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Allison

Das Erbe des Wolfes
von

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Die kleine Meerjungfrau

Es war warm. Und sonnig. Keine einzige Wolke bedeckte den Himmel. Die Luft war erfüllt von dem üblichem Strassenlärm Roms und von den lautstarken Auseinandersetzungen von Menschen, an denen wir vorbeiliefen. Touristen, die Rom besuchten, um sich die alten Bauten anzusehen. Einschließlich des Vatikans. Mamas Zuhause. Oft hatte sie davon erzählt, wie sie dort aufgewachsen war, als man sie vor den Toren, als Säugling ausgesetzt, gefunden hatte. Mehr jedoch erzählte sie davon nicht und überließ mich so meiner eigenen Fantasie. Mehr als einmal haben wir die alten herrlischen Hallen besucht und uns die alten Geschichten angehört. Ich konnte davon nie genug bekommen. Da diese Hallen einst meine Mama bewohnt hatte.

Auch an diesem Tag, hatten wir einen ausgedehnten Besuch am Vatikan unternommen. Uns dann in ein Eiscafe gesetzt und kaltes, süßes Eis gegessen. Danach sind wir an den Fontana di Trevi gegangen, um uns dann was zuwünschen. Mama warf ein Münzstück hinein. Ebenso wie ich und wir beide wünschen uns was.

„Und was hast du dir gewünscht, Allison?“, fragte sie mich, während wir sahen, wie das Wasser von den Fontänen zitterte. Unsere Münzen lagen auf dem Grund. Eine große, die meine Mama geworfen hatte und eine kleine, die meine war. Damals wusste ich nicht, dass man seine Wünsche nicht laut ausprechen durfte, sonst gehen sie nicht in Erfüllung. Und ich wusste auch nicht, was ich mir geanau gewünscht hatte. Aber ich erinnere mich noch genau an die Worte. „Ich habe mir gewünscht, dass ich genauso, wie du werde, Mama!“

Damit hatte ich eigentlich ihre Stärke, Schönheit und ihr helles Köpfchen gemeint. Nicht aber, dass, was sie wirklich in sich hatte. Und ironischer weisse, war mein Traum doch noch in Erfüllung gegangen. Obwohl ich es laut ausgesprochen habe.

Ich habe mir gewünscht, dass ich genauso, wie du werde, Mama!

Ich habe mir gewünscht, dass ich genauso, wie du werde, Mama!

Immer wieder hörte ich diesen einen verhängnissvollen Satz, bis ich die Augen aufmachte. Statt in Rom, war ich in London, in einem Zimmer, dass mit Freunde meiner Mutter zur Verfügung gestellt hatten. Weiter wollte ich nicht nachdenken, da ich zum einen viel zu müde war, um mich überhaupt an das was gewesen war zu erinnern und zum anderen, weil ich nicht wieder den bitteren Geschmack von Galle in meinem Mund haben wollte. Doch die Jagd und der Kampf mit dem Penangallan blieben mir dennoch gut vor Augen und ich sah es wieder vor mir. Wie es grinste und seine Zunge aus dem Mund kroch. Wie eine Schlange, die gleich zuschlagen wollte und hörte die Worte noch immer, als seien sie ebengesprochen worden.

„Stirb wohl, kleine Allison!“

Ein kalter Schauer rann mir über den Rücken. Dieses Ding wusste, wie ich heisse. Ebenso wie der Parasit, der meine Freundin auf dem Gewissen hatte. Konnte das alles Zufall sein?

Oder hatte wirklich meine Mutter solche mächtigen Feinde, die wussten, dass ich ihre Tochter war und es nun auf mich abgesehen hatten?

Minutenlang saß ich in meinem Bett, in diesen düsteren Gedanken verankert. Wenn dem so wäre, überlegte ich bei der zweiten Möglichkeit und diese nahm immer mehr grauenhafte Gewissheit an, und ich würde nun auf die schwarze Liste der Dämonen stehen, würde mir noch einiges bevorstehen. Ich seufzte schwer und wollte mich ins Bett zurückfallen. Aus einem mir nicht erklärbaren Grund, fühlte ich mich noch müder als vorher und ich hatte den unstillbaren Wunsch, zu schlafen. Am liebsten den ganzen Tag oder auch die ganze Woche.

Doch ein Klopfen verhinderte das und ohne dass ich „Herein“ oder „Ja“ sagte, öffnete sich die Tür und Fay steckte den Kopf durch den Spalt. „Good Morning, Sunshine!“, grüßte sie mich und auch wenn ich wusste, dass sie das nicht böse meinte, hätte ich für diesen Spruch am liebsten ein Kissen an den Kopf geworfen. Sie tat gerade so, als wäre ich nicht dem Tod knapp von der Schippe gesprungen. Aber vermutlich sagte sie das, um mich aufzumuntern. Dabei erinnerte sie mich an Marie. Mein elieb Marie, das Sonnenscheinchen von uns beiden. Die immer versucht hatte, mich zum Lächeln zubringen. Auch wenn mir nicht der Sinn danach standt. Es aber immer wieder und irgendwie schaffte. Ich brachte nur ein zaghaftes Lächeln und müdes „Morgen“ raus.

Fay kam dann rein und auf ihrem einen Arm balancierte sie ein Tablett. Darauf war ein Teller mit Rührei, Speck, gerösteten Zweiebeln, Pfannenkucken, ein Flächschen Aronsirup und ein Glas mit Orangensaft, frisch gepresst muss ich dazusagen, dass konnte ich förmlich riechen und sogleich meldete sich mein Magen. Vergessen war die Übelkeit und der Gallengeschmack in meinem Mund. Mir lief bei dem Geruch und beim Anblick des Frühstücks das Wasser im Munde zusammen. Und um das ganze abzurunden, war das ganze noch von einer schmalen Vase darauf, mit einer herrlichen roten Rose darin, verschönert. Eigentlich hätte ich gesagt, dass das schon zuviel des Guten war. Aber ich freute mich über soviel Liebe und Aufmerksamkeit, dass ich die Hände ausstreckte und Fay das Tablett, was wohl doch etwas schwer war, abzunehmen. Vorsichtig, um nichts von dem guten Essen zuverschütten, setzte ich es auf meinem Schoss ab und begann sogleich daruflos zu futtern. Zuerst verputzt ich das Rührei, dann der Pfannenkuchen, wobei ich ordentlich Sirup drübergoss, sodass er fast schon darunter verschwand. Mein Magen und mein Gaumen jauchzten vor Freude auf, als ich die ersten Bissen zerkaute und runterschluckte. Und ich konnte nicht anders, als zuseufzen und zu kichern. Sogut schmeckte. Besser noch, als ich oder Papa es jemals hinbekommen hätten. Esmeralda war wirklich eine Spitzenköchin. Genauso so gut, wie meine Mama. Und bei diesem Gedanken verkrampfte sich mein Herz. Mit einem Male schien es nicht mehr so gut zu schmecken und ich kaute nur noch mühsam auf meinem Essen herum. Dabei musste ich wohl ein saures Gesicht machen, denn Fay beugte sich zu mir vor und fragte mich besorgt:„ Was ist denn? Schmeckt es dir nicht? Ist dir übel?“

Ich schüttelte den Kopf, griff nach der blütenweissen Serviette und wischte mir den Mund ab. „Doch, es schmeckt. Sehr gut, sogar. Aber…ich musste dabei an meine Mama denken. Sie hat ebenso gut gekocht und ich…!“

Mehr brauchte ich nicht zusagen, denn Fay legte mir die Hand auf die Schultern und lächelte tröstend. „Das kann ich verstehen. Mir ging es genauso. Damals konnte ich genauso wenig einen Bissen hinunterbringen, wenn ich nur an meine Mutter dachte!“, murmelte sie und furschte die Augenbrauen. Hä? Was soll das denn heissen?

Esmeralda lebte doch noch. Sie sah alles andere als tot aus?

Warum sagte Fay das?

Doch noch ehe ich etwas in der Richtung fragen konnte, wechselte sie schon das Thema. „Übrigens: Du solltest Lex erstmal aus dem Weg gehen?“

„Wieso das denn?“

Nun machte Fay ein verlegendes, aber auch amüsiertes Gesicht. „Naja, weißt du nicht mehr. Nachdem du und Erik den Penangallan beseitigt habt, hat er dir auf den Rücken geschlagen und dabei hast du ihm auf die Schuhe gekotzt, wenn ich das mal so direkt sagen darf!“, sagte sie und mir fiel die Gabel aus der Hand. Ohweia!

Stimmt ja! Da war was!

Und ich habe gedacht, ich hätte mir das nur eingebildet. Schlagartig wurde ich rot und zog den Kopf zwischen die Schultern. „Waren die Schuhe teuer?“, fragte ich und hatte die verrückte Idee, dass ich ihm die Schuhe ersetzen würde. Egal was es mich kostet. Fay schien gemerkt zuhaben, was ich mit meinte und platzte nun vor Lachen. „Nein, waren sie nicht. Trotzdem war er etwas angefressen!“, sagte sie und schlug mir aufmunternt auf die Schultern und ich lachte trocken. Klar, wer wäre das nicht. Ich wäre auch ziemlich sauer, wenn mir einer auf die Schuhe reiert. Mochten sie teuer sein oder nicht. Sowas gehörte sich nicht. Nun war ich es, die das Thema wechseln wollte, oder zumindest den Versuch machte. „Wo wart Ihr eigentlich, als sie einfach so aus dem Fenster gesprungen und davon gelaufen seid. Wir, ich und Erik, haben Euch aus den Augen verloren?“, fragte ich. Fay schien erstmal selber nachzudenken, ehe sie antwortete. „Naja, ich und Lex hatten so die leise Ahnung, dass der Penangallan seinen Körper ja irgendwo liegen lassen hatte. Also haben ich und Lex ihn gesucht und gefunden!“

„Und was wann?“

„Naja, nicht weiter großartiges. Lex holte eine Thermokanne raus, in dem Benzin war, übergoss alles mit diesem und zündete den Körper mit einem Streichholz an!“

Und da wurde es mir klar. Der Penangallan hatte geschrien, als würde er Höllenqualen erleiden und ich hatte mich gefragt warum. Fay und Lex hatten den Körper von ihm in Flammenaufgehen lassen. Ich konnte über soviel Raffinesse nur blinzeln. Denn zum einen war der Körper vernischtet und zum anderen hatte so der Penangallan nicht mehr die Chance zu etnwischen. Soviel Köpfchen musste man haben. Von der Geduld, den Körper ausfindig zumachen ganz zuschweigen.

„Wow!“, brachte nur hervor und Fay grinste stolz. „Aber ihr wart auch nicht schlecht. Wie du ihn angezündet hast. Respekt!“

„Naja, das war nicht meine Idee. Erik hat es zu mir gesagt, als er den Dämon im Griff hatte. Ich weiss immernoch nicht, wie ich das einfach so machen konnte. Dabei war ich am Anfang wie vor Angst erstarrt. Dass ich meine Finger überhaupt zu ruhig halten konnte, war wirklich wie ein kleines Wunder. Hätte ich nicht aufgepasst, hätte ich mich selber angezündet!“

„Das lag sicher an dem Adrenalin, dass du in dir hattest. Das sorgt schon dafür, dass man sich ganz anders verhält, wie man es eigentlich von sich kennt!“, erklärte sie und klang dabei, wie meine Biologie-Leherin. Ich musste lächeln. „Wielange habe ich eigentlich geschlafen?“

„Gut zwei Tage!“

„Und dein Vater wollte mich nicht aus den Federn schmeissen, um mich weiter zu drangsalieren?“

„Nein!“, sagte Fay mit einem leisen Lächeln und nicht böse über die Bemerkung. „Selbst er fand, dass du dich ausruhen solltest!“

Ich hob überrascht die Brauen. Sonst immer habe ich gedacht, dass Brian der Letzte wäre, der mir eine Ruhepause gönnte. Aber anscheinend war es in diesem Fall nicht so. „Das heisst aber nicht, dass du nicht denken brauchst, dass du wieder trainieren musst!“, sagte Fay mit einem verschmitzen Grinsen und blinzelte mir zu. Das habe ich auch nicht, doch ich fragte mich, wann und in was ich trainiert werden würde.

Nachdem Frühstück gönnte ich mir eine Dusche. Schälte mich zuerst aus den alten, anch Schweiss stinkenden Klamotten und zog mir einen Morgenmantel über, den mir Fay geliehen hatte. Ich drehte den Knauf der Tür herum und kaum dass ich sie öffnete, kam mir schon Wasserdampf entgegen. Das hätte mich eigentlich stutzig machen sollen, doch meine Freude auf die Dusche war so groß, dass ich dieses Warnzeichen ignorierte.

Als ich die Tür dann hinter mir schloss und den Mantel öffnete, sah ich, dass ich nicht allein war.

Gerne hätte ich Esmeralda, Fay oder gar Brian in der Dusche überrrascht, doch nicht ihn. Lex stand da, mit tropfnassen Haaren und mit einem Handtuch in der Hand. Ich betone hier ganz groß, dass der das Handtuch in der Hand hielt, und es gerade sicherlich vor seine edelsten Teile wickeln wollte, wäre ich nicht reingeplatzt. Doch ich hatte ihn ebenso überrascht, wie er mich und so hielt er mitten in der Bewegung inne. Einen langen unangenehmen Augenblick, sahen wir uns an. Unfähig etwas zusagen oder zutun. Ich merkte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss und es rot, röter als eine Tomate, werden ließ, während ich ihn ansah und meinen Blick nicht von dem abwenden konnte, was einer Nonne ohnmächtig werden ließ. Sein Körper glänzte von dem Wasser, was vorher über seinen Körper geflossen war und der Dunst um uns herum, ließen das ganze mehr als verlockend wirken. In meinem Kopf herrschte nichts als gähnende Leere, während ich ihn so betrachtete. Gott, wie gut er aussah, dachte ich, obwohl das alles andere als passend war. Ich sollte mich eigentlich fragen, was er nun von mir dachte, in diesem Moment. In so einem Fall wäre eigentlich das Logischste gewesen, sich schnell zu entschuldigen, aus dem Badezimmer zustürmen und die Tür hinter sich zu zuknallen. Doch ich konnte mich nicht bewegen, geschweige denn den Blick abwenden oder an irgendwas denken, was ich in so einem Moment machen konnte. Das einzige woran ich denken konnte, war, dass Fay mir den Rat gegeben hatte, Lex erstmal nicht über den Weg zu aufen. Und doch sah ich mich ihm gegenüber. Nackt, wie Gott ihn schuf und gut bestückt.

Was mir noch mehr Minuspunkte bei ihm einbringen würde.

Es vergingen Minuten, ehe Lex der peinlichen Stille ein Ende setzte. „Hättest du bitte die Güte, dich umzudrehen und zuwarten, bis ich mich angezogen habe?“, fragte er mich in einem zu Recht barschen Ton. Ich nickte nur, drehte mich um und wartete, bis er sich das Handtuch um die Hüfte geschwickelt hatte. Dann hörte ich, wie die Türe geschlossen wurde und ich war allein. Die Dusche konnte ich nun nicht mehr so sehr geniessen, denn immer wieder hatte ich das Bild von Lexs nacktem Körper vor Augen und mir schoss immwieder die Röte ins Gesicht. Oh man, warum muss mir das passieren?

Den Rest des Tages verbrachte ich auf meinem Zimmer. Zumindest wollte ich das. Aber dann meldete sich zur Mittagszeit doch mein Magen und als ich das Klopfen und Fays Stimme hörte, die sagte, dass das Mittagessen fertig sei, fügte ich mich meinem Schicksal. Auch wenn ich mich verkroch, ich würde doch irgendwann Lex nochmals über den Weg laufen. Ich konnte dabei nur hoffen, dass er meinen kleinen Fehltritt in der Dusche für sich behielt und es sich nicht anmerken ließ. Als ich runterkam, wartete schon das Mittagessen auf mich. Braten, mit dunkler Soße, Rotkohl und Klößen. Lecker!

Ich setzte mich an den Tisch und Esmeralda trug mir etwas davon als erste auf. Fay und Lex folgten. Über den Tisch konnte ich, auch wenn ich nicht wirklich aufschaute, sehen, wie er mich mit seinen Augen fürmlich durchbohrte und ich wünschte mir ein Mäsueloch, in das ich mich verkriechen konnte. Etwas ungelenk und mit Lex Blicken auf mich, stocherte ich im Essen herum und mochte es auch so gut aussehen und schmecken, ich würde sicherlich nun keinen Bissen mehr hinunterbekommen. Dennoch wollte ich nicht unhöflich sein und schob mir etwas von dem Essen in den Mund. Kaute darauf herum. Und nippte an dem Glas mit Wasser. Esmeralda und Brian tranken als einzige Rotwein.

Über den Mittagstisch breitete sich eine Stille aus, die mich an die, in der Duscher erinnerte, als ich Lex in seiner ganzen Pracht gesehen hatte und musste mir das rotwerden mit Gewalt verkneifen.

Dann aber sagte Fay, während ich aß. „Sag mal, Allison. Hast du nicht Lust mit mir später London anzusehen? Du hast kaum, wenn nicht sogar gar nichts, gesehen. Ich würde dir gerne die ganzen Sehenswürdigkeiten zeigen. Big Ben zum Beispiel!“

Auch wenn mir bewusst war, dass Fay eigentlich den berühmten Glockenturm meinte, schoss mir gleich das Bild von Lexs Genetailien durch den Kopf und ich verschluckte mich heftigst. Trotz dass ich mich abmühte ruhig zu blieben und dabei selber meinen eigenen Puls in den Ohren hören konnte, glaubte ich ein Glucksen von der anderen Seite des Tisches zuhören und ein rascher Blick verriet mir, dass es Lex war. Ein leises, und vorallem heimtückisches Grinsen, zierte nun sein Gesicht. Das war ja so klar.

Ich schüttelte hastig den Kopf. Hustete dabei und schluck mir in den Nacken, damit der Bissen, der mir im Hals stecken geblieben war, verschwand. Fay deutete dies natürlich falsch. Wie konnte sie auch wissen, dass ich an was anderes denken musste und wie peinlich es war. „Wirklich nicht? Schade! Kennst du schon den Big Ben. Oder lieber den Londoner Tower. Dort wurden die Gefangenen hingebracht, ehe sie hingerichtet wurden. Wie Lady Anne Boleyn, die zweite Frau von König Heinrich, dem VIII. Jetzt ist der Tower eine Museum, in dem die Schätze der Königsfamilie untergebracht sind. Willst du die Kronjuwelen anschauen. Ich sage dir, es lohnt sich!“, schwärmte mir Fay und bei dem Wort Kronjuwelen musste ich wieder an, ihr wisst schon, denken. Mein Husten wurde dabei immer stärker und mir kamen schon Tränen in die Augen. Ich schüttelte wieder den Kopf. Fay, nun ganz und war verwirrt und nicht wissen, warum ich so reagierte, hob die Brauen. „Sag bloss, du interessierst dich nicht für englische Geschichte?“, fragte sie leicht pikiert. „D-Doch schon…aber…!“, brachte ich verzweifelt hervor, weil ich nicht wollte, dass Fay was flasches von mir dachte, als Lex mir über den Mund fuhr. „Den Big Ben und die Kronjuwelen hat sie schon gesehen!“, sagte er feixend und grinste dabei dermassen frech und überheblich, dass ich nicht übelst Lust hatte, ihm mein Messer an den Kopf zuwerfen. Es war offensichtlich, dass er es genoss, mich so zusehen. Mich um Kopf und Kragen redent und ich konnte dabei nur an eines denken: Boah Männer! So beeindruckend groß war er nun auch wieder nicht Lex!

Fay, Esmeralda und Brian sahen uns beide nur an und ich würde den Teufel tun, um das ganze aufzuklären. Zumindest ihren Eltern. Fay wollte ich es nicht vorenthalten. So verkrümmelten wir uns nach dem Essen auf ihr Zimmer, dass um einiges größer war als meines, aber genauso schick ausgestattet war und erzählte ihr, warum ich kurz davor war mein Essen über den gesamten Esstisch auszuspucken. Zuerst sah sich mich sprachlos an, doch dann platzte sie förmlich vorlachen und hielt sich den Bauch. „Achso, deswegen…!“, lachte sie und konnte nicht mehr. Mir war alles andere als lachen zumute. Gott, war das peinlich.

„Wie schön, dass du dich so gut amüsierst!“, knurrte ich und grub mein Gesicht in beiden Händen. Fay schüttelte den Kopf, wischte sich die Tränen ab und strich mir tröstend über die Schulter. „Sorry, doch das ist wirklich zu komisch. Natürlich ist es auch peinlich. Mir wäre es nicht anders ergangen!“, sagte sie und musste ein Glucksen unterdrücken. Doch ich fühlte mich dadurch nicht besser. „Der hat es richtig genossen, mich klein zumachen!“

„So ist mein Bruder eben!“

„Hm, hoffentlich hat der einen Durchhänger, wenn er mal eine Freundin hat und das meine ich nicht, wenn er mal fertig mit den Nerven ist!“

Daraufhin mussten wir beide lachen. Da gab Fay mir einen Fausthieb gegen die Schulter. „Du bist echt´ne Nummer, Allison Adea!“

Später, es war eigentlich schon abend, gingen ich und Fay zur Eigangshalle. Jetzt, wo alles geklärt war, wollte ich mir doch nun London ansehen. Doch Fays Vater wollte sie einen Dämpfer verpassen. Kaum dass wir unsere Mäntel angezogen hatten, tauchte er auf und fragte Fay, wohin wir jetzt noch so spät gehen wollten. Fay sagte ihm, dass sie mir London zeigen wollte, wie sie es versprochen hatte und Brian runzelte nur skeptisch die Stirn. Als würde er denken, dass wir gleich eine Bank ausrauben wollten. Offenbar schien er seiner Tochter nicht zutrauen. Oder er machte sich einfach Sorgen, wie es jeder Vater tat, wenn seine Tochter noch zu so später Stunde rauswollte. Doch Fay war ja noch gerade das, was man hilflos nannte. Sie konnte schließlich kämpfen. Das einzige wehrlose Opfer wäre ja wohl ich. Doch darüber machte ich mir auch keine Sorgen. Da es ja bald Nacht war und ich Erik rufen konnte, sollte mir Gefahr drohen. Das sagte ich ihm auch, auch wenn ich wusste dass er wenig auf mich hören würde. Erst als Fay ihm versprach um zehn wieder dazusein und das Handy anzulassen, ließ er uns gehen. Kaum dass wir draußen waren, warf ich der geschlossenen Tür einen Blick zu und Pfiff leise. „Hui, dein Daddy macht sich ja wirklich Sorgen um dich. Ich dachte schon, der lässt niemals locker!“, sagte ich, wobei ich das nicht böse meinte. Und Fay lächelte entschuldigend. „Ja, er kann manchmal schon richtig anstrengend sein. Aber er meint es ja nur gut!“

Und damit hatte es sich. Wir gingen zur Garage und stiegen in den Wagen ein. Fay steckte den Schlüssel in das Zündschloss und startete den Wagen.
 

Wie es Fay angekündigt hatte, klapperten wir alle möglichen Touristenziele ab. Der Beckingham Palace, der Big Ben, die Londoner Towerbridge. Sogar das Madame Tussauds schauten wir uns an und ich war erstaunt, wie lebensecht die Wachsfiguren wirkten. Wir machten einige Fotos von und mit ihnen, in dem wir uns neben sie stellten und posierten. Besonders wollte ich neben Johnny Depp stehen. Mindestens fünf Fotos verschossen wir mit ihm, wobei Fay mich damit aufzog, wie sehr ich in ihn vernarrt sein musste, wenn ich soviele Fotos von ihm haben wollte. Ich musste dabei grinsen. „Ja, ich liebe diesen Mann. Dabei sah er in jungen Jahren, wie ein Milchbubi aus. Aber jetzt ist er richtig heiss. Außerdem sieht er meinem Vater irgendwie ähnlich!“

„Sieh an, das ist es also. Hast nicht zufällig einen Vaterkomplex?“, fragte sie und ich schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Ich sagte ja auch, irgendwie und nicht defintiv!“

Ich und Vaterkomplex. Soweit kommt es noch!

„Wenn findest du denn heiss?“

Fay überlegte kurz, dann grinste. „Da halte ich es lieber mit den älteren Herren. Hugh Jackmann und George Clooney!“

„Naja, so alt sind die auch nicht!“

„Aber ein anderer Jahrgang!“

„Auch wieder wahr!“, stimmte ich zu. „Welchen Schauspieler mag eigentlich Lex?“

Ich hatte keine Ahnung, warum ich diese Frage stellte. Sie war mir einfach so herausgerutscht.

