes stehen, die für die Haut einer werdenden Mutter besonders unterstützend wirkten und somit Schwangerschaftstreifen und Nachlassen der Elastizität der Haut vorbeugen sollten.

Marlene hatte sich diese Dinge immer selbst mit den Zutaten aus ihrem Kräutergarten zusammen gemischt, aber Ai könnte sicher nicht schaden, wenn sie ihr welche mitnehmen würden. Ihre Haut würde sich sicher freuen.

Während er so mit einer Creme in der Hand da stand, deren Hauptinhalt Sheabutter war, schweiften seine Gedanken ab.

Da er den Riegel vor seine Gefühle fest vorgeschoben hatte, verspürte er nur ein unangenehmes Gefühl in der Brust, als würde ihm etwas zu schweres darauf sitzen, aber es war ihm trotzdem möglich, sich wieder zurück zu erinnern.

Seine Gefährtin hatte immer alles Mögliche aus ihren Kräutern gemacht, um sie bei der Schwangerschaft zu unterstützen. Dahingehend hatte er ihr nie etwas besorgen können, selbst die Babysachen hatte sie selbst genäht. Manchmal sogar, als wäre sie wie besessen.

Ryon hatte sie damals zwar mehrmals gefragt, warum sie nicht auch einfach noch die fehlenden Sachen kaufen konnten, aber die Tätigkeit schien ihr gut zu tun und sie zu beruhigen. Weshalb er schließlich nicht weiter in sie drängte.

Jetzt wusste er jedoch, dass wohl auch sie so etwas wie eine Beschäftigungstherapie benötigt hatte und das war nun einmal das Nähen gewesen.

Manchmal hatte er ihr stundenlang dabei zugesehen, während er vor dem Kamin ausgestreckt dagelegen hatte und sie ihre nackten Füße an seinem Fell wärmte.

Ruhig stellte Ryon die Cremedose wieder zurück. Einen Moment lang musste er sich daran erinnern, wie man atmete. Dabei sollte er gar nichts fühlen. Absolut gar nichts!

Um nicht noch einmal der Versuchung zu erliegen, sich an etwas zurück zu erinnern, von dem er sich geschworen hatte, er wolle es für immer vergessen, trat er schließlich zu den beiden Frauen und nahm Paige die Kleidung ab, die sie bereits ausgewählt hatten, um ihr wieder Platz für mehr zu schaffen.

Er wollte jetzt nicht reden, weshalb er den beiden Frauen stumm folgte, den ein oder anderen Kommentar aus rein objektiver Sicht zu den Sachen abgab, bis sie sich einmal durch den ganzen Laden durchgearbeitet hatten und schließlich wieder an der Kasse standen.

Während die Verkäuferin die Preise einscannte, plauderte sie immer noch fröhlich und absolut nicht aufdringlich weiter.

„Wenn Sie einen Laden für Babysachen suchen, könnte ich Ihnen ein paar gute Adressen mitgeben. Gute Qualität, guter Preis und viel Auswahl. Sie wissen ja sicher, dass die Kleinen so unglaublich schnell wachsen in den ersten Monaten. Was heute passt, kann morgen schon wieder viel zu klein sein.“

Ryon nickte wissend. Das hatte er alles schon mehrmals gehört.

„Danke. Wir lassen es uns durch den Kopf gehen.“

Oh ja, auf diesen Ladenbesuch konnte ein Kaffee wirklich nicht schaden. Wenn auch nur, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.
 

Sie traten wieder aus dem Laden, in jeder Hand eine Tasche mit Sachen für die werdende Mutter und dem hübschen Outfit für Paige.

Ryon war wieder ruhig und eisig wie immer. Das vorhin in der Boutique schien sich als ein Ausrutscher heraus zu stellen. Dabei hatte sie wirklich das Gefühl gehabt, er hätte ganz gern ein wenig mit ihr gesprochen.

Inzwischen war sich Paige gar nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich einen Kaffee zusammen trinken sollten. Vorhin war ihr das noch wie eine nette Idee erschienen, aber jetzt, nachdem sie über seine eventuelle Familie, Frau, Kinder nachdenken musste, war ihr nicht mehr wirklich danach. Unter Umständen wäre sie bei so viel Kontakt doch ihrer Neugier erlegen und hätte ihn danach gefragt. Was sie aus unerfindlichen, aber laut schreienden Gründen für keine Gute Idee hielt.

„Wir haben recht schöne Sachen ausgesucht finde ich. Sie werden Ai gefallen. Und die praktischen Dinge hast du gut ausgesucht. Ich hätte daran gar nicht gedacht. Ich hatte bisher aber auch noch nicht wirklich viel Erfahrung damit.“

Am liebsten hätte sie sich ohne den Schutz ihrer Schuppen in Flammen gesetzt. Was redete sie da nur?
 

