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Adolescent Hellsing

von

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Tag 01 :: Lacrimoso

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DISCLAIMER

Hellsing gehört immer noch nicht mir. Und dafür solltet ihr dankbar sein.
 

AUTHOR' S NOTES

Okay... wenn ich früher an die Scanlations der Mangas gekommen wäre, hätte ich die Story der Tatsache anpassen können, dass Integra und Maxwell sich erst später persönlich kennen lernen. Bitte seht gnädig darüber hinweg. ^^;
 

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Hunderte Kilometer von den britischen Inseln entfernt, in der Ewigen Stadt, unweit des Vatikans. Jugendliche auf kleinen, lärmenden Motorrollern sausten haarscharf und wild hupend an Pater Enrico Maxwell vorbei, als er aus dem Wagen stieg und über die Straße auf einen der vielen Palazzos Roms zustrebte.
 

Das Oberhaupt der XIII. Division des Vatikans kümmerte sich überhaupt nicht darum. Er überquerte die Straße mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der es gewohnt war, dass ihm alles und jeder in eigenem Interesse aus dem Weg ging.
 

Es gab viele schöne und uralte Gebäude in Rom, und trotzdem war der Palazzo, den Maxwell nun durch ein schweres, schmiedeeisernes Gittertor betrat, besonders bemerkenswert. Groß, strahlend weiß, mit kleinen Säulen auf den Balkonen und halb hinter einer hohen, efeubewachsenen Mauer verborgen. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen und Kameras waren so perfekt verborgen, dass auch ein aufmerksamer Beobachter nie vermutet hätte, dass dieses Haus ein wichtiger Stützpunkt des Geheimdienstes der Iscariot- Division war.
 

"Gott segne Sie, Pater Maxwell." Man erwartete ihn schon an der Tür, in Form von Pater Alessandro, dem Leiter des Geheimdienstes der XIII. Division. "Wir haben ihn endlich gesichtet, vor kaum zwei Stunden."

"Deswegen bin ich ja hier.", gab der Angesprochene ungeduldig zurück, während die beiden den Salon des Hauses betraten. "Aber dass das zwei Jahre gedauert hat, ihn zu finden, lässt Sie nicht gerade in einem sonderlich guten Licht dastehen, Alessandro! Wir können nur hoffen, dass der Schaden sich in Grenzen hält und die Angelegenheit so schnell wie möglich erledigt und zu den Akten gelegt werden kann!"

"Es tut mir leid, Pater Maxwell, aber wir..." Alessandro versuchte sich zu verteidigen, doch sein Chef winkte ab.

"Wann ist er aufgetaucht?", fragte er stattdessen.

"Letzte Nacht. Ich muss übrigens erwähnen, dass es nicht die für diese Angelegenheit abgestellten Sonderkommandos waren, die ihn gefunden haben, sondern die für Hellsing zuständige Abteilung..."

Maxwell schloss in dunkler Vorahnung die Augen. Allein die Erwähnung des Namen Hellsing konnte nichts Gutes bedeuten.

"Es ist mir völlig egal, *wer* ihn gefunden hat! Wichtig ist, *wo* er ist! Wo ist Leviathan?"
 

"In... London."
 

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Jemand hatte sie in ihr Zimmer gebracht und ihre Wunden verbunden, wie Integra gleich nach dem Aufwachen feststellte. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr nur grauen Nebel, es musste noch früh sein. Trotzdem fühlte sie sich zum ersten Mal seit drei Tagen einigermaßen ausgeruht und klar im Kopf.
 

Kurz rief sie sich die Geschehnisse der letzten Nacht in Erinnerung. Sie hatte auf Walter warten wollen... war mit Alucard in die Bibliothek ihres Vaters gegangen, wo sie noch bis in die frühen Morgenstunden ausgeharrt hatten. Und irgendwo an diesem Punkt musste sie unverständlicherweise eingeschlafen sein. Mit einem *Vampir* im gleichen Zimmer!