„Keinen. Zumindest keinen Schauspieler. Es gibt nur einen, denn er gern hat!“, erklärte sie.

„Und wen?“

„Sich selber!“

„Na super!“

Daraufhin musste sie lachen. „Nein, war ein Witz. Er ist manchmal ein Idiot, aber man kann sich auf ihn verlassen, wenn es darauf ankommt!“

Und das sagte sie mit solcher Ehrlichkeit und schwesterlicher Liebe, dass ich mich fragte, ob ich ihn nicht doch Unrecht getan habe. Wenn sie das schon sagte, dann musste es ja so sein. „Hm!“, gab ich nur von mir. Ich war ein Einzelkind und kann mich nicht in die Lage eines Geschwisterparres hineinversetzen. Was ich manchmal verfluchte. Gerne hätte ich ein Schwesterchen oder ein Brüderchern. Aber Mama kam ja nicht dazu, um noch mal ein Kind zu bekommen. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn ich die große Schwester gewesen wäre, ob das Kind jetzt ein Junge oder ein Mädcehn war, war egal. Und ich malte mir für einen kurzen Moment aus, wie ich mich um mein Geschwisterchen kümmerte. Darauf aufpasste und es von dem Kindergarten abholte. Mich mit ihm stritt, über Kleider, Bücher oder sonst was. Und musste dabei etwas lächeln. Wie schön wäre es, wenn ich noch jemand anderen hätte, mit dem ich das schwere Los teilen konnte. Das Los, die Dinge zusehen, bevor sie passierten und dabei wurde mir aufeinmal übel. War es wirklich so toll, wenn ich eine Schwester oder einen Bruder hätte?

Würde er vielleicht ein normales Leben führen können oder war er ebenso wie ich dazu verflucht, Visionen vom Tod zuhaben. Würde er oder sie ebenso auf der Flucht sein und lernen müssen, sich zuwehren?

Mir graute ehrlich gesagt davor, mir das weiterhin vorzustellen und ich versuchte an was anderes zudenken.

„Wie geht es eigentlich den Jankins? Hat sich Mrs. Jankins wieder einigermaßen erholt?“

Fay hob die Schultern. „So genau weiss ich es auch nicht. Ich habe nur gehört, von Sir James, dass sie, nach dem sie sich von ihrer Ohnmacht erholte, eingeredet hatte, sich das alles nur eingebildet und einen Seelendoktor aufgesucht hat. Sir James meinte, dass wir froh sein können, dass ihr Mann uns nicht wegen Hausfriedensbruchs angezeigt hatte. Sich sondern noch extra bedankt hatte!“

Mir war es schon irgendwie klargewesen, dass Mrs. Jankins erstmal bei so einem Schock professionelle Hilfe brauchte.

Wer konnte schon von sich behaupten, dass solch ein Anblick eines Dämons einen ungerührt lassen konnte?

Wenn mir schon die Galle hochkam. Dennoch war ich erleichtert, dass die ganze Sache doch gut ausgegangen war. Für uns und für das Baby, dass sicher nun nicht mehr in Gefahr schwebte. „Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte ich und Fay fragte sich erstmal, was ich genau damit meinte. Doch dann lächelte sie. „Naja, so wie ich Dad kenne, wird er uns nicht wenig Zeit lassen, um zuverschnaufen. Denk dran, du hast ein Training vor dir!“, sagte sie und ich seufze schwer. „Wie könnte ich das vergessen!“

„Da du bei deinem ersten Auftrag Schwierigkeiten hattest aus einem Fenster zu springen, werden wir heute Springen und Abrollen aus großer Höhe üben!“, erklärte Brian und schon allein bei diesen Worten sträubte sich alles in mir. Irgendwas sagte mir, dass Lex, der neben seinem Vater stand, etwas damit zutun hatte. Dass er ihm gesteckt hatte, dass ich Schiss hatte. Zumindest würde es das fiese Grinsen erklären, welches er hatte. Grrr!

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich dir das heimzahle, Lex Matthews, dachte ich und versuchte es mir nicht zusehr ansehen zulassen. Sondern nickte.

„Klettere da die Leiter hoch und springe dann!“, wies er mich an und ich machte, was er sagte. Diskuttieren würde nichts bringen, da ich A, wenn ich es nicht tat und wiedermal aus einem Fenster hüpfen musste, mir sicherlich die Knochen brechen würde und B. weil Brian keine Widerrede durchgehen ließ. Zumindest nicht was mich anging.

So kletterte ich die Sprossen der Kletterwand hoch, wobei ich mir wie im Sportunterricht vorkam und wartete auf der, für mich höchsten, Sprosse auf Brians Zeichen. Doch kaum dass ich mich bereitmachte, sagte Brian schroff, dass ich noch höher klettertn sollte. Dass ich aus einer Höhe spingen müsse, die einem ersten oder zweiten Strock eher nahe herankam. Ich schluckte als ich gut zehnmeter über den Boden war und einen Blick nachunten riskierte. Mein Magen drehte sich sogleich und kurz wurden meine Hände um die Holzsprossen schwach. Drohten diese loszulassen. Ich riss mich zusammen. Das letzte was ich wollte, war, wie ein Stein runterzufallen und mir dabei doch noch etwas zu brechen. Ich atmete paarmal tief ein und aus. Versuchte mich zuberuhigen. Dann hörte ich Brian sagen, dass er bis drei zählt und ich dann springen sollte. Ich nickte. Machte mich bereit, während er zählte. Doch ich hörte ihn nicht. Sondern ein ganz anderes Geräusch. Es war dumpf und hörte sich erstmal wie das Rauschen des Windes. Bis ich erkannte, dass es sich um das Rauschen von Wasser handelte und ich furschte die Augenbrauen. Warum zum Teufel hörte ich Wasser rauschen?

Doch kaum dass ich mir wirklich Gedanken darüber machen konnte, erfasste mich ein heftiger Schwindel und mir wurde kalt. Mit einem Male schienen die Matten unter mir zu verschwimmen. Ihre Oberfläche kräuselte sich, wie Wellen und ich sah mich plötzlich über einem Meer schweben. Sah wie das Wasser unter mir wogte und Wellen schlug. Man hätte meinen können, dass as wirklich ein wunderbarer Anblick war. Wäre da nicht diese Bewegung unter dem Wasserspiegel gewesen, die mich an die einer Seeschlange erinnerte. Kurz tauchte ein schuppiger Körper hervor, der in dem Licht unter dem Wasser schimmerte und wieder verschwand. Ich runzelte die Stirn. Was war das?

Es erinnerte mich irgendwie an einen Fisch, aber welcher Fisch war bitteschön solang?

Und noch ehe ich mir darauf eine Antwort geben konnte, schoss es aus dem Wasser auf mich zu. Es passierte erst ganz schnell, doch dann sah ich es in Zeitlupe. Es hatte den Oberkörper einer Frau und den unteren eines Fisches. Eine Meerjungfrau!

Ihr Mund war weit aufgrissen. Wie Dolche ragten ihre Zähne aus diesem hervor und wollten sich schon in mein Gesicht bohren. Doch da verblasste die Vision, löste sich auf und ich spürte, wie meine Finger die Sprossen losließen. Und ich fiel.

Etwas fing meinen Fall jedoch auf und als ich wieder einigermassen zu mir kam, sah ich Brian über mir. Dazu kam Lex und Fay, die mich besorgt ansahen. Zumindest Fay. „Allison, alles okay?“, fragte sie mich und ich brachte nur ein Nicken zustande.

Langsam konnte ich mich aufsetzen und wischte mir über die Stirn. An meinen Fingern klebte kalter Schweiss. Und mein Atmen war zittrig und unkontrolliert. „Ich…ich denke schon!“, keuchte ich.

„Was war denn los?“, fragte Fay.

„Sie hatte eine Vision!“, kam es von Brian. Alle, einschließlich mir, sahen zu ihm hoch, der mich wiederum mit einem wissenden Blick ansah. „Hab ich Recht?“

Ich nickte wieder. Woher wusste er das?

„Was hast du gesehen?“

„Eine Meerjungfrau!“

„Eine Meerjungfrau?“, hakte Lex nach und klang nicht dabei so, als würde er mir glauben. Ich würde es ja auch nicht glauben. Wenn man das Wort „Meerjungfrau“, hörte, dachte man an eine Frau, mit rosiger Haut, weich wie ein Pfirsich. Einem Gesicht eines Engels. Vollen Haaren und einer lieblichen Stimme. Ich jedoch hatte ein Monster gesehen, dessen Haut kaltschimmernder Schuppen war und ein Gesicht, dass man nur in seinen Alpträumen sah. Groteks und abscheulich. Erinnerte mich an die Monsterfratzen aus alten Horrorschinken, wie zum Beispiel das Monster aus „Der Schrecken des Amazonas“.

Mit kalten Reptillienaugen und einem Mund mit spitzen Zähnen. Noch jetzt lief es mir kalt den Rücken hinunter.

„Ja. Ich…es war eine Meerjungfrau!“, stammelte ich und versuchte all meine Überzeugungskraft in meine Stimme zulegen. „Ich weiss, das hört sich bescheuert an, aber ich weiss doch, was ich gesehen habe!“

„Wir glauben dir, Allison!“, sagte Fay beruhigend und umarmte mich.

„Hast du gesehen, wo diese Meerjungfrau war?“, fragte sogleich Brain, der alles andere als einfühlend war. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe nur Wasser gesehen!“, sagte ich und ahnte schon, was er damit bezweckte. Ich war irgendwie froh, dass er nun versuchte diesem Scheusal zuvor zu kommen. Aber ich konnte nichts dazubeitragen. Es konnte sogut wie ein See oder sogar das Meer sein und selbst wenn die Meerjungfrau dort war, wie sollten wir sie finden. Das Meer war groß. Viel zu groß. Und Brian wusste das auch. Ich sah, wie er die Lippen zusammenpresste und sein Gesicht sich verdüsterte. Er schien enttäuscht zu sein, dass meine Aussage so hilfreich, wie ein Tropfen Wasser auf einem heissen Stein war und ich fühlte mich dadurch noch mieser. Na großartig! Wiedermal war meine Gabe nützlich.

„Was…was machen wir jetzt?“, fragte ich und meine Stimme war brüchig wie Glas, das gleich zerspringen würde. Brian seufzte. „So wie es aussieht, werden wir wohl warten müssen!“, sagte er und sprach das aus, was mir durch den Kopf ging und mich lähmte.

Müssen wir das wirklich, fragte ich und wollte es schon lautausprechen. Verbiss es mir jedoch. Es würde nichts bringen. Wir mussten warten.
 

In den Cottages bei den Kreidefelsen von Sussex in Südengland hielt früher die Küstenwache Ausschau. Der Strand in der Mündung des Cuckmere galt als Terrian der Schmuggler. Große Mengen an Brandy und Gin, Wolle und Tee schipperten von hier aus illegal in Richtung europäisches Festland. Heute jedoch ist es der Liebelingsort für Touristen, die die herrliche Sicht auf das Meer geniessen wollten. Und auch ein Ort für nächtliche Treffen einiger junger Paare, die die Nacht und die Abgeschiedenheit nutzen wollten, um das eine oder andere Abenteuer zu erleben. So auch Joan und Rick. Die beiden hatten sich, besonders Jaon trotz des Verbots der Eltern zu so später Stunde, aus dem Haus geschlichen und waren zu dem Strand gegangen.

Zusammen auf einer Decke liegend blickten sie zum nächtlichen Horizont, während ein kleines Lagerfeuer brannte und das nötige Licht und die ebenso benötige Wärme spendete. Wobei keiner eigentlich die Wärme eines Feuers brauchte. Beide lagen engumschlungen da und tuschelten und küssten sich. Dabei machten sich die Hände von Rick natürlich selbstständig und mehr als einmal verlief sich seine Hand zu den Knöpfen der Bluse seiner Freundin. Joan jedoch war das ein wenig zu schnell, sie schlug die Hand von weg. Zu anfang mit einem Lachen und dem höflichen Bitten, es sein zulassen. Doch dann, als Ricks Finger nun zum zehntenmal, an ihren Knöpfen zsuchaffen machen wollten, wurde sie etwas säuerlich. Als es ihr schließlich reichte, richtete sie sich auf und zupfte sich ihre Bluse zu Recht. „Verdammt nochmal Rick. Ich sagte nein!“

Rick setzte sich auf und wirkte dabei etwas verwirrt. Er verstand nicht, warum seine Freundin so reagierte. Immerhin waren sie schon zwei Monate zusammen und er dachte, dass sie nun einen Schritt weitergehen konnten, als nur Küssen und Händchen halten. „Man, was ist daran so falsch? Ich wird doch mal noch fummeln dürfen!“, warf er ihr vor.

„Nicht, wenn du mir die Klamotten vom Lebe reissen willst!“

„Also vom reissen kann wirklich nicht die Rede sein!“, sagte er. „Außderm, sidn wir schon lange zusammen. Warum also das Gezicke?“

„Ich zicke nicht. Ich habe nur keine Lust hier und jetzt meine Unschuld zuverlieren!“

„Wir können auch in meinen Wagen gehen, wenn es dir hier zufrisch ist!“, witzelte Rick und erntete dabei einen bösen Blick von Joan. „In deinen Wagen will ich auch nicht. Sondern einfach nur hier mit dir liegen und diese Ruhe geniessen!“, giftete sie und Rick verdrehte die Augen. Mädchen! Wer soll aus ihnen schlau werden?

Egal was man macht, es ist immer falsch, dachte er. „Man, was ist schon dabei, wenn ich ein paar Knöpfe aufmache!“, grummelte er in seinem Stolz als Mann und vorallem in seinem Recht als Freund gekränkt. „Was schon dabei ist?“, platzte es empört aus Joan raus und sie sprang auf die Beine. „Ich werde es dir sagen: Kaum hast du die Bluse auf, schon willst du mehr und darauf habe ich keinen Bock. Ist mir außerdem zu kalt. Ich weiss ja nicht, was für Mädchen du vor mir hattest, aber mich kriegt man nicht soleicht ins Bett!“

„Wer sagt denn, dass ich dich ins Bett kriegen will. Ich will doch nur etwas Fummeln!“, sagte Rick, dem das ganze langsam auf die Nerven ging. Er wollte nicht zugeben, dass die Mädchen, die er vor ihr hatte, nicht so zimperlich, wie sie es jetzt ist, waren und dass er deswegen leichtes Spiel hatte. Aber auch wenn seine Hormone Achterbahn fuhren und er gerne etwas mehr von ihr sehen wollte, so wollte er es sich nicht mit ihr verderben. Nicht nur weil er sie in gewisserweise liebte, sondern auch weil ihr Dad Polizist ist und wenn er nicht aufpasste, brauchte sie brauchte nur etwas sagen und er würde Probleme haben.

„Und ich sagte, dass ich das nicht will!“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Nun reichte es Rick. Er hatte Verständniss, wenn seine Freundin noch nicht soweit war. Aber warum glaubte sie, dass er gleich mehr wollte. Jedes Paar fummelte herum und küsste sich. War das so abnormal?

„Warum kannst du mir nicht vertrauen?“, fragte er. „Ich vertraue dir. Aber ich bin noch nicht soweit!“

Joan versuchte ihren Freund wieder zuberuhigen. Sie konnte sich ja denken, dass sie vermutlich die erste war, die nicht gleich die Hüllen fallen ließ. Rick war ihr erster Freund und es war die übliche Nervösität, die sie so zögern ließ. Wie mochte er bloss von ihr denken. Sie waren zwei Montae zwar erst zusammen, aber wenn sie so von ihren Freundinnen hörte, wie weit sie schon in dieser kurzen Zeit gegangen waren, kam sie sich wie eine verklemmte Kuh vor. Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. Sollte sie es wirklich riskieren und damit den Ärger ihres Vaters auf sich ziehen. Er hatte ihr mehr als einmal gesagt, dass sie noch viel zu jung für eine Liebelei sei. Doch sie so sehr sie auf die Worte ihres Vaters hören wollte, war sie auch neugierig. Wie jede Jungendliche, bei ihrem ersten Date. „Bitte verstehe das!“, sagte sie. „Ich…hey…hörst du mir überhaupt zu!“

Während Joan versuchte ihm ihr Zögern zu erklären und sich zuentschuldigen, hatte Rick aufs Meer hinausgesschaut und dabei ausgesehen, als würde er ihr nicht wirklich zuhören. Zuerst hatte sie gedacht, dass er das nur machte, weil er schmollte. Doch dann sah sie, wie geistesabwesend sein Blick wurde. Joan hob die Brauen. Rüttelte an seiner Schulter, doch er reagierte nicht. Auch als sie ihn ansprach schien er nicht darauf zu achten. Stattdessen stand er auf und ging aufs Meer zu. Joan, immer mehr über das seltsame Verhalten ihres Freundes verunsichert, sprang auf und lief ihm nach. Rief nach ihm:„ Rick? Rick, was ist denn?“

Wo sie vorher dachte, er würde nur schmollen, machte ihr nun das Verhalten von Rick große Angst. Was war nur los mit ihm?

Auf ihre Rufe reagierte er nicht und dieser Blick. So leer.

Als hätte man ihm hypnotesiert.

Joan verstand es einfach nicht. Wollte aber nicht aufgeben.

Sie ergriff seinen Arm, wollte ihn zurückhalten. Doch Rick entriss ihn ihr und ging weiter. Tat so als sei nicht gewesen. Immer weiter. Bis er fast im Wasser stand. Joan kämpfte darum ruhig zubleiben. Wobei sie allerdings guten Grund gehabt hätte, am verzweifeln zu sein. Ihr Freund, mit dem sie sich ebenoch gestritten hatte, beachtete sie nicht, egal was sie auch machte. Ging stattdessen zum Wasser und hatte dabei diesen unheimlichen Ausdruck.

Hatte er zuvor irgendwas genommen?

Zwar konnte sie sich das bei ihm nicht vorstellen, aber eine andere Erklärung für sein Verhalten hatte er nicht. Aber welche Droge konnte einen so beeinflussen, dass er nichts mehr hörte oder sah?

Joan wollte schon ihren Vater anrufen und ihn bieten hierher zukommen.

Doch dann drehte er sich um, und nun schien er sie doch zu bemerken, denn er sie sah mit einem strahlendem Lächeln an. So als habe er im Lotto gewonnen. „Ich habe sie gefunden!“, sagte er und klang wie ein Schlafwandler. Lallend und mit einer Freude in der Stimme, sodass sie sich fragte, ob er nicht doch eine Droge intus hatte. Joan runzelte die Stirn. „Gefunden? Wen?“, fragte sie, weil sie es einfach nicht verstand. Statt einer richtigen Antwort, sagte Rick nur. „Ich habe sie endlich gefunden!“

Und dann rannte er los. In die Fluten, bahnte sich einen Weg durch sie und verschwand für einen kurzen Moment. Joan konnte nicht so schnell reagieren, geschweige denn kucken, als ihr Freund sich ins Meer stürzte. Sie schrie nur und eilte ihm nach. Zumindest wollte sie das, bevor sie in das kalte Wasser trat und inne hielt. Immer wieder schrie sie nach ihrem Freund, versuchte ihn in der Finsterniss zusehen. Und sie fürchtete schon, da sie ihn nicht mehr sehen konnte, dass er ertrunken war. Umso erleichterter war sie, als er wieder auftauchte. Aber dies hielt nicht lange an, da sie sah, wie ihr Freund nach ihr, um genauer zu sein nach Hilfe rief und wild um sich schlug. Als würde ihn jemand im Wasser festhalten.

Was sollte das nun wieder?

So langsam fragte sich, ob Rick das alles nur inzenierte, um sich an ihr zurächen.

Aber etwas sagte ihr, dass das kein Scherz war und dass sie schleunigst Hilfe holen sollte. Wenn nötig sogar ihren Vater. Dass sie ihm erklären müsste, warum und wie sie zu so später Stunde es aus dem Haus geschafft hatte, wäre das kleinere Übel. Also nahm sie ihr Handy aus der Tasche und wählte mit zittrigen Händen die Nummer ihres Vaters. Als er abnahm, rief sie förmlich ins Handy:„ Daddy…Daddy komm schnell. Rick…er…er…!“, stammelte sie und konnte nicht den Blick von ihrem Freund abwenden, der immernoch darum kämpfte von dem, was auch immer ihn festhielt, freizukommen. Dann schoss etwas aus dem Wasser, schlängelte sich blitzschnell um den Hals von Rick und drückte zu. Trotz dass er so weit wegwar, konnte sie sein Gurgeln und Würgen hören und es ließ ihr einen wahren kalten Schauer über den Rücken laufen. Die Worte ihres Vaters hörte sie nicht. Nur die Schreie und das verzweifelte Würgen ihres Freundes, der um sein Leben kämpfte. Joan zitterte am ganzen Leib, als sie das mitansehen musste und brachte nur ein Wimmern zustande. Nichtmal als ihr Vater lauter wurde und sie aufforderte sich zuberuhigen. Dafür war sie viel zu außer sich und irgendwann entglitt ihr das Handy und fiel zu Boden. Während ihr Vater weiterhin versuchte aus seiner Tochter herauszubekommen, was eigentlich los war, sah Joan weiterhin zu ihrem Freund, der sich immernoch zuwehren schien, aber deutlich an Kraft verlor. Unkontrolliert begann sein Körper zu zucken und trotz der Dunkelheit konnte sie seine Todesangst im Gesicht sehen.

Das Wasser, welches zu anfang wild getost hatte, schien wieder ruhiger zuwerden und eine gespenstische Stille legte sich über die Bucht. Diese jedoch wurde schnell wieder gestört durch ein Grollen, was tief unter ihren Füssen zu kommen schien und sich nach oben grub. Fast wie ein nahender Vulkanausbruch. Doch statt das sich der Boden auftat, barst die Wasseroberfläche auseinander und etwas anderes kam nun aus dem Wasser. Derjenige, der ihren Freund gefangen gehalten hatte und ihm nun den Rest geben wollte.

Joans Augen wurden groß, als sie es sah. Zuerst dachte sie, es sei eine Frau. Doch dann bemerkte sie, dass ihre Hüfte nicht in Beine überging, sondern in einen langen schuppigen Schwanz. Joan sah, wie dieses Wesen den Mund öffnete und sich mit einem lauten Kreischen auf Rick stürzte. Dabei die Hände, die wie Klauen gekrümmt waren nach ihm ausstreckte und ihn mit ihrem Körper begrub. Ihn so unter das Wasser drückte und mit ihm in der Tiefe verschwand.
 

Wenig später traf Joans Vater, mit einigen Kollegen ein. Joan selbst stand wie erstarrt immernoch vor dem Meer und blickte hinaus. Das was sie zuletzt gesehen hatte, konnte sie einfach nicht fassen. Das was da Rick unter Wasser gezogen hatte, sah aus wie eine Meerjungfrau. Doch so etwas konnte es nicht geben! Oder?

Joan erschienen die letzten vergangenen Minuten wie ein Traum, aus dem sie ihr Vater kaum holen konnte. Trotz dass er seine Tochter an den Schultern packte und rüttelte. Sie reagierte einfach nicht. Zu geschockt war, als dass sie etwas sagen konnte. Ihr Vater musste das einsehen, denn er gab einen resegnierten Seufzer von sich und schleppte seine Tochter erstmal zum Auto. Sobald er sie daheim abgeliefert hatte, würde er zu Scotland Yard fahren und ihm erzählen was los war.
 

Sir James Reaktion mich wiederzusehen war deutlich anzusehen und er sah mich kurz mit misstraurischen Blicken an, als Lex ihm erzählte, dass wiedermal dabei sein werde. Wie wir uns schon gedacht hatten, ließ der nächste Fall nicht lange auf sich warten. Diesesmal hat es ein junges Päarchen erwischt. Zumindest dein Freund. Das Mädchen hatte zum Glück keinen Schaden davongetragen. Sah man von dem Schock ab, den es hatte. Ihr Name war Joan Wilson. Und ihr Dad war Beamter von Scotland Yard. Er war es auch, der bei Sir James Meldung gemacht hatte und dieser hatte sich bei uns gemeldet. Nach allem was ein Psychologe aus seiner verstörten Tochter herausbekommen konnte, hatte wohl eine als Fisch verkleidetete Frau ihren Freund ins Meer gelockt und ihn dann anschließend ertränkt. Dass es sich hierbei wirklich um eine Meerjungfrau handelte, hielt er für eine Folge des Schocks den sein Töchterchen hatte und wollte seine Tochter nicht weiter damit quälen.

Doch wir mussten mit ihr sprechen und so standen wir einige Tage später vor dessen Tür.