Hätte man ihm eine Bratpfanne über den Schädel gezogen, das Geräusch wäre nicht leiser gewesen, als dieses gefühlsmäßige ‚Dong‘, als Paige den letzten Satz zu ihm gesagt hatte.

Wenn Ryon nicht schon jahrelang darin Übung besessen hätte, jegliche Reaktionen zu vermeiden, wären ihm die Tüten aus der Hand gefallen, als ihn die Erkenntnis traf, dass er sich nicht wie ein Mann benahm, der schon seit der Steinzeit Single war und noch länger kein Interesse mehr an Frauen gehegt hatte. Stattdessen war er zielgenau in einen Laden für Schwangerschaftsmode gegangen, hätte auch noch diverse Läden für Babysachen gewusst und wäre auch dazu in der Lage gewesen, bei sehr weiblichen Gesprächen in ganz speziellen Richtungen lautstark mitzureden. Ganz und gar nicht dem Image entsprechend, das er schon seit Jahren vervollständigte.

Wie sah Paige ihn wohl?

Das war das erste Mal, dass er es dachte.

Bisher war es ihm egal gewesen, was die Leute von ihm hielten. Seine Freunde kannten den alten Ryon sowie den neuen und gaben darüber kein Urteil ab. Oder zumindest versuchten sie es für sich zu behalten. Das waren eben die einzigen Freunde, die er noch hatte. Alles andere war ihm bisher egal gewesen und auch jetzt bekam er nicht einmal ein Jucken im Hintern, wenn er darüber nachdachte, was diese Frau neben ihm wohl über ihn dachte.

Was aber definitiv nur alleine daran lag, dass er im Augenblick an überhaupt nichts wirklich Interesse zeigte. Ein Nachteil, wenn man zu einem gefühlskalten Fleischberg mutierte.

Trotzdem, ob es nun Absicht gewesen war oder nicht, in Paiges letztem Satz hatte mehr mitgeschwungen, als nur diese offensichtliche Feststellung.

Während sie also wieder einmal auf der Straße standen und nicht genau wussten, wohin, sah er auf sie herab, direkt in ihre dunklen Augen.

Man merkte deutlich, dass er wohl etwas dazu sagen wollte, da das Schweigen keinesfalls angenehm war, aber selbst seine Gedanken konnten sich nicht dazu durchringen, ihre unausgesprochene Frage zu beantworten. Also wechselte er schließlich einfach das Thema.

„Wenn du irgend ein Café bevorzugst, dann gib mir ruhig bescheid. Wir können auf dem Weg auch noch die Sachen ins Auto bringen, außerdem brauche ich noch ein Foto von dir für den Reisepass, damit wir ihn in ungefähr einer Stunde abholen können.“
 

Natürlich. Kaffee...

Paige wusste gar nicht, was sie erwartet hatte. Dass er ihr sein Herz ausschütten würde?

Wenn sie jetzt darüber nachdachte, kam ihr diese Vorstellung so lachhaft vor, dass sie gar nicht glauben konnte, sich überhaupt solche Gedanken gemacht zu haben. Warum wollte sie über Ryon überhaupt mehr herausfinden? Dazu hatte sie, wenn man es mal objektiv betrachtete, überhaupt keine Veranlassung. Er war an ihr nicht weiter interessiert, weil er wusste, dass sie nur Partner waren. Sobald er alles über das Amulett wusste und sie die Leute erledigt hatten, die ihnen auf den Fersen waren, würde sie aus seinem Leben verschwinden, so schnell, wie sie gekommen war. Und in ihre eigene Welt zurückkehren.

Ihr Lächeln war nur deshalb etwas wehmütig, da sie noch nicht sagen konnte, was aus Ai werden würde.

Bei Ryon ging es ihr gut, aber dort würde sie nicht bleiben können, wenn diese Mission erst beendet war. Paige hatte sich schon, bevor sie Ryon getroffen hatte, überlegt, dass es verdammt eng werden würde Ai und auch noch ein Kind durchzufüttern. Sie selbst auch nicht ganz zu vergessen. Denn wenn sie noch weniger zu sich nahm, als sie es sowieso schon getan hatte, würde sie auch keine Diebstähle mehr durchführen können, um ihre Schutzbefohlenen zu ernähren. Ein Teufelskreis. Aber auch das würde sie irgendwie schaffen. Bis jetzt hatte Paige es immer irgendwie geschafft.

Als sie aus diesen Gedanken wieder zu sich kam, waren sie schon fast beim Auto angekommen. Sie verstauten die Tüten in dem winzigen Kofferraum des Sportwagens und besah sich dann interessiert das Ergebnis.