Wie hatte sie das geschehen lassen können? Integra schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf. Auch drei schlaflose Nächte in Folge konnten so eine Nachlässigkeit nicht entschuldigen... andererseits, möglich war natürlich, dass dieses Monster seine Finger im Spiel hatte... Fast automatisch tastete sie ihren Hals nach einer Wunde ab, doch es schien alles in Ordnung zu sein.
 

Integra seufzte erleichtert auf. Dass Alucard die Gelegenheit nicht genutzt hatte, bestätigte, was er ihr in der Bibliothek über das sogenannte "Cromwell- Siegel" erzählt hatte. Sie war also tatsächlich sein *Meister*... zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wo die Grenze lag, galt noch herauszufinden.
 

Aber nicht jetzt - Integra schob den Gedanken zur Seite. Sie hatte auch noch andere Sorgen als nur den Vampir. Ihr blieben, einschließlich heute, nur noch drei Tage, bis die Anerkennungszeremonie durch die Queen stattfinden würde, die sie offiziell zum neuen "Sir Hellsing" machte. Aber Integra war nicht so naiv zu glauben, dass der Name allein ausreichte, um als solcher anerkannt zu werden. Sie musste es irgendwie fertig bringen, sich innerhalb dieser drei Tage die Fähigkeiten anzueignen, die man als Kopf von Hellsing brauchte... und sie war wild entschlossen, allen zu zeigen, zu was sie fähig war. Vor allem Leuten wie Richard!
 

Entschlossen stand Integra auf, öffnete ihre Schranktüren und musterte den Bestand ihrer Kleidung, die bekanntlich Leute machte. Leider beinhaltete ihre Garderobe nur wenig, was ihr und ihren 13 Jahren einen Hauch von Seriosität oder "Erwachsensein" verleihen konnte. So suchte sie sich schließlich notgedrungen doch eins von ihren Kleidern heraus und lief nach unten.
 

Auf der Treppe begegnete sie Walter, der offenbar soeben mit dem Essen zu ihr unterwegs gewesen war. Sein Gesicht hellte sich deutlich auf, als er ihren veränderten Gesichtsausdruck bemerkte; nichts war mehr von der melancholischen Verschlossenheit zu bemerken, die sie während der letzten Tage an den Tag gelegt hatte.
 

"Integra- sama! Wie geht es Euch?"

"Ich lasse das Frühstück heute ausfallen, Walter.", unterbrach sie ihn ohne Umschweife. "Ich möchte, dass ein Schneider herkommt. Und du musst mir alles zeigen, was du über Vaters Arbeit weißt."

Der Shinigami starrte sie mit offenem Mund an. Mit so einem rapiden Stimmungswechsel hatte er nicht gerechnet... doch ihrem entschlossenen Blick nach zu schließen, schien Integra tatsächlich zu wissen, was sie wollte.

"Sicher, Integra- sama, aber...", begann er, doch sie ließ ihn abermals nicht ausreden.

"Wo ist Alucard jetzt?"

"In den Untergrundverliesen. Er hatte damals... hat dort ein Zimmer. Im Moment wird er wahrscheinlich schlafen, es ist immerhin schon nach Mittag."

"Was?" Entgeistert starrte Integra auf ihre Armbanduhr. Das durch den Nebel gedämpfte Tageslicht hatte sie tatsächlich getäuscht, es war bereits halb zwei. "So spät schon?"

"Die Polizei war auch schon da.", nickte Walter. "Wegen Richards Fall. Sie sind aber nach ein paar Telefonaten schnell wieder verschwunden... und die Erklärung für alle anderen lautet, dass ein Vampir ins Haus eingedrungen ist und Richard und seine Leibwächter bei dem Angriff umgekommen sind."
 

Ärger blitzte in Integras Augen auf. "Was? Soll es etwa so aussehen, Hellsing könne sein Hauptquartier nicht verteidigen? Wieso müssen wir wegen diesem Verräter unseren Ruf schädigen?"