Zuerst ließ er uns rein und fragte uns, was wir wollten. Als Lex ihm sagte, dass wir mit seiner Tochter über das, was in jener Nacht passiert ist, reagierte er ungehalten. „Sie können doch nicht ernsthaft verlangen, dass meine Tochter nochmal dieselben Fragen beantwortet?“, fragte Komissar Wilson aufgebracht. Fay und Lex tauschten einen Blick, während wir bei den Wilsons im Wohnzimmer auf der Couch saßen. „Bitte, es ist sehr wichtig!“, setzte sich Fay ruhiger und auch einfühlsamer ein, als es ihr Bruder getan hatte, während ich wiedermal nur daneben stehen konnte. Trotz allen Einwänden war Joan auch dabei. Sie saß neben ihrem Vater und blickte ins Leere. Ich sah mir die klägliche Gestalt, die wohl mal ein fröhliches Mädchen gewesen und vor kurzem noch mit einem Jungen zusammen gewesen war, an. Sie war nicht älter als ich. Vielleicht sogar noch jünger. Aus Gesprächsfetzen hatte ich mitbekommen, dass das ihr zweites Date mit ihrem Freund war und dass sie es sich bestimmt romantischer vorgestellt hatte, als mit ansehen zu müssen, wie ihr Freund von einer Nixe ermordert wurde. Das konnte wohl jedes Mädchen aus der Bahn werfen.

„Was wollen Sie eiegtnlich noch. Meine Tochter hat schon alles gesagt, was sie weiss. Und außerdem sollte sie sich jetzt ausruhen!“, kam es von Wilson und ich konnte ihn verstehen. Papa hatte mich auch immer in Schutz genommen, wenn man mir, nachdem ich einen Anfall hatte, zunahe rückte und wissen wollte, was los war. Doch es war wichtig, dass wir es von ihr hörten und nicht von irgendeinen Quacksalber.

„Wir verstehen Ihre Sorge ja, aber es ist wichtig, dass sie uns genau beschreibt, was sie gesehen hat!“, bemerkte Fay eindringlich und ich nickte nur. Wie sehr ich es hasste, den passiven Part zu spielen. Wilson wollte dazu etwas erwidern, doch Lex fuhr ihm über den Mund. „Wenn Sie uns nicht mit ihr reden lassen, werden weitere Menschen sterben. Wollen Sie dafür verwantwortlich sein?“

Das saß. Wilson, der vorhin entschlossen war, seine Tochter mitzunehmen, zögerte nun kurz und blickte seine Tochter skeptisch an. So als zweifelte er daran, dass sie ein vernünftiges Wort zustande bringen könnte. Dann nickte er, wenn auch schwer. „Gut, ich gebe Ihnen fünf Minuten. Mehr nicht. Dann gehen Sie und lassen uns in Ruhe!“

Damit war Lex einverstanden. Und Mr. Wilson ging ins Nebenzimmer. Fay setzte sich ohne Aufforderung zu Joan Wilson und nahm behutsam ihre Hand. „Joan!“, sprach sie sie im ruhigen Ton an und die Augen des Mädchens wanderten zu Fay. Blieben kurz auf sie gerichtet, dann gingen sie wieder ins Leere. „Wir möchten dir helfen!“, fuhr Fay sanft fort und strich mit dem Daumen über den Handrücken. „Niemand kann mir helfen. Und auch nicht Rick!“

„Lass es und doch wenigstens versuchen!“

„Wie wollen Sie mir helfen?“

„Wir sind es, die hier Fragen stellen!“, platzte Lex. „Schtttt!“, kam es prompt von Fay, die ihrem Bruder einen erbosten Blick zuwarf. „Hör nicht auf den, das ist eine Dumpfbacke!“, sagte sie milder zu Joan und kurz huschte ein Lächeln über das Gesicht des Mädchens. „Das war Rick auch immer wenn es um Gefühle ging!“

„Du mochtest ihn sehr, nicht wahr?“

Joan nickte und nun kamen ihr die Tränen. „Ja, er…er war mein erster Freund!“

„Joan, ich weiss, dass es jetzt sehr schwer für dich ist, aber…bitte hilf uns. Du musst uns alles erzählen, was du gesehen hast!“

„Könnt Ihr, wenn ich es Euch sage, Rick retten?“

Fay schien kurz selber nachdenken zu müssen und ich deutete ihr Schweigen schon als nein. Auch ich und Lex wussten nur zugut, dass ihr Freund schon lange tot war, doch Fay wollte ihr dies nicht so offen ins Gesicht sagen. Sondern das nächstbeste dazusagen. „Wir werden unser möglichstes tun!“, versprach sie. Joan schien das nicht zureichen. Ich sah ihr das deutlich an.

Doch dagegen etwas sagen wollte sie nicht. Sondern nickte nur. Dann begann sie zu erzählen und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Dann war es still, während Joan leise weinte.

Ehe das Schweigen, welches sich über uns legte, noch beklemmender werden konnte, kam ihr Vater wie auf ein Zeichen und verkündetete, dass die fünf Minuten um waren und wir verabschiedeten uns von ihnen.

„Fay, meinst du wirklich, dass wir ihren Freund finden werden. Lebend?“, fragte ich und betonte das letzte Wort. Fay, die vorne saß, während ich wiedermal auf dem Rücksitz verbannt wurde, schaute stumm vor sich hin und es schien ewig zudauern, bis sie sagte:„ „Nein. Ich gebe zu. Es war eine dreiste Lüge, aber was Besseres fiel mir nicht ein!“

„Wie wäre es mit der Wahrheit!“, meinte Lex und Fay sah ihm mit einer Mischung aus Bestürzung und Zorn an. „Und ihr damit den nächsten Schock versetzen?“, schnaubte sie. „Es war schon schlimm genug für sie, dass sie zusehen musste, wie ihr Freund, ihr erster Freund, stirbt. Ich glaube, sie hat genug durchgemacht. Das reicht für ein ganzes Leben!“

Wohl wahr!

„Jaja, hast ja redcht!“

„Was machen wir jetzt?“, fragte ich. „Wir fahren nach Sussex und schauen uns mal an, was wir da finden!“, erklärte Lex und bog bei der nächsten Ausfahrt ab.
 

Ich hatte einige Fotografien von den berühmten weissen Kreidefelsen gesehen und schon da, sahen sie beeindruckend aus. Nun aber sah ich sie in Natura und war hinundweg.

Die Landschaft hatte etwas Malerisches. Diese Ruhe, in der nur das Rauschen des Meeres, welches sich unendlich vor mir ausstreckte, zuhören war. Die Abgeschiedenheit, wenn man von den Häusern absah, die etwas weiter weg standen.

Alles in allem wirkte das ganze hier sehr ruhig und ich fluchte, dass ich keine Kamera dabei hatte, um ein paar Schnappschüsse zu machen. Um einige schöne Erinnerungen an England zuverewigen. Papa hätte sich sicherlich gefreut, wenn ich ihm einige davon geschickt hätte.

Da fiel mir ein, dass ich mein Handy dabei hatte. Ohne zu zögern und ganz vergessen, warum wir hier eigentlich waren, zückte ich es aus meiner Hosentasche und machte ein paar Fotos. „Was treibst du da?“, fragte mich Lex irritiert. „Wonach sieht es denn aus. Ich mache ein paar Fotos für meinen Papa!“, murmelte ich und machte das sechste Foto aus einem anderen Blickwinkel. Ich hörte Lex grummeln. „Ist dir entgangen, dass wir hier aus einem anderen Grund sind, als die schöne Aussicht zu fotografieren!“

„Jaja!“, sagte ich, knippste noch ein paar Fotos und steckte das Handy ein. Fay lächelte etwas. Sie teilte wohl meine Meinung und als sie mir zuzwinkerte, sah ich in ihr wieder mal eine Verbündete. Wir könnten fast Schwestern sein.

„Und wonach sollen wir suchen?“

„Nun, da diese Merrjungfrau wohl noch nie was vom recycling gehört hat, wird sie ihn wohl wieder auf den Strand geworfen haben!“, sagte Lex, der mich wohl für bescheuert hielt. „Und wo sollen wir anfangen? Der Strand ist riesig, wie sollen wir da was finden!“

„In dem wir uns aufteilen und die Augen offenhalten!“, sagte Lex und wir machten uns daran, die Leiche des Jungen zufinden.

Doch das glich der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Die Sonne ging schon beinahe unter, als ich und Fay den Strand abliefen und nach dem Toten Ausschau hielten. Ich blickte auf meine Uhr. Kurz vor neun.

„Du, Fay, glaubst du wirklich, dass wir den heute noch finden werden?“, fragte ich skeptisch und Fay zuckte die Schultern. „Tja, ich würde auch gerne daran glauben, aber irgendwie…!“, sagte sie und ließ den Blick über den strand umherwandern. „Der kann überall sein!“

„Dann sollten wir zu Lex gehen und ihm sagen, dass wir es morgen nochmal…aua!“

Ich war irgendwo gegengetreten und habe mich mit dem Fuss darin verheddert. Unsanft fiel ich auf den Boden. „Allison, alles okay?“, fragte sie mich und half mir hoch. „Nein, ich muss über irgendwas gestolpert sein!“

„Bestimmt Treibholz oder sowas!“, sagte sie und half mir, meinen Fuss aus diesem rauszubekommen. Aber wir sahen auch, dass das vermeintliche Treibholz viel zu bleich war, um wirklich Holz zusein und auch irgendwie weich und aufgeschwemmt war. „Ich weiss nicht, dass sieht mir nicht wie Holz aus!“, murmelte ich mit einem unguten Gefühl im Magen. Weil die Sonne untergegangen war und wir kaum etwas sehen konnten, musste Fay ihre Taschenlampe rausholen, um zusehen, was da vor uns lag. Und kaum dass wir es richtig erkannten, wünschte ich mir, ich wäre über was anderes gestolpert.

Da lag er. Rick. Joans Freund. Oder zumindest das, was von ihm übrig geblieben war.

Er war wohl mal ein gutaussehender Junge gewesen sein, aber nun war er nichts weiter, als dessen angefressene Überreste. Aus ihm waren große Fleischstücke herausgerissen. Einige Körperteile, wie ein Arm und beide Beine fehlten. Ich konnte in dem Licht der Taschenlampe die Knochen sehen, die aus den Wunden hervorkamen. Gegen einen Brechreiz ankämpfend, wandte ich mich ab.

Fay holte das Handy raus, drehte sich ebenso um und rief bei Sir James an. „Sir James, wir haben ihn gefunden!“, sagte sie und ich konnte deutlich ein Würgen in ihrer Stimme hören.
 

„Und, was meinen Sie, Doc?“, fragte Lex, dem der Anblick des angefressenen Ricks wohl nichts ausmachte. Der Mann, den er Doc nannnte, war ein Pathologe, der die Leiche untersuchte und uns dann zusich rufte. Er war noch recht jung. Wohl in dem gleichen Alter wie Lex. Er zog sich gerade seine Gummihandschuhe aus und deckte den Kopf des Toten mit dem grünen Tuch wieder ab. „Naja, wäre das ein normaler Fall würde ich sagen, dass der arme Kerl das Opfer eines Hais wurde. Aber da wir ja hier in England keine Haie haben und das das alles andere als ein normaler Fall ist, würde ich sagen, etwas muss ihn erst erwürgt und dann angeknappert haben. Sehen Sie…!“, sagte er und hob erneut das Tuch hoch, deutete auf den Hals, um den sich ein dunkelblauer Strich zog. „Das Würgemal spricht deutlich dafür!“

„Das dürfte mit der Aussage seiner Freundin zutreffen. Sie hatte erzählt, dass dieses Ding ihn erwürgt hatte und dann unter Wasser zog!“, meinte ich. Doc, so nannte ich nun auch, nickte.

„Mit was auch immer er gewrgt wurde, es musste so dick wie eine Anaconda gewesen sein!“, schloss Doc und ich beugte mich zu Fay und raunte:„ Oder so dick, wie ein Fischschwanz!“

Fay nickte.

„Eine merrjungfrau! Ich dachte immer, das seien schöne Mädchen, die einem nur den Kopf verdrehen und nicht einen erwürgen!“, sagte Lex. Nachdem wir beim Doc waren, sind wir zurück gefahren und durchstöberten nun, schon wieder, die Bibliothek. „Naja, in den alten Märchen und Legenden der Seefahrt bezirzten die Meerjungfrauen, auch als Sirenen bekannt, mit ihrem Gesang die Seemänner und lockten sie, mit den Erfüllungen ihrer verborgensten Wünsche, zu sich. Dabei verloren sie Kontrolle über das Schiff, fuhren gegen Klippen oder Felsen und das Schiff erlitt Schiffbruch. Dabei kamen die meisten ums Leben!“, erklärte Brian. „Oh!“, meinte nur Lex. „Auch nicht gerade besser!“

„Deswegen solltest du dir was in die Ohren stopfen, damit du ihrem Bann nicht erliegst!“, riet ihm seine Mutter. Ich und Fay tauschten Blicke.

Das war nicht das Bild, was ich von einer Meerjungfrau hatte.

Als Kind hatte ich einmal „Arielle, die kleine Meerjungfrau“, gesehen und habe mich der Illusion hingegeben, dass diese Fabelwesen wirklich friedlich waren. Und sangen und tanzten. Nun aber schienen wir Arielles böser Schwester nach zujagen. Ich schauderte. „Und was jetzt?“, fragte ich, mehr zu mir selbst. Dennoch hörten sie sie und ich kann mir gut vorstellen, dass diese Frage Lex und Fay schon etwas nervte.

Wie musste ich in ihren Augen dastehen?

Sicherlich wie eine Dumpfbacke. Und wenn, dann verstanden es Lex und Fay, dies wunderbar zuvertuschen.

„Ganz einfach. Wir nehmen uns morgen ein Boot der Küstenwache und schauen nach!“, erklärte Lex lässig.

„Lasst uns hoffen, dass solange nichts passiert!“, meinte Fay, doch wir wussten alle, dass das nur ein unerfüllter Wunsch war.
 

Hungrig durchstreifte sie im Wasser umher. In der Hoffnung endlich was zusessen zufinden. Doch seit ihrem letzten Happen Menschenfleisch hatte sich keine fette Beute mehr in die Nähe des Meeres gewagt, welches sie nun als ihr Jagdrevier benutzt.

Und sie hatte schon befürchtet, dass sie verhungern würde, bis sie aber diesen lecker aussehenden Mann gesehen hatte, der in Begleitung dieser beiden Frauen war. Sie hatten den Strand nach etwas abgesucht. Sie wusste auch wonach. Nach ihr. Doch sie würden sie nicht finden. Es gab tausend Schlupfwinkel, in denen sie sich verstecken konnte. Und sie kannte jede einzelene.

So ließ sie sich dadurch nervös machen, sondern schaute aus sicherer Entfernung zu, wie diese drei, vergeblich suchten. Wobei sie ein ganz besonderes Auge auf den Mann geworfen hatte. Er sah wirklich köstlich aus und der Gedanke an ihn, ließ ihr wahrlich das Wasser im Munde zusammen laufen. Gerne hätte sie ihn jetzt gleich zusich gelockt, doch sie hatte gespürt, dass es nicht soleicht sein würde. Nicht wenn die beiden anderen bei ihm waren. Sie musste sich also noch gedulden. Kaum dass sie an ihn dachte, spürte sie den Hunger in sich aufkommen und ihr Magen zog sich zusammen. Sie brauchte so schnell wie möglich frische Nahrung.
 

Edward „Richie“, Jackson und seine Clique, die aus drei Mädchen und vier Junge, mit ihm eingeschlossen, bestand, fuhren mit der Jacht seines Vaters hinaus. Sie wollten sich einen schönen Tag machen. Und das bedeutete Feiern, alles trinken, was Alkohol beinhaltete und rummachen ohne Ende. Sie nutzten die Abschiedenheit, die die englische Küste bot. Keiner würde sie stören.

Als sie weit genug gefahren waren, schaltete Edward den Motor des Bootes ab. „Okay, Leute. Hier sind wir ungestört!“, verkündete er und seine Freunde johlten. Bobby legte seinen Arm, um Jenni, die kicherte. „Endlich!“, rief er und griff sich eine Bierflasche aus der Kühltruhe. Mit einem lauten Zischen öffnete er sie und nahm einen kräftigen Schluck. Michael ging zur Musikanlage und drehte auf die höchste Stufe auf. Laute, schrille Musik kam aus den Boxen und wären sie bei sich daheim, wäre binnen von fünf Minuten die Polizei, wegen Ruhestörung dagegwesen. Doch hier störten sie niemanden und so konnte sie munter feiern. Jason schnappte sich Linda und begann mit ihr zutanzen. Mary stieg die Leiter zu Edward und grinste ihn an. Er erwiederte das Grinsen. Und ein tolles Gefühl des Sieges überkam ihm.

Schon immer wollte er sie beeindrucken und hatte nur auf die richtige Gelegenheit gewartet. Nun konnte er es und das genoss er.

Es hatte durchaus Vorteile einen Vater zu haben, der eine gut laufende Firma führte, dachte er. „Eine spitzenidee war das, Richie!“, rief nun Michael, der vierte Junge der Clique. Edward machte eine vornehme Verbeugung. „Aber findet Ihr, dass wir hier sicher sind?“, fragte Linda nun und brachte so die gute Stimmung zum platzen. „Was meinst du damit?“, fragte Michael wiederum und nahm das Bier, mit einem Grinsen entgegen, welches ihm Bobby reichte. „Na, ich rede von dem, was hier vor zwei Tagen passiert ist!“, erkklärte sie. Damit meinte sie natürlich Rick. Es hatte überall in den Zeitungen gestanden und die Presse ging von einem Irren aus, der sich als Meerjungfrau verkleidete, um Opfer ins Wasser zu locken. Natürlich hielt das jeder für zu verrückt, aber dennoch hatte man die Sorge, dass da was Wahres dran war und bisher hatte sich niemand mehr an den Strand der Kalksteinküste gewagt. Bis jetzt. Linda schaute besorgt auf das Wasser, das ruhig an die weiße Bootswand schlug und auf dem sich Wellen kräuselten. Sie schauderte, wenn sie daran dachte, dass da jemand unter dem Wasser war und sie in die Tiefe ziehen wollte.

„Ach was, die Presse übertreibt mal wieder. Und selbst wenn! Wie will dieser Irre denn solange unter Wasser bleiben ohne eine Taucherausrüstung?“, fragte Jason munter. Dieses eine Argument schien auszureichen, denn vergessen war die Sorge vor einem möglichen Mörder und die fröhliche Runde feierte weiter. Nur Linda schien nicht mehr in Feierlaune zusein. Immer wieder schaute sie zum Wasser. Als Mary zu ihr kam, reichte sie ihr eine Dose Cola. „Bleib ganz ruhig. Sicherlich ist das bloss ein Gerücht und der arme Kerl ist ertrunken und die Presse pusht das wieder hoch, weil sie nichts anderes zu berichten hat!“, erklärte sie. „Also, ich weiss nicht!“, bemerkte Linda.

„Komm schon, Süße. Was soll hier schon passieren?“, mischte sich Bobby ein. „Entspann dich. Hier ist niemand, außer uns!“

Linda brauchte einen Moment. Nippte an der Dose und versuchte sich zuberuhigen.
 

Der Tag neigte sich dem Ende zu und nichts war vorgefallen, was Linda bei ihrer Befürchtung bestätigt hätte, daher wurde sie locker und feierte nun genauso wie ihre Freunde. Es dämmerte bereits, doch die Clique dachte nicht daran, nachhause zugehen. Sie feierten, bis es dunkel war und nur noch die Lampen der Jacht für Licht sorgten. Alle, bis auf Eddy und auf Linda hatten die anderen schon einiges intus und johlten und gröllten herum. Bobby und Jenni hatten sich in eine stille Ecke und machten miteinander rum. Jason und Michael sangen laut einen Rap nach, der sich um Weiber und ihre (körperlichen) Vorzüge drehte.

Mary stand neben Eddy. In ihrer Hand eine Dose Bier, die vierte, und sie schwankte etwas. Eddy bemerkte dies und stützte sie einwenig. Dabei legte er den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Mary ließ es zu und lächelte. Doch so sehr sich Eddy wünschte, dass sie nur wegen ihm so lächeln würde, wusste er, dass es am Bier lag. Er seufzte schwer. „Hey, was ist denn los, Eddy?“, fragte Mary angetrunken und es klang beinahe schon wie ein schlechter Witz. Eddy schüttelte nur den Kopf. „Nichts nichts!“, sagte er und lenkte die Jacht etwas näher heran an das Ufer. Es hatte keinen Sinn weiter darauf zuhoffen, dass sie von sich aus, ihn mochte oder gar seinem Werben nachgab.

„Hey, was wird denn das?“, fragte Bobby, deutlich höbar darüber enttäuscht, dass die Party schon vorbei zu sein schien. „Was wohl. Es wird Zeit, dass wir wieder nachhause gehen!“, sagte Eddy.

„Was jetzt schon? Ach, komm sei kein langweiler!“, sagte nun Jason. „Es ist schon spät und ich habe mir die Jacht nicth unbedingt geliehen!“, erwiederte Eddy schroff. „Mein Alter killt mich, wenn er spitzkriegt, dass ich mit Euch ohne seine Erlaubniss rumschippere!“

„Naund? Was ist schon dabei? Selber schuld, wenn er die Schlüssel einfach so rumliegen lässt!“, frotzelte Bobby nun wieder und grinste feist. „Du kennst meinen Alten nicht!“

Daraufhin gab es eine alberne Diskussion, wer eigentlich sagt, wann es mit dem Feiern aus ist und die Mädels konnten darüber nur den Kopf schütteln. Egal wie alt sie sind, Jungs blieben eben immernoch Kleinkinder, dachten sie allesamt.

„Oh man, das darf doch nicht wahrsein!“, murmelte Jenni und trank den letzten Schluck aus der Bierflasche. „Hey, jetzt kommt mal wieder runter!“, rief Linda. Die Jungs dachten jedoch nicht daran, aufhzuhören und stritten munter weiter. Irgendwann hörten sie aber auf.

Aber anstatt das Eddy das Boot zur Küste steuert, blieb er wie angewurzelt stehen und schaute irgendwohin in Leere. Auch die anderen Streithähne hatten wohl etwas entdeckt, denn sie blickten alle in die gleiche Richtung. Nur die Mädchen rätselten, was das sollte. Mary ging zu Eddy und tippte ihn an der Schulter an. „Hey, was ist denn?“

Er antwortete nicht. Mary schaute in die gleiche Richtung, wie es Eddy tat, versuchte herauszufinden, was da war. Doch sie konnte nichts erkennen. Auch die anderen Mädchen schauten nun in die dunkle Nacht hinaus. Ohne Erfolg.

Besorgt schauten sich die Mädchen an. Jenni ging zu Bobby rüttelte an seiner Schulter. Gab ihm sogar eine kräftige Ohrfeige, um ihn wieder zu sich zuholen. Sinnlos. „Was ist mit ihnen?“, fragte Jenni verzweifelt. „Ich habe keine Ahnung. Versuch es weiter!“, meinte Linda nur. Da stiess Mary einen spitzen Schrei aus. Die beiden Mädchen drehten sich zu ihr herum. „Was ist los Mary?“

„Da…da war eben gerade etwas!“, stammelte sie und deutete auf die dunkle, beinahe schon schwarze Wasseroberfläche, deren Wellen sanft gegen die Bootaußenwand schlug. Die beiden Freundinnen kamen zu ihr und beugten sich über die Reling. „Wo hast du was gesehen?“, fragte Linda, als sie nichts sah. „Mary, wenn du uns verarschen willst, lass es!“, keifte Jenni, die schon jetzt nervös und ängstlich war. „Nein, ich will euch nicht verarschen. Ich habe da wirklich was gesehen. Es…es sah aus, wie ein Gesicht. Ein Gesicht von einer Frau!“, verteidigte sich Mary panisch und schüttelte den Kopf. „Sicherlich bildest du dir das nur ein, weil du einen über den Durst getrunken hast!“, kam es von Linda, sie sich ebenso unwohl fühlte.

„Nein, ich…ich habe mir das nicht eingebildet!“, schrie Mary nun außer sich.