Ihre eigenen Einkäufe, also das einzelne Outfit aus der Boutique, waren unter den Stücken aus dem Babygeschäft kaum noch zu sehen. Was hieß, dass sie an den second hand – Shops doch nicht ganz vorbei gehen musste. Immerhin konnte sie nicht nur und vor allem nicht in jeder Situation in diesen teuren Sachen herumlaufen. Sie brauchte auch etwas für hier und jetzt, bevor sie nach Paris flogen. Und anpassen würde sie sich auch nicht. Bloß weil sie im Moment in diesem großen, luxuriösen Haus zu Gast war und zu einer Reise eingeladen wurde, hieß das nicht, dass sie zu Jackie O. mutieren musste.

„Lass' uns zuerst das mit den Photos hinter uns bringen.“

In ihrem Fall war es wahrscheinlich sogar von Vorteil, wenn das Bild aus einem dieser billigen Automaten und nicht von ein einem professionellen Fotografen stammte. Immerhin war es nicht so wichtig, dass man sie auf dem Foto erkannte. Paige hatte sogar im Moment die größte Lust auf einen richtigen Mudshot.

Sie ging direkt zu einer Kabine, in deren Umgebung es trotz der noblen Umgebung unangenehm nach Urin und anderen Substanzen roch. Der Automat funktionierte aber noch tadellos.

Paige setzte sich nur mit ein paar Ekelgefühlen auf den kalten, festgeschraubten Metallhocker und hörte sich die Anleitung der Kabine an. Sie drehte sich so zurecht, dass ihr Gesicht auf dem Bildschirm in dem Kreis zu sehen war und lächelte geziert. Die vier Bilder konnten so gewählt werden, dass jedes unterschiedlich war. Beim Zweiten schob Paige sich die Haare ein wenig ins Gesicht. Das Dritte war ein Bild mit Schielen und herausgestreckter Zunge. Und das Vierte wurde genau dann ausgelöst, als sie wegen des vorherigen Bildes über sich selbst lachen musste.

Mit spitzen Fingern zog sie den eingerissenen Plastikvorhang zur Seite und sah, dass der Streifen zum Trocknen bereits in dem Ausgabefach lag. Es musste noch eine Minute trocknen, bevor sie das oberste Bild fein säuberlich abreißen und es Ryon reichen konnte. Die anderen Fotos steckte sie in ihren Geldbeutel. Das alberne Bild würde Ai bestimmt gefallen.

„Kaffee?“

Sie mussten nicht lange die Straße entlang laufen, um das erste Café zu finden. Das hatte aber in etwa den Charme einer Tiefgarage mit all dem Glas und Metall. Da rein hätte sich Paige nichtmal gesetzt, wenn sie Kaffee und Kuchen umsonst bekommen hätten.

Stattdessen ging sie entschlossen weiter und fand zwischen einem Musikgeschäft und einem Laden für Wohn-Accessoire genau das, was sie suchte.

Der Eingang war so unauffällig wie auch das kleine Geschäft an sich. Wenn man in den Raum mit den kleinen Tischen und den gemütlichen Sesseln wollte, musste man sich an der Theke mit den selbst gebackenen Kuchen und kleinen Muffins vorbei schlängeln. Was natürlich ein schlauer Schachzug war, da sich Paige bei der netten, jungen Bedienung gleich einen Schoko-Bananen-Muffin zu ihrem Chai Latte bestellen musste.

Nachdem auch Ryon geordert hatte, sah sie erst einmal die anderen Gäste an.

Nicht viele Leute und eigentlich interessierten sie Paige auch nicht wirklich. Aber besser, als zugeben zu müssen, dass ihr kein Thema einfiel, über das sie sich mit ihrem Shoppingpartner unterhalten konnte. Weder das Amulett noch die Reise nach Paris waren ein angebrachtes Thema. Obwohl sie hier an der Oberfläche waren, konnte es irgendwelche ungewünschten Zuhörer geben. Was dann?
 

Die Sachen ins Auto zu bringen, das Foto für den Reisepass, die Suche nach einem passenden Café, das alles ging unglaublich unkompliziert und trotzdem wurde Ryon das Gefühl nicht los, als würde seit dem Verlassen des Umstandsmodengeschäfts etwas so unübersehbar zwischen ihnen stehen, wie ein nackter Mann in einem Nonnenchor. Als müsse er irgendeine Erklärung abgeben, obwohl er bisher doch nie das Gefühl gehabt hatte, jemanden Rechenschaft schuldig zu sein. Er nannte niemals seine Gründe für sein Tun und hätte gedacht, das würde auch immer so weiter gehen. Aber plötzlich war er sich da gar nicht mehr so sicher.

Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als er hinter Paige her in einen kleinen gemütlichen Laden marschierte und an der Theke seine Aufmerksamkeit gefordert wurde.

