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Allison

Das Erbe des Wolfes
von

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Freddy Krügers kleine Schwester

Es begann mit einer kleinen unbedeuten Flamme. Das Ergebniss von menschlicher Unachtsamkeit. Zuerst war sie klein und schwach. Nicht mehr als ein Flackern und Zucken. Doch dann kam ein Windstoss und ließ sie tanzen und überspringen. Auf einen Kittel, der nur wenige Meter daneben hing und sogleich als Nahrung der kleinen Flamme diente. Dieser wurde augenblicklich größer. Mit jedem Stück den sie vom Kittel verzerrte. Schon brannte der Kittel licherloh. Niemand bemerkte etwas. Die Menschen, die draußen auf dem Gang hinundherliefen, bekamen nichts mit. Zu beschäftigt waren sie mit dem, was zutun war.

Die Flamme, gestärkt durch den Kittel und somit größer geworden, wanderte die Wände hinauf. Leckte gierig mit ihren tausend Zungen darüber. Wollte damit weitere Nahrung zusich nehmen um größer zuwerden.

Sie bedeckte schon die ganze Wand, die unter ihren Berührungen schwarz wurde. Zielstrebig zog sie weiter hoch. Zu den abgeschlossenen Glasschränken, in denen Fläschchen, jeglicher Größe und Form, standen. Allesamt mit einem Etikett beklebt auf dem eine kleine schwarze Flamme aufgemalt war und darunter ein Wort stand. „Hochexpolsiv!“

Es dauerte nicht lange, ehe die Flammen de Glasschränke erreichte und sich durch das Holz frass. Es splittern und ächzen ließ, bis die erste Feuerzunge sich hindurch schob und an der der Flasche leckte. Sie dann immer mehr einschloss und das Glas, welches die Flüssigkeit einsperrte unter der Hitze nachgab und die Flüssigkeit erhitzt wurde. Es gab eine schreckliche Explosion und nun wo die erste Flasche in tausend Scherben zerplatzte, folgten nun die anderen. Eine nach der anderen und immer mehr hochentzündliche Flüssigkeit ergoss sich in die Flammen, die sie zum Wachsen und zum immer größer werden verhalf.

Bis schließlich der ganze Raum mit Rauch und giftigen Dämpfen erfüllt war.

Erste Rauchschwaden krochen durch den Türschlitz und verflüchtigten sich in dem langgezogenen Flur, in dem reges Treiben herrschte. Wurden zu dünnen Fäden und zogen durch die Luft. Noch bemerkte keiner den strengen Geruch. Erst als es schon zuspät war und ein unachtsamer Angestellter die Tür zu dem Raum öffnete, der lichterloh brannte.

Vor Überraschung und Entsetzen aufschreiend, wich er zurück und versuchte den Flammen auszuweichen, die sogleich nach ihm griffen. Doch es war zuspät. Er war bereits zunahe an das Inferno gekommen und die ersten Flammen hatten sich auf seinen Arm festgesetzt. Zerrten an dem Kittel, den er am Leibe hatte und der Mann schrie auf. Versuchte, die Flammen zu löschen. Die Umstehenden, erschrocken darüber, was mit dem armen Mann egrade passiert, blieben wie angewurzelt stehen und begriffen erst, was passiert war, als der Mann tot zusammenbrach. Die Flammen frasen noch weiter an ihm, während das Feuer, welches sich noch mit dem kleinen Raum begnügt hatte, nun über den Rahmen der Türe wanderte und auf die mit Holzverkleidete Decke überging.

Binnen von Sekunden stand die Decke in Flammen und dicker Rauch machte sich im Flur breit. Alarmglocken schrillten. Und Panik brach aus. Die Türen zu den Zimmern flogen auf und Patienten eilten hinaus. Irrten umher. Durch den Rauch, der sie husten ließ und Tränen in ihre Augen trieb.

Einige der Schwestern, nicht gänzlich von ihrer Panik ergriffen, sodass sie nur an sich dachten, eilten zu den umherirrenden Patienten und halfen ihnen, aus dem Rauch zukommen. In das Freie.

Während die Luft immer dünner wurde, wurde der Rauch immer dicker und es dauerte nicht lange, bis die ersten Menschen durch den Mangel an Sauerstoff keine Kraft mehr hatten, zusammenbrachen und durch die giftigen Dämpfe und erstickten.

Immer weniger Menschen kamen noch rechtzeitig aus den Flammen.

Nur eine Hanvoll von ihnen schaffte es. Verletzt von schweren Verbrennungen und schmerzenden Lungen zwar, aber dennoch am Leben. Sie hatten sich weit genug von dem brennendem Gebäude entfernt, um nicht in die Reichweiter des giftigen Rauches und den Flammen zukommen. Hockten, lagen oder standen einfach nur da und blickten zu dem Gebäude, was für sie zur Todesfalle geworden war. Einige von ihnen weinten, weil sie nicht glauben konnten, dass sie nur knapp dem Tode entkommen waren oder dass sie mit anhören mussten, wie andere Patienten, mit denen sie ihr halbes Leben geteilt hatten, nun quallvoll starben. Minuten vergingen, die sich wie Stunden anfühlten, während sie zusahen, wie das Feuer immer mehr das Gebäude zerstörte.

Es hörte nicht mehr auf zubrennen. Flammen tobten hinter der Fassade des Hospitals und dicke Rauchwolken, die durch das Dach quollen, schraubten sich in den nächtlichen Himmel. Schon sehr bald war in dem Tosen und Donnern des Feuers, das Brechen von Holz und Stein zu hören. Das Gerüst konnte dem Feuer nicht mehr standhalten und das Gewicht nicht mehr tragen. Lautkrachend brach ein Teil davon in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.

Wie geborstene Knochen ragten die verkohlten Balken heraus. Hoben sich bizarr von dem grellen Feuerschein ab. Glas zersprang und Feuer loderte aus diesen.

Die Menschen schrien, drängten sich aneinander und zitterten. Blickten unentwegt zu den Flammen und zu dem Gebäude, das immer lauter ächzte und Teile davon zusammenbrachen.

Nur ein kleiner Teil davon, schien noch etwas gegen die Flammen entgegen zusetzen.

Doch es war nur eien Frage der Zeit, bis auch dieser unterlag.

Lange Zeit war das Tosen und Brüllen der Flammen das einzige, was zu hören war. Doch dann hörten sie das Schrillen von Sirenenen und als sie in die Dunkelheit der Nacht blickten sagen sie, aufblitzendes blaulicht. „Wir sind gerettet!“, rief einer der Ärzte heiser, dessen Gesicht Rusgeschwärzt war und sprang auf. Schon bald kam der erste Rettungswagen die Auffahrt hoch. Gefolgt von einem ganzen Zug von Feuerwehrwagen.

Sogleich machten sich die Feuerwehmänner daran die Flammen zu löschen und das Feuer unter Kontrolle zu bringen.
 

Aufgeschreckt durch das Kreischen der Feueralarmanlage war sie erwacht und wusste zunächst nicht, was los war. Doch dann bemerkte sie den Rauch, der sich in ihrem Zimmer ausgebreitet hatte und die Schreie auf dem Gang. Durch das trübe Milchglasfenster sah sie hecktisch aufflackernen Lichtschein, huschende Schatten, und kletterte aus dem Bett.

Kaum aber dass sie die Türe zu ihrem Zimmer aufmachte, musste sie einen heftigen Hustanfall unterdrücken und die Augen abwenden, als das Feuer ihr entgegen schlug und sie für einen kurzen Moment blendete. Dann hörte sie die Rufe, inmitten dieses Chaos aus Flammen, schrillender Alarmanlagen und Rauch. Die Hand auf den Mund gerepsst, um so nicht noch mehr Rauch einzuatmen, torkelte sie durch den mit Rauch erfüllten Flur und sah schemenhaft vor sich Gestalten und lief auf diese zu. Streckte die Hand nach ihnen aus. Rief nach ihnen, so laut sie konnte. Doch mit jedem Schritt, den sie machte, schienen sich die Gestalten immer mehr von ihr zuentfernen, bis sie kaum noch in dem Dunst auszumachen waren. Das Feuer und das Brüllen schluckten ihre Schreie. Machten die Gestalten vor ihr taub dafür.

Verzweiflung und Angst ergriff sie. Ließ sie inmitten dieses Infernos frieren. Ohne stehen zu bleiben ging sie weiter. Schaute dabei um sich. Ihr Blut gefror in den Adern.

Alles brannte.

Die Wände, die Decke, sogar einige Teile des Bodens. Eine unerträgliche Hitze umgab sie. Machten es ihr schwer, richtig zuatmen, sodass ihre Lungen schmerzten, als würden tausend glühende Nadeln in diese hingebohrt werden. Mehr als einmal musste sie husten und krümmte sich dabei.

Es war wahrlich die Hölle und sie mitten drin.

Ignorierte den Schmerz, der mit jedem stärkerwerdenden Husten ebenso schlinmmer wurde.

Immer weiter lief sie. Nur nicht stehen bleiben, sagte sie sich und es dauerte nicht lange, als sie an der ersten Leiche vorbeilief. Ein älterer Mann. Sie kannte ihn. Er hatte nur zwei Türen weiter von ihr gewohnt. War immer nett zu ihr gewesen. Hatte ihr stets ein paar Süßgikeiten geschenkt, die er von einem Verwandten bekommen hatte, die er aber nicht wollte. Oft hatte er sie für seine Enkelin gehalten. Weil er einfach nicht mehr gescheit im Kopf war und Dinge durcheinander brachte. Samantha, kurz Sam, hatte ihn dennoch gern gehabt, weil er der einzige war, der sie verstand und ein offenes Ohr für sie hatte. Nun aber war er tot.

Tränen brannten ihr die Augen. Ob die Tränen durch den Rauch hervorgerufen worden waren oder ein Ausdruck ihrer Trauer waren, konnte sie nicht sagen. Vielleicht beides.

Sie trübten ihre ohnehin schon schlechte Sicht. Machten sie beinahe blind.

Ziellos und mit der Hoffnung, doch noch jemanden zufinden, der sie hier rausholen konnte, lief sie weiter. Vermied es dabei, stehen zubleiben. Sie wusste, dass es tödlich sein konnte, wenn sie zuoft und zulange stehen blieb. Sagte sich stattdessen immer wieder: Weitergehen. Geh weiter. Nicht stehen bleiben!

Es schienen Stunden zuvergehen, in denen sie umherirrte. Sam blieb stehen, in mitten dieses Rauches, der immer dichter wurde und ihr kaum noch Luft ließ. Ihre Augen fühlten sich geschwollen an und ihr Gesicht war nass und salzig, von Tränen und Schweiss.

Wielange lief sie hier schon durch die zugerauchten Gänge?

Warum suchte sie niemand?

War den anderen entgangen, dass sie noch hier drin war?

Eine eisige Angst ergriff sie, ließ ihre Beine schwer werden. Wieder musste sie husten und ihre Lungen schrien dabei nach Sauerstoff. Kraftlos, nicht mehr in der Lage, sich von alleine aufrecht zuhalten, stützte sie sich an der Wand ab. Ging dann in die Knie.

Ein letztes Mal sah sie um. Wie als wenn sie hoffte, dass doch noch jemand kam, der sie aus dieser Hölle retten würde. Doch keiner kam.

Keine sie retten!

Die Angst nahm Oberhand und ließ sie schluchzen. Sie spürte, dass sie hier ihr Ende findet. Es war unausweichlich. Dennoch wollte sie es nicht wahrhaben. Sie blickte in den Rauch, der sich dicht wie eine Mauer vor ihr aufgebaut hatte. Unüberwindlich war.

Lange Zeit blickte sie zu diesem und hatte schon mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie wollte schon die Augen schließen und sich ihrem Ende ergeben. Als plötzlich ein Luftzug kam und den Rauch auseinandertrieb.

Für einen kurzen Augenblick zwar, aber dennoch lange genug, um sie sehen zulassen, was sich da hinter dem Rauch verborgen hatte. Eine Türe mit der Aufschrift NOTAUSGANG.

Sam gab einen Laut von sich, der eigentlich ein freudiges Aufseufzen sein sollte, aber zu einem heisseren Röcheln wurde. Sie hatte es geschafft. Wie, war ihr egal. Nur eines war nun wichtig. Dass sie hier rauskommen würde. Sie musste nur wieder auf die Beine kommen und die Türe öffnen. Doch kaum dass sie sich aufraffen konnte, hörte sie ein Knirschen über sich. Sah feinen Staub hinunterrieseln. Sie blickte nachoben. Sah, wie die Decke Risse bekam und einen Sekundenbruchteil später, krachten schwere Brocken hinunter. Sam schrie auf, sprang nachvorne. Doch es war zuspät. Die Brocken begruben sie zum Teil unter sich. Hielten sie so gefangen. Sam versuchte sich zu befreien, stemmte sich mit aller Kraft gegen diese, wollte sich so rausschieben. Aber es half nichts. Zu sehr war sie geschäwcht vom Rauch und der Hitze, als dass sie noch etwas dagegen tun konnte.

Mit einem Wimmern ließ sie sich zu Boden sinken und blickte zur Türe. Verzwweifelt und trotz mit dem Wissen, dass sie sterben wird, streckte sie die Hand aus. Zur Türe, die so nahe und doch so fern war.

Die Flammen, die sich noch eben zurückgehalten hatten und sich mit dem größten Teil des Gebäudes begnügt hatten, griffen nun auf den Rest zu und frasen sich durch den Flur, in dem Sam unter dem Schutt gefangen war. Glitten wie Schlangen von hinten auf sie zu. Erhitzen den Boden und ließen ihn schmelzen. Blasen bildeten sich und zerplatzten. Sam schrie auf, als heisse Plastiktropfen auf ihre Haut trafen und darauf kleben blieben.

Es schmerzte entsetzlich und sie wünschte sich, dass es endlich vorbei sein würde.

Solange es ihr möglich war, hielt sie den Blick auf die Türe gerichtet.

Immernoch mit der Hand nach ihr ausgestreckt. Bis sich ihre Augen schlossen und sie nichts mehr wahrnehmen konnte. Nicht mal die Hitze und das Toben der Flammen.

Alles rückte in weite Ferne, bis es verstummte und das einzige, was sie hören konnte, ihr eigener Herzschlag war. Aber auch dieser wurde mal zumal schwächer. Ein dumpfes Pochen. Hohl und unbedeutend. Dann hörte es auf. Sie starb, inmitten der Flammen. Allein.
 

Der Film war fertig und wir verließen das Kino. Lex hatte es uns spendiert.

Als Wiedergutmachung dafür, dass er noch vor wenigen Wochen sich wie ein Arsch benommen und nicht auf uns gehört hatte, als wir ihm weissmachen wollten, dass seine Freundin böse war. Und zwar wirklich böse. Sie war nämlich eine Meerjungfrau und hatte ihn auf ihre Speisekarte gesetzt. Zum Glück konnten wir das Schlimmste noch verhindern. Dennoch hatte Lex ein schlechtes Gewissen und das nutzten ich und Fay schamlos aus. Wir schleiften ihn in einen Liebesfilm hinein. Nur um ihn eins reinzuwürgen. Doch der Film, in dem wir waren, hätten wir uns schenken können. Ich verstand nicht, was die anderen so toll an ihm fanden. Wenn ich mir so die Kritiken durchlese, frage ich mich wirklich, ob die Kritiker und die Zuschauer vor uns, nicht etwas zuvor geraucht hatten.

Schon allein die Geschichte war gewöhnungsbedürftig. Ein Vampir, der sexuell enthaltsam war, verliebt sich in ein Mädchen, das den Eindruck machte, als sei es rundum die Uhr bekifft und war ingesamt eine richtige Trantüte.

Von den Dialogen ganz zu schweigen. Sowas von lahm. Und dass Vampire in der Sonne glitzern, war wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Als wir rausgingen, ließ Fay ihren Frust freien Lauf. „Oh man, was für Schrott. Ich hatte schon wirklich schlechte Filme gesehen, aber der da ist wirklich in den Top Five, der schlechtesten Filme aller Zeiten auf dem ersten Platz!“

„Ihr wolltet doch unbedingt darein!“, sagte Lex locker.

„Ja, aber wenn wir gewusst hätten, was das für ein Schund war, hätten wir uns einen anderen Film ausgesucht!“, gestand Fay mürrisch. „Ganz meine Rede. Weiss sowieso nicht, was Euch dazu getrieben hatte, mich in diesen Film zuschleifen!“, meinte Lex. „Weil wir wegen dir eine echt schlimme Zeit hatten!“, konterte Fay.

„Jaja!“, murmelte Lex. „Schade um das Geld!“

Nach einer Weile sagte er dann aber:„ Aber wisst Ihr was? Diese Alice hat mich irgendwie an unsere Allsion erinnert!“

Ich hob die Brauen. Wie bitte? Ich soll wie die Figur aus dem Film sein?

Okay, zugegeben. Diese Alice sah mir wirklich ähnlich. Die gleichen kurzen Haare. Zierliche Figur und noch dazu diegleiche Gabe.

Doch einen feinen Unterscheid gab es: Ich war echt und sie eine Figur aus einem Film. Sie hatte ihre Mutter nicht verleren. Zumindest nicht ihre Adoptivmutter. Sie war ausgeglichen und fröhlich. Ich nicht.

„Stimmt. Jetzt wo du es sagst!“, sagte Fay und sah mich an, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Ich zog den Kopf zwischen die Schultern. Das war mir mehr unangenehm. Ich wollte nicht mit einer Fantays-Figur verglichen werden. „Jetzt hört aber mal auf!“, sagte ich beschämt. Für die beiden klang es wohl so, als sei ich geschmeichelt.

Dabei war es das Gegenteil.

„Naja. Du musst schon zugeben, dass ihr euch ähnelt!“, sagte Fay und bohrte weiter.

„Jaja!“, murmelte ich.

„Hey, was ist denn? Sei doch froh, dass noch jemand solch eine tolle Gabe hat!“

„Tolle Gabe? Was soll daran toll?“, platzte es aus mir heraus. Es reichte mir nun. Zwar mochten Lex und die anderen es vorteilhaft finden, dass ich die Zukunft sehen kann, ich aber nicht. Wie gesagt: Ich sah in dieser Gabe, einen Fluch. Und daran würde sich niemals was ändern.

„Weißt du, wie das ist mit anzusehen, wie Menschen, die man nicht kennt, sterben?“

Ich klang dabei so aufgebracht, dass sich meine Stimme überschlug. Lex hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich so aus der Haut fahren würde. Er sah mich mit gehobenen Brauen an und hob die Hände. Eine abwehrende Geste. „Allison, beruhige dich. Er hat es sicherlich nicht so gemeint!“, mischte sich nun Fay ein und legte mir die Hände auf die Schultern. Nur schwer konnte ich mich beruhigen. Ich war auch selber ein wenig entsetzt darüber, dass ich so schnell ausflippte. Aber es hatte mich einfach so wütend gemacht.

Ich atmete tief durch und versuchte, mich wieder zu entspannen. „Ja, ich weiss. Tschuldige!“, sagte ich und strich mir durch das Haar. Schaute dabei zu Boden. Beschämt.

Es war mir nun unangenehm, dass ich ihn so angeschrien hatte. Er hatte es sicherlich nicht böse gemeint und ich schnauzte ihn gleich so an.

Lex lächelte und klopfte mir auf die Schulter. „Mir tut es auch leid!“, sagte er und ich schaute auf. Blickte in sein Gesicht und sah in seinen Augen, dass er das ernst meinte.

Könnte es sein, dass ich gerade eine andere, weichere Seite an ihn entdeckte?

Ich lächelte schwach.

Schön wäre es. Denn dann wäre er mir wesentlich sympatischer. Fay, die sah, dass der nahende Streit wieder abgewendet wurde, seufzte erleichtert und rief ein Taxi.

Zeit nachhause zu fahren.

Nachhause. Komisch, dass ich es so nannte. Dabei wohnte ich bei Menschen, die mir nur helfen sollten, mich zuwehren. Eigentlich waren sie Fremde für mich. Aber mittlerweile waren sie Freunde geworden. Gute Freunde. Nie hätte ich gedacht, dass ich jemals wieder Freunde finden würde. Nach Maries Tod dachte ich immer, dass ich allein bleiben würde. Niemanden hätte, der mich verstand. Abgesehen von Papa natürlich.

Aber ich merkte, dass mir etwas fehlte. Etwas, was nicht mal Papa mir geben konnte.

Und nun hatte ich es. Freunde. Wie schön es sich anfühlte.

Doch von allen war Fay meine beste Freundin. Ich beneidete sie. Für ihre Stärke, die sie besaß und sich jedem Feind entgegen stellte, währen mir die Knie schlotterten. Ich sah sie lange an, während wir in dem Taxi saßen und durch die verlassenen Strassen Londons fuhren. Ich konnte nicht leugnen, dass sie wunderschön war. Wie ihre Mutter. Das feingeschnittene Gesicht, das lange rötlich schimmernde Haar, diese Augen, die alles sehen konnten.

Selbst in der Dunkelheit. Die vollen Lippen. Sinnlich und zu jeder Schandtat verlockend.

Wie gesagt, ich war ein kleines bisschen neidisch auf sie. Wie gern wäre ich auch so stark.

„Das bist du, Kätzchen!“, flüsterte plötzlich eine Stimme und ich zuckte zusammen. Erik!

Mit ihm hatte ich nicht gerechnet. So komisch es klingt, aber ich hatte ihn für einen kurzen Moment vergessen. Nun aber erinnerte ich mich wieder an meinem Beschützer.

Dabei wurde mir bewusst, wie er mich genannt hatte. Kätzchen!

Ich spürte, wie ich rot wurde. Wie kam Erik nur auf solch einen Kosenamen?

Aber bevor ich ihn fragen konnte, hielt das Taxi und wir stiegen aus.

Wir waren angekommen.
 

Shelly rannte. Rannte um ihr Leben. Sie war gefangen in einer Welt, die nicht dieihrige war. Und dennoch hatte sie ein seltsames Gefühl der Vertrautheit. Wie war sie hierher gekommen? Das Letzte, an das sie sich noch erinnern konnte, war, dass sie eingeschlafen und im nächsten Augenblick hier aufgewacht war. In einer Gegend, die verlassen und nicht wirklich war. Abgestorbene Bäume ragten in einen Himmel hinauf, der giftgrün war und die Luft war schwer wie Blei. Machte es ihr unmöglich, zu atmen. Eine dichte Nebelsuppe lag über den Boden und sie hatte Mühe zuerkennen, wohin sie trat. Der Boden war staubig und rissig. Einige Steine schnitten ihr in die blossen Füsse und sie schrie schmerzhaft auf. Außer den Bäumen, des Nebels und des giftgrünen Himmels, gab es nichts. Kein Zeichen, dass jemand anderes hier war. Der ihr helfen konnte. Aber das war es nicht, was ihr Angst machte. Sie spürte es. Es war ihr dicht auf den Fersen und wenn sie sich nicht beeilte, würde es sie kriegen. Sie würde sie kriegen. Sie konnte deutlich ihre Nähe spüren. Ihren Atem in ihrem Nacken. Und die Wut, die sie in sich trug. Mörderische Wut. Eiskalte Schauer rannen ihr den Rücken hinunter und tieben sie weiter.

Immer weiter.

Bis sie vor einem Tümpel stehen blieb. Es blubberte und rumorte darin, als würde das trübe Wasser kochen. Dicke Blasen tauchten auf der Oberfläche auf und zerplatzten mit einem lauten „Plop“

Um den Tümpel herum standen Bäume, deren Wurzel teilweise im Wasser versanken und deren Äste in die Höhe ragten, wie Arme, die nach Halt suchten. Dünne Rauchschaden stiegen aus dem Wasser und es lag ein Geruch wie von Schwefel in der Luft. Etwas Bedrohliches ging von diesem See aus. Shelly schauderte. Wollte weitergehen. Nicht länger als nötig, wollte sie vor diesem See stehen bleiben. Also ging sie weiter. Doch kaum dass sie einen Schritt machen konnte, hörte sie hinter sich ein Blubbern. So als würde etwas aus dem Wasser kommen wollen. Und trotz jeglicher Vernunft, blieb sie stehen und drehte sich langsam um. Schaute zum See, dessen Oberfläche sich kräuselte. Ein Schatten tauchte unter dieser auf und schob sich langsam hoch. Ein dunkler Haarschopf tauchte aus dem Spurdeln auf. Gefolgt von einer bleichen hohen Stirn. Dann sah sie Augen, schwarz wie die Nacht. Eine Nase, ein Mund, der zu einem grausamen Grinsen verzogen war. Ein Hals, so dünn, als würde ein Windstoss reichen, um ihn entzwei zubrechen. Schultern. Bis auf die Knochen abgemagert. Dann der Brustkorb, eine Taille, die Hüfte und schließlich die Beine.

Shelly wollte schreien. Allein schon das Aussehen des Wesens, was aus dem Sumpf gestiegen war, war zum fürchten. Doch es war nicht das Gesicht oder das Erscheinen, was sie vor Angst starr werden ließ. Sondern die Hände des Wesens.

Die Hände, die dürr, beinahe schon skellettartig, waren. Die Fingernägel, die lang, unnatürlich lang waren und spitz zuliefen. Glichen mörderischen Klauen.

Shelly wollte den Mund öffnen, wollte schreien. Aber sie hatte keine Kraft, geschweige denn eine Stimme. Langsam stieg das Wesen, was einmal eine Frau, eine sehr junge Frau gewesen war, aus dem See und bewegte die Finger ihrer Händer so, dass die Nägel aneinander rieben und klirrten, als seien sie aus Stahl. Ein schreckliches Geräusch. Shelly lief es kalt den Rücken hinunter.

Sie machte einen Schritt zurück. Noch einen. Immer wenn das Wesen einen Schritt auf sie zumachte. Wollte nicht, dass es ihr zunahe kam. Sie fürchtete sich zu Tode. Und kniff die Augen zusammen. Sagte sich, dass das nur ein Traum war und sie aus diesem erwachen musste. Dabei ging sie immer weiter nachhinten. Bis ihr Fuss ins Leere trat und sie stürzte. Endlich fand sie ihre Stimme und schrie auf. Der Sturz schien ewig zu dauern, bis sie aufschlug. Doch statt auf harten Boden unter sich zu spüren, tauchte sie unter Wasser und wusste zunächst nicht, wo oben und unten war. Dann ruderte sie mit den Armen und Beinen. Mit einem Laut, der ein Keuchen und zugleich ein Schrei war, kam sie aus dem Wasser hervor, in das sie gefallen war und wollte ans Ufer schwimmen. Raus aus diesem Sumpf klettern, der entsetzlich nach Schwefel und noch was anderem stank, über das sie lieber nicht nachdenken wollte. Der Sumpf, der zu anfang leicht zudurchschwimmen war, wurde nun zäher und sie hatte das Gefühl sie würde durch zähen Brei schwimmern, der immer fester wurde. Shelly keuchte und stöhnte, versuchte weiter zu kommen. Nur noch wenige Meter und sie könnte endlich aus diesem Sumpfloch rauskommen. Ihre Muskeln schmerzten und ihr Atem wurde schwer. Ging in ein Rasseln über. Dennoch gab sie nicht auf. Sie wusste, wenn sie auch nur einmal aufhören würde, sich durch den zähen Sumpf zu kämpfen und seien es nur einige Sekunden, würde sie stecken bleiben. So wühlte sie sich weiter durch den Morast und als ihre Hände, die voller Schlamm waren, endlich das Ufer berührten, seufzte sie erleichtert auf. Hielt sich an den Grasbücheln fest und zog sich raus. Es schmatzte widerlich, als sie ihre Beine als letzt rauszog und die Böschung hochkroch. Weg von dem Sumpf. Erst als sie sicher war, weit genug von ihm entfernt zusein, ließ sie sich auf den Boden sinken und atmete tief durch. Wollte wieder zu neuen Kräften kommen. Minutenlang blieb sie so liegen, blickte hoch zum Himmel, der immer noch dieses unnatürliche Grün hatte und fragte sich, wie lange sie schon hier war?

Waren es Minuten, oder schon sogar Stunden in denen sie durch diese alptraumhafte Gegend umherirrte?

Shelly richtete sich auf. Wollte weitergehen. Egal wie lange sie hier schon war, sie wollte nicht noch länger hierbleiben, sondern nach einem Ausweg suchen, wie sie wieder zurück kam. Gerade drehte sie sich um und wollte gehen. Da schloss sich plötzlich etwas um ihren Knöchel und brachte sie mit einem heftigen Ruck zum Fallen. Shelly stiess einen spitzen Schrei aus, als sie zu Boden ging und zunächst nicht wusste, was sie da umklammert hatte. Als sie jedoch einen Blick nach hinten warf, gefror ihr das Blut in den Adern. Eine Hand. Eine Hand mit Klauen. Shelly hatte diese Hand schon einmal gesehen.

Nur wenige Minuten, bevor sie in den Sumpf gefallen war. Es war die Hand, die dem unheimlichen Wesen gehörte. Und dieses kam nun aus dem Sumpf. Langsam und mit einem grausamen, wissenden Lächeln, dass sie ihr diesesmal nicht entkommen würde, schob sie sich aus dem Dumpf. Schien sich dabei so zustrecken, dass ihr Rumpf doppelte Länge annahm und ihr damit sehr nahe kam. Den Griff um ihren Fuss nicht einmal locker werden ließ.

Shellys Augen weiteten sich, als sie sah, wie der Kopf des Wesens immer näher kam, bis sich ihre Stirne berührten. Widerlicher Gestank schlug ihr entgegen. Nicht weniger schlimmer, als der Geruch, der aus dem Sumpf kam und betäubte sie. Shelly kämpfte vergebens dagegen an, um nicht die Besinnung zuverlieren. Doch dieser Gestank war einfach zu schrecklich, als dass sie dagegen ankommen und die nahende Dunkelheit zurückhalten konnte, die so gierig ihre Finger nach ihr ausstreckte.

Shellys Augen schlossen sich schon und sie drohte wegzudämmern, als ein brennender Schmerz durch ihren Schenkel jagte und sie aus der Ohnmacht riss. Shelly schrie auf und blickte zu ihrem Bein. Tief hatten sich die Nägel des Wesens in ihr Fleisch gebohrt und rissen es auf. Hinterließen tiefe Furschen, aus denen stossweise Blut strömte und den Boden aufweichten und rot färbte.

Shelly schrie und schrie. Glaubte vor Schmerzen wahnsinnig zuwerden. Mit einem widerlichen Schmatzen riss sie ihre Klauen, aus dem Bein ihres Opfers. Nur um sie dann wieder in eine andere Stelle ihres Körpers zuschlagen. Riss an der Haut und an dem darunterliegenden Fleisch und fügte ihr erneut eine grässliche Wunde zu. Diesesmal am Bauch. Und tiefer. Nach dieser folgten eine dritte, dann eine vierte und eine fünfte. Immer wieder jagte sie brutal ihre Klauen in den Körper des sich windenden Mädchens. Shellys Schreie nahmen kein Ende.

Schallten über den toten Wald und über die Sümpfe hinweg.

Als Shellys Körper von unzähligen Wunden übersat war und sie kaum noch am Leben war, richtete sich das Wesen zu seiner vollen Größe auf und hob die mit Blut verschmierte Klaue. Um ihr den Gandenstoss zugeben. Shelly öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Doch dazu kam es nicht mir. Mit einer blitzschnellen Bewegung, schlitzte sie ihr die Kehle auf. Ein nasses Gurgeln war aus der zerfetzten Luftröhre zu hören und Blut sprudelte wie aus einer makaberern Quelle aus der klaffenden Wunde und spritzte auf das bleiche Gesicht des Wesens. Nach all den Schreien, herrschte Stille. Nichts rühte sich mehr.

Sogar das Blubbern und Schmatzen der Sümpfe war verstummt.

Mit grimmiger Genugtuung blickte das Wesen auf den zerschundenen Leichnam des Mädchens. Gerne hätte es sich noch weiter gefreut, dass sie ihr erstes Opfer für ihre Rache gefunden hatte. Doch dann spürte sie die Gegenwart von Jemandem. Einem Menschen.

Aber das konnte doch nicht sein!

Verwirrt schaute es sich um. Und erblickte sie. Ein junges Mädchen, mit kurzen schwarzem Haar, das ungebändigt in allen Richtungen abstand. Es schaute sie geradewegs an und war ebenso überrascht hier zusein, wie sie selbst. Ein leichtes Zittern hatte von ihr Besitz ergriffen und sie blickte mit ihren ängstlichen Augen zu ihr. Ihre Augen. Sie waren ungewöhnlich. Das eine war braun, das andere blau. Wobei das blaue zu leuchten schien, wie ein Stern am nächtlichen Nachthimmel.

Das Wesen spürte, dass dieses Mächen nicht gewöhnlich war. Etwas umgab sie. Eine Aura. Es war wie ein feiner Nebelhauch von Schatten und Kälte.

Der Schatten, der um sie tanzte, schien selbst einen eigenen Willen zu haben. Zog sich zusammen zu einer Wolke, um sich dann auszubreiten, wie ein Seidentuch und das Wesen sah, wie sich aus dem dunklen Nebel Klauen bildeten, die sich nach ihr regten oder aber das Mädchen schützend umfingen. Machten ihr so klar, dass sie es nicht mal versuchen sollte, den unerwünschten Gast anzugreifen. Lange standen sie sich so gegenüber, blickten sich an. Dann öffnete das Mädchen den Mund und ein entsetzter Schrei drang ihr aus der Kehle.Dann verblaste die Umgebung und Allison riss die Augen auf.
 

Keiner meiner Träume, war so dermassen intensiv, dass ich wirklich glaubte ein Teil davon zusein. Sonst immer hatte ich es als eine Art Gottperspektive gesehen. Sah es zwar, konnte aber selber nicht eingreifen. Geschweige denn schreien. Aber anscheinend schien es in diesem Fall anders zusein. Wiedermal hatte eine Vision und diese war, wie gesagt, intensiver, als die vorherigen. Ich meinte wirklich in dieser sumpfigen Alptraumlandschaft zusein. Hatte die Luft gerochen, die widerlich nach Schwefel oder etwas anderem stank, das ich nicht genauer definieren wollte. Stand auf dem feuchten Morast, in dem meine Füsse bis zu den Knöcheln versanken und ich fühlte die schwüle Luft um mich herum, die sich auf meine Haut legte, wie ein feuchtes klebriges Spinnennetz. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. Igitt!

Von all den Träumen/ Visionen, die ich hatte, war das der/ die schlimmste.

Doch alles, der Gestank, der sumpfige Morast und die schüle Luft war nichts im Vergleich zu dem zerschlitzten Leichnam zu den Füssen dieses Alptraumwesens, dass zwar ein Mädchen, nicht älter als ich, war, mich aber auch irgendwie an die Horror-Kult-Figur Freddy Krüger erinnerte. Man bedenke nur die Länge der Fingernägel, mit denen sie dem anderen Mädchen diese grässlichen Wunden zugefügt hatte.

Doch statt einer Hackfresse, war ihr Gesicht unversehrt. Nur etwas blass, sodass die Adern blau hervorstachen und ihr Hals, spindeldürr war. Eigentlich war ihr ganzer Körper unnatürlich dürr. Fragte mich daher, woher sie diese Kraft hatte, um ihr Opfer derartig zuverletzen.

Aber da es sich herbei (wiedermal) um einen Dämon handelte, ahnte ich schon, dass diese Kraft nichts mit ihrem schmächtigen Körperbau zutun hatte.

Ich schaute zum Wecker. Viertel vor Sechs. Sicherlich schliefen Fay und Lex noch. Ganz zuschweigen von ihren Eltern. Ich würde wohl bis zum Frühstück warten müssen. Mit einem Seufzen legte ich mich wieder hin. Doch statt die Augen zu schließen, blieb ich noch eine Weile wach. Ich würde garantiert nicht mehr so tief und fest schlafen können, wie eben. Nicht nachdem ich diesen Alptraum hatte. Stattdessen döste ich vor mich hin. Hatte die Augen zwar geschlossen, doch es wollte sich einfach nicht der ersehnte und fortzuführende Schlaf einstellen.

Zumindest bis die Uhr sieben uhr morgens anzeigte. Dann glitt ich in einen, sanften, und zum Glück, traumlosen Schlaf.

Ein Pochen weckte mich und ich vergrub, mit einem Murren, mein Gesicht in den Kissen.

Sagte etwas von, ich will schlafen. Doch die Tür ging schon im nächsten Moment auf und Fay kam freudestrahlend ins Zimmer. Weiss Gott woher sie diese gute Laune hernahm.

Ich hatte auf jedenfall miese Laune, weil ich von Natur aus ein Morgenmuffel war. „Morgenstund hat Gold in Mund!“, sang sie überschwenglich. „Noch ein Spruch Kieferbruch!“, erwiderte ich, worauf sie mit der Zunge schnalzte. „Meine Güte. So mies drauf?“, fragte sie mich diesesmal etwas vorsichtiger. „Habe schlecht geschlafen!“

„Ich nehme an, dass es sich hierbei wieder um eine deiner Visionen ging?“, fragte sie sachlich und ich fuhr hoch. Natürlich! Mein Traum! Wie konnte ich das vergessen?

„Wieso steht etwas in der Zeitung?“, fragte ich und Fays Gesicht sah man deutlich an, dass sie schon irgendwie damit gerechnet hatte, dass ich sie sowas fragen würde. „Zieh dich erstmal an und komm runter frühstücken. Du wirst es nötig haben, wenn wir zu Scotland Yard fahren!“, sagte sie bloss und ging dann wieder. Ich vergeudete keine einzige Minute und machte schnell, mich um zuziehen. Kaum war ich unten, lockte auch schon der Duft von frischen Orangensaft und geröstetem Speck. Ich setzte mich und begann zu essen. Ich fragte, was passiert sei und Brian erklärte, dass es in einem Hospital zu einem schweren Angriff, mit Todesfolge auf eine Patienten gegeben hatte. Mehr wollte er wohl nicht sagen. Das brauchte er auch nicht. Da ich mir denken konnte, um welche Art von Angriff es sich handelte. Dennoch war ich neugierig und beeilte mich umso mehr mit dem Frühstücken.

Auch wenn ich wusste, was mich dort erwartete. Aber irgendwie wollte ich mir auch sicher sein. Sicher sein, dass es wirklich das Mädchen war, dass ich meinem Traum sterben sah.

Wie naiv von mir, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.

Ich saß unruhig auf der Rückbank und konnte es kaum erwarten, bis wir in der Pathologie ankamen.

Ich musste mich echt zusammenreissen, um nicht gleich loszurennen. Als wir dann durch die schwere Doppeltmetalltür kamen, erwartete er uns schon der Doc.

„Morgen!“, grüßte er uns kurz und knapp und wandte sich wieder dem Seziertisch.

„Morgen!“, erwiederte Lex trocken und stellte sich neben ihn. Fay ging auf die andere Seite des Tisches. Ich gesellte mich zu ihr. „Und was haben wir diesesmal?“, fragte Lex.

„Tja, weiss ich auch nicht. Das Opfer stammt aus einer Nervenklinik. Über Nacht muss sich irgendjemand Zutritt zu ihr verschafft haben und sie mit einem Messer oder etwas anderem scharfen, tiefe Schnittwunden zugefügt haben, die zum Tode führten!“

„Nervenklinik?“, fragte ich. In meinem Traum hatte ich weder weisse Gummizellen noch irgendwie was anderes gesehen, was einer Klinik gleichkam. Stattdessen hatte ich diese Sumpflandschaft gesehen, die es nur in Horrorfilmen gab. Oder gab es die doch.

In irgendeinem Teil von London, der verwildert und fernab der Zivilisation war.