Die Vehemenz, mit der Integra sich über diesen Umstand aufregte, und die Selbstverständlichkeit, mit der sie von "unserem Ruf" und "wir" bezüglich der Organisation sprach, versetzen Walter in immer größeres Erstaunen.

"Es ist die einzige Möglichkeit.", erklärte er. "Alles andere wäre zu kompliziert."

Integra verschränkte die Arme. "Na schön - wenn es nicht anders geht..."
 

Eine kleine Pause entstand.
 

"Hör mal, Integra..." Nur sehr selten ließ Walter das "- sama" hinter ihrem Namen weg, meist nur, wenn er ihr einen vertraulichen Rat gab. "Ich weiß zwar nicht genau, was gestern Nacht hier passiert ist, aber übertreib es jetzt nicht. Die Entschlossenheit, mit der du diese ganze Sache angehst, ehrt dich, aber alle würden es verstehen, wenn du mehr Zeit brauchst-"

Integras Blick wurde abweisend. "Mir geht es bestens. Ich bin im Arbeitszimmer."

Und damit verschwand sie auf dem Flur des dritten Stockes.
 

Walter sah ihr mit einem unguten Gefühl nach.
 

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Langsam näherte Integra sich dem Schreibtisch ihres Vaters und ging zögernd um ihn herum. Noch nie hatte sie an diesem Platz gesessen oder den Raum aus dieser Perspektive betrachtet; überhaupt war sie selten hier gewesen, da ihr Vater nur ungern bei der Arbeit gestört wurde. Ab jetzt würde sie hier arbeiten.
 

Obwohl sie sich einen sentimentalen Idioten schalt, erschien es ihr fast als Sakrileg, die Schubladen zu öffnen und ihren Inhalt zu erkunden. Vorsichtig nahm sie ein paar Hefter heraus und blätterte darin herum. Briefwechsel mit der Queen und anderen Mitgliedern des Runden Tisches... der nächste beinhaltete einige kryptisch aussehenden Diagramme und Tabellen... ein weiterer Rechnungen und Kontoauszüge...
 

Mit all dem würde sie sich noch beschäftigen müssen, aber nicht jetzt. Integra wollte die Hefter gerade zurücklegen, als aus einem von ihnen ein unbeschrifteter Briefumschlag rutschte und zu Boden fiel. Neugierig hob sie ich auf - er war zu schwer, als dass nur Papier drin sein konnte - und öffnete ihn.
 

Heraus fiel ein schlichtes, goldenes Kreuz.
 

Stirnrunzelnd sah Integra noch einmal nach, aber außer dem war der Briefumschlag leer, kein Zettel oder Brief verwies auf seine Herkunft. Auch die Ordner selbst ließen keine Rückschlusse darauf ziehen, was das für ein Kreuz war.

Aber es gefiel ihr, entschied sie. Sie würde sicher Verwendung dafür finden.
 

Ihr Interesse von den Schubladen lenkend fiel ihr Blick auf den kleinen Berg aus unbearbeiteter Post und Berichten, der sich in den letzten Tagen angesammelt hatte. Ihr Mut sank, als sie den ersten Packen zu sich heranzog. Wenn sie jeden Brief einzeln...-
 

In diesem Moment fiel ihr Blick auf das Siegel, das ihr rot von der Rückseite des obersten Briefes entgegen leuchtete. Für ein paar Momente starrte sie es lediglich an wie ein ekliges Insekt, dann nahm sie den Brief und suchte nicht erst nach dem Brieföffner, um den Umschlag hastig aufzureißen.
 

"Sehr geehrte Integra Wingates Hellsing,

mit großer Bestürzung hat der Vatikan die Nachricht vom frühzeitigen Dahinscheiden Ihres Vaters aufgenommen. Ich möchte nicht nur in meinem Namen, sondern auch im Namen all meiner Kollegen Ihnen und dem gesamten Hellsing- Institut unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Wir wünschen Ihnen, dass sie diese schweren Zeiten erfolgreich hinter sich bringen.

