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Shiken Jigoku

性能試験場
von

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Letzter Schuss

Mit dem Kinn auf dem Brustbein schlenderte er durch einen der Korridore. Geduscht und lockere Kleidung tragend, fühlte sich sein Körper viel besser, haftete nur seiner Seele noch der Schmutz und das Blut der vergangenen Schlacht an wie einem traurigen Clown seine tägliche Schminke – ehe sie sich ganz abgelöst hat, wird sie schon wieder erneuert. Das generöse Lampenlicht warf seinen Schatten auf die ihn flankierende Wand, sofern nicht gerade Kameraden dazwischen vorbeizogen, mit immer anderen, aber niemals ignoranten Grimassen. Überall echoten die Gerüchte, flitzten dumme Sprüche durch die Gänge gleich Ratten. "Schuldig! Bitte ablästern!" schien ihm auf die Stirn geschrieben worden zu sein. Zu allem Übel passierte auch noch Lemaire seinen Weg, einer der fähigsten Schattennutzer des Königreiches und – damit einhergehend – überaus blasiert. „Na, Kleiner?“

Schneider vermied es, ihn anzuschauen. „Was willst du?“

„Wie war der Ausflug?“ Die Stimme strotzte vor Belustigung. Lemaire wusste genau, wie die Mission verlaufen war. Jeder in der Basis wusste es. „Sitzt du schon an deinem Text fürs Kondolenzbuch?“, stichelte der dunkelhaarige Mann weiter.

Der blonde schnaubte. Unauffällig wuchs der Schatten an der Wand, und eine kurze Anstrengung genügte, um Isabel erscheinen zu lassen. Unmittelbar wandelte sich die Miene des Hochgewachsenen. Statt diesem auf seine scheinheiligen Fragen zu antworten, befahl Schneider seinem Schatten wortlos den Rückzug und setzte seinen Weg fort, einen verblüfften Lemaire hinter sich stehen lassend. Erst, als er um die nächste Abbiegung war, erlaubte er sich ein kleines Grinsen. Er würde nie wieder alles mit sich machen lassen. Nie wieder.

Der Korridor wurde leerer, während er seinem Ziel näher kam, und damit verebbte auch die unverhohlenste Diffamie. Er mündete in eine Fläche, die den Zugang offerierte zu drei Türen, an deren mittleren ein Wachmann postiert war. Schneider nickte ihm zu und klopfte danach an die Tür, ehe er, ohne eine Reaktion abzuwarten, hineintrat. Ziemliche Düsternis empfing ihn. Einer einzelnen Lampe war die Aufgabe der Beleuchtung zuteilgeworden, während die hohen Fenster verdeckt waren. Der junge Mann meinte, ihre leidlich erfolgreiche Bemühung spüren zu können. Dass er sich auf irgendeine Weise mit ihr verbunden zu fühlen begann, vermied er, sich einzugestehen. Stattdessen richtete er sein Augenmerk auf das, worauf sie ihren spärlichen Schein warf: Zwei inzwischen wieder tief versunkene Köpfe, in deren Frisuren sich scharfe Schatten vor den winzigen Glanzpunkten auf einzelnen Haarfäden verbargen. In ihrem Fachjargon faselten die Leute darunter sich gegenseitig zu, tauschten ihre filigranen Instrumente untereinander aus. Vielleicht auch gehässige Witze über ihn, doch Schneider sagte nichts.

Nach sich ziehenden Minuten des Abwartens und Zuschauens tat sich endlich etwas: Die beiden Herren hoben ihre Hintern, zupften die Kittelschöße darunter hervor und pickten ihren Kleinkram auf. Als sie an ihm vorbeikamen, fühlten sie sich offenbar verpflichtet, ihren aktualisierten Kenntnisstand auszuplaudern: „Die Therapie zeigt unvermutete Erfolge; seine Werte haben sich eingependelt. Er hat Glück, einen Schatten zu haben, der ihn beschützen konnte. Es war knapp.“

„Er wird es überstehen“, berichtete der andere ihm über ein Trinkservice hinweg. „Doch als Soldat wird er erst einmal für eine ganze Weile ausfallen. Der einzige Krieg, den er in der kommenden Zeit führen wird, ist der gegen die Bettruhe. Das wird König Nene überhaupt nicht gefallen. Der General sollte ihm heute einen bedeutenden Feldzug leiten.“

„Ich weiß“, murmelte Schneider schuldbewusst.

