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Shiken Jigoku

性能試験場
von

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Fünfter Salut

Er zog die Schleife der Bandage fest.

„Danke.“

Die Blicke der beiden trafen sich. Auf das leichte, ehrlich dankbare Lächeln des Generals zog auch Schneider schüchtern die Mundwinkel in Richtung einer sanften Röte. Auf ungeahnten Wegen machte sein Mentor ihm Mut, wofür eine simple und darüber hinaus nur provisorische Verarztung keineswegs Quittung genug war.

General Logi erhob sich ein wenig kraftlos und zog die Teile der Uniform wieder über. Als er gerade den Gürtel mit der Schwertscheide gerichtet hatte, verhärtete sich sein Ausdruck augenblicklich. Schneider schloss daraus, dass eine erneute Offensive bevorstand. Er verstaute die Verbandsrolle, schulterte den Rucksack und hob seine Maschinenpistole auf. Dies war längst mehr als eine Bewährungsprobe. Die Informanten hatten sich, was die Kapazität des feindlichen Korps betraf, reichlich verschätzt, und wer wüsste, ob er ohne den General überhaupt noch am Leben gewesen wäre? Ein enttäuschter Gedanke versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass es Absicht gewesen sein könnte. Von wem auch immer.

Sie hatten einander den Rücken zugekehrt, um jede Richtung im Blick zu haben. So bemerkte Schneider nicht, dass jener seines Kameraden nun gen Himmelsgewölbe stieg. „Eigenartig… Wir sind schon seit geraumen Stunden hier, und doch scheint sich die Sonne nicht ein Stück weit bewegt zu haben.“

Es wurde wieder ruhig. Totenstill. Zwar vernahm Schneider die misstrauische Feststellung seines Vorgesetzten, wusste mit ihr allerdings nicht viel anzufangen. Er selbst hatte nicht auf den Stand der Sonne geachtet; dafür war er zu überfordert gewesen. Falls es stimmte, was der General mutmaßte, dann war es in der Tat merkwürdig. Und er glaubte nicht, dass er sich vertan hatte. Aber was bedeutete es? Sollte die Position der Sonne mit ihrem Gefecht in Zusammenhang stehen? Wo blieben die Feinde?

„Sie kommen!“

Alarmiert fuhr er auf. Tatsache! Eine neue Schar Soldaten stürmte in einem blauen Strom auf sie zu! Entschlossenheit stand ihnen in die Gesichter geschrieben. Ihre vereinten Kampfschreie wirkten wie der Krach einer heranrollenden Lawine.

„Verschwinde von hier!“, ordnete der General ihn grob an.

Ihm war klar, dass dies das Beste wäre, da er hier sonst nur im Weg stehen würde, doch es gab bereits keine Gelegenheit zur Flucht vor dieser tosenden Masse aus Mundöffnungen und Schwertern. Starr vor Aussichtslosigkeit ließ er zu, dass sie ihn regelrecht überrannte. Sofort traf er hart auf den Boden auf, überall stampfende Stiefel um ihn her, Männer, die sich auf ihn stürzten und ihn schroffer festnagelten, als es nötig gewesen wäre. Ihr unverständliches Gebrüll dröhnte in seinen Ohren, während sein Kopf auf und ab gerissen wurde, ohne dass er den Sinn dahinter erkannte, sie an seinen Extremitäten zerrten, als wollten sie ihn an Ort und Stelle in Fetzen teilen. Der General war lange aus den Augen verloren; vermutlich kämpfte er sich gerade seinen Weg frei, hoffentlich den zu ihm. Die Einsicht ließ ihm vor Erbitterung das Blut in den Kopf steigen, aber wieder einmal war er auf ihn angewiesen. Ständig das Weite suchen und aus dieser feige ballern… Manch einer hatte es ihm wie sich selbst schönreden wollen: Aus den Schatten töten. Unsichtbarer Mörder. Doch sämtlicher Euphemismus half nicht, über die Wahrheit hinwegzutrügen: Er war ein Insekt unter vielen, ein Soldat wie jeder andere, dessen Tod weder irgendjemanden berühren noch irgendwen vermissen lassen würde. Das Große Königreich hatte ihn zu dem degradiert, was er selbst zu sein geglaubt, nachdem man ihm alles genommen hatte, jedoch ohne ihm eine reelle Chance auf Verbesserung zu gewährleisten, an welche er sich geklammert hatte. Logi hatte ihm leere Versprechungen gemacht. Keine Ahnung, warum oder wozu. Es ist bestimmt nicht die gewöhnliche Vorgehensweise, neues Kanonenfutter zu rekrutieren, indem der General einer titanischen Armee persönlich anfragt. Nein. Dahinter musste mehr stecken. Bewährungsprobe. Vielleicht hatte die wahre Ausbildung noch gar nicht angefangen. Das gegebene Schwert zu führen lernen. Er musste sich erst beweisen. Und genau das würde er jetzt tun, verdammt noch mal!