Ich wäre sehr erfreut, wenn es Ihnen möglich wäre, morgen früh ein wenig Zeit für ein zwangloses Treffen zu entbehren, da mir viel an einem guten Verhältnis zu Ihnen als zukünftigem Anführer der Hellsing- Organisation gelegen ist. Anbei liegen Karten für ein Konzert in der Barbican Hall des Londoner Symphony Orchestra morgen Abend. Ich würde mich sehr über Ihr Erscheinen freuen.
 

Hochachtungsvoll,

Pater Enrico Maxwell

Iscariot, XIII. Division"
 

Es kostete Integra alle Willenskraft, um die vor falschem Mitleid triefenden Zeilen nicht auf der Stelle in kleinste Schnipsel zu zerfetzen. Auch wenn sie vorher nur selten mit den Angelegenheiten ihres Vaters zu tun hatte, war die Iscariot- Division bei weitem kein unbeschriebenes Blatt für sie. Ein Kondolenzschreiben von *denen*!? Erwartete dieser Maxwell, dass sie ihm so ein Geschreibsel abnahm? Und damit nicht genug, er wollte sie auch noch persönlich sprechen! Was hatte er vor, sie einzuschüchtern? Seine Überlegenheit ihr gegenüber zu demonstrieren? Oder auszukundschaften, was von ihr überhaupt zu erwarten war?
 

"Das könnte dir so passen.", knurrte Integra. "Dieses Treffen wirst du so schnell nicht vergessen... Walter!" Sie hob den Hörer von der Gabel und wählte das Büro ihres Hausdieners an. "Ist der Schneider bestellt?"

"Soeben erledigt. Dürfte ich wenigstens erfahren, was..."

"Wie sieht es mit einer Waffe aus? Ich brauche eine Pistole."

"Integra- sama..."

"Keine Widerrede, Walter!... Und könntest du dann bitte hochkommen und mir mit der Post helfen?", fuhr sie in verändertem Tonfall fort.

Auf der anderen Seite der Leitung herrschte eine kurze Pause. Offenbar bemühte sich Walter, ihren Befehlen und Stimmungsschwankungen zu folgen.

"Sicher, Integra- sama."

"Schön."
 

Integra legte auf und konnte sich eines leisen Seufzens nicht erwehren. Sie war *jetzt* schon gereizt... seufzend biss sie auf ihrem Bleistift herum und stützte ihren Kopf auf die Hände, ihre Gedanken waren bereits wieder bei dem Treffen mit dem Erzfeind ihres Vaters.
 

Wie sollte sie Maxwell am Besten gegenübertreten? Sollte sie vielleicht Alucard mitnehmen? Der Überraschungseffekt wäre natürlich riesig, da Maxwell sicher nicht mit so etwas rechnen würde - ganz zu schweigen davon, dass sie dann eindeutig am längeren Hebel säße. Jedoch wusste sie nicht, ob sie das Risiko tatsächlich eingehen konnte. Egal, was Alucard ihr über das Cromwell- Siegel und ihre Funktion als sein Meister gesagt hatte, so blieb er doch ein unberechenbarer Blutsauger, über den sie noch viel zu wenig wusste. Wenn er außer Kontrolle geriet...
 

Wieder rief Integra sich das Gespräch mit dem Vampir in der Bibliothek ins Gedächtnis. Sie hatte mehrere Male versucht herauszufinden, warum ihr Vater ihn für all die Jahre in die Verliese gesperrt hatte, doch Alucard war jedes Mal ausgewichen. Seinen leichten Andeutungen hatte sie lediglich entnehmen können, dass ihr Vater ihn offenbar nicht gut genug hatte kontrollieren können... demnach musste irgendetwas vorgefallen sein, dass ihren Vater zu dem Entschluss gebrachte hatte, den Vampir wegzusperren. Wie blutig diese Aktion gewesen sein musste, hatte sie ja schon in den bizarren Visionen in der letzten Nacht mitverfolgen dürfen.
 

"Seid vorsichtig, Master. In dieser Position könntet Ihr Euch noch den Stift in den Hals rammen. Das wäre kein schöner Tod... und eine wahre Verschwendung dazu."
 