Er ließ die Ärzte abziehen. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, überbrückte er die Entfernung zum Bett ohne Eile und neigte sich über den Patienten, der zu schlafen schien. „Du hast sie also doch abgebrochen“, wusste eine Stimme aus dem einen Grund, dass sie noch erklingen konnte, und ließ ihn zusammenfahren. Zwei hellwache blaue Augen musterten ihn.

„General…“

„Setze dich.“ Logi nickte in Richtung des Stuhls, den einer der Heiler geräumt hatte. Beklommen ließ er sich darauf nieder. „Dafür sollte ich dir dankbar sein. Schließlich würde ich…“ Der Satz wurde nicht beendet.

Schneiders Haupt sank tiefer zwischen seine Schultern. „Nein, Sir. Ich bin überhaupt erst dafür verantwortlich, dass Ihr Euch in dieser Lage befindet. Ich konnte zwar meine Mission nicht abschließen, aber Ihr werdet auch nicht an der Euren teilnehmen können. Wir sind mindestens quitt.“

Der General lächelte.

„Werdet Ihr großen Ärger bekommen?“, fragte sein Schützling vorsichtig nach.

„Mach dir darum keine Gedanken. Du solltest dich ab jetzt dem Training mit deinem Schatten widmen.“

„Ich habe schon angefangen!“, posaunte der Schütze da nicht ohne Stolz heraus.

„Tatsächlich? Wie lange war ich bewusstlos?“

„Zirka einen Tag, Sir.“

Er stöhnte. Man könnte meinen, es klang genervt. Blind führte er seine Hand zur Platte des Bettschranks und fasste ins Leere. Unverhüllte Irritation war die Folge. „Wo ist das Wasser?“

„Soll ich…?“

Ein vernichtender Blick drohte, ihn auf der Stelle zu pulverisieren. Nicht fragen… Galt es auch jetzt noch?

„Ich habe es nur gut gemeint…“

Konsterniert musste Schneider beobachten, wie sein Vorgesetzter die Decken zurückschlug, sich unter Strapazen aufsetzte und – sobald geschafft – die Hand über die Augen legte, weil ihm offensichtlich schwindelig geworden war.

„Ihr wollt doch nicht…?!“, formulierte er bestürzt die aufkeimende Ahnung.

„Es scheint noch früh zu sein. Ich habe keine Zeit zu verlieren.“

„Sir, mit Verlaub: Ihr dürft jetzt nicht aufstehen. Das wäre absolut unvernünftig.“

Eiskalte Pupillen funkelten ihn an. „Was willst du denn tun? Dich mir etwa in den Weg stellen?“

„Nein“, widersprach er ruhig. „Ich habe Euch einen Rat gegeben. Mehr werde ich nicht unternehmen.“

Der General stieß einen kurzen Laut aus, der nicht eindeutig als würdigend oder abwertend einzuordnen war. „Du hast keine Ahnung, worum es hier geht, Junge.“

Schneider hielt seinen Blick aufrecht. Es klopfte.

„Herein.“

Im Lichtspalt der sich öffnenden Tür war die Silhouette eines Ordonnanzoffiziers auszumachen. Er transportierte ein Funkgerät. „König Nene verlangt, Euch zu sprechen, General.“

„Auch das noch“, flüsterte der, sodass Schneider der Einzige war, der es vernehmen konnte. Trotzdem nahm er den Fernsprechapparat entgegen. „Zu Euren Diensten.“

Instinktiv rückte Schneider den Stuhl näher an die Bettkante.

„Ich bin unentschuldbar, großer Meister. Doch ich werde mich sofort auf den Weg machen. Gewährt mir nur eine halbe Stunde.“

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang erstaunlich amüsiert: »Nein, nein, mein lieber Logi. Überschätze dich nicht. Nimm dir die Auszeit; du hast sie nötig.«

„Aber…!“

»Schhh. Du hast Glück, noch am Leben zu sein. Und man soll sein Glück bekanntlich nicht so oft herausfordern, nicht wahr?«

„Ja…“ Der Griff um den Hörer festigte sich. Schneider verstand nicht, was an den Worten des Großen Nenes derart anspannend sein sollte.

