Zum Inhalt der Seite

Shiken Jigoku

性能試験場
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zweiter Salut

Der Angesprochene schwang sich zu ihm herum. Ehe ein weiteres Wort entsendet werden konnte, riss der Junge die MP zielbereit vor sein Auge und presste den Abzug zurück. Sein Herz schlug im gleichen Abstand wie die Kugeln in den gesichtslosen Soldaten. Sich jeglichen Lebens verweigernd, sackte dessen Körper puppenhaft in sich zusammen. Schneider war eiskalt geworden. Zitternd suchte er das Antlitz seines Generals, suchte so etwas wie Anerkennung darin. Zum ersten Mal hatte er die Grenze überwunden, und er hatte nicht einmal gezögert. Doch der General enthielt ihm die Erleichterung durch einen stolzen Blick vor. Ehernen Ernst las er stattdessen in den himmelblauen Augen, der den Infanteristen weiter frösteln ließ, ohne dass er begriff, weshalb er dem standhalten musste.

Polternde Schritte ließen den Kommandanten aufmerken, und auch dessen Schützling wirbelte herum, als sie für ungeübte Ohren wahrnehmbar wurden. Erblicken konnte er allerdings nur noch eine Art schwarzen Kreis, der wie eine bösartige Sonne am Himmel hing, ehe er zu spät registrierte, dass es eine Kanonenkugel war. Die Energie ihres Einschlags riss ihn von den Beinen und ließ ihn über die Ebene fliegen, schien seinen mageren Leib zu verformen; spitze Splitter kratzten seine Haut auf. Er fühlte sich verloren – nicht zum ersten Mal an diesem grauenhaften Tag. "Bewährungsprobe" hatten sie es genannt. Wollten anscheinend wissen, was er konnte – und was nicht. Bewährungsprobe. Zwei Mann gegen eine Horde von Feinden.

Der Kommandant packte ihn grob und beendete damit seine ungewisse Reise. Er zog den Jungen hinter sich, ohne die Ankömmlinge aus den Augen zu verlieren, und umfasste in der nächsten Sekunde den Griff seines Schwerts fest mit beiden Händen. Schneider konnte sich vor Entsetzen nicht mehr rühren. Auch General Logi wirkte inzwischen deutlich angespannt. Vermutlich weniger der eigenen Erschöpfung wegen denn der ständigen Mühe um die Sicherheit seines Rekruten.

„Suche dir eine geeignete Position und nimm sie ins Fadenkreuz!“

Er versuchte es, jedoch… „I-ich kann nicht!“

„Mach schon!“, donnerte er, dass Widerspruch nicht nur zwecklos, sondern auch gefährlich wäre. Tatsächlich schienen allein die wetternden Worte zu bewerkstelligen, dass sich seine Beine wieder kontrollieren ließen. Ohne weitere Umschweife rannte er los. Er stürzte auf eine steile Anhöhe und begann, sie unter abbrechenden Kieseln zu erklimmen. Zusammenreißen! Reiß dich zusammen! Seine Gedanken hatten den herrischen Ton des Generals angenommen. Mit gekniffenen Augen warf er sich auf dem Hügel nieder und richtete das Visier gen Schlachtfeld, auf dem er Logi kämpfen sah. Die Zahl an Gegnern schien trotz dessen Erfolge immer bloß zuzunehmen, doch als sie ihn einzukreisen drohten, spannte er sich an und ließ unvorhersehbar eine übergroße Gestalt aus seinem Schatten wachsen. Ein furchtsames Raunen fuhr durch die Menge, deren erste Reihen gegen die hinteren stießen, als sie zurückstolperten. Schockiert und fasziniert zugleich verfolgte Schneider die fließenden Bewegungen des Schattens in völliger Verbundenheit mit denen seines Meisters. Unaufhaltsam glitt Nenes General durch die Truppen von Gibral, während Walküre ihre schützenden Schwingen über ihn breitete und sein Schwert mittels des ihren förmlich verlängerte. Grelle Schreie, wann immer die blitzende Schneide in butterweichen Widerstand traf. Es schien ein Spiel für ihn zu sein. Nichts weiter als ein Zeitvertreib. So wie andere ihr Gartenbeet umpflügen oder Kiesel über den See hüpfen lassen, schien er Leute zu ermorden. Ob er im Nachhinein so etwas wie Reue verspürte? Würde er später an die Toten und deren Familien zurückdenken? Die Fragen lenkten den unerfahrenen Schützen ab. Sein General wirkte wie ein ganz anderer Mensch, sobald er in die Schlacht zog.
 