Integra schrak wie von der Tarantel gestochen hoch, als die Stimme scheinbar direkt neben ihrem Ohr erklang, und fuhr in der gleichen Bewegung herum. Hinter dem Chefsessel mit der riesigen Lehne ragte, noch viel riesiger, ihr neuer Hausvampir und Leibwächter auf. Hut und Brille hatte er diesmal in seinem Zimmer gelassen (wo selbiges überhaupt war, blieb noch zu ergründen, doch Integra hatte jetzt andere Sorgen).
 

"Was. Machst. Du. Hier?" Sie schaffte es nicht, vor ihm zu verbergen, wie sehr er sie erschreckt hatte. "Ich dachte, Monster wie du schlafen tagsüber!"

"Nur die Durchschnittsexemplare.", belehrte er sie. "Es tut mir außerordentlich Leid, falls ich Euch erschreckt haben sollte..."

"Hast du nicht!", sagte sie kurz angebunden.

Der Vampir zog die Augenbrauen hoch - ihr rasendes Herzklopfen war ebenso deutlich wahrzunehmen wie das leichte Zittern in ihrer Stimme - doch der Brief auf dem Schreibtisch war momentan von größerer Bedeutung als das.
 

"Schau an, Enrico Maxwell leitet also jetzt Iscariot."

"Kennst du ihn?", fragte Integra aufhorchend.

Alucard grinste. "Damals war er noch ein unbedeutender kleiner Priester... er will sicher wissen, ob seine Spione Recht mit der Behauptung hatten, dass Ihr mich freigelassen habt."

"Er *weiß* von dir?", fragte Integra entgeistert. "Und was für Spione?"

"Das wisst Ihr nicht? Natürlich hat er Spione auf Hellsing angesetzt. Ihr übrigens auch auf den Vatikan, davon abgesehen."

"Aha.", gab Integra mürrisch zurück. "Gibt es außerdem noch irgendetwas, dass ich wissen sollte und sonst nur von meinen Angestellten erfahre?"

"Angestellter?", wiederholte Alucard amüsiert, abermals die Augenbrauen hochziehend. "Bin ich soeben in selbigen Stand erhoben... oder erniedrigt worden?"
 

Integra sah ihn für einen Augenblick schweigend an. Sollte sie... oder nicht? Doch, verflixt noch mal, sie würde das Risiko eingehen.
 

"Ganz genau. Du hast ab sofort wieder den Posten, den du bei meinem Vater hattest."
 

Alucard beugte sich breit grinsend zu ihr herunter. "Welch große Worte! Schade nur, dass Ihr gar nicht so genau wisst, was genau dieser ,Posten' beinhaltete, nicht wahr, Meister?"

In einer sehr kindlichen Geste der Frustration stampfte Integra mit dem Fuß auf. "TU EINFACH, WAS ICH SAGE, KLAR?"
 

Wie auf' s Wort öffnete sich in diesem Moment die Tür, und Walter kam herein. Seine Haltung versteifte sich zusehends, als er Alucard entschieden zu nah für seinen Geschmack bei seinem Schützling stehen sah.

"Guten Tag, Alucard...- sama.", setzte er zögerlich hinzu, während er auf die beiden zuging; es war nicht einfach für ihn, den Vampir von einem Tag auf den anderen wieder als "aktiven" Hausbewohner zu behandeln. Ebenso zögerlich hielt er Integra eine silber- schwarze Pistole hin. "Wie gewünscht, Integra- sama... Es ist eine Walther PPK, eine Spezialanfertigung. Ich habe sie für unsere Spezialmunition kompatibel gemacht und mit leichteren Beschlägen ausgestattet, damit sie nicht mehr so schwer ist."
 

Integra griff nach der Waffe, wog ihn in der Hand und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er ihr trotz Walters Abänderung immer noch überraschend schwer erschien.
 

"Vielen Dank.", sagte sie schließlich. "Ich werde sehen, wie ich damit zurechtkomme."