Schneider versuchte, sich herumzuwälzen, die bellenden blauen Hunde von sich zu werfen. Es gelang ihm, in dem Wirrwarr den Bolzen zu ergreifen, und er stach ihn in die Schläfe eines seiner Angreifer, durch dessen Helm. Nicht nur er selbst war überrascht. Die Gelegenheit erfassend, verschaffte er sich mittels eines Fausthiebs weiteren Raum und sprang auf die Beine. Die MP lag in unerreichbarer Ferne, aber das war egal. Er hatte es nicht zum ersten Mal unbewaffnet bis auf die Hände mit einer Horde Soldaten zu tun, erinnerte er sich und dachte an die Belagerung seiner Siedlung. Ein Schlag ins Gesicht warf ihn nieder. Ungewollt überschlug er sich auf dem von Dreck überzogenen Grund, dann stemmte er sich in die Höhe und teilte einen Konter aus. Der Getroffene torkelte, stieß gegen zwei andere und fiel mit ihnen um. Ein paar langten nach ihren Schusswaffen, doch ehe sie zielen konnten, hatte er sie bereits erreicht. Von Zorn geleitet, schrie er und rammte, trat, schlug sie um wie schlecht ausbalancierte Kegel. Die körperlichen Beschwerden wies er von sich, spürte allein noch diese wahnsinnige Erregung in seiner Brust, die ein flammendes Elixier durch seine Adern jagte, ein Rauschgift, das verboten war, sich jedoch beispiellos anfühlte. Ob es ihn letztlich genauso zerstören würde, war unrelevant. Ihn interessierte bloß, dass es ihm Macht verlieh – jene Macht, nach der er gestrebt hatte.

„S-seht doch!“, stammelte einer der Infanteristen und erhöhte den Zeigefinger gegen ihn.

Irgendetwas blendete ihn. Eine Granate? Nein, die hätte er hören müssen. Böen entwickelten sich, und jetzt registrierte er, wie sich der Puls in seinem Inneren dermaßen beschleunigte, dass er dabei fast sein Herz aus dem Rhythmus brachte. Ein Druck schwoll in seinem Kopf, seinem Torso. Dadurch selbst verängstigt, wähnend, dass hier etwas nicht wurde, wie es sein sollte, versuchte er angestrengt, sich zu beherrschen. Doch seine Glieder reagierten nicht länger auf die mühevollen Befehle, die er ihnen erteilte. Es war eine Explosion. Eine brutale Entladung, alles in einem schussweiten Radius umfegend. Ein Tornado, so geschwind, dass man ihn kaum identifizieren konnte. Ein Licht, ein Knall – und dann war es vorbei.

Als er wieder zu sich kam, meinte er sich an einem anderen Ort. Leblose Körper umgaben ihn wie niederkniende Lakaien. Geistesabwesend suchte er mittels seiner Augen nach einer Erklärung. Keuchte. Rang nach Luft, die diesem Platz allmählich auszugehen schien. Sie fingen General Logi ein, der sich in einiger Entfernung schützend den Umhang vor das Gesicht gerissen hatte und nun sichtlich perplex zu ihm schaute. Dann stieg sein Blick, und Schneiders folgte ihm ebenso sprachlos.

Über ihm schwebte eine Schattenkreatur. Ein gepanzerter Humanoide, der sein Gesicht nicht zu erkennen gab. Eine unbeschreibliche Aura ging von ihm aus, senkte sich wie ein erfrischender Regen auf seinen jungen Meister. Bereit, sie zu empfangen, spreizte dieser seine Arme und schloss die Augen. Nichts – das wurde ihm in diesem Moment klar – würde jemals wieder so sein wie früher. Er veränderte sich gerade – genau jetzt – daran führte nichts vorbei, dachte er und grinste zufrieden. Krieger des Großen Königreiches. Schattennutzer. Und seine Vergangenheit würde Vergangenheit sein.

Ein maschinelles Brummen. Unbestimmter Richtung, wie ein weiter Donner. Durch seinen vor Ermattung scheinbar ins Nichts entschwindenden Schatten beobachtete er, wie sich die Sonne um die eigene Achse drehte und dabei etwas in jeglicher Hinsicht vollkommen Bizarres zu erkennen gab. Und was immer es war: Es begann zu leuchten.