Auf die Schnelle bestellte sich Ryon einfach etwas, nur um seinen Wunsch eine Sekunde später auch schon wieder zu vergessen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich so unauffällig wie möglich zwischen den beinahe filigran wirkenden Möbelstücken hindurch zu schlängeln. An sich war es wirklich ein nettes kleines Café, aber für jemanden seiner Statur war es der reinste Spießrutenlauf.

Endlich hielt Paige an einem Tisch an, den auch er selbst gewählt hätte.

Nachdem er auf seinem Stuhl platz genommen hatte, fühlte er sich schon etwas wohler, auch wenn er sich in der Öffentlichkeit niemals behaglich fühlte. Ob er nun wollte oder nicht, er zog mit seinem Aussehen immer wieder mehr oder weniger unauffällige Blicke auf sich. Es war ja nicht nur seine Größe, sondern auch sein Körperbau und seine buntgefärbten Haare. Auf den ersten Blick musste er aussehen wie ein selbstverliebter Schnösel, dessen einzige Beschäftigung es war, seinen Zeit im Bodybuildingstudio zu verbringen oder beim Frisör.

Zum Frisör ging er jedoch erst dann, wenn seine Haare schon fast bis auf die Schultern reichten und dann auch nur zum Schneiden. Das Fitnessstudio konnte ihm wohl keiner übel nehmen, da er dort ungestört mehrere Kilometer am Stück in aller Ruhe laufen konnte.

Wäre die Bedienung mit ihrer Bestellung nicht so schnell gewesen, Ryon wäre gar nicht aufgefallen, dass noch jemand bei ihm am Tisch saß. Er war es nicht gewohnt, mit jemand anderen einfach nur da zu sitzen und etwas zu sich zu nehmen. Nur zu oft hing er für gewöhnlich seinen eigenen Gedanken nach. So aber blickte er fast schon etwas neugierig auf seine Bestellung. Es war ein großer Becher Milchkaffee mit Sahne.

Fast eine Minute lang starrte er das Getränk vor sich an, bis er schließlich seine Hände darum legte und zu Paige aufblickte.

Warum zum Teufel hatte er eigentlich wieder diese alte Gewohnheit angenommen? Der Teil in ihm, der sich danach sehnte, war gefesselt und verschnürt hinter schalldichten Wänden vergraben. Warum kamen dessen Wünsche dennoch hindurch, ohne dass er es bemerkte?

„Von woher kennen Ai und du euch eigentlich?“

Das war die erstbeste Frage, die ihm auf die Schnell einfiel, damit er seinem Gegenüber endlich die Aufmerksamkeit schenkte, die es verdiente. Er hatte Paige schon lange genug ignoriert, auch ohne es zu wollen.
 

Seit sie beschlossen hatte aus Ryon nicht mehr schlau werden zu wollen, wurde Paige irgendwie leichter ums Herz. Was jetzt auch immer passierte, es würde einfach als eine Episode während der Zusammenarbeit mit diesem Mann in ihrem Gedächtnis abgelegt werden.

Paige war jemand, der gern Freundschaften schloss, sich für Andere interessierte und gern teilte, aber wie sie nun wieder ihr Gegenüber betrachtete, fiel ihr auf, dass es bis jetzt vergebene Liebesmüh gewesen war. Mal davon abgesehen, dass sie sich nicht mehr verletzen wollten, waren sie sich kein Stück näher gekommen. Schätzungsweise würde nichts und niemand Ryon näher kommen, der keine persönliche Einladung von ihm dazu bekam. Und darauf konnte man bestimmt lange warten.

Mit ihm würde sie nie lachen können, ohne dass ihr danach auffiel, dass er nicht mitgelacht hatte. Er würde immer diese ausdruckslose Miene beibehalten, die ihn gelangweilt und überheblich wirken ließ.

Wäre da nicht sein Zusammenbruch gewesen, Paige hätte wirklich angenommen, dass er nicht nur so tat, sondern dass er tatsächlich keinerlei Gefühle hatte. Aber das war nicht möglich. Ohne Emotionen konnte niemand leben. Existieren vielleicht, aber leben...

Sie hatte ihn dabei beobachtet, wie er die Tasse vor ihm auf dem Tisch fixierte. Kein Zeichen, ob er mit der Anwesenheit des Getränks zufrieden oder unzufrieden war. Das war nur daran abzulesen, dass er den Kaffee schließlich in die Hand nahm.

Es war auch das, was Paige vor allem in Hinblick auf ihre Zusammenarbeit für etwas Gefährliches hielt.

Manchmal musste man die Stimmung und damit die Aktionen seines Partners einfach schon früher lesen können, als er reagierte. Das würde bei Ryon nie möglich sein. Bei ihm würde sie erst wissen, was er vorhatte, nachdem er es getan hatte.