"Wenn ich meinen Posten von früher wiederhaben soll, Meister...", warf Alucard ein, nicht ohne Walter dabei einen entsprechend vielsagenden Blick zuzuwerfen. "... dann werde ich meine Casull brauchen."

Integra sah Walter fragend an.

"Seine Waffe, die er damals hatte.", erklärte dieser. "Ist das in Ordnung?"
 

Integra erkannte Walters Skrupel bei der Sache sehr wohl. Aber sie hatte sich entschieden.
 

"... Ja."
 

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Doch damit war der Änderungen und Umwälzungen an diesem Tag nicht genug. Kaum dass sie und Walter den Papierkram einigermaßen gebändigt hatten, als der bestellte Schneider eintraf. Was genau Integra eigentlich wollte, erfuhr Walter immer noch nicht, da sie ihn kurzerhand weggeschickt hatte und ihn erst wieder rief, als der Schneider nach knapp einer Stunde wieder gegangen war. Anschließend ließ Integra nicht eher locker, bis der Shinigami sich bereit erklärte, mit ihr zu den Schießständen zu gehen und ihr dort die Funktionen ihrer Waffe näher zu bringen. Walter hatte eigentlich erwartet, dass Integra nach dem Erlebnis mit ihrem Onkel vom Schießen Abstand nehmen würde, doch dem war nicht so, und bereits nach der ersten Übungsstunde waren dem zukünftigen Sir Hellsing einige Treffer ins Schwarze aus beachtlicher Entfernung gelungen.
 

Schließlich entschied Integra, dass Organisation und Papierkram nicht alles war, sondern dass sie mehr über die Truppen an sich wissen musste. So ließ sie sich am selben Abend von Kommandant Ferguson sämtliche Namenslisten und Fotos der bei Hellsing arbeitenden Soldaten und Angestellten geben, in denen sie umherblätterte, während sie parallel in Akten über vergangene Fälle von Vampirjagden vertieft war.
 

Als Walter das Arbeitszimmer wieder betrat, war es bereits späte Nacht. Integra saß immer noch über ihren Ordnern, sah aber nicht wirklich hinein, sondern starrte ins Leere. Sie blickte erst auf, als er näher kam und leise räusperte.

"Integra- sama, es ist langsam Zeit für Euch, schlafen zu gehen."

Statt einer Antwort legte Integra die Stirn in Falten.

"Ich frage mich eine Sache schon die ganze Zeit.", sinnierte sie. "Alucard war euer stärkster Trumpf, bis ihr ihn eingesperrt habt. Aber warum wolltet ihr ihn eigentlich so plötzlich loswerden? Hat er rebelliert?"
 

Walter seufzte. Er hätte wissen sollen, dass diese Frage früher oder später kommen würde.

"Nein. Das war wahrscheinlich auch der Grund, *weshalb* dein Vater ihn schließlich einsperren ließ." Er hob abwehrend die Hand, als Integra sichtlich stutzte. "Im Grunde wissen wir nichts über Alucard, ebenso wenig wie über seine Fähigkeiten. Er diente deinem Vater viele Jahre lang und zeigte dabei Kräfte jenseits unserer Vorstellungen... und jedes Mal war klar, dass er längst nicht seine Grenzen erreicht hatte. Deinem Vater kamen mehr und mehr Zweifel daran, ob er ein solches Wesen für immer kontrollieren könnte... und da er kein Risiko eingehen wollte, beschloss er eines Tages, ihn einzusperren."
 

Integra schwieg, doch ihre ungläubig geweiteten Augen verrieten ihre Überraschung. Mit anderen Worten - ihr Vater hatte Alucard im Keller verrotten lassen, weil er seine gewaltige Macht gefürchtet hatte?
 

"Deswegen habe ich große Sorgen, was Euch und Eure Kontrolle über Alucard angeht.", fuhr Walter etwas zögernd fort. "Wenn schon Euer Vater befürchtete, ihn nicht im Zaum halten zu können... ich meine..."
 