„Schneider!“

Die dumpfen Schmerzen eines Sturzes. Schneiders Sichtfeld wirbelte herum; zuletzt erblickte er seine Hände, dann nur noch weiß. Grelles Weiß. Eine ungebändigte Hitze hüllte ihn ein, sein Schrei ging im Getöse unter. Alles sauste umher; die Luft schien zu brennen, sein Körper wurde schwer, ein langer, blonder Haarfaden, der nicht von ihm war. Der General!

Langsam nahm die Energiesäule ab. Dann verlor sich das unnatürliche Chaos so rasch, wie es sich aufgebaut hatte, und eine Sonne thronte wieder über ihnen, sich keiner Schuld bewusst.

Ein bemühtes Atmen. Schneider drehte seinen Kopf zur Seite. Das Antlitz des Generals hing über seiner Schulter, seine Hände stützten sich neben denen des Jüngeren auf dem Boden ab, doch sie zitterten. Kaum eine Sekunde später gab die Kraft endgültig nach, und Logi brach mit einem leisen Stöhnen über ihm zusammen.

„S-Sir?“ Der intensive Geruch von Verbranntem erklärte Schneider ihre jetzige Situation: General Logi hatte sich auf ihn geworfen, um diesen Beschuss schier buchstäblich aus heiterem Himmel abzufangen. Unter dem zusätzlichen Gewicht des Schwertkämpfers streckte der Schütze die Arme durch und blickte über sich hinweg: Walküre hing gebeugt über ihnen; in ihren Augen spiegelte sich ein Böses erahnen lassender dunkler Fleck auf dem Umhang seines Mentors. Er wollte nicht erfahren, wie es darunter aussah. „Sir?“

Frische Erleichterung, da Logi die Augen öffnete, doch der Anblick entsetzte Schneider. Zum ersten Mal sah er diesen Mann in ernster Bedrängnis, Ratlosigkeit und Pein. Er spürte etwas hektisch um Fassung Ringendes an seinem Rücken, von dem er nie gedacht hatte, dass jemand dieses Rangs es besitzen könne, trotz aller unbestreitbaren Weisungen der Architektin Natur.

Hellblaue Iriden ermittelten die blassgrünen. „Es sind noch im… immer noch ein paar. Gib nicht auf, Schneider. Du hast… den Schatten. Nutze ihn… Nicht… aufgeben.“

Schneider wusste, was er ihm zu verstehen geben wollte: Eine Bewährungsprobe musste erfolgreich abgeschlossen werden, sonst galt sie nichts. Selbst wenn sie kurz vor dem Sieg abgebrochen wurde. Selbst wenn etwas so Unerwartetes geschehen war. Selbst wenn es den Großen Nene einen Kommandanten kosten würde, der eigentlich überhaupt nicht hier sein sollte. „Sir! Wenn ich jetzt weitermache, dann…!“

„Ist okay“, fiel Logi ihm, um Geduld bemüht, in den Satz.

„Nein! Ihr müsst behandelt werden! Sofort!“

„Geht… schon.“ Allein seine Wortwahl bewies das genaue Gegenteil.

„Ich werde die Mission nicht fort- und dabei Euer Überleben aufs Spiel setzen!“, wurde Schneider laut.

„Willst du etwa, dass alles umsonst war?“, entgegnete der General. „Wir sind nicht so weit gekommen, damit dein überflüssiges Mitgefühl am Ende alles kaputt machen kann! Du wolltest Soldat werden, also benimm dich wie einer!“

Hinter den Hügeln grollten weitere mechanische Bestien.

„Ein ehrloser und stumpfer Soldat wollte ich nie werden!“

„Du Dummkopf! In einem Ernstfall würde dir deine Sturheit zum Verhängnis werden!“

„Und in diesem Ernstfall wird deine Sturheit zu deinem Verhängnis!“, brüllte Schneider.

In noch immer unveränderter Position schnauften sie einander an. „Nicht… abbrechen“, atmete General Logi letztlich.

Bereit, die unangebrachte Kontroverse fortzuführen, suchte der Junge nach der Aufmerksamkeit seiner Augen. „General, Ihr…!“ Doch er fand sie nicht mehr. „General? General! Sir! Logi! General Logi!

Keine Antwort.

Zum ersten Mal seit Stunden brach die dichte, gräuliche Wolkendecke für die Sonne dahinter auf.



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