Mit den seltsamen Augen wurde sie nur unter größter Konzentration immer wieder fertig. Und die Frage war auch irgendwie seltsam. Wieder etwas, das mit Ai zu tun hatte.

„Ich denke nicht, dass Ai möchte, dass ich dir diese Geschichte erzähle.“

Und auch Paige wollte nicht, dass Ryon wusste, welche Umstände zum Zusammentreffen der beiden Frauen geführt hatte. Egal, wie sie es umschrieben hätte, es wäre für Ai, selbst jetzt, wo sie wieder wohl auf war, eine Bloßstellung gewesen.

„Sagen wir einfach, ich bin über sie gestolpert. Ihr Exmann wollte keine Verantwortung für sie und das Kind übernehmen, deshalb... hat er sie rausgeworfen.“

Im wahrsten Sinne des Wortes.
 

Ryon rührte langsam in seinem Becher um, damit sich der Zucker besser auflösen konnte, während er Paige zuhörte. Also gab es auch bei den Frauen genug Dinge, über die sie nicht sprechen wollten. Nur zu verständlich. Nach allem, was er wusste, hatten es die beiden bisher nicht sehr leicht gehabt.

Paiges Jobs, Ai in ihrem Zustand und trotz allen Mühen immer kurz vorm Verhungern. Zumindest hatte er diesen Eindruck gewonnen. Wenn man bedachte, mit welchem Appetit die werdende Mutter am Tisch aß.

„Verstehe.“

Das war zunächst alles an Reaktion, die er auf das Gesagte wiedergab. Allerdings machte er sich im nächsten Moment bewusst, dass Paige vermutlich nicht ganz mit seiner Antwort zufrieden war, weshalb er sie schließlich weiter ausführte, um das beginnende Gespräch nicht schon am Anfang wieder im Keim zu ersticken.

„Ich meine, ich verstehe, warum Ai das sicherlich nicht möchte und dass du natürlich das Bedürfnis hast, sie auch während ihrer Abwesenheit in Schutz zu nehmen. Ich hatte bisher den Eindruck, dass dir sehr viel an ihr liegt. Immerhin, ohne sie wäre dein Leben sicherlich anders verlaufen, was die wichtigsten Grundbedürfnisse angeht und trotzdem teilst du ohne Zögern. So etwas ist bewundernswert. Ganz im Gegenteil zu diesem Kerl…“

Ryon naschte etwas Sahne von seinem Löffel, ehe er diesen sorgsam weglegte, obwohl ihm noch mehr zu diesem ... Kerl eingefallen wäre.

„Ich kann die Denkweise solcher Männer nicht einmal nachvollziehen.“, gestand er schließlich, während er die Landschaftsbilder an der Wand neben ihnen betrachtete und sich auch sonst relativ aufmerksam im Raum umsah, bis er wieder in Paiges Augen blickte.

„Hast du deshalb diesen ganz speziellen Job?“

Wäre seine Frage nicht genauso ruhig wie die andere davor auch, man hätte sie fast schon für neugierig halten können. Was sie auch war, obwohl er sich das vor sich selbst niemals eingestehen würde.
 

'Bewundernswert'...

In Gedanken wiederholte sie das Wort noch einmal, das Ryon gerade für sie selbst oder vielmehr ihr Verhalten verwendet hatte.

War es das denn wirklich? Bewunderte sie irgendjemand für das, was sie getan hatte? Wenn Ryon wüsste, was mit Ais Exmann geschehen war, würde er wahrscheinlich anders über die Sache sprechen.

Wieder sah er ihr nach einer kurzen Inspektion des Cafés in die Augen. Mit der nächsten Frage hatte sie in diesem Zusammenhang allerdings nicht gerechnet.

Ob sie deswegen diesen Job machte? Eigentlich war es ja gar kein Job in dem Sinne. Sie bestahl andere Leute, um deren Hab und Gut für sich selbst zu Geld zu machen. Etwas Illegales und Unsoziales. Etwas, worauf sie nicht stolz war. Obwohl sie zu einer der Besten in 'World Underneath' gehörte und das nicht erst, seit Ai bei ihr lebte.

Wie war sie eigentlich dazu gekommen, zu stehlen?

Es hatte schon früh angefangen. Als sie noch jung gewesen war und die Aufmerksamkeit ihres Dads noch in irgendeiner Weise auf sich hatte ziehen wollen.

Egal ob es nun gute oder schlechte Aufmerksamkeit war. Immerhin war sie ein paar Mal erwischt worden, als sie, typisch Anfänger, nach ein paar gelungenen Raubzügen zu übermütig und selbstsicher geworden war. Das hatte ihr bei den ersten Malen Verwarnungen von den Ordnungshütern und später Prügel eben jener eingebracht. Doch die konnten nie so schmerzen, wie die andauernde Ignoranz ihres Vaters.