Ärger flammte in Integra auf, als sie diese Worte hörte. Nicht einmal Walter traute ihr zu, dass sie diese Aufgabe - im wahrsten Sinne des Wortes - meistern konnte! Schön, sie war noch ein Kind, zudem ein Mädchen - was ja offenbar besonders schlimm für diese Männergesellschaft zu sein schien - aber sie würde nicht zulassen, dass man sie von nun an und für immer an ihrem Vater maß.

"Mein Vater... ist mein Vater.", sagte sie nach einer kurzen Pause, und ihr kalter Blick erschreckte Walter. "Wir werden ja sehen, ob Alucard mir besser gehorcht als ihm."

Der Shinigami atmete tief ein. "Ich hoffe es inständig, Integra- sama. Denn... ich bezweifele, dass wir das Bannritual noch einmal durchführen könnten. Wir können Alucard im Ernstfall nicht wieder einsperren. Ich bin nicht sicher, ob er das weiß, aber es würde mich wundern, wenn nicht. Bedenkt dies bitte."

Für einen Moment schien Integra wie erstarrt... doch dann klappte sie schwungvoll den Ordner zu und verließ wortlos das Zimmer.
 

Weder sie noch Walter bemerkten das einzelne Auge, das sie aus der dunkelsten Ecke des Zimmers heraus beobachtete.
 

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Walter verspürte Kopfschmerzen, als er sich endlich in sein eigenes Refugium zurückzog. Er hätte Integra nicht derart verunsichern sollen, wie ihm nun klar wurde. Sie hatte es wahrlich schwer genug- was sie eigentlich brauchte, war seine Unterstützung und nicht seinen Zweifel an ihr.

Gerade wollte auch er sich schlafen legen, als sein Telefon klingelte.
 

"Ferguson hier.", meldete sich der Kommandant der Truppen, als Walter abgenommen hatte. "Wir haben einen Notruf wegen einem Vampir und mehreren Ghoulen im Hafenviertel. Ist Integra- sama..."

Walter knirschte leise mit den Zähnen. Fast zwei Wochen lang war es ruhig gewesen, und ausgerechnet *jetzt*...

"Eine Einheit sollte reichen." Der Shinigami entschied sich, Integra nicht mit der Angelegenheit zu behelligen, sondern ausnahmsweise selbst zu entscheiden. Einige Ghoule und ein Vampir, das waren Gegner, mit denen die menschlichen Truppen auch alleine fertig werden konnten.

"Kümmern Sie sich darum, Ferguson. Mögen Gott und die Queen Sie schützen!"

"Verstanden. Amen."
 

Walter ließ den Höher auf die Gabel sinken. Was für eine Situation... er als Hausdiener Sir Hellsings entschied über die Einsätze der Truppen! Warum mussten diese Blutsauger gerade jetzt auftauchen?
 

"Nur menschliche Soldaten heute Nacht?", fragte Alucard unvermittelt aus der Ecke des Zimmers. "Du gönnst mir aber auch gar keinen Spaß, Walter."

"Worüber beschwert Ihr Euch? Ich wüsste nicht, dass ich Befehlsgewalt über Euch habe." Es war erstaunlich, bemerkte Walter, wie schnell er sich wieder an Alucards plötzliches Erscheinen gewöhnte. "Theoretisch könntet Ihr jetzt einfach gehen; Integra- sama hat es Euch ja nicht verboten... da sie nichts von dem Einsatz weiß. - Das soll übrigens auch so bleiben.", setzte er noch hinzu.

"Sie wird schon noch früh genug davon erfahren.", bemerkte Alucard vieldeutig und hob abwehrend die Hand, als der Shinigami nachhaken wollte. "Spätestens wenn der Bericht eintrifft."

"Wie auch immer. Die Truppen kennen Euch nicht, Alucard- sama... noch nicht. Es wäre nicht sehr zuträglich für den Einsatz und die weitere Zusammenarbeit, wenn Ihr Euch bei dieser Sache blicken lasst."

"Apropos Zusammenarbeit." Alucard fixierte den alten Mann über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg. "Ich bin eigentlich wegen der Casull hier."
 