Das ergab doch keinen Sinn. Doch dann sagte er etwas, was mir kalte Schauer über den Rückenlaufen ließ. „So würde ich es sehen. Aber die Überwachungskameras zeigten nichts, was auf einen Angriff hindeutete. Dafür sah man aber was anderes. Das Zimmer, in dem das Mädchen lag, wurde mit einer Kamera überwacht und die zeigte auf, was sich da abgespielt hatte!“

„Und was?“

Da grinste Doc. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber die Herren von der Auswertung für Videobänder können das sicherlich!“

„Okay okay. Ähm…können wir mal die Schnittwunden sehen?“, fragte Lex und ich merkte, wie mir flau im Magen wurde. Oh Gott. Hoffentlich war mein Magen stark genug, das zu ertragen, sonst würde der Doc sehen, was ich zum Frühstück hatte. Doc wollte schon nach dem Tuch greifen, was die Leiche bedeckte, doch dann sah er mich in diesem Moment mit gehobenen Brauen an, so als wenn er es bemerkt hätte, wie mir gerade übel wurde, und schien abzuwägen, ob er das Tuch wirklich zurückschlagen sollte. Aber ich nickte. Immerhin wollte ich auch wissen, ob mein Traum sich bewahrheiten würde.

Doc schlug das Tuch zurück, sodass wir einen Blick auf den ganzen Körper der Toten werfen konnten und ich musste einen Brechreiz unterdrücken. Die Schnittwunden, dessen Ränder sich gewölbt hatten, waren über dem ganzen Körper verteilt, wie ich es im Traum gesehen hatte. Das Blut, was aus ihnen geströmt war, war vertocknet. Nur die Wunde an ihrer Kehle glänzte noch feucht. Die Verletzungen waren jedoch nicht der Grund warum mir schlecht wurde. Sondern die Erkenntniss, das es wirklich das Mädchen war, das ich habe sterben sehen.

Ich wandte den Kopf ab, weil ich es nicht mehr ertragen konnte sie anzusehen.

Mich durchfuhr ein verrückter aber auch schmerzlicher Gedanke.

Ich hätte das verhindern können. Ich hätte sie retten können, bevor dieses Ding sie umbrachte.

Ich war dagewesen. Wirklich da. Mit Körper und Seele. Habe es mit angesehen und dennoch nichts unternommen. Ich fühlte mich in diesem Moment mies. Das Schuldgefühl grub sich wie Stahlklauen in meine Seele. Machten es mir schwer zu atmen. Wieder fragte ich mich, warum?

Warum besaß ich diese Gabe, wenn es meinstens zuspät war, wenn ich jemanden retten wollte. Es war einfach zum heulen. „Sieht aus, als wäre Freddy Krüger am Werk gewesen!“, bemerkte Lex und ruhig. Der musste offentlich Nerven wir Kruppstahl haben, und ebenso einen starken Magen.

„Nur das der gute Freddy ein Fantasy-Produkt ist!“, sagte Fay würgend. Ihr war anzuhören, dass dieser Anblick sie genauso schockierte, wie mich.

Lex gab nur ein „Hm!“, von sich, dann sagte er:„ Danke Doc!“
 

Als nächstes gingen wir in den Raum in dem die Videobänder ausgewertet wurden. Ein buntgemischter Haufen erwartete uns. Die meisten Mitglieder des Teams waren Männer, die sich hinter Bildschrime gesetzt hatten und mit großem Interesse anschauten, was die Videobänder hergaben. Ob es sich dabei wirklich um Überwachungsvideos oder nicht doch eher um Filme für die Unterhaltung handelten, war fraglich. Einer von ihnen hob den Kopf und grinste breit. Dann stiess er seinen Tischnachbarn an und als dieser aufschaute, deutete sein Kollege auf mich und flüsterte etwas, was der andere mit einem feisten Grinsen beantwortete. Ich versuchte mir meinen Ärger nicht anmerken zulassen. Ich wusste, dass ich nicht hässlich war. Da meine Mutter eine schöne Frau war, war es nur logisch, dass ich auch etwas von ihrer Attraktivität hatte. Dennoch störte es mich, wie ich auf manche Männer wirkte. Gerade auf solche, die das Hirn in der Hose trugen und von denen gab es leider genug.

Sie sahen einigermassen gut aus. Zugegeben. Dennoch waren sie nicht mein Geschmack. Ich hatte mich bisher noch nie für Männer interessiert. Ich wusste daher also nicht, welchen Typ Mann mir gefiel.

Ich schaute zu Fay, die sich nicht daran störte. „Sieh dir die schwarzharrige an. Ist die nicht heiss?“, fragte der erste und sein Grinsen wurde breiter. „Und wie. An der würde ich mich gerne verbrennen!“, feixte der andere. „Jungs, haltet Euch zurück klar. Denkt lieber daran zu arbeiten!“, wies Fay sie zurecht, als sei sie die Chefin von den beiden. Prompt waren sie still. Die Blicke gehorsam auf die Bildschirme geheftet. Ich warf Fay ein Lächeln zu, das sie erwiederte. Sie zwinkerte. „Der Doc sagte, dass Ihr Bänder von dem Mord habt!“, sagte Lex und einer von ihnen, ein etwas älteraussehender Mann mit einer randlosen Brille nickte, winkte uns zu sich heran. „Ja, wir haben es heute Morgen von den Kollegen bekommen, als sie die Leiche in den Yard brachten. Es uns auch schon angesehen und eins sage ich Euch: Das ist besser, als jeder Horrorfilm!“

Ich spürte, wie sich mein Körper versteifte. Fay spürte, dass mir alles andere als wohl war, und legte mir die Hand auf die Schulter. Als ich sie anblickte, lächelte sie sanft und nickte mir ermutigend zu. „Dann zeig mal her!“, forderte Lex lässig und der Mann schob das Band in den Rekorder. Auf dem Bildschirm war erstmal nur Schnee zusehen, ein Rauschen, dann sprang das Bild auf eine Szene in der wir ein Mädchen schlafen im Bett ligen sahen. Das Mädchen, was nur wenige Türen weiter nun tot auf einem Tisch lag. Das Zimmer war karg eingerichtet. Das Bett, ein kleiner Tisch daneben auf dem einige Medikamente standen. Ein Waschbecken mit Zahnbürste und anderen Hygieneutensilien. Ein weiterer Tisch, mit zwei Stühlen vor einem Fenster, das mit einem stabilen Gitter versehen war. Hinundwieder wälzte sich das Mädchen und bewegte stumm den Mund. Gebannt blickten wir auf den Bildschirm. In Erwartung irgendwas Interessantes zu entdecken. Es schien ewig zudauern. Ich blickte abundzu zu der Zeitangabe in der Ecke des Monitors und beobachtete, wie sich die Zeit quälend langsam in die Länge zog. Ich wurde immer Ungeduldiger, wobei ich mich auch fragte, ob ich das wirklich sehen wollte, was sich da abspielen würde. Aus einem Instinkt, den ich mir nicht erklären konnte, ahnte ich irgendwie, was sich da abspielen würde. Es war wie bei meinen Visionen. Ein Kribbeln in der Magengegend. Ein Ziehen, als würde ich in eine tiefe Achterbahnschlucht rasen. Dazu der Schwindel. Ich schwangte etwas, fasste mich aber wieder. Fay warf mir einen besorgten Blick zu. Ihre Lippen formten stumm die Worte: „Alles in Ordnung?“

Ich nickte. Versuchte mich an einem Lächeln.

Meine Hände begannen zu zittern, als wollten sie mein Nicken Lügen strafen. Ich verschränkte die Arme, um sie still zuhalten. Ich wollte nicht, dass jemand sah, wie nervös ich wurde.

Die Zeit schritt weiter voran, bis sie fünf uhr anzeigte. Und dann passierte etwas. Das Bild, was ebenoch noch scharf war, sodass man alles gut erkennen konnte, begann zu flackern.

Zu Zucken. Und ich fürchtete schon, dass das Band an der entscheidenen Stelle den Geist aufgeben würde. Aber dann ließ das Zucken und Flackern nach und das Bild war wieder gestochen scharf. „Was war das denn?“, fragte Lex. Der Mann, der das Band eingeschoben hatte, wandte sich kurz an ihn. „So hat es auch bei uns angefangen, bis es passiert ist!“, sagte er und sprach die letzten vier Worte mit einem gewissen Unterton aus, sodass ich eine Gänsehaut bekam. „Bis was passiert?“, hakte Lex nach. Doch der Mann deutete nur auf den Monitor. „Schauen Sie selber hin. Mr Matthews!“

Und Lex schaute hin. So wie ich und Fay. Mittlerweise war es auf dem Band viertelnach fünf. Nichts passierte. Nur dass das Mädchen aufeinmal anfing zu strampeln, wie ein Baby und die Decke vom Bett schob. Sie schien etwas zu wimmern. Wir hörten es nicht, da der Ton fehlte. Aber wir brauchten den Ton auch nicht. Es reichte schon, es zusehen. Das Strampeln wurde immer hecktischer panischer. Sie warf ihre Arme umher, ruderte strappelte. Es sah aus, als würde sie durch irgendwas schwimmen. Ihr Gesicht wurde dabei immer panischer. Ängstlicher. Als sei der Teufel hinter ihr her.

Ich schauderte. Das Ziehen in meinem Magen und der Schwindel wurden immer schlimmer. Sagten mir, dass das, was wir da sahen, auf ein baldiges entsetzliches Ende zusteuerte.

Mein Blick blieb auf dem sich windenden Mädchen haften. Ich ahnte, was für Ängste dieses arme Ding durchleben musste. Ich hatte sie ja selber gespürt, als ich in dieser Landschaft gelandet war.

Die Zeit war nun auf halb sechs gesprungen und das Mädchen windete sich immer mehr. Und dann passierte es. Ein Kratzer, tief und brutal zugefügt, klaffte in ihrer Haut auf. Genau an der Stelle, die ihr im Traum zugefügt wurde. Nach dieser Wunde, folgten weitere. An den gleichen Stellen, wie in meinem Traum. Verstand ich sofort und es lief mir kalt den Rücken runter. Diese Landschaft, war keine, die es wirklich gab. Nicht London. Oder sonst wo. Sondern im Traum.

Das Mädchen wurde von diesem Wesen in einem Alptraum getötet. Genau wie es Freddy Krüger getan hatte. Ich blickte zu Lex, dessen Gesicht hart wie Stein war. Er hatte es selbst gesagt. Die Wunden hätten gut von der Horrorgestalt aus dem Film „Nightmare on Elmstreet“, stammen können. Doch sie stammen von einem Wesen, dass es wirklich gab und dieses tötete gerade ein Mädchen. Langsam und quallvoll.

Ihre Kehle wurde mit einem unsichtbaren Hieb zerfetzt. Blut spritzte in einer unnatürlichen Fontäne heraus und klatschte auf alle sämtlichen Flächen, die sich in der Nähe des Bettes befanden. Dann stoppte das Band. Es war viertel vor sechs. Die Zeit, in der ich erwacht war.

Mir wurde eiskalt. Ich schlang meine Arme noch fester um mich. Fay atmete neben mir kaum hörbar und ich schaute kurz zu ihr. Ihr Gesicht war leichenblass und ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. Sie hatte sicherlich schon vieles Grauenhaftes gesehen, aber das schien alles zu topen. Lex sagte nichts. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Blickte nur auf den Bildschirm, auf diesem das Bild eingefroren war und wir immernoch die Tote sahen, wie sie in ihrem eigenen Blut lag. Dann wandte er sich ab. Sprach mit belegter Stimme:„ Danke, wir haben gesehen, was wir sehen wollten!“

Und gemeinsam verließen wir den Raum.
 

„Das hört sich wirklich übel an!“, kommentierte Brian, als wir ihm erzählten, was wir im Yard erfahren und gesehen hatten. Esmeralda schluckte. Ihr Gesicht war ebenso kalkweiss, wie das von Fay. „Das ist noch schmeichelhaft ausgedrückt!“, kam es von Lex. „Und die Tote war aus einer Nervenklinik?“, fragte Brian und wir drei nickten. „Hm!“, machte er nur und schien erstmal zu überlegen. Dann sagte er:„ Egal was da um sich geht. Wir müssen es soschnell herausfinden!“

„Und wie?“, kam es von Fay.

„Wir schleusen jemanden hinein. Dieser soll sich, naja, ich drücke es mal jetzt so aus, als geistig gestört ausgeben, um an Infomationen heranzukommen und herauszufinden, was da los ist!“

„Gute Idee, und wer soll Undercover als Irre herhalten?“, fragte Lex und kurz fühlte ich die Blicke aller auf mich gerichtet und ich machte mich ganz klein. Innerlich seufzte ich frustiert auf. Natoll!

Es wunderte mich ehrlich gesagt nicht, dass sie dafür mich in Betracht zogen. Von allen, die hier saßen, war ich diejenige bei der man es wirklich abkaufen würde, wenn ich mich einweisen lassen wollte. Irgendwie gefiel mir dieser Gedanken nicht. Ich fragte mich, in welcher Abteilung das Mädchen umgekommen war. Hoffentlich war es nicht die geschlossene gewesen. Auf Gitterstäbe und Zwangsjacken konnte ich gut verzichten. Mochte ich wie eine Zicke klingen. Das war mir egal. Wir mussten etwas dagegen unternehmen. Und das ginge nur so. „Okay, ich mache es!“, sagte ich und nun ruhten wirklich alle Blicke auf mich. „Bist du sicher?“, fragte Fay und ich wollte schon nein sagen, doch ich nickte. Einer musste es ja machen und ich fühlte mich nebenbei noch dazu verpflichtet. Das Mädchen war gestorben, weil ich nicht eingegriffen hatte und ich wollte nicht, dass sich das wiederholte. Oh man. Was müsst Ihr nun von mir halten?

Allison Adea, die unfreiwillige Heldin, die sich stets bemüht, es allen und jedem Recht zumachen und soviel Menschenleben zu retten, wie es nur geht!

Ironie komm raus!
 

Sobald die Sonne verschwunden war und die Nacht eingebrochen war, rief ich Erik. Ich wollte ihm von dem Plan erzählen, den wir ausgetüffelt hatten. Damit er sich darauf einstellen kann, mich in der Nervenklinik bei meiner „Mission“, zu unterstützen. Gott!

Was er wohl davon halten würde?

Sicherlich würde er sich wirklich fragen, ob ich wirklich noch alle Latten am Zaun hatte.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Schon bei dem bloßen Gedanken musste ich verbittertes Lachen unterdrücken.

Ich in einer Nervenklinik.

Was mochte Papa davon halten. Sicherlich wenig bis garnichts. Schon damals, als ich durch den Tod meiner Mutter traumatiesiert war, wollten meine Lehrer mich zu einem Kinderpsychologen schicken. Damit ich wieder normal im Kopf werden werde.

Doch mein Vater hatte sich geweigert und wortwörtlich gesagt, dass er lieber Gift schlucken würde, als mich zu einem Seelenklempner zuschicken, der vermutlich noch mehr kaputtmachen würde. Sondern stattdessen mit mir getrauert und zugleich mich mit seiner Liebe getröstet. Das hatte mir all die Jahre geholfen. Besser als es eine Therapie machen konnte. Jetzt aber würde ich wohl oder übel doch noch in die Psychoklinik kommen. Sei es auch nur, um einen Fall zu lösen. Trotzdem machte es mich nervös. Und ich fragte mich, was mich da erwarten würde.

„Und du willst da wirklich reingehen? In eine Nervenklinik?“, fragte Erik, der neben mir aufgetaucht war und mich aus meinen Gedanken und Erinnerungen holte. Ich brauchte eine Weile, ehe ich wieder in die Gegenwart zurückkehren konnte und nickte. „Ja. Wer könnte denn besser darin passen als ich?“, fragte ich und zwang mir ein Lächeln ab. Doch Eriks ernstes Gesicht ließen meine Gesichtszüge erschlaffen. „Das ist kein Spiel, Allison. Diesesmal wirst du den Dämon alleine gegenüber stehen müssen. Ich kann dich nicht beschützen, wenn du im Traum angegriffen wirst!“, sagte er und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Was sagte er da?

Er konnte mich nicht beschützen, wenn ich träumte?

„Aber wie kann ich dann…wieso, denn nicht?“, fragte ich. „Weil der Zustand des Schlafens und des Traumes eine ganz andere Ebene ist. Ich kann deswegen nicht geistig oder körperlich dort sein. Geschweige denn dir helfen, wenn es zu gefährlich wird!“

„Dann…bin ich ganz allein?“, fragte ich. „Ja!“, war seine Antwort.

Ich merkte, wie mir der Mut schwand. Wenn Erik mir wirklich nicht helfen konnte, wenn ich im Traum angegriffen wurde, dann war ich leichte Beute. Ich schauderte und wollte schon aufstehen, zu Brian und Esmeralda gehen und sagen, dass ich es doch nicht machte. Doch etwas hielt mich zurück. Ich sagte mir, dass es das Schuldgefühl war, das mich davon abhielt einen Rückzieher zu machen. Dennoch wurde mir bei dem Gedanken, allein mich diesem Horrorwesen zu stellen, flau im Magen. „Wie kann ich mich dann wehren?“

Erik antwortete nicht sofort, sondern schaute erstmal vor sich in, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Mir wurde das einwenig unheimlich und ich rüttelte an seiner Schulter. „Erik?“, fragte ich und er schien wieder ganz bei sich zusein. Er blinzelte und sah mich mit einem schwachen, wissenden Lächeln an, das mir die Sprache verschlug. „Ich lasse mir was einfallen. Keine Sorge!“

Dann war er verschwunden.
 

Erik hatte sich zurückgezogen. Saß auf dem Dach des Hauses und hatte die rechte Hand ausgestreckt. Konzentierte sich und murmelte leise Worte vor sich hin. Zuerst tat sich nichts, doch dann tauchten schwarze Schattenfäden. Tanzten umher und verflochteten sich ineinander. Eriks Worte wurden zu einem fließenden Fluss, riefen noch mehr Schatten herbei, die sich in seiner Hand sammelten und sich zu etwas vereinten, was ein Ring zu sein schien.

Schweissperlen bildeten sich auf der Stirn von Erik, da es ihn große Anstrengung kostete, einen Teil seiner Kraft in etwas zuverwandeln, was Allison helfen konnte. Er fühlte, wie er schwächer wurde. Dennoch musste er weitermachen.

Koste es was es wolle. Und als er fertig war, fühlte er sich schwächer denn je, aber auch erleichtert. Mit einem letzten kritischen Blick betrachtete er das Hilfsmittel. Und hoffte, dass es funktionierte.
 

„Und was hat Sie dazu veranlasst, hierher zukommen?“, fragte Doktor Higgens, Leiter der Nervenheilanstalt, und sah mich mit einem dezenten skeptischen Blick an. Ich versuchte mir meine Nervösität nicht anmerken zulassen und setzte eine niedergeschlagene Miene auf. „Seit einiger Zeit leide ich an schrecklichen Alpträumen, die mich nicht schlafen lassen. Zuerst fing es ganz harmlos an. Nur einmal in der Woche, doch jetzt wurden es immer mehr und wie gesagt: Ich kann deswegen schon gar nicht mehr richtig durchschlafen!“, sagte ich. Diesen Satz hatte mir Brian eingeschärft, als wir auf dem Weg zur Nervenheilanstalt waren.

Diese befand sich weit auserhalb von London. Beinahe schon im Nirgedwo. Überall wo man hinsah, nur Bäume und auch einige Felder. Um die Patienten ruhig zuhalten und sie nicht dem Stress der Großstadt auszusetzen. Hiess es in einer Broschüre. Die Nervenklinik an sich erinnerte mich irgendwie an ein altes Herrenhaus aus dem achtzehntem Jahrhundert. Zweigeschossig und sah aus wie eine umgedrehte Kucheform. Das Dach war mit roten Ziegeln ausgelegt gewesen. Die Außenfassade war weiss gestrichen und die Fenster sahen uns wie tausend kleine Augen an. Als erwarteten sie, dass wir eintraten. Ich blieb vor dem Haus stehen und blickte zu dem Haus hinauf. Irgendwie sah es für mich nicht so aus, wie eine Nervenheilanstalt. Sondern eher wie ein Gutshof, in dem Gäste einundausgehen konnten.

Das Grundstück, auf dem es stand war ein großangelegter Park, der von einem hohen, eleganten Zaum umgeben war, der sicherlich mit einigen Sicherheitskrimskrams bespickt war. Kameras und sicherlich auch etwas wie Starkstrom. Doch das war wirklich übertrieben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man die Menschen, die hier eingewiesen waren, wie Gefangene behandelte. Zumindest hoffte ich das.

Das Innere, naja, erinnerte mich nun mehr an eine Nervenheilanstalt. In den Ecken links und rechts waren Sitzecken eingerichtet, mit Zeitschriften. In der Mitte, an der gegenüberliegenden Wand der Türe, war die Rezeption. Zu beider Seiten führten Glastüren zu jeweils einem Korridor, der sich in einem weissen Nichts verirrte. Hinundwieder huschten Schwestern in weissen Kitteln umher, wie Geister und verschwanden wieder hinter Türen, die schwer und massiv wirkten.

Alles war weiss gestrichen und alles wirkte ziemlich steril. Es hingen einige Bilder, bunte Farbkleckse, die irgendwelche Formen darstellen sollten, an den Wänden. Der einzige farbliche Ton in dieser weissen Leere. Wohl ein schwacher Versuch, die Besucher von der weissen Wand abzunklenken. Und hier würde ich eine Zeit lang bleiben!?

Mir wurde kalt bei diesem Gedanken. Esmeralda legte mir ihre Hand auf den Rücken und lächelte mich aufmunternt an. Schob mich dann mit sanften Druck nachvorne.

Eine Schwester, jung und mit dunkelgelockten Haaren, die sie unter ihr Häubschen gesteckt hatte, begrüßte uns mit einem Lächeln. „Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“

„Wir hatten heute einen Termin. Mit Doctor Higgens. Fünfzehnuhr!“, erklärte Brian förmlich und die Schwester schaute nach. „Ahja. Mr. und Mrs. Crow!“, sagte sie und grinste um so breiter. Dann sah sie mich an und ihr Grinsen wurde mir nun etwas unheimlich.

„Und du musst Alice sein?“

Ich nickte. Und verfluchte zugleich Lex, da er es war, der mir diesen Namen aufs Auge gedrückt hatte. Warum nicht ein anderer Name?

Warum ausgerechnet dieser Name von dieser Filmfigur?

Doch jetzt deswegen zu jammern, brachte nichts. Da musste ich jetzt durch. Ich verkniff mir daher eine Bemerkung und nickte. „Schön dich zusehen!“

Dann wandte sie sich wieder an Esmeralda und Brian. „Doctor Higgens erwartet Sie schon!“, sagte die Schwester und kam hinter der Rezeption hervor. „Bitte folgen Sie mir!“

Wir folgten ihr durch die eine Tür und gingen den langen Flur entlang, die ziemlich lang war. Und von dem einige Türen und weitere Gänge abzweigten. Allesamt graugestrichen und mit Schildern geschriftet.

Die Türe zum Büro des Arztes befand sich am Ende des Flures und als die Schwester anklopfte, rief eine Männerstimme, dass wir eintreten konnten. Tja, da saß ich nun. Und würde bald hier wohnen.

Doctor Higgens sah mich einen Moment lang an. „Wielange haben Sie diese Träume schon?“, fragte er mich wieder und nahm sich einen Kuli und ein Blatt Papier. Noch ehe ich richtig nachdenken konnte, entglitten mir die Worte schneller als mir lieb war. „Seit meiner Kindheit!“

Ich erntete sowohl von Esmeraldal als auch von Brian verblüffte Blicke. Wobei Brians Blick nicht sehr viel preisgab, was er dachte. „Sie waren bis zu einem gewissen Punkt harmlos. Aber jetzt…!“

Ich hob hilflos die Hände und ließ sie wieder in meinen Schoss fallen. Eine klare Geste, dass ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen sollte. Ich hoffte, dass das reichen würde. Doctor Higgens notierte sich etwas, dann schaute er auf und sah mich ein letztes Mal prüfend an. Dann nickte er. „Gut, ich werde Anweisungen geben. Kommen Sie morgen wieder. Bringen Sie mit, was Sie brauchen!“, sagte er. „Dr. Rayne wird sich mit Ihnen befassen!“

Und damit war das Gespräch beendet.
 

„Was? Morgen schon?“, fragte Fay und ich nickte. „Ja, offenbar war ich so überzeugend, dass sie mich gleich morgen bei sich haben wollten!“, erklärte ich und ließ mich in das weiche Sofa sinken. Ich fühlte mich total erledigt. Nie hätte ich gedacht, dass es so an den Kräften zerren würde. Aber vermutlich lag es auch an der Aufregung. Die Aufregung, in die Nervenklinik zu kommen und dann allein mich auf die Suche nach diesem Wesen zu machen, um mich dann ihm entgegen zustellen. Allein!

Ohne irgendwelche Hilfe. Weder von Fay und Lex, noch von Erik. Und ich begann mich zufragen, was ich machen sollte, wenn ich es nicht schaffte. Wenn das einfach eine Nummer zugroß war. Ich will hier wirklich nicht als Jammerlappen gelten, aber der bloße Gedanke, mich mit diesem Ding, in meinen Träumen anzulegen, ohne eine Möglichkeit mich zu wehren, versetzte mich in leise Panik.

„Ich lasse mir was einfallen. Keine Sorge!“

Das waren Eriks Worte und kaum, dass ich daran dachte, fühlte ich mich irgendwie beruhigt. Ich wollte mich nicht fragen warum. Sondern einfach daran glauben und ihm vertrauen.

„Ich war erstaunt, dass du das mit deiner Kindheit angesprochen hast!“, sagte Esmeralda.

„Ich weiss selber nicht, was mich da geritten hat. Es ist mir einfach so rausgerutscht!“

„Auf jeden Fall hat es funktioniert!“, sagte Brian wiederum unbeeindruckt. „Du solltest wirklich Schauspielerin werden!“

Ich verzog das Gesicht, weil ich deutlich an seinem Ton hörte, dass er das ironisch meinte.
 

Es war Abend und ich hatte gepackt. Ich hatte den Koffer schon gepackt und schaute eine lange Weile auf diesen nieder. Morgen würde ich eingewiesen werden. Und ich fragte mich (wiedermal) in welche Abteilung ich kam und was man versuchen würde, mich von meinen Alpträumen zu heilen. Ob man mich mit Drogen zudröhnen würde, bis ich nicht mehr wusste, wie ich hiess, oder ob ich männlein oder weiblein war. Oder mich solange bequatschen, bis ich freiwillig aus dem Fenster hüpfte?

Auf jeden Fall würde das, was mich im Schlaf erwartete, sicherlich ein reiner Spaziergang werden. Hoffte ich zumindest und ich kam wieder an den Punkt, wo ich mich zufragen begann, was ich eigentlich dagegen machen sollte. Wie ich mich wehren konnte. Erik war noch nicht hier, oder hatte mir eine Botschaft dageleassen, die mir versicherte, dass er mich nicht schutzlos alleine ließ.

So langsam machte ich mir Sorgen. „Na, alles gepackt?“, fragte Erik und ich zuckte etwas zusammen. „Hör endlich auf, wie aus dem Nichts aufzutauchen und mich erschrecken!“, bat ich ihn angesäuert. „Du müsstest dich eigentlich daran gewöhnt haben!“, kam es von ihm und setzte sich auf das Bett. „Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf!“, wollte ich beinahe schon sagen, verkniff es mir aber.

„Hast du denn etwas, womit ich mich wehren kann?“, fragte ich und schloss den Koffer. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich für einen langen, langen Augenblick anschaute und ich glaubte so etwas wie dunkle Gewissheit in seinen Augen zu sehen. Doch noch ehe ich richtig hinschauen konnte, wandte Erik den Kopf ab und krammte in seiner Jacke herum. Suchte nach etwas und reichte es mir. Ein schwarzer Armreif, dessen ring in dreiweitere aufgetreilt war und sich ineinander verschlungen hatten. Es sah aus, als wäre der Armreif aus schwarzen Ranken oder so geflochten. In der Mitte, als Schmuckstück sozusagen, war ein Edelstein eingefasst. Er schimmerte, je nach Lichteinfall in den unterschiedlichsten Rottönen. Von leuchtend bis blutrot. Das Farbwechselspiel hypnotesierte mich für einen kurzen Moment. Wie gebannt schaute ich auf den Stein. Doch dann riss ich mich los und sah Erik an. „Kann mir das wirklich helfen?“, fragte ich. Ich weiss nicht, was ich erwartet hatte. Eine Art Waffe vielleicht. Ein Schwert oder sowas in der Art.

Ich hatte keine Zweifel daran, aber ich wollte es trotzdem wissen. Und ich wollte wissen, wie?

„Natürlich, vertraust du mir etwa nicht?“, fragte Erik und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er ernst enttäuscht war, dass ich ihm solch eine Frage stellte. „Doch schon, aber ich weiss nicht, wie mich ein Armreif beschützen soll?“

„Leg ihn doch einfach an!“, sagte er und klang ein wenig gereizt. Ich war immernoch nicht überzeugt, dennoch streifte ich den Armreif über. Kaum hatte ich das getan, spürte ich einen entsetzlichen Schmerz in meinem Handgelenk. „Au, was ist das?“, rief ich und griff nach dem Armreif. Wollte ihn abziehen, doch das Ding blieb auf meiner Haut, als hätte es sich mit kleinen Zähnen in meine Haut verbissen. Und als ich auf mein Handgelenk schaute, sah ich wie etwas Blut unter dem Armreif hervorquoll. „Was…was?“, keuschte ich entsetzt.

Ich schaute zu Erik, der die Ruhe weg hatte und mich abwartend anschaute. „Was… was…was soll der Scheiss?“, fragte ich ihn entsetzt und wütend. „Ganz ruhig. Das ist normal!“, sagte er und ich wollte schon Luft holen, um ihn anzuschreien. „Wie soll ich dir sonst helfen? Ich habe dir gesagt, dass ich dich im Traum nicht beschützen kann. Also erschurf diesen Armreif mit hilfe meiner Kraft. Er ist ein Teil davon und dieser verbindet sich mit dir. Über dein Blut wird meine Kraft auf dich übertragen und kann jegliche Form einer Waffe annehmen, die du willst!“

Für einen kurzen Moment drehte sich alles. Ich blickte auf den Armreif. Eriks Worte sickerten nur langsam in meinen Verstand. Dieser Armreif war ein Teil seiner Kraft und und diese erhielt ich über mein Blut. Schon irgendwie gruselig. „Und werde ich es auch nicht verlieren?“, fragte ich. „Nein. Wie gesagt, es ist nun ein Teil von dir!“, sagte er und lächelte. „Es ist schwer, dich davon zutrennen!“

Ich schaute auf das Armband, das mein Handgelenk zierte und versuchte etwas darin zusehen, was es zu etwas Besonderem machte. Doch auf den ersten Blick sah es aus, wie ein Armreif. Modisch und elegant. Auf eine unheimliche Art und Weise.

Aber ich ahnte, dass in diesem Armreif etwas innewohnte, was ich erst später erkennen würde. Ich blickte noch einmal zu Erik und noch immer lächelte er dieses wissende Lächeln.
 

Mein Einzug in die Nervenklinik verlief ohne großes Tam-Tam. Brian und Esmeralda begleiteten mich. Zusammen mit einer stämmigen Oberschwester gingen wir durch die Türe mit der Aufschrift „Offene Abteilung“

Wir kamen an einigen Türen vorbei, die mit Nummern und Namen beschriftet waren. Ich las einige davon. Es waren sowohl Mädchen als auch Jungen hier untergebracht.

Einige kamen uns entgegen und sahen uns und mich am meisten, mit neugierigen Blicken an. Ich ging einfach weiter. Achtete nicht darauf.

Während wir durch den Flur gingen, der zu meinem neuen Zuhause führte, schaute ich mir die Türen, die links und rechts von uns befanden. Sie waren mit Namen und Nummern beschriftet. Ich las einige davon. Es waren sowohl Mädchen als auch Jungen hier untergebracht. Und ich fragte mich, warum sie hier waren. Welche Krankheiten sie hatten?

Aber vermutlich würde ich das bald herausfinden.

Als wir an der Tür ankamen, hinter der mein neues Zuhause lag, schloss die Schwester diese auf und ich es betrat als erstes. Es war karg eingerichtet. Schreibtisch, ein Bett, das aussah wie aus einem Gefängniss, ein Schrank und ein kleiner Tisch. Die Fenster waren zum Glück nicht vergittert.

Aber was anderes hatte ich eigentlich nicht erwartet. Immerhin war das eine Nervenheilanstalt und nicht das Hilton.
 

„Frühstück gibt es um acht. Mittagsessen um zwölf und Abendessen um acht!“, sagte die Schwester mit barscher Stimme. Sie musste diesen Satz sicherlich mindest einhundertmal gesagt haben, so wie sie den runterleierte.

Esmeralda umarmte mich. „Wir werden dich besuchen. Versprochen!“, sagte sie.

Für die Schwester klang es nach den üblichen Besuchern von Verwandten. Doch ich wusste dass diese Besuche dazu dawaren, sie über meine Recherchen aufzuklären. Ich nickte. Erwiederte die Umarmung. Brian hatte nur ein Schulterklopfen für mich übrig. „Pass gut auf dich auf!“, riet er mir noch, dann gingen sie. Die Schwester blieb noch einen Moment, schaute mich an. Ich erwiderte nur ihren Blick. Dann sah sie auf mein Handgelenk und runzelte missbilligend die Stirn. Mir entging das nicht und ich bedeckte schnell das Armband mit meiner anderen Hand. „Schmuck ist hier nich erlaubt!“, sagte sie mit dergleichen barschen Stimme und ich schluckte. „Ich…bitte! Es ist ein Erbstück meiner Mutter!“, versuchte ich die Frau weichzuklopfen. Doch diese streckte nur die Hand aus. „Schmuck ist nicht erlaubt!“, widerholte sie und ihr Gesicht verfinsterte sich.

Gott, das musste wohl der Drache des Hauses sein.

Mein Griff um den Armreif wurde fester. Das Metall begann unter meiner Berührung warm zu werden und ich überlegte krampfhaft, was ich noch sagen konnte, um den Schwesterdrache weichwerden zulassen. „Aber…!“, begann ich und machte einen Schritt zurück.

„Was ist denn hier los?“, fragte eine Männerstimme und ein Mann im weissen Kittel kam ins Zimmer. Er war jung. Sehr jung. Und sehr gutaussehend. Er schaute erst mich, dann die Schwester an und machte betroffenes Gesicht. „Schwester Greta. Darf ich fragen, warum dieses Mädchen so eingeschüchtert aussieht?“, fragte er und ich war dankbar dafür, dass er zur rechten Zeit dawar. So versuchte ich noch eingeschüchterte zu wirken. Zog den Kopf zwischen die Schultern und machte ein Gesicht, als würde ich gleich anfangen zu weinen. Drachenschwester Greta wirkte nun etwas ertappt und verunsichert. Sie suchte nach den richtigen Worten. Dann straffte sie die Schultern und zeigte auf mich. „Ich wollte ihr gerade klarmachen, dass sie das Armband abgeben muss!“, sagte sie herrisch und sah mich dabei mehr als finster an. Ich versuchte nun nicht weniger nachgebend ausszusehen und sagte:„ Es gehörte meiner Mutter. Das einzige, was ich noch von ihr habe!“

Ich legte dabei alles Flehen und Entsetzen in meine Stimme, um meinen Willen durchzusetzen. Dass ich dabei wie eine fünfjährige klang, blendete ich aus.

Der Arzt legte den Kopf schief und überlegte. Die Drachenschwester hingegen wäre es lieber gewesen, mir den Reif gleich vom Arm wegzureissen. So wütend war ihr Blick.

Ich blickte zum Arzt und betete, dass er auf meiner Seite stand. Was er auch tat. „Wenn es ihr soviel bedeutet, lassen Sie ihr den Armreif!“, sagte er gönnerhaft und ich dankte ihm tausendmal. Nur die Schwester schien nicht so begeistert davon zusein. Wütend, dass man ihre Autorität in Frage gestellt hatte, stapfte sie davon. Ich musste dem Drang wiederstehen, ihr spöttisch nach zuwinken.

„Ich hoffe, Sie haben keinen falschen Eindruck von unserer Anstalt?“, sagte der Arzt und lächelte sanft. Ich schüttelte den Kopf. „Nein!“

„Da bin ich beruhigt!“, sagte der Mann wieder und reichte mir die Hand. „Ich bin Doctor Rayne. Ich werde mich während Ihrer Zeit hier bei uns, mit Ihnen befassen!“

Das war also Doctor Rayne. Er war ungefähr einssechsundsiebzig, braun gebrannt, nicht zustark, als würde er Werbung für ein Solarium machen, und hatte gewelltes braunes Haar. Seine Statur konnte man gut als athlethisch bezeichnen. Seine Augen waren dunkel, so dass man sich in ihnen leicht verlieren konnte. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten müsste, dass er nicht gut aussieht. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er die eine oder andere Verehrerin ist. Und wenn ich nicht aufpasste, würde ich eine von ihnen werden.

Ich brachte kein Wort heraus, sondern ergriff seine Hand. Sie war warm und weich. Fast so wie die von Erik. Bei dem Gedanken an ihn, fragte ich mich, wo er sich nun befand.

War er schon hier oder wartete er bei Brian und Esmeralda auf meinen Hilferuf?

Ich kam mir aufeinmal ziemlich verloren vor, jetzt wo ich hier war.

Ohne die anderen, die bisher immer da gewesen waren, um mir zu helfen.

Ich schaute auf den Armreif. Hoffentlich würde er mir auch wirklich helfen.

„Vertrau mir!“, hörte ich Erik plötzlich sagen und kurz schaute ich hinter mich. Die Stimme war deutlich hinter mir zu hören gewesen. Aber da war niemand. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. „Einen schönen Armreif hast du da!“, sagte er und ging gleich aufs perdu über. Ich schaute auf diesen nieder. „Ja, meine Mama gab ihn mehr, bevor sie…!“

Da es sicherlich kein Geheimniss war, das meine Mutter tot war, da sich Esmeralda und Brians als meine Zieheltern ausgegeben hatten, konnte ich das Spiel weiterspielen. Dennoch fühlte ich mich dabei schlecht. Es war irgendwie falsch. Ich konnte es mir selber nicht erklären. Aber ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass meine Mama Esmeralda und Brian wirklich mal gebeten hatte, auf mich achtzugeben. Mag es nur zur Täuschung dienen.

Mama hätte mich niemals zu Fremden geschickt. Die mir dennoch zu Freunden geworden waren. Gute Freunde.

Aber Erik hatte gesagt, dass ich zu ihnen gehen sollte. Kannte er sie etwa gut?

Ich wollte nicht länger darüber nachdenken. Sondern mich auf das konzentrieren, was vor mir lag und das war, dieses Alptraumding, Freddys Tochter, aufzuhalten, ehe sie/ es weitermordete.

„Schon gut. Ich weiss bereits bescheid!“, unterbrach er mich und ich hob die Brauen. „Woher…?“

„Ich habe es in deiner Akte gesehen. Du hast sicherlich viel durchmachen müssen. Da wundert es mich nicht, dass du solche Alpträume hast!“, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter. Sein Gesicht war voller Mitleid und trostspendent zugleich. Ich blickte ihn nur an und wollte sagen: „Wenn Sie wüssten!“, doch ich verkniff es mir. Da hellte sich die mitleidige Miene auf und er drückte meine Schulter ermutigend. „Aber jetzt bist du ja hier. Und wir werden alles versuchen, dir diese Träume zu nehmen!“, sagte er und ich hatte den stillen Wunsch, dass er mir wirklich helfen konnte. Ich nickte nur.
 

Meine erste Nacht in der Nervenklinik war so, als sei ich kilometerweit von Zuhause entfernt. Was ziemlich verrückt klang, ich weiss. Da ich nicht wirklich in London zuhause war, sondern in Paris. Aber ich hatte schreckliches Heimweh. Hier zuliegen kam mir fremd und auch beängstigend vor. Der Raum glich mehr einer Zelle, als ein Patientenzimmer. Mit seiner weisslichen, schon ins schwache grau übergehende Farbe und der Inneneinrichtung, die kaum mehr Platz für etwas wie Klamotten oder Pflegeuntensilien hergab, als gedacht und das Fenster, hinter der schwarze Nacht lag.