„Nimm Platz.“

Gehorsam ließ Schneider sich auf den Sessel nieder. Gerade war der General eingetreten und schritt nun mit majestätischer Anmut an ihm vorüber, um sich an seine Position zwischen den Zenturionen zu begeben. „Gestattet mir die Bitte, Sir: Es wäre mir lieber, mit Euch allein zu sprechen“, murmelte er mit düsterem Blick auf Logis Gefolgsleute.

Dessen Augen zeigten keinerlei Regung. „Ich denke nicht, dass das nötig ist. Wir haben nichts zu verbergen.“

Ein süffisantes Kichern seitens seiner direkten Untergebenen. Schneider verzog das Gesicht.

„Kommen wir zur Sache: Dir wurde eine Mission überantwortet, wenn ich richtig informiert bin.“

„Das stimmt“, bestätigte er kleinlaut. „Meine erste.“

„Die "Bewährungsprobe"“, säuselte ein muskulöser Kerl mit langem, dunklem Haar herablassend dazwischen.

Sein Vorgesetzter ignorierte die Bemerkung. „Was weißt du über deinen Auftrag?“

Schneider zog die Schultern zusammen und stellte fest, wie sein Haupt mehr und mehr sank. Er konnte nichts dagegen tun. „In ungefähr einer Stunde und fünfundvierzig Minuten auf dem Schlachtplatz der Alten. Eine unklare Anzahl Gibral-Truppen. Es werden nur Infanteristen erwartet, darunter ein paar Schwertmeister. Keine Schattennutzer und keine schweren Geräte. Die Truppen glauben sich im Vorteil, wurden aber in eine Falle gelockt. Der beste Schlag gelingt voraussichtlich von Süden.“

„Gut“, beendete Logi seinen Vortrag. „Aber warum bist du hier, wenn dir das alles klar ist?“

Er hüllte seinen Anlass in Schweigen. Bis eben hatte er sich vorgenommen, selbstbewusst vor seinem Anführer zu stehen und ihm den Grund dieser Audienz ohne viel heißen Brei mitzuteilen, doch kaum hatte er diesen Raum betreten, kaum war er hinter ihm gewesen, war aller Schneid verflogen. Nun saß er wortkarg in dem großen Sessel, schrumpfend unter den erniedrigenden Blicken der Unterkommandanten und der diamantharten Miene des Oberoffiziers. Es vor ihnen allen zu entblößen, wäre ein Fehler. Viel zu oft für seinen Geschmack hatte er die Schikanen durch die Zenturionen über sich ergehen lassen müssen. Sie waren durch die Reihe Schattennutzer, genossen daher einigen Respekt im Großen Königreich sowie die damit verbundenen Freiheiten. Schneider hingegen besaß keinerlei magische Kräfte. Er war ein austauschbarer Infanterist in der Grundausbildung, und sicher trug auch sein extravagantes Erscheinungsbild zu seiner Eignung als Zielscheibe für allerhand Sticheleien bei. Er zweifelte daran, ob seine die richtige Entscheidung gewesen war.

„Hast du ’ne dicke Kröte in deinem Schwanenhals stecken?“, forderte eine der Erwähnten ihn heraus, woraufhin er die Zahnreihen aufeinanderpresste. Er war dankbar für seine Einsicht, dass blinde Gewalt seinen gekränkten Stolz nicht heilen würde, sodass er in Augenblicken wie diesem nicht wutentbrannt aufsprang und seine Körperkraft antworten ließ… Obwohl: Hin und wieder wäre die Genugtuung eines optimal platzierten Faustschlags vielleicht ganz gesund gewesen. Diesen Gedanken nicht erahnen könnend, beugte sich die Frau mit ihren aufreizenden Merkmalen vor. „Was ist, Kindchen, hm?“

Er verkrampfte die Fäuste in seinem Schoß. Blitze hätten aus seinen Pupillen schießen können, so geladen war er, aber sie schien diese Art von Duell nicht führen zu wollen. Natürlich – der Höhenunterschied jener Stufen, auf denen sie jeweils standen, war enorm. Sie hatte keinen Grund, Angst vor ihm zu haben. Egal, wie zornig er gerade war.

Eine behandschuhte Hand erhob sich zwischen ihnen. Aus ihrem ungleichen Kräftemessen gerissen, stierten sie beide sie perplex an. Solange, bis sie wieder sank. „Schneider?“, machte ihr Besitzer auf seine noch immer im Raum schwebende Frage aufmerksam.