Walter blieb einige Momente regungslos stehen, dann wandte er sich seufzend um und machte sich an dem schweren Stahlschrank in der Ecke des Zimmers zu schaffen. Der Vampir sah unbewegt zu.
 

"Irre ich mich, oder wird mir immer noch misstraut?"

"Unsere erste Zusammenarbeit wurde nicht gerade auf dem harmonischsten Weg beendet.", erinnerte Walter. Alucard lachte hohl auf.

"So könnte man es sagen. Trotzdem, es macht mich krank, dich so zu sehen." Ob er damit Walters fortgeschrittenes Alter oder das reservierte Verhalten seines alten Kampfgefährten ihm gegenüber meinte, ließ er offen. Walter zumindest bezog sich auf ersteres.

"Nicht jeder ist unsterblich.", gab er verstimmt zurück, schloss die Schranktür und hielt dem Vampir die Casull entgegen.
 

Als ob er Walter damit provozieren wollte, begnügte sich Alucard nicht damit, sie einfach entgegen zu nehmen, sondern rief sie mit seinen telekinetischen Kräften zu sich. Sein Siegel glühte kurz rötlich auf.
 

"Würdest du es sein wollen?"
 

Stille. Walter starrte ihn vernichtend an. "Geh, Alucard."
 

Lässig ließ der Untote das Magazin der Casull einrasten. "Die Unsterblichkeit ist eine Gabe, aber ihr Menschen tut immer so, als wäre es ein Fluch. Zuerst lehnt ihr hehr ab- und schließlich, wenn der Tod nah ist, bittet und fleht ihr auf Knien. Noch einmal zwanzig Jahre, und du wirst soweit sein. So ist es immer... aber dann ist es zu spät."
 

Walter konnte sich kaum daran erinnern, wann er das letzte Mal ernsthaft wütend gewesen war und seine Höflichkeit anderen gegenüber fallen gelassen hatte... aber nun war dieser Punkt erreicht.

"Raus!", sagte er scharf, das höfliche "Ihr" fallen lassend. "Und misch dich ja nicht in den Einsatz ein!"

"Na schön." Alucard zuckte mit den Achseln und wandte sich zum Gehen. "Es sind ja nur ein paar lausige Ghoule. Wie es aussieht, komme ich noch früh genug auf meine Kosten."

"Was soll das heißen?", rief Walter, doch Alucard verschmolz bereits wieder mit den Schatten und verschwand.

"Gute Nacht, Shinigami Walter."
 

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Integra fühlte sich wie betäubt, als sie endlich in ihrem Bett lag. Es schien ihr, als wären Jahre vergangen, nicht erst knapp über 24 Stunden, seit Alucard erwacht war. Und schon gar nicht knappe vier Tage, seit ihr Vater gestorben war. Morgen - sie korrigierte sich, als ein Blick auf ihre Uhr ihr verriet, dass es auf drei Uhr früh zuging - heute würde sie sich mit diesem Maxwell treffen müssen.
 

Unweigerlich drifteten ihre Gedanken wieder zu Alucard und Walters Zweifel an ihr ab. Sie wusste selbst, dass es Wahnsinn war, einen Vampir par excellence bei Hellsing zu beschäftigen. Aber jetzt war er frei, und niemand hier war in der Lage, ihn wieder einzusperren, wie Walter schon gesagt hatte. Zudem hatte sie ihn noch am Nachmittag höchst selbst wieder zum offiziellen "Angestellten" von Hellsing erhoben (oder degradiert, ganz wie Alucard das sehen wollte). Es kam jetzt also tatsächlich ganz auf sie und ihren Einfluss auf ihn an.
 

Integra fühlte sich plötzlich sehr allein.
 

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++ to be continued

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  BlackCrow
2004-01-13T18:14:49+00:00 13.01.2004 19:14
Sehr gut, vorallem die letzte Seite. *g* Nein im Ernst. Du hast einen guten Schreibstil und wie du die Charakter darstellst gefällt mir sehr.


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