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Geschichten aus dem Nichts

Für die Schreiberlingsecke und alle Anderen
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Etwas später nach der Nachtwache

Ein Gespräch
 

Wie viel Zeit war vergangen? Cordula wusste es nicht. Sie saß immer noch in Louis' Zimmer und verfluchte die Welt und Alles was sie zusammenhält.

„Alle sagen du trauerst mit ihnen, wenn es den Menschen schlecht geht und freust dich darüber, wenn sie sich freuen! Was ist das für ein billiger Witz? Du hättest die Macht gehabt ihm das Leben zu schenken! DU! DU ALLEIN! WAS BIST DU FÜR EIN MISERABLER GOTT? Hättest du ihm am Leben gelassen müsstest du doch jetzt nicht trauern!“, brüllte Cordula wütend in das Krankenzimmer. Nach ihrer lauten Meinungsäußerung atmete Cordula energisch durch, sie war wütend, wütend auf Gott, den 'ach so-allmächtigen-Gott'. Doch wo war er, wenn man ihn brauchte? Weit, weit weg!

„Und du?“ Ihr Blick war auf Dini gefallen und sofort ergriff sie den Plüschdinosaurier und hob ihn Louis aus dem Arm. „Was bildest du dir ein?! Du bist sein Kuscheltier! SEIN BESCHÜTZER! Du hast ihn ja GRANDIOS beschützt!“, fuhr die Krankenschwester das unschuldige Kuscheltier an und hätte es am Liebsten gegen die Wand geworfen. Doch da übernahm bereits die Trauer wieder die Überhand und Cordula schossen erneut bittere Tränen in die Augen.

„Dini,Louis es tut mir so leid.“, schluchzte die verzweifelte Frau, legte das Kuscheltier zurück zu seinem Besitzer und legte ihren eigenen Kopf auf seine Brust.

„Es tut mir so leid...“ Das Rad der Schuld war nun wieder bei ihr angekommen. Verzweifelt gab sich Cordula alle Schuld an Louis' Tod. Jemand musste doch schuld sein, warum dann nicht sie? Irgendjemanden musste sie doch dafür hassen. Sie hatte Louis doch nicht richtig vorbereitet. Sie gab ihm noch die Hoffnung, dass er überleben würde, nur weil sie ihn nicht traurig sehen wollte. Sie war so egoistisch! So egoistisch! Nun ist er tot und war vielleicht gar nicht bereit. Wegen ihr! Weil sie nur an sich dachte.
 

Einige Vorwürfe später erhellte das Licht des Krankenhausflures das Krankenzimmer. Jessica war mit einer Tasse Kaffee – dem Kakao der Erwachsenen – in das Zimmer getreten.

„Cordula...“, sprach sie besorgt und ging sofort zu ihrer Freundin. „Ich hab dir Kaffee gemacht. Komm mit ins Schwesternzimmer, lass uns reden! Klaus kann die Patient versorgen, so viel ist ja heute nicht.“

„Nein...“

„Cordula...“

„Nein!“

„Wenn du hier liegst, machst du dich doch selbst nur fertig. Komm mit! Sprich mit mir.“

„...“

„Sie hohlen Louis erst morgen früh ab. Du kannst dich später immer noch verabschieden.“

„...“

„Ich hör auch auf dich zu nerven.“

„Na gut.“ Cordula gab Jessica nach. Nicht weil sie nervte, sondern weil sie reden wollte.
 

Jessica lies Cordula vorgehen und warf selbst einen letzten Blick auf Louis. Sie kannte ihn. Jeder auf der Station kannte den niedlichen, kleinen Jungen mit seinem Plüschdino. Doch Niemand wollte sich emotional auf ihn einlassen. Sie hatten Einblick in die Akten, sie wussten warum der Junge da war und wie seine Prognose aussah. Solch eine Bindung würde das Abschiednehmen nur erschweren und sich selbst schädigen. Sie Alle hielten sich deswegen zurück, sie wollten ihre eigene Psyche nicht gefährden. Cordula war das egal. Sie ging immer mit Freunde und Motivation an die Arbeit. Sie glaubte an das Gute und daran, dass Louis wieder gesund werden würde. Deswegen liebten die Patienten sie, weil sie keine Angst hatte den Sterbenden, wie den Lebenden emotional näher zu kommen. Doch das war ihre Schwäche. Niemand litt mehr unter verstorbenen Patienten, als Cordula. Als beste Freundin schätzte Jessica diese Eigenschaft an ihr, doch musste sie als beste Freundin Cordula auch ermahnen. Aber nicht jetzt, nicht heute.
 

„Erzähl.“, begann Jessica das Gespräch, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch. Sie schob Cordula die Tasse hin, aus der die Krankenschwester einen kräftigen Schluck nahm und sich setzte.

„Es ist so unfair... Er war noch ein kleines Kind! Wer hat das Recht ihm einfach so das Leben zunehmen? Gott? Nur weil er die Kraft hat? Wieso tut er so was? Er liebt uns doch angeblich!“

„Ich denke, dass Gott das nicht ohne Grund getan hat.“

„Ohne Grund? Was für einen Grund hätte er haben können? LOUIS WAR FÜNF! FÜNF! In der Zeit haut mein Bruder seinen Bachelor mit Master raus! FÜNF VERDAMMT! Was soll er denn im Himmel erzählen? Das er ein erfülltes Leben hatte? Seine Eltern haben ihn krankenhausreif geprügelt! SEINE ELTERN! Sie haben ihm das Recht auf ein Leben genommen! Nie wird er seine erste, große Liebe erleben! Nie wird er den ersten Streit mit seiner Liebe erleben.“

Jessica schmunzelte leicht.