Er hatte sie weder als seine Tochter, Störenfried oder irgendetwas Anderes wahrgenommen. Vielleicht noch als eines seiner vielen Objekte für seine Experimente. Aber selbst dafür taugte sie mit ihrer halben Natur nicht viel.

„Nein, nicht allein deshalb.“, antwortete sie schließlich und vermied es mit ihren Fingern zu überprüfen, ob das Samtbeutelchen, das sie aus ihrem Badezimmer mitgenommen hatte, noch immer in ihrem Rucksack lag.

„Aber es hat geholfen.“

Sie nippte an ihrem heißen Chai Latte und steckte sich einen Bissen Muffin in den Mund. Die Schoko-Bananen-Masse schien auf ihrer Zunge sofort zu schmelzen, was Paiges Augen zum Leuchten brachte. Sie kaute genüsslich und nahm dann noch einen Schluck, bevor sie sich weiter erklärte.

„Allein mit Kellnern und Singen hätte ich das Geld nicht aufbringen können. Und ich habe Nichts gelernt. Zumindest nicht das, was ich wollte...“

Sie wäre gern Bibliothekarin geworden, umgeben von alten Büchern und damit Tonnen von Wissen, dass sie nach und nach in sich aufsaugen konnte. Aber daraus war nichts geworden.
 

Zwar warf Ryon immer wieder einen unauffälligen Blick auf die Straße und machte mit seinen Augen eine Runde durch das Café, doch hauptsächlich konzentrierte er sich auf Paige und wie sie ihren Muffin aß.

Er schien ihr deutlich zu schmecken, denn in ihren Augen lag offensichtlich so etwas wie Wohlbehagen. Ihre Worte schienen daher nicht ganz zu diesem Ausdruck zu passen, aber das war auch nur zu verständlich.

Ryon hätte zwar nicht sagen können, was alles hinter den wenigen Worten lag, wusste jedoch sehr genau, dass es sehr viel mehr war, als sie ihm mitteilte. Jemand, der selbst mit der vollen Wahrheit sehr sparsam umging, erkannte leicht, wann auch der andere nur vom Nötigsten berichtete. Es musste noch sehr viel mehr geben. Garantiert sogar, jemanden wie ihr war er immerhin noch nie begegnet.

Ryon hatte zwar schon so einige Dämonen erledigt und auch alle möglichen anderen Kreaturen, aber jemand wie Paige war ihm noch nie untergekommen. Ihre Fähigkeiten waren selbst für ihn respekteinflößend, aber vor allem auch sehr gefährlich. Er fragte sich sogar, wie weit die Schuppen und das Feuer ihrer Kontrolle unterlagen. Teilweise hatte er das Gefühl, es wären sehr gefühlsbedingte Reaktionen gewesen und dann gab es da wieder Momente, wo sie es ganz bewusst einsetzte. Wie viel wohl davon ebenfalls von ihren Emotionen bestimmt wurde?

Wenn Ryon nicht schon seit Jahren das andere Ich in sich unterdrückt gehalten hätte, er wäre anhand dieser anderen Seite in sich auch eine ganz andere Persönlichkeit. Ob er nun wollte oder nicht, jemand wie er wurde von seinen Instinkten und Trieben geführt. Da er diese zu unterdrücken versuchte, blieb ihm nichts anderes mehr, als sein logischer Verstand und der dachte eben einfach nur logisch. Mehr nicht und doch war er noch nicht so weit, sich als lebende Maschine zu bezeichnen. Immerhin gab es durchaus noch Entscheidungen in seinem Leben, die mit rein logischer Schlussfolgerung nicht hätten erklärt werden können.

„Ich kenne Leute, die würden jemanden wie dich als Abschaum bezeichnen. Keine Bildung, mieser Job und dazu noch deine nächtlichen Aktivitäten. Dabei ist das sicher ein hartes Leben und trotzdem hast du nichts von deiner Menschlichkeit verloren. Mitgefühl, die Fähigkeit zu teilen, Fürsorge… Ich finde das sind Dinge, auf die es im Leben wirklich ankommt. Ausbildungen kann man immer nachholen, aber wenn man diese grundlegendsten Dinge nicht einmal beherrscht, ist meiner Meinung nach ohnehin schon alles zu spät.“

Mit dieser Aussage schnitt er sich zwar teilweise selbst ins eigene Fleisch, aber es war nicht so, dass er absolut gnadenlos gewesen wäre.

In vielen Situationen in die er geriet, war das eben keine Wahl zwischen guter Junge, böser Junge. Wenn er seine eigenen zwielichtigen Jobs nachging, musste er der böse Junge sein, um nicht Gefahr zu laufen, am Ende selbst auf der Abschussliste zu stehen.