Wie gern wäre ich jetzt bei meinen Freunden. Ich vermisste es, mit Fay zusammen zusitzen und mich mit ihr zu unterhalten. Bis in die späteste Stunde. Die Geräusche des Hauses. Wenn jemand zum Beispiel über den Flur ging und die Dielen unter seinen Schritten knarrten. Das Heulen des Windes und das Rascheln der Bäume, die hinter dem Anwesen standen. Ich vermisste es. Und ich wünschte mir, dass ich schnell hinter das Geheimniss komme, damit ich wieder hier rauskam.
 

Mein erster Tag in der Nervenklinik begann um achtuhr morgens. Zwar wollte ich noch etwas ausschlafen, weil ich eine unruhige Nacht hatte, aber bevor ich das Frühstück verpasste und bis zum Mittag hungern musste, stand ich lieber jetzt gleich auf. Denn so konnte ich mir auch die Nervenklinik genauer anschauen. Ebenso auch ihre Patienten. So verrichtete ich die üblicke Kartenwäsche, sprich Gesicht waschen, Zähne putzen und Haare kämmen. Zog mich um und ging aus dem Zimmer. Kurz blieb ich vor der Türe stehen und schaute nach links und nach rechts. Wohin ging es wohl zu dem Speisesaal.

Gab es hier ein Schild, was einem den Weg zeigte?

Ich hoffte es. Denn hier rum zuirren wollte ich wirklich nicht. Am besten wäre es, wenn ich zur der Rezeption gehe und nach dem richtigen Weg fragte. Sicherlich würde die Schwester mir helfen.

„Guten Morgen!“, begrüßte ich die Frau, die uns schon bei unserem Termin mit dem Klinikleiter empfangen hatte und sie lächelte freundlich zurück. „Morgen! Kann ich dir helfen?“

„Ja, ich suche den Speisesaal. Können Sie mir sagen, wo ich den finde?“

„Aber natürlich!“, sagte die Schwester und kam hinter der Rezeption hervor. „Komm mit!“

Während ich der Schwester folgte, erzählte sie mir vieles von der Klinik. Wie lange es diese schon gibt. Wieviele Patienten es hier gibt und wie viele schon geheilt wurden. Und ich wollte schon fast fragen, was mit dem Mädchen war, das ermordert wurde. Doch ich hielt mich zurück. Nicht auffallen, sagte ich mir.

Wir kamen an einem großen eingerahmten Gemälde vorbei, das mir sofort auffiel und ich blieb stehen, um es mir anzusehen. Es war die Klinik. Aber etwas war anders. Die Fassade war nicht so strahlend weiss und auch die Umgebung wirkte irgendwie anders.

Als ich auf das kleine Messingschild schaute, wusste auch warum. In ordentlichen Lettern stand:

„St. Katharina-Hospital, 1981“

Das Gebäude wirkte zwar wie neu, aber dabei war es schon so alt. Irgendwie seltsam. Ich blieb vor dem Bild stehen und schaute wie gebannt hin. Ich konnte mir nicht helfen. Aber etwas stimmte damit nicht. Und ich meine nicht damit, dass es so anders aussieht. Sondern dass ich darauf etwas zu sehen glaubte, was eigentlich nicht da war.

Meine Augen huschten unruhig hinundher. Ich meinte in den Augenwinkeln einen Schatten zu sehen, doch immer wenn ich hinschaute, verschwand er wieder und tauchte in einen anderen Teil des Bildes auf. Nach einer Weile wurde mir schwindelig und ich hielt mir den Kopf. „Alles in Ordnung?“, fragte die Schwester besorgt und berührte mich an der Schulter. Ich hatte ganz vergessen, dass sie neben mir stand und mich eigentlich in den Spesiesaal begleiten wollte. Ich schüttelte den Kopf, um wieder einigermassen klar zu werden und nickte dann. „Ja, ich…ich…habe mich nur gefragt, wie alt dieses Gebäude wirklich ist!“, sagte ich und deutete auf das Bild. „Laut den Zahlen ist es schon einige Jahre alt, aber das Haus sieht aus wie neu!“

„Ja, das liegt daran, dass es neu hergerichtet und aufgebaut wurde!“, erklärte sie mir. „Warum?“, fragte ich aus reiner Neugier. „Es war nicht gerade im besten Zustand und man wollte es nicht riskieren, dass die Klinik irgendwann über den Köpfen zusammenbrach!“

Es sollte wohl als ein Scherz gemeint sein, aber ich zuckte unmerklich zusammen. Etwas bei diesen Worten ließ mich erschauern. Sagte mir, dass da mehr dahinter steckte.

Doch bevor ich dazu kam, weiter zufragen, ging die Schwester weiter und sagte mir, dass ich mich beeilen müsse, wenn ich noch warme Brötchen haben wollte. Und wie als wenn mein Magen ihr geben wollte, begann er zu knurren und so folgte ich ihr. Dabei warf ich noch einmal einen Blick über die Schulter zu dem Bild und sah, wie sich dunkle Schattenarme aus dem Bild schlängelten und mir zuwinkten. Ich drehte schnell den Kopf herum und versuchte die Schwester nicht zuverlieren. Doch das ungute Gefühl blieb und ließ mich nicht mehr los.

Der Speisesaal war so etwas, wie eine Kantine. Bot genug Platz für fünfzig Menschen, oder mehr und hatte auch genug Sitzgelegenheiten. Meterlange Tische, die der Länge nach in regelmässigen Abständen standen. Eine große Glasfront, die einen Ausblick zu einem hübschen gartenähnlichen Park ermöglichte und eine Theke auf der gegenüberliegenden, die gut besucht war und hinter der einige Frauen in weissen Küchenklamotten ihnen das Essen reichten. „Worauf wartest du? Schnapp dir ein Taplett und hole dir was zuessen!“, sagte die Schwester und klopfte mir auf den Rücken.

Dann ging sie und ließ mich erstmal stehen. Einige der Patienten hatten mich bereits bemerkt und schauten mich neugierig an. Einige tuschelten und zeigten mit den Finger auf mich. Mir wurde das zu blöd und ich wollte mich schon umdrehen und gehen. Lieber verhungerte ich, als dass ich mich von diesen Irren anstarren ließ, als sei ich eine Zooattraktion. Doch mein Magen machte mir wieder einen Strich durch die Rechnung und knurrte noch lauter als vorher. „Verräter!“, murmelte ich und stellte mich an. Nahm mir ein Taplett und schlurfte den markierten Gang entlang. Warf dabei einen Blick auf die heutige Auswahl. Brötchen, mit oder ohne Körner. Croissant, mit Schokofüllung. Muffins. Dazu noch eine reiche Auswahl an Aufstrichen, von A bis Z. Ich merkte, wie mein Magen bei diesem Anblick jubelte und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Im Kopf stellte ich mir schon eine Liste auf, was ich gerne haben möchte, ohne dabei darauf zuachten, dass das meiste davon auf meinen Hüften landen würde. Als ich dran war, ratterte ich meine Liste hinunter und die Küchenhilfe sah mich mit ungläubigen Blicken an, während sie mir Zwei Mohnbrötchen, ein Schokocroissant und zwei kleine Glässchen mit Erdbeer-und Apfelmarmelade auf mein Taplett stellte. Deutlich konnte in ihren Blicken die Worte ablesen:„ Und das willst du wirklich alles essen, du zwartes Püppchen?“

Ich grinste nur und nahm mir das Taplett, was, zugebeben, ziemlich schwer war und machte noch bei den Getränken halt, um mir eine Tasse furchtbarsüßen Kakao zuholen. Dann schlenderte ich zu einem freien Tisch und machte mich über das Frühstück her. Ich fing mit den Brötchen an und arbeite mich bis zum Schokocroissant vor. Gelegentlich trank ich auch meinen Kakao und musste mich schütteln, so gut schmeckte er. Dabei hatte ich mir das Essen in einer Klappsmühle irgednwie schlimm vorgestellt. Aber vermutlich legte man hier noch wert, dass es den Patienten gut ging.

„Entschuldigung, darf ich mich setzen?“, fragte mich jemand und ich schaute hoch. Vor mir stand ein rotharriges Mädchen, mit einem verlegenen Lächeln. Sie war ganz schön blass. Zu blass für meinen Geschmack. Und als ich auf ihr Taplett schaute, sah ich, dass sie kaum etwas zum Frühstück hatte. Nur einen Apfel, ein Brötchen und eine Tasse.

Ich merkte erst zu spät, dass ich sie anstarrte und sie auf meine Antwort wartete. Und da ich nicht unhöflich sein wollte, nickte ich. Das Mädchen lächelte zaghaft und setzte sich mir gegenüber. „Du bist neu hier, oder?“, fragte sie und ich nickte wieder. Knabberte auf meinem Brötchen herum. „Und wie gefällt es dir hier?“

„Ist ganz nett!“, gab ich zwischen zwei Bissen zurück. Dann herrschte erstmal Schweigen und ich war irgendwie dankbar darüber. Ich hatte nichts gegen dieses Mädchen. Aber ich wollte für mich sein. Und in Ruhe essen.

„Sorry, wenn ich nerve, aber…ich könnte schwören, dass ich dich schonmal gesehen habe!“, sagte sie nachdenklich. „Ich denke nicht!“, sagte ich knapp.

Das Mädel legte die Stirn in Falten und schien ernsthaft zu überlegen. Dann hellte sich ihr Gesicht auf und sie klatschte begeistert in die Hände. „Aber natürlich. Du bist Alices. Alices Cullen. Die Schwester von Edward Cullen. Wie geht’s deinem Bruder so?“

Ich verzog das Gesicht. War ja klar, dass sie damit kam. Herr Gott nochmal.

Warum musste ich bloss dieser Alice so ähnlich sehen.

Ob die hier Gesichtschirugie anbieten?

Wenn ja, zahle ich das gerne aus eigener Tasche.

„Ich bin nicht die Schwester von Edward Cullen. Sondern in Einzelkind!“, erklärte ich kurz und knapp. „Und mein Name ist nicht Alice Cullen, sondern Alice Crow!“

„Aber du siehst ihr so ähnlich. Sicher, dass du es nicht bist?“

„Ja, bin ich!“, grummelte ich. Wenn nicht dieses Mädel bald damit aufhörte würde ich…

„Lucie, lass doch das Mädchen. Du siehst doch, dass sie es nicht ist!“, mischte sich eine Schwester ein und holte das Mächen von mir weg. „Aber sie…sie ist es doch!“, wandte Lucie ein und schaute mich an, als erwartete, dass ihr Recht gab. Dass ich es wirklich bin. Doch ich senkte den Kopf und widmete mich meinem Frühstück.

Die Schwester nahm Lucie mit und setzte sie an einen anderen Tisch.

So hatte ich wieder meine Ruhe. Doch das hiess nicht, dass ich von den Blicken der anderen verschont blieb. Immer wieder sah ich, wie sie die Köpfe drehten und zu mir hinüber schauten. Was um alles in der Welt war an mir so besonders?

Ich versuchte die Blicke nicht zubeachten und für mich selbst zusein. Ich trank den letzten Rest Kakao leer und wollte mir überlegen, wie ich diesem Apltraum-Ding auf die Schliche kommen könnte. Leicht würde es nicht werden, dass wusste ich. Und Sicherlich würde auch dieses Ding alles versuchen, um mir zuvor zukommen und mich in meinen Träumen um die Ecke zu bringen. Mein Blick schweifte auf mein Handgelenk, wo ich Eriks Armreif trug und wieder hatte ich Zweifel. Würde mir dieses Ding wirklich helfen?

Irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen.

Aber Erik hätte es mir nicht gegeben, wenn es nicht etwas Nützliches wäre.

Ich musste ihm in diesem Fall wirklich vertrauen. Ich drehte mein Handgelenk, sodass der Armreif etwas im Licht funkelte. Die rötliche Farbe wechselte auf ein mattes Lila und dann in ein tiefes Blau. Ähnlich wie ein Stimmungsring.

Zuschade das er mir keine Gebrauchsanweisung gegeben hat. Wie sollte ich zum Teufel wissen, wie ich den Armreif einsetzen konnte?

„Alice!“

Eine Stimme holte mich aus meinen Gedanken und ich wollte schon sagen, dass ich nicht Alice bin. Doch ich konnte mich gerade noch zurückhalten, da zumal der Arzt, der mich untersuchen würde, vor mir stand und ich außerdem meine Deckung nicht auffliegen lassen durfte. „Ich würde gerne bald mit deiner Therapie anfangen!“, sagte er freundlich und ich nickte.

Was anderes blieb mir auch nicht übrig. Ich musste da mit spielen.
 

Zwei Tage später, sollte ich meine erste Sitzung haben.

Doctor Raynes Therapiezimmer war recht elegant eingerichtet. Ein Schreibtisch aus schwarzem Holz, der auf Hochglanz poliert war und ordentlich gehalten war. Eine ganze Wand wurde von einem Bücherschrank dominiert und auf dem Bodenw ar ein ziemlich teueraussehnder Teppisch ausgelegt. Eine Liege, die bequem aussah und daneben ein Stuhl. Das war also die typische Psychologencoach. Ich blieb eine Weile davor stehen und fragte mich, ob ich mich auch woanders hinsetzen kann.

„Du kannst ruhig auf der Liege platznehmen. Du brauchst dich auch nicht hinlegen!“, sagte Doctor Rayne, der wohl bemerkt haben musste, dass ich die Liege ziemlich skeptisch anschaute. Das war es, was ich hören wollte. Ungern wollte ich mich auf diese Coach legen, da ich mich mit dem Gedanken nicht anfreunden konnte, mich darauf zulegen. Es war einfach wie eine Blockade. Also setzte ich mich nur. „Möchtest du einen Kaffee?“, fragte er und mit dieser Frage hatte dieser Mann wirklich einen Pluspunkt bei mir gesammelt. „Ja, bitte!“

„Mit Milch und Zucker?“

„Schwarz!“, war meine Antwort. Und schon hatte ich einen leckeren schwarzen Kaffee in der Hand. Doctor Rayne setzte sich mir gegenüber. Ebenso eine Tasse Kaffee in der Hand.

„Also!“, begann er. „Ich möchte gerne wissen, wie diese Träume aussehen!“

Ich hätte mich beinahe am meinem Kaffee verschluckt. War ja klar, dass er auf dieses Thema zusprechen kam. Immerhin war das der Grund, warum ich hier war. Und als Arzt war er verpflichtet, mir zuhelfen. Er konnte ja nicht ahnen, dass das alles Show war.

„Sie…es sind nicht immer die gleichen. Und es sind auch nicht Träume. Zumindest nicht solche, die man für gewöhnlich hat. Ich sehe Menschen, die ich nicht kenne. Sie sterben. Immer und immer wieder!“, erzählte ich. So wie vorletzte Nacht, wollte ich sagen, doch ich behielt es für mich. Nippte an meinem Kaffee. Fühlte, wie er mich ein wenig beruhigt. Etwas von der Nervösität nahm, die mich ergriff, als ich an den letzten Traum denken musste. Doctor sagte erstmal nichts, sondern machte ein nachdenkliches Gesicht. Suchte wohl nach den richtigen Worten. Dass musste ich auch.

Es dauerte eine Weile, ehe er weitersprach:„ Und wielange hast du diese Träume schon?“

„Seit meiner Kindheit!“, antwortete ich mechanisch. Irgendwie störte es mich nicht, dass ich dieselbe Frage noch mal beantworten musste. Als der Leiter mich danach fragte, schien er wenig Interesse saran zuzeigen. Aber bei Doctor Rayne hatte ich das Gefühl, dass er meinen Fall wirklich ernst nahm. Mochte dies alles nur Fassade sein. Es gab mir dennoch ein gutes Gefühl.

„Und weißt du warum du diese Träume hast? Woher die kommen könnten?“

„Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht!“

„Du hast es einfach hingenommen?“

Ich zuckte die Schultern. Und nickte. Es stimmte ja. Ich habe mich zwar gefragt, warum ich diese Gabe…diesen Fluch hatte, aber ich habe es auch einfach hingenommen. Vielleicht war das ja mein Fehler gewesen.

Doctor Rayne gab nur ein nachdenkliches „Hm!“, von sich und schrieb sich etwas auf. Ich versuchte auf den Block zuschielen. „Keine Sorge. Ich schreibe schon nichts auf, was dich in Probleme bringt!“, sagte er mit einem beruhigenden Lächeln. „Oder dich beleidigt!“

Ich setzte mich wieder zurück. „Was könnte denn die Ursache sein?“, fragte ich aus reiner gespielter Neugier. „Nunja…etwas Traumatisches. Ein Unfall oder ein Verlust einer geliebten Person!“

Bumm!

Damit brachte er eine Bombe in mir zu platzen. Ich musste sofort daran denken, wie sich meine Mutter damals umgebracht hatte. Ich hatte es ja gesehen und jedes einzelne grausige Detail war tief in meiner Erinnerung eingebrannt. Ein traumatisches Erlebnis?!

So hatte ich das noch nicht gesehen. Klar, es war schlimm gewesen und von da an hatte es angefangen, aber ich hätte die nie gedacht, dass der Selbstmord meiner Mutter der Auslöser gewesen war.

Ich biss mir auf die Unterlippe und zögerte etwas. Fragte mich, ob es eine gute Idee wäre, ihm davon zu erzählen. Oder einfach zu schweigen. Es gab einige Punkte, die dagegen sprachen. Zum einen wollte ich mich nicht so sehr auf diese Sache einlassen, da ich nicht wirklich hierher gehörte. Aber eine Stimme sagte mir, dass ich es dennoch tat. Dass ich die Hilfe, die er mir bot, annehmen sollte. Dass es mir dabei vermutlich ein wenig besser ging. Schließlich siegte das Contra und sagte schnell:„ Nein, sowas gab es nicht. In meiner Familie war alles Bestens!“
 

Es war am Abend, als ich, gut gesättigt nach einem sehr kalorienreichen Abendessen, ins Bett gehen wollte. Doch kaum dass ich die Tür zu meinem Zimmer hinter mir geschlossen hatte und das Licht anschalten wollte, blieb ich wie angwurzelt stehen. Eine dunkle Gestalt hockte auf meinem Bett und sah mich an. Ich fühlte deutlich ihren Blick auf mich und ein Schauer rann mir über den Rücken.

Das Wesen, durchfuhr es mich.

Wie war das möglich?

Ich träumte doch gar nicht!

Meine Hand glitt automatisch zu dem Armreif und ich kniff die Augen zu. Versuchte mir vorzustellen, wie es mir helfen würde. Doch nichts tat sich. Verdammt!

Hilflos und unfähig etwas zu machen blickte ich vom Armreif zu der Gestalt, die sich keinen einzigen Milimeter gerührt hatte. Ruhig blickte sie mich an, als würde sie auf irgendwas warten. Ich blieb ebenso ruhig stehen. Es schien ewig so zudauern, bis die Gestalt sprach. „Willst du mich weiter so anstarren oder nicht doch lieber das Licht anschalten?“

Ich stiess einen erleichterten aber auch ungläubigen Laut aus. „Erik?“

„Nein, der böse schwarze Mann. Natürlich ich. Wen hast du denn erwartet?“, raunzte er mich an. Meine Verwunderung schlug in Ärger um. „Willst du wirklich eine Antwort darauf haben? Ich dachte, du wärst dieses Apltraumding!“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zumüssen!“, war seine frostige Antwort. „Was willst du hier?“

„Ich dachte, ich schaue mal vorbei und frage dich, wie dein Besuch beim Seelendoctor war?“

„Danke, ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Ich lebe noch, wie du siehst!“

„Ja, das sehe ich!“, sagte Erik und ich hörte deutlich in seiner Stimme, dass er grinste.

„Haben dich Brian und Esmeralda geschickt?“

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er nur hier war, um zu erfahren wie weit ich schon mit meinen Ermittlungen bin. „Nein. Ich bin nur hier, weil ich dich im Auge behalten will!“

„Ach was?“, fragte ich und grinste breit. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?“

„Nein, aber ich weiss nicht, ob damit zurecht kommst!“, erklärte er und deutete dabei auf den Armreif. „So wie du danach gegriffen hast und die Augen zugepetzt gehabt hast, habe ich da so meine Zweifel!“

„Du hättest mir ruhig eine Bedieunungsanleitung geben können!“, murmelte ich kleinlaut. „Wie funktioniert das Ding überhaupt?“

„Dieses Ding wird durch deinen Willen akteviert. Stelle dir einfach vor, welche Waffe es annehmen soll und es nimmt diese an!“, erklärte er und hörte sich an, als würde er mir erklären, wie ein Toaster zu bedienen ist. „Wie das ist alles?“

„Willst du es lieber kompliziert?“, war seine Gegenfrage und ich schüttelte den Kopf.

„Na also!“

„Mal angenommen, ich stehe diesem Ding gegenüber und habe eine Waffe. Wie soll ich es besiegen. Einfach Kopf abschlagen und fertig, oder wie soll es gehen?“

Ein kurzes Lächeln huschte über Eriks ernstes Gesicht. „Nein, so einfach wird es nun auch wieder nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Ding nur durch etwas Spezielles getötet werden kann!“

„Und was sollte das sein?“

„Tja, das musst du rausfinden!“

„Na, grossartig!“, seufzte ich niedergeschlagen. Warum um alle sin der Welt muss manches so schwer sein?
 

Das Licht der Neonröhren flackerte und zuckte, als würden sie darum kämpfen nicht gänzlich zu erlöschen. Die Wände, die einst strahlend weiss waren, waren nunr ergraut und alt. An manchen Stellen hatte sich Schimmel gebildet, der sich ausgebreitete hatte, wie eine gefährliche Krankheit. Hier und da standen alte verrotete Rollstühle, Rolltragen und andere Requisten eines Krankenhauses. Die Türen zu den jeweiligen Stationen öffneten sich mit einem ohrenbetäubenden Quietschen und fielen dann wieder krachend zu. Eine erdrückende Stille lag überall dem ganzen und verlieh diesem Ort etwas Unheimliches.

Chloe konnte nicht sagen, wielange sie schon durch die verlassenen Flure dieses zerfallenen Krankenhauses umherirrte. Für sie fühlte es sich wie Stunden an. Sie war aufgewacht und hatte sich allein in ihrem Krankenzimmer gefunden. Es war kein anderer Mensch hier gewesen. Nur sie. Und dennoch spürte sie die Anwesenheit von jemand anderen. Spürte ihn hinter sich, vor sich, von beiden Seiten. Überall. Als sei er ein Geist, der sie beobachtete. Chloe begann sich zu fürchten. Mit jedem Schritt den sie machte. Und das Gefühl, dass jemand sie beobachtete, wurde immer stärker. Irgendwann blieb sie stehen und schaute sich um. Dieser Ort macht ihr Angst und sie wollte von hier weg.

Nach einem Ausweg suchend ging sie weiter. Und auch wenn sie wusste, dass sie keiner hören würde, rief sie nach Hilfe. „Hallo? Hört mich jemand?“, rief sie und erschrack wie ihre Stimme von den Wänden wiederhallte. Dann herrschte wieder Stille. Legte sich wie ein schweres Leichentuch über sie und ließ sie kaum atmen.

Diese jedoch wurde rasch von einem Geräusch durchbrochen. Und es lief Chloe kalt den Rücken runter. Dieses Geräusch. Es hörte sich an, wie Fingernägel, die über eine Tafel kratzten. Das Geräusch schien von hinten zu kommen und sie drehte sich langsam um. In dem matten Licht der Neonröhren, die immer flackerten, konnte sie kaum etwas erkennen. Nichts, was dieses Geräusch verursachen könnte und Chloe wollte sich schien sagen, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Aber dann tauchte etwas in dem Licht der flackernen Neonröhren auf und verschwand auch sogleich wieder. Doch Chloe konnte erkennen, was es war. Eine Gestalt.

Die eines Menschen. Vermutlich einer jungen Frau. Aber wie konnte das sein. Sie war doch ganz allein hier. Oder etwas doch nicht?

Das Geräusch wurde nun lauter und Chloe sah, wie sich auf einmal fünf Kratzspuren der Wand entlang zogen. Und mit dem nächsten Flackern, das diesesmal etwas länger anhielt und kaum dass das Licht erlosch, sah sie auch wieder die Gestalt. Sie hatte den Arm zu Seite ausgestreckt und riss mit ihren Fingernnägeln die Wand auf. Funken stoben dabei auf. Die einzigen Lichtpunkte in dieser Dunkelheit. Chloe spürte, wie sich ihre Kehle vor Angst zuschnürte.

Während sie auf sie zu kam, schien sie irgendwie am Schlafwandeln zusein. Langsam setzte sie einen Fuss vor den anderen und hielt den Kopf gesenkt. Dennoch schien sie sicher genug auf den Beinen zu sein, um nicht einmal zuschwanken oder innezuhalten. Zielstrebig ging sie auf Chloe zu und kratzte immer weiter mit ihren Fingernägel die Wand entlang. Chloe hielt den Blick auf sie gerichtet und konnte sich nicht rühren. Sie war wie ein Reh, das starr vor Angst war und einem heranrasenden Lastwagen entgegen blickte. Die Gestalt kam immer näher. Wenn das Licht nur ganz kurz wieder heller wurde, verschwand die Gestalt. Doch kaum dass es wieder dunkel war, war sie wieder da und näher, als vorher.

Für Chloe wurde dies zu einer wahren Zerreisprobe. Sie spürte innerlich, dass sie weglaufen musste. Dass sie hier nicht bleiben sollte. Doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen.

Es trennten sie nur noch wenige Schritte, dann würde sie vor ihr stehen und…

Chloe schloss die Augen. Wollte nicht sehen, wie dieses Wesen ihr näher kam und wollte auch nicht weiterdarüber nachdenken, was passieren würde, wenn sie sie erreichte.

Sie zählte innerlich schon das Auftreten der nackten Füsse des Wesens auf dem Fussboden. Als plötzlich das Licht wieder richtig funktionierte und das Kratzgeräusch verstummte.

Chloes Herz setzte kurz einen Schlag aus und wartete noch einen kurzen Moment. Dann öffente sie wieder die Augen. Sie atmete erleichtert aus. Das Wesen war fort.

Doch hier zubleiben wäre ein Fehler und so begann sie zu rennen. Bog um eine Kurve, die in einen weiteren Gang führte und rannte an einigen Türen vorbei. Verschlossen.

Eine von diesen war jedoch offen und stand einen Spaltbreit auf. Chloe nutzte dies und schlüpfte hinein. Wenn dieses Ding immernoch hinter ihr her war, musste sie sich verstecken. Was sie dann machen würde, um von hier wegzukommen, würde sie sich noch überlegen. Erstmal musste sie sich in Sicherheit bringen.

Die Türe führte zu einem der Krankenzimmer. In dem nur ein Bett stand, dessen Laken verschmutzt und alt aussahen. Ein schwacher süßlicher Geruch hing in der Luft. Chloes Magen drehte sich um. Doch sie irgnorierte diesen Gestank und kroch unter das Bett. Beachtete dabei auch nicht, dass der Boden mit irgendwas schmierigen bedeckt war, dass Chloe lieber nicht genauer wissen wollte. Kaum dass sie unter dem Bett war, hörte sie Schritte auf dem Flur und schaute zur Türe, hinter dessen milchglasfenster ein Schatten auftauchte.

Ihr stockte der Atem. Der Schatten war nur unscharf zuerkennen, doch sie ahnte, dass es das Wesen war, was sie schon im Flur gesehen hatte. Erst dachte sie und hoffte, es würde weitergehen, doch dann sah sie, wie es vor der Tür innehielt und den Kopf drehte. Durch das Glas in den Raum schaute, in dem sie sich versteckt hatte. Instinktiv wich sie weiter zurück. Kroch in den Schatten. Hoffte dass dieses Ding sie nicht gesehen hatte.

Die Zeit schien kurz stehen zubleiben und als sich das Ding wieder bewegte, hatte sie die stille Hoffnung, dass es weitergehen würde.

Dann aber hörte sie die Klinke, die nach unten gedrückt wurde und musste den Impuls unterdrücken, aus ihrem Versteck zu springen und die Türe zu blockieren. Wie vorher schon im Flur, spürte sie, wie sie sich vor Angst nicht mehr rühren konnte. Und wie gebannt auf die Klinke schaute, die sich quälend langsam drehte und die Türe dann aufschwang. Sie konnte aus ihrem Versteckt die nackten Füsse und die Waden sehen, die für einen kurzen Moment im Türrahmen stehen blieben und sich erstmal nicht rührten. Dann aber setzte das Wesen erst den Linken, dann den rechten Fuss vor und schritt ins Zimmer. Chloe machte sich ganz klein. Versuchte keinen Mucks von sich zugeben. Sie presste ihre Hand auf den Mund, weil sie fürchtete, der kleinste Laut könnte sie verraten. Ihr Herz klopfte so stark in ihrem Herzen, dass sie das Pochen in ihren Ohren zu hören glaubte. Sie hatte Angst, dass es auch das Wesen hören würde. Sie presste die Augen zu und betete, dass dieses Ding gleich wieder gehen würde, wenn es sie hier nicht entdeckte. Dass es woanders suchen würde. Für Chloe wurde dies zu einer wahren Qual. Unendlich langsam durchschritt das Wesen den Raum, atmete laut und röschelnd, als würde es schwer haben zu atmen. Geh weg, geh doch endlich weg, flehte sie innerlich und ihr Körper begann zu zittern. Sie würde es nicht länger aushalten können, mit dieser Angst, entdeckt zuwerden, in ihrem Versteck ausharrent, solange dieses Alptraumwesen hier herum schlich. Mit diesem schrecklichen Röcheln. Und dann als sie glaubte, schier wahnnsing zuwerden, war das Röcheln plötzlich verstummt. Ebenso die Schritte.

Chloe wagte es, die Augen einen Spalt breit zu öffnen und nachzusehen, was nun war. Als sie aber sah, dass die Füsse des Wesens nicht mehr zusehen war, weder auf der einen noch auf der anderen Seite, und auch nicht vor ihr, war sie sich sicher, dass es weg war. Und es hatte die Türe offen gelassen. Chloe dankte dem Himmel tausendfach und nutzte diese Gelegenheit zur Flucht.

Wer konnte schon sagen, wie schnell dieses Ding wieder kommen würde, wenn es sie nicht woanders findet?

Und Chloe wollte es wirklich nicht darauf ankommen lassen. So krabbelte sie schell unter dem Bett hervor und wollte zur Türe rennen. Doch da packte sie etwas mit brutaler Kraft an den Haaren und riss sie hoch. Chloe schrie vor Schmerzen und Entsetzen und wollte sich aus dem Griff befreien, aber kaum, dass sie die Hände hob, um die Hände, die sie gepackt hielten, aus ihren Haaren zureissen, schnitten scharfe Messer in diese. Rissen sie förnlich auf und heisses Blut floss über ihre zerschundene Hände. Troff auf ihre Schultern. Der Schmerz war unerträglich. Glühend heiss, wie ein Stück Stahl, dass zulange im Feuer gewesen war. Machte sie beinahe besinnungslos. Sie blickte hoch, wollte wissen, was sie da so gepackt hielt und erstarrte. Sie hing in den Klauen des Wesens. Aber wie war das möglich?

Sie war sich doch sicher gewesen, dass es nicht mehr da gewesen war.

Oder hatte sie sich geirrt und es war die ganze Zeit dagewesen. Hatte darauf gewartet, bis sie aus ihrem Versteck kommen würde. Warum war sie so unvorsichtig gewesen?

Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie würde nicht mehr die Chance haben, um zu entkommen. Immer mehr zog das Wesen aus aufs Bett, bis sie unter ihm lag und hieb sogleich ihre Klauen in den Körper des Mädchens. Riss es auf. Chloe schrie schrill auf und ihre Schreie halten von den Wänden wieder.

Laut krachend fiel die Tür zu.

Und als das Blut auf die Milchglasscheibe spritzte, verklangen nach und nach ihre Schreie.
 

Ich war schweissgebadet aufgewacht. Noch immer hatte ich den Geruch von altem Krankenhaus und frischem Blut in der Nase. Ich hatte es wieder gesehen. Hatte von oben zugesehen. Ich wollte das Mädchen, welches unter das Bett gekrochen war und nun vorhatte rauszukommen, warnen, doch meine Stimme war wie ein Lufthauch gewesen. Flüchtig und ohne die Chance bis zu ihr hinzureichen. Wiedermal war ich zum Zeugen geworden und ich fragte mich, ob es mich bemerkt hatte. Anscheinend nicht. Denn es blickte nicht einmal hoch, sondern machte weiter.

Bia das Mädchen tot war. Erst da schien es zu merken, dass ich auch hier war. Denn sein Kopf ruckte hoch und unsere Blicke trafen sich. Es durchfuhr mich eiskalt und ich erwachte.

Minutenlang blieb ich im Bett liegen und versuchte mich zu beruhigen.

Doch ich sollte keine Gelegenheit ruhig zuwerden. Zumindest nicht für diesen Tag.

Einige Bewohner und auch ein paar Angestellte vom Pflegepersonal hatten sich vor einem Zimmer, das nur drei Türen weiter von meinem lag, versammelt und schienen in heller Aufruhr zusein. Ich ahnte bereits schlimmes, als ich raustrat und sie sah. Dennoch ich ging hin. „Was ist los?“

Als ob ich das nicht schon längst wüsste.

„Ein Mädchen wurde angegriffen!“, sagte eine der Patienten. „Wie angegriffen?“

Ich reckte meinen Hals um besser sehen zu können.

„Keine Ahnung. Einer der Pfleger hat sie gefunden!“

Getuschel machte die Runde, während alle versuchten gleichzeitig einen Blick zuerhaschen. Einige der Pfleger versuchten die Umherstehen ein wenig auseinander zu scheuchen, was ihnen jedoch nur halbwegs gelang. Zwei andere hatten eine Trage geholt und…soviel ich erkennen konnte, wuchteten sie das, was von dem Mädchen pbriggeblieben ist hoch und zogen eine Decke darüber. Blutige Flecken machten sich darauf breit. Vorsichtig schafften die beiden die Trage mitsamt der Leiche aus dem Zimmer und die Neugierigen bildeten eine kleine Gasse. Mit betrettener Miene blickte sie den Männern mit der Trage nach.

„Wie furchtbar!“, murmelte ein junges Mädchen, das von einem Jungen in den Arm genommen wurde.

„Die Ärmste!“

„Das ist ja nicht das erste Mal!“, kam es von einer anderen, mit vor Hand gehaltetenen Mund. Ein Nicken ging durch die Gruppe. Ich hingegen spitzte die Ohren. Vielleicht erfuhr ich ja so etwas Wichtiges.

„Das stimmt. Shelly hatte es ja auch erwischt!“

„Und keiner hat gesehen wer es gewesen ist. So wie auch jetzt!“

„Das war sicherlich irgendso ein Irrer!“

„Und wer bitteschön?“, fragte ich, da ich ja die Neue war. Darauf kam erstmal keine Antwort. Die anderen sahen sich an, als würden sie sich nicht sicher sein, ob sie es wirlich laut aussprechen wollten. Da meldete sich Lucie mit ängstlich leiser Stimme:„Sam!“

„Wer ist das?“, fragte ich nun wirklich gespannt. „Eine aus der geschlossenen?“

Lucie schüttelte den Kopf. Doch bevor sie weitersprechen konnte, schlug ihr jemand mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und sie zuckte zusammen. Presste die Lippen aufeinander. „Sei still!“, zischte eine Stimme und ein Mädchen mit strähnigen schwarzen Haaren tauchte hinter ihr auf. Ihr Gesicht ausgemergelt und blass. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren beinahe schwarz. Sie warf mir einen Blick zu und meine Kehle schnürte sich mit einemmale zu. Dieses Gesicht!

Tief in mir regte sich etwas. Eine Erinnerung, die schon lange verloren geglaubt war und doch wieder auftauchte. Noch bevor ich sicher sein konnte, dass es wirklich sie war, wandte sie sich um und ging. Ich wollte ihr nach gehen, doch Lucie packte mich am Arm. „Nicht, lass sie!“, raunte sie mir zu. In ihren Augen sah ich die Angst und die Warnung, die sie mir damit mitteilen wollte.
 

Wenig später holten uns die Pfleger und versammelten uns in einen Raum. Wir setzten uns, auf die Stühle, die in einem Kreis aufgestellt waren. Einer der Ärzte, eine Frau im vorrangeschrittenen Alter setzte sich zu uns. „Das was passiert ist, ist schlimm. Aber ich möchte Euch versichern, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Scotland Yard wurde bereits verständigt und man wird sich dieser Angelegenheit annehmen!“, sagte sie und einige die Mädchen atmtete erleichtert auf. Ich hingegen dachte nur: „Von wegen! Wie sollen sie etwas aufhalten, dass nicht mal menschlich ist?“

Lucie schien meine Meinung zuteilen, denn sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas wie:„ Sam kann man nicht aufhalten!“

Doch keiner schien sie gehört zuhaben. „Warum hat man nicht schon eher was unternommen?“, fragte ich. Die Ärztin sah mich an, als wäre ich ein bunter Hund. „Wie?“

„Naja, das war doch nicht der erste Vorfall. Was ist mit der anderen?“, fragte ich. Die Ärztin wusste wohl nun, wen ich meinte, denn sie zwang sich ein Lächeln ab. „Es war ein Unfall. Ein schlimmer, bedauernswerter Unfall!“, wich sie mir aus. „Ein Unfall?“, wiederholte ich und musste aufpassen, dass ich nicht sagte, woher ich wusste, wie sie zugerichtet war.

Die Ärztin nickte. „Ja, das arme Ding. Aber woher weißt du das?“

Sie wollte aussehen als würde sie sich wirklich wundern, doch ich konnte den misstrauischen Ausdruck nicht übersehen. „Ich habe es aufgeschnappt. Aus der Zeitung!“

In der Tat. Die Presse hatte sich auf diesen Fall gestürzt wie die Geier auf Aas. Und auch berichtet, wie das Mädchen umkam. Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Ärzte und auch der Leiter es allerdings wie einen Unfall darstellen wollten, der von der Presse hochgepusht wurde. Doch ich kannte die Wahrheit. Und sie auch. Nur wollten sie es vertuschen.

„Soso!“, gab die Ärztin von sich. Nickte langsam und bedächtlich. Als würde sie mir nicht so wirklich glauben. „Nun der Zeitung sollte man nicht glauben. Wer auch immer das getan hat, er wird dafür zu Rechenschaft gezogen!“

Irgendwas an ihren Worten ließ mich wissen, dass sie zu possitiv dachte.
 