„Nie wird er den Trennungsschmerz spüren und nie wird er seine wahre Liebe treffen. Nie wird er heiraten! Nie wird er selbst Kinder kriegen, seinen Beruf ausführe, sein Leben genießen und als ALTER Mann sterben. NIE! FÜNF! Wie alt werden wir heute? 80? 90? Er hat ein Achtzehntel seines Lebens erlebt!“

„Das ist wirklich schlimm...“

„Das Wunder der Medizin ist schlimm! Wir hohlen Achtzigjährige aus dem Koma, aber bei einem kleinen Kind scheitert all unser Können? Er wäre in eine neue Familie gekommen! Eine Familie die ihn richtig behandelt, sich um ihn sorgt, ihn tröstet und lieb hat. Doch was hat er bekommen? Es ist unfair!“

„Seine Eltern bekommen doch ihre verdiente Strafe.“

„Sie haben ihr eigenes Kind seiner Zukunft beraubt! Und wenn sie sich etwas antun, müssen WIR sie retten! Ist das fair? Sie sollten für ihr Kind sterben, ihr Leben sollte Louis eine neue Chance geben!“

„Cordula! So kenne ich dich gar nicht!“

„Aber ich hab doch recht!“, rief Cordula, als sie wieder zu weinen anfing. „Der Junge hat Niemanden, Niemand ist dabei wenn er in sein kleines Gra...Gra...“ Cordula konnte es nicht aussprechen, sie wollte es nicht aussprechen. Diese Vorstellung, dass die Totengräber ein kleines Grab ausheben müssen, ein kleines, aber tiefes Grab, das Grab für ein Kind! Nein. Dieses Wort soll nicht im Zusammenhang mit einem Kind fallen.

„Ist gut Cordula, ich weiß was du meinst.“

„NEIN! Erst tragen sie ihn raus und dann müssen sie in der Pathologie seinen Körper aufschneiden und zerfleddern. Nur um die letzten Details seines Lebens zu finden. Ich will sie nicht wissen. Ich will nicht wissen, was er Alles durchmachen musste.“, weinte Cordula gequält. Der Gedanke, dass die Ärzte im Körper des Jungen Hinweise auf noch mehr Schandtaten finden würde belastete sie sehr. Sie wollte Louis' Vergangenheit ruhen lassen und nicht wissen was ihr kleiner Held noch Alles durchmachen musste.

„Du musst den Bericht doch nicht lesen“, tröstete Jessica besorgt.

„Es werden doch Alle drüber reden! Und dann bauen sie seinen kleinen Sarg auf und legen ihn hinein. Zugenäht und gepudert...Und Keiner kommt.“ Bei dem Gedanken weinte Cordula noch stärker. „Er hat doch Niemanden mehr, Niemand kommt zu seiner Beerdigung, Niemand kommt zu seinem Grab um es zu pflegen, Niemand weint um ihn.“ Cordula weinte tiefe Tränen der Trauer. Jessica konnte diesen Anblick nicht ertragen und nahm ihre Freundin deshalb in den Arm.

„Aber Cordula...Du gehst doch hin. Du gehst doch zu seiner Beerdigung, zu seinem Grab.“

„Ja...Aber...“ Langsam beruhigte sich Cordula wieder, aber Etwas bedrückte sie weiterhin sehr.

„Ich...Ich bin seine Krankenschwester gewesen. Ist das nicht traurig? Die einzige Person die kommt, kannte ihn nur wenige Tage.“

„Aber es kommt Jemand, er ist nicht alleine. Das Louis gestorben ist, ist sehr tragisch. Aber er konnte die letzten Tage bei dir sein. Vielleicht warst du ihm die letzte Zeit, die einzige Mutter, die er je hatte.“

„Meinst du? Aber ist dennoch nicht fair!“

„Da hast du Recht, aber wenn du daran zu Grunde gehst, wird es nicht besser.“

„Ja ich weiß. Aber... Diese Ungerechtigkeit! Louis hatte Niemanden auch nur das Geringste getan. Er war so klug, aus ihm wäre bestimmt ein toller Mensch geworden. Er hätte glücklich werden können!“ Wieder fing Cordula an sich ihrer Schwäche zu beugen. Sie konnte es nicht begreifen. Welchen Sinn hatte es, dass Louis gegen seinen Willen diese Welt verlassen hat? Wie gerne würde sie einfach in den Himmel springen und Louis zurück auf die Erde zerren. Aber auch das blieb Unmöglich. Ein letztes Mal wollte sie mit ihm reden, ihn fragen ob er glücklich ist dort oben und ob er nicht vielleicht doch zurück kommen möchte. Zu ihr!

'Louis... Komm zurück... Dann werde ich deine Mutter und achte darauf, dass dir Niemand mehr Leid zufügt.'
 

Doch er würde nicht kommen, nicht antworten, Nichts. War der Tod so, wie das Zurückbleiben? Kalt, einsam und verzweifelt?



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