Noch bevor einer von den beiden etwas sagen konnten, hörten sie, wie etwas ins Wasser fiel und kaum dass sie sich umdrehten und zum Bug schauten, sahen sie, dass Bobby fehlte. „Bobby!“, kreischte Jenni und stürzte vor. Wäre beinahe selber ins Wasser gesprungen, wenn ihre Freundinnen sie nicht rechtzeitig gepackt hätten. „Jenni, nicht, Bist du irre?“, rief Linda. „Was hast du vor?“, kam es von Mary. „Lasst mich los. Bobby, er…er ertrinkt!“, schrie Jenni wie am Spieß und versuchte sich von ihren Freundinnen zubefreien. Doch die beiden dachten nicht daran, den Griff auch nur ein wenig zulockern. „Der ertrinkt schon nicht. Und außerdem hast du ebenso was getrunken. Wie willst du ihn da bitteschön reden?“

„Das ist mir egal. Lasst mich los!“

„Nichts da. Linda, ruf die Küstenwache. Die sollen helfen!“, wies Mary sie an. Linda nickte und eilte zu Eddy, der immernoch hinaus auf das Wasser blickte und versuchte sich am Funkgerät. „Hallo, kann uns jemand hören?“, rief sie ins Funkgerät und schaltete und drückte jeden Schalter. Doch es kam nur ein Rauschen aus dem Gerät. „Hallo…hallo, wir…wir brauchen Hilfe!“, rief sie dennoch hinein, in der Hoffnung, dass jemand sie hören würde.

„Hier die Küstenwache. Wie ist Ihre Position?“, erklang es endlich durch das Rauschen aus dem Lautsprecher. Linda atmete erleichtert auf und begann dem Mann alles zuerklären. „Wir…wir sind sieben. Vor der Küste der Kreidefelsen. Die Jungs, sie…sie…etwas stimmt nicht mit ihnen!“, stammelte sie außer sich in das Funkgerät und achtete nicht darauf, wie seltsam das klang.

„Was ist mit Ihnen. Sind Sie verletzt?“, fragte der Mann wieder.

„Das weiss ich nicht. Sie…sie sind wie weggetreten!“

„Wo genau befinden Sie sich!“

„Keine Ahnung. Ein Freund hat uns mit der Jacht hierhergefahren. Ich kann nicht sehen, wo wir sind!“

„Dann bleiben Sie, wo Sie sind, wir…!“

Mehr kam nicht mehr, da Eddy plötzlich aus seiner Starre erwachte und das Funkgerät zu Boden warf. Dies ging mit lautem Krachen zu Bruch und das Rauschen verklang. „Eddy, bist du noch ganz dicht?“, schrie Linda wütend, doch bevor sie ihn noch weiter dafür anschreien konnte, legte er die Hände um ihren Hals und begann zu drücken. Lindas Augen weiteten sich. Sie fasste nach seinen Hangelenken, um sich aus seinem Griff zubefreien. Doch so sehr sie auch daran zog, sie schaffte es nicht, sie von sich zu reissen. „E-Eddy…sp-spinnst du?“, fragte sie würgend. Mary lief zu ihm. Wollte ihrer Freundin helfen. Da wurde sie von Jason geschnappt und mit brutaler Kraft gegen die Wand des Führerhauses geschleudert. Mary verdrehte die Augen und sackte in sich zusammen. Als sie zu Boden hinterließ ihr Kopf eine blutige Spur. Jenni schrie entsetzt auf. „Was ist bloss in Euch gefahren?“, rief sie und sah zu den Jungs. Jason und Michael hatten sie umzingelt und jedem konnte sie ansehen, dass diese nicht mehr bei klarem Verstand waren. Dass sie womöglich umbringen würden. „Hey, Leute. Kommt wieder zu Euch. Ich bin es Jenni!“, rief sie verzweifelt und ihre Blicke huschten von einem zum anderen.

Sah in ihre Gesichter. In ihre Augen, in denen blanke Mordslust zu sehen war.

Jenni fragte sich, was in ihre Freunde gefahren war. Warum sie sie und die anderen Mädels angriffen?

Zu viel hatten sie doch auch nicht getrunken.

Jenni wich immer weiter zurück, bis sie gegen die Reling stiess und ihr damit der Fluchtweg versperrt war. Nach links und rechts, geschweige denn nach vorne konnte sie nicht, da Jason und Michael sie umzingelt hatten.

Kurz schaute sie über die Schulter, blickte zum Wasser hinunter und überlegte, ob sie es wagen und ins Wasser springen sollte. Doch als sie sah, wie weit es bis zum Ufer war, versagte ihr der Mut. Was machte sie jetzt?

Ihr Handy lag in einer Tasche auf einem Stuhl, hinter den drein Jungs. Also außer Reichweite.

Kurz schaute sie zu Mary und Linda. Mary war tot. Gestorben an der Kopfverletzung, die ihr Jason zugefügt hatte, als er sie gegen die Wand warf. Und Linda wurde immernoch von Eddy gewürgt.

Ihr Gesicht war schon blauangelaufen und ihre Versuche, sich aus Eddys Griff zubefreien, waren schwächer geworden. Eddy würgte sie immermehr und sie röchelte und verdreht die Augen. Dann erschlaffte sie und ihre Arme hingen an den Seiten hinab. Jenni wusste sofort, dass ihre Freundin tot war. „Nein!“, schrie sie.

Da barste das Wasser hinter ihr auf und etwas schoss aus der Fontäne hervor. Ein feiner Nieselregen ging auf sie nieder. Einige Sekunden späer erklang ein Fauchen über ihr und Jenni begann vor Angst zuzittern. Gegen jede Vernunft schaute sie nach oben und blickte in das grässliche Gesicht der Meerjungfrau, die ihren Mund geöffnet hatte und ihr ihre Fangzähne entblößte, die sich wie Dolche ihr entgegen streckten. Fauliger Gestank stieg aus ihrem Rachen hervor und Jenni glaubte bei diesem Anblick den Verstand zuverlieren. Mit ihrer letzten Kraft, stiess sie einen Schrei aus. Ehe sich die Meerjungfrau auf sie stürzte.
 

In allerherrgottfrühe machten wir uns auf den Weg zum Hafen und stiegen auf ddas Boot der Küstenwache, welches die dort angestellten Beamten zur Verfügung stellten. Zusammen mit ihnen fuhren wir auf das Meer hinaus. Weisse Wassertropfen spritzten auf, als der Buck das Wasser teilte und zu beider Seiten in schäumende weisse Streifen aufstiegen ließ. Fay und ich hatten es uns auf dem unteren Deck bequem gemacht, während Lex mit den beiden Männern sprach. Durch das Röhren des Motors konnten wir natürlich kein Wort verstehen. Es dauerte eine Weile, ehe Lex zu uns kam und sein Gesicht verriet uns, dass er schlechte Nachrichten hatte. „Gestern ging ein Funkspruch bei der Küstenwache ein. Irgendeine Gruppe von Jugendlichen musste wohl gestern einen Ausflug gemacht haben. Es waren sieben. Das Mädchen, was da sprach war außer sich. Als man sie fragte, was lossei, brach der Kontakt ab!“, erklärte er. Ich und Fay tauschten Blicke. Das klang gar nicht gut.

„Weiss man, wo genau diese Jugendlichen zur Zeit des Notrufs waren?“, fragte Fay dann. Lex schüttelte den Kopf. „Nein. Gerade als sie es sagen wollte, riss der Kontakt wie gesagt ab. Sie könnten überall sein. Sicherlich auch schon tot!“

Mir lief es kalt den Rücken hinunter.

Eine Weile fuhren wir umher. Versuchten etwas zu entdecken. Eigentlich wollten wir nach Hinweisen zum Versteck der Meerjungrau suchen, doch auch nach den Jugendlichen wollten wir Ausschau halten. Wenn sie wirklich tot waren, was ich eigentlich nicht hoffte, wollten wir ihre Überreste finden und sie zurück bringen, damit ihre Familien sie beisetzten konnten.

Ich fragte mich, was uns erwarten würde, wenn wir das Boot fanden?

Vermutlich ein Massaker. Und ich wollte nicht weiterdaran denken.

Wir fuhren eine Weile weiter, bis einer der Männer das Tempo drosselte. „Was ist los?“, fragte Lex über das Tosen und Röhren und der Mann deutete schräg in die Richtung vor uns. Jeder von uns musste die Augen zusammenkneifen, um etwas zusehen.

Gut und gern Fünfzehn Meter schwimmte etwas Weisses auf dem Wasser.

Das konnte nur eines sein: Das Boot der Jugendlichen!

Es brauchte keine weiteren Worte. Wir nahmen Kurs darauf und hielten dann neben diesen an. Wie zuerwarten war, war keiner zusehen. Zuerst dachte ich, sie hätten sich vielleicht versteckt, doch es genügte ein Blick zu Fay. Sie schien meine Gedanken gelesen zu haben und ihre Miene verdüsterte sich. Sicherlich war niemand unter Deck. Geschweige denn am Leben. Die Männer verteuten das Boot mit dem anderen und Lex kletterte als erster an Deck. Dann kamen ich und Fay. Zum Schluss die beiden Beamten. Die eine Seite, auf der wir standen war leer und wie gingen auf die andere Seite.

Wir alle hielten inne, sobald wir auf der anderen Seite waren und mir lief es kalt den Rücken runter. Es war überall. Blut. Wie ekelhaftes Gravity war es auf dem weiss des Bodens gespritzt. In mitten dieses Blutbades sah ich die Leiche eines jungen Mädchens. Sie war nicht älter, als ich. Sie musste mit dem Kopf gegen die Wand geknallt sein. Die Blutspur sprach deutlich dafür.

Ich wandte mich ab. Okay, eine Leiche haben wir schonmal gehört. Blieben nur noch sechs. „Suchen Sie alles ab. Vielleicht sind die anderen noch am Leben!“, wies Lex die Männer an und die Beamten machten sich an die Arbeit. Doch das was sie fanden, war eine weitere Leiche. Auch von einem Mädchen. Leiche Nummer 2.

Doch von den Jungs war nicht zusehen und wir drei, Lex, ich und Fay, wussten wer oder was sie geholt hatte.

Aber warum mussten die beiden Mädchen sterben? Schmeckten sie ihr nicht?

Wieviele Jungs und Mädchen wwaren es überhaupt gewesen?

Ratlos blickte ich mich um. Die Beamten suchten weiter, fanden jedoch niemanden.

„Sollen weitersuchen?“, fragte ich. Lex überlegte. „Naja, es könnte gut sein, dass es nur zwei Mädchen und fünf Jungs waren. Wenn dem so wäre, hätten wir die beiden gefunden und müssten uns nur noch…!“, da hielt Lex inne und schaute zu der Tür, die in die Kabine unter Deck führte. „Was ist?“, fragte Fay. „Schtttt!“, zischte er und zog seine Waffe, als er auf die Tür zuging. Dann hörten wir es auch. Ein Rumpeln und Poltern, als würde sich jemand oder etwas darin verstecken. Gespannt hielten ich und Fay die Luft an. Beobachteten wie Lex die Hand auf den Knauf legte und langsam daran drehte. Mit einem kleinen Klicken ging diese auf und mit einem heftigen Ruck riss er die Tür auf. Nur um im selben Moment zurück zweichen und so knapp dem Angriff eines wildschwingenden Küchenmessers zu entgehen.

Wild schreiend vor Angst stolperte das Mädchen hinaus und versuchte sogleich die Flucht zuergreifen. Doch Lex erwischte sie am Unterarm und wollte sie zu sich drehen. Das verstand sie wohl falsch, denn sie fuchtelte wild mit dem Messer und wollte ihn verletzen. Lex reagierte blitzschnell und schlug ihr mit einem heftigen Schlag das Messer aus der Hand.

„Nein, lasst…lasst mich los!“, schrie sie wie am Spiess. Lex hatte Mühe und Not sie festzuhalten und sie zu beruhigen. Was auch immer sie erlebt hatte, es war schrecklich. „Ganz ruhig. Wie wollen dir nichts tun!“, sagte Lex eindringlich.

Alles gut zureden, nützte aber nichts. Das Mädchen war außer sich vor Angst und es würde lange dauern, bis sie sich beruhigt hatte.

Am Abend trafen wir ein. Die Suche war nur zum Teil von Erfolg gekrönt. Wir hatten zwei Tote und eine vollkommen verstörte gefunden. Von den Jungs fehlte jede Spur. Man konnte sich denken, dass die Eltern völlig aufgelöst waren. Besonders die, der beiden toten Mädchen. Von denen der verschwunden Jungen will ich gar nichts erst reden.

Nur die Eltern des verstörten Mädchens, namens Jenni, waren erleichtert, dass ihre Tochter in einem Stück und wohlauf wieder da war. Sah man von dem seelischen Schaden ab.

Den Rest überließen wir erstmal den Beamten. Was wichtig war, ist, dass wir mit der einzig Überlebenden sprachen, sobald es ihr wieder gut ging.

Es vergingen gut und gern fünf bis sechs Tage, ehe wir mit ihr sprechen konnten. Das Problem war, dass sie es nicht konnte. Oder eher wollte.

Kaum das wir im Haus der Familie waren und ihre Eltern ihr sagten, dass wir mit ihr reden wollten, sagte sie, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte.Verständlich. Aber uns rannte auch die Zeit weg. Wir mussten wissen, was passiert ist.

Konnten aber auch nicht darauf bestehen, mit ihr zureden. Geschweige denn sie dazu zuzwingen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als ihr eine Visitenkarte dazulassen und darum zubieten, dass sie uns anruft, oder aufsucht, falls sie sich in der Lage sieht, mit uns zureden.

Danach herrschte erstmal Funkstille und wir befürchteten schon, dass sie niemals mit uns sprechen wollte. Dann aber bekamen wir Besuch.

Jenni Grave stand in der Eingangshalle und wirkte mehr als eingeschüchtert. Esmeralda nahm sie mit einem freundlichen Lächeln, wie sie es bei mir getan hatte, am Arm und führte sie ins Wohnzimmer. Bot ihr eine Tasse Tee an, die sie aber dankend ablehnte.

Als Jenni sich setzte und wir uns auch, schaute sie sich unsicher um. Offenbar war e sihr unangenehm umgeben von Fremden zu sein, ohne die Stütze ihrer Eltern. Doch Fay wusste, wie sie ihr, wenigstens, einen Teil von ihrem Unbehagen nehmen konnte. Eine Eigenschaft, die sie von ihrer Mutter haben musste. Mit einem Lächeln, streckte sie die Hand aus und berührte ihre zitternen Hände. „Danke, dass du mit uns sprechen willst!“, sagte Fay.

Jenni lächelte schwach. Schaute dann zu Esmeralda und Brian, die sich dazugesetzt hatten. Während Esmeralda schon von allein einen herzigen Eindruck machte, hatte Brian eine Austrahlung an sich, die einem Angst machte. Ich konnte sie verstehen, dass sie ihn für einen Menschfresser hielt. Hoffte aber auch, dass sie trotzdem bereit war, uns zuerzählen, was passiert war.

„Es…es ging alles so schnell!“, begann sie leise und sie zitterte. Mir fiel auf, dass sie immer wieder zu Lex schaute. Ich fragte mich warum?

Ich versuchte nicht weiter daran zudenken.

„Zuerst war alles ganz okay. Wir feierten, lachten. Tranken auch ein wenig. Und dann plötzlich waren die Jungs wie ausgewechselt. Sie waren vollkommen ruhig und blickten aufs Wasser. Wir konnten machen, was wir wollten. Sie wirkten wie…naja Zombies. Als hätte man sie hypnotesiert!“, sagte sie und wir alle schauten uns an. Ganz klar: Die Meerjungfrau!

Sie hatte sich den nächsten Snack gegönnt. „Wieviel Jungs waren es?“, fragte Fay. „Vier. Eddy, Micheal Jake und Bobby. Bobby war der erste, der ins Wasser ging. Er sprang einfach rein. Und dann gingen aufeinmal die anderen auf uns Mädels los. Linda wurde von Eddy erwürgt. Und Mary…Jason…er…er hat sie einfach gegen die Wand geworfen!“

Jennis Stimme versagte und kurz brach sie in Tränen aus. Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie sehr es sie belastete, an den Tode ihrer Freunde zudenken, konnte ich mir gut vorstellen.

Es muss die Hölle für sie sein!

„Schon, gut du musst nicht weiter erzählen, wenn du nicht willst!“, sagte Fay. Doch Jenni schüttelte den Kopf. „Nein, ich….ich muss…das schulde ich ihnen!“, sagte sie, auch wenn ihre Stimme immernoch zitterte. „Mir hat keiner geglaubt, als ich es der Polizei und dem Psychiater das erzählt habe. Sie dachten, ich stehe unter Schock und hätte mir das alles nur eingebildet. Und da ich was getrunken habe, dachten die das umso mehr. Selbst meine Eltern dachten, ich spinne. Auch wenn sie mir versichterten, dass sie mir glaubten. Aber ich habe es deutlich an ihnen gesehen!“

Dann folgte Schweigen.

„Hast du was gesehen? Ist dir irgendwas komisch vorgekommen?“, fragte nun Lex und war ganz in seinem Element Ermittlungen anstellen. Papa hätte ihn gemocht.

„Nein, ich nichts. Aber Mary. Sie sagte, sie hätte etwas in dem Wasser gesehen. Was genau? Keine Ahnung. Egal aber was es war. Es hat sie wirklich erschreckt!“

„Das kann ich mir vorstellen!“, raunte ich.

„Was pasierte dann?“

„Ich war als einzige übrig. Michael und Jason wollten mich auch erledigen, doch bevor sie dazu kamen, schoss etwas aus dem Wasser und als ich sah, was sich da über mich beugte, da…!“

Jenni machte nur eine flüchtige Handbewegung und jeder von uns wusste, was sie uns damit sagte. Sie hatte sich gerade noch retten können und hatte sich mit dem Messer bewaffnet. Sollte die Meerjungfrau auf die Idee kommen, sie auch noch holen zuwollen. Nur leider wollte sie Lex versehentlich mit dem Messer angreifen.

„Du hast es gesehen!“, stellte Brian fest, der als einzige bisher geschwiegen hatte und in seiner Stimme schwang dunkle Gewissheit mit. Jenni nickte.

Wir sprachen noch einige Minuten mit ihr, versuchten herauszufinden, was ihr noch aufgefallen war. Jenni aber schüttelte auf jede Frage von uns, den Kopf.

Aber das machte auch nichts. Wir wussten, was wie wissen wollten und daher war es in Ordnung, wenn wir sie nachhause brachten. Ins Taxi wollte sie aber nicht. Sie wollte nicht allein sein. Dafür hatten wir Verständniss und beschlossen, dass entweder Lex oder Fay sie nachhause fahren sollten.

Lex erklärte sich bereit. Und das mit solch einer Inbrunst, dass Fay daraufhin die Brauen hob. Sie sah ihn misstraurisch an. Scheinbar hatte sie das Gefühl, dass er dabei gewisse Hintergedanken hatte. Und was für welche, konnte ich mir auch denken. Irgendwo hatte ich mal gehört oder gelesen, dass traumatessierte Mädchen leicht zuhaben seien. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass Lex zu der solche Sorte von Männern gehörte, die das ausnutzen würden.

„Dann komme ich mit. Ich habe sowieso noch was in der Stadt zuerledigen!“, sagte Fay und Lex warf ihr einen Blick zu, der deutlich machte, dass er damit überhaupt nicht einverstanden war. Doch er sagte nichts weiter, sondern gab sich geschlagen.

Schluss endlich fuhren wie alle drei Jenni nachhause. Sie saß neben mir auf der Rückbank, während Fay ihren angestammten Platz neben ihrem Bruder hatte. Während wir fuhren schaute ich immer wieder zu ihr hinüber. Und sie zu mir. Doch kaum dass sich unsere Blicke trafen, schaute sie schnell wieder weg. Das machte mich schon etwas misstraurisch. Die ganze Zeit über hatte sie weder mich noch die anderen angesehen. Nur Lex hatte sie hinundwieder einen Blick zugeworfen. Zu Anfan dachte ich, es sei Schuldbewusstsein, weil sie ihn für die Meerjungfrau hielt. Nun aber war ich mir nicht mehr so sicher. Könnte es sein, dass sie sich an ihm ranmachen wollte. Lex war ohne Frage nicht gerade hässlich und er hatte schon diese üblicke Bad Boy- Masche an sich, die jedes Mädchen begeistern ließ. Aber würde er sich wirlich auf so ein tiefes Niveu hinablassen und sich mit ihr…?

„Wo genau wohnst du?“, fragte Fay und unterbrach mich bei meinen Überlegungen.

Sie warf durch den Rückspiegel ihr einen forschenden Blick zu und ich konnte deutlich sehen, dass sie ebenso misstraurisch war, wie ich. Nur war das auf diese typische schwesterliche Art.

Auch Lex unterzog sie einer gründlichen Untersuchung und schaute dann wieder nachvorne. Nach dem Weg zufragen, war überflüssig, da wir ihre Adresse kannten. Und als wir vor ihrer Türe hielten, stieg sie langsam, beinahe zögernt aus. Kaum dass sie das Auto verlassen, stieg auch Lex aus und begleitete sie zur Tür. Ich und Fay waren zugleich überrascht.

„Ist das normal. Für deinen Bruder, meine ich?“, fragte ich leise, aus Angst sie könnten uns hören.

Fay gab nur einen unwirschen Laut von sich und stützt ihr Gesicht mit der Hand ab. Beobachtete Lex und Jenni ganz genau und ich hatte das Gefühl, dass sie jedem Wort lauschte, das die beiden miteinander sprachen. „Eigentlich nicht. Er ist nicht der Typ für sowas. Flirten ja, aber nicht so!“, meinte sie dann und ich konnte deutlich in ihrer Stimme hören, dass das Benehmen ihres Bruders höchst befremdlich war. „Was für eine Art Flirt hat er denn?“, fragte ich, weil ich es wirklich wissen wollte. Lex schien kompleziert zusein. Auch wenn er sich manchmal wie ein Arsch benahm. Er hatte schon das gewisse etwas. Daraufhin warf Fay mir einen Blick zu, der ebenso neugierig war. „Warum willst du das wissen?“

Ich wurde schlagartig rot, weil ich ahnte, dass sie das falsch interpretieren würde. „Ach, nur so!“, sagte ichn schnell und schaute wie starr aus dem Fenster. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie dachte, ich würde mich für ihren Bruder interessieren. Ich und Lex. Das war wirklich absurd.

Als die beiden da draußen immernoch miteinander sprachen, weiss der Teufel über was, drückte Fay ungeduldig auf die Hupe. Kurbelte dann das Fenster hinunter und schrie ihrem Bruder zu. „Hey, beweg endlich deinen Hintern hierher, ich will heute noch nachhause!“

Lex rief etwas zurück, was ich hier nicht wirklich wiedergeben will und beugte sich zu ihr vor. Uns beiden war klar, was das zubedeuten hatte. Fay schnappte hörbar nach Luft, hupte dann nochmals, diesesmal länger und schrie in einem etwas brutaleren Ton, er solle endlich machen, dass er ins Auto kam. Lex knurrte. Selbst ich konnte das aus dieser Entfernung sehen und machte sich dann auf den Weg zum Wagen. Kaum dass er eingestiegen war, warf er Fay einen tödlichen Blick zu. Doch sie beachtete ihn nicht. Ohne ein weiteres Wort schaltete er den Motor ein und ließ den Wagen aufheulen. Dann brausten wir auch schon los.
 

„Die Kleine hat dir aber ganz schön den Kopf verdreht!“, bemerkte Fay trocken am nächsten Tag. Lex warf ihr nur einen grimmigen Blick über den Rand seiner Kaffeetasse. Langsam setzte er sie ab und ich kontne deutlich beim Aufsetzen hören, dass er Fays Worte zu überhören versuchte. „Naund. Was geht dich das an?“, fragte er tonlos. Fay sah ihn bitter an. Ich wusste natürlich nicht, wie eng das Band zwischen den beiden war, aber ich konnte ihr ansehen, dass die schroffen Worte ihres Bruders sie mächtig anfrassen. Sogar vielleicht verletzten. „Eine ganze Menge: Das Mädchen hat eine Menge mitgemacht und du machst dich an sie ran, als sei sie Freiwild!“, sagte sie bissig. Esmeralda und Brian, die mit uns am Frühstückstisch saßen, aber nur ihren Kaffee tranken, achteten nicht darauf. Es schien Gewohnheit zusein, dass die beiden sich sogar am frühen Morgen und am Frühstückstisch zankten. „Ich mache mich überhaupt nicht an sie ran. Ich versuche nur dafür zusorgen, dass sie sich wieder erholt!“

„Ach, und deswegen musst du ihr fast gleich einen Gute-Nacht-Kuss geben?“

Da horchte Esmeralda auf und sie warf ihrem Sohn einen verdutzten Blick zu. „Wie?“

Lex zog den Kopf zwischen die Schultern und der Blick, den er seiner schwester zuwarf war ein ganzes Stück schlimmer, als der, den er ihr im Wagen zugeworfen hatte. „Ich…ich dachte, es würde ihr nicht schaden!“

„Lex, das ist zwar lieb von dir. Aber ich kenne dich schon, seit du in den Windeln lagst und nie hast du auch nur einmal daran gedacht, einem Mädchen einfach so einen Kuss zugeben!“, sagte Esmeralda und Lex stieg die Schamesröte ins Gesicht.