„Erzähl mir etwas von deiner Mutter!“, forderte Dr. Rayne. „Was wollen Sie denn von ihr wissen?“, erwiderte ich. Wieder saß ich auf der Couch und trank starken Kaffee. Dr. Rayne saß mit gegenüber und sah mich mit aufmerksamen Blicken an. Trotz des Mordes heute morgen wollten man die Therapien nicht aufschieben. Sondern lieber zum Altag überwechseln. Doctor Rayne hob die Schultern. „Nun wie sie war. War sie ein guter Mensch oder eher jemand, der in seiner eigenen Welt lebt!“, kam es von ihm. Kurz überlegte ich. Ich wollte bei meinem Entschluss bleiben, und nichts von meiner Familie preisgeben. Außerdem musste ich so Zeit gewinnen um hinter die Anschläge zu kommen. Aber an erster Stelle stand, dass niemandem etwas anging, wie meine Mutter war. „Sie war eine von vielen. Eine gute, aber auch strenge Mutter. Dennoch liebte sie mich und ich liebte sie. Als sie starb, war es so, als würde eine Welt zusammenbrechen!“

„Und wie bist du damit fertiggeworden. Wie hast du dich gefühlt?“

„Ich war am Boden zerstört. Es hat lange gedauert, bis ich darüber hinwegkam. Oft, wenn ich aufgewacht war und in die Küche ging, fragte ich nach Mama und mein Vater begann zuweinen. Für mich war das alles wie ein böser Traum. Irgendwann aber begriff ich, dass Mama für immer fort war und ich sonderte mich von meinen Freunden ab!“

Mein Magen fuhr Achterbahn, als ich dies alles erzählte. Ich hatte mehr verraten, als mir lieb war und gab mir eine geistige Ohrfeige. „Und von da an, hattest du diese Träume?“

Ich nickte. Nippte an meinem Kaffee. „Hast du mit jemanden darüber gesprochen?“

„Nein!“

„Warum?“

„Ich hatte Angst, dass man mich Papa wegnimmt und in eine…!“, ich musste darum kämpfen, die nächsten Worte auszusprechen. Verstohlen schaute ich zu Doctor Rayne. „Psychatrie stecken würde!“

Doctor Rayne lächelte. „Tja und trotzdem bist du jetzt hier!“

„Ja!“

„Was hat dich dazu gebracht, doch noch hierher zukommen?“

Ich zuckte nur die Schultern. Suchte nach den richtigen Worten. „Ich glaube, ich konnte es nicht mehr aushalten und wollte endlich diese Träume loswerden!“, gestand ich. Etwas in mir sehnte sich wirklich danach, dass es aufhörte. Dass diese Träume verschwanden. Aber würde es so leicht werden. Ich bezweifelte es irgendwie. Diese Träume waren schließlich Visionen und diese waren ein Erbe meiner Mutter an mich.

„Das ist gut. Das ist der erste Schritt um diese Träume loszuwerden!“

Ich hätte wirklich gerne daran geglaubt. So sehr.
 

Einige Tage später bekam ich Besuch. Von Fay und Lex. Sie warteten bereits auf mich und ich war zuerst etwas verwundert. Doch ich freute mich auch. „Hey, ihr zwei!“, grüßte ich sie und setzte mich zu ihnen auf die gegenüberliegende Seite. „Na, wie geht’s dir so?“, fragte mich Fay grinsend. „Mal abgesehen davon, dass in meinem Lebenslauf ein Aufenthalt in einer Psychatrie stehen wird, geht es mir gut!“, erwiderte ich trocken, musste aber dennoch grinsen.

„Hast du denn schon was herausgefunden?“, fiel Lex gleich mit der Tür ins Haus. Zum Glück waren wie die einzigen hier, denn sonst würden wir nicht so offen sprechen können. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nur dass dieses Ding wohl Sam heisst!“

„Sam? Sehr furchterregend klingt dieser Name ja nicht!“, kam es von Lex.

„Sehr komisch!“, schnauzte Fay. „Noch irgendwas?“

„Nein, leider nicht!“, gab ich kleinlaut zurück. „Es gab einen zweiten Mord!“

„Ja, das wissen wir. Scotland Yard benachrichtigte uns!“

„Und was jetzt?“

„Naja, viel können wir nicht machen. Nur du!“, sagte Fay und klang so, als würde es ihr schwerfallen mich damit zubelasten. „Du musst unbedingt herausfinden, was das alles zu bedeuten hat und was dieses Ding will!“

Ich nickte und schute kurz die Tischplatte. Ich wusste nicht genau was, was aber ich hatte das Gefühl, dass ich schon lange den Grund für all diese Morde kannte.

„Naja, kann sein, dass ich mich irre. Aber könnte Rache nicht dahinter stecken?“

Daraufhin sahen Lex und Fay mich mit großen Augen an. „Rache? Wie kommst du auf diese Idee?“, fragte Lex, der wohl ein wenig skeptisch war.

Ich hob die Schultern. „Könnte doch sein! So wie sie diese Mädchen masakriert hatte, so wie sie hinter denen herwar, kann ich mir das schon gut vorstellen!“

Das brachte die beiden erstmal selber zum Nachdenken. „Das wäre eine Möglichkeit!“, gab Fay grübelnd zu. „Aber dann ist die Frage, warum sie sich rächen will und wer noch auf ihrer Liste steht!“, fügte Lex hinzu. „Und da wären wir wieder am Anfang. Es kann jeder sein!“, seufzte Fay.

„Ich kümmere mich darum!“, versprach ich.
 

Ich kümmerte mich darum. Warum musste ich die Klappe nur so weit aufreissen. Ich weiss ja nicht mal selber, wo ich suchen musste. Wie soll ich da etwas herausfinden?

Oh, Allison, du musst wirklich nachdenken, bevor du redest, sagte ich mir selber, während ich den Flur entlang lief. Mittlerweile war es Abend und ich wollte in mein Zimmer mich schlafen legen. Ich kam dabei auch wieder an das Bild vorbei, dass ich an meinem ersten Tag gesehen hatte und blieb davor stehen.

Beim letzten Mal hatte ich diese Schattenflecke gesehen. Ob ich sie da wieder sehe würde?

Es gab nur eine Möglichkeit das herauszufinden. Ich schaute auf das Bild und wartete, bis ich etwas sehen würde, dass nicht dahingehörte. Ich wusste nicht, wie lange ich darauf schaute. Zehn Minuten oder vielleicht länger. Die Schatten blieben jedenfalls aus. Auch wenn ich so sehr auf das Bild schaute. Sie kamen einfach nicht. Verdammt, fluchte ich und wollte schon gehen. Da bemerkte ich, wie aufeinmal das Bild zu verschwimmen schien. Die Konturen des gemalten Hauses zerflossen ineinander. Ebenso auch die Umgebung. Als würde die Farbe schmelzen und in dicken Schlieren ineinanderfließen. Vermischten sich zu einem einzigen Brei aus Farben und es war schwer überhaupt noch etwas zuerkennen. Ich blinzelte paarmal. Nein, ich täuschte mich nicht. Ich sah wirklich, wie das Bild zerfloss und irgendwie war ich froh darüber. Denn so würde ich vielleicht erfahren, was es mit dem Bild auf sich hatte. Ich wartete. Sah zu, wie kleine Wellen die ölige Fläche, die mal ein Bild gewesen war, hinwegzogen und die Schlieren sich bewegten. Etwas neues daraus entstanden ließen.

Es dauerte, bis die verschwommene Farbe sich wieder festigte und einige Konturen sichtbar werden ließ. Zusehen war nun ein ganz neues Bild und es ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Zwar sah man wieder die Klinik darauf, aber nun schien diese während eines schlimmes Brandes gemalt worden zusein. Flammen züngelten aus den Fenstern und dicker Rauch quoll aus sämtlichen Öffnungen. Sammelte sich oben zu einer dicken Wolke, in der…

Ich kniff die Augen zusammen, um sicher zusein, dass ich mich nicht versah und schaute nochmals hin. Nein, ich täuschte mich nicht. In der Rauchwolke war das Gesicht eines Mädchens zusehen. Dasselbe Mädchen, was in den Träumen die anderen Beiden ermordet hatte. Das war es also!

Ein Brand!

Und ich musste nicht lange überlegen, was bei diesem Brand geschah und wer umgekommen war.

Ein Puzzlestück hatte ich schon mal. Blieb nur die Frage, warum will sie sich rächen?

Keines der Mädchen hatte etwas mit dem Brand zutun gehabt. Das war schon lange her. Warum also will sie sie umbringen?

Und warum jetzt?

Das machte keinen Sinn!

Aber vermutlich brauchte so ein Wesen keinen Sinn oder eine Erklärung, um zu morden.

Es reichte wohl, wenn andere leiden mussten. Wie auch immer.

Ich musste Fay und Lex davon bErikhten. Sie mussten erfahren, was ich gesehen habe. Vielleicht konnten sie etwas herausfinden, was es mit diesem Brand auf sich hatte.

Dann wären wir einen Schritt weiter.

Aber zuerst wollte ich ins Bett. Lex und Fay konnte ich erst morgen anrufen. Es war schon spät und ich war müde.
 

„Und du bist sicher, dass du das wirklich gesehen hast?“, fragte Fay mich am Telefon. „Ja, ich habe mir das nicht eingebildet. Ich habe gesehen, wie die Klinik brannte!“, sagte ich mit belegter Stimme. Ich hatte letzte Nacht nicht gerade gut geschlafen. Immer wieder musste ich an das Bild denken, was sich gewandelt hatte und es verfolgte mich bis in meine Träume. Aber zum Glück hatte ich nicht dieses Horrording gesehen. Nur den Brand. Ich konnte noch deutlich die Hitze auf meiner Haut fühlen. Und wie das Feuer, so brannte auch meine Ungeduld und ich konnte es kaum erwarten, Fay und Lex anzurufen, um es ihnen zuerzählen. Als ich dann Fays Stimme hörte, fühlte ich mich wesentlich leichter. Als hätte ihre Stimme mich einwenig beruhigt. Mir etwas von meiner Nervösität genimmen. Aber als sie fragte, ob ich das wirklich gesehen hatte, fühlte ich mich verraten. Sie sollte doch wissen, dass ich mir das nicht einbildete und dass meine Visionen wahrwaren. Meine Kehle trockenete aus und ich merkte, wie mir kalt wurde. Ich schob das auf den Schlafmangel und auf die Anspannung. Aber auch auf den Frust. Ich versuchte letzteres zuverdrängen und leckte mir einmal über die Lippen. „Ihr müsst der Sache nachgehen!“, drängte ich. „Vielleicht findet ihr auch etwas heraus, über dieses Schreckgespenst!“

Ich dämpfte meine Stimme, als eine Gruppe von Schwestern an mir vorbeikam. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie mitbekamen, was ich da sagte. Ich sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren. Fay schien gemerkt zuhaben, dass ich mich nicht verraten wollte und wartete, ehe sie weitersprach. „Das werden wir. Beruhige dich!“, sagte und fügte mit sanfter entschuldigender Stimme hinzu:„ Sorry, wenn ich etwas zweifelnt klang!“

Der Frust nahm ab. Schrumpfte in sich zusammen und ich atmete tief durch. „Sagt mir bescheid, wenn ihr etwas herausgefunden habt!“

„Machen wir!“, versprach sie und ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme. „Wir melden uns dann, wenn wir etwas haben! Hast du noch etwas, was uns helfen könnte?“

„Ja!“, schoss es aus mir heraus und ich könnte mich selber ohrfeigen, weil ich das wichtigste beinahe vergessen hätte. „Der Brand war im Jahre 1981 gewesen!“

„Gut, dann werden Lex und ich uns mal umhören!“, sagte sie und wollte noch etwas sagen, doch da hörte ich die Stimme von Doctor Rayne und ich drehte mich um. Er stand hinter mir und sah mich wartend an. Oh Shite. Zeit für meine Therapie-Stunde!

„Ich…ich muss jetzt schluss machen. Bis dann!“, sagte ich schnell und legte auf. „Hast du mit deinen Freunden telefoniert?“, fragte er mich lächelnd und ich nickte. Er lächelte, drehte sich dann um und öffnete die Tür zu seinem Büro.

„Erzähl mir doch etwas von deinen Freunden!“, sagte er und ich suchte schnell nach der richtigen Antwort. „Naja, ich habe nicht gerade viele Freunde. Diese Träume sind nicht gerade Freundschaftsfördernt. Ich war immer alleine!“, sagte ich und es schnitt mir tief in mein Herz. Ich hatte ohne es zuwollen die Wahrheit gesagt. Schon wieder. „Aber jetzt hast du Freunde?“, fragte er nach. „Ja, und es sind wirklich gute Freunde. Sie verstehen mich. Wissen, was ich durchmache!“

„Und worüber unterhaltet ihr Euch so?“

„Naja, nicht viel. Typischer Mädchenkram eben. Welche Band ist die Beste ist, welche Jungs, die süßesten und was die neueste Mode ist!“, log ich, sodass sich die Balken biegten. Ich hatte mich nie für Jungs interessiert und es fiel ehrlich gesagt schwer, das Gegenteil zu behaupten. „Hast du denn eine Lieblingsband?“, fragte er. Da konnte ich ruhig wieder die Wahrheit sagen. Ich hatte eine. „Ja, Evanescence!“

„Eine ungewöhnliche Lieblingsband!“, murmelte er. „Warum?“

„Naja, diese Band hat einen Hang zu etwas düsteren!“

„Ich mag es düster. So kann man darüber nachdenken. Weil sie die Wahrheit singen und nicht alles verschönern!“, sagte ich. Ich hörte diese Band seit ich denken konnte. Immer wenn ich traurig war, und das war sehr oft der Fall, hörte ich sie und stellte mir vor, wie meine Mutter diese Lieder sang. Mir damit Trost geben wollte. Zwei Lieder davon, die ich am allerliebsten hörte, waren „Bring Me to Life“ und „Immortelle“.

Bring Me To Life, weil ich mich manchmal wie tot fühlte. Ich hörte und fühlte nichts und das machte mir Angst und Immortelle, weil ich mir wünschte, meine Mutter wäre bei mir. Oder weil ich sie noch bei mir spürte. Als wäre sie wirklich da. „Soso!“, mrumelte er und schrieb sich etwas auf. „Warum wollen Sie das wissen?“

„Weil es sein kann, dass deine Vorliebe für diese Musik, ein weitere Grund sein könnte, warum du diese Träume hast!“

„Wie kann Musik solch Träume auslösen?“, fragte ich skeptisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Musik solche Schreckensbilder erschaffen konnte. „Es gibt viele verschiedene Auslöser für solche Träume. Wie ich bereits sagte ist ein traumatisches Erlebniss nur eines davon. Und wenn man Musik hört, die einen noch mehr trauern lösst, dann vervielfacht sich das!“, erklärte er. „Wenn Sie jetzt sagen, ich solle mir Britney Spears anhören, oder noch schlimmer Justin Bieber, werde ich auf Durchzug schalten!“, drohte ich, woraufhin Dr. Rayne nur lachte. „Nein, zu solch drastischen Mitteln musst du nun wirklich nicht greifen!“, versprach er mir. Und ich atmetete erleichert auf. „Aber du solltest wirklich darüber nachdenken, ob du nicht doch in eine andere Musikrichtugn wechslen willst!“, sagte er. „Wie wäre es mit klassischer Musik. Bethoven oder Mozart zum Beispiel?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nee, das erinnert mich nur immer mehr an meine Mutter. Sie liebte klassische Musik. Sehr sogar. Sie kannte jedes Stück und den Komponisten!“

„Oh, eine Liebhaberin der alten Künste!“, rief er aus, sah mich über seine Brille an und ich musste grinsen. „Ja, kann man so sagen!“, pflichtete ich ihm bei. „Sie nahm mich, wann immer es möglich war, in die Konzerte und Opern mit, die es in Italien gab!“, sprudelte es aus mir heraus. „Die von Faust, mochte sie am meisten!“

„Faust? Das ist doch das Stück, in dem ein Mann seine Seele an den Teufel verkauft!“, sagte er erstaunt. Offenbar verwunderte es ihn, dass eine junge Frau, wie meine Mutter, solch eine Oper mochte. „Ja, ich habe auch nie begriffen, warum diese. Dabei gab es viel schönere!“, erklärte ich. „Ich habe sie mal gefragt und sie sagte, dass mehr dahinter steckte, als man dachte!“

„Ich habe nie verstanden, was sie damit meinte!“

„Hatte deine Mutter irgendwie seltsame Freunde?“, fragte er mich und fast wäre mir:„ Ich wohne bei denen!“

Doch ich hielt den Mund. „Nein, was sollte sie für seltsame Freunde haben!“

„Nunja, ich habe den Verdacht, dass sie vielleicht in irgendwelche Kreise geraten sein könnte, die, in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen sind!“

„Sie meinen doch nicht etwa, dass meine Mutter eine Satanisten war!“, platzte es aus mir heraus. Ich hätte auch fragen können, dass er meine Mutter für eine fleißige Gängern eines Sado-Maso-Clubs hielt. Aber diese war mir einfach so über die Lippen gekommen. Und sie lag auch ehrlich gesagt wirklich nahe. Wenn ich so zurückdenke, hatte Mama immer etwas Seltsames an sich. Etwas was nicht normal war. Sie sprach hinundwieder mit sich selbst oder stritt auch. Ich erinnerte mich wieder daran, wie ich die Zeichnung in meinem Kinderschrank entdeckt hatte, die Mama da aufgemalt hatte. Dr. Rayne lachte. „Nein, das nicht. Aber sie muss ja eine gewisse Neigung gehabt haben, wenn sie solch eine Oper mochte!“

„Sie war eben anders!“, wich ich schnell aus. Mit einem Male war es mir unangenehm über meine Mutter zusprechen. Etwas sagte mir, dass ich mich hüten sollte. Dass Mama ein Geheimniss hatte, dass ich nicht verraten durfte. „Hast du ein Foto von ihr?“, fragte er stattdessen und das wunderte mich. „Ja, wieso möchten Sie das wissen?“

„Ich möchte es mir mal ansehen!“, sagte er nur und die Verwunderung wurde größer. „Vielleicht sehe ich ja eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dir und ihr!“

Und wie Sie die sehen werden, dachte ich. Behielt es aber für mich. „Ich kann schauen, ob meine Freunde es mir bringen können!“, sagte ich und der Doc schien damit einverstanden. Wir unterhielten uns noch eine Weile, bis die Sitzung vorbei war und ich in mein Zimmer gehen konnte.

Ich fühlte mich seltsam ausgelaugt, als hätte es mich alle Kraft gekostet, darüber zusprechen. Ich ging duschen. Zum Glück hatte ich ein Zimmer, mit einer eigenen, kleinen Duschkabine, sodass ich mich nicht in keiner Gemeinschaftdusche waschen musste. Ich genoss diesen kleinen Luxus lange und ausgibig und als ich fertig war, fühlte ich mich wesentlich wohler und vorallem, frischer. „Du solltest aufpassen über was du mit deinem Doktor redest!“, sagte Erik und ich zuckte zusammen. Das wurde langsam lästig. Sein ständiges unerwartetes Auftauchen und wie ich dabei immer erschrack. Nicht zuvergessen die Tatsache, dass ich nur mit einem Badetuch bekleidet war. „Kannst du nicht anklopfen?“, schnauzte ich und wickelte das Handtuch enger um mich. „Anklopfen?“, fragte er und ich hörte das Grinsen in seiner Stimme. Okay zugegeben, war eine dumme Frage. Jemand wie er brauchte nicht anzuklopfen. „Okay okay, vergiss es!“, sagte ich. „Was meinst du denn damit, dass ich aufpassen sollte, was ich meinem Doktor sage?“

„Na, einige Dinge, die ihn eigentlich nichts angehen. Wie zum Beispiel, wie deine Mutter war und wie seltsam sie war!“, sagte er. „Ach, das meinst du!“, sagte ich und versuchte es so gut wie es ging runterzuspielen. „Das war nur Smaltalk. Ich werde schon nichts ausplaudern!“

„Sicher?“, fragte er und ich konnte ihm deutlich anhören, dass er mir das nicht so richtig glaubte. „Ja. Ich bin doch nicht verrückt!“, versprach ich. Okay, dieser Satz war alles andere als angebracht in einer Nervenheilanstalt. Aber was Besseres fiel mir nicht ein. Erik schien dies genauso zusehen, denn er grinste kurz. Dann schaute er wieder ernst drein. „Trotzdem. Sei vorsichtig!“, riet er mir und ich nickte. Zwar schloss ich aus, dass Dr. Rayne etwas mit diesem Alptraumding zutun haben konnte, aber Vorsicht war immer besser als Nachsicht.

„Aber wenn ich ihm nichts erzähle, wird er doch irgendwann merken, dass was faul an mir ist!“, sagte ich und setzte mich auf das Bett. Erik lächelte ein schiefes Lächeln. „Es ist was faul an dir. Aber nicht das, was ein Seelenklempner richten könnte!“

„Du weißt, was ich damit meine!“, sagte ich trotzig. „Ich versuche wirklich, mich bedeckt zuhalten!“ Dann seufzte ich und setzte mich auf den Stuhl ihm gegenüber wobei ich darauf achtete, dass meine Beine verschränkt waren. „Aber der Doc schafft es immer wieder mich zum Reden zubringen!“

„Das klingt fast schon so, als wärst du ein kleinwenig erleichtert!“, sagte er und ich zuckte zusammen. Fast wollte ich ihm sagen, dass das nicht stimmte. Doch als ich Eriks Blick sah, wusste ich, dass es stimmte. Das ich ein kleinwenig wirklich froh, dass er mich zum Reden brachte. Auch wenn ich dadurch wohl Gefahr lief, enttanrt zuwerden. Ich senkte dne Kopf und zupfte an meinem Handtuch. „Nunja…!“, murmelte ich. „Darüber zureden ist nicht verkehrt. Aber achte darauf was und wieviel du davon verrätst!“, riet Erik mir und nun wollte ich ihm sagen, dass das wirklich leichter gesagt als getan ist. Aber kaum dass ich den Kopf hob und schon den Mund geöffnet hatte, um es laut auszusprechen, war Erik auch schon weg. Meine Ratlosigkeit verwandelte sich Frustration. Typisch, Erik. Verschwindet einfach und lässt mich hier zurück!

So wie er, möchte ich es auch gerne hinundwiedermachen. Mich einfach in Luft auflösen.
 

Lucie erschauderte. Sie stand mitten auf einem weiten Feld, über dessen Boden ein dicker Nebel kroch. Schwarze Steinplatten rackten aus diesem hervor. In einem akkuraten Abstand von einander standen sie ab. Kein einziger Stern, nicht mal der Mond schien.

Eine Totenstille lag über der Lichtung. Sie konnte ihren eigenen Herzenschlag hören. Und noch etwas anderes. Schritte, das Rascheln von Gras unter auftreten Füssen. Das Atmen eines anderen, der jedoch verborgen blieb. Lucie schaute sich um, versuchte etwas zuerkennen. Doch die Bäume ringsumsie herum warfen viel zu dunkle Schatten, als das sie etwas sehen konnte.

Wo war sie bloss?

Wie war sie hierher gekommen?

Und vorallem wie kam sie von hier weg?

Ratlos stand sie da und überlegte. Gab es vielleicht einen Pfad auf dem sie gehen und hier weg kommen konnte?

Lucie hoffte es inständig. Suchend schaute sie sich um. Versuchte zwischen den Steinblöcken um sie herum und durch den Nebel etwas zuerkennen, was einem Pfad oder einem Weg gleichkam. Nur ein wenig lichtete sich dieser und sie konnte das abgestorbene Gras sehen. Aber keinen Pfad. Lucie gab einen wimmernden Laut von sich. Es musste doch einen Weg von hier weg geben. Irgendwann beschloss sie einfach loszulaufen. Es würde nichts bringen hier rum zustehen.

So lief sie einfach los, in der Hoffnung einen Weg zu finden, der sie aus diesem unheimlichen Wald führen würde. Doch kaum, dass sie die Bäume erreichte und sie sich einen Weg hindurchbahnen konnte, bogen sich die mächtigen Stämme. Wurden zu einer Mauer. Lucie keuchte entsetzt auf und wich einen Schritt zurück. Lief dann in eine andere Richtung. Wollte da ihr Glück versuchen. Aber auch da ließen die Bäume sie nicht gehen. Erneut bildeten sie eine unüberwindbare Mauer. Als würde etwas verhindern wollen, dass sie von hier verschwand. Lucie spürte, wie ihr kalt wurde. Sie kauerte sich auf dem Boden und begann wie ein kleines hilfloses Kind zu weinen. „Oh, Gott. Bitte hilf mir!“, wimmerte sie und umschlang ihren Oberkörper mit den Armen. Wiegte sich vor und zurück. „Dir wird kein Gott mehr helfen können!“, zischte plötzlich eine Stimme und Lucie zuckte zusammen. Die Stimme schien von überall herzukommen. Brach sich an den Bäumen und hallte als hohles Echo wieder. Diese Stimme hörte sich an, wie das Splittern von Glas oder das Kratzen von Fingernägeln auf einer Schiefertafel. Einfach schrecklich und noch ehe Lucie sich von diesem Schrecken erholen konnte, sah sie, wie aus dem Nebel eine Gestalt auf sie zu wankte. Sie konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Dafür war der Nebel einfach zu dicht. Doch sie spürte, wie ihr kälter wurde. Wie als wenn die kalte Luft wie eine welle von der Gestalt auf sie zurollen würde.

Wie eine zweite Haut legte sich die Kälte auf sie und machte es ihr schwer zu atmen. Mit jedem Schritt, den die Gestalt auf sie zumachte, wurde der Nebel nun etwas dünner und schon bald konnte Lucie sehen, wer da auf sie zukam. Ein erstickter Schrei entrang sich aus ihrer Kehle. „Nein!“, keuchte sie, als sie Sam erblickte. Obwohl sie den Kopf gesenkt hatte und den Eindruck machte, als würde sie schlafwandeln, wusste Lucie, dass sie sie anschaute. Sie förmlich riechen konnte. Lucie spürte die Gefahr, den Tod, der von ihr ausging und machte einen Schritt zurück. Noch einen. Und noch einen. Plötzlich trat ihr Fuss ins Leere und Lucie schrie auf. Konnte sich gerade noch fangen und schaute dann über die Schulter. Ihr gefror das Blut in den Adern, als sie das tiefe quadratische Loch sah. „Ein Grab!“, schoss es ihr durch den Kopf und solangsam begann sich der Nebel zu lichten. Verzog sich, als würde jemand ihn zurückrufen und gab das preis, was er vorhin noch verborgen hatte. Lucie glaubte den Verstand zuverlieren, als sie nun erkannte um was es sich bei den Steinplatten handelte. Grabsteine!

Sie war auf einem Friedhof. Wie gebannt blickte sie auf die Gräber, die vor ihr lagen. Jeder Grabstein war mit einer Inschrift versehen. Nur einer nicht. Es war der Grabstein, der vor dem leeren Loch aufgestellt war und Lucie spürte, wie ihr Hals trocken wurde. Eine eisige Luft schlug ihr entgegen. Modrig und feucht war.

Tief klaffte es vor ihr in der Erde auf und musste mehr als zwei Meter tief gewesen sein. Sie konnte nicht den Boden sehen und wich zurück, weil sie nicht hineinfallen wollte. Plötzlich hörte sie ein Kratzen und Knirschen und schaute wieder auf den Grabstein. Langsam zogen sich Linien durch den grauen Stein, wurden breiter und schließlich zu Buchstaben. Mit schockgeweiteten Augen sah Lucie zu den Buchstaben, die nun auf dem Grabstein prangten und einen Namen bildeten. Lucie.

„Nein!“, keuchte sie und wollte vom Grab weggehen. Da traf sie ein harter Stoss und schleuderte sie in das dunkle Loch. Lucie schrie gellend auf, ruderte mit den Armen und wollte sich abfangen, doch da war es schon zuspät. Sie fiel in die Grube. Konnte sich aber noch an dem Rand festhalten. Hilflos baumelte sie in der Luft und versuchte sich hochzuziehen. Doch kaum dass sie es versuchte, schossen lange, dünne Schlingen aus dem Boden und wickelten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit um ihre nackten Waden. Zogen an ihr. Lucie schrie und kämpfte dagegen an, in die Tiefe gerissen zuwerden. Der Boden, an dem sie sich festhielt, war weich und bot kaum Halt. Bröckelte unter ihren Händen weg. Dafür wurde der Zug der Schlingen fester und riss sie immer tiefer hinab. „Oh Gott, hilfe…. wieso hilft mir niemand!“, schrie sie und Tränen der Verzweiflung brannten in ihren Augen. Sie blickte hoch. Die Tränen verschleierten ihr den Blick. Sie konnte kaum etwas sehen. Doch kurz meinte sie die Gestalt von Samantha zusehen, die sie aus mitleidslosen Augen anschaute und dann verschwand. Und mit dem Verschwinden Samantha wusste Lucie, dass sie verloren war.

So gab sie es auf, sich gegen die Schlingen zu wehren und wollte schon loslassen. Denn egal wie sehr sie es versuchte: Sie würde es nicht schaffen, um sich zu befreien. Langsam ließen ihre Hände den Boden los und schwebte für Sekunden in der Luft. Aber bevor sie in die Tiefe stürzte, packte aufeinmal zwei Hände ihre rechte und zogen sie hoch. Lucie wollte sich schon aus diesen befreien, weil sie glaubte, die Alptraumgestalt sei zurück gekommen um sie nun selbst zu töten, doch da sah sie die schwarzen Haare und das unterschiedliche Augenpaar, dass sie voller Sorge anschaute.
 

Diesesmal fand ich mich weder in einer heruntegekommenden Klinik, noch in einem Sumpf wieder, sondern in einem Waldstück, das ziemlich unheimlich aussah. Die Bäume sahen aus, wie abgestorben und wirkten grotesk. Waren entweder verkrüppelt oder krümmten sich, als würde sie vor irgendwas in Deckung gehen. Ich sah die tiefen Furschen in dem Holz. Glaubte darin menschliche Gesichtszüge zusehen, die mir nachstarrten, sobald ich an ihnen vorbeigegangen war. Mehr als einmal drehte ich mich um, weil ich mir einbildete, ein Knarzen zuhören. Doch nichts hatte sich bewegte. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Ich schüttelte mich. Versuchte dieses Gefühl zuignorieren. Sondern lenkte meine Gedanken darauf, was mir bevor stand. Dass ich wiedermal in einem Traum gelandet bin, in dem dieses Ding wieder ein unschuldiges Mädchen ermorden wollte, daran hatte ich keinen Zweifel. Fragte sich nur, wo ich dieses Mistding finden konnte.

Kaum dass ich mich das gefragt habe, hörte ich einen Schrei und stürmte los. Brach mir einen Weg durch den Wald durch und sprang über die Wurzeln. Mein Blick streifte während dem Rennen mein Handgelenk mit dem Armreif und ich betete, dass hier mir helfen würde. Ich hatte den Wald bald schon verlassen und fand mich auf einer freien Lichtung wieder. So frei war sie allerdings nicht. Denn aus dem Boden erhoben sich graue, bis schwarze Steinplatten, die ich schon bald als Grabsteine erkannte und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ein Friedhof. Na, klasse. Hätte es nicht ein altes Schloss ein können. Ich hatte eine Abneigung gegen solche Orte. Warum, muss ich euch wohl nicht sagen. Aber es hatte einen Grund warum ich hier war und dieser hatte ebengerade geschrien. Fragte sich nur, wo das Mädchen war, das geschrien hatte.

„Oh Gott, hilfe…. wieso hilft mir niemand!“, hörte ich und schaute nach links. Da sah ich das Loch, ein offenes Grab und die Hände, die sich am Rand festhielten. „Oh Fuck!“, stiess ich hervor und hetzte zum Grab. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Mädchen in die Tiefe stürzte. Ich konnte sie im letzten Moment noch an ihrer Hand erwischen. Mit aller Kraft zog ich sie hoch. Zum Glück arbeitete das Mädchen mit. Und so dauerte es nicht langer, bis ich sie aus dieser Grube rausgezogen hatte und wir auf dem feuchten Boden saßen und nach Luft rangen.

Wir stützten uns auf unseren Armen ab. Zwischen einigen tiefen Atemzügen, fragte ich:„ Alles okay?“

Und schaute hoch. Erst da bemerkte ich, dass es ich bei dem Mädchen um Lucie handelte. Doch ich ersparte mir und ihr die Frage, was sie hier machte. Sie allerdings schien wirklich erstaunt darüber zusein, mich hier zusehen. „Ja, ich…Du? Was machst du denn hier?“, fragte sie ungläubig und ich wollte schon eine bissige Antwort geben, schluckte sie aber runter und sagte:„ Ich bin genauso überrascht wie du!“

„Danke, dass du mich gerettet hast!“, sagte sie dann und lächelte. Ich erwiederte es, wenn auch etwas schwach und stand dann auf. „Noch sind wir nicht in Sicherheit. Wir müssen zusehen, dass wir von hier wegkommen!“, sagte ich schnell, half ihr hoch. „Und wie? Wie sollen wir einen Ausweg von hier finden?“, fragte sie mich. Gute Frage!

Ich schaute mich um und musste ein schweres Seufzen unterdrücken. Ich selber wusste nicht, was wir tun konnten. Überall nur Bäume und dieser verdammte Nebel. Ganz zu schweigen von diesen Grabsteinen. „Erstmal sollten wir von diesem Friedhof wegkommen!“, schlug ich vor, weil mir nichts Besseres einfiel. „Aber…was wenn Sam aufeinmal auftaucht?“, fragte sie und kaum hatte sie mich das gefragt, schon lief es mir kalt über den Rücken. Schon allein bei dem Gedanken wurde mir übel. Ich ließ mir meine Nervösität aber nicht anmerken, sondern versuchte locker zublieben. „Dann werde ich diesem Miststück mächtig in den Arsch treten. Glaub mir ich habe etwas, was uns sicher helfen wird!“, sagte ich und hielt dabei mein Handgelenk mit dem Armreif hoch. Lucie schaute dieses mit einer Mischung aus Sorge und Skepsis an. Ich konnte sie gut verstehen…

Wie sollte dieses Armband uns helfen?

„Vertrau mir!“, flüsterte plötzlich eine Stimme und ich könnte schwören, dass es die Stimme von Erik gewesen war. Aber Erik war nicht hier.

Dennoch hatte ich nun das Gefühl, dass wir nicht alleine waren. Aber ich wollte nicht daran denken, dass es vermutlich dieses Alptraumding war. Und auch nicht, dass es jeden Moment angreifen konnte. So schnappte ich mir Lucie am Handgelenk und zog sie mit mir. Wir gingen zu den Bäumen, wollten uns einen Weg durch sie hindurchsuchen. Wenn ich durch sie zu der Lichtugn gelangen konnte, dann sicherlich auch von dieser weg. Doch kaum, dass wir eine Armlänge nahe an sie herankamen, erwachten die Äste zum Leben und reckten sich uns bedrohlich entgegen. Lucie stiess einen schrillen Schrei aus und auch ich wich zurück. Sah mit geweiteten Augen zu den Ästen, die nach uns griffen. Wie Hände und ich musste wieder schaudernd daran denken, wie sehr diese verkrüpelten Bäume Menschen ähnelten. Nun hatte ich die Gewissheit und wich noch einen Schritt zurück. Drängte Lucie dabei nachhinten. Kaum dass wir zurückgingen, zogen sich auch die Äste zurück. Offensichtlich wollten sie uns hier festhalten. Shite!

Ich begann fieberhaft nachzudenken. Mein Blick huschte zu dem anderen Waldrand. Dachte kurz daran, es dort zuversuchen, doch da würde es sicher genauso laufen. Egal wo und wie, wir mussten hier weg. So ging ich wieder auf die Bäume zu und kaum, dass ich nahe genug dran war, streckten sie ihre Äste wieder nach mir aus. Doch diesesmal wich ich nicht zurück, sondern blieb einfach stehen. Die Äste kamen näher griffen schon fast nach mir, doch da wichen sie plötzlich zurück. Als hätte sie etwas verletzt. Oder verbrannt. Ich runzelte die Stirn. Fragte mich, was sie davon abhielt, mich anzugreifen. Da spürte ich plötzlich, wie sich mein Handgelenk erwärmte und ich schaute hinunter. Das Armband, das welches bisher nur ein schickes Modeschmuckstück war, glühte nun in einem matten Rot. Es reagierte auf die Äste, die mich bedrohten. In dem schickte ich Erik ein Dankgebet und streckte meinen Arm in Richtung der Bäume und….siehe da, die Bäume schoben sich beseite. Zum Glück!

Sogleich ging ich weiter, zog Lucie erneut hinter mir her und gemeinsam durchschritten wir den Wald, dessen Bäume sich immer mehr zur Seite schoben, sobald ich mit meinem Arm nahe genug an sie heran kam. Ich schwenkte ihn hinundher, wie eine Fackel. Schon bald lichtete sich der Wald vor uns und wir traten hinaus. Diesesmal war es aber keine Lichtugn mit Grabsteinen, sondern ein Pfad, der zu einem schwarzen gusseisernen Tor führte. In eleganter Schrift war das Wort Ausgang geschrieben. Und das Tor stand weit geöffnet. Blasser Nebel wabberte darin. „Nee oder!“, brachte ich ungläubig hervor und war erstaunt, dass es so einfach war. Aber wenn da schon stand, dass das ein Ausgang war, dann warum nicht. „Komm schon, Lucie. Lass uns von hier verschwinden!“, sagte ich und wollte weitergehen. „Ihr geht nirgendwohin!“, kreischte eine Stimme und aus dem Nebel trat eine Gestalt. Lucie schrie auf und klammerte sich an mich. Ich wusste sofort, wenn wir da vor uns hatten. Sam!

Das Armband glühte noch mehr, brannte förmlich auf meiner Haut. Doch ich spürte es nicht, sondern blickte zu ihr und versuchte ruhig zubleiben. In mir gingen so viele Empfindungen umher. Angst, Wut, Hass und viele andere, die nicht benennen konnte. Ich umschloss das Armband mit meiner anderen Hand und versuchte ruhig zubleiben. Lucie an meiner Seite, krallte sich immer mehr an mich und zitterte. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte sie mir mit bebender Stimme. „Ich werde versuchen sie abzulenken. Renne du schnell zum Ausgang!“, sagte ich. Und noch bevor Lucie etwas sagen konnte, stürmte ich auf Sam. Schaute nocheinmal zum Armband und stellte mir etwas vor, mit dem ich gegen sie kämpfen konnte.

Das Armband glühte und ich fühlte, wie die Wärme in meine Handfläche floss, sich zu etwas festen formte. Meine Hand schloss sich automatisch und kaum dass ich nahe genug an sie herankam, schwang schon ich meinen Arm. Es machte laut „Klong“ und Sam wurde regelrecht von den Füssen gerissen und blieb erstmal liegen. Ich drehte mich zu Lucie herum, die wie angwurzelt dastand. „Worauf wartest du noch? Los, mach das du hier verschwindest!“, rief ich gehetzt und Lucie rannte los. Da sprang Sam auf und griff an. Mit einem wilden Schrei und erhobenen Klauen fiel sie mich an und ich konnte nur mit Mühe ihren Angriff abwehren. Schlug mit dem was ich hatte nach ihr. Erst da bemerkte ich, dass ich eine Bratpfanne l aus schwarzem Metall herbeigewünscht hatte und hätte mich darüber ärgern können. Ich meine, hallo? Eine Bratpfanne?

Konnte es kein Schwert oder etwas anderes sein. Wie sollte ich mit einer Bratpfanne gegen sie ankommen?

Aber mir blieb keine Zeit, mich weiterdarüber zuärgern, da sie sogleich wieder angriff. Wie eine Irre schlug sie nach mir und ich versuchte so gut es ging ihre Angriffe abzuwehren. Mehr als einmal streiften mich ihre Klauen und strichen über meine Haut. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Lucie in der Nebelwand verschwand. Ich atmete erleichtert auf. Gut, sie war in Sicherheit. Jetzt musste ich nur noch zusehen, dass ich hier wegkam. Und für diesen einen kurzen Augenblick war ich unaufmerksam. Mit einem brutalen Stoss, fegte sie mich zur Seite und schlug mir dabei die Bratpfanne aus der Hand. Ich sah ihr nach und als sie auf den Boden fiel, zerfaserte sie wie Rauch. Nein, keuchte ich und wollte aufspringen. Plötzlich tauchte Sam über mir auf, mit einem grausamen triumphierenden Grinsen. Sie warf sich auf mich, mit ihren Klauen nachvorne gestreckten. Ich kontne sie gerade noch rechtzeitig mit meinen festhalten und somit verhindern, dass sie sich in mein Gesicht gruben. Doch das schien sie nicht weiterzukümmern, denn sie wehrte sich heftig und versuchte ihre Hände aus meinen rauszureissen. Ich nahm all meine Kraft zusammen, um das zu verhindern. Wie eine Furie riss und zerrte sie an ihnen und keifte. Schnappte mit ihren Zähnen nach mir. Was für ein Biest!