Paige hingegen, wollte er mit seinen Worten nur seine Sicht der Dinge darlegen. Er sah in ihr inzwischen keine Diebin mehr und auch sonst nichts, was man auf der Straße einfach links liegen lassen würde.

Was er von dieser Frau bereits wusste, machte unwichtig, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente. Dass sie ein guter Mensch war, war das Einzige, was in diesem Fall zählte. Mit jemand anderen hätte er niemals auf diese ruhige Art zusammen gearbeitet. Zwar würde er seine Vorsicht bei ihr nicht einfach so fallen lassen, aber er musste wohl auch nicht befürchten, in einem unachtsamen Moment ein Messer im Rücken zu haben, das Paiges Handschrift trug.
 

Paige versteifte sich und ließ fast ihre Tasse fallen, als Ryon anfing ihr zu erklären, dass mancher sie als Abschaum bezeichnen würde.

Gefühlslosigkeit hin oder her, aber beleidigen lassen musste sie sich von ihm auch nicht. Hätte seine Rede sich bei der Hälfte nicht doch noch um hundertachzig Grad gedreht und er von ihr in ganz anderen Tönen gesprochen, hätte der Rest Chai in ihrer Tasse unweigerlich blubbernd zu kochen begonnen.

Von Feingefühl war bei Ryon keine Spur zu finden.

Schon komisch, dass sie das selbst bei ihm erwartet hätte. Vielleicht, weil er seine Worte normalerweise recht sorgfältig zu wählen schien. Aber das war wohl mehr das Vokabular, als die eigentliche Aussage.

„Danke. … Glaub ich.“, sagte sie darauf kopfschüttelnd und trank noch den letzten Schluck ihres nun doch wieder recht heißen Getränks aus.

„Es gibt schätzungsweise ebenso viele Leute, die dir eine solche Ansicht nicht zutrauen würden. Wenn man dich nur flüchtig kennt, meine ich.“

Alles Weitere hätte sie zu Kommentaren verleitet, die Ryon möglicherweise falsch verstanden hätte.

Es war ja nicht so, dass sie ihm zu seiner eisigen Fassade auch noch ein Kompliment machen wollte. Auch wenn ihr inzwischen zumindest dämmerte, dass es nur eine Fassade war und in diesem Mann doch ein Quäntchen Gefühl stecken musste. Obwohl er es gut zu verstecken wusste.

Ob ihm seine aalglatte Ausstrahlung wirklich gefiel? Paige konnte sich nicht vorstellen, dass man es mögen könnte, bei jedem, dem man begegnete, eher ein misstrauisches als offenes Gefühl auszulösen. Für sie persönlich war es schwer auch nur daran zu denken, ihr Wesen derart hinter Schloss und Riegel zu stecken. Vielleicht damit niemand engeren Kontakt zu ihm aufnahm?

„Darf ich dich mal was fragen? Dir ist Ai recht sympathisch, oder?“
 

Die Frage war wohl eher, wie viele Menschen kannten ihn überhaupt flüchtig? Aber im Grunde hatte sie Recht, weshalb er auch nicht weiter auf ihre Erwiderung einging, sondern stattdessen von seinem Milchkaffee trank, in welchem er inzwischen die ganze Sahne verrührt hatte.

„Bisher: Ja.“, beantwortete er ihre Frage, die er etwas seltsam fand. Warum sollte sie das interessieren?

„Was ich so bei den Gesprächen während der Mahlzeiten mitbekommen habe, scheint sie ein angenehmer, offener Mensch zu sein. Dafür, dass sie nur rein menschlich ist, kommt sie mit dem Übernatürlichen sehr gut klar. Sie hat offenbar sehr viel Mut…“

Da war sie nicht der einzige Mensch, der sich nicht vor andersartigen Wesen fürchtete oder sie zumindest nicht verurteilte und ihnen mit Misstrauen und Abneigung begegnete. Leider immer wieder nur eine seltene Ausnahme.

Bei den meisten Menschen musste man so tun, als gehöre man völlig zu ihnen, dabei scheint es einem so vorzukommen, als könne man es ihnen schon an der Nasenspitze ansehen.

„Ich glaube, Tyler mag sie. Er kocht mit einer Hochstimmung, die ich noch nie bei ihm erlebt habe und letztes Mal hat er seine selbstgebackenen Kekse vor Tennessey verteidigt, als wäre er eine besorgte Glucke, die auf ihre Kinder aufpasst, aber Ai hat er sofort, als sie zur Tür herein kam, welche angeboten.“

Das musste doch etwas zu bedeuten haben.
 