Das war ihm sicherlich sehr peinlich.

„Ja und? Damals war ich ja noch ein Kind. Jetzt aber habe ich endlich ein Mädchen gefunden, was ich…!“, sagte Lex schnell, dem das ganze sichtbar auf de Nerven ging.

„Mag sein, aber dass es ausgerechnet bei einem Mädchen ist, dass Zeuge des Mordes an ihren Freunden wurde?“, hakte Esmeralda nach und tauschte einen Blick mit ihrem Mann. Der schien die gleiche Meinung wie sie zuteilen. Da reichte es wohl Lex. Wütend schlug er mit der Handfläche auf den Tisch und sprang auf, sodass der Stuhl nachhinten auf den Boden schlug. „Meine Fresse! Könnt Ihr Euch damit nicht abfinden, dass ich endlich mal ein Mädel gefunden habe. Sei sie eine Zeugin und traumatiesiert oder nicht!“, schrie er. Für einen sekundenbruchteil sahen seine Eltern und seine Schwester ihn völlig verdattert an. Aber dann verfinsterte sich Brians Gesicht. Oh-oh!

Ich kenne so einen Blick. Den hat mir Papa auch immer zugeworfen, wenn ich ihm zufrech wurde oder wenn er von meinem Verhalten nicht begeistert war. Doch bei Brian wirkte dieser noch bedrohlicher, als bei Papa. „Lex, kannst du mir sagen, was in dich gefahren ist. Was fällt dir ein, so mit uns zureden?“

„Mir geht es einfach auf die Nerven, dass Ihr immer alles hinterfragen müsst, was ich für richtig halte!“, kam es von Lex, nicht minder gereizt. „Aber wir hinterfragen doch nicht. Wir finden es nur seltsam!“, sagte Esmeralda ruhiger, als ihr Mann, die den nahenden Streit vermeiden wollte.

„Findet es seltsam oder nicht. Ist mir egal. Ich habe, für meinen Teil die Nase voll, von eurer dummen Fragerei. Ich verschwinde!“, sagte Lex und verließ mit diesen Worten die Küche. „Alexander Matthews!“, schrie sein Vater aufgebracht und wollte ihm hinterher. Doch Esmeralda hielt ihn zurück. Es hatte wohl keinen Sinn mit Lex zu diskutieren.
 

„Das war alles andere als normal!“, sagte Fay zwischen dem Abbeissen ihres Schokokekses und machte dabei eine nachdenkliche Miene. „Streiten dein Bruder und dein Vater sich denn nie?“, fragte ich und knabberte ebenfalls an einem Keks. Nach dem Frühstück hatten wir uns beide auf Fays Zimmer verkrümmelt. Es war doppelt so groß wie mein eigenes und hatte einen Balkon, von dem man aus einem tollen Ausblick auf London hatte. Ein dunkelroter Baldchin zierte das Kopfende ihres Bettes und der Boden war mit einem weichen cremefarbenen Teppisch ausgelegt. Die Tapette war rot und je nachdem wie das Licht darauffiel, sah man elegante Muster daraufschimmern. Die Zimmerdecke war weiss gestrichen und weisse Bordüren verliefen um das Zimmer rundherum. Eine Deckenlampe in Form von einer Blume hing über uns. Die Möbel sahen alt, aber edel aus. EinSchreibtisch aus Mahagonie und ein Kleiderschrank, der gut und gern die halbe Wand dominierte, in demselben Holz. Über den Stuhl lagen einige Klamotten. Die ebenso viel Geld gekostet hatten, wie die gesamte Inneneinrichtung. Ein wenig wurde ich neidisch auf den Luxus, den Fay hier hatte. Doch ich sagte mir, dass ich erstens kein Recht dazuhatte und zweitens, dass ich auch kein schlechtes Leben hatte. Ich hatte zwar kein Pony, so wie manch andere meiner ehemaligen Freunde, aber dafür wusste ich, dass meine Eltern immer Zeit für mich hatten, wenn ich Probleme hatte. Und allein das zählte für mich.

Fay schüttelte auf meine Frage hin den Kopf. „Das meine ich nicht!“, sagte sie. „Sondern das Lex gleich die Stimme gegen Mum und Dad hebt!“

„Heisst das, dass er die Füsse still hält?“

„Hm naja…auch nicht das. Lex hat schon Respekt vor unseren Eltern. Und klar streiten sich Dad und er. Aber sie kriegen sich auch wieder ein!“, sagte sie. „Dass Lex aber so ausflippt macht mir Sorgen!“

„Das wird sicher wieder!“, sagte ich, um sie wieder aufzumuntern. Ich konnte mich zwar nicht in ihre Lage versetzen, aber ich konnte mir trotzdem gut vorstellen, dass sie sich wirklich ernste Sorgen machte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte aber keine von uns, dass diese Sorge berechtigt war.
 

Nach diesem Streit am Frühstückstisch ließen es Esmeralda und Brian darauf beruhen und vermieden es, Lex mit ihren Fragen zulöchern. Das bedeutete aber nicht, dass sie nicht weiterhin ein Auge auf seine Beziehung mit Jenni hatten. Wann immer es möglich war, lauschten sie, wenn er mit ihr telefonierte. Zugegeben, etwas übertrieben. Und auch

Fay spielte Mäuschen, sobald er sich mit ihr in der Eingangshalle traf. Doch wer war ich schon, mich da einzumischen. Außerdem war ich mir sicher, dass die drei einen guten Grund dazu hatten. Wenn man noch nie eine Freundin hatte, wie Lex, dann war es nur logisch, dass Eltern und Schwester nach schnüffelten und die Ohren spitzten.

„Hatte er wirklich noch nie ein Mädchen gehabt?“, fragte ich mal und Fay schüttelte den Kopf. Hob dann die Schultern, als sei sie sich doch nicht so sicher. „Naja, hinundwieder flirtet er schon mit einem Mädel und tauscht auch Nummern mit ihr, aber sich mit ihr getroffen hatte er sich noch nie. Ich frage mich manchmal auch, was das soll. Und mehr als einmal habe ich ihn darauf angesprochen!“, sagte sie und ich wurde immer neugieriger. Okay, ich gebe es ja zu. Lex ist nicht gerade hässlich unf es gibt sicherlich haufenweise Frauen, die ihn nicht über die Bettkante schubsen würden. Dass er aber noch nie etwas Ernsthaftes mit einer hatte, war doch etwas komisch und ließ meine Neugier und die damit verbundenen Fragen in eine bestimmte Richtung gehen. „Ist er etwa schwul?“, fragte ich und Fays Brauen hoben sich, sodass sie beinahe bis zum Haaransatz reichten. Dann aber platzte sie vor Lachen und schüttelte sich. Kriegte sich fast nicht mehr ein. „Was? Schwul? Nein!“, sagte sie zwischen einigen Lachern und ich kam mir in diesem Moment zielich blöd vor. Gott, hoffentlich bekam das Lex niemals mit. Der würde mich zu Kleinholz verarbeiten, wenn er hörte, dass ich ihn für eine Lexi hielt.

„Lex ist nicht schwul!“, sagte Fay immernoch etwas prustens, dann aber wurde sie wieder ernst. „Ich habe ihn, wie gesagt mal darauf angesprochen und er meinte, dass er keine Beziehung gebrauchen kann, weil sein Leben ja ziemlich gefährlich ist und zumal unsere Feinde, jede schwache Stelle nutzten würden, um ihm zuschaden. In diesem Punkt verstehe ich ihn schon!“

Das leuchtete schon irgendwie ein. Ich hatte ja gesehen, was für Feinde sie hatten und ich wusste selber, dass diese Feinde jedes Mittel ergreifen, um jemanden zu kriegen. „Und jetzt wo er eine Freundin hat, scheint es anders zusein?“, fragte ich leise, worauf Fay wieder die Schultern hob.

„Vielleicht denkt er jetzt, dass er sie beschützen kann!“

„Komisch oder? Wenn er schon solange überzeugter Single ist, aus gutem Grund, und plötzlich mit jemanden zusammen sein will?“

Fay nickte. „Ja, komisch ist es auf jeden Fall. Deswegen behalten Dad und Mom ihn und sie sogut im Auge!“, sagte sie und ich horchte auf. „Wie meinst du das?“

„Ist nur reine Vorsicht!“

„Moment, Fay. Willst du mir sagen, dass sie sie für eine Art Lockvogel halten?“, fragte ich. Fays Gesicht verdüsterte sich. „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Lex scheint wie besessen von ihr zusein und das gibt mir zudenken. Vielleicht liegt das aber auch nur an der ersten Verliebtheit, dass mein Bruder so abhebt!“

Das konnte ich mir wiederum irgendwie nicht vorstellen. Lex schien nicht der Typ von Mann zusein, der bei der ersten großen Liebe fröhlich über eine Blumenwiese tanzt und singt, wie schön die Welt doch ist.

„Sicher? Lex scheint nicht so der Typ zusein!“

„Stimmt. Da ist was dran. Und ich hoffe dennoch, dass es so ist!“
 

Es war spät, als ich mich fürs Bett fertig machte und mir ein T-Shirt überzog. Ich lag noch stundenlang da. Hatte mich noch nicht zugedeckt, da mir nicht der Sinn danach stand, schon zu schlafen. Konnte ich sowieso nicht. Es ließ mich nicht los. Noch lange musste ich darüber nachdenken, was ich und Fay miteinander besprochen hatten. Ich fragte mich, ob es bei Lex wirklich nur Verliebtheit war oder nicht doch irgendwie feindliche Mächte dahintersteckten?

Irgendwie war ich mir in diesem Punkt mehr sicherer, als beim ersten.

Ich konnte mir selber nicht erklären, warum? Es war einfach ein Gefühl.

Eine dunkle Ahnung. So wie wenn ich eine Vision hatte. Und ich schauderte. Was, kam mir der Gedanke, was wenn in meiner nächsten Vision Lex starb?

Mir wurde übel bei diesem Gedanken und versuchte diesen zuverdrängen. Nein, Lex würde sicherlich selber auf die Idee kommen, dass seine Freundin eine männermordende Arielle ist.

„Sei nicht dumm! Selbst bei einem wie ihn, ist die Gefahr groß, dass er zum Dessert wird!“, sagte Erik plötzlich und ich machte einen Satz gen Zimmerdecke.

Beinahe wäre ich dabei aus dem Bett gefallen.

Ich wusste zwar, dass er wie aus dem Nichts erschien. Aber es war dennoch schlimm, jedesmal, wenn man dachte, kurz mal Ruhe zu haben, ihn plötzlich neben sich zu haben. Vorallem, wenn man nicht mehr am Leib trug, als ein Shirt und ein Höschen.

Erik ließ sich davon wohl nicht aus der Ruhe bringen. Sondern lag entspannt auf der anderen Bettseite und sah mich nur mit gehobenen Brauen an. „Ich dachte, du hast dich daran schon längst gewöhnt?“, sagte er. „Nein, wie denn? Sich daran zu gewöhnen, dass jemand einfach so auftaucht und jemanden zu Tode erschreckt, ist ein Ding der Unmöglichkeit!“, schnauzte ich und zog nun doch die Decke bis zum Kinn. Mir war es unangenehm, dass er meine nackten Beine sah. Klingt bescheuert, aber ich hatte immernoch so etwas wie Schamgefühl.

Außerdem war er mir immernoch nicht ganz geheuer.

Erik seufzte entnervt. „Meine Güte, du bist noch misstraurischer, als deine Mutter!“, murmelte er und ich überhörte sein Kommentar gefliesentlich. „Was willst du hier?“, fragte ich immernoch angefressen und wunderte mich zugleich auch, dass er sich gerade jetzt zu Wort meldete. Die ganze Zeit herrscht Funkstille. Das war mir bisher noch gar nicht wirklich aufgefallen, aber nun…

Normalerweise tauchte er immer dann auf, wenn neue Gefahr drohte.

Hatte er sich eine kleine Pause gegönnt oder was?

„Das nicht, aber ich wollte sehen, ob du allein darauf kommst!“, meinte er.

„Auf was denn bitteschön?“, fragte ich gereizt. Warum sagte er mir einfach nicht, was er damit meinte?

Dachte er wirklich, dass ich Gedankenlesen kann?

Erik schloss kurz die Augen, schüttelte den Kopf und murmelte wieder etwas, was den Satz „Begriffstutzig, wie ein Stück Brot!“, behinhaltete und und unterdrückte ein bissiges Widerwort. Blödes Nachtgespenst, ging es mir nur durch den Kopf. Darauf hin sah Erik mich beleidigt an. Die erste Gefühlsregung, die er zeigte und ich lobte mich, für diesen kleinen Triumph.

Doch dieser hielt nicht lange, da Erik sich aufsetzte und mich mit verschränkten Armen ansah.

„Du solltest langsam lernen, dass vieles nicht so ist, wie es aussieht!“, sagte er und ehe ich etwas sagen konnte, verschwand er auch wieder. Na super!

Und wiedermal ließ er mich im Dunkeln zurück. Wortwörtlich.

Am Morgen saß ich am Frühstückstisch und grübelte nach, was Erik mir gesagt hatte.

Vieles ist nicht so, wie es aussieht!

Das klingt nach einer Metapher aus einem billigen Science Fiction Film.

„Es gibt mehr da draußen, als wie es uns vorstellen können!“, sagte ich in schauriger Tonlage und musste dabei etwas kichern. „Oh, so gute Laune? Was ist denn der Grund?“, fragte Brian, der plötzlich in die Küche kam und sich mir gegenüber setzte.

Ich verstummte sofort und schaute auf die Tischplatte. Schön poliert. „Ähm, ach nichts. Ich habe nur über einen Witz gelacht!“, meinte ich kleinlaut. „Achja?“, sagte er nur und in seiner Stimme hörte ich deutlichst, dass er mir das nicht abkaufte. „Erzähl mir den Witz doch mal!“

„Äh, habe ihn vergessen!“

„Kam der Witz zufällig von Erik?“, fragte er und er hörte sich nicht freundlich an. „Ging es dabei um meine Familie?“

Ich zögerte erstmal, bevor ich etwas sagte. Dann holte ich Luft und sagte:„ Ja, zum ersten. Jein zum zweiten!“

Kaum hatte ich das gesagt, verfinsterte sich sein Gesicht und ich schrumpfte auf Zwergengröße. „Nicht, was du denkst. Erik meinte, dass da was nicht ganz koscher ist!“

„So?“, meinte er und sein Gesicht machte einen nachdenklichen Eindruck. „Interessant!“

„Was denn?“, fragte ich, weil ich nicht wusste, was er damit meinte.

Er winkte nur ab. „Nichts nichts!“

Da kam Lex in die Küche, fröhlich pfeifend und mit einem Grinsen auf dem Gesicht, das schon wehtun musste. „Guten Morgen allerseits. Na, gut geschlafen?“, fragte er und ich und Brian sahen ihn gleichermassen an, als hätte er nicht nur eine Schraube locker.

„Ähm, ja. Denke schon!“, sagte ich. „Woher die gute Laune?“, fragte sein Vater wiederum.

„Ich treffe mich gleich wieder mit Jenni!“

„Schon wieder?“, fragte ich wiederum. Das war schon das fünftemal, diese Woche.

Die beiden hockten wirklich aufeinander.

„Was dagegen?“

„Nein, aber mich wundert es, dass es dir nicht langweilig wird!“

„Das liegt wohl daran, dass du Single bist!“, gab er giftig zurück. Ouch!

Das tat wirklich weh. Mag ja sein, dass ich das Leben als Single schon genoss, aber dass er es mir so unter die Nase reiben musste, war wirklich unter der Gürtellinie. „Immerhin benehme ich mich nicht wie ein verliebter Fünfklässler!“, murmelte ich. Lex schnaubte nur und drehte sich um und ging wieder. „Ich komme spät nachhause. Also wartet nicht auf mich!“
 

„Wir sollen was?“, fragte ich und ich sah Brian mit offenem Mund an. „Ihn beschatten!“, sagte Brian so, als wäre es das natürlichste der Welt. Ich konnte das nicht glauben. Okay, Verdacht auf feindlichen Angriff oder nicht. Das ging aber wirklich zuweit. Ich blickte zu Fay. Ihr erging es wohl nicht anders. „Dad, ist das wirklich nötig?“

„Ja, ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache und will, dass ich euch das mal anschaut!“, sagte Brian nur. Ich und Fay tauschten daraufhin Blicke. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es etwas mit der kurzen Unterhaltung zwischen mir und ihm und der Erwähnung Eriks zutun hatte.

Fay wollte noch etwas sagen, doch dann seufzte sie und erklärte sich bereit. Und mir blieb keine andere Wahl.
 

So beschatteten wir die beiden seit dem Vormittag und der Tag zog sich in die Länge. Folgten ihnen auf Schritt und Tritt. Ich kam mir dabei irgendwie komisch vor. So als würde ich jemanden ausspionieren, den ich nicht kannte. Fay schien sich ebenso alles andere als wohl dabei zu fühlen, aber ich sah ihr auch an, dass sie ebenso wissen wollte, was da eigentlich vor sich ging. Dass sie dem Frieden nicht traute. So folgte sie ihnen und ließ sie nicht einmal aus den Augen.

Der nächste Halt, den die beiden ansteuerten war ein Cafe. Wir folgten ihnen im gemesenen Abstand und setzten uns in eine Ecke. Nah genug, dass wir sie belauschen konnten, aber dennoch einen guten Abstand hatten, dass sie uns nicht sahen. Wir bestellten uns was, nur um nicht Verdacht zuerwecken und schauten zu den beiden hin.

Lex und Jenni steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Hinundwieder kicherte Jenni und Lex grinste breit. Offensichtlich hatte er einen Witz gerissen. Das ging noch gut eine halbe Stunde. „Wie lange soll das noch so weitergehen?“, fragte ich aus reiner Neugier. „Solange bis er wieder nachhause kommt!“, raunte sie mir zu und ich seufzte innerlich. So wie sie das sagte, klang das so, als würden wir noch laaaange unterwegs sein.

Und ich sollte recht behalten.

Es war schon Abend, als die beiden die letzte Staion ihres Dates ansteuerten und in ein Kino gingen. Wir natürlich hinterher.

Gleich nachdem Lex die Karten besorgt hatte, nahmen wir uns Karten, für die gleiche Vorstellung. Zwei Reihen hinter den beiden. Fay hatte aufgeschnappt, wo sie sich setzten und hatte gleich geschaltet.

Zu unserer, und vorallem zu Fays Überraschung, waren wir in einem Liebesfilm. Wir achteten nicht auf den Inhalt des Films, sondern behielten Lex und seine Freundin sogut es eben in der Dunkelheit ging, im Auge. Ich musste hinundwieder blinzeln, weil ich in dem Wechsel von Licht und Schatten, kaum etwas erkennen konnte. Fay jedoch schien damit keine Probleme zuhaben. Ihr Blick blieb auf den beiden haften, als würde sie sie bei Tageslicht beobachten und ich fragte mich, wie sie das machte. Schon als wir den Penanggalan im Kinderzimmer eine Falle stellten und im Schatten auf ihn warteten, fiel mir auf, wie gut sie in der Dunkelheit sehen konnte. Und auch jetzt schien sie diese bemerkenswerte Gabe einzusetzen. Keine Minute ließ sie den Blick von ihnen und ich fragte mich, ob sie genauso begabt ist, wie ich.

Irgendwann war der Film zuende und wir warteten noch einen Moment, dann gingen wir ihnen nach. Verließen das Kino und schritten dieselbe Gasse entlang, wie die beiden.

Ich sah Fay fragend an. Wir dachten, dass sie sich nun voneinander verabschieden würden. Doch weit gefehlt. Sie hatten nicht vor, sich so schnell wieder zutrennen. Im Gegenteil: Sie liefen weiter die Strasse entlang. Arm in Arm und unterhielten sich noch. Ich blickte zu Fay. Wollte sie mit meinem Blick fragen, was wir jetzt machen sollten. Sie machte nur mit dem Kopf eine Bewegung zu den beiden. Ein Zeichen dafür, dass wir ihnen weiter nachspionieren sollten. Ich seufzte innerlich. Ganz ehrlich. Ich hatte die Nase voll davon. Selbst wenn etwas nicht mit ihr stimmen würde, würden wir es sicherlich nicht gleich heute erfahren.

Mit diesen und weiteren Gedanken war ich so beschäftigt, dass ich nicht wirklich merkte, wie ich Fay langsam hinter mir ließ, sondern nur den beiden vor mir folgte und um dieselbe Ecke bog, wie sie.

Und dann geradewegs in die Arme von Lex lief.

Ich war zuerst so perplex, dass ich gar nichts sagen konnte. Sondern konnte ihn nur ansehen. Sein Gesicht war grimmig und ich ahnte, warum. Schnell machte ich einen Schritt zurück. „Was tust du hier?“, fragte er mich zwischen zusammengebissenen Zähnen und ich schluckte. Oh Fuck!

Das konnte nichts Gutes bedeuten. Meine Gedanken überschlugen sich und ich fragte mich, warum er hier stand und nicht weitergegangen war. Doch dann kam mir in den Sinn, dass er sicherlich bemerkt hatte, dass wir ihn verfolgten. Klar, irgendwann musste es ja einem auffallen, auf Schritt und Tritt verfolgt zuwerden. Und Lex war jemand, der sowas bestimmt sofort merkte. Meine Kehle wurde plötzlich ganz trocken und ich brachte nicht den Mut, ganz zuschweigen die Kraft auf, ihm zuantworten. Lexs Miene verfinsterte sich daraufhin immer mehr und er sah mich nun an, als wollte er mich ungespitzt in den Boden rammen. „Ich habe dich gefragt, was du hier machst?“

Zu meiner Rettung und noch ehe Lex mich weiterhin mit seinen Blicken durchbohren konnte, kam Fay gerade um die Ecke und war ebenso überrascht ihren Bruder zusehen.

Vermutlich hatte sie gedacht, dass er schon längst weg wäre. So wie ich. Doch wenn sie überrascht gewesen war, so verging das wohl schnell. Denn sie musste gesehen haben, dass Lex mich einschüchterte und ging auf ihn zu. Mit nicht minder sanfter Miene. „Was soll der scheiss?“, blaffte sie ihn an. „Dasgleiche könnte ich dich fragen? Was fällt Euch dummen Hühner ein, mir nach zuspionieren?“, keifte er und ich musste einen Protestlaut unterdrücken. Dumme Hühner!

War der Kerl etwas Old-School, was Beleidigungen anging?

„Was hier machen, kann ich dir gerne sagen. Dad wollte, dass wir dich und deine neue Freundin beschatten!“, erklärte sie locker und es verschlug mir glatt die Sprache, dass sie so cool sein konnte. „Mich beschatten? Habt Ihr sie noch alle?“, platzte es aus ihm heraus. „Was hat sich der Alte bloss dabei gedacht?“

„Dieser Alte ist unser Dad und er macht sich nur sorgen um dich, klar!“

„Der soll sich aus meinem Leben raushalten. Ich bin kein kleines Kind mehr!“, sagte Lex wütend. Drehte sich auf dem Absatz um und rauschte mit seiner Freundin davon.

Ich stiess einen leisen Pfiff aus. „Oh man. Das war aber wirklich heftig eben gerade!“, sagte ich leise und hielt mir den Kopf. Von dem kurzen hitzigen Wortgefecht klingelten mir ganz schön die Ohren. Ich schaute zu Fay und bemerkte, wie sie zitterte. Ihre Augen hatten einen merkwürdig, beinahe schon beängstigenden Ausdruck. Ihre Hände, die sie zu Fäusten geballt hatte, zitterten und ihre Lippen waren nichts weiter, als ein dünner Strich. Ich sah sofort, dass etwas mit meiner Freundin nicht stimmte. „Fay, alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt und berührte sie am Arm. Fay entzog mir diesen und ging in die andere Richtung. „Wir müssen nachhause. Sonst werden Dad und Lex sich gegenseitig umbringen!“, sagte sie, als ich sie einholte und ich hörte deutlich in ihren Worten, dass dies der Wahrheit entsprach.
 

Wir kamen gerade rechtzeitig, als der Streit zwischen Lex und seinem Vater den Höhepunkt erreichte. Wir hörten, wie sie sich anschrien und wie etwas zerbrach. Womöglich ein Stuhl. Dann hörten wir Esmeralda verzweifelte Versuche, die beiden zuberuhigen. „Lex, dein Vater meint es doch nur gut!“

„Meint es nur gut?“, fragte er wütend. „In dem er mich und Jenni ausspioniert. Von meiner eigenen Schwester?“

„Ich hatte eben meine guten Gründe!“, wehrte sich Brian im nicht leiserern und auch nicht ruhigerenTon. „Deine Gründe gehen mir am Arsch vorbei!“, schrie Lex nun. „Lex, geht’s noch!“, mischte sich Fay ein. Ich hielt mich lieber im Hintergrund. Nennt mich feige. Aber ich war wirklich nicht scharf darauf, in eine Familienstreitigkeit zugeraten.

„Halt dich da raus, dumme Kuh. Das ist eine Sache zwischen mir und dem hier!“

Dann wandte er sich seinem Vater zu. „Ich sage dir das zum ersten und letzten Mal: Halte dich aus meinem Leben raus. Sonst wirst du das noch bereuen!“

Kaum hatte er das gesagt, wurde Brians Miene zu einer Maske des Zornes. Aber auch der Fassungslosigkeit. Ich wusste nichts über die Beziehung der beiden, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass Lex niemals so etwas zu seinem Vater gesagt hätte. Zumindest wenn er klar im Kopf gewesen wäre. „Du wagst es mir zudrohen?“, schrie Brian wütend. „Was glaubst du, wen du vor dir hast. Ich bin dein Vater verdammt nochmal!“

„Als ob das was bedeuten würde!“, höhnte Lex. Esmeralda war fassungslos, als sie das hörte, das sah ich ihr an. „Lex, wie kannst du so etwas sagen?“, fragte sie ihn. Ich fragte mich das auch. Nie und nimmer würde ein Kind das zu seinen Eltern sagen. Nicht mal im Streit. Da bemerkte ich, dass ich nicht die einzige Zuhörerin, dieses Streites war. Jenni stand nur wenige Armlängen von mir entfernt und…

Lächelte sie etwa?

Ich konnte nicht begreifen, was das zubedeuten hatte.

Freute sie sich etwa, dass sich Lex so mit seinen Eltern verkrachte?

Doch noch ehe ich sie darauf ansprechen konnte, wandte Lex seinen wütenden und ratlosen Eltern den Rücken zu und ging. Mit Jenni im Arm.
 

Seit dem hörten wir nichts mehr von ihm. Lex war wie vom Erdboden verschluckt und ich fragte mich, was nun werden würde?

Zuerst dachten Esmeralda, Brian und Fay, dass er sich doch nocmal melden würde. „Er wird sich schon wieder einkriegen!“, sagte Esmeralda um Fay zuberuhigen. Und sich ebenso. „Er ist nicht jemand, der einfach sich davon macht!“

Doch dem war nicht so. Lex meldete sich nicht, noch schaute er vorbei.

Fay stand die Sorge um ihn deutlich ins Gesicht geschrieben. Nur Brian schien immer noch wütend über das Benehmen seines Sohnes zusein. Klar, wer wäre das nicht. Er hat ihm praktisch vor den Kopf gestossen und ich glaube, wäre ich an seiner Stelle, würde ich genauso drauf sein.

Trotzdem konnte ich es nicht ertragen, wie Fay sich die Schuld gab. „Du kannst doch nichts dafür!“, sagte ich ihr und legte die Hand auf die Schulter. „Doch, wenn ich nicht gesagt hätte, dass Dad uns geschickt hat, wäre er geblieben!“

„Aber dann hättest du es allein abbekommen!“

„Das wäre mir noch viel lieber, als dass sich Dad und Lex so streiten!“, wimmerte sie.

Ich nahm sie in den Arm. Fay tat mir unendlich leid. Ich hatte ja gesehen, wie sehr sie an ihm hing. Was mochte sie sich nun für Sorgen um ihn machen. Sicherlich würde sie keine ruhige Nacht mehr haben. Zumindest solange nicht, bis er wiederzurück kam.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

„Los, Fay zieh dich an!“, sagte ich als ich ihr Zimmer ohne Anklopfen betrat und warf ihr ihre Jacke zu. „Was hast du vor?“

„Wir suchen deinen Bruder!“

Ich wusste selber nicht, was mich dazu getrieben hatte. Aber was es auch war, es sorgte für ein schwaches Lächeln auf Fays Gesicht.

Offenbar war das so etwas wie ein Anstoss dafür, dass sie endlich aus ihrer Traurigkeit kam.

So machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach ihnen. Zuerst gingen wir zu Jennis Eltern, doch sie wussten auch nicht, wo sich ihre Tochter aufhielt.

„Suchen wir an Lexs Lieblingsplätzen. Ich kenne einige!“, sagte sie und wir stiegen in den Wagen. Ich war überrascht, dass Lex überhaupt soetwas wie Lieblingsplätze hatte. Und zuerst dachte ich, es sei wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch wie ich feststellen musste, hatte er nicht so viele Orte, wo er sich gern aufhielt.

Und an keinem einzigen war zufinden. Offenstichtlich wusste er, dass Fay ihn an diesen zuerst suchen würde. Das machte die Suche natürlich nicht gerade einfach. So waren wir bis zum Abend unterwegs und mit jeder Stunde erfolgloser Suche, wurde Fay immer niedergeschlagener.

Wir wollten schon nachhause fahren, als ich aus dem Fenster schaute und rief. „Halt an, Fay. Ich habe ihn gesehen!“

Fay trat so schnell und heftig auf die Bremse, dass ich in die Gurte gepresst wurde und der Stoff mir scharf in die Haut schnitt.

Kaum hatten wir angehalten und die Autofahrer wütend hinter uns gehubt, schon waren wie aus dem Wagen gesprungen. Es war nur ein kurzer Moment und zuerst dachte ich, ich hätte mir das eingebildet. Doch dann war ich mir ganz sicher. Ich hatte Lex gesehen!

Und als wir ihm nachliefen und Fay seinen Namen rief und er stehenblieb, sich zu uns umdrehte, war ich erleichtert, dass die Suche ein Ende hatte. Fay ging es nicht anders. Sie fiel ihrem Bruder um den Hals und gab deutlich kund davon, dass sie froh war ihn gefunden zuhaben. Doch Lex wirkte alles andere als erleichtert seine Schwester wiederzusehen. Beinahe schon kalt und genervt. Dennoch ließ er ihre Umarmung zu.

Neben ihm stand auch Jenni und sie wirkte genauso kalt. Mit finsterer Miene sah sie zu Fay. Als würde sie was dagegen haben, dass Fay ihren Bruder umarmte. Ich musterte sie argwöhnich. Etwas stimmte nicht mir ihr.

„Was macht ihr hier?“, fragte er frostig und Fay war erstmal wie vor den Kopf gestossen. „Wie, was wollen wir hier? Wir suchen dich. Ich möchte, dass du wieder nachhause kommst. Mom macht sich schreckliche Sorgen um dich!“

„Ich werde nicht zurückkommen!“, sagte Lex und seine Worte waren wie Dolche. Fay wich zurück, sah ihren Bruder an, als wäre er ein Geist der übelsten Sorte. Doch dann fing sie sich wieder. „Dad tut es auch leid, dass er dich ausspionieren wollte. Aber er meinte es nur gut…!“

„Hör auf damit, diesen Mistkerl in Schutz zu nehmen!“, keifte Lex und Fay wurde aschfahl. Jenni grinste nun und bei mir schrillten Alarmglocken. Krampfhaft versuchte ich ruhig zu bleiben. Arme Fay!

Zuerst machte sie sich Vorwürfe, und Sorgen um ihren Bruder und nun das.

Wie gerne hätte ich ihm in diesem Moment den Marsch geblasen.

„Er ist unser Vater!“, rief Fay aufgebracht. Ein Glück, dass nicht soviele Leute auf der Strasse waren. Denn so blieben uns neugierige Zuschauer erspart.

„Mir egal, wer er ist. Er ist für mich gestorben. Ihr alle. Sag das den beiden und jetzt haut ab!“, sagte Lex hart und drehte sich um. Fay schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass sie das nicht glauben wollte. „Lex, warte!“, rief sie und ergriff ihn an der Schulter. Doch kaum hatte sie das getan, drehte sich Lex herum und schwang seinen Arm umher. Zwar traf er sie nicht mit der Hand im Gesicht, dennoch schaffte er es, sie auf den Boden zuschicken. Fay schrie auf und schaute ihren Bruder entsetzt an. Deutlich sah ich in ihren Augen, dass sie damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Und das breite Grinsen auf Jennis Gesicht wurde breiter.

Jetzt reichte es aber.

Wütend stürmte ich auf ihn zu. Packte ihn mir, bevor er weitergehen konnte und ließ all meine Wut raus. „Sag mal hast du sie noch alle? Wenn es hier einen Mistkerl gibt, dann bist du das, du Arschgeige. Deine Eltern und Fay machen sich Sorgen um dich, weil du dich nicht meldest und du behandelst sie, wie den letzten Dreck!“, fauchte ich und kurz wirkte er eingeschüchtert. Dann aber wurde sein Gesicht wieder hart wie Stein. „Misch da nicht ein. Das ist eine Familienangelegenheit!“

Mit diesen Worten ging er.

Ich sah ihm und Jenni nach. Sie drehte sich um und grinste noch breiter, als es möglich war. Zeigte mir dabei ihre Zähne und ich glaubte zusehen, dass ihre Zähne spitz wie Nadeln waren.
 

Fay und ich fuhren nachhause zurück. Wenn Fay schon vorher gebrochen war, war sie nun am Boden zerstört. Versuche sie aufzumuntern, würden nichts bringen, da sie dafür taub und viel zu aufgewühlt war. Stumm rannen ihr Tränern die Wangen hinunter. Ich fühlte mich nicht besser. Immer wieder musste ich daran denken, wie ihre Zähne ausgesehen hatten. Aber das konnte unmöglich sein.

Gerne hätte ich gesagt, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte. Doch kaum, dass ich mir das sagte, sah ich die Nixe und Jenni nebenbeinander stehen. Als gäbe es eine Verbindung zwischen ihnen.

Doch welche?

Fay hatte es schwer ihren Eltern zuerzählen, was passiert war. Immer wieder musste sie eine Pause machen, weil ein Schluchzen sie schüttelte. Esmeralda saß neben ihr und drückte ihre Hände, während ihr selber zum Weinen zumute war. Brian hingegen wirkte so, als wollte er am liebsten durch die Decke gehen. Ich konnte ihn deutlich mit den Zähnen knirschen hören. Seine Hand hatte er zur Faust geballt, während er den anderen Arm auf dem Kaminssims legte und mit den Fingern trommelte. Seine Kiefer bewegten sich. Seine Blicke…

Ich dachte immer, noch tödlicher konnten sie nicht werden. Doch nun sah ich, dass ich mich getäuscht hatte. Brians Blick wurde mörderisch.

„Was glaubt er, wer er ist?“, knurrte er, als Fay zuende erzählt hatte. Esmeralda stand auf und legte die Hand auf seinen Arm. Wollte ihn beruhigen. Doch Brian entzog ihr den Arm und ging einen Schritt weiter. Blieb vor dem Kamin stehen, in dem die Flammen züngelten.

„Dieser Dummkopf wird sich noch umbringen, in seinem blinden Liebeswahn!“, knurrte er und die Flammen schlugen höher.

„Er weiss nicht, was er tut!“, mischte sich Esmeralda. „Eben. Und genau das wird ihn den Kopf kosten!“, fuhr Brian auf und die Flammen fauchten auf. Ich wich zurück und drückte mich in die Polster des Sofas. Fay, tastete nach meiner Hand und umfasste sie. Drückte sie, wie es Esmeralda vorhin getan hatte.
 

Der Anruf kam um die Mittagszeit und Esmeralda ging ran. Ich und Fay hörten zufüllig zu, als wir in die Küche gingen, um uns etwas zu Mittag zuholen. „Ja? Verstehe? Hmh, ja! Was? Aber wie ist das möglich?“, hörten wir sie sagen und wir tauschten Blicke.

Was war denn nun wieder?

Esmeralda redete weiter und sie klang immer nervöser. Als sie dann auflegte, war sie kalkweiss. „Das waren die Beamten aus der Bucht. Sie haben die letzten Leichen gefunden!“, sagte sie. „Ja und weiter?“, fragte Fay und sie klang nun ebenso nervös. Etwas an dem Gespräch am Telefon hatte sie hellhörig werden lassen. „Sie haben bstimmt doch noch mehr gefunden. Sonst wärst du nicht so aufgewühlt?“

Esmeralda biss sich auf die Lippen. Rang nach den richtigen Worten. „Und ob sie das haben!“, sagte sie und ihre Stimme klang brüchig. So als fiele es ihr schwer, weiterzusprechen. „Neben den Jungen, haben sie auch noch eine weibliche Leiche gefunden. Und zwar die von Jenni Grave!“

Mir klappte die Kinnlade runter. Hatte ich richtig gehört?

Jenni Graves Leiche wurde gefunden?

Aber mit wem war dann bitteschön Lex zusammen?

Ein schlimmer Verdacht kam mir und ich erinnerte mich wieder daran, wie spitz die Zähne der Frau waren, die sich für Jenni Grave ausgab. Gott, bitte lass das nicht wahrsein!

„Die Meerjungfrau!“
 

Lex befand sich ganz und gar in der Umarmung der Meerjungfrau, die den Platz der verstorbenen Jenni Grave eingenommen hatte. Ließ sich von ihr Küssen und merkte nicht, wie er sich immer mehr in ihrem Zauber verlor, nur um dann von ihr verschlungen zuwerden.

Zu sehr hatte er sich von ihr verhexen lassen, als dass er auf die Stimme in seinem Inneren hören würde. Hatte sich sogar gegen seine Schwester gestellt, Hand an sie gelegt. Ausgerechnet an ihr, die er sich zu beschützen geschworen hatte.

Doch was bedeutete das schon, wenn er mit dieser Frau zusammen sein konnte, sie ihm sein Herz und den Verstand geraubt hatte.

Sie hatten sich bei Anbruch der Nacht ein Boot gemietet und waren auf das Meer hinausgefahren. Dort würde sie ihn fressen.

Der Meerjungfrau fiel es schwer, ruhig zu bleiben. Solange musste sie darauf warten, ihn endlich in die Finger zubekommen. Und war auch enttäuscht, dass es so einfach. Sie hatte gespürt, dass er anders war. Etwas Geheimnissvolles haftete an ihm. Ließ ihn dunkel und fremd erscheinen. Und seine Familie, besonders seine nervige Schwester schienen für sie eine Bedrohung darzustellen, weil sie mit allen Mitteln versuchten, ihn ihr zurauben. Dennoch war er nur ein Mann und wie bei jedem Mann, brauchte sie nur ihren magischen Blick auf ihn zuwerfen und schon war es um ihn geschehen.

Und hatte es geschafft, dass er sich gegen seine Sippe wendete. Doch die andere, die Schwarzharrige war ihr nicht geheuer. Sie hatte deutlich in ihr eine Gefahr gesehen. Ein Auta der Finsterniss umgab sie, wie es nur bei mächtigen Schattenblütlern der Fall war. Trotzdem war sie nur ein Mensch und die Meerjungfrau wollte nicht weiter an sie denken.

Jetzt wo sie ihn gänzlich von seiner Familie getrennt hatte, würde ihr niemand in die Quere kommen. Und wenn sie aufgefressen hatte, würde sie weiterziehen. Sich ein neues Jagdrevier suchen. Auch wenn ihr dieser Ort gut gefiel. Doch es war zuviel Aufmerksamkeit für die Morde erregt worden, als dass sie weiterhin ungestört jagen konnte.

Mit einem beinah sehnsüchtigen Blick schaute sie aufs Meer und seufzte. Eine Schande um das schöne Jagdrevier, dachte sie. Da schaltete Lex den Motor ab und unterbrach so ihre Gedanken.

„So da wären wir!“, sagte er überschwenglich und setzte sich zu ihr. Jenni lächelte und wirkte wieder ihren Bann. Sie ging zu ihm und setzte sich rittlinks auf den Schoss. Legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Lex schnurrte und der Hunger der Meerjungfrau wurde immer größer. Sie musste sich wirklich beherrschen. Dabei war es so schwer. Der Mensch schmeckte gut. So gut!

Lange würde sie es nicht mehr aushalten können. „Lex, komm mehr. Ich will dich schmecken!“, raunte sie und zog ihm das T-Shirt hoch, bis seine Brust freikam.

Leckte gierig über seine Haut und entlockte ihm damit einen Schauer. Lex bebbte in freudiger Erwartung und schloss die Augen. Das war die Gelegenheit. Genug mit dem Vorgeplänkel. Sie wollte endlich essen.

So öffnete sie den Mund und entblösste ihre scharfen Nadelzähne. Gleich würde sie sie in den Hals des Mannes rammen und sein Fleisch reissen. Doch kaum, dass ihre Zähne seine Haut anritzen konnte, ertönte ein lauter Knall. Gefolgt von einem entsetzlichen Schmerz, der in ihrer Seite aufflammte.

Die Meerjungfrau schrie auf und blickte zu ihrer Linken. Sah die Harpune, die tief in ihrem Körper steckte und durch den Schuss noch leicht vibrierte. Was zum, dachte sie und noch ehe sie nach der Waffe greifen konnte, um sie sich rauszuziehen, flammte gleißend helles Licht auf und blendete sie.
 

Wir kamen gerade noch rechtzeitig. Und es war reines Glück, dass wir sie gefunden haben.

Die Meerjungfrau wollte gerade Lex mit Haut und Haar verspeisen. Brian reagierte schnell und feuerte die Harpune ab. Zugegeben, eine etwas übertriebene Methode, sie von Lex fernzuhalten, aber was eignete sich besser bei einem Fischfang als eine Harpune. Kaum hatte sich die Harpune in den Leib der Meerjungfrau, schon schaltete Fay den Scheinwerfer ein, der sogleich sein Licht auf das Monster warf und sie für einen kurzen Moment erstarren ließ. Dann aber schwenkte Fay den Scheinwerfer ein wenig weg, sodass die Meerjungfrau nicht mehr ganz im Schein stand und wir sie uns ansehen konnte. Von Außen her sah sie aus wie ein Mensch. Aber die Augen…

Sie waren schwarz und glänzenten feucht. Mal abgesehen von den Zähnen, die wie spitze Nadeln aus ihren Kiefern ragten.

Mir wurde es kalt bei diesem Anblick. Die Meerjungfrau, durchfuhr es mich. Ich hatte sie zwar schon in meiner Vision gesehen, aber dieser Anblick ließ mich zusammenzucken. Dieses Geschöpf mit dem Gesicht eines jungen Mädchens, was mal nur mit den Freunden etwas Spass haben wollte, war nun die Hülle eines Monsters, welche Männer als Essen sah. Ich konnte nicht sagen was ich am meisten empfinden sollte. Angst, Wut oder Hass. Vielleicht von jedem etwas. Schließlich hatte dieses Ding dafür gesorgt, dass Lex sich gegen Fay stellt und ihr damit das Herz bricht.

Und ich konnte mir gut vorstellen, dass Fay es ihr heimzahlen würde. Brian fixierte die Kette, die mit der Harpune verbunden war, damit die Meerjungfrau uns entwichen konnte. Zog einmal kräftig an der Trommel, um die die Kette gewickelt war und es ging ein Ruck durch die Meerjungfrau. Sie war fürs erste erstmal festgenagelt. Doch das hielt sie nicht davon ab, uns wütend anzufauchen. Riss an der Harpune, die so fest drinsteckte, so dass sie es schwer haben würde, sie aus sich rauszuziehen.

Fay sprang von dem Boot, mit dem wir hergekommen waren auf das, von den beiden und ging zu ihrem Bruder. Ohne nicht jedoch den Blick von der Meerjungfrau zulassen. Lex hatte wohl das Bewusstsein verloren. Denn sie schlug ihm sanft gegen die Wangen und redete auf ihn ein. Aber Lex hatte das Bewusstsein verloren. Rührte sich nicht. Schien auch irgendwie nicht mehr zu atmen. Fay drehte sich um. Ihr Gesicht steinern, finster. Mit festem Schritt ging sie auf die, an der Harpune aufgespiesten, Meerjungfrau zu, hob die Hand und verpasste ihr einen solchen harten Schlag, dass ihr Kopf sich beinahe um hundertachtziggrad drehte. „Was hast du mit ihm gemacht, du widerliches, schleimiges Miststück?“, fragte sie sie voller Hass in den Augen. Die Meerjungfrau kicherte nur. Zeigte ihr ein grausames Lächeln. Fay platzte der Kragen. Ihre Traurigkeit und Niedergeschlagenheit war wie weggeweht und sie packte die Hexe am Hals. Drückte ihren dünnen Hals zusammen und zog einen Dolch. Das Metall blitzte kalt auf, als das Licht des Scheinwerfers darauf fiel. „Was hast du mit ihm gemacht, habe ich dich gefragt!“, schrie sie wütend. Da versetzte ihr die Meerjungfrau einen Stoss gegen die Brust, so dass Fay nachhinten fiel und wild mit den Armen ruderte. Esermalda rief nach ihrer Tochter. Brian sprang mit einem gewaltigen Satz zu der Meerjungfrau. Wollte ihr mit dem Dolch, den er sich aus der Jacke gezogen hatte, den Garaus machen. Aber die Meerjungfrau war schneller. Mit einem Ruck, begleitetet von ihrem barbarischen Schrei, riss sie sich die Harpune aus dem Leib und bevor Brian sie erreichte, machte sie einen Hechtsprung und tauchte im dunklen Wasser unter.

„Verflucht!“, fauchte Brian. „Fas, schnapp dir Lex und bring ihn her!“, rief er dann laut. Mit was für einer Leichtigkeit sie ihn über ihre Schultern wuchtete, erstaunte mich wirklich. Nie im Leben hätte ich Fay solche Kräfte zugetraut. Aber vermutlich hatte es auch an der Sorge und die Wut, die sie gepackt hatte, gelegen. Auf jeden Fall schulterte sie ihn und trug ihn zu uns auf Boot. Esmeralda half ihr, ihn auf den Boden zu legen. Besorgt strich sie ihm über die Wange. Seine Brust hebte und sengte sich kaum und hätte man keine besonders guten Augen, würde man denken, er sei tot. Brian sah mit steinerne Miene auf seinen Sohn und ich meinte mir einzubilden, so etwas wie Sorge in seinen Augen zusehen. Ich musste etwas lächeln. Trotz dass sie sich so angeschrien hatten und Brian den Eindruck machte, kleine Kinder zum Frühstück zuessen, war er nicht anders, als jeder Familienvater auch. „Kümmert Euch um ihn!“, wies er sie an und wandte sich dann an mich. „Allison!“

„J-Ja?“, brachte ich unsicher hervor, weil er wieder den gewohnten Befehlston annahm. „Rufe Erik. Sag ihm es gibt Arbeit!“

„Nicht nötig. Ich bin hier. Ich mag zwar ein Wolfsdämon sein, aber man muss mich nicht rufen, wie eine dumme Töhle!“, sagte Erik, der, wie immer, wie aus dem Nichts auftauchte und sich neben mich stellte. Deutlich hörte ich in seinen Worten, wie sehr es ihn wütend machte, dass Brian über ihn herzog. Aber machte er dasgleich nicht bei Brian.

Die beiden waren wirklich wie Feuer und Wasser!

Ich sah deutlich an Brians Mundwinkel, dass er sich ein Kommentar in Bezug auf Eriks Worte verkneifen musste. Doch ich konnte in seinen Augen lesen:„ Was gibt es da für einen Unterschied?“

Laut sagte er:„ Allison, schnapp dir den Scheinwerfer und leuchte damit auf das Wasser. Wäre möglich, dass das Miststück wieder zuschlägt und sich Lex schnappen will!“, sagte er und ich nickte. Machte mich an dem Scheinwerfer zuschaffen und schaltete ihn an. Fay hatte mir gezeigt, wie es ging und ich schwengte ihn umher, sodass der Schein über dem Wasser schwebte und hinundhertanzte. Esmeralda und Fay kümmerten sich um Lex. Während ihre Mutter die Stirn von Lex kühlte, redete Fay auf ihn ein. Strich über seine Wange. Brian stellten Backbord und Erik Steuerbord. Schauten auf das Wasser, was dunkel, beinahe schon schwarz zu sein schien. Alles um uns herum war in tiefste Schwärze getaucht und es würde schwer werden, etwas zuerkennen. Ich ließ ebenso wachsam den Blick über das Wasser wandern. Gleichzeitig glitt das Licht des Scheinwerfers umher. Folgte meiner Kopfbewegung und immer wenn ich glaubte, eine Bewegung unter der Oberfläche zusehen und kaum dass ich den Scheinwerfer darauf richten konnte, war nichts zusehen. Ich dachte, ich hätte mir das nur eingebildet. Schaute zu Erik. Und da trafen sich unsere Blicke. Und auch ohne ein Wort, das er aussprach, verstand ich, was er mir sagen wollte. „Lass dich nicht täuschen. Du kannst mehr sehen, als jeder andere Mensch!“

Ich schluckte, weil ein kleiner Teil von mir wusste, dass er Recht hatte. Ich schaute erneut in das Wasser. Doch durch das Licht des Scheinwerfers konnte ich kaum etwas erkennen.

Es stach mir aufeinmal so entsetzlich in die Augen, trotz dass ich nicht direkt reinschaute. Ich blinzelte. Versuchte die Tränen loszuwerden, die es mir schwermachten, etwas zu sehen. So geht das nicht, dachte ich und ehe ich wusste, was ich da eigentlich tat, schaltete ich das Gerät aus.

„Allison was machst du da?“, fragte Brian, der nicht begriff, was ich mir dabei gedacht hatte. Ich konnte es selber nicht, doch ich zischte nur. „Schhhht. Ich glaube, ich höre etwas!“, sagte ich.
 

Brian und Erik tauschten einen Blick. „Wie soll sie etwas hören?“, formten Brians Lippen. Erik schaute ihn eine Weile mit ausdrucksloser Miene an. Dann lächelte er wissend. Er weiss etwas, schoss es Brian durch den Kopf.
 

Wie als wenn Eriks stumme Worte einen Schalter in mir umgelegt hatten, waren beine Sinne, was das Sehen und Hören anging, aufs feinste geschärft. Mit einem Male, glaubte ich alles zu hören. Zu sehen. Wie war das möglich?

Ich versuchte nicht länger darüber nachzudenken, da es mich den Kopf kosten konnte, wenn ich nicht ganz bei der Sache war. Also schweifte mein Blick weiterhin über die Wasseroberfläche. Saugte sich an der schwappenden Oberfläche fest und es kam mir vor, als würde nichts meinem neuen Sehsinn entgehen. Da!

Ich es gesehen. Nur kurz aber deutlich genug. Das Auftauchen eines geschuppten Schwanzens. Ich drehte mich um, wollte es den anderen sagen. Doch da schoss Lex wie von einer Tarantel gestochen hoch und schlug um sich. Fegte Fay und Esmeralda weg, als seien sie Nichts und stürmte auf mich zu. Mit wilder Wut in den Augen und einem Schrei, der mir wahrlich Schauer über den Rücken laufen ließ, ging er auf mich los und wollte mich packen. Ich wich aus. Schneller, als ich es mir zugetraut hätte und entging so seinem Angriff. Lex prallte gegen die Reling, verharrte kurz an Ort und Stelle, dann drehte er sich zum mir herum und wieder blitzte diese Wut in seinen Augen auf. Was hatte er nur gegen mich, fragte ich mich. Zwar hatten wir unsere Differenzen, aber dennoch traute ich ihm nicht zu, dass er mir was antun wollte.

Nein, es musste etwas anderes sein, das ihn zu solch einer blinden Wut brachte.

Die Meerjungfrau!

Dieses Miststück hatte immernoch Macht über ihm.

Lex warf sich erneut auf mich, noch ehe ich weiter nachdenken konnte. Aber bevor er mich erreichte, war Erik zur Stelle und knockte ihn mit einem gezielten Schlag seines Ellenbogens in dessen Nacken aus. Lex brach zusammen wie eine Puppe.

Rührte sich nicht. Ich sah von ihm auf Erik, der sich keiner Schuld bewusst war. Brian hingegen warf Erik einen wütenden Blick zu. Und ich kontne mir gut vorstellen, dass das berechtigt war. Wenn es schlecht aussah, hatte Erik Lex mehr als nur K.O geschlagen.

Um sicher zusein ging ich zu ihm und legte die Hand auf seinen Rücken. Zu meiner Erleichterung hob und senkte sie sich sich. Schwach zwar. Aber sie bewegte sich.

Ich schaute zu Brian und nickte. Er schien sich etwas zu entspannen.

Sah Erik aber dennoch missbilligend an.

Schüttelte dann den Kopf und ging zu seiner Frau und zu Fay. Half ihnen hoch. „Was…was war das? Ich hatte das Gefühl ein Lkw würde mich niedermähen!“, murmelte Fay, wo Esmeralda nichts sagte, sondern einfach nur aufstand und zu ihrem Sohn sah.

Welche Höllenqualen sie bei seinem Anblick erdulden musste, konnte ich in ihren Augen sehen und vielleicht nicht mal wirklich erahnen.

Lex steht immernoch unter dem Einfluss der verdammten Nixe!“, knurrte Brian und drehte sich um. „Aber fürs erste keine Gefahr!“, sagte Erik beiläufig, woraufhin er einen weiteren erbosten Blick von Brian erntete. Ich musste etwas lächeln. Wie die kleinen Kinder, dachte ich.

„Dann sollten wir uns dieses Miststück endlich schnappen!“, sagte Esmeralda und ich erschrack, als ich den Hass und die Wut in ihren Worten hörte. Etwas in ihrem Gesicht, welches sanft war, ließ mich erschauern. In ihren Augen glomm soviel Wut, dass ich glaubte, Feuer in diesen lodern zusehen. Ich schluckte.

Und bildete ich mir das nur ein, oder war es hier plötzlich sehr sehr heiss geworden?

Ich konnte mir nicht erklären, woher diese kam. Wir waren mitten auf dem Meer und es gab hier nichts, was solch eine Wärme ausstrahlen konnte. Ich schaute zu Esmeralda, die immernoch vor Wut kochte und…

Diese Wärme. Ich hätte schwören können, dass sie der Ursprung dieser Hitze war.

Die Luft um sie herum filmmerte, als würde sie brennen.

Aber das war doch nicht möglich!

Brian musste bemerkt haben, wie ich sie ansah. Er legte die Hand auf ihre Schulter und die Hitze, das Flimmern, wurde schwächer. „Wir müssen jetzt ruhig bleiben!“, ermahnte sie mit sanfter, aber fester Stimme. Esmeralda nickte. Ich war verwundert. Diesesmal schien Brian seine Frau zur Ruhe bewegen zuwollen. „Du hast recht!“, murmelte sie.

Ich tauschte einen Blick mit Erik. Er war anscheinend genauso baff von Esmeraldas kurzen Ausbruch. Dann aber wandte er sich wieder dem Wasser zu. Und kaum hatte er das, barste die Wasseroberfläche auseinander und die Meerjungfrau schoss auf ihn zu. Hatte die Arme ausgestreckt und wollte ihn packen. Ihn mit sich in das Wasser ziehen. Doch Erik reagierte schnell und wich ihr aus. Schwang dabei den Arm und…

Spielten mir die Augen einen Streich, oder hatte sich an der Unterseite seines Unterarms ein Sensenblatt gebildet?

Es war plötzlich dagewesen, als wäre es aus ihm herausgewachsen. Mit einer tödlichen, elegentanmutenden Bewegung seines Armes, fügte er ihr eine tiefe Wunde am Bauch zu, aus dieser ein dicker Schwall schwarzen Blutes hervorquoll. Die Meerjungfrau schrie auf und hielt sich den Bauch. Dann tauchte sie wieder unter Wasser und verschwand. Erik blieb stehen wo er war. Den Arm, mit dem Sensenblatt, zum nächsten Angriff erhoben und schaute mit grimmiger Miene aufs Wasser. Ich ging zu ihm hin. Sah mir das Sensenblatt genauer an. Schwarzes Blut klebte daran und ich musste Schlucken. Erik musste bemerkt haben, wie ich ihn und seine „Waffe“, ansah, denn er senkte sie ein wenig und sah mich mit einem schwachen Lächeln an Offenbar war es ihm unangenehmen, dass ich ihn mit solch einem Ding sah. „Ziemlich einschüchternd, oder?“, fragte er. Ich nickte bloss.

Was sollte ich auch dazu schon sagen?

„Schicke Sense, Alter?“, oder „ Hey, woher kriegt man sowas her? Ich will auch so ein Teil!“

Nein, ich würde mich hüten, etwas dergleichen von mir zugeben.

Da es zumal nicht der richtige Zeitpunkt, über selbsterschaffene Waffen zu sprechen. Dennoch brannt mir schon die eine oder andere Frage unter den Nägeln.

Aber das musste erstmal warten.

Wir mussten die Meerjungfrau aufhalten. Nur war sie wieder unter dem Wasser und wer weiss, wann und wie die wieder hochkam.

So warteten wir und warteten. Die Zeit schien sich zuziehen wie Kaugummi und ich wurde immer unruhiger. Selbst das Wasser umuns herum schien sich in etwas verwandelt zu haben, was uns gefährlich werden konnte. Es war leiser geworden. Die Wellen bewegten sich langsam, lauernd, als hätten sie ein eigenes Bewusstsein. Ich schauderte, als ich mir vorstellte, wie die Meerjungfrau unter der Wasseroberfläche umherschwamm und uns beobachtete. Wie sie darüber nachdachte, wie sie uns erwischen kann. Aus irgendeiner mir nicht zuerklärenden Furcht, aber vermutlich war es auch Vorsicht, nahm ich etwas Abstand von der Reling und schaute zu den anderen. Jeder war hoch konzentiert, suchte im Dunkeln der Nacht nach einem Hinweiss, der die Meerjungfrau verriet. Sie schienen mich ganz vergessen zu haben. Nur Erik nicht. Immer wieder blickte er zu mir hinüber. Versuchte wohl in mich zuschauen. Ich konnte deutlich fühlen, wie seine dunklen Augen durch mich hindurch gingen und einen Teil in mir berührten. Ein komisches und auch unangenehmes Gefühl. Ich drehte mich weg von ihm und ging zur anderen Seite des Bootes.

Schaute über die Reling und blickte in das grausamlächelnde Gesicht der Meerjungfrau.

Keine zwanzigzentimeter von mir entfernt.

Noch ehe ich den Mund aufmachen konnte, um den anderen bescheid zugeben, wickelte sich auch schon ihr langer Schwanz um meine Kehle, wie eine zuschlagende Peitsche und mit einem brutalen Ruck riss sie mich in die Tiefe.
 

Das Letzte, was er von Allison noch sah, waren ihre Beine, die über die Reling rutschten und das Wasser, das auspritzte, als sie hineinfiel. „Allison!“, schrie Erik alarmierend und stürzte an die Stelle, an der Allison über Bord gegangen war. Brian, Esmeralda und Fay folgten ihm. Doch es war zuspät.

Allison war bereits verschwunden. Hinuntergezogen in die Tiefen des Wassers. Erik verharte mit ausgestrecktem Arm über die Reling gebeugt und starrte aufs Wasser. Seine Gedanken überschlugen sich. Allison!

Er hatte Allison nicht rechzeitig retten können. Nun war sie verloren.

Große Luftblasen stiegen an die Oberfläche und zerplatzten, als sie diese durchstiessen.

Luftblasen, die aus Allisons Lunge kamen.

Erik grub die Finger in das Holz der Reling, bis es splitterte.

Warum war er nicht wachsamer gewesen?

Er hätte wissen müssen, dass sowas passieren würde!

Er kannte die dunklen Wesen doch besser, als jeder andere. Er war schließlich selber eins.

Und dennoch war es ihm nicht gelungen, den Feind rechtzeitig zudurchschauen. Ihn zuspüren und einzugreifen, ehe etwas mit ihr passiete.

Dabei hatte er doch versprochen, sie zu beschützen. Aber er hatte versagt und er verfluchte sich selbst für seine Nachlässigkeit. „Verdammt!“, fauchte er und trat gehen die Reling.
 

Das Wasser brach über mich zusammen, wie ein Haus und begrub mich unter sich.

Ich versuchte mich aus dem Griff der Meerjungfrau zu befreien. Doch das einzige, was ich damit erreichte, war, dass mir die Luft knapp wurde. Ich öffnete die Augen. Sah, wie das Boot, auf dem ich ebennoch war, immer mehr und mehr verschwand. Und damit auch die Wasseroberfläche. Sie rückte immer weiter von mir weg, bis das matte Licht verschwand mich nur noch tiefste Dunkelheit umfing.

Ich hörte auf, mich zuwehren, da ich spürte, wie mir erst die Luft und dann die Kraft ausging. So hing ich wie eine Puppe in dem Griff der Meerjungfrau und wurde schwächer und schwächer. Ein Gefühl der Schwerelosigkeit ergriff mich. Mein Körper, der vorher schwer, voller Leben war, wurde ganz leicht. Soleicht wie eine Feder. Soleicht, dass es die Strömung leicht hätte, mich wegzutragen. Mein Haar tanzte in dem Wirbeln des Wassers hinundher. Kleine Luftblasen entwischen aus meiner Nase und trieben nach oben. Ich zählte sie.

Eins… zwei…drei…vier fünf…sechs…sieben…acht…neun…zehn

Es wurden immer mehr.

Mit jeder Luftblase, die nach oben entwich, wurden auch meine Augenlider schwerer und ich verlor mich immer mehr in der Dunkleheit, die nicht nur um mich, sondern sich auch in mir breitmachte und mich lähmte. Irgendwann veror ich das Bewusst sein. Hörte nur noch die Schläge meines Herzens, die mit jedem Zucken, das es tat, schächer und leiser wurden, bis es gänzlich verstummte.

Doch kaum, dass ich richtig starb, presste sich etwas auf meinem Mund und pumpte mir mit solcher Wucht Luft in die Lungen, dass ich glaubte, sie würden platzen. Ich riss die Augen auf, schrie auf, als der Schmerz in meiner Brust ins unerträgliche stieg und blickte in die dunklen Augen der Meerjungfrau. Sie war es, die mir die neue Luft gab. Sie presste mir ihren Mund auf meinen. Ekel wich meinem Schmerz und ich versuchte mich aus ihrer Umklammerung zuebefreien. Scheiss darauf, dass ich wieder meine neuegewonnene Luft verlor und ertrank, wie eine Ratte. Von diesem Miststück wollte ich geküsst werden.

Dieser Nixe erging es wohl nicht anders. Ich sah ihr deutlich an, dass es ihr zuwider war, dass sie mir neue Luft in die Lungen pumpte. Also fragte ich mich warum?

Warum tat sie das, wenn ich schon ohnehin sogut wie tot war?

„Glaubst du, ich mache es dir soleicht?“, hörte ich plötzlich eine krächzende Stimme und erschauderte. Sie war so kalt und scharf, wie Eis, das zersprang. Und ich wusste sofort, dass es nur die Meerjungfrau sein konnte, die da mit mir redete.

Wer sollte es sonst sein. Wir waren allein hier!

„Was hast du mit mir vor?“, fragte ich und die Meerjungfrau lächelte, so dass ich ihre spitzen Zähne sehen konnte. „Normalerweise sind mir leckeraussehende Männer lieber. Aber bei dir machte ich eine Ausanahme!“

Mir gefror das Blut in den Adern. Mit irgendwas hätte ich schon gerechnet, aber nicht damit. Und zuerst dachte ich, sie wollte mich verarschen. Mit mir spielen. Doch ein Blick in die Augen der Meerjungfrau und ich wusste es besser. Dieses Ding wollte mich wirklich fressen.

„Willst du das wirklich? Ich schmecke ganz schrecklich!“, versuchte ich es, auch wenn ich wusste, dass es wenig bringen würde. Die Meerjungfrau grinste und zischelte, was wohl ein Lachen sein sollte. „Es wird schon gehen!“

Dann öffnete sie den Mund und ihre Zähne regten sich mir entgegen. Ich regte wiederum den Kopf weg. Wollte den Moment hinauszögern, in dem sie mir den Kopf abbeissen wollte. Trotz mit dem sicheren Wissen, dass es mir nichts bringen würde.

Selbst wenn ich ihr entwichte, so würde ich es nicht rechtzeitig an die Oberfläche schaffen. Ich würde ertrinken, noch ehe ich die Wasseroberfläche durchbrach. Aber ertrinken schien mir ein weitaus schönerer Tod, als von ihr verspeist zuwerden.

Ich ergriff daher ihre Handgelenke und versuchte sie von meinem Hals zubekommen. Drosch auf diese, aber durch das Wasser waren meine Bewegungen viel zulangsam und zu kraftlos, als dass ich etwas damit erreichen konnte. Naja, etwas erreichte ich schon. Nämlich dass sich die Meerjungfrau vor Lachen bog und es noch mehr genoss, mich zappeln zulassen.

Ihr Mund näherte sich dabei immer mehr meinem Gesicht und auch die Luft wurde mir wieder langsam knapp. Aber diesesmal nicht schnell genug, als dass ich den ersten Biss nicht spürte. Dafür hatte sie ja gesorgt. Angst erfüllte mich, wie es die neue Luft tat und machte mich zugleich schwer wie Blei. Meine Bewegungen waren zäh und langsam. Genauso gut hätte ich es sein lassen können. Es würde nichts bringen.

Ich würde als Snack für dieses Monster enden.

Fay, Erik, Brian und Esmeralda werden mir nicht helfen können. Sie würden nicht mal wissen, wie ich zu Tode kam.

Ich würde einfach sterben. So wie Mama gestorben war.

Ohne großes Tam-Tam und ohne die Musik, die man in den Filmen zuhören bekam, wenn der Held starb.

Einfach so. Als würde man eine Kerze ausblasen.

Ich spürte schon, wie sich die Zähne der Meerjungfrau in das Fleisch meiner Wange bohrten, als sich plötzlich etwas in mir meldete. „Reiss dich zusammen!“, hörte ich eine Stimme, in meinem Kopf mich anfauchen und ich runzelte die Stirn. Diese Stimme kam mir seltsamerweise bekannt vor. Ich hatte sie schon mal gehört. Mehrmals sogar. Doch mir fiel nicht ein, woher.

Statt mich weiter zufragen, wem diese Stimme zugehören schien, lauschte ich ihr trotzdem weiter. „Lass dich nicht von diesem Biest kleinkriegen. Wehr dich verdammt!“, keifte sie mich an. „Aber soll ich das?“, fragte ich und noch ehe die Stimme mir antworten konnte, schien sich meine Hand selbstständig zu machen. Sie griff langsam in das Innere meiner Jacke, suchte in dieser, ehe sie etwas kaltes, hartes spürte und die Finger darum schloss.

Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was das sein konnte. Aber dann blitzte ein Bild vor meinen Augen auf und ich sah was meine Hand hielt. Einen Dolch. Den Dolch, den mir Esmeralda gegeben hatte, damit ich mich wehren konnte. Wie war er denn in meine Jacke gekommen?

Ich konnte mich nicht daran erinnern ihn eingesteckt zuhaben. Oder hatte ich ihn doch eingesteckt und es nur wieder in der Hektit vergessen. Es war auch eigentlich egal. Denn jetzt hatte ich etwas, womit ich mir diese Bitch vom Halse schaffen konnte. Noch ehe sie weiter ihre Zähne in meine Wange graben konnte, schnellte mein Arm nach oben.

Vergessen war die bleiernde Schwere und das Gefühl der Angst.

Meine Kraft war wie durch Knopfdruck wiedergekommen und ließ meine Hand mit den Dolch zu der Brust der Meerjungfrau hochschnellen.

Tief bohrte sich die Klinge in ihr Fleisch und die Meerjungfrau kreischte auf.

Entließ mich dann aus ihren Griff. Und ich nutzte diese Chance.

Mit kraftvollen Bewegungen begann ich loszuschwimmen und bewegte ich mich der Wasseroberfläche entgegen. Die Kraft, die mich ergriff, war wie ein Motor, der mich immer weiter vorantrieb. Ich schaute nicht nach unten, aus Angst, dass ich langsamer werden und die Meerjungfrau mich doch noch wieder in die Finger bekommen würde. Stattdessen konzentrierte ich mich nur darauf, dass ich in Bewegung blieb und mich so weit wie möglich von ihr entfernte, wie es mir möglich war. Schon sah ich die Wasseroberfläche und das Boot, was oben auftrieb.

Nur wenige Meter von mir entfernt, aber nahe genug, dass ich es sehen und auch erreichen konnte. Neue Hoffnung kam in mir hoch, ließ die Kraft noch stärker werden und ich zwang mich weiter zuschwimmen. Weiter, immer weiter. Nicht aufhören. Du hast es bald geschafft!

Plötzlich wurde mir die Luft knapp. Ich hatte ganz vergessen, dass die Luft nur begrenzt war und nun wieder aus meinen Lungen entweichen würde. Sie blubberte bereits als Bläschen aus meinen Nasenlöchern und sie wurde immer weniger, bis ich kaum noch welche hatte und meine Lungen brannten, als stünden sie in Feuer. Doch ich gab nicht auf. Sondern beeilte mich nur noch mehr, an die Oberfläche zu kommen. Nur noch wenige Meter dann hätte ich es geschafft. Ich begann die Entfernung zu zählen. Drei Meter, zweiundhalb Meter. Zwei meter. Ein Meter. Ein halber Meter. Noch während ich weiterhoch schwamm, riss ich den Mund auf und Wasser strömte mir in die Luftrörhe. Dann durchstiess ich die Wasseroberfläche und das erste, was ich tat war, Luft in meine brennenden Lungen zu saugen. Dabei hustete ich und meien Brust schmerzte. Doch ich froh, es geschafft zu haben.

„Da! Da ist sie!“, hörte ich wie aus weiter Ferne und ich drehte mich um. In die Richtung, aus der ich die Stimme glaubte und ein Licht flammte auf. Blendete mich, doch dann wurde es weggedreht, wurde etwas schwächer, sodass ich was erkennen konnte. Ein Scheinwerfer! Sanftes Motorbrummen ertönte und die Wellen um mich wurden stärker, schoben mich etwas weg. Dann tauchte eine Bootswand neben mir auf und ehe ich richtig begreifen konnte, was eigentlich passierte, packten mich zwei Arme und zogen mich aus dem Wasser. Eine warme Decke wurde um mich gewickelt und erst da bemerkte ich, wie kalt mir war. Ich klapperte mit den Zähnen und zog die Decke enger um mich. Arme umfingen mich, spendeten mir zustätzlich Wärme und ich lehnte mich an dem warmen Körper an. „Geht es ihr gut?“, fragte eine aufgeregte Stimme und so langsam erkannte ich sie. Fay!

Ich schaute nach rechts, wo sie neben mir stand und mich besorgt anschaute. Ich lächelte. „Ja, es…es geht wieder!“, sagte ich atmelos. „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt, weißt du das!“, sagte Brian, der zu uns trat. „Sorry, war keine Absicht!“, brachte ich schwach heraus und dämmerte für einen kurzen Moment weg. Doch dann schreckte ich hoch. „Die Meerjungfrau!“, entfuhr es mir. „Sie…sie wollte mich fressen. Aber ich konnte ihr entwichen!“

„Wie das?“, fragte Erik nun. Er hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Aber nun schien er neugierig zusein. Ebenso auch die anderen. Sie sahen mich fragend an. Und warteten darauf, dass ich ihnen davon erzählte. „Ich habe ihr meinen Dolch in die Brust gerammt. Dadurch ließ sie mich los und ich konnte ihr entwichen!“

„Dann ist es vorbei?“, fragte Fay hoffnungsvoll.

„Sieht ganz so aus. Ich kenne keine Dämonenkreatur, die einen Stoss in die Brust überlebt!“, sagte Brian sachlich, der auch erleichtert war, dass dieser ganze Spuk vorbei war. „Da die Klinge des Dolches aus geweihtem Silber war. Und Silber tötet ja alles, was schwarzes Blut hat!“

Bei diesen Worten blickte er Erik an. Ich folgte seinem Blick und Erik drehte sich um. Der Ausdruck in seinen dunklen Augen war mörderisch. Ich konnte deutlich spüren, dass ihm diese Andeutung nicht gefiel und dass er ihn deswegen zugerne eine verpasst hätte. Doch da schoss eine Wasserfontäne in die Höhe und die Meerjungfrau tauchte auf. Wütend fauchend und mit gebleckten Zähnen. Mir schnürte sich die Kehle zu. Ich dachte, ich hätte sie mit dem Dolch erwischt. Aber wie es aussieht, habe ich nicht gut genug zugestossen.

Nun würde sich das rächen.

Blitzschnell umrundete sie das Boot und war auch schon über mir und Esmeralda.

Ihre dunklen Augen sahen mich rasend vor Hass an. Ich konnte deutlich erkennen, dass sie vor nichts halt machte, um mich für die Verletzung büßen zulassen. Dass Esmeralda neben mir war, störte sie nicht. Sie würde ebenso dafür zahlen müssen.

Weil sie in meiner Nähe war.

In blinder Wut vergass man alles. Das sah ich der Meerjungfrau deutlich an.

Mit einem widerlichen Grinsen, baute sie sich vor uns auf und schnellte im nächsten Moment, wie eine angreifende Kobra vor. Doch bevor sie uns erreichen konnte, warf sich Erik dazwischen und das nächste, was ich sah, war, wie sich ihre Klauen tief in seine Schultern gruben und sie die Zähne fletschte.

Sie hätte sie in sein Gesicht geschlagen und es zerfetzt, wenn er nicht schnellgenug reagiert hätte. Mit aller Kraft stemmte er sich mit seinen Händen gegen ihre Schultern und hielt sie sich so vom Lein.

In ihrer Raserei schnappte sie mit ihren Kiefern, hieb mit ihren Klauen nach ihm. Fügte ihm dabei tiefe Wunden zu. Erik knurrte. „Verdammtes Miststück!“

„Hey, ich könnte etwas Hilfe gebrauchen!“, rief er laut zu Brian und dieser zögerte kurz. Überlegte wirklich ob er ihm helfen wollte. Ich wollte schon etwas sagen, als es Erik tat und er klang mehr als wütend. „Brian, beweg endlich deinen Arsch hierher!“, keifte er und schrie im nächsten Moment auf, als er kurz nicht aufpasste und sie ihre Zähne in seine Schultern schlug. Daran riss und zerrte. Blut strömte aus seiner aufgerissenen Schulter und floss über die Bodenbretter des Bootes. Ich schrie und sprang auf. Wollte auf ihn zuhechten. Ihm helfen. Doch Esmeralda hielt mich zurück.

„Nicht, sie wird dich zerreissen!“, rief sie.

„Aber er stirbt, wenn wir nichts unternehmen!“

Wieder hörte ich Erik schreien. Und es wurde mir eiskalt.

Wo ich mich vorher wie betäubt gefühlt hatte, packte mich nun die kalte Angst. Machte mich schwer wie Blei. So wie als der Penanggalan seine Zunge in die Brust Eriks gestossen hatte. Damals hatte ich mich genauso hilflos gefühlt. Und jetzt war es nicht anders.

Erik schrie und schrie. Kämpfte verbissen darum, dass sie nicht noch mehr ihre Zähne in ihn hineingrub.

Gab ihr einen satten Hieb gegen das Kinn und kurz war sie benommen. Plötzlich peitschte ein Schuss auf und ein Pfeil bohrte sich in die Seite der Meerjungfrau. Sie schrie gellend auf, so wie es Erik getan hatte.

Erik nutzte diese kurze Ablenkung und stemmte seine Füsse gegen ihre Brust. Riss dabei den Dolch aus dieser, sodass schwarzes Blut hinausströmte und drückte die Knie durch. Schubste sie so weg und kroch ruckwärts zurück.

Hielt sich dabei seine verwundete Schulter. Nur langsam kam er wieder auf die Beine. „Verdammt!“, spie er und in seinem Gesicht spiegelte sich Wut und Schmerz. Die Wunde machte ihm schwer zu schaffen. „Tut´s weh?“, fragte Brian überflüssigerweise, woraufhin Erik ihm wütendeden Blick zuwarf.

„Natürlich tut es weh. Denkst ich stehe darauf!“, konterte er scharf. Die Meerjungfrau war ebenso angefressen. Denn kaum dass sie sich den Pfeil hatte raus gezogen hatte, versuchte sie es nun anders. Mit ihrem Fischwanz versuchte sie das Boot zum Kentern zubringen und uns damit ins Wasser zuwerfen. Es schwankte und knarrte bedrohlich. Die Seitenwände neigten sich soweit zur Seite, dass das Wasser schon hineinschwabte und den Boden rutschig machte. Ich schlitterte hinundher und hatte Mühe mich auf den Beinen zuhalten. Esmeralda packte mich am Arm und hielt sich wiederum an der Reling fest. Fay eilte zu ihrem immernoch bewusstlosen Bruder, legte sich auf ihn. Verhinderte so, dass ihr Bruder über die Reling rutschte und doch noch in die Klauen der Meerjungfrau fiel.

Brian lief, wie immer er das auch schaffte, zum Abschussstelle der Harpune und rief nach Erik. Erik ging zu ihm. Schwangend und sich immernoch die Schulter haltend. Aber dennoch glitt er nicht aus und erreichte ihn schnell. Durch das Toben des Wassers und dem wütenden Peitschens des Fischschwanzes, konnte ich kaum etwas hören. Doch ich brauchte auch nicht hören, was sie sagten, um zu wissen, was sie vorhatten. Aus einer Belchkiste holten sie einen langen, silbernen Stab, mit einer tödlichen, und an den Rändern gezackte, Spitze.

Eine Harpune.

Etwas sagte mir, dass sie sie diesesmal wirklich erwischen würden und ich freute mich schon, dieses Miststück am Haken zappeln zusehen. Mit einem Nicken gab Erik Brian zuverstehen, dass alles bereit war. Brian nickte ebenso. Lief dann zu uns zurück und noch bevor er sagen konnte, was nun kommen würde, packte er mich und schleifte mich einmal quer über das ganze Deck. Dann drückte er mich gegen die Reling. Beugte meinen Oberkörper mit brutaler Kraft, dass ich fürchtete, er würde mit die Wirbelsäule brechen, soweit zurück, bis ich beinahe auf der anderen Seite runterfiel. Ich war zu überrascht und dann zu entsetzt, um wirklich zubegreifen, was das sollte.

Im Hintergrund hörte ich Esmeralda und Erik gleichzeitig aufschreien.

„Brian, bist du wahnsinnig?“

„Was soll das, du verammter Bastard?“

Doch Brian hörte nicht auf sie. Weder auf seine Frau, noch auf Erik, der vor Wut schäumte und dessen Stimme sich überschlug. Unfähig mich zurühren oder mich gar zuwehren, blieb ich so, wie er mich festhielt. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn anzusehen.

In sein Gesicht und in seine Augen, in denen soviele Gefühle, negative Gefühle, sich spiegelten und abwechselten, dass es mir den Atem raubte.

Ich verstand einfach nicht, was in ihn gefahren war.

Dann aber erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, wie er mich zum ersten Mal angesehen hatte und wie sehr es ihm gegen den Strich ging, mir zu helfen.

War nun die Chance für ihn gekommen, um mich loszuwerden?

Hasste er mich so sehr, dass er mich der Meerjungfrau opfern wollte?

Möglich ist es.

Ihm lag schließlich genauso viel, sie zuschnappen, wenn er so seinen Sohn retten konnte?

Aber würde er wirklich soweit gehen?

War ich dafür der passende Köder?

War ich nur ein Kollateralschaden, den man leicht verschmerzen konnte?

In meinem Kopf gab es ein heilloses Durcheinander von Fragen und deren Antworten, die mich zusehr schockierten, als dass ich sie genauer erfahren wollte.

Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass er sehr wohl soweit gehen würde.

Immerhin wurde er nicht nur die Meerjungfrau so los, sondern auch mich.

Zwei Fliegen mit einer Klappe.

Wie als wenn er meine Gedanken gelesen hätte, lächelte er schwach.

„Nimm es nicht persönlich!“

Das Gefühl der Lähmung, hervorgerufen durch das Ensetzen, verblasste und machte Wut platz. So plötzlich, dass mir der Kopf schwirrte.

Nimm es nicht persönlich?

Pah, was dachte sich der Scheisskerl?

Das ich es einfach so hinnehme. Am Arsch!

„Bastard!“, fauchte ich und gab ihm einen Tritt dorthin, wo es richtig wehtut. Brian zuckte. Verzog das Gesicht. Fluchte. Doch er ließ nicht los. Dabei hätte so ein Tritt einem Mann locker in die Knie gezwungen. Aber anscheinend war er so dermassen in seinem Wahn, mich zum Frass vorzuwerfen, dass ihn das nicht mal kratzt. Ich schaute zu Erik.

Hilflos und ohne ein Wort über die Lippen bringend.

Blanke Wut und fassunglosigkeit war in seinem Gesicht gezeichnet und ich konnte mir gut vorstellen, was in ihm vorging. Damit hätte er nicht gerechnet, dass Brian mich einmal umbringen wollte und dass er es bereute, diesem falschen Hund zuvertrauen. Seine Hände krümmten sich zu Klauen, seine Fingernägel verlängerten sich und glichen an Messer, die im dämmrigen Licht blitzten. Er wollte schon auf ihn zuhetzten, um ihn von mir zureissen. Doch Brian vereitelte dies. „Bleib wo du bist, oder ich breche ihr das Genick!“, schrie er und nichts an seinen Worten ließ den Zweifel zu, dass er es wirklich tun würde.

Erik hielt inne, kämpfte mit sich.

Brian beachtete das nicht weiter, sondern wandte sich an das Wasser und rief:„ Los, worauf wartest du? Hol sie dir!“

Mehr brauchte er nicht zurufen, denn es dauerte keine zwei Sekunden, als sie aufhörte, dass Boot zum Kentern zubringen und sich aus dem Wasser zuerheben. Mit einem irrem Funkeln und einer Gier, die mich würgen ließ, in den Augen, beugte sie sich zu uns hinunter und riss ihr widerliches Maul auf. Ich stöhnte, als ihr ekelhafter Geifer auf meine Stirn tropfte.

Langsam, als wollte sie es geniessen, senkte sie den Kopf, bis sie dicht mit ihrem Gesicht über meinen war und ihr fauler Mundgeruch mir in die Nase kroch.

Wäre ich nicht so wütend und voller Angst, hätte ich ihr ins Gesicht gekotzt.

Die Zeit schien still zustehen, während ich der Meerjungfrau in den weitgeöffneten Rachen schaute und glaubte, es sei nun vorbei. Mein Kopf war wie in Watte gepackt.

Nur schwach hörte ich, was sich um mich herum abspielte.

Eine gespenstische Ruhe ergriff mich und ließ für mich alles nebensächlich, unwichtig erscheinen. War das die Ruhe, die jeden ergriff, wenn man starb?

Vor meinen Augen verschwamm alles, wurde zu einem Wirbel aus Schatten und ich schloss die Augen, weil es nicht sehen wollte. Nicht die lange Zähne, die sich meinem Gesicht entgegen streckten und der Schlund, durch den ich gleich rutschen würde. Stück für Stück.

Dann hörte ich wie aus weiter Ferne, eine Stimme schreien. Das Wort, was sie sagte dehnte sich wie Kaugummi. „Jjjjjeeeeetttzzzttttt!!!“

Dann ein Schrei.

Der Griff, der mich noch vor wenigen Minuten noch gepackt hielt, verschwand. Ein dumpfer Laut und ein Schrei, der mir in den Ohren schrillte, sodass ich fürchtete, mir würde das Trommelfell platzen. Dann klatschte mir etwas Feuchtes mir in das Gesicht.

Hände rissen mich zurück, zogen mich weg von der Meerjungfrau, die mich eben noch gierig anschaute und sich nun die Brust hielt.Noch immer fühlte ich mich, wie benommen und nicht wirklich da. Dennoch konnte ich sie sehen. Sie steckte tief in ihrer Brust und diesesmal würde es wirklich aus mit ihr sein. Eine Harpune!

Die Harpune, die Erik und Brian ebenoch gemeinsam vorbereitet und in Position gebracht hatten. Sie hatte sich tief durch den Leib der Meerjungfrau gebohrt und es brauchte keiner genuer hinzusehen um zuerkennen, dass sie wie ein Fisch am Haken nun zappelte. Vor Wut und großen Schmerzen schrie sie, warf sich hinundher. Versuchte die Harpune aus sich heraus zuziehen, doch die Zacken an der Spitze machten dies unmöglich, gruben sich noch tiefer in ihr Fleisch. Eine Kette quietschte und ächzte, als sie sich wehrte und ich sah, wie Brian auf sie zu kam, etwas Wütendes sagte und die Kette berührte. Kaum hatte er das getan, begann die Kette zuglühen, als würde man sie auf Höchste erhitzen. Dann explodierte sie in einem hellen Schein, der sich rasend schnell zu Feuer entwickelte. Fauchend und wie als wenn es eineiegenes Leben hätte, kroch es blitzschnell die Kette enlang und verschwand in der Harpune. Minuten vergingen, in dene nichts passierte. Doch dann begann die Meerjungfrau, wie von Sinnen zu schreien und um sich zuschlagen.

Niemand wusste genau, was sich abspielte. Bis die erste Stichflamme aus ihr hervorschoss und sich dann mit rasender Geschwindigkeit über ihren gesamten Körper ausbreitete. Nach ersten, folgte eine zweite, eine dritte, eine vierte. Ich konnte nicht so schnell schauen, geschweige denn zählen, um noch zuerkennen, wie viele es waren.

Sie umhüllten, bis sie eine brennende lebende Fackel war.

Das Feuer frass sie von innen auf. Langsam und doch schnell genug, dass sie Schmerzen hatte. Keine Chance hatte, sich dagegen zuwehren.

Mir wurde übel. Und so gern ich den Blick abgewendet hätte, ich konnte es nicht. Zu sehr hielten mich die Flammen in ihren Bann. Es war als zwangen sie mich, zu zusehen.

Wo vorher schon das Geheule der Meerjungfrau laut und kaum zu ertragen war, glaubte ich nun, taub bei diesem Kreischen zu werden. Ich presste mir daher die Hände auf die Ohren, doch ich hörte ihre Schreie noch immer.

Ich sah, wie sie verzweifelt versuchte das Feuer mit Hilfe des Wassers, in dem sie sich befand, zu löschen. Doch sooft sie auch Wasser auf sich spritzte. Sich darin wälzte.

Das Feuer erlosch nicht, Im Gegenteil:

Es wurde immer stärker, als wollte es ihr zeigen, dass es, und nur es, als Sieger in diesem Todeskampf hervorgehen würde. Schon bald lösten sich ver kohlte Haut und verschmorrte Fleischbrocken von ihrem Körper und fielen dampfend ins Wasser. Noch immer wehrte sich die Meerjungfrau, als wollte sie nicht wahrhaben, dass sie schon längst verloren hatte. Irgendwann verstummten ihre Schreie und auch ihre Bewegungen erschlafften.

Das Feuer hatte nicht viel von ihr übrig gelassen.

Zumindest nicht viel. Nur einen verkohlten Haufen, von etwas, was mal annährend daran erinnerte, was sie mal war.

Ich war immernoch unfähig den Blick von de verbrannten Meerjungfru zu nehmen. Von einem Moment auf den nächsten war sie Vergangenheit und die letzten Sekunden, in denen ich dachte ich würde sterben, schienen wie in weiter Ferne gerückt zusein. Aus dem Augenwinkel sah, wie Erik auf mich zurannte. Brian dabei einen Stoss versetzte, der ihn kurz schwanken ließ und sich dann vor mich setzte. Seine Lippen bewegten sich, doch ich konnte nicht verstehen was er sagte. Ratlos und weil ich ihm eine Antwort schuldig war, öffnete ich den Mund versuchte etwas zusagen. Doch es kam nur ein heiseres Flüstern aus mir heraus. Dann, wie als wenn ein Knopf in mir betätigt wurde, wurde alles schwarz um mich herum und ich fiel tief in eine Ohnmacht.
 

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in meinem Zimmer. In meinem Bett. Der Morgen war schon lange vorbei und die Mittagssonne, war gewandert, sodass lange Schatten sich über den Boden zogen. Ich musste ganz schön lange geschlafen haben.

Und fühlte mich so schwach, dass es mir wirklich schwerfiel, die Augen offenzuhalten.

Die letzte Nacht und der Kampf blieben mir noch lange in Erinnerung und hatten an mir gezerrt.

Mein Körper fühlte sich schwer wie Blei an und ich spürte, wie es in meinen Fingerspitzen und Fusszehen, eigentlich überall, kribbelte.

Ein Zeichen, dass jeder Muskel in mir eingeschlafen war. Doch das war nebensächlich.

Die Erinnerung an die letzte Nacht ließ mich erschauern. Auch wenn ich eigntlich froh sein sollte.

Wir hatten die Meerjungfrau schließlich besiegt. Aber es war sehr eng gewesen. Nicht nur für Lex, sondern auch für mich. Ich war knapp dem Tode entkommen. Wiedermal.

Ein schwerer Seufzer kam mir über die Lippen.

Ich hoffte sehr, dass nicht zur Gewohnheit wurde.

Immer wieder dem Tod gegenüber zustehen, war wirklich nicht lustig.

Man konnte es sich so vorstellen, dass man mit der Achterbahn rauf und runter fuhr.

Immer wieder und dass im neunziggradwinkel. Sowohl aufwärts, als auch hochwärts.

Kein schönes Gefühl.

Allem vorran, weil Brian es war, der mich bereitwillig in Gefahr brachte.

Ich spürte noch deutlich seinen Griff an meinen Schultern und sah den Ausdruck in seinen Augen wieder. Mir wurde es noch kälter. Wie wild entschlossen er war.

Er hatte keine einzige Minute gezögert um mein Leben herzugeben.

Warum nur hasster er mich so sehr?

Es klopfte an der Tür und ich war froh darüber, so aus meinen dunklen Gedanken geholt zuwerden. Ich richtete mich etwas auf und rief „Herein!“

Es war Fay, die hinein kam und mich mit einem Lächeln begrüßte. „Hey! Na? Endlich ausgeschlafen?“, fragte sie und schloss hinter sich die Tür. Ich nickte. „Ja, wie spät ist es denn eigentlich?“

„Kurz nach vier. Du hast fast den ganzen Tag geschlafen!“, sagte sie mit einem Schmunzeln, doch dann wurde sie ernst. „Kein Wunder, was gestern passiert ist!“

Ich nickte nur und musste wieder daran denken. Mein Magen knotete sich zusammen. Danach herrschte langes Schweigen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Immer wieder tauchte das Bild vor meinen Augen auf, in dem er mich über die Reling drückte und die Meerjungfrau sich über mich beugte. Ich glaubte, mir würde die Luft wegbleiben.

Es ließ mich einfach nicht los.

Zuerst kämpfte ich dagegen an, etwas zusagen, was sie womöglich vor den Kopf gestossen hätte.

Irgendwann konnte ich es aber nicht mehr aushalten und platzte mit meiner Frage hinaus. „Warum hat dein Vater das getan?“

Fay wusste anscheinend sofort, was ich meinte, denn sie fragte nich nach, sondern sagte monton. „Er wollte dich nicht wirklich in Gefahr bringen!“

„Ach nein? So sah es aber nicht aus. Ich dachte wirklich, dass er mich diesem Miststück überlassen wollte!“

„Zugegeben. Es war nicht richtig und er hätte uns ruhig einweihen können. Aber er war der Meinung, dass es echt aussehen musste, um die Meerjungfrau in Sicherheit zuwiegen!“, sagte sie und ich musste kurz einen Anflug von heiser Wut unterdrücken.

Es sollte echt aussehen!?

Was dachte sich Brian eigentlich?

Wenn meine Mutter noch am Leben wäre, hätte sie ihm mächtig in den Arsch getreten.

„Ich weiss, was du jetzt von ihm denkst. Aber glaube mir, und dafür lege ich die Hand ins Feuer, er würde niemals auch nur daran denken, dir wirklich zuschaden!“

„Hm naja…!“, murmelte ich. Dass sie das sagte, war klar, da sie seine Tochter war.

Und jede Tochter würde ihren Vater in Schutz nehmen. Egal was er tat.

„Da hoffe ich mal, dass du dich nicht verbrennst!“, sagte ich in Gedanken.

Kaum hatte ich das gesagt, sah ich die Flammen wieder vor mir. Hell und wild zuckend. Und mit einem Male erinnerte ich mich an die ganze Nacht. Wie als wenn mein Unterbewusstsein nach und nach die Ereignisse der letzten Nacht wiedergab. Ich schloss kurz die Augen und das Bild wurde schärfer. Sah die Harpune, die sich in die Meerjungfrau gebohrt hatte und die Flammen, die sie umhüllten und einäscherten.

Und ich begann, in der Gewissheit, dass Brian mich loswerden wollte, zu schwanken.

Was wenn das alles wirklich ein Teil des Plans gewesen war?

Hatte ich ihm vielleicht Unrecht getan?

Mit einem Male fühlte ich mich echt mies. Was hatte ich mir dabei gedacht?

Immerhin lebte ich noch.

Und Brian hatte mich weggezogen, bevor die Meerjungfrau dazu kam, mich zu essen.

Es hätte schlimmer kommen können. Der Knoten in meinem Magen wurde dicker und ich schaute Fay an. Ich wusste nicht genau, was sie in meinem Blick gesehen hatte, aber sie lächelte mild und klopfte mir über die Schultern. „Er wird dir schon nicht den Kopf abreissen!“

Damit meinte sie wohl, dass ich das mit ihm klären sollte und auch wenn sie mir versicherte, dass ich nichts zu befürchten hatte, hatte ich dennoch ein mulmiges Gefühl. „Meinst du?“, fragte ich und Fay lachte. „Ich kann dir ja Rückendeckung geben!“

„Ja, bitte!“

Wir gingen gerade die Treppe hinunter und wollten in die Küche, da Fay meinte, dass ihr Vater dort sein würde. Doch kaum dass wir in der Tür standen, hielten wir inne. Ich war nicht die einzige, die mit Brian reden musste. Lex stand seinem Vater gegenüber und wirkte dabei ziemlich geknickt. Ich war froh, dass er noch stehen konnte. Geschweige denn, dass es ihm gut ging. Dennoch blieb ich an Ort und Stelle stehen, da ich sah, dass die beiden unter sich sein wollten.

Lex und sein Vater sprachen in gedämpfter Stimme. Wobei Lex derjenige war, der am meisten redete, während Brian nur zuhörte und sich seine Miene hinudnwieder verdüsterte oder etwas milder wurde, was ich mir bei ihm nicht vorstellen konnte. Er nickte, hob die Hand, wie als wollte er ihm zeigen, dass es gut war.

Ich sah an Lexs Haltung, dass ihm sein Verhalten, als er mit der falschen Jenni zusammen war, leidtat. Schließlich entließ er seinen Sohn und Lex ging. Dabei sah er kurz an. Kurz blieb sein Blick an mir hängen, dann sah er zu seiner Schwester und er senkte den Kopf. Ein Zeichen dafür, dass er sich auch bei ihr entschuldigen wollte. Fay lächelte wiedermal ihr sanftes Lächeln, was jeden entwaffnete und umarmte ihn. Blieben so einige Minuten stehen und lösten sich dann voneinander. Lex stieg die Stufen hoch und verschwand aus unserem Blickfeld.

„Na, auch wieder wach?“, fragte Brian mich in seinem gewohnten kühlen Ton und ich straffte die Schultern. „Ja, ich…ich bin gerade eben aufgestanden!“, sagte ich nur und wusste nicht, wie ich weitersprechen sollte. Doch da fühlte ich Fays Hand auf meinem Rücken. Sie stärkte mir wirklich den Rücken und ich war ihr dafür dankbar. Sonst wäre ich gleich wieder in mein Zimmer geflüchtet.

„Wir hätten da was zuklären, Dad!“, ergriff sie das Wort und ich dankte ihr tausendmal.

„So und was?“, fragte er und sah mich mit gehobenen Brauen an.

„Das mit gestern. War das geplant oder wolltest du mich umbringen?“

Ich wagte es nicht das Wort Wirklich auszusprechen und stellte die Frage, ob das geplant war als erstes, denn so, so hoffte ich, würde er nicht glauben, dass ich ihm die zweite Vermutung eher zutraute. Brian sah mich für einen langen Moment mit empörten Blicken an. Deutlich sah ich ihm, dass er nicht darüber glücklich war. Er ahnte trotz meinen Bemühung, mir nichts anmerken zulassen, dass ich von der zweiten Möglichkeit mehr überzeugt gewesen war, als von der ersten. Dann gab er einen missgünstigen Laut von sich. „Natürlich war das geplant. Denkst du ich würde dich tatsächlich umbringen lassen!“, sagte er vorwurfsvoll und ich seufzte erleichtert. Also hatte ich mich doch in ihn gettäuscht. Zumindest was sein angebliches Vorhaben betraf.

Doch dann sagte er noch etwas und es verschlug mir die Sprache. „Wenn deine Mutter noch leben würde und das erfahren hätte, hätte sie mir in den Arsch getreten. Oder gar noch schlimmeres!“

Fay lachte verhalten und schlug mir auf den Rücken. „Siehst du. Ich habe es dir doch gesagt!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hidan_1975
2015-10-12T21:17:00+00:00 12.10.2015 23:17
Definitiv a saucooles Kapi Mad

Hör grad Der Herr der Ringe Soundtrack und der paßt zu diesem Kapi.
wo Gandalf in Kazad Doum vom Balrog angegriffen wird.Die Musik paßt dazu.

Daumen hoch.
Cerousi lädt die Woche my Kapi hoch,hab des am Sonntagabend geschrieben,du hattest mich näml. auf ne Idee gebracht.Wegen Musik u Trauerbewältigung.

Daumen hoch bei dem Kapi

Lg ♥♥|♥♥♥


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