So langsam merkte ich, dass meine Arme unter ihrem Gewicht und Gegenwehr immer schwerer wurden. Und so auch meine Hände. Mist!

Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Ich versuchte angestrengt, den Griff beizubehalten, ihn nich schwächer werden zulassen. Doch mit der Zeit wurde das immer unmöglicher. Meine Hände schlingerten, bei jeder Bewegung, die sie machte und meine Hände wurden immer kraftloser. Verdammt, wenn ich mir nicht schnell etwas einfallen ließ, würde ich drauf gehen. Mit dem Mut der Verzweiflung stemmte ich mich gegen sie und hob mein Knie. Rammte es dann mit voller Wucht in ihren Bauch, sodass sie sich krümmte und für einen kurzen Moment in sich zusammen sackte. Das nutzte ich sofort und stiess sie von mir. Sprang schnell auf die Füsse und rannte los. Doch kaum dass ich zwei Schritte gemacht hatte, fühlte ich, wie sich etwas Scharfes in meine Wade grub und das Fleisch aufriss. Ich schrie auf und fühlte sogleich, wie warmes Blut aus der Wunde, über mein Bein floss. Ich strauchelte kurz, fing mich aber wieder und rannte weiter. Auf den Ausgang zu und tauchte schon bald in den Nebel.
 

Ich schlug die Augen auf und sah an die graue Decke meines Zimmers. Ich hatte es geschafft!

Nicht nur dass ich Lucie retten konnte, sondern ich sleber war nochmal heil davon gekommen. Erleichtert schloss ich die Augen und atmete tief durch. Da merkte ich aufeinmal, wie das Lacken unter mir klitschnass und warm war. Ich runzelte die Stirn. Was war das?

Ich richtete mich auf und musste dabei mein Bein bewegt haben, denn ich zuckte zusammen, als sich ein brennender Schmerz meldete, der mir bis in den Rücken hochjagte. Autsch, was war das bloss. Mit einem unguten Gefühl im Magen, griff ich nach der Decke und schlug sie zurück. Sofort wich mir alles Blut aus dem Gesicht. Das Laken unter meinem Bein war mit Blut durchtränkt. Blut, das aus vier tiefen Schnitten, die in meinem Bein klafften hinausströmte. Für einige Sekunden blieb ich reglos sitzen, schaute mit schickgeweiteten Augen auf die Wunde und begriff nicht, woher ich diese hatte. Aber dann erinnerte ich mich, was ich in meinem Traum erlebt hatte und mir wurde eiskalt. Ich dachte, sie hätte mich bloss im Traum nur erwischt. Doch mir kam auch in den Sinn, dass es nicht bei Verletzungen lieb. Dass sie einen im Traum töten konnte. Das hatte ich völlig vergessen, da Lucie ja das Ziel ihres Angriffs war. Dass ich auch dabei hätte daraufgehen können, sorgte für einen bitteren Geschmack auf meiner Zunge. Mein Blick schweifte zum rmband, dass nun völlig unverändert an meinem Handgelenk war und ich dankte Erik für dieses kleine nützliche Hilfsmittel. Doch dann erinnerte mich mein schmerzendes Bein wieder und ich drückte den Knopf, der die Schwester rief.
 

Am nächsten Tag zierrte ein dicker Verband meine Wade und natürlich wollte jeder wissen, was mir da passiert ist. Ich log, bis sich die Balken biegen. Erzählte, dass ich einen schreklichen Traum gehabt hatte, was ja auch stimmte, und dass ich mir dabei selber die Wade aufgerissen hatte. Zwar hatten die Ärzte Zweifel, dass ich mir mit blossen Fingernägeln solche tiefen Wunden zufügen konnte, beließen es aber dabei. Sicherlich dachten sie, ich sei in dem Moment so in Angst oder Wahnsinn verfallen gewesen, dass sie es für möglich hielten. Die Schnitte mussten genäht werden und die Ärzte sagten, es könnten Narben bleiben. Grossartig. Achtzehnjahre alt und schon die erste OP-Narbe.

Leider stand ich durch meinen kleinen Unfall im Mittelpunkt. Kaum dass ich die Kantine betrat, waren alle Blicke auf mich gerichtet und es wurde getuschelt bis zum Geht-nicht-mehr. Mit zwischen die Schultern gezogenen Kopf, ging ich zur Essensausgabe und schnappte mir ein Tablett. Ich suchte mir ein paar Süße Croissant, dazu noch einige Stückchen mit Marzipan und einen Kaffee. Als ich zum meinem Tisch gehen wollte, hielt mich die Dame von der Essensausgabe nochmal zurück und ich sah sie fragend an. „Ja, was gibt es?“, fragte ich. Da grinste sie mich freundlich an und legte etwas auf mein Tablett. „Damit es dir wieder besser geht!“

Ich schaute auf das, was sie mir hingelegt hatte. Es war eine, in rosafarbenes Papier gewickelte, Praline. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich war überrascht, aber auch gerührt. „Äh, danke!“, brachte ich nur hervor und ging, wobei humpelte das richtige Wort wäre zu, meinem Platz und wollte mich über das Frühstück hermachen. Als sich Lucie vor mir stand. Mit ihrem Tablett in ihren Händen und den gesenktem Blick wirkte sie verunsichert und ich konnte es ihr nicht verübeln. Immerhin wäre sie beinahe gestorben. Dass ich mich dabei schwer verletzt hatte, machte es nicht besser. „Darf ich…darf ich mich zu dir setzen?“, fragte sie unsicher und schaute nur flüchtig zu mir auf. „Ja, klar, setz dich ruhig!“, sagte ich und Lucie schien sich etwas zuentspannen. „Geht es dir gut?“, fragte ich leise, weil ich nicht wollte, dass man uns zuhörte. Lucie nickte und knabberte an ihrem Rosinenbröttchen. Sie war blass, noch blasser als zuvor und ich sah, wie ihre Hand zitterte. Von wegen. Ihr geht es überhaupt nicht gut. Aber konnte man es ihr übelnehmen. Eine Nahtoterfahrung, und das noch im Traum, konnte man nicht soleicht wegstecken. Ich weiss, wovon ich da spreche. Lucie aß wortlos weiter. Als sie fertig war, nippte sie an ihrer heissen Schokolade und stellte sie langsam und bedächtig ab. Mit einer ebenso langsamen Bewegung, drehte sie den Kopf zu mir herum und fragte in erstaunter, aber auch nervöser Stimme:„ Wie bist du denn…?“

Ihre Stimme brach, doch sie brauchte auch nicht weitersprechen, da ich wusste, was sie mich fragen wollte. Ich zuckte die Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich bin eingeschlafen und fand mich in diesem Alptraum!“, sagte ich und biss in mein Marzipanstückchen. „Naja. Auf jeden Fall: Danke, dass du mir geholfen hast!“, bedankte sie sich und lächelte mich schwach an. Ich lächelte zurück. „Keine Ursache!“

Plötzlich fühlte ich einen Anflug von Kälte. Sie kroch von meinem Steissbein bis hinauf zu meinem Nacken und ließ mich frösteln. Alles in mir zog sich zusammen. Verdammt, woher kam bloss diese Kälte her?

Ohne zuwissen warum, schaute ich mich um und mein Blick glitt in die Richtung, aus der die Kälte am stärksten war und mein Blick traf sich mit dem des Mädchens, dass aussah, wie tot. Ihr Blick war durchdringend und voller Groll. Als hätte ich ihr etwas getan. Meine Gednaken überschlugen sich. Moment mal. Könnte es sein, dass sie…diese Samantha war. Äußerlich würde das passen. Sie sah nicht gerade gesund aus. Aber wie war es ihr möglich, in die Träume anderer einzudringen?

Ich muss Erik fragen. Vielleicht weiss er ja was.
 

Am Nachmittag besuchten mich Fay und Lex. Und sie schienen etwas herausgefunden zuhaben. „Dein Tipp war goldwert. Wir mussten einige alte Zeitungen durchsehen, aber wir haben etwas. Hier sieh dir das mal an!“, sagte sie und schob eine ziemlich altaussehnde Zeitung über den Tisch zu mir. Sie war schon aufgeschlagen und darauf war ein schwarzweissfoto zusehen, von einem brennendem Gebäude. Darüber stand in großen Buchstaben:„ Tragischer Brandunfall in der Heilanstalt!“

Unten drunter stand. „Zahlreiche Verletzte entkamen nur knapp dem sicheren Flammentod.Es gab viele Todesopfer zu beklagen, darunter auch ein junges Mädchen. Über die Brandursache wird noch ermittelt. Wahrscheinlich….blablabla…!“

Ich überflog die restlichen Zeilen und schaute mir noch einmal das Foto von der brennenden Klinik an. Danaben war auch eine Fotografie von einem jungen Mädchen, das in die Kamera schüchtern lächelte und ich hatte das Gefühl, als würde mich jemand mit Eiswasser übergießen. Es war Sam. Die Sam, die mir in der letzten Nacht im Traum diese Wunde verpasst hatte. Es war ein Unterschied zwischen Tag und Nacht. Während das Mädchen auf dem Foto lächelte und in ihren Augen, die reinste Lebensfreude zusehen war, schien die Sam, die nun Amok lief, das genaue Gegenteil zusein. Es fiel mir ehrlich gesagt schwer, zuglauben, dass die beiden die eine und dieselbe sind. „Und kann es sie sein?“, fragte Fay mich und riss mich aus meinen Gedanken. Ich nickte. „Ja, das ist sie hundertprozentig. Konntet ihr etwas über sie herausfinden?“

„Nein, dazu müssten wir usn die Akten ansehen und die meisten sind bei dem Brand vernichtet worden. Außerdem unterliegen diese Akten der Schweigepflicht und nicht mal Sir James schafft es, sich die Akten bringen zulassen!“, erklärte Lex. „Und wie können wir dann etwas herausfinden über sie?“, fragte ich. „Nun, da kommst du zum Einsatz!“, sagte er und ich begriff nicht, was ich da machen sollte. „Wie denn?“, sagte ich. Solangsam hatte ich ein ungutes Gefühl. „Du musst in das Büro des Arztes reinkommen und nach der Akte suchen. Vielleicht haben die Kopien!“, sagte Fay im leisen Flüstern und ich dachte, die veralberte mich. „Ich soll da einbrechen?“, platzte es mir viel zu laut heraus und ich schlug schnell die Hände vor den Mund und schaute mich schnell um. Zum Glück waren wir allein. „Naja, nicht wirklich einbrechen. Nur schauen, was du findest!“, antwortete Fay unbeholfen. „Also doch einbrechen!“, murrte ich und fragte mich, wie ich das anstellen sollte. „Niemand hat gesagt, dass es leicht wird!“, gab Lex zurück und da musste ich ihm recht geben. Aber das mit dem ins Büro einbrechen wollte mir nicht wirklich in den Kopf. „Oh man…!“, seufzte ich.

„Was ist denn eigentlich mit deinem Bein passiert? Das sieht ja übel aus!“, fragte Fay besorgt und ich verfluchte mich, weil ich keine lange Hose, sondern eine Kurze angezogen hatte. War ja klar, dass ihr das nicht entging. Ich schaute flüchtig zu dem Verband und sagte nur:„ Das ist ein lieber Gruß von Sami!“

Fay Mund klappte auf, während Lex nur die Braue hob. Dann fragten sie, wie aus einem Mund:„ Wie?“

Worauf ich nur mürrisch zurückgab:„ Fragt lieber nicht!“
 

Wenig später hatte ich meine Sitzung mit Doktor Rayne und diesesmal vermied ich es, mehr zu sagen, als eigentlich gut war. Sehr zum Jammer des Arztes. Als wir fertig waren, legte er seinen Block zur Seite und strich sich durchs Haar. Seufzte schwer. Als wäre er enttäuscht.

„Gestern warst du westentlich offner und ich hatte den Eindurck, als würden wir der Lösung einen Schritt weiterkommen…!“, sagte er leise. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen. Er gab sich wirklich Mühe, mir zuhelfen. Doch dann sagte ich mir, dass es besser wäre, sich weiterhin in schweigen zu hüllen. Daher schwieg ich. Doktor Rayne schien zu überlegen. Dann, es kam mir vor, wie ewig, sagte er:„ Vielleicht hilft es ja, wenn du in eine Gruppentherapie gehst. Wenn du mit anderen zusammen bist, die auch…wie du sind, dann wirst du es leichter haben, dich zuöffnen!“, sagte er und schrieb etwas auf einen Zettel. Ich wollte schon sagen, dass ich nicht wie sie bin, dass ich anders war. Hielt aber meinen Mund.

„Wenn Sie meinen, dass es was hilft!“, murmelte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Erik lachte sich halbtot, als ich ihm erzählte, dass ich Sam mit einer Bratpfanne attackiert habe. Es war schon spät und ich war müde. Daher hatte ich auch miese Laune. „Ich weiss, nicht was daran so lustig ist?“, murrte ich. Erik gluckste und versuchte aufzuhören, zu lachen, doch das gelang ihm kaum. „Nunja, ich dachte, du würdest etwas Richtiges, Ernstzunehmendes, als Waffe entstehen lassen. Aber keine Bratpfanne. Mich wundert es, dass sich dieses Biest nicht kaputtgelacht hat, als du es angegriffen hast!“, sagte er im gespielten Ernst, presste aber die Lippen zusammen, um nicht wieder loszulachen. Ich überhörte das. „Ich hätte auch lieber etwas anderes gehabt, glaub mir!“, murrte ich und setzte mich aufs Bett. „Wie ist das eigentlich mit deinem Bein passiert?“, wechselte er das Thema, wofür ich ihm dankbar war und seufzte. „Sami hat mich erwischt, als ich nach Lucie aus diesem Alptraum entkommen wollte!“, erklärte ich lahm. Außer Fay, Lex und nun auch Erik wusste keiner die Wahrheit. Erik besah sich eine Weile den Verband. „Das hätte böse ausgehen können!“, sagte er. „Was du nicht sagst!“, grummelte ich und schlug die Decke beiseite. Gähnte laut. Ich wusste selbst, dass ich nur knapp davongekommen. Das musste mir keiner sagen. „Naja, dabei habe ich noch etwas anderes vor mir, was sicherlich noch gefährlicher sein könnte!“

„So? Was denn?“, fragte er ehrlich verblüfft. „Ich muss in das Büro des Arztes einbrechen, der mich therapiert, um etwas über Sami herauszufinden!“, erwiederte ich und merkte, wie ich immer müder wurde. Erik hob die Brauen, als wollte er nicht glauben, was ich da sagte. „Einbrechen? Kannst du das denn?“, fragte er und zu seinem Glück war ich viel zu müde, um ihm deswegen eine zuknallen. Natürlich kann ich das nicht. Ich bin noch nie irgendwo eingebrochen und ich traute es mir auch nicht zu. Aber naja…ich hatte zugestimmt, also würde ich es machen…müssen. „Frag mich was leichteres!“, murrmelte ich und legte mich ins Bett. Kaum dass ich lag, fielen mir auch schon die Augen zu.
 

Am nächsten Tag sollte ich schon in die Gruppentherapie gehen. Ich fragte mich, mit welchen Leuten ich mich wohl zusammen setzen und über mein Problem aussprechen würde. Ich hoffte irgendwie, dass Lucie dabei sein würde. Immerhin ein bekanntes Gesicht. Auch wenn sie mich am Anfang etwas genervt hatte. Denn dann wäre ich nicht ganz so allein.

Eine Schwester holte mich ab und führte mich in inen separaten Raum, wo schon eine Gruppe von Jugendlichen und auch älteren Leuten saß und mich neugierig anschaute. Eine etwas rundliche Frau, mit dicker Hornbrille und grossmütterlicher Kleidung schaute mich erwartend an. „Ahhh, Alice. Schön dich hier zusehen. Setz dich doch. Wir warten nur auf dich!“, sagte sie und deutete auf den einzig leeren Stuhl. Ich sagte nichts, sondern setzte mich einfach. „Liebe Freunde, bitte begrüßt mit mir Alice!“, sagte die Frau und die anderen sagte wie in einem Chor:„ Hallo, Alice!“

Okay, was war das hier für eine Gruppe?

Wohin hatte mich Doktor Rayne nur hineingesteckt. Ich kam mir vor wie bei den anonymen Alkoholikern. Ich hob nur die Hand und lächelte verkrampft. „Alice ist heute bei uns, weil sie ein Problem hat, über das sie gerne reden möchte!“, sagte sie und schaute mich erwartend an. Nein, will ich nicht, dachte ich. „Welches Problem hast du denn?“, fragte eine spindeldürre Frau, die viel zugrell geschminkt war. „Ich…ich habe Alpträume!“, sagte ich. „Was sind das für Alpträume?“, hakte nun ein Junge nach, der ziemlich abgezerrt aussah. Ich sah ihn flüchtig an und sah die dunklen Einstiche in seiner Armbeuge. Junky, schoss es mir durch den Kopf. „Alpträume eben!“, erklärte ich. Ich schaute mir nun die anderen an und schrack zusammen. Da saß sie. Nur zwei Sitze weiter und sah mich mit finsteren Augen an. Das Mädchen, das mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Und wieder war ihr Blick bohrend. Kaum das sich unsere Blicke trafen, sah ich, wie sie ihre Hände ballten, sodass die Knöchel weisshervorstachen. Aber da gab es noch etwas, was mir an ihr auffiel. Auf der linken Seite ihres Gesichts war ein dunkler, blauer Fleck. An der Stelle, wo ich Sam mit der Schaufel getroffen hatte. Der Verdacht, dass sie Sam sein konnte, wurde immer härter. Ich musste schlucken, als sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete. „Nichts…Besonderes!“, sagte ich mechanisch und konnte nicht den Blick nicht von ihr lassen. Wir starrten uns an, als wären wir die einzigen hier in diesem Raum. Ihr Blick, so voller Hass. Mein Hals war wie ausgetrocknet. Plötzlich erwachte mir etwas, was mich dazu anheizte, das Armband zu aktevieren und eine Waffe zuerschaffen, die ich ihr in den Kopf schlagen konnte. Es war wie eine schwarze, kochendheisse Flamme, die sich durch mich hindurch frass. Mein Blut kochen ließ. In meinem Kopf drehte sich alles. Und ich hörte ein Wort:„ Töte!“

Ich spürte, wie das Armband zuglühen begann. Und so gern ich diesem Wort, diesem Drang nachgegeben hätte, ich tat es nicht. Tief atmete ich ein und zwang die Stimme, ruhig zu sein. Jedoch konnte ich nicht den Blick von ihr lassen und ich fragte mich, wie schnell ich sein musste, um ihr beim nächsten Mal den Kopf abzuschlagen.
 

Als die Gruppentherapie vorbei war, ging ich den Speisesaal und holte mir eine doppelte Portion des heutigen Hackbratens, der heute ausgegeben wurde. Lucie wartete schon auf mich. Sie hatte sich schon einen Stuhl geschnappt und sich an den Tisch gesetzt, wo ich auch saß. Fast schon wollte ich darüber lächeln. Da ich ihr Leben gerettet hatte, war wie wohl der Meinung, wir wären nun die dicksten Freunde und auch wenn es verrückt klang. Ich hatte sie schon etwas gern. Sie erinnerte mich an Marie. Bei der Erinnerung an sie wurde mir kurz flau im Magen und ich zwang mich, nicht mehr länger darüber nachzudenken. Ich hatte genug Probleme. „Hallo, Lucie. Na, alles okay soweit?“, fragte ich so locker ich konnte und setzte mich neben sie. Lucies Miene hellte sich auf. „Ja und bei dir?“

„Naja, geht so!“, sagte ich und ließ mich neben sie auf den Stuhl sinken. „Ich war heute in der Gruppentherapie!“

„Ohh, dann musst du echt ein harter Fall sein!“, sagte sie. Ich runzelte die Stirn. „Wieso das denn?“, fragte ich, weil ich ehrlich neugierig war. „Nunja…in die Gruppentherapie kommen nur die, die nicht so einfach zu knacken sind!“, erklärte Lucie und schaute sich dabei mit einem nervösen Blick um. Ich ahnte schon, warum sie so nervös war. „Gehört dieses bleiche Mädchen auch dazu? Dass dir auf den Kopf gehauen hatte, meine ich?“, flüsterte ich und beugte mich nahe an sie heran. Lucie nickte. „Ja, Felicitas!“, raunte sie und schaute sich nocheinmal um. „Warum ist sie hier?“, fragte ich. Begierig zuwissen, was sie hierher verschlagen hatte. Lucie aber hob nur die Schultern. „Das weiss niemand. Sie redet nich darüber, aber was es auch ist: Es muss schrecklich gewesen sein!“
 

Am Abend saß ich auf meinem Bett und grübbelte über das, was mir Lucie erzählt hatte. Felicitas war also ihr Name. Eigentlich ein hübscher Name, nur passte er nicht zu ihr. Und dass sie etwas Schreckliches erlebt haben musste, über das sie nicht sprechen wollte und was sie hierher gebracht hatte, ließ mich noch mehr wissen wollen, was es war. Da fiel mir wieder ein, dass ich einen nächtlichen Einbruch vor mir hatte und dass ich dabei auch mal einen Blick in ihre Akte werfen könnte. Vielleicht würde ich so etwas herausfinden, womit ich die beiden in Verbindung bringen konnte.

Es war schon spät, als ich mich ins Bett legte. Komischerweise besuchte Erik mich an diesem Abend nicht, worüber ich ehrlich gesagt froh war. Ich war viel zu aufgekratzt, als dass ich einen überrschenden Besuch, bei dem ich wieder zusammenzuckte und eine Unterhaltung, bis spät in die Nacht, ertragen konnte. Ich machte mir im Kopf einen Plan, wie und wann ich meinen kleinen Einbruch starten sollte und schaute starr an die Decke. Ich fragte mich, wie lange ich schon hier war. Es fühlte sich an wie Monate, wobei ich nur Wochen hierwar. Aber die Zeit zog sich dahin wie Kaugummi und ich fragte mich, wielange es noch dauern würde. Mein Blick schweifte zu dem Fenster, hinter dem die letzten schwachen Sonnenstrahlen in mein Zimmer schienen und in ein dunkles Blau übergingen. Ich schaute noch eine Weile zu, solange bis es dunkel war und schloss dann die Augen.
 

Ich wusste nicht, ob, und wielange ich geschlafen hatte, als ich die Augen aufschlug. Ein grässliches Geräusch ließ mich hochfahren und erstarren. Ich kannte dieses Geräusch. Es klang wie Metall, das über etwas glattem, ebenso metallischen, gezogen wurde. Klingen, schoss es mir durch den Kopf und blieb wie vom Blitz getroffen aufrecht im Bett sitzen. Lauschte dem Geräusch, das mir eisige Schauer über den Rücken laufen ließ. Verdammt!

Das konnte nur Sam sein!

Träumte ich etwa wieder?

Um ganz sicher zusein, kniff ich mir in die Hand. Aua!

Nein, ich träumte nicht, dachte ich und war für einen kurzen Moment froh darüber. Froh darüber, dass ich mich nicht wieder in einem schrecklichen Alptraum fand. Aber dies hielt nicht lange an, da ich mich nun fragte, woher dieses grässliche Geräusch kam. Wenn ich nicht wachwar, konnte sie es unmöglich sein. Oder etwa doch?

Es gab nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden. Und diese gefiel mir überhaupt nicht. Etwas in mir flehte mich an, im Bett sitzen zu bleiben. Mich wieder hinzulegen und die Bettdecke über meinen Kopf zuziehen. Mich taub gegenüber dem Geräusch zumachen. Und ich wollte diesem Flehen nachgehen. Aber da war noch etwas. Ein innerer Impuls, der mich zwang, aus dem Bett zu steigen, die Tür zu öffnen und auf den Flur zutreten. Dieser Drang übertönte das Flehen und übernahm die Kontrolle über mich. Mit langsam, beinahe schon mechanischen Schritten, ging ich zur Tür, drückte die Klinke hinunter und lugte aus dem Türspalt. Der Korridor war leer, dennoch hörte ich das Geräusch, als würde neben mir jemand stehen und auf das Metall kratzen. Suchend ging mein Blick hinundher. Keine Spur von Sam oder irgendeinem anderen durchgedrehten Patienten. Doch statt die Tür wieder zuschließen und mich ins Bett zulegen, verließ ich mein Zimmer und folgte dem Geräusch. Als würde es mich leiten. Dabei hallte es aus allen Richtungen und unmöglich richtig zudeuten. Aber ich konnte es. Und ich fragte mich auch nicht warum. Es war, als würde etwas in mir, eine zarte Saite darauf reagieren und die Führung in meinen Handlungen übernehmen.

Zu meinem zusätzlichen Erstaunen waren meine Schritte ruhig und mein Atem beherrscht, als hätte ich keine Angst. Dabei wäre ich beinahe vor Angst umgefallen. Mit jedem Schritt den ich machte, wurde das Kratzen lauter, dass mir fast die Ohren wehtaten und ich versuchte mir nicht vorzustellen, was mich um jede Ecke, die ich ging, erwarten würde. Da, ich bemerkte es nur nebenbei, wurde mir bewusst, dass ich den Gang lief, in dem das Bild hing. Das Bild, welches sich in ein brennendes Inferno verwandelt hatte. Nun verkrampfte sich mein Herz in ängstlicher Erwartung und ich blieb stehen. Das alles konnte kein Zufall sein. Und der Drang, mich umzudrehen, in mein Zimmer zurückzugehen, wurde größer. Größer noch als der Drang, der mich auf den Flur gezogen hatte. Minuten lang blieb ich stehen, hörte dem Kratzen zu, dass mich lockte und zugleich warnte, näher zu kommen. Dann aber, gegen jede Vernunft, ging ich weiter. Auf das Kratzen zu und als ich um die letzte Ecke bog, fuhr mir der Schrecken in alle Glieder, trotz das ich wusste, was mich dort erwarten würde.

Da stand sie. Samantha!

Dem Bild zugewandt und schien mich nicht zu beachten. Mit wildem Zorn kratzte sie mit ihren Fingernägeln über das Glas. Schrieb etwas darauf und wurde dabei immer rasender. Ihre Augen sprühten vor Hass. Das konnte ich von hier aus schon sehen. Ihre Haltung hatte insgesamt etwas agressives, was jemanden Warnung genug sein sollte. Ich spürte, wie mir kalt wurde und schlang die Arme um meinen Oberkörper. Ich fragte mich, wie jemand so voller Hass sein konnte, dass er zu so etwas wurde. Und was vorgefallen sein konnte. Ich sah das Bild der alten Zeitung, vor mir. Das Bild eines jungen Mädchens, das auf eine traurige Weise lächelte und doch das Leben geliebt hatte. Was war nur aus ihre geworden und warum?

Als hätte sie meine Gedanken gehört, hielt Sam mitten in der Bewegung inne und ihr Kopf ruckte mit einem widerlichen Knacken herum. Drehte sich um hundertachtziggrad, als wäre ihr Genick aus Gummi. Mir wurde übel und ich wich zurück. Wir sahen uns an und mich packte eine Kälte, die alles in mir lähmte. Automatisch wanderte meine Hand zu dem Armband, wollte es aktevieren, eine Waffe daraus entstehen lassen. Doch es blieb kalt. Wiedermal wurde meine Hoffnung, dass dies ein Traum sei, zunichte gemacht und ich fühlte mich so hilflos, wie ein kleines Kind. Shite!

„Was…was willst du?“, brachte ich stockend hervor und meine Stimme klang, als wäre sie schwach und brüchig, wie morsches Holz. Sam sah mich nur an. Ihr restlicher Körper folgte ihrem Kopf. Drehte sich langsam und mit einem knackenden Geräusch, das mich an eine kaputte Spieluhr erinnerte, herum, sodass sie wieder normal dastand. Dann zeichnete sich ein grausames Lächeln auf ihrem hageren Gesicht, was mich noch mehr frösteln ließ. „Was willst du?“, fragte, diesesmal mit etwas festerer Stimme. Wie zur Antwort, öffnete sie den Mund und stiess einen entsetzlich schrillen Schrei aus. Ich presste mir die Hände auf die Ohren, dennoch war es viel zu laut. Ich schloss die Augen und spürte, wie mich ihr Schrei zittern ließ. Es dauerte ewig, ehe ihr Schrei verklung und ich die Augen wieder öffnete.

Sam war weg!

Nur das was sie auf das Glas des Bildes geschrieben hatte, zeugte davon, dass sie hier war. Mit langsamen, weichen Knien ging ich hin und las die ins Glas gekratzten Worte:„ Brennen sollt Ihr!“
 

„Das klingt alles andere als gut!“, sagte Fay. Ich hatte am nächsten Tag bei ihnen angerufen und sie gebeten sofort zukommen. Nun saßen Lex und Fay in meinem Zimmer und ich hatte ihnen alle erzählt. „Das kannst du laut sagen. Als ich das sah, dachte ich, ich würde totumfallen!“, murmelte ich. „ Meinst du, dieses Ding will, dass sich der Brand von damals wiederholt?“

Kurz herrschte Schweigen, dann sagte Fay mit unheilverkündender Gewissheit:„ Möglich ist es! Warum sollte sie sonst so eine Nachricht hinterlassen!“

„Aber warum? Was hat sie davon?“, platzte es aus mir heraus, weil ich es nicht verstehen konnte. Fays Gesicht legte sich in tiefe Falten. Sie schien selber ratlos darüber zusein. Sie schaute Lex an, der die Schultern hob. Er schien auch nichts zuwissen.

„Am besten rufe ich mal Dad an. Er kennt sich mit sowas besser aus, als wir beide!“, sagte sie nach einer Weile des Überlegens und holte ihr Handy raus. Tippte die Nummer ein und legte es an ihr Ohr. Es dauerte eine Weile, ehe ihr Vater ranging und sie ihm dann die Sache erklärte. Daraufhin schien Brian etwas gesagt zu haben, denn sie nickte und hielt mir das Handy hin. „Hier, er möchte mit dir reden!“, sagte sie. Kurz zögerte ich, doch dann nahm ich das Handy. „Ja, Brian?“, fragte ich vorsichtig in das Handy und Brian vergeudete keine Zeit. „Die Botschaft war wirklich, dass sie alle brennen sollen?“, hakte er nochmals nach. Brians Tonfall ließ mich versteifen. So wie er das sagte, klang es noch drohender, als es eigentlich schon war. Als würde er etwas wissen. „J-Ja. Es stand dort deutlich auf dem Bild!“, sagte ich und merkte, wie mein Hals trocken wurde. „Dann ist es mehr als nur eine Drohung. Es ist eine Warnung!“, sagte er sachlich. Ich fragte mich, wie er dabei so ruhig sein konnte?

„Aber warum?“, brachte ich würgend hervor. Meine Hand, die das Handy hielt begann zu zittern. Ich spürte, wie ich langsam Angst bekam. „Manche Geister, die durch einen gewaltsamen Tod diese Welt verlassen haben, sind entweder verzweifelt oder traurig. Manche wissen es nicht einmal. Aber eines haben sie gemeinsam: Aus einem dieser drei Gründen, entsteht eine Wut, die alles vernichtet und auch keine Grenzen kennt!“, fuhr er und seine Stimme klang mehr und mehr unheilvoll. „Nicht mal den Tod!“, sagte er. „Sie wird erst aufhören, wenn sie ihre Rache bekommt!“

„Kann man sie denn nicht aufhalten?“

„Das ist schwer. Da sie verbrannt ist, gibt es keine Überreste, die man verbrennen kann, um sie zuerlösen!“

Mir wurde übel, als ich das hörte und sagte erstmal nichts. „Außer!“, kam es wieder von Brian und riss mich damit aus meiner Benommenheit, die, für meinen Geschmack, ewig gedauert hatte und ließ mich neue Hoffnung schöpfen. „Außer?“, fragte ich nach und wollte Brian anschreien, mich nicht so sehr auf die Folter zu spannen. „Außer du hörst ihr zu!“

Hä? Ihr zuhören?

Was sollte das denn jetzt wieder heissen?

„Ähm, wie soll das bitteschön gehen. Ohne taub zuwerden?“, fragte ich und musste mich schaudernd daran erinnern, wie ihr Schrei mir in den Ohren wehgetan hatte. Brian schien meine frage nicht wirklich gehört zu haben, denn er sagte, wieder mit diesem sachlichem Ton:„ Einige Geister wollen nichts Böses. Es ist ihr Schmerz, der sie dazutreibt. Aber sie wollen auch erhört werden. Wenn du ihr zuhörst, kannst du vielleicht so herausfinden, was du tun musst, um ihr zuhelfen!“

„Das ergibt doch keinen Sinn. Wieso wollte sie erlöst werden. Ich habe es doch gesehen. Sie liebt es zu töten. Was spricht dafür, dass sie wirklich ihren Frieden hat, wenn ich ihr zuhöre?“, sagte ich, weil es mir einfach nicht in den Kopf wollte. „Du solltest nicht immer alles glauben, was du siehst!“, sagte er in einem seltsamen Ton, der mich beinahe an Trauer erinnerte. Doch diese verflog schnell. „Wir werden der Sache nachgehen und herausfinden, wann genau der Brand war!“

Dann legte er auf.
 

Natürlich war die Botschaft auf dem Bild für jeden anderen gut sichtbar und sorgte für Trubel in der Klinik. Einige sprachen von einem Terroranschlag, andere wieder von einem bösen Scherz. Dies kam von den Angestellten, die ihre liebe Mühe hatten, die aufgebrachten Patienten zu beruhigen. In der Gruppentherapie war dies leider nicht soleicht, weil einige sicher waren, dass einer von ihnen dahinter steckte. Verstohlen sahen sie sich einander an und ich konnte deutlich in ihren Blicken die Angst und das Wissen sehen. Ich versuchte locker zublieben, so gut es ging und setzte mich auf meinen Stuhl. Die Sitzung begann und jeder trug seine Geschichte und Probleme vor, wie auch am Vortag. Es war wie eine Endlosschleife, die sich immer und immerwiederholte. Auch ich erzählte, was ich gestern schon erzählt hatte und diesesmal mit mehr Langweile, als gestern. Da ich unruhig war und das alles für sinnlos hielt. Diese Leute hier in diesem Raum würden mich auch nicht dazubringen, zusagen, was man hören wollte. Es ging niemanden etwas an. Ich schaute dabei jeden einzelnen an und einige schauten zu Boden. Als würden sie sich fürchten, mich anzusehen. Dabei war ich das kleinere Übel. Mein Blick auf Felicitas haften. Und ich musste daran denken, was ich gestern auf dem Flur erlebt hatte. Sie sahen sich ähnlich. So ähnlich.

Und dass ich gestern nicht geträumt hatte, ließ mich noch nachdenklicher werden.

Wie konnte sie da real gewesen sein?

Das war doch alles nicht logisch. Aber vermutlich blieb hier die Logik auf der Strecke und Brian hatte recht, was Geister, die Rache wollten und die Grenzen zwischen Leben und Tod anging. Man, wenn das so weiterging, würde ich noch eine Menge lernen müssen, was das Übernatürliche anging. Und ich hasste es zulernen.

Während ich sie so anschaute und nachdachte, schien Felicitas ganz woanders mit ihren Gedanken zu sein, sodass sie mich nicht beachtete und ich fragte mich, was in ihrem Kopf vorging. Gedankenlesen müsste man jetzt, dachte ich.

Du kannst es in ihren Augen sehen, flüstert eine Stimme und ich zuckte zusammen. Die rundliche Frau bermekte dies natürlich. „Stimmt, was nicht Alice?“, fragte sie. Ich brauchte eine Weile, bis ich reagieren konnte. Ich griff mir theatralisch an die Brust. „Ja, alles gut. Ich…ich hatte nur einen…ähm…ich dachte, ich hätte etwas gehört!“, murmelte ich und versuchte es runterzuspielen. Die Frau sah mich einen Moment noch an, dann schien sie sich nichts weiter dabei zu denken und fuhr fort, irgendwas zu faseln. Ich sah zu den anderen, die sich ebenso von mir abgewandt hatten und ihr zuhörten. Alle bis auf eine. Felicitas!

Nun schien sie mich bemerkt zu haben und der Hass in ihren Augen stand mit dem von Sam nichts nach. Deutlich schienen ihre Augen zusagen:„ Du kannst mich nicht aufhalten!“

Fast schon wollte ich sagen, dass ich es kann. Doch verkniff es mir. So sah ich sie nur an. Das ging die ganze Sitzung so, bis diese fertig war und ich aufstehen konnte. Ich musste dabei feststellen, dass mich die Gruppentherapie heute etwas geschlaucht hatte und ich den Wunsch hatte, in mein Bett zukommen. Bevor ich aber den Raum verlassen konnte, packte mich eine Hand und riss mich zur Seite. Ich wollte aufschreien, mich losreisen und fragen, was das sollte, ich als in Felicitas Gesicht schaute, das mich wieder voller Hass anschaute. „Hör auf mich anzustarren!“, fauchte sie und verstärkte den Druch um meinen Arm. „Was meinst du damit?“, fragte ich leise und versuchte ebenso zu fauchen, was mir aber gründlich misslang. „Stell dich nicht dumm. Ich weiss, dass du mich die ganze anstarrst!“

„Selbst wenn. Ist doch normal, dass man angestarrt wird, wenn man aussieht wie eine frische Leiche!“

Das hätte ich nicht sagen sollen, da Felicitas Blick noch bohrender wurde und ihr Griff ebenso brutaler. „Ich weiss, der du bist. Du gehörst nicht hierher. Verschwinde, solange du noch kannst!“

Da versagte mir die Stimme und die Worte, die ich sagen wollte, entglitten mir. Minutenlang sah ich sie an. Wusste sie das wirklich oder sagte sie mir das nur, weil sie mir Angst machen wollte?

Ich wusste es nicht und ich wollte es auch nicht. Aber ich wollte auch nicht, dass sie sah, dass sie Macht über mich hatte. Also riss ich mich von ihr los und sah sie wütend an. Legte all meinen Zorn in meine nächsten Worte. „Auch wenn du mir drohst. Ich bleibe. Glaub ja nicht, dass ich Angst vor dir habe, Feli. Ich werde dich aufhalten. Egal, was du auch vorhast!“, sagte ich und ging, ohne auch nur auf eine Antwort von ihr zuwarten. Dennoch spürte ich ihre Blicke im Rücken und hoffte nun, dass ich meine Worte nicht bereuen würde.
 