»Du wirst sehen: Morgen werden sich deine zehrenden Reuegefühle schon etwas gelegt haben. Denke gut darüber nach, was du getan hast. Aus Fehlern lernt man, General.«

»General, General!«, tönte Nenes ständiger Begleiter Deathroy hämisch durch die Leitung.

Der Angesprochene senkte die Lider. „Ich habe verstanden, Meister.“ Er wollte auflegen, ehe er Schneider an seiner Seite gewahrte, als wäre dieser zuvor noch nicht dagewesen. Noch einmal hob er den Hörer. „Meister Nene. Erlaubt mir, Euch an meiner Stelle einen begnadeten Schattennutzer zur Seite zu befehlen. Er ist noch unerfahren, doch er wird sich zu profilieren wissen.“

Mit großen Augen starrte der Besagte ihn an. Es bestand keinerlei Zweifel daran, wen General Logi meinte. Gleichzeitig harrte er der Rückmeldung aus dem Apparat wie des gepriesenen Anfangs eines neuen Jahrs.

»Hmmm… Ich glaube, ich weiß, von wem du sprichst. Also gut, schicke ihn zu mir. Ich werde ihn sicher beschäftigen können.«

Wärme staute sich hinter seinen bleichen Wangen.

„Zu Befehl. Er wird Euch nicht enttäuschen.“

Und ihm wurde schlecht. Welch schwere Verantwortung lud ihm der General da auf? Jetzt stand nicht bloß sein eigenes, sondern auch das Ansehen eines ungefähr tausendmal wichtigeren Manns auf dem Spiel!

»Ach, und Logi?«

„Ja, Meister?“

»Es gibt wirklich nichts, für was du dich nun zu Tode schämen musst. Nur eurem selbstlosen Einsatz haben wir die Kenntnis über die neue Technik der Feinde zu verdanken. Was hätte alles passieren können, wenn sie uns heute mit dem Sonnenlaser überrascht hätten?«

Logi traute der süßen Gunst der Stimme nicht. Es war glaubwürdiger, dass Nene selbst diesen sogenannten Sonnenlaser auf sie gerichtet hatte, als dass er ihm seine vermeidbare Niederlage folgenfrei verzieh. Allein das Eingeständnis, dass Nene die anstehende Kampagne auch ohne ihn wie geplant durchführen konnte und würde, zeigte ihm bereits, wie ersetzlich er geworden war. Ersetzlich. Ersetzlich war fast gleichbedeutend mit nutzlos. „Danke, Meister.“ Er legte auf.

„Aber General!“, wollte Schneider die Chance ergreifen, um seinen Sorgen Luft zu machen, doch der Angerufene winkte ab.

„Sieh es als Bewährungsprobe, während der dir dieses Mal niemand im Weg steht. Die erforderlichen Informationen findest du in den Unterlagen auf meinem Schreibtisch. Und nun lass mich bitte allein.“

Der junge Schattennutzer zögerte. Schließlich jedoch neigte er sein Haupt. „Wie Ihr wünscht, Sir.“ Er schob den Stuhl zurück, stand davon auf und begab sich zur Tür. Die Befürchtung, dass man ihm zu viel zutraute, war noch nicht beschwichtigt. Er hatte trainiert, ja, und das nicht wenig, aber es würde niemals genug sein, um jemanden wie General Logi zu ersetzen. General Logi war nicht zu ersetzen, durch nichts und niemanden. Vermutlich hatte ihn deshalb die Ahnung, er hätte tatsächlich sterben können, ihn nicht mehr ansehen, nicht mehr sprechen hören oder seine Anwesenheit spüren zu können, wie ein frostiges Schwert zwischen die Rippen getroffen.

Ein Gefühl… so wie damals, als er seine Familie verloren hatte.
 

Unerwartet ging das Licht der kleinen Lampe an. Logi öffnete die Augen. Es beruhigte, zu sehen, dass er noch immer im Bett lag und nicht wie verdächtigt entwischt war, nachdem man ihn unbeaufsichtigt gelassen hatte. Schneider beugte sich ihm zu. Alles, was sich zu diesem Zeitpunkt zwischen den beiden Soldaten des Großen Königreiches befand, war eine klare, leicht wippende Flüssigkeit in einem Glas. Der Blick des verwundeten Ritters verriet Erstaunen.

Schneider lächelte. „Euer Wasser, Sir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2014-06-08T09:35:40+00:00 08.06.2014 11:35
Cool^^ Hammer FF^^ weiter so;)

LG Bloodnight


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