„Ja, mit dem Mut könntest du Recht haben. Immerhin war sie mit einem Wasserspeier verheiratet.“

Allein der Gedanke ließ Paige wieder darüber nachdenken, dass man manchmal von den Linien der verschiedenen übernatürlichen Wesen durchaus auf ihren Charakter schließen konnte.

Von einem Wasserspeier oder Steindämon konnte man eben keine großen, warmen Gefühle erwarten. Mal von Liebe ganz zu schweigen.

„Ich glaube, dass er sich am Anfang hauptsächlich mit ihr schmücken wollte. Ein wunderschönes Model an seiner Seite. Als sie dann schwanger wurde, war das mit dem Vorzeigen für ihn anscheinend vorbei. Er hätte sich tatsächlich um sie kümmern müssen. Dabei hat dieser Mistkerl in seinem Leben bestimmt weder was von Liebe, noch von reiner Zuneigung oder Menschlichkeit je was gehört.“

Sie stoppte sich gerade rechtzeitig, bevor ihr Finger mehr als ein leichtes Braun auf die Tischoberfläche brennen konnten.

Die Bilder von dieser Nacht in der Gasse waren nie ganz aus ihrem Kopf verschwunden. Ais blaue Lippen in dem ausgemergelten Gesicht, da sie in dem Müllsack nicht hatte atmen können. Der Brandfleck an der Wand, den ihr Wutausbruch am Ende hinterlassen hatte.

Die Finger nun ineinander verschränkt, atmete sie zweimal tief durch, bevor sie über das nachdachte, was Ryon ihr gerade noch eröffnet hatte. Dabei hätte es auch ein Blinder mit Stock bemerkt, dass Tyler für Ai etwas übrig hatte.

„Ja, es ist mir aufgefallen, dass Tyler sich um sie bemüht. Ich finde das süß. Und nach allem, was sie erlebt hat, hat sie so eine Behandlung auch mehr als verdient.“

Als sie weiter dachte – sehr viel weiter – musste sie schmunzeln und sah dann wieder in Ryons Gesicht. Bei ihm regte sich kein Muskel, aber trotzdem hatte sie das Bedürfnis ihm ihre Gedanken mitzuteilen.

„Wie viel älter ist er eigentlich? Dreihundert Jahre älter als sie? Ai steht auf Männer mit Erfahrung, musst du wissen...“
 

Ihr Geruch brannte sich in seine Nase, als sie zuerst mit der Geschichte über Ais Exmann anfing und dann inne hielt, um an etwas zu denken, dass auch noch zusätzlich für einen leichten Brandgeruch sorgte.

Ohne es bewusst zu wollen, lehnte sich Ryon in seinem Stuhl zurück, ließ aber seine Hände nicht von dem fast leer getrunkenen Becher vor sich. Also war vieles an Paige wirklich emotionsbedingt, wenn man den Brandfleck auf dem Tisch bedachte und dabei hatte sie sogar noch ihr menschliches Aussehen beibehalten.

Zum Glück wechselte sie schließlich zu einem unverfänglicherem Thema, auf das er auch sofort ansprang. Nicht, dass er an Paiges Selbstbeherrschung gezweifelt hätte, zumindest nicht zu stark, aber Reaktionen wie damals in ihrer Wohnung wollte er natürlich nicht extra auch noch provozieren.

„Mindestens. So genau weiß ich sein Alter auch nicht, aber auch wenn das jetzt deutlich nach einem Verkupplungsversuch klingt: Er ist auf seine humorvolle Art hoch anständig, hat immense Freude daran, andere zu verwöhnen und wenn man dazu rechnet, dass er schon seit Generationen für meine Familie da ist, ist er auch unglaublich loyal.“

Das nur so nebenbei bemerkt. Das der Kerl zusätzlich niemals Angst wegen Rechnungen haben musste, brauchten die beiden Frauen nicht zu wissen. Falls nötig, würde Ai das schon selbst heraus finden.

Ryons Blick schweifte zu seiner Uhr. Ein paar Minuten hatten sie noch, dann sollten sie langsam los, um das Bild abzuliefern. Danach würden sie rasch den Reisepass bekommen.

„Wir müssen gleich los. Danach haben wir aber noch etwas Zeit, weshalb ich dich zwecks Weiterbildung fragen wollte, in welchem Geschäft du als eigenständige und selbstbewusste Frau einkaufen würdest. Damit ich in Zukunft Bescheid weiß.“

Es klang zwar sicher nicht so, aber in diesen Sätzen steckte nicht nur eine weitere Gelegenheit, um Paige zum Kauf weiterer neuer Kleider zu bewegen, die sie sicher auch noch nach Paris gebrauchen konnte, sondern auch sein Eingeständnis an seine Niederlage beim Auswählen der ersten Boutique.

Wenn er diese Hürde einmal geschafft hatte, konnte Paris ruhig kommen.



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