„Das war sehr riskant, dass du das gesagt hast!“, sagte Erik mit sichtlicher Sorge. „Ich weiss, aber was sollte ich denn sonst sagen. Dieses Miststück hat mich proveziert. Wenn sie wirklich diese Sam ist, dann…!“, wollte ich weitersprechen hielt aber inne, als mir bewusst wurde, was er damit meinte und ich verzog bitter das Gesicht. „Ich habe sie gewarnt und sicherlich wird sie das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie wird jetzt aufpassen, wie sonst was!“, sagte ich. „Oh man. Warum konnte ich meine Klappe nicht halten?“

Ich ließ mich aufs Bett sinken und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Ich sollte wirklich aufpassen, was ich sage. Ich hörte Erik leise lachen und schaute auf. „Was ist denn so komisch?“

„Nichts, nichts!“, sagte er und winkte ab. „Es gibt nur jemanden, der manchmal genauso mit dem Kopf durch die Wand gegangen ist, bevor er nachgedacht hat!“, sagte er mit einem Grinsen. „Und sich mächtig dicke Beulen eingehandelt hat!“

„Achja, und wer?“, bohrte ich weiter, weil ich neugierig geworden war. Aber Erik schwieg beharrlich. „Nicht so wichtig!“, sagte er mit einem leisen Lächeln, wurde dann aber wieder ernst. „Was wichtig ist, ist, dass du auf der Hut bist und dieses Ding nicht an dich heran lässt!“

„Ich werde es versuchen!“
 

Ich ging weiterhin in die Gruppentherapie und egal wie sehr es die Frau, die die Gruppe leitete, versuchte. Sie schaffte es nicht mich zum reden zubringen. Natürlich hatte sie es Doktor Rayne gesteckt und irgendwann musste ich nicht mehr dahin. Ich war frog darüber. Aber wenn ich gewusst hätte, was kommen würde, wäre ich noch weiterhin dahingegangen. „Allison, ich bin langsam mit meinem Latein am Ende. Die Gruppentherapie sollte dir helfen, dich zuöffnen!“, sagte er, als ich Platz genommen hatte und wirkte dabei enttäuscht. Ich sagte erstmal nichts, sondern schaute einfach nur ins Leere. „Ich hätte es Ihnen ja gleich sagen können!“, sagte ich dann. Doctor Rayne sagte erstmal nichts, sondern sah mich mit einem Blick an, der deutlich zeigte, dass er nicht weiterwusste. Irgendwie tat er mir leid. Er machte auch nur seinen Job. Dennoch wollte ich mein Geheimniss nicht preisgeben. Doktor Rayne seufzte. „Nun gut. Ein anderes Thema. Ich möchte mich mit dir über deinen Freund unterhalten!“, sagte Dr. Rayne wobei ich erstmal nicht verstand, was er meinte. „Meinen Freund? Ich habe keinen Freund!“

„Wirklich?“, fragte er nach und hob die Brauen. „Die Schwester sagte etwas anderes, die letzte Nacht Dienst hatte!“

Ein kurzes Gefühl der Kälte erfüllte meinen Magen und ich musste ausgesehen haben, wie jemand, den man bei einem Verbrechen erwischt hatte. Doch ich versuchte ruhig zubleiben. „Es war niemand in meinem Zimmer. Ich war allein!“

„Ich spreche auch nicht von einem Freund aus Fleisch und Blut. Sondern von einem imaginären Freund!“

„Sie meinen soetwas, wie ein unsichtbaren Freund, den kleine Kinder haben?“, fragte ich und Dr. Rayne nickte. Normalerweise hätte ich darüber gelacht, aber dass man mitbekommen hatte, dass ich mich mit ihm unterhalten hatte, gefiel mir nicht. Ich rutschte nervös auf der Couch hinundher. „Hast du denn so einen?“, fragte er nach. „Selbst wenn, ist das so ungewöhnlich?“

„Eigentlich nicht. Nur wundert es mich, dass so einen hast. Immerhin bist du doch eine erwachsene junge Frau!“, sagte er und diese Gespräch ging in eine Richtung, die ich zugern vermieden hätte. „Kann es sein, dass du diesen unsichtbaren Freund hast, weil du dich einsam fühlst?“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Nunja, wegen deinen Alpträumen und das etwas schlimmes geschehen sein musste, dass diese heruvorruft, lässt mich soetwas vermuten. Hast du dich denn jemals jemanden anvertraut?“

Jetzt nur keinen Fehler machen, ging es mir durch den Kopf. „Ja, meinem Vater!“, sagte ich, da es ja auch die Wahrheit war. Ich war nie allein mit meinen Sorgen. Aber dennoch fühlte ich, dass das mir aufeinmal nicht gereicht hatte. Dass ich mehr brauchte, als nur darüber zureden. „Und dennoch unterhälst du dich mit jemanden, der nicht da ist!“, murmelte Dr. Rayne. Ich hob nur die Schultern. „Hat denn dein Freund einen Namen?“

„Nein, weil ich keinen unsichtbaren Freund habe!“

Doktor Rayne seufzte schwer und massierte sich die Nasenwurzel. „Allison, so kommen wir nicht weiter. Ich versuche wirklich dir zuhelfen. Aber das kann ich nur, wenn du ein wenig offener wirst!“, sagte er.

„Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt. Was wollen Sie denn noch von mir?“, fragte ich, weil ich einfach nicht weiter darüber reden wollte. „Ich will, dass du mir sagst, was Grund sein könnte, für diese Träume. Denn dann können wir gemeinsam vielleicht eine Lösung dafür finden. Oder willst du etwa diese Träume behalten?“

Nein natürlich nicht, wollte ich schon sagen. Ich wünschte mir wirklich, dass diese irgendwann ein Ende haben würden. Aber wenn ich zuviel sagte, verriet ich mich vielleicht. Erik hatte mich ja gewarnt. Ich befand mich also in eine Zwickmühle.

Mist, was mache ich bloß?

„Glaub mir. Auch wenn es dir wehtut, du musst es mir erzählen. Nur so kann es ein Ende nehmen!“, sagte er und etwas in mir sträubte sich, ihm das zuglauben. Ich müsste es eigentlich auch besser wissen. Nichts und niemand kann mir helfen, diese Träume loszuwerden. Nicht mal Sie!

„Nein, dass wird es nicht. Das kann es nicht!“, flüsterte ich und schloss die Augen. „Woher willst du es wissen, wenn du es nicht versuchst?“, fragte Doktor Rayne eindringlich. „Allison, denk doch mal nach. Je mehr du dich verschliesst, desto schwerer wird es, für dich, diese Träume loszuwerden!“

Ich sagte dazu nichts. Versuchte meinen aufkochenden Frust nicht nach draußen kommen zulassen. Ich weiss selber, dass ich nicht ewig darüber schweigen konnte. Aber ich wollte es einfach nicht, weil es zusehr schmerzte, mich daran zuerinnern.

„Kann es sein, dass dein unsichtbarer Freund dich dazu brachte, dir diese Wunden zuzufügen?“, fragte er plötzlich und in dem Moment schien in mir etwas zu explodieren und die nächsten Worte flogen mir nur so aus dem Mund. „Nein, war er nicht, weil es ihn nicht gibt!“, schrie ich wütend, holte einmal tief Luft und rief einige Töne viel zuschrill:„ Sie wollen wissen, warum ich diese Träume habe? Ich werde es Ihnen sagen: Meine Mutter hat sich vor meinen eigenen Augen umgebracht. Hat sich ein Messer immer wieder in die Brust gestossen und ist elendig verblutet. Ich musste es mir mitansehen. Ich, ein kleines Mädchen. Sie ließ mich allein. Ließ mich mit diesen schrecklichen Träumen zurück!“

Doktor Raynes Augen wurden groß, als ich ihm das entgegen schleuderte und ich selber verstand nicht, was in mir gefahren war. Eigentlich wäre ich niemals so ausgerastet, aber etwas in mir hatte sich durch seine Worte einfach bedrängt und genervt gefühlt und dass wollte es deutlich zeigen. Zu meinem eigenen Entsetzung und Verwirrung merkte ich, wie ich zitterte und nach Luft schnappte. Zittrig versuchte ich ruhig zu atmen und mich zu beruhigen. Zwischen mir und Doktor Rayne machte sich nun eine beklemmende Stille breit und ich fühlte, wie mein Mund trocken wurde. Doktor Rayne sah mich immernoch an, wie als wenn ich ein Geist wäre, dann schaute er in seine Unterlagen. „Das…das ist wirklich schrecklich. Das habe ich nicht gewusst!“, stammelte er. Ich schnaubte. „Woher denn auch?“

Ich legte mich zurück auf die Couch und starrte zur Decke hoch. „Nun…zumindest wissen wir jetzt, wo wir suchen müssen!“, sagte er und klang nun nicht mehr ganz so eingeschüchtert.

Wo wir suchen müssen!

Sofort musste ich mich wieder daran erinnern, dass ich eine Aufgabe hatte. Nämlich in das Büro meines Doktors einbrechen, um nach eine Akte zusuchen. Fast schon könnte man darüber lachen. Wir beide waren auf der Suche.

Während er nun nach der Ursache für meine Träume suchen wollte, würde ich nach einer Akte suchen. Hoffentlich würde einer von uns dabei Erfolg haben und ich ahnte irgendwie, dass es nicht er war.

Bei dem Gedanken, hier einzubrechen, während alle schliefen, wurde mir fast übel. Und ich fragte mich erneut, wie ich das anfangen sollte.
 

Es war schon spät, als ich mich aus meinem Zimmer schlich und auf den klangen Korridor trat. Es war ruhig auf dem Gang und auch in den Zimmern. Zu ruhig. Ich konnte die Stille förnlich greifen, so präsent war sie. Die Beleuchtung war bis auf ein schwaches Licht hinuntergeschaltet und verlieh dem ganzen eine unheimliche Atmosphäre. Die Wände waren nun nicht mehr weiss, sondern hatten ein ungesundes Grün und die Türen, die eigentlich am Tag völlig harmlos aussahen, schienen nun aus Stahl und unüberwindbar zusein. Da ich die einzige zu so später Stunde und allein auf dem Flur war, und vorallem aber nicht erwicht werden wollte, versuchte ich leise zusein. Das Auftreten meiner nackten Füsse aber verursachte einen, für mich, viel zulauten Laut und ich zuckte jedesmal zusammen, wenn ich zufest und zulaut auftrat. Blieb dann wie angewurzelt stehen und schaute mich vorsichtig um. Zum Glück jedoch, kam keiner aus den Zimmern links und rechts von mir, oder eine der Nachschicht schiebenden Schwestern. Die Anspannung und meine Konzentration, keinen Mucks von mir zugeben, wuchs ins unerträgliche und ich musste mich schließlich zwingen weiterzugehen, um nicht einfach stehenzubleiben. Nie hätte ich gedacht, dass es so schwer und schlimm werden würde, hier herumzuschleichen. Im Film sah das immer so leicht aus.

Ach, verflucht nochmal. Warum konnte ich einfach nicht sagen, dass ich dafür viel zu dumm wäre. Fay oder Lex hätten keine Probleme. Von der Geschickheit ganz zuschweigen. Ich war dabei so sehr in meine Gedankenvertieft, dass ich zuerst nicht das rote Lämpchen bemerkte. Sondern erst, als ich es summen hörte. Ich schaute hoch und machte einen Satz zur Seite.

Eine Überwachungskamera!

Shite, warum habe ich nicht daran gedacht?

Sicher war der ganze Gang mit diesen Dingern gespickt. Und sicherlich würde ich auf jeder Aufnahme zusehen sein. Ich fluchte erneut und drückte mich an die Wand. Wartete, bis sie sich wegdrehte, damit ich mich darunter vorbeischleichen konnte. Es schien ewig zudauern, bis sie sich auf die andere Seite zudrehen und ich ging weiter. Ließ dabei nicht die Kamera aus den Augen. Ich schlich weiter und bog um eine Ecke. Und war erleichtert. Die zweite Tür im Gang gehörte zu Doktor Raynes Büro und die nächste Kamera war erst an der nächsten Ecke. Also konnte ich mich weiterheran schleichen, ohne dass ich gefilmt werde. Als ich vor der Tür stand und das Extrasicherheitsschloss sah, schwand mir entgültig der Mut.

Na grossartig und was jetzt?

Ich griff mir die Klinke und drehte, rüttelte daran. Aber wie ich es schon gesehen hatte, war die Tür abgeschlossen. Natürlich, warum auch nicht. Immerhin hatte er wichtige Dinge in seinem Büro verstaut. Wieso sollte er es dann nicht abschließen?

„Was mache ich jetzt?“, seufzte ich. „Frag doch einfach mich!“, flüsterte eine Stimme und ich zuckte zusammen. Ich brauchte mich gar nicht umzudrehen, umzuwissen, dass Erik hinter mir stand. „Das nächste Mal verpasse ich dir eine!“, knurrte ich. Doch Erik überhörte meine Drohung und schob mich beiseite. „Lass mich mal!“, sagte er und zeigte mit dem Finger auf das Schloss. Gerade wollte ich fragen, wie er das machen wollte, da sah ich, wie ein schwarzer Schatten, so dünn wie ein Faden, sich aus seinem Finger löste und in das Schloss eindrang. Zuckte und schlängelte hinundher, bis es klickte. Der Schattenfaden zog sich zurück, verschwand wieder in Eriks Finger. Erik ergriff die Klinke, drehte sie und die Tür öffnete sich. Erik trat beiseite und hielt mir galant den Arm hin. „Nach Ihnen Gnädigste!“, sagte er. Ich verbiss mir ein Kommentar und ging hinein. Vermied es aber, das große Licht anzuschalten und machte nur die Schreibtischlampe an. Ihr diffuses Licht reichte gerademal aus, um den Schreitisch, die Aktenschränke und einen Teil des Wandschranks zusehen. Zwar war die Tür zu dem Büro fensterlos, aber ich hatte Angst, dass man den Lichtstreifen unter der Tür sehen würde und ich mich dadurch verriet.

Ich ging zu den Aktenschränken und stellte erleichtert fest, dass diese nicht verschlossen waren. Langsam zog ich die oberste Schublade auf und blätterte mich durch die Akten. Las jeden Namen sehr genau, doch die Akte von Samantha war nicht zusehen. Also schob ich die Schublade wieder zu und begann mit der nächsten. In der zweiten Schublade war auch nichts und ich schob sie mit einem frustrierten Seufzer zu. Okay, blieb nur noch die Dritte.

Ich blätterte und las hecktisch, die Namen auf den Akten und rechnete schon gar nichtmehr sie zufinden, doch da sprang mir ein Name entgegen, die mich triumphierend aufschrein würde. Schnell schlug ich mir die Hand vor dem Mund. Holte die Akte heraus, ging damit zum Schreibtisch und schlug sie auf. Das erste Blatt war ähnlich wie ein Steckbrief geschrieben und ein Foto war mit einer Büroklammer daran befestigt. Der Rest waren Dokumentationen über die Behandlung und deren Erfolge. Über die Symptome der Krankheit und deren Verlauf. Und das weckte mein Interesse. „Erik, ich glaube, ich habe hier was. Hör dir das an!“, sagte ich und begann laut vorzulesen. „Bei der Patientin wurde festgestellt, dass sie eine Neigung zum Schlafwandeln hat. Die Ursachen sind bisher unbekannt. Dennoch geht man davon aus, dass der Grund für diese Störung, etwas mit der Familie zutun haben muss. Genaueres kann man nicht sagen, da die Patientin sich verschliesst und auch nicht die Möglichkeit besteht, an sie heran zu kommen!“

Als ich die letzten Zeilen las, wurde mir eiskalt. Ich glaubte, ich würde meine eigene Akte lesen. Genau wie Samantha litt sie auch an etwas, was einen schrecklichen Vorfall entstanden war. Nur gab es zwischen mir und ihr einen kleinen, aber nicht zuignorierenden Unterschied. Ich morderte nicht, im Gegensatz zu ihr. Nur was war der Grund dafür?

Ich war so sehr dabei in die Akte und in meine fragenden Gedanken vertieft, dass ich nicht bemerkte, wie Erik mich anschaute. Erst als ich fühlte, wie seine Blicke mich förmlich durchbohrten, drehte ich den Kopf zu ihm und erschauderte bei dem Ausdruck, der in seinen Augen lag. Fast so als würde er etwas an oder in mir sehen, was ihm vertraut war oder erinnerte. Es machte mich irgendwie nervös, wie er mich so ansah. „Was?“, fragte ich versuchte meine Stimme ruhig klingen zulassen. Doch ich war nicht ruhig. Ich spürte, wie meine Hände zitterten und ich schaute schnell wieder weg. Dieser Blick, er machte mir Angst. „Nichts!“, sagte er matt, wie als wenn er schlafen würde. Und ich atmete erleichtert auf. Wollte mich wieder der Akte und meinen Fragen widmen. „Du siehst ihr nur so ähnlich!“

Ich zuckte zusammen, als hätte man mich geschlagen. Sah Erik an und er hatte immer noch diesen Blick. Meine Hände, die zu anfang gezittert hatten, verkrampften sich. „Red nicht so einen Blödsinn!“, sagte ich und richtete meine Aufmerksamkeit wieder der Akte zu. Was mir schwerfiel, den etwas in seinen Worten war die Wahrheit. Aber ich wollte nicht jetzt darüber nachdenken. Zu sehr früchtete ich mich davor. Erik ging darauf nicht weiter ein, wofür ich ihm dankbar war. Nachdem ich gesehen hatte, was ich sehen wollte, legte ich wieder alles in die Akte zurück und wollte diese in den Schrank zurück tun, als ich plötzlich hörte, wie Schritte draußen auf dem Flur zu hören waren. Ich blieb wie festgefroren stehen und schaute zur Tür, dessen Klinke sich langsam bewegte. Oh Fuck!

Hastig schaute ich mich um, suchte nach einem Versteck, doch außer dem Schreibtisch schien es nichts anderes zu geben. Also vergeudete ich keine Zeit und schlüpfte unter den Schreibtisch. Keine Sekunde zufrüh, denn schon öffnete sich die Tür und das Licht wurde eingeschaltet. „Das ist ja seltsam!“, hörte ich Doktor Rayne murmeln und seine Schritte, die näher kamen. Er war an den Schreibtisch getreten und hatte die Akte, die ich achtlos auf den Schreibtisch geworfen hatte, an sich genommen.

Durch das Schieben und Schaben von Metall, wusste ich, dass er sie wieder in den Schrank getan hatte. Dann ging er zu seinem Stuhl, zog ihn ein wenig heran und setzte sich darauf. Ich machte mich ganz klein, als seine Beine unter der Platte verschwanden und mich beinahe berührten. Natoll, da habe ich mir ein tolles Versteck ausgesucht.

Als Doktor Rayne noch näher rankam, drückte ich mich noch mehr gegen das harte Holz und versuchte mich so gut wie es ging nicht zurühren. Ich hielt sogar den Atem an. Als mir aber bereits schwarze Flecken vor den Augen tanzten, beschloss ich, weiter zu atmen. Allerdings flach und leise.

Doktor Rayne schien mich bisher nicht bemerkt zuhaben, denn er zog eine Schublade auf und holte etwas hervor. Ein Klicken und er begann zu sprechen. „Dreizehnter Juli.

Heute kann ich von einem halben Erfolg sprechen. Ich habe erfahren, dass sie damals als Kind mitansehen musste, wie ihre Mutter Selbstmord beging und dadurch diese Alpträume entstanden sein könnten. Ich werde versuchen noch weiter auf sie einzureden, um mehr zu erfahren. Was mich jedoch stutzig macht, ist dieser Erik. Sie bestreitet zwar, dass sie mit ihm spricht. Doch ich habe da so meine Zweifel. Ich werde dem weiternachgehen und versuchen, zu erfahren, was es mit diesem Erik auf sich hat!“

Ich versteifte mich sofort, als ich das hörte. Ich wusste sofort, dass er über mich sprach und wollte mir nicht ausmalen, wieoft er mich darauf ansprechen wollte. Und was er noch alles versuchen würde.

Doktor Rayne legte das Diktirgerät wieder weg und schrieb etwas. Ich hörte das Kratzen eines Stifts über dem Papier, tausendfach unter dem Schreibtisch. Solangsam wurde ich nervös. In dieser zusammgekauerten Stellung war es nicht leicht, ruhig zu bleiben. Mir tat der Hintern weh und ich fürchtete, ein steifes Genick zu bekommen. Das Atmen fiel mir schwer und ich hoffte, dass er bald gehen würde. Mein Hoffen wurde erhört, denn Doktor Rayne stand auf und verließ das Büro. Als das Licht aus und ich mir sicher war, dass er nicht nochmal rein kommen würde, kroch unter dem Schreibtisch hervor. Mein Rücken schmerzte entsetzlich und ich streckte mich. Gab ein gequältes Autsch von mir, als einige Knochen wieder an die Stellen zurück gerückt wurden, an denen sie gehörten. „Das war knapp!“, murmelte ich. „Wir sollten auch gehen!“, sagte er Erik, der wieder plötzlich neben mir stand. Ich nickte und schlich zur Tür. Öffnete sie genauso leise und Erik schloss sie ab. Auf dem Weg zu meinem Zimmer, sagten wir keinen Ton. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach. Eriks seltsame Blicke auf mir, seine Worte, dass ich ihr, meiner Mutter, sehr ähnlich sehe. Sie hatten mich mehr aufgewühlt, als ich zugeben wollte. Ich sollte es eigentlich gewöhnt sein, dass man mir sowas sagte. Aber das aus seinem Mund zuhören, hatte es Ungutes. Etwas was mich eigentlich warnen sollte. Und ein schrecklicher Verdacht kam in mir auf.

Werde ich genauso wie sie, wenn ich den Verstand verliere?

Was wenn ich genauso endete, wie meine Mutter?

Ich begann wie verrückt zu zittern und versuchte nicht darüber nachzudenken. Das fiel mir auch nicht schwer, denn ich hörte plötzlich einen Schrei, der mir durch Mark und Bein ging und mich wie erstarrt stehen ließ. Er war schrill und schien aus allen Richtungen zu kommen, aber ich wusste, wer ihn ausgestossen hatte. Lucie!

Ohne nachzudenken rannte ich los. Ich wusste zwar nicht, wo ihr Zimmer lag, aber etwas sagte mir, wo ich hinlaufen musste. Als würde mich etwas führen. Genauso, wie als ich zu dem Bild gegangen war, um zusehen was Samatnha da hineingekratzt hatte. Diesesmal aber war die Angst und die Furcht viel größer, als zuvor und ich hatte eine schlimme Ahnung. Nicht, Lucie. Oh bitte. Nicht sie!

Ich sah die Tür. Eine von vielen. Doch ich wusste, dass sie zu Lucies Zimmer führte. Ich stürzte hin, riss sie auf und blieb mitten in der Tür stehen. Lucie wälzte sich auf dem Boden, schlug wild um sich und schrie wie am Spiess. Ihr ganzer Körper war schon mit Kratzern überzogen. Ich konnte mich nicht rühren und blieb stehen, wo ich war. Die Tür hinter mir fiel zu. Nur ein schmaler Streifen Licht fiel hinein. Und in der Dunkelheit sah ich eine Gestalt über Lucie, die sie immer wieder verletzte. In dem schwachen Licht, sah ich das Blitzen von Metall. Samantha!

Ich stürmte auf sie los. Vergessen war der Schrecken und die Angst. Ich wollte nur eins:

Lucie retten!

„Lass sie in Ruhe. Geh weg von ihr!“, schrie ich und wollte sie wegzerren. Doch Samatnha stiess mich einfach weg, als wäre ich nichts und ich prallte hart gegen die Wand. In meinem Kopf drehte es sich kurz. Ich schüttelte den Kopf, um die Benommeheit loszuwerden und ging wieder auf Samantha los. Diesesmal stiess sie mich nicht weg, sondern ließ die Schläge, die ich ihr versetzte einfach über sich ergehen. Verletzte Lucie noch weiter. Irgendwann gab ich es auf, auf sie einzuprügeln, weil es keinen Sinn machte. Also schlang ich meinen Arm um ihren Hals und versuchte sie von ihr wegzuzerren. Samantha wehrte sich heftig. Fauchte und keifte, kratzte mich mit ihren Klauen. Ich versuchte nicht an den Schmerz zu denken und riss weiter an sie.

Irgendwann ließ sie aber doch noch von ihr ab. Außer Atem schaute ich sie an und krabbelte dann zu Lucie. Sie rührte sich nicht, stöhnte und wimmerte nur. Blutete aus zahlreichen Wunden und ihre Augenlider zitterten unruhig. Hilflos, nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen, legte ich meine Hände auf die Wunden, die am stärksten bluteten. Redete dabei auf Lucie ein. „Lucie…Lucie. Halte durch. Ich…ich hole Hilfe!“, flüsterte ich und spürte, wie mir die Tränen kamen. Ich blinzelte und drückte meine Hände fester auf die Wunden. Dabei erkannte ich, dass die schlimmsten Wunden an den Hals und in die Brust geschlagen waren. Und mir wurde klar, dass ich sie nicht retten konnte. Das es bereits zuspät war. Doch ich wollte es nicht wahrhaben. „Lucie!“, wimmerte ich. Ich fühlte mich unendlich hilflos und auch nutzlos, weil ich nichts anderes tun konnte, als zu versuchen, die Blutungen zu stoppen. Da öffnete Lucie die Augen, schwach zwar, aber sie öffnete sie und ihre milchig, beinahe glasigen Augen, sahen mich an. Traurig und darum bittend, es gut sein zulassen. Schwach schüttelte sie den Kopf und ergriff mit zitterner Hand, die meinen. Wirkten einen schwachen Druck aus und ich zuckte zusammen. Ohne mich zu rühren, blickte ich auf sie nieder und wollte so vieles sagen. Dass es mir leid täte, dass ich nicht eher da sein konnte. Dass ich sie nicht sterben lassen würde. Aber es kam nur ein ersticktes Jammern hervor. Lucie lächelte, schüttelte kraftlos den Kopf, dann schlossen sich ihre Augen und der Griff auf meiner Hand, wurde schwächer. Mit einem leisen Platschen fiel ihre tote bleiche Hand auf den Boden. Als hätte mich dies aus einem tiefen Schlaf gerissen, schreckte ich hoch, und packte sie an den Schultern. Rüttelte an ihr. Ich schrie ihren Namen. Aber natürlich, würde sie nicht mehr aufwachen. Lucie war tot!

Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken und ich drehte mich um. Samantha saß immernoch da, wo ich sie hingestossen hatte und sah mich mit einer Miene an, die meinen Schmerz vergessen und stattdessen Wut in mir hochkommen ließ. „Was hast du getan?“, schrie ich wütend und wollte mich wieder auf sie werfen, doch da hörte ich Schritte auf dem Flur und blickte flüchtig zu diesem. Sah Schatten an den Wänden, die sich näherten und als mein Blick wieder zu Samantha ging, sah ich ein böses Grinsen auf ihrem Gesicht, ehe sie verschwand und die Pfleger, gefolgt von einigen Ärzten, darunter auch Doktor Rayne, in das Zimmer kamen. Kaum dass sie in das Zimmer kamen, blieben sie in der Tür stehen und blickten mit Entsetzen auf die tote Lucie und dann zu mir. Ich saß da, als wäre ich aus Stein und fühlte, wie mir kurz schwindelig wurde. Ich schluckte, weil sich ein fetter Kloss in meinem Hals breitmachte und versuchte etwas zusagen. Doch meine Stimme versagte und ich konnte nur hilflos die Hände heben. Ein entsetzes Keuchen ging durch die Menge der Pfleger und Ärzte und ich verstand nicht, bis ich sie mir selber ansah und sah, was sie so entsetzt hatte. Meine Hände waren mit Blut beschmiert. Mit Lucies Blut!

Endlich schaffte ich es, was zusagen. „Ich…ich war das…ich war das nicht…!“, stammelte ich wie ein schwachsinniges Kind. Aber anstatt etwas zusagen, stürzten zwei der Pfleger auf mich zu und ergriffen mich. Mit festen Griffen um meine Arme, zerrten sie mich auf die Füsse und von Lucie weg. Ich schrie und wehrte mich. Versuchte mich aus ihren Griffen zuwinden und schrie immer wieder, dass ich das nicht war. Trat sogar um mich, doch egal wie sehr ich mich wehrte, sie ließen nicht los. Zogen mich weiter. „Stellen Sie sie ruhig. Sie wehrt sich ganz schön!“, sagte ein Pfleger angestrengt und kaum hatte er das ausgesprochen, kam einer der Ärzte auf mich zu. Holte dabei etwas aus seiner Kitteltasche hervor. Etwas mit einer langen dünnen Nadel, aus der eine klare Flüssigkeit spritzte, als der Arzt auf den Kolben drückte. Mir wurde eiskalt und meine Augen weiteten.

Stellen Sie sie ruhig, schoss es mir durch den Kopf. Die wollen mich betäuben?!

Diese Erkenntniss ließ mich noch wilder wehren. Aber wie bei den ersten Versuchen, war auch dieser ohne Erfolg und den Pflegern schien es nun zu reichen, denn der rechte renkte mir meinen Arm soweit aus, dass ich schrie und mich zusammenkrümmte. Ohne eine Warnung, steckte der Arzt die Nadel in meine freigelegt Armbeugung und spritzte das Betäubungsmittel in meinen Körper. Ein unangenehmes Ziehen, worauf ein Brennen folgte, durchströmte meinen Arm, dass sich bald darauf in meinen ganzen Körper ausbreitete und ein wahres Karussell in meinem Kopf verursachte, dass alles schwarz vor meinen Augen werden ließ.
 

Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in einen weissgetünchten Raum. Das Kissen, auf demm mein Kopf ruhte, war weich und schmiegte sich wunderbar an meine Wange. Fast schon wollte ich wieder die Augen schließen, weil das Betäubgunsmittel noch nicht ganz nachgelassen hatte. Doch da spürte ich einen kalten Luftzug an meiner Wange, die die Müdigkeit vergessen ließ und ich richtete mich auf. Zumindest versuchte ich es. Ich wollte mich mit den Armen abstützen, musste jedoch feststellten, dass ich sie nicht bewegen konnte. Verwirrt schaute ich runter. Was hatte ich denn da an?

Eine Art Jacke, die mir allerdings verkehrtherum angezogen war und die Ärmel nachhinten geschlungen waren. Ich verrenkte mich, um nachhinten zusehen und sah die Verschlüsse an meinem Rücken. Komisch…solche Verschlüsse haben doch nur…Zwangsjacken!

Man hatte mich wirklich in eine Zwangsjacke gesteckt. Und erst sah ich mir den Raum genauer an. Dass, was ich für ein Kissen gehalten hatte, war der gepolsterte Boden. Und auch die Wände, selbst die Decke waren aus dicken Polstern. Panik wallte in mir hoch. Ließ mein Herz rasen, dass ich fürchtete, es würde gleich stehenblieben. Machte es mir zugleich schwer ruhig zu atmen. Scheisse!

Wohin hatte mich denn gesteckt?

Was letzte Nacht passiert ist, war zwar durch das Betäubungsmittel von einem undurchdringenden Schleier verborgen, nun aber erinnerte ich mich und solangsam begriff ich. Zählte eins und eins zusammen und mir lief es kalt den Rücken runter. Sie hielten mich für den Mörder von Lucie und haben mich deswegen hier eingesperrt. Sicherlich hielten sie mich für lebensgefährlich. Unzurechnungsfähig. Eine Geisteskranke.

Eine, die man nicht mehr auf die Menschheit lassen durfte.

Ich begann unkontrolliert zu zittern. Die schlimmsten Ängste stiegen in mir hoch und ich ließ mich an die Wand sinken. Schloss die Augen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
 

Irgendwann rissen mich Stimmen hinter der Tür, die meine Gummizelle verriegelte, aus einem tiefen Schlaf, in den ich gefallen war. Erregte Stimmen. Eine davon erkannte ich. Es war die, von Doktor Rayne und die andere…war das etwa…Brian?

Neugierig krabbelte ich auf den Knien zu der Tür und legte das Ohr an die Tür. Lauschte so gut ich konnte.

„Das ist doch Lächerlich!“, hörte ich Brian rufen.

„Sie können es ruhig so nennen, Mr. Matthews. Doch die Fakten sind eindeutig. Man hat sie in dem Zimmer des unglückseligen Mädchens gefunden. Sie hatte frisches Blut an den Händen, das von dem Mädchen stammt!“

„Und wie soll sie sie verletzt haben? Sie hatte nichts bei sich, womit sie sie verletzen könnte!“

„Vermutlich war sie so sehr nicht bei sich, dass sie sie mit ihren Fingernägeln verletzt hatte!“

„Mit ihren Fingernägeln? Machen Sie sich nicht lächerlich. Ich habe mir die Leiche angesehen. Solche Wunden können keine Fingernägel hinterlassen!“

„Was, ihrer Meinung, wäre es dann gewesen. Ein Tier?“

„Auch nicht. Aber das ist Ihnen sicherlich zu hoch. Da Sie ein Mann sind, der rational denkt und blind für das ist, was ein menschliches Auge nicht sehen kann!“

„Was meinen Sie denn damit?“, fragte Doktor Rayne und ich musste grinsen. „Nicht weiter wichtig!“, sagte Brian trocken. „Ich möchte zu ihr!“

„Das ist unmöglich. Solange wir nicht wissen, was wir mit ihr machen sollen, darf keiner zu ihr!“

„Was Sie mit ihr machen sollen? Sie ist keine Verbrecherin!“

„Können Sie das Beweisen?“

„Besser, als Sie es können, Doktor!“, knurrte Brian. „Und jetzt lassen Sie mich zu ihr!“

„Aber, Mr. Matthews…!“, wollte Doktor Rayne weitersprechen, doch Brian schnitt ihm das Wort ab. „Schließen Sie die verdammte Tür auf und lassen Sie mich rein. Ehe ich sie aufbreche!“, befahl er und ich schrack von der Tür weg. Dass er diese Tür wirklich mit bloßen Händen aufbrechen würde, ließ mich nicht daran zweifeln. Doktor Rayne murmelte etwas und steckte den Schlüssel in das Schloss. Die Tür wurde aufgeschwungen und Brain trat ein. Ein kurzer Blick zum Doktor, der unschlüssig dastand. „Schließen Sie die Tür. Ich will mit ihr allein und ungestört sprechen!“, sagte er knapp und seine Stimme war eisig. Doktor Rayne zuckte kurz zusammen und schloss dann die Tür. Als ich und Brian dann allein waren, wandte er sich zu mir und hockte sich hin. Er schaute mich besorgt an. „Alles in Ordnung? Geht es dir gut?“, fragte er. „Man hat mich in eine Zwangsjacke gesteckt und ich hocke hier in eine Gummizelle. Wie soll es mir da gut gehen?“, fragte ich trocken. Brian lächelte schwach. „Das stimmt. Dass ist alles andere als eine schöne Situation!“, sagte er nachdenklich. „Was ist eigentlich passiert?“

„Samantha hat sie getötet!“, erklärte ich knapp und schon allein die flüchtige Erinnerung daran, drehte mir den Magen um. „Samantha?“

„Dieses Ding, was die anderen Mädchen getötet hat!“

„In einem Traum?“

„Nein, es war anders. Sie war wirklich da. Leibhaftig!“, erklärte ich. Brian runzelte die Stirn. „Ich weiss, wie verrückt das klingt, aber ich habe es deutlich gesehen. Das musst du mir glauben!“

„Ich glaube dir, Allison!“, sagte er sanft und ich war erstaunt, dass er so zu mir sprach. Aber vermutlich wollte er mich beruhigen. Ich wollte ihm beinahe schon danken, sagte aber stattdessen:„ Was jetzt? Wie komme ich aus dieser…dieser Gummiezelle raus!“

„Keine Angst, ich werde mir etwas einfallen lassen. Du wirst hier nicht lange in dieser Zelle bleiben!“, versprach er. „Und was wenn ich hier…?“

„Wenn du hier auf Samantha triffst?“

Ich nickte. Brian lächelte. „In der Hinsicht brauchst du dir keine große Sorge zu machen. Erik ist ja da!“, sagte er. „Ja, aber…letzte Nacht, da…da war er es nicht…!“

„Etwas muss ihn aufgehalten haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich einfach im Stich lässt!“

„Und was sollte das sein?“, fragte ich skeptisch. Brian wusste darauf auch keine Antwort und hob die Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen. Eins steht aber fest: Diese Samantha muss mächtig sein, wenn sie ihn zurückhalten kann!“

„Aber kann Rache wirklich so mächtig sein?“, kam es aus mir, worauf Brian einen seltsamen Blick hatte. „Von allen Gefühlen, die einem Toten so viel Macht geben kann, dass er selbst seinem Grab entsteigen kann, ist Rache das mächtigste!“, sagte er und das mit solcher Selbstsicherheit, dass s mir kalt den Rücken runterlief. „Woher weißt du das?“

„Sagen wir, ich habe einige Erfahrung mit solchen ruhelosen Seelen gemacht!“, sagte er nur.

„Wie steht es mit der Liebe?“, fragte ich und mir war bewusst, dass ich mich damit dumm anhörte. „Mit der Liebe?“, fragte er und hob die Brauen. Ich nickte. „So viel ich weiss, ist sie auch ein mächtiges Gefühl!“, sagte ich schwach. „Das stimmt. Aber wolltest du es wissen?“

„Nun ja, ich dachte, wenn schon Rache soetwas wie Samantha auferstehen lassen könnte, könnte nicht dann Liebe…meine…!“

„Deine Mutter auferstehen lassen?“, beendete Brian meinen Satz und ich nickte. „Wer weiss!“, sagte er. „Würdest du es dir wünschen?“

„Ich würde zumindest etwas ruhiger schlafen, wenn ich wüsste, dass meine Mutter über mich wacht!“, murmelte ich. Und ich würde mir nicht so einsam vorkommen, ergänzte ich in Gedanken. Du bist nicht einsam, Kätzchen, flüsterte Eriks Stimme sanft. Wieder nannte er mich so. Warum?

„Du bist nicht einsam!“, hörte ich Brian dasselbe sagen. „Du hast doch noch uns!“

„Ja, das ist aber nicht dasselbe!“

„Du vermisst sie sehr?“

„Du etwa nicht?“, kam es von mir, wobei ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen hätte. Brians Gesicht nahm einen seltsamen Ausdruck an. Als wisse er selber nicht, was er sagen sollte. Dann aber sagte er nüchtern:„ Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich sie vermisse. Ich und deine Mutter hatten nie ein gutes Verhältniss. Wir respektierten und arrangierten und zwar, aber wir waren keine Freunde!“

Mir verschlug es glatt die Sprache. Erik hatte was ganz anderes behauptet. Doch ich verkniff es mir. Brian lächelte bitte. „Wobei…sie schaffte es immerwieder mich in Sachen reinzuziehen, die mich den Kopf kosten konnten!“

„Inwiefern?“, fragte ich nach, da ich nun doch neugierig wurde. „Nunja…als du noch gar nicht geboren wurdest, zwang sie mich, mit ihr einen mächtigen Dämon zubekämpfen, der eigentlich ihr Problem war. Aber sie behauptete, dass sie nicht in der Lage wäre, diesen zur Strecke zubringen!“

„Und womit hat sie dich gezwungen?“

„In dem sie mir prophezeite, dass der Dämon, sobald er sie getötet hat, sich auf mich und meine Familie konzentrieren würde, weil ich neben deiner Mutter, eine ebenso große Bedrohung war!“, sagte er und hob die Schultern. „Ich hielt das für ein Gerücht, doch ich wollte lieber auf Nummer sichergehen und erklärte mich bereit ihr zuhelfen. Aber nur unter der Bedingung, dass sie endgültig aus meinem Leben verschwindet. Tja, hat aber doch wohl nicht geklappt!“

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen, geschweige denn denken sollte. Ich hatte mich immer gefragt, was Brian gegen meine Mutter hatte, nun wusste ich es. Sie hatte ihn erpresst und ihm mit dem Tod gedroht. Ob direkt oder indirekt, spielte keine Rolle. Und ich begann mich zufragen, was für ein Mensch meine Mutter war. Es wollte nicht so recht ins Bild passen, was er mir da erzählt hatte. So hatte ich meine Mutter nicht in Erinnerung. Die Vorstellung, dass sie jemanden unter Druck setzte, war so absurd, dass ich entweder gelacht oder ihn als einen miesen Lügner beschimpft hätte. Aber ich war zu geschockt darüber. Und irgendwie ergab das alles auch einen bitterschmeckenden Sinn. „Das kann ich nicht glauben!“, flüsterte ich. „Glaub es oder nicht. Es ist dir überlassen. Ich, für meinen Teil, wäre froh gewesen, wenn sie nicht immer darauf rumreiten würde, dass ich ihr was schulde!“, sagte er und stand auf. Mir klappte der Mund auf. Er war ihr was schuldig gewesen?

Wenn ich mich so recht erinnere, hatte Erik so etwas auch erwähnt. Und Brian meinte, er hätte diese Schuld schon lange getilgt.

Verdammt, was war da bloss los zwischen den beiden gewesen?

Noch ehe ich Brian darauf ansprechen konnte, war er zur Tür gegangen und hatte an die kleine Schiebetür geklopft. Von außen hörte ich, wie Doktor Rayne wieder die Türe öffnete.

Brian wandte sicher gerade um und mich erfasste eisige Angst.

Er ging einfach so weg, ohne mich hier rauszuschaffen?

Das konnte er doch nicht machen!

„Wielange werde ich hier drinbleiben?“, fragte ich und wäre aufgestanden, doch leider hatte ich keinen Halt und plumpste wieder auf den gepolsterten Boden. Brian blieb stehen und sagte erstmal nichts, sondern schaute nur vor sich hin. Dann aber drehte er sich um und sagte mit monotoner Stimme: „Ich werde versuchen, was ich kann. Aber etwas Geduld wirst du wohl brauchen!“

Dann schloss sich hinter ihm die Tür und ich war allein.
 

Es dämmerte bereits, als Brian zuhause war. Gerade ging die Sonne hinter den hohen Bäumen unter und er schritt gemächlichen Schrittes die Auffahrt hinauf. Seine Gedanken waren bei ihrem Gespräch, was sie geführt hatten und er konnte sich gut vorstellen, dass seine Worte bei der Kleinen für viele Fragen gesorgt hatten. Gerne hätte er etwas anderes gesagt, doch es wollte ihm nicht über die Lippen. Ja, er vermisste sie. Ein kleiner Teil in ihm hatte um sie getrauert und sich gewünscht, es hätte ein besseres Ende genommen. Er hatte sich sogar Vorwürfe gemacht, dass er nichts dagegen tun konnte. Doch was brachte das Ganze Kopfzerbrechen und das sich nach dem Was-Wäre –Wenn fragen?

Es würde sie nicht lebendig machen. Nichts daran ändern.

Und das schlimmste daran war, dass Allison nun in die Fusstapfen ihrer Mutter treten würde. Sogar muss, wenn sie überleben will.

Er konnte es nicht leugen, das sie ihm leidtat. Ihr Leben war einmal normal gewesen, bis zu einem gewissen Zeitpunkt und nun sah sie sich Gefahren gegenüber, von denen sie bisher nichts gewusst hatte. Und vor denen sie keiner beschützen konnte. Abgesehen von Erik. Doch auch ihm waren Grenzen gesetzt. Die einzige, die es hätte tun können war ihre Mutter. Sie war erfahren und es wäre für Allison leichter gewesen, damit fertig zuwerden, als einfach ins kalte Wasser zu springen. Ein kaltes Wasser voll von fleischfressenden Ungetümen. Je mehr er darüber nachdachte, begann er eine Wut auf Erin zu haben.

Es war nicht die Wut, die er verspürte, wenn ein Dämon seiner Familie ein Leid zufügte und ihn in eine Bestie verwandelte. Sondern die Wut eines enttäuschten Mannes, der sich fragte, warum…

Was hatte sie sich dabei nur gedacht?

Hatte sie denn nicht gewusst, dss der Frieden, den es nach ihrem gemeinsamen Sieg über Agan gab, nicht lange währen würde?

Vermutlich hatte sie es gewusst, aber die Augen davor verschlossen. Wie konnte sie nur so dumm sein. Und wie konnte sie verantwortungslos sein und ihre Tochter allein lassen. Kurz fragte er sich auch, was sie geritten hatte, überhaupt kein Kind zur Wel zubringen, doch dann sagte er sich, dass sie sich schon immer eine kleine Familie gewünscht hatte und sie ein kleines bisschen Glück verdient hatte, aber trotzdem machte es nicht, was sie getan hatte. Brian blieb stehen und ballte die Fäuste. „Verdammt, Erin. Was hast du dir nur dabei gedacht. Du hättest wissen sollen, dass sie dich braucht und du sie nicht allein lassen kannst!“

Wie als wollte er auf eine Antwort warten, die er natürlich nicht erhielt, blieb er einige Minuten stehen und schwieg. Von einem Moment auf den nächsten, war es totenstill. Nicht mal ein Windhauch war zu hören. Brian lauschte. Auch wenn es still war, hiess es nicht, dass er nichts hören würde. Brian konnte nicht sagen, was er zu hören hoffte. Vielleicht doch auf ein Zeichen, dass Erin hier war und ihm etwas sagen wollte. Aber es war nichts zuhören.

Brian seufzte. „Natürlich sprichst du nicht zu mir. Du bist tot!“

Er hatte fast das Haus erreicht und holte die Schlüssel raus, um aufzuschließen, als ihn plötzlich ein Kältestoss erfasste und ließ ihn auf der Stelle erstarrten. Es war als habe man ihn eingefroren. Ihm jegliches Gefühl und Willen genommen. Sogar das Atmen. Brian versuchte sich aus dieser Lähmung zubefreien, doch er brachte nur ein Zittern in seinen Händen zustande. „Was…was ist das?“, fragte er und versuchte etwas oder jemanden zusehen, der diese Kälte heraufbeschworen hatte, um ihn gefangen zuhalten. Wer auch immer das war. Er verstand es, einen wie ihn zu lähmen. Derjenige ließ nicht lange auf sich warten. Mit langsamen lauernden Schritten kam er auf Brian zu und sah ihn mit dunkler Wut an. „Ich muss mich wirklich zusammenreissen, um dich nicht gleich hier und jetzt in Fetzen zu reissen!“, knurrte er Erik, der sich vor ihm aufbaute und seine Wolfzähne bleckte. Brian sagte nichts, sah ihn nur an. „Darf ich fragen warum?“, fragte er in seinen Gedanken und Eriks bleckte noch mehr die Zähne.

„Weil du ihr ein falsches Bild von ihrer Mutter gegeben hast. Was soll sie nun denken? Dass sie eine skrupellose Erpresserin ist?“, fragte Erik und Brian ahnte, was er ihm damit sagen wollte. „Ich habe nur gesagt, was damals vorgefallen ist!“

„Und jetzt denkt sie, weiss der Teufel was, über sie!“, knurrte Erik.

„Warum konntest du nicht einfach deinen Mund halten?“

„Willst du mich jetzt deswegen umbringen?“, fragte Brian finster. Erik sah ihn einen kurzen Moment und in seinen Augen sah er deutlich, dass er wirklich daran dachte, ihn hier und jetzt zu töten. Aber dann wandte sich Erik ab und entließ in aus der Lähmung. „Pass in Zukunft auf, was du sagtst!“, waren Eriks letzte Worte, ehe er in der Dunkelheit verschwand.
 

Brians Worte beschäftigten mich noch lange. Ich fragte mich immer wieder, was für ein Verhältniss die beiden hatten. Offensichtlich kein Gutes, so wie ich es richtig verstanden habe. Aber gehasst hatte er sie auch nicht. Denn sonst hätte er mich nicht in sein Haus gelassen. Naja, wobei Esmeralda mich hingelassen hatte und er erst später dazukam. Und deutlich gezeigt hatte, dass ich nicht erwünscht war. Erst Erik hatte ihn in gewisserweise überreden können, mich nicht gleich rauszuschmeissen. Und auch da hatte ich gesehen, dass Brian Erik nicht sonderlich mochte. Dennoch duldete er ihn. Also was sollte ich davon halten?

Es dauerte noch lange, ehe ich mich entschloss es gut sein zulassen und zuschlafen. Was auch nicht gerade einfach gesagt war, denn jetzt wo ich über meine missliche Lage nachdachte, musste ich mich daran erinnern, was mit Lucie geschehen war. Lucie!

Obwohl sie nicht meine Freundin war, hatte ich sie dennoch irgendwie gern.

Sie war unschuldig gewesen, genauso wie die anderen und trotzdem wurde sie ermordet. Ich bkam aufeinmal eine Stinkwut auf Samantha…

Wenn ich sie das nächste Mal sehe und in die Finger kriege, werde ich sie zerlegen…

Noch lange schwor ich mir, dass ich sie dafür büßen lassen ließ. Bis mir dir Augen zufielen.

Ich schlief so gut wie es eben ging in meiner Zelle. Es war nicht gerade bequem mit diesem Ding zu schlafen. Immer wieder, wenn ich mich zur Seite legte, schlief irgendwas ein. Entweder meine Schulter oder mein Arm.

So wälzte ich mich hinundher. Bis ich beschloss auf dem Rücken zu liegen. Denn so würde ich noch Luft bekommen und es würde mir nichts mehr einschlafen. Es mussten einige Stunden gewesen sein, ehe ich meine Augen aufriss und in die Dunkelheit starrte. Etwas hatte mich geweckt. Ein kalter Luftzug, der meine Wange gestreift hatte. Wie vorher, als man mich betäubt hatte. Nun aber war der Luftzug kälter gewesen als vorher. Müde richtete ich mich auf und versuchte etwas in der Dunkelheit zusehen. Ich blinzelte. Konnte die Dunkelheit jedoch kaum durchdringen. Dennoch glaubte ich Bewegungen in der Dunkelheit zusehen. Bewegungen, die an tanzenden Nebelschwaden erinnerten, die mal fest und deutlich zusehen waren und dann doch wieder zerfaserten. Für einen kurzen Moment glaubte ich sogar eine Gestalt zusehen. „Erik…bist du das?“, fragte ich leise und die Gestalt verharte kurz. Dann aber bewegte sie sich wieder. Kam auf mich zu. Langsam, lauernt. Als wollte er mich angreifen. Und dann wurde mir bewusst, dass das nicht Erik war.

Erik war nicht spindeldürr und auch nicht klein. Hatte keine langen, strähnigen Haare.

Und vorallem: Keine Klauen an den Fingern, die wie Dolche glänzten.

Samantha!

Sie war hier in meiner Zelle. Und kam immer näher auf mich zu. Ich kroch so weit nachhinten, wie ich konnte. Bis ich mit dem Rücken gegen die gepolsterte Wand stiess und somit keine Fluchtmöglichkeit hatte.

Samantha war nun so dicht vor mir und beugte sich zu mir hinunter. Schob ihren Kopf dicht neben meinem, sodass ihr Atem meine Wange streifte. Ich versteifte mich und kniff die Augen zusammen. Angst erfasste mich. Lähmte mich. Vergessen war die Wut und die Entschlossenheit, sie für Lucies Tod büßen zulassen. Nun war ich erfüllt von Angst und in mir stiegen die schlimmsten Ahnungen auf.

Würde sie mich jetzt auch noch töten?

Immerhin war ich wehrlos!

Es wäre ein leichtes, für sie. Aber statt ihre Klauen in mich zuschlagen, mich in Stücke zureissen, flüsterte sie nur mit leiser Stimme:„ Hilf mir!“
 

Nach einigen Tagen und vorallem dank Brians Beharrlichkeit und Einfluss, holte man mich aus der Gummizelle. Dennoch war die Sache aber noch lange nicht vergessen. Nach dem Angriff auf Lucie, den ich ja offensichtlich auf sie verübt haben sollte, sagte man mir, dass ich nun unter strenger Aufsicht stünde. „Soll das heissen, dass ich nun wie eine Straftäterin behandelt werde?“, fragte ich Doktor Rayne, er mich aufklärte. „Du musst verstehen, dass das, was passiert ist, nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann. Ein Mädchen ist tot und die einzige, die da war, warst du!“, sagte Doktor Rayne beschwichtigend. „Ich war es nicht!“, sagte ich, auch wenn ich wusste, dass das nichts bringen würde. „Wer dann?“

„Samantha!“

„Welche Samantha?“

„Die Samantha, die beim Brand umkam!“

„Woher weißt du davon?“

„Habe es gelesen. In alten ZeitungsbErikhten!“, erklärte ich beiläufig. „Ich habe eine Schwäche für Tragödien!“

„Mh!“, Doktor Rayne nur von sich.

„Ich dachte, Erik hätte es dir gesagt?“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Er ist doch dein Freund? Und ich vermute mal, dass er es dir gesagt hat!“, sagte er. „Freunde erzählen sich doch oft etwas. Und geben sich auch gegenseitig Ratschläge, oder bitten um etwas!“

„Was wollen Sie damit sagen?“

Nun schwieg Doktor Rayne für eine kurze Weile und schien über seine nächsten Worte genau nachzudenken. Dann sagte er, mit einem ernsten Blick:„ Könnte es nicht sein, dass er dir zu dem Mord an Lucie geraten hat?“

„Wieso sollte er das, zum Henker?“, fragte ich, doch dann richtete ich mich auf und sah ihn wütend an. „Erik ist kein…kein Mörder. Er würde mir niemals befehl…sagen, dass ich jemanden töten soll!“

Fast wollte ich „befehlen“, sagen, doch ich schluckte das Wort hinunter.

„Und was macht dich da so sicher?“

„Weil ich ihm vertraue!“, sagte ich insbrünstig. „Du vertraust Jemandem, den es nicht gibt?“

„Es gibt ihm. Er ist so echt, wie ich und Sie!“

„Dann dürfte es ja nicht schwer werden, ihn mir mal vorzustellen!“, sagte Doktor Rayne. „Wenn Sie dann Ruhe geben?“, sagte ich. „Wäre morgen Abend in Ordnung?“
 

Ich schaute mich in meinem neuen Zimmer um, sobal ich es betrat. Sah die Kameras in den Zimmerecken und die Gitter vor meinen Fenstern. Ich verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln.

Wo ich vorher schon den Eindruck hatte, in einem Gefängniss zu sein, wurde dieser nun auch noch verstärkt und ich fragte mich, ob ich einen eigenen Wärter haben würde.

Verwarf diese Frage aber wieder und setzte mich auf mein Bett. Dort blieb ich auch.

Bis der Abend anbrach.

Ich konnte es kaum erwarten, da ich Erik vielzu erzählen hatte und vorallem wollte ich wisssen, wo er war, als Samantha in meiner Zelle auftauchte. Hatte er nicht gesagt, dass er mich beschützen würde. Es ist zwar nichts passiert, aber ich wollte mir nicht vorstellen, was geschehen wäre, wenn Samantha mir keinen Freundschaftsbesuch abgestattet hätte.

Immer wieder schaute ich auf die Uhr, deren Zeiger immer langsamer wurden, je öfter ich hochschaute.

Als es endlich dunkel war, schaltete ich das Licht aus und legte mich ins Bett.

Schaute verstohlen hoch in die eine Zimmerecke. Sah das rötliche Leuchten der Kamera. Mein Magen machte sich schwer. Man bewachte mich also auch in der Nacht. Nun hatte ich doch das Gefühl in einem Gefängiss zu sein. Ich versuchte nicht noch auffälliger zu sein, als dass ich es ohnehin schon war. Tat so als würde ich schlafen. In Wahrheit aber wartete ich darauf, dass Erik auftauchte.

Ich musste nicht lange warten. Schon gleich spürte ich etwas Kühles über meine Wange streichen und sah seinen dunklen Umriss in dem dämmrigen Licht. „Nettes Zimmer hast du hier!“, sagte er trocken. Ich sagte darauf nichts, weil ich mir gut vorstellen konnte, dass diese Kameras auch Lautsprecher hatten.

„Was denn? Redest du nicht mehr mit mir?“

Doch schon, aber ich habe Angst, dass sie mich hören, ging es mir durch den Kopf.

Eine Weile sagte Erik nichts, dann aber, nachdem er hochgeschaut und die Kamera entdeckt hatte, sagte er:„ Verstehe, sie überwachen dich. Dann machen wir es so: Antworte und rede mit mir mit deinen Gedanken!“

„Verstanden!“

„Was ist passiert?“

„Das müsste ich dich fragen!“

„Wie meinst du das?“

„Wo warst du, als Sam mich in meiner Zelle besucht hat?“

„Was?“

Ich zuckte kurz zusammen, als ich Eriks Stimme einige Oktaven höher in meinem Kopf und deutlich den Unglauben in seiner Stimme hörte. „Ja, sie war da gewesen!“

„Hat sie dir was getan?“

„Nein, zum Glück nicht. Aber…!“, sprach ich in Gedanken un mein Magen verkrampfte sich. „Aber?“, kam es von Erik nachdrücklich und er klang noch besorgter als vorher. „Aber sie hat etwas gesagt, was mich…ehrlich gesagt etwas aus der Bahn geworfen hat!“

„Und was?“

„Das sie mich um Hilfe bat!“

„Inwiefern?“

Seltsamerweise blieb er recht ruhig. Dabei hätte ich gedacht, dass es ihn das ebenso versunsichern würde, wie mich. Aber anscheinend hatte er in dieser Hinsicht ein dickes Fell.

„Genau das frage ich mich auch. Aber jetzt zu dir. Wo warst du?“, fragte ich. „Das ist nicht weiter wichtig. Hat sie noch etwas gesagt?“, fragte Erik, als habe er meine Frage nicht gehört. Kurz ärgerte ich mich darüber, schluckte es aber runter und sagte:„ Nein, leider!“

Erik setzte sich auf das Fussende des Bettes. „Was jetzt?“

„Nun, ich nehme an, sie hat einen Grund, dich um Hilfe zu bitten!“

„Was soll das bitte für ein Grund sein?“

Ich schaute zu ihm, sah wie er die Schultern zuckte. „Das gilt herauszufinden!“

„Na, danke für diese hilfreiche Info!“

„Hast jemanden davon erzählt?“

„Nein, ich riskiere es doch nicht, dass sie mich für noch bekloppter halten, als das sie es jetzt schon tun!“

„Wie denn das?“

„Sie haben mitbekommen, wie ich mich mit dir unterhalte. Und jetzt denken sie, und vorallem Doktor Rayne, dass ich einen unsichtbaren Freund habe!“, erklärte ich bitte und wickelte mich enger in die Decke. Darauf hin hörte ich Erik glucksen und blickte wieder zu ihm. Sah seine Schultern zittern. „Sehr komisch!“, murrte ich soleise, wie es mir möglich war. „Also ich wurde schon oft als etwas gehalten, aber nicht als einen unsichtbaren Freund!“

„Das kannst du Doktor Rayne persönlich sagen!“

„Wie?“

„Er will dich kennenlernen!“

„Hast du ihm etwa von mir erzählt?“

„Das war nicht nötig. Wie gesagt man hat gehört, wie ich mit jemanden, mit dir, geredet habe!“

„Verstehe!“, murmelte Erik nur. Und dass in einer Art, die mich an einen enttäuschten Freund erinnerte, wenn man ein gut gehütetes Geheimniss verraten hatte und ich fing an, mich ein wenig zu winden. „Ja, ich konnte eben meine Klappe nicht halten. Er hat mich genervt!“

„Ach, und nur weil er dich genervt hat, musstest du mich mit dareinziehen?“, fragte er scharf. Ich verkroch mich tiefer in die Decke. Das war ihm Antwort genug. Erik seufzte. „Nagut, weil du es bist, werde ich mich zu diesem Treffen mit deinem Doc einlassen!“

„Danke! Wäre dir morgen recht?“

„Ja!“

„Dann morgen. Danke noch mal, und tschuldige!“

„Schon gut!“, seufzte er. „Du wirst deiner Mutter immer ähnlicher. Die hat mich auch alle Nerven gekostet!“
 

Ich sehnte den Abend, bei dem das Treffen zwischen Doktor Rayne und Erik stattfinden sollte, sehnlichst herbei. Zum einen, weil ich dann endlich den Verdacht, dass ich mir das alles nur zusammenspinnte aus dem Weg räumen konnte und zum anderen, würde Erik dann vielleicht Doktor Rayne auch davon überzeugen, dass wir alle in größter Gefahr schwebten. Und während ich so darüber nachdachte, fragte ich mich, wie wir das ganze abwenden konnten. Ihre Botschaft, dass wir alle brennen sollten, hatte ich nicht vergessen. Und ihre Bitte nach Hilfe, woraus ich immer noch nicht schlau wurde. Wie konnte ich ihr denn helfen?

Brian sagte, dass ich ihr zuhören sollte, um zu wissen, was ich tun musste. Dass ich getan, aber ich verstand es nicht. Entweder war ich zu blöd dafür oder aber Samantha hatte eine gespaltene Persönlichkeit. Die gehörte einer mordgierigen Wahnsinnigen und die andere einer verzweifelten Seele. Verzweifelte Seele. Auch dazu hatte Brian etwas gesagt. Menschen die gewaltsam aus dem Leben gerissen werden, wissen es zu einem nicht oder sie wissen es und sind verzweifelt. Aber auch wütend. Das würde passen.

Samantha hatte in den Alpträumen den Eindruck gemacht, als wäre sie wütend und wer wäre das nicht, wenn er in den Flammen umkam…

Nur war die Frage warum sie wütend war….

Immerhin war sie nicht die einzige, die gestorben war und die anderen waren nicht wiedergekommen, um Unschuldige umzubringen. Also was steckte dahinter?

Vielleicht, überlegte ich, weiss Gott, wie ich darauf kam, sollte ich nochmal irgendwie, Kontakt aufnehmen.

Mir kam dabei das Hexenbrett in den Sinn, was ich mir gekauft hatte. Aber das war in Paris und es würde ewig dauern, es von Paris nach London schicken zulassen. Und soviel Zeit hatten wir nicht…
 

Als es dämmerte, klopfte ich an Doktor Raynes Tür. Ich hatte ausnahmsweise die Erlaubniss mich frei zu bewegen, sonst wäre eine Schwester mir auf Schritt und Tritt gefolgt. Aber da ich schon am vorherigen Tag Doktor Rayne angekündigt hatte, dass er Besuch bekommen würde. Sowohl von mir als auch von Erik. Ich hoffte nur, Erik würde keinen Rückzieher machen und mich damit auflaufen lassen. Aber dann sagte ich mir, warum er das sollte.

Ich konnte mich auf ihn verlassen. Da erinnerte ich mich aber wieder, dass er die eine Nacht nicht da war, um mich zubeschützen, weil er etwas zu erledigen hatte.

Ich fragte mich sogleich wieder, was das war. Erik war mir manchmal wirklich ein Rätsel. Zum einen wollte er, dass ich ihm vertraute und zum anderen verschloss er sich, als habe er ebenso das eine oder andere dunkle Geheimniss. Zugegeben es berunruhigte mich.

Wie sollte ich ihm vertrauen, wenn er…

Noch ehe ich weiterdenken konnte, öffnete sich die Tür und Doktor Rayne stand vor mir. „Alice…zu bist etwas früh!“, begrüßte er mich. „Ich dachte, ich komme etwas eher, damit ich Sie darauf vorbeibereiten kann!“

„Daraufvorbereiten?“, fragte er, als würde er nicht damit rechnen, dass Erik kommt. „Ja, nicht dass Sie sich erschrecken. Er hat die Neigung, urplötzlich aufzutauchen!“
 

Wir warteten darauf, dass die Sonne ganz untergegangen war. Und ich dachte die Zeit würde sich dehnen wie Gummi. Doktor Rayne schien sich daran nicht zustören, da er die Ruhe selbst war und entspannt in seinem Sessel saß und immer mehr den Eindruck machte, als würde er schon wissen, dass das ganze nur Theater war. Und ich wurde dabei immer nervöser. Ich rutschte auf meinem Stuhl herum und begann an meinen Fingernägeln zu zupfen.

Als die Sonne endlich untergegangen und es dunkel war, wuchs meine Nervösität.

Ich sah weder einen Schatten noch etwas anderes, was darauf hinwies, dass Erik hier war.

Die Zeit schritt weiter vorran und es war mittlerweile zappenduster draußen. Ich schaute kurz zur Uhr. Sah dass es schon neun war.

Wo bleibt Erik?

Auch Doktor Rayne schien langsam skeptisch zuwerden. Immer wieder sah zu zur Uhr und sah mich dann mit gehobenen Brauen an. Deutlich sah ich in seinen Augen die Frage: „Und, kommt er oder kommt er nicht!“

Fast wollte ich schon etwas sagen. Ließ es aber und blieb artig auf dem Stuhl sitzen, wobei ich Jenseits von Nervösität war.

Irgendwann entschied Doktor Rayne, dass es reichte. Er stand mit einem Seufzen auf. „Wie ich sehe, scheint dein Freund nicht kommen zuwollen!“, sagte er und wollte zur Tür gehen. Ich drehte mich im Stuhl herum und sah ihn entsetzt an. Nein, nicht doch!

„Warten Sie noch einen kleinen Moment…!“, rief ich verzweifelt und sprang auf. Doktor Rayne hielt inne, sah mich skeptisch an. Als erwartete er einen erneuten Versuch, ihn zu überzeugen, nachdem der erste missglückt ist. „Er…!“, wollte ich sagen, da fiel mein Blick auf die Zimmer-und die Schreibtischlampe, die brannten. Deswegen war er nicht hier.

Es war zu hell.

Schnell sprang ich vom Stuhl und schaltete die Schreibtischlampe aus. Wieso hatte ich nicht daran gedacht?

„Alice, was…?“, wollte Doktor Rayne sagen, doch ich kam ihm dazwischen. „Bitte, vertrauen Sie mir!“, bat ich ihn. Doktor Rayne sah mich mit noch gehoberen Brauen an, als zuvor. Wollte schon verneinen, dann aber seufzte er. „Also gut. Aber fünf Minuten, dann brechen wir ab!“, sagte er und schaltete das Deckenlicht aus. Nun war es ganz dunkel. Abgesehen von der Beleuchtung von draußen. Fünf Minuten. Ich hoffte das Erik solangsam kam, denn sonst sah es für mich schlecht aus.

Unruhig schaute ich in sämtliche dunkle Ecken, hoffte dass er endlich auftauchte. Das Ticken der Uhr wurde unerträglich. Tick Tack Tick Tack…

Hämmerte mir wie ein Presslufthammer im Kopf und ich musste den Drang unterdrücken, mir die Hände auf die Ohren zupressen. Erik, komm endlich her, ging es mir durch den Kopf. Wurde zu einem stetigen Rhythmus, wie das Ticken der Uhr.

Tick Tack Tick Tack Tick Tack…

Irgendwann hielt ich mir doch die Ohren zu, weil ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich blickte zur Uhr. Mittlerweile mussten drei oder schlimmstenfalls vier Minuten vergangen sein…

Und von Erik immernoch keine Spur. Verdammt!

Gerade wollte ich schwer seufzen, als es Doktor Rayne tat. „Wie ich sehe, hat es keinen Sinn zuwarten. Offentsichtlich wird dein Freund nicht kommen!“, sagte Doktor Rayne und wollte nun doch die Tür öffnen. Doch da wurde sie wieder zugeschlagen. Von einer Hand, die wie aus dem Nichts aus der Dunkelheit erschien war. Ich erkannte die Hand. Sie gehörte Erik.

Am liebsten hätte ich gejubelt. Verkniff es mir aber. „Warum so schnell, Doktor?“, fragte er und kam gänzlich aus dem Schatten. Doktor Rayne wich sofort zurück, als Erik ihm gegenübertrat. Wo er sich vorher sicher war, dass ich mir das ganze eingebildet hatte, sah ich ihm nun an, dass er eines besseres belehrt wurde. Er sah ihn an, als wäre er ein Geist. Machte einen Schritt zurück. „Wo-woher…kommen Sie denn hier?“, fragte Doktor Rayne. Erik hob nur die Schultern. „Ich war die ganze Zeit hier. Nur das Licht hat mich bis jetzt zurückgehalten!“, erklärte er und schaute kurz zu mir. Zwinkerte mir zu. Ich verzog kurz verärgert das Gesicht. Verdammter Mistkerl!

Noch ehe Doktor Rayne etwas sagen konnte, fuhr Erik fort:„Sie sollten Ihr glauben, Doktor. Es gibt durchaus Dinge auf dieser Welt, die man nicht mit Pillen und Therapien unterdrücken oder gar heilen kann!“

Er machte eine kleine Kunstpause, schritt zu mir und stellte sich neben mich. „Sowie auch das Ding, was die ganzen Mädchen umgebracht hat. Es war weder Alice noch irgendein anderer Insasse Ihres bescheidenen Heimes!“

„Und wer soll es sonst gewesen sein?“

„Das sagte ich doch gerade. Kein Mensch. Sobderb etwas, was hier gefangen ist und hier wütet!“

„Ich fürchte, ich verstehe nicht!“

„Es ist Samantha. Sie steckt dahinter!“, mischte ich mich nun ein, da ich es leid war, nur Zuschauerin zusein. Doktor Rayne hob die Brauen. „Samantha?!“, fragte er. „Das Mädchen, was vor Jahren bei dem Brand gestorben ist, den es hier gab!“, erklärte ich. Doktor Rayne schien nicht richtig zu verstehen, was ich da sagte. „Wie?“

„Samantha…sie…sie ist hier!“

„Aber sie ist tot!“

„Nicht so tot, wie Sie denken!“, sagte Erik ernst. „Wollen Sie mir erzählen, dass ein Geist diese Morde begangen hat?“, fragte Doktor Rayne kopfschüttelnt. Deutlich war ihm anzusehen, dass er uns kein Wort glaubte. Ich schaute zu Erik, der wiederum den Arzt toternst anschaute. „Genau das!“

„Verzeihen Sie, aber ich kann das nicht glauben!“, sagte er. „Und ich werde es auch nicht. Ich bin Arzt. Jemand, der…!“

„Jajaja. Arzt fein, wir haben es verstanden!“ unterbrach ihn Erik rüde und winkte ab. „Ob Sie es glauben oder nicht. Fest steht eines: Dieses Biest hat etwas vor!“

„Und was soll das sein?“

„Samantha will sicherlich den Brand von damals verursachen. Ihre Botschaft war ja mehr als deutlich!“

„Wie soll sie das anstellen?“

„Sie wird einen Weg finden. Wie ist nicht weiter wichtig. Nur dass sie es tun wird!“, sagte ich drängend. „Das ist doch verrückt!“

„Sie arbeiten hier in einer Irrenanstalt…da wundert Sie so etwas?“, fragte Erik mit leichtem Spott in der Stimme. Darauf sagte Doktor Rayne erstmal nichts und ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Erik hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass Doktor Rayne es immernoch nicht glauben wollte. Seelische Krankheiten, die man mittels Therapien auskorieren konnte, sind eine Sache. Geister oder rachsüchtige Untote eine andere. Ich hatte ja selber Probleme es zu glauben…

Da dürfte es bei ihm umso schwerer sein, es zu akzeptieren.

Doktor Rayne schüttelte den Kopf. „Das eine hat mit dem anderem nichts zutun. Und ich halte es jetzt für das Beste, wenn Sie gehen und Alice in Ruhe lassen!“

Ich wollte schon etwas sagen, als ich Erik kalt lächlen sah. Es lief mir kalt den Rücken runter. So wie er aussah, erinnerte er mich an einen Wolf, der gleich angreifen würde. „Das geht leide rnicht. Bedaure. Man bat mich, sie zu beschützen!“

„Beschützen?“, platzte es aus Doktor Rayne, der langsam die Geduld verlor. „Beschützen vor was?“

Noch bevor Erik oder ich etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen und eine Schwester stürmte herein. „Doktor Rayne, kommen Sie schnell. Eine der Patienten…sie…!“, schrie sie außer sich. Mehr sagte sie nicht, sondern rannte wieder weg, um den nächsten Arzt zuholen. Ich warf einen Blick zu Erik, der wiederum meinen erwiederte und etwas darin verriet mir, dass es nichts Gutes war.
 

Doktor Rayne lief vorraus, ich folgte ihm. Erik leider nicht, da er, sobald er in das Licht trat, verschwand. Aber ich fühlte seine Gegenwart, die wie ein kalter Lufthauch um mich strich.

Schon von weitem hörten wir aufgeregte Stimmen und Geschrei. Sahen eine Gruppe von Ärzten und Schwestern, die sich aneinander drängten, dann aber unter panischem Ausruf auseinanderstoben. Ich sah flüchtig eine Gestalt, die umherwirbelte. Wie von Sinnen. Doktor Rayne sprach eine der Pflegerinnen an. „Was ist hier los?“

„Wir wissen es nicht. Eine der Schwestern hat sie beim herumschleichen gefunden. Sie..sie hat sie angegriffen. Mit einem Messer…!“, brachte diese nur hervor und wieder folgte Geschrie. Die Menge ging erneut auseinander und diesesmal sahen wir, wer da Amok lief. Felicitas!

In ihren Händen ein Messer, dass mit Blut beschmiert war. Ihr Gesicht vor Wahnsinn verzerrt. In meinem Hals bildete sich ein Knoten, machte es mir schwer zu atmen und mir wurde kurz übel. Doch dann fühlte ich Eriks kalte Berührung und riss mich zusammen.

Doktor Rayne schien noch etwas länger zu brauchen, um wieder klar denken zu können. „Versuchen Sie sie zuberuhigen. Ich bin gleich wieder da!“, sagte er und rannte los. Ich stand einfach nur da, und sah zu, wie das Personal versuchte die aufgebrachte Felicitas zu beruhigen, oder ihr zumindest das Messer abzunehmen. Ich fragte mich dabei, wie überhaupt sie daran gekommen ist. Aber ich hatte das dumpfe Gefühl, dass Sami etwas damit zutun hatte. Die Menge teilte sich, formte dann einen weiten Kreis, der verhindern sollte, dass Felicitas daran hindern sollte, abzuhauen und zum anderen weitere Verletzte zu verhindern.

Ich drängte mich durch die Leute hindurch, beachtete dabei nicht wie sie mich ansahen und versuchten mich zurück zuhalten. „Was machst du hier, Mädchen. Verschwinde, bevor du auch noch verletzt wirst!“, grunzte eine Schwester. Ich hörte aber nicht. Sondern ging weiter. Bis ich am Rande des Kreises und ihr gegenüber stand. Als sie mich sah, hielt sie inne. Atmete schwer, als würde sie keine Luft bekommen und in ihren Augen blitzte blanke Mordlust. Ich glaubte, in ihren Augen und in ihrem Gesicht, Samantha zusehen. Wiedermal war ich wie erstarrt über diese Ähnlichkeit. Aber dann erfasste mich eine seltsame Ruhe. Als wüsste ich, dass mir nichts passieren würde.

Mochte es daran liegen, dass Erik immernoch bei mir war, oder ob ich nun völlig den Vertsand verlor. Ich hörte eine winzig kleine Stimme schreien, ich solle es nicht herausfordern, doch diese wurde schnell von einer anderen übertönt, die mir befahl, weiterzugehen. Dass ich nicht stehen bleiben und mich nicht fürchten muss. Dass ich gegen sie eine Chance habe.

Also ging ich weiter, bis ich vor ihr stand und nur den Arm ausstrecken musste, um sie zu berühren. Kaum dass sie mich sah, wurden ihre Atemzüge langsamer, beinahe ruhiger. Als würde ich der Grund für diese Aufregung sein. „Felicitas…!“, sagte ich leise. Ging näher heran und blickte sie an. Wo ich vorher so etwas wie Mordslust in der Gruppentherapie empfunden hatte, hatte ich nun das Gefühl, als würde sie selber nicht wissen, was sie da tat. Als wäre sie nicht sie selbst. Also versuchte ich es ruhig und streckte langsam die Hand nach dem Messer aus. Sah sie dabei unentwegt an. Sah dabei die Angst und die Verzweiflung in ihren Augen. „Es ist alles okay!“, flüsterte ich behutsam. Felicitas Augen zuckten herum, sah zu den Pflegern und Schwestern, die uns ansahen, als wären wir…naja verrückt und warteten auf die günstige Gelegenheit, sie zuergreifen. Ihre Hände zitterten, das Messer zuckte und ich wisch etwas zurück. Kurz schaute ich hinter mich, schüttelte den Kopf. Auch wenn ich wusste, dass sie mich nicht beachten würden geschweige den hören, wollte ich sie zurückhalten. Bis ich ihr zumindest das Messer abgenommen hatte. Ich machte wieder einen Schritt auf sie. Streckte erneut die Hand nach dem Messer aus. „Ich will dir helfen!“, flüsterte ich und ich meinte ein Aufblitzen in ihren Augen zusehen. So etwas wie Hoffnung. Sie öffnete den Mund, um etwas zusagen, schloss ihn aber wieder. „Hab keine Angst!“, sprach ich weiter. Kurz huschten meine Augen zu dem Messer. Nur noch wenige Zentimeter. Meine Fingerspitzen berührten fast schon die Klinge. Ich schaute zu Felicitas, die offensichtlich nichts merkte. Ihr Blick war starr auf mich gerichtet. In ihm sah ich nun wieder die Angst und die Verzweiflung. Und noch etwas anderes. Ein schwaches flackern, wie von…einer Kerze. Nein, von einer Flamme!

Mir wurde schlagartig kalt. In meinem Kopf füghten sich Bilder zusammen, die vorher zwar zueinander passen würden, aber dennoch keinen Sinn ergaben. Nun aber sah ich es. Felicitas war Samantha. Und nun verstand ich auch ihre Bitte. „Hilf mir!“

Sie musste eine Gefangene sein. Eine Gefangene in ihrem eigenen Körper. „Alles wird gut, Samantha!“

Plötzlich, als hätte ich mit der Erwähnung ihres Namens einen Schalter betätigt, wich alle Angst aus ihrem Blick und das Flackern wurde stärker, bis ihre Augen förmlich brannten und mit einem Schrei warf sie sich auf mich. Hob dabei das Messer und wollte es mir in die Brust stossen, da packten die Pfleger sie. Felicitas schrie und keifte. Ein anderer Pfleger nahm ihr das Messer aus der Hand. In diesem Moment kam Doktor Rayne. Ich fragte mich, wo er die ganze Zeit gesteckt hatte.

Er holte aus seinem Kittel eine Spritze und ich wusste, das sich in dieser befand. Ohne zu zögern steckte er die Nadel in den ausgestreckten Arm Felicitas und drückte den Kolben hinunter. Felicitas schrie dadurch umso mehr. Bis das Mittel begann zuwirken und sie langsam müder und schwächer wurde. Ich stand nur da und sah zu. Weitere Pfleger kamen den anderen und trugen die Bewusstlose weg. Ich hatte so eine Ahnung, wohin sie sie brachten.

Nach dem das ganze Durcheinander und die Aufregung sich gelegt hatten, wollte man wissen, wie es Felicitas gelungen war, an dieses Messer zu kommen. Ich stand einfach nur da. Man hatte wohl nicht vor, mich zurück auf mein Zimmer zubringen. Doktor Rayne kam zu mir, legte die Hand auf meine Schulter. Ich zuckte etwas zusammen. „Geht es dir gut?“, fragte er. Ich nickte nur. „Was…was wird jetzt mit ihr passieren?“

„Sie wird erstmal in Sicherheitsverwahrung genommen!“, erklärte er knapp und mir zog sich der Magen zusammen, als ich mir vorstellte, was das hiess.

„Was war da eigentlich los? Was hat dich geritten, ihr so nahe zu kommen. Sie hätte dich…?“, wollte Doktor Rayne wissen. Er war da und hat es gesehen?

Ich hatte ihn nicht bemerkt. Offensichtlich war ich so sehr auf Samantha fixiert gewesen, dass ich alles andere um mich herum vergessen hatte. „Ich…ich weiss auch nicht…!“, murmelte ich. „Ich dachte, ich könnte helfen!“

Doktor Rayne sah mich mit einem zweifelnden Blick an. „Das ging jawohl in die Hose!“, bemerkte er trocken. „Geh jetzt ins Bett. Eine Schwester wird dich auf dein Zimmer bringen!“, sagte er. Nur schwer ließ ich mich von einer Schwester auf mein Zimmer bringen. Ich wollte, aus irgdendeinem Grund, ihr nachgehen. Doch eine Schwester schob mich schon den Flur entlang. Wir waren kaum zwei Schritte entfernt, da hörte ich eine Schwester schreien.

„Einen Arzt. Schnell einen Arzt!“

Dann waren wir auch schon um die Ecke gebogen.
 

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Felicitas die Morde begangen hatte, hatte man mich wieder in mein vorheriges Zimmer gebracht. Ich war ehrlich gesagt froh, denn nun musste ich nicht mehr aufpassen, was ich machte, ohne nicht gleich verdächtig auszusehen. Wie Felicitas allerdings die Morde begangen haben sollte, ohne dass es jemand mitbekommen hatte, war ein Rätsel über das sich die Ärzte, die Schwestern und die dazugerufenen Polizisten die Köpfe zerbrachen. Ich kannte die Antwort, aber keine würde mir glauben, weil zum einen eine Patientin war und zum anderen, weil keiner an Geister oder soetwas glaubte. Die Ermittlungen waren abgeschlossen. Jetzt wo man die Täterin gefunden hatte.

Aber nicht für mich.
 

Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf von Lex. „Wir haben erfahren, wann der Brand war!“, sagte er, kaum dass ich das Telefon angenommen hatte. „Echt? Wieso hat es solange gedauert?“

„Weißt du wieviele Brände es in den letzten Jahren gegeben hat?“, blaffte er mich an. Ich hielt mir das Telefon etwas weiter weg. „Jaja, schon okay. Musst mich nicht so anschreien. Also wann war der Brand?“

„Am 18. Februar 1981!“

Mir fiel fast der Hörer aus der Hand. „Soll dass ein Witz sein?“

„Absolut nicht!“

„Morgen ist der 18!“

„Tja, dann wird morgen das Finale anfangen!“

„Und wie soll ich das verhindern?“, fragte ich, weil ich es mir ziemlich schwer vorstellte, die Ärzte und das Personal zu überzeugen, dass morgen die Klink brennen wird. „Lass dir was einfallen!“

Und schon hatte er aufgelegt. Na, klasse. Mir wird schon was einfallen. Der hatte gut Reden.

Ich hängte ein und ging zu der Schwester, die einige Meter wartete. Ich ging zu ihr. Sagte ihr, dass ich fertig war. Sie nickte. Wollte mich wieder auf mein Zimmer begleiten, als Doktor Rayne uns entgegen kam. „Doktor Rayne. Ich muss mit Ihnen sprechen!“, rief ich und fasste nach seinem Arm. Doktor Rayne hielt inne, schien mich nicht gesehen zu haben und sah mich überrascht an.

Doch dann blinzelte er und bemühte sich um ein Lächeln. „Natürlich, Allison. Aber jetzt gerade ist es etwas ungünstig!“, sagte er. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht später. Ich muss sie jetzt sprechen!“, flehte ich außer mir und krallte meine Hände mehr in seinen Arm. Doktor Rayne gab einen überraschten Schmerzlaut von sich und ich lockerte meinen Griff. „Bitte…es ist dringend!“

„Doktor, soll ich sie ins Zimmer bringen lassen?“, fragte die Schwester. Ich warf kurz einen Blick zu der Schwester hinter mir, die wirklich vorhatte einige Pfleger kommen zulassen. Schnell sah ich zu Doktor Rayne. Einen flehenden Blick, der ihn vielleicht erwärmen würde. Lange Zeit sah er mich an und dann, zu meiner Erleichterung nickte er. „Also gut. Komm in mein Büro!“
 

Ich war erleichtert, aber auch ein wenig unsicher, als der Doktor Rayne nach mir die Tür schloss. Und sich, mit vor Brust verschränkten Armen, an die Tür lehnte. „Also, was willst du mir so dringend sagen?“, fragte er. Ohje, das war nicht gut, wenn er diesen ungeduldigen und zugleich erschöpften Ton in seiner Stimme hatte. Er musste eine kurze Nacht gehabt haben. Ich biss mir auf die Lippe, wusste nicht, wie anfangen sollte. Seit letzter Nacht würde es sicher noch schwerer werden, ihn davon überzeugen. Aber ich musste es versuchen. „Ich…ich habe die Befürchtung, dass die Klinik morgen brennen wird!“

„Wieso das?“, fragte er mich mit gehobenen Brauen. Ich ahnte irgendwie dass er den Verdacht hatte, ich würde diesen Brand auslösen. Ich schüttete hastig den Kopf. „Ich kann es Ihnen nicht sagen. Nur dass es geschieht. Bitte, glauben Sie mir!“, flehte ich inständig, wobei ich mir gut vorstellen konnte, dass das unmöglich war. Gestern hatte man schon gemerkt, dass er es niemals glauben würde. Und jetzt würde es nur noch schwerer werden. Aber ich musste ihn einfach überzeugen, dass wir alle in größter Gefahr schwebten. Doktor Rayne verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mit schief gelegtem Kopf an. Deutlich sah ich in seinen Augen, dass ich schon überzeugender sein musste. Ich seufzte innerlich frustriert. Hatte er nicht als Arzt die Pflicht seinen Patienten zuglauben?

„Ehrlich gesagt, fällt es mir als Arzt schwer, es zuglauben!“

Ich war kurz davor einen Schrei loszulassen. Was musste noch passieren, dass er mir endlich glaubte?

„Haben Sie denn nicht Erik kennengelernt?“, fragte ich aufgebracht. „Ich dachte, wenn Sie ihn sehen, würden Sie ihre Meinung ändern!“

„Ich habe nur gesagt, dass ich dir glauben würde, dass dieser Erik wirklich existiert. Aber nicht, dass eine Tote diese Morde ausgeübt hatte!“

„Das sollten Sie aber, verdammt nochmal!“, platzte es aus mir heraus. „Wer, Ihrer Meinung nach, soll es sonst gewesen sein?“

„Du hast es doch selbst gesehen. Felicitas war es!“

„Felicitas ist Samantha!“, sagte ich aufgebracht. „Alice!“, sagte Doktor Rayne und hob die Hand. Er hatte offentsichtlich genug von meinen Warnungen. Meine Schultern sackten nachunten und ich verlor jegliche Hoffnung. „Es reicht jetzt!“, sagte er entschieden. „Ich habe es mir lange genug angehört und es reicht jetzt. Felicitas ist weggesperrt und schuld an den Morden. Keine Tote!“, wiederholte er. Ich wollte noch etwas sagen, doch da öffnete Doktor Rayne schon die Tür. „Geh jetzt!“

Wie ein Kind, das man auf sein Zimmer schickte, weil es ungezogen war, schlich ich zu meinem Zimmer. Öffnete die Tür, schloss sie hinter mir sogleich. Schlich zu meinem Bett, setzte mich darauf und seufzte schwer. Ich war niedergeschlagen und auch wütend darüber, dass Doktor Rayne mir nicht glauben wollte. Er hatte doch selbst gesehen, dass nicht immer alles zuerklären oder logisch war. Erik war einfach so aufgetaucht. Aber vermutlich gab er sich da für selbst eine Erklärung, wie zum Beispiel, dass Erik sich die ganze Zeit versteckt hatte und erst dann rauskam, als ich das Licht ausgeschaltet hatte. Praktisch als eine Art Zeichen. Dabei war es alles andere als ein abgekartetes Spiel. Es war mein und Eriks Versuch, den Doktor zuüberreden, uns zuglauben und die anderen zuwarnen. Aber leider ging das ganze nachhinten los und Doktor Rayne war taub für mein Flehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als hier sitzen zubleiben und zu warten, bis das ganze Inferno losging.
 

In der darauffolgenden Nacht passierte nichts. Kein Alptraum, in dem ich jemanden sterben sah oder irgendwas anderes, was mit Samantha zutun hatte. Trotzdem lag ich war, weil ich keine Ruhe fand. Es war beinahe schon unheimlich. Fast wie die Ruhe vor dem Sturm. Ich spürte förmlich, wie sich das Unheil zusammenbraute und nur darauf wartete, zuzuschlagen.

„Erik, bist du da?“, fragte ich leise. „Ja!“, kam sogleich seine Antwort und ich spürte, wie er mir sanft über den Rücken strich. Es hatte etwas Beruhigendes. „Kannst du nicht schlafen?“

„Nein!“, seufzte ich und wickelte mich in meine Decke ein. „Was sollen wir jetzt machen? Doktor Rayne will mir nicht glauben!“

„Wir müssen auf alles gefasst sein!“

„Um ehrlich zusein, habe ich Angst!“, gestand ich. „Angst ist gut. Angst macht einen vorsichtig!“, erklärte er. „Es ist nicht die Angst vor dem Kampf, sondern vor dem, was sein wird, wenn ich…es nicht schaffe!“, murmelte ich.

„Was soll deiner Meinung nach sein, wenn du es nicht schaffst?“, fragte Erik. Ich spürte, wie mir kalt wurde bei dem Gedanken, an das was kommen würde. „Dass sie weitermachen würde. Immer wieder!“

„Die Angst zu Versagen. Die schlimmste Angst!“, murmelte er. „Du darfst sie nicht über dich bestimmen lassen!“

„Das ist nicht geradeleicht!“, flüsterte ich. Wieder strich Erik mir über den Rücken. „Du schaffst das. Ich weiss es!“, sprach er mir Mut zu. „Schlaf jetzt aber!“

Schlafen. Etwas was ich nicht konnte. Nicht mit dieser Bedrohung und der Angst in meinem Nacken. Ich schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht!“

Das Lacken raschelte und die Matraze gab ein wenig nach. Etwas schob sich unter mir hindurch. Ein Arm. Eriks anderer Arm legte sich über mich. Er zog mich an sich heran. Ich spürte, seine Brust hinter mir. Seinen Herzschlag. Seinen Atem, der mein Ohr streifte. Die Wärme, die von ihm ausströmte. In diesem Moment, war er so real für mich, wie es nur ein Mensch sein konnte. Ich kuchelte mich an ihn. „So dürfte es gehen!“, sagte er. Ich lächelte. „Danke!“, murmelte ich und mir fielen schon bald die Augen zu. Noch während ich dabei war, einzuschlafen hörte ich ein Summen. Nein, eine Melodie und sie kam mir bekannt vor. Ich brauchte eine Weile, bis ich sie erkannte. Es war die Melodie von My Immortelle.

Ich fragte mich nicht, woher er davon wusste, sondern ließ mich von der Musik davontragen.

Ich wusste selber nicht, wie ich es beschreiben sollte. Aber Eriks Melodie schaffte es, mich zuberuhigen und mich nicht mehr an das denken zulassen, was mich eben noch nervös gemacht hatte. So wie damals, wenn Mama mich in die Arme genommen hatte und mir ein Schlaflied vorgesungen hatte, wenn ich böse Träume hatte. Für einen kurzen Moment stellte ich es mir vor, wie es war, als sie noch lebte und mich tröstete. Dabei kamen mir die Tränen. Erik wischte sie mir weg. Hauchte mir einen Kuss aufs Haar.

Dann schlief ich gänzlich ein.
 

Das dumpfe Geräusch von Schritten und Stimmen holte mich aus dem traumlosen und tiefen Schlaf, in den Erik mich gleiten ließ. Ich blinzelte paarmale und richtete mich auf. Erik war nicht mehr da. Vermutlich, war er solange geblieben, bis ich eingeschlafen war und hatte sich dann zurückgezogen, um neue Kraft zu tanken. Nun war ich allein und verstand den Tumult da draußen nicht. Mein Gehör war wohl immernoch am schlafen. Doch je länger ich versuchte zu lauschen, desto wacher wurde es und ich bemerkte bald, dass es sich bei den Stimmen um die des Personals handelte. Und irgendetwas daran ließ mich schlimmes ahnen. Ich stieg schnell aus dem Bett und rannte zur Tür. Riss sie auf und mir wehte sogleich ein Geruch von Verbranntem entgegen. Ich glaubte sogar das Knistern von Flammen zu hören. Nein, schrie es in mir und mir wurde schlagartig kalt. Das konnte nicht sein.

Ich trat raus, in den mit Raucherfüllten Flur. Sah nur noch schemenhaft Menschen umherirren, die schrien und versuchten einen Ausweg zu finden. Eine Schwester kam auf mich zugestolpert, ergriff mich am Arn. „Was stehst du hier so rum? Wir müssen so schnell wie möglich raus hier!“, schrie sie und zerrte mich mit sich. Doch ich rührte mich nicht von der Stelle. Stattdessen blickte ich zu den Flammen, von denen ich nur den Schein am Ende des Flures flackern sah und das Knistern hörte. Doch ich ahnte, dass diese bald schon hier sein würden. Und meine Gedanken überschlugen sich. Das Feuer war viel zu früh ausgebrochen. Sicherlich konnte es Samantha nicht mehr abwarten, ihre Rache zu bekommen. Und ich musste dabei an Felicitas denken, die sicherlich noch in ihrer Zelle saß und nichts von all dem mitbekam. Ich riss mich von der Schwester los und stürmte in die entgegen gesetzte Richtung. Hinter mir hörte ich noch die Schwester rufen: „Hey, wo läufst du denn hin!?“

Doch ich achtete nicht darauf, sondern rannte weiter. In das Inferno hinein.
 

Überall wo sie hinsah war Feuer. Es kroch die Wände hinauf und frass sich über die Decke. Und es war heiss, unerträglich heiss. So wie damals, als sie aufgewacht war und feststellen musste, dass es brannte. Trotz dass es heiss war, fror sie. Sie durchlebte das, was schlussendlich mit ihrem Tod geendet hatte. Die Vorstellung erneut in den Flammen zu sterben, lähmte sie für einige Minuten. Sie wusste nicht wohin sie gehen sollte. Egal wohin sie schaute, war Rauch, machte es ihr unmöglich etwas zusehen. Nur schwach konnte sie die Umrisse von Türen und Gegenständen sehen, die im Flur standen. Vorsichtig wagte sie einen Schritt nachvorne. Tastete sich durch den Qualm, der immer dichter wurde. Nur schwach konnte sie die anderen Insassen hören, die riefen und nach einem Ausweg suchten und sie versuchte, diese zufinden. Sie hoffte, dass, wenn sie sie fand, auch hier rauskommen würde. Doch je weiter sie ging, desto leiser wurden die Stimmen und das Tosen der Flammen lauter. Der Rauch wurde dichter und nahm ihr jegliche Sicht und auch Orientierung. Irgendwann kam sie an einer Kreuzung an und blieb dann stehen. Wo lang sollte sie jetzt gehen?

Ratlos und mit einem unguten Gefühl, wohl wissend, dass sie sicherlich den falschen Weg gehen würde, ging sie nach rechts.

Lief den Korridor entlang, der mit noch mehr Rauch gefüllt war, als der vorherige. Felicitas musste husten, als der Rauch in ihre Lungen kroch und sie enger werden ließ. Nun fingen auch noch ihre Augen anzubrennen. Mochte es der Rauch sein, der ihre Augen tränen ließ oder vielmehr die Angst hier nicht wieder lebendig rauszukommen. Vermutlich beides, denn sie hatte bisher kein einziges Schild gesehen, dass ihr den Fluchtweg zeigte. Und war stattdessen wohl noch tiefer in das Inferno gelaufen. Felicitas blieb wieder stehen und schaute den Gang zurück, den sie gegangen war. Vielleicht sollte sie zurückgehen und nach einem anderen Weg schauen. Gerade wollte sie einen Schritt nachvorne machen, als sie plötzlich eine Gestalt aus dem dichten Rauchen auf sich zu kommen sah. Felicitas Herz machte machte einen Satz und in ihr wurde die Hoffnung geweckt, dass es sich herbie um jemanden handelte, der sie hier raus holen würde. Doch dann sah sie, dass sich die Gestalt schleichend auf sie zubewegte. Lauernd, beinah so, als wollte sie angreifen. Felicitas spürte, dass etwas Bedrohliches von dieser Gestalt ausging und es nicht gut war, hier noch länger an dieser Stelle zu bleiben. Also ging sie weiter. Schaute dabei immer wieder hinter sich. Zu ihrem Entsetzen schien die Gestalt sie nicht ein einziges Mal aus den Augen zulassen und hatte sich an ihre Fersen geheftet. Immer mehr hatte sie das Gefühl, dass diese Gestalt sie vor sich hertrieb undso sehr sie einen anderen Weg einschlagen wollte, zwang sie der Blick der Gestalt, wobei sie kaum ihr Gesicht sah, aber deutlich spürte, dass sie sie ansah, weiterzugehen. In die Richtung, in die sie getrieben wurde. Hinundwieder um sie zum weitergehen zuzweingen, hob sie die Hände und wackelte mit den Fingern. Ein schreckliches Klirren von Metall, das einander geschliffen wurde, war zuhören und ließ ihr eisige Schauer über den Rücken laufen. Felicitas spürte eine ohnmächtige Angst sie ergreifen, die sie den Rauch und die Hitze des Feuers vergessen ließ, sodass sie nichts weiter wahrnahm als die Nähe der Gestalt und die damit verbundene Bedrohung. Sie fühlte sich wie einVerurteilter, den man seiner Hinrichtung führte. Nicht in der Lage etwas dagegen tun zu können. Mit zitternen Schritten ging sie weiter, bis sie vor einer Tür stehen blieb, über dessen Rahmen ein Schild hing. „Notausgang“

Felicitas runzelte die Stirn fragte sich, was das zubedeuten hatte?

Warum diese Gestalt sie hierher getrieben hatte, wo sie sie doch töten wollte?

Felicitas drehte sich um, sah die Gestalt, bis dato immernoch kein wirkliches Gesicht zuhaben schien, an und fragte mit erstickter Stimme:„ Warum tust du das? Warum quälst du mich so?“

Doch statt zu antworten, hob die Gestalt nur die Hand. Zeigte zur Decke hoch. Felicitas folgte mit ihrem Blick und sah den tiefen Riss, der sich quer durch den Putz frass. Ihr war, als würde man sie mit Eiswasser übergießen. Sie stand genau unter der Stelle, wo die Decke runterkommen und sie unter sich begraben würde. Und da wurde ihr klar, wer da vor ihr stand. „Samantha!“, keuchte sie. Die Gestalt schüttelte sich und ein grässliches Krächzen war zuhören, was wohl ein Lachen sein sollte. Panisch schüttelte Felicitas den Kopf, als ihr bewusst wurde, was Samantha mit ihr vorhatte. „Nein, bitte nicht!“

„Dein Flehen wird dir nichts bringen. Du wirst sterben!“, hörte sie Samantha sagen und dann das Knirschen von brechenden Mürtel und Putz. Felicitas sah erneut nach oben. Sah, wie in Zeitlupe, wie ein großer Teil der Decke auf sie hinunterstürzte. Doch bevor sie darunter begraben wurde, packte sie eine Hand und riss sie zur Seite.
 

Ich kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern dass Felicitas von dem herabstürzenden Brocken zerquetscht wurde. Ich wusste selber nicht, wie ich so schnell den Weg zu ihr gefunden hatte. Ich war einfach losgelaufen und war meinem Gefühl gefolgt. Es war, als würde mich etwas durch den Rauch leiten. Eine Spur, wenn man so will. Genauso, wie als ich dem Kratzen auf dem Flur folgte und dann Samantha sah. Ich wusste einfach, wo ich hingehen musste, Ein kleiner Teil zumindest, aber er war stark genug, um mich zu ihr zubringen und sie zur Seite zureissen. Ich schleuderte sie, leider etwas viel zu heftig, gegen die Wand. Sie schrie auf und sah mich aus entsetzten Augen an. Sie dachte wohl, ich wollte ihr etwas tun. Ich umfasste schnell ihre Schultern, damit sie nicht halsüberkopf wegrannte, und sprach ruhig auf sie ein. „Alles okay! Ich schaff dich hier raus!“

„Alice?“, keuchte sie, das sie mich wohl erst jetzt erkannte und nicht verstand, was ich hier machte. Ich hatte aber auch keine Zeit, es ihr zuerklären, sondern packte sie an der Hand und wollte losrennen. Da sah ich das Schild. Notausgang, las ich und dankte dem Himmel, dass wir nicht durch die Flammenhölle rennen mussten, um hier rauszukommen. „Feli, hör zu. Du musst hier raus. Gehe durch diese Tür da!“, rief ich und deutete auf die Tür. Felicitas schien erstmal nicht zubegreifen, was ich ihr damit sagen wollte. Sie sah mich immernoch vollkommen perplex an. „Was…aber wie…du?“, stammelte sie nur. Ich bedeutete ihr, nichts weiter zusagen, weil es erstmal wichtige war, hier rauszukommen. Also schubste sie zur Tür. „Los, verschwinde!“, rief ich noch. „Ihr geht nirgendwohin!“, krächszte Samantha plötzlich, die sich bisher zurückgehalten hatte und warf sich mit einem wilden Kreischen auf Felicitas, die daraufhin entsetzt aufschrie. „Nein!“, rief ich und sprang dazwischen. Ich hob die Hand und wollte sie wegschlagen, als plötzlich ein gewaltiges Sensenblatt vor mir auftauchte und die metallischen Klauen von Samantha mit einem lauten Klirren nur wenige Zentimeter vor meinem Gesicht zustoppen brachten. Zuerst dachte ich, es wäre Erik gewesen, der da eingeschritten war und die Sense geschwungen hatte. Aber dann erkannte ich verdutzt, dass ich die Sense hielt. Die Sense war pechschwarz, mit, wie gesagt, einem riesigen Sensenblatt, dessen Gewicht kaum spürte und mich an die des Todes erinnerte. Der Stiel, lang und knochig, fast so groß wie ich. Sie war wie aus dem Nichts erschienen.

Minutenlang blickte ich zu der Waffe. Fragte mich, ob mir das nicht nur einbildete.

Dann aber bemerkte ich die Wärme an meinem Handgelenk und ich schaute zu dem Armband. Der Stein darin leuchtete und nun wusste ich, woher die Sense kam. Eriks Armband hatte sie erschaffen. Erneut dankte ich. Aber diesesmal Erik. Endlich mal eine vernünftige Waffe.

Samantha schien ebenso wie ich verblüfft zu sein. Verwirrt blickte sie zu der Sense und schien nicht zubegreifen, was passiert war. Das nutzte ich aus und holte nochmals mit der Sense. Durch den Schwung wurde Samantha nachhinten geschleudert und zu Boden geworfen. Gut zwei drei Meter. Ich stiess einen verblüfften, aber auch freudigen Laut aus und wiegte die Sense in meinen Händen. Sie wog immernoch als wäre sie federleicht.

Einfach klasse!

Doch ich konnte nicht lange meinen ersten Triumoh geniessen, denn Samantha rappelte sich auf und fauchte mich wütend an. Ich machte einen Schritt zurück und stiess gegen etwas. Hinter mir hörte ich Felicitas aufkeuchen. Ich blickte kurz nach hinten, sah, dass sie noch immer da stand, wohin ich sie geschubst hatte. Das durfte doch nicht wahr sein. „Felicitas? Was machst du hier noch? Hau endlich ab!“, schrie ich nun und schaute nachvorne. Gerade noch rechtzeitig, denn Samantha hatte meine Unachtsamkeit ausgenutzt, so wie ich ihre vorhin und hatte sich wieder auf mich gestürzt. Wieder hob ich die Sense. Doch diesesmal war mein Gegenangriff alles andere als elegant und gut gelenkt, denn ich merkte, wie ich das Gleichgewicht verlor. Ich strauchelte und wäre fast gestürzt. Doch ich konnte mich geradenoch abfangen und ihren nächsten Angriff abwehren, der mir sicherlich das Gesicht zerfetzt hätte. Ich schlug nach ihr, doch Samantha, nun wissend, dass ich mich wehren konnte, oder besser gesagt nur einigermassen, wich zurück und das Sensenblatt verfehlte sie nur wenige Zentimeter. Naja, zumindets konnte ich sie so zurücktreiben und mir vom Halse halten. Hinter mir hörte ich das Klicken von Metall und kalte Nachtluft strich über meinen Rücken. Na, endlich. Felicitas war außer Gefahr. Blieb nur noch Samantha, die wieder angriff und sich mit wilder Wut auf mich warf. Wie fliegende Messer sausten ihre Klauen durch die Luft und verfehlten mehr als nur einmal mein Gesicht oder meinen Hals. Ich konnte deutlich den Lufthauch spüren und wie dicht die Klingen über meine Haut vorbeiglitten. Was ich dabei nicht bemerkte war, wie es immer heisser wurde und wie stärker die Flammen wurden. Das Tosen und Knacken war nun solaut, dass es alles andere vershcluckte. Mein Keuchen und Samanthas wütende Schreie, die jeden ihrer Schläge nach mir begleiteten. Erneut sausten ihre Klingen, diesesmal von oben, auf mich nieder und ich hob den Stiel der Sense über meinen Kopf. Klirrend kamen sie da zum Stillstand und Funken sprühten. Ich keuchte auf, als die Sense unter dem Schlag zitterte und meine Arme einknickten. Zwar war die Sense leicht, aber Samanthas Schläge waren immer stärker und wütender gerworden, sodass ich nicht nur mit meinem Gleichgewicht, sondern auch mit ihrer Stärke zu kämpfen hatte. Hinzukam, dass, wenn ich mir nicht bald was einfallen ließ, ich noch am Ende hier zu Tode komme. Ich schaute hoch zur Decke, sah die Risse, die immer größer wurden und sah, wie schon die nächsten Brocken der Decke sich herauslösten, um herunter zufallen. Staub rieselte auf uns nieder, während wir miteinander kämpften. Mein Blick zuckte immer wieder zur Decke und dann wieder zu Samantha, die immer rasender wurde. Ich hatte wirklich Mühe ihren Angriffen noch zutrotzen, da ich langsam mekte, wie meine Arme kraftloser wurden. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Meine Gegenwahr war nichts weiter als ein Versuch noch etwas länger durchzuhalten. Der Rauch und die Hitze setzten mir dabei erheblich zu, Bald schon schmerzen meine Lungen und ich konnte kaum noch etwas sehen. Dann, es kam mir vor wie eine Ewigkeit, schaute ich wieder zur decke und sah einen ganz großen Brocken, der dabei war, runterzufallen. Und nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, Samantha. Plötzlich arbeitete es in meinem Kopf. Wenn es mir gelang, sie unter diesen Brocken zudrängen, bevor er runterstürzte, würde sie darunter begraben werden und ich müsste es nur noch hierrausschaffen.

Mit der mir noch restlich verbliebenden Kraft holte ich nun zum Angriff aus und schwang meine Sense im hohen Bogen. Samantha, überrascht, dass ich wieder zu neuer Kraft gefunden hatte, taumelte zurück. Zwar verletzte sie das nicht, aber das war auch nicht weiterschlimm, sondern diente dazu, sie nachhinten zutreiben. Die Spitze der Sense bohrte sich in die gegenüberliegende Wand. Ich riss sie mit einem Ruck heraus und holte nochmals aus. Samantha wich erneut zurück. In ihrem Gesicht Überraschung, aber auch Wut, darüber das ich wieder angriff. Ich kümmerte nicht weiter darum, sondern schaute schnell nachoben. Der Brocken hatte sich sowie rausgelöst, aber etwas in mir bezweifelte, dass er im Recht Moment runterfallen würde. Ohne zuwissen warum, entwickelten meine Hände ein Eigenleben. Nein, mein ganzer Körper. Beide Hände schlossen sich fester um den Sensenstiel, all meine Muskeln pannten sich an, als würden sie wissen, was nun kommt und ich wäre nur das Medium, was sie benutzten.

Dann rissen meine Arme die Sense hoch, schleuderten sie zur Decke. Wie ein wirbelnder Ring aus Metall sauste sie hoch und traf den Brocken. Solgeich löste er sich von den letzten bisschen Putz, der ihn gehalten hatte und stürzte auf Samantha. Begrub sie unter sich.

Ich sprang schnell einen Schritt zurück, damit er mich nicht auch noch erwischte. Samantha schrie und heulte ungläubig. Schlug wild um sich und versuchte sich unter dem Borcken hervor zuarbeiten. Als sie feststellen musste, dass sie hier nicht mehr wegkam, warf sie mir wütende Blicke zu. Das ist deine Schuld, schien sie mir förmlich entgegen zuschleudern. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Eigentlich sollte ich froh sein, dass sie nun endlich das bekommt, was sie verdient. Aber ich hatte auch das Gefühl, das ich ihr ebenso helfen musste, wie Felicitas. Kurz hielt Samantha inne, sah mich an und in ihren Augen sah ich nun ein Flehen, das mir einen fetten Kloss im Halse verursachte. Ihre Augen waren wie die von Felicitas, als sie um ihr Leben fürchtete. Was hatte ich nur getan!

Auch wenn sie so etwas, wie ein Rache dämon war, der unschuldige ermordet hatte, hatte sie sich dieses Schicksal nicht ausgesucht und wollte so nicht sterben. Meine anfängliche Genugtuung war wie weggeblassen und stattdessen wollte ich ihr nun helfen. Ich streckte meine Hand aus, wollte sie rausziehen. Doch da wandelte sich der Blick Samanthas wieder in blanken Hass und mit einem Kreischen schlug sie mit ihrer Klauenhand nach mir. Ich sprang zurück, doch sie erwischte mich am Arm und hinterließ vier tiefe Kratzer aus denen Blut sickerte. Ich fluchte und presste mir die andere Hand auf die Wunde. Für einen kurzen Moment hatte ich mich täuschen lassen. Dieses Biest hatte es wirklich geschafft, dass Mitleid mit ihr hatte und wäre fast draufreingefallen. Wie konnte ich so dumm sein. In ihr war nichts mehr, was an das Mädchen erinnerte, was gestorben war. Mit steinerner Miene ging ich zurück. Sah unentwegt zu ihr und sie mich. In ihren Augen lag soviel Hass, dass es mir fast die Luft abschnürte. Sie bleckte die Zähne wie ein wildes Tier, das einen gleich angriff und ihre Klauen schabten über dem Boden. Verursachten ein scheußliches Geräusch, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Das Knacken des Feuers wurde nun lauter, dröhnte in meinen Ohren und als ein Teil der Wand einriss, wurde ich endlich aus meiner Starre gerissen. In wenigen Minuten würde alles zusammenbrechen. Ich musste hierraus, wenn ich überleben wollte. Ich sah zu meiner Sense, doch die war weg. Offensichtlich hat sie sich aufgelöst, als sie nicht mehr gebracuht wurde. Also vergeudete ich keine Zeit und drehte mich um, wollte rausrennen. Doch dann sah ich nocheinmal zu Samantha. Sie war kaum noch zusehen, durch den Rauch und durch die Flammen, die sich nun ihren Weg zu ihr hinfrassen. Nur ihren Schatten sah ich und ich hörte ihre wilden, wütenden Schreie, die langsam von dem Tosen der Flammen vershcluckt wurden. „Fahr zur Hölle!“, murmelte ich und legte die letzten Schritte zurück, die zum Ausgang führten.

Kalte Nachtluft schlug mir entgegen, als ich aus dem brennenden Gebäude rannte und gierig die Luft einsaugte. Meine Lungen schrien erleichtert auf, als sie endlich neue Luft bekam. Ich brauchte eine Weile, ehe ich wieder einigermassen ruhig atmen konnte, geschweige denn mich orientieren konnte. Mit etwas verklärtem Blick sah ich mich um. Wir mussten uns auf der Rückseite des Gebäudes befindern. Vor mir standen Bäume, die einen Wall bildeten. Der Boden war mit Gras bewachsen. Und darauf lag…

„Felicitas!“, rief ich, als ich sah, dass sie sich nicht rührte. Sie lag auf der Seite. Der Kopf von mir abgewandt. Ich rannte zu ihr und rollte sie vorsichtig herum. Hob ihren Kopf an und beugte mich zu ihr hinunter, um zulauschen, ob sie noch atmete. Nur schwach strich ihr Atem über meine Wange und er klang rasselnd. Eine schreckliche Ahnung machte sich in mir breit. Ich richtete mich auf und sah sie an. Felicitas Augen waren geschlossen. Ihre Lider zitterten und ihre Haut war wächsern. Ich presste die Lippen zusammen, als mir bewusst wurde, dass es für sie keine Hilfe gibt. Vorsichtig berührte ich sie an der Wange. Sie fühlte sich kalt an. Ich schauderte. Felicitas öffnete die Augen. Ihr Blick war schwach und ging durch mich hindurch. Als würde sie mich nicht sehen. „Alice!“, kam es leise von ihr und ihr Blick suchte meinen. „Ich bin hier, Feli!“, sagte ich und versuchte tröstend zuklingen. Felicitas lächelte. „Danke!“, flüsterte sie dann und kurz kam Leben zurück in ihre Augen. „Danke, dass du mich gerettet hast!“

Dann wurde ihr Blick leer und ihr Kopf rollte zur Seite. Ich spürte, wie das Leben aus ihr entwich. Ihr Körper sackte in sich zusammen, wurde leicht, als würde er nichts wiegen und ihr Gesicht nahm einen friedlichen Ausdruck an. Lange blickte auf sie nieder. Dann begann es sich zu verändern. Und ich glaubte, meine Augen würden mir einen Streich spielen. Das Gesicht, welches für einen Moment noch Felicitas gehörte, war nun das von Samantha. Ohne aber eine Spur von Zorn oder Hass. Sondern das welches ich in der Zeitung gesehen hatte.

in lächelndes, glückliches Mädchen.

Meine Augen begannen zu brennen, als die ersten Tränen in mir hochkamen und ich hielt sie auch nicht zurück.

Mit einer Mischung aus Erleichterung aber auch Trauer zog ich Feli….Samantha enger an mich und wiegte sie. Wie ein Kind, das eingeschlafen war. In mir war nichts weiter als eine gähnende Leere. So wie damals, als meine Mama gestorben war und Marie. Trotz dass ich wusste, es gab keinen anderen Weg, wünschte ich, ich hätte mehr tun können. Vielleicht eher bei ihr sein, damit sie noch eine Chance hatte. Stattdessen war ich zuspät gekommen.

Hatte sie sterben lassen. Und ich begann mich zufragen, ob das die erste und letzte Niederlage war, oder ob es danach noch einige geben würde. Schon allein beim Gedanken wurde mir kalt. Ich wusste nicht wielange ich so dagesessen hatte.

Ich hörte irgendwann hinter mir Stimmen. Doch ich achtete nicht darauf. „Hier sind Sie!“

Auf die Stimmen folgten Schritte. Sie hielten neben mir und ich spürte, wie jemand eine Hand auf meine Schulter legte. Vorsichtig, um mich nicht zuerschrecken. „Allison!“, flüsterte eine Stimme. Ich erkannte sie. Fay.

Ich rührte mich immernoch nicht, sagte auch nichts. Sondern hielt Samantha einfach in den Armen und blickte auf sie nieder. Fay setzte sich neben mich. Legte den Arm um meine Schulter. Drückte sie. „Du hast getan, was du konntest!“, hörte ich sie sagen. Für mich war das nicht genug. Ich schüttelte den Kopf.

Erneut erklangen Schritte hinter uns.

Diesesmal waren es die Pfleger, die zu uns kamen. Zwei von ihnen nahmen mir Samantha aus den Armen. Trugen sie weg. Ein dritter kam, um sich zu erkundigen, ob mir etwas fehle. Fay sagte ihm, dass mit mir alles in Ordnung war. Wobei das nicht wirklich zutraf. „Komm, gehe wir nachhause!“, sagte sie, nach dem der Pflger wieder gegangen war und ich nickte. Vorsichtig half sie mir aufzustehen. Meine Knie fühlten sich an, als seien sie aus Blei und ich begann plötzlich zu zittern, weil mir nun kalt war.

Mit zitternen Beinen gingen wir zu der Einfahrt, in der schon zahlreiche Feuerwehrautos und Krankenwagen standen. Die Nacht war erhellt von den blinkenden Blaulichtern. Das Feuer war schon sogut wie gelöscht. Es glimmten noch einige Teile nach und in der Luft hing der Geruch von Verbranntem. Ich schaute zu dem, was mal eine Klink gewesen war. Einige Teile des Gebäudes waren eingestürzt und schwarzverkohlte Stützbalken ragten wie Gerippe in den nächtlichen Himmel. So musste es ausgesehen haben, als die Klinik zum ersten Mal gebrannt hatte. In meinem Hals bildete sich ein fetter Kloß und ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ich konnte nicht glauben, dass ich vor wenigen Minuten noch selber dadrin gewesen war. Es erschien mir wie ein verrückter, schrecklicher Traum. Kurz geriet ich ins Straucheln und Fays Griff um meine Schultern wurde fester. Fay hielt mich weiterhin an den Schultern und lenkte mich zu dem Wagen, der etwas weiter abseits stand. Lex stand an der Tür gelehnt. Die Arme vor der Brust verschränkt, schien er schon auf uns zuwarten. Als wir näher kamen, öffnete er die Tür zur Rückbank. „Das hat ganz schön lange gedauert!“, beschwerte er sich. Wenn ich die Kraft dazu gehabt hätte, hätte ich ihm eine geknallt. Fay warf ihm hingegen einen bösen Blick zu und bugsierte mich auf den Rücksitz. Dann schloss sie die Tür. Besprach noch was mit Lex, was ich kaum hörte. Dann stiegen sie ein. Lex startete den Motor und fuhr an. Noch während wir die Auffahrt hinunterfuhren, sah ich nachhinten, zu dem abgebrannten Gebäude. Bis es nicht mehr zusehen war.
 

„Damit ich das richtig verstehe. Es gab zwei Samanthas?“, hakte Lex nach. Nach einigen Tagen hatten wir uns zusammen gesetzt, um über den Fall, der nun abgeschlossen war, zureden, da es noch einige Ungereimtheiten gab. Ich nickte. „Ja, ich dachte auch erstmal, ich hätte einen Knick in der Optik. Aber es war so. Einmal die Samantha, die in die Träume andere eingedrungen und sie ermordet hat und die, die in meinen Armen starb!“

„Wie ist das denn möglich?“, murmelte Fay ratlos.

„Manche Geister, also Menschen, die gewaltsam aus dem Leben gerissen werden, entwickeln zwei Persönlichkeiten. In Samanthas Fall war es so, dass sie eine dunkle, rachsüchtige Seite und eine nach Hilfe rufende Seite entwickelte!“, erklärte Brian, der bisher geschwiegen und sich meine Geschichte aufmerksam angehört hatte.

„Schizophrenie!“, gab Esmeralda nachdenklich von sich.

„Und als ich die „böse“, Samantha unter den Brocken gelockt und sie zurückgelassen habe…?“, fragte ich und ließ das Ende des Satzes frei im Raum stehen, damit Brian mir auch diese beantowrten konnte. „Konnte die, die nach Hilfe flehte endlich ihren Frieden finden. Mann kann es als eine Art Gleichgewicht betrachten. Solange die mordende Samantha weitermachte, war die andere Seite dazu verammt, es hilflos zuertragen und keine Ruhe zu finden. Dies wiederum ließ die dunkle Seite immer mehr zu Kraft kommen, da sie dies in Wut umwandelte…Es war ein Geben und Nehmen, in diesem Fall!“

„Nur das die leidende Samatnha davon nicht wirklich etwas davon hatte!“, sagte Lex. „Jetzt hat sie ihren Frieden gefunden. Dank Allison!“, sagte Fay und lächelte mich stolz an.

„Ich frage mich wirklich, wie du das geschafft hast!“, sagte Lex und sah mich mit hochgezogenen Brauen an. Auf einmal fühte ich mich sehr unwohl. Ich schrumpfte etwas in meinem Sessel zusammen. „Ich…ich habe es doch schon erzählt!“, sagte ich kleinlaut. „Ich habe einen Brocken der Decke auf sie krachen lassen!“

Lex schüttelt den Kopf. „Das meine ich nicht!“

„Das ist doch nicht weiter wichtig. Hauptsache, sie hat ihren Frieden gefunden!“, sagte Fay, der ich einen dankbaren Blicken zuwarf.

„Richtig, sie hat ihren Frieden gefunden. Alles andere ist nicht weiter wichtig!“, meinte Brian. Und damit war der Fall endgültig abgeschlossen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hidan_1975
2015-10-12T22:32:42+00:00 13.10.2015 00:32
Arme Sam durfte als Untote zwischen den Welten wandeln...aber warum dann diese Morde in der Klinik?
Sie kam doch beim Brand um's Leben.

Diese Bis(s) zum .... sind echt ätzend.Genauso die Filme dazu ... kann Lex nur zustimmen.

Daumen hoch und hoff du bringst auch diese FF zum Abschluss.

Hdgdml
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
13.10.2015 06:29
Na aber icher doch. ann aber etwas dauern, weil ich noc viel vor habe...Manhe Geister sid nach ihrem Unfall tramatesiert, wissen nicht, was mit ihnen geschehen ist oder wollen Rache, weil man ihnen nicht geholfe hat


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