Der Gemeinte entsann sich. Auf einmal von Unruhe getrieben, stemmte er seine Hände auf die Lehnen, drückte sich in den Stand, riss den Kopf empor und starrte zur Decke. „General Logi, Sir!“, begann er, sämtliche Scheu von sich werfend, die ihn bisher gehalten hatte. „Wie es für Bewährungsproben üblich ist oder auch nicht, werden mir für diese Mission keinerlei Truppen zur Seite gestellt! Ich verstehe, dass der Große Nene aufgrund des derzeit begrenzten Kontingents an freien Soldaten seine Prioritäten sehr gewissenhaft setzen muss, allerdings – bitte verzeiht mir! – sehe ich mich noch nicht in der Lage, diese mir erteilte Aufgabe allein zu bewältigen. Deswegen wollte ich Euch, General, um Unterstützung bitten… Nur noch dieses eine Mal.“

„Um alles bündig zusammenzufassen: Er hat Schiss“, kam es aus der hinteren Reihe.

Schneider knirschte mit den Zähnen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. „General, hört mich an! Ich habe keine Angst! Ein Junge, der Angst gehabt hätte, würde heute hier nicht stehen, das wisst Ihr selbst! Ich wäge lediglich die Fakten ab und bin besorgt um unseren Sieg auf diesem Schlachtfeld, wenn ich wegen der zu hohen Einschätzung meiner Person doch versage!“

Logi sah wie das marmorne Abbild eines Kriegsgottes auf ihn nieder. Statur, Gesten, Mimik – die Rolle des unantastbaren Feldherrn saß ihm dermaßen überzeugend, dass Schneider glaubte, er füllte sie seit Menschengedenken aus. Man sagte ihm nach, im Alleingang einen Verband von hundert Schwertmeistern besiegt zu haben. Dass allein sein Erscheinen ausreichte, um die Gegner auf ihre Knie zu zwingen. Der Junge, der in diesem Moment vor ihm stand, wollte sich nicht einmal ausmalen, was für Arten und Grade von Training und Askese auf diesen Körper, diesen Geist eingewirkt hatten – und über welche Zeitspanne. Es schien vollkommen irreal – ja, beinahe lächerlich, anzunehmen, dass auch er irgendwann einmal ein Kind gewesen war und Eltern gehabt hatte. Dann schloss er die Augen. „Also gut: Ich begleite dich.“

Schneider konnte kaum Luft holen. „Ihr persönlich?!“ Auch den Unteroffizieren war die Überraschung deutlich abzulesen. „A-aber General! König Nene erwartet Ihren Einsatz schon morgen auf dem Hochplateau! Da können Sie doch jetzt nicht noch diesem Knirps bei seiner Drecksarbeit helfen!“

Ein kühles Lächeln bildete sich auf den schmalen Lippen. „Nene hat sich hinten anzustellen. Ich brauche endlich eine Beschäftigung, die Spontaneität erfordert und wenigstens halb so lange dauert wie das Trocknen meines Haars.“

„Bitte?!“ Die Furie zog ihre Augenbrauen empor.

„Beruhig’ dich, Cynthia“, sprach eine raue Stimme hinter ihr. „Hier war in der jüngsten Zeit echt wenig los. Und du weißt ja, wie König Nene tickt: Alles genau nach Plan. Ich kann unseren General da verstehen, wenn er sich mal wieder so richtig austoben will.“

„Schon, aber…“

„Mach dir keine Gedanken; ich werde mich nicht verausgaben. Ihr könnt Nene benachrichtigen lassen, dass ich mich heute Abend gegen achtzehn Uhr bei ihm melden werde, um die letzten Einzelheiten zu besprechen.“

Sie gab seufzend nach. „Ist gut. Immerhin braucht der Kleine nun keinen Schiss mehr um sein Leben zu haben.“

„Wie öde“, meinte der Muskelprotz mit dem minutiös gepflegten Gesicht.

„Hey, aus dem wird noch was!“, warf die dunkle Stimme unter absinthgrünen Brillengläsern ein. „Und wenn nur ’n neuer Sandsack auf dem Übungsplatz!“

Seine Finger suchten Halt am Stoff der weiten Hose. Ohne sich um die ausartende Lästerei seiner Untergebenen zu kümmern, setzte sich der General mit wehendem Umhang in Bewegung. An der Tür winkte er den Rekruten zu sich. Der verspürte Erleichterung – und Scham eben darüber. Er war nicht schwach und hatte es nicht verdient, umhergeschubst zu werden. Er war zwar kein Schattennutzer, doch er… er…!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück