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Das erste Labyrinth

Von QueenThief
von

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Magischer Tanz

Malik drehte sich schnell um, erwartete, dass es der Goblinkönig war, doch wurde von einem vollkommen anderen Gesicht begrüsst.
 

Malik vermutete, dass der Fremde etwa um achtzehn Jahre alt sein musste. Er war gross - beinahe sechs Fuss -, hatte einen schön getönten Hautton, kurzes braunes Haar und saphirblaue Augen, die einen Mann augenblicklich hätten erstarren lassen können. Seine Kleidung schien für die Strasse gemacht zu sein; verblichene und zerrissene braune Hosen, ein ausgefranstes Hemd und braune Arbeitsschuhe, die wahrscheinlich schon oft getragen worden waren. Das seltsamste an dem Mann waren jedoch seine Ohren, denn anders als normale Menschenohren waren die Ohren dieses Mannes lang und verjüngten sich oben zu einer Spitze.
 

„Wer hat dich denn gefragt?“, fuhr Malik ihn zur Antwort auf seine vorherigen Worte an, „Das geht dich nichts an.“
 

Der blonde Junge drehte sich wieder um und fuhr damit fort, die dicke Aussenwand des Labyrinths zu begutachten - also auf sie einzutreten.
 

Der Mann mit den spitzen Ohren stöhnte. „Dummes, sterbliches Gör.“
 

Dann nahm er eine Art Sprühdose vom Boden und begann, ein paar recht grosse Insekten zu beseitigen, die herumschwirrten.
 

,Moment, das sind keine Käfer, das sind Feen!‘ Malik hatte das gerade realisiert, als der Mann wieder den Knopf der Dose gedrückt hatte und eine weitere geflügelte Kreatur zu Boden schickte. Das amethystäugige Kind keuchte und wollte ihm helfen, aber der Mann hielt ihn auf, indem er nach seiner Hand griff.
 

„Dummer Junge, die guten Feen sind im Labyrinth“, warnte er. „Diese hier würden dir bloss die Hand abbeissen.
 

„Oh“, schluckte Malik. „Na gut. Danke für die Warnung.“ Er versuche seine Hand zurückzuziehen, aber der offensichtlich stärkere Mann führte ihn zu einem grossen Felsen und wies ihn an, sich zu setzen. Malik tat wie ihm geheissen, während der spitzohrige Mann ein paar Schritte ging, um einen Haufen von Lumpen vom Boden aufzuheben.
 

Doch als er genauer hinsah, sah Malik, dass der Haufen von Lumpen etwas ganz anderes war; ein zerrissener, alter Trenchcoat einer tiefen, dunkelroten Farbe, lang genug um über den Boden zu fegen und mit mehr Taschen, als es nötig war.
 

,Das gibt‘s ja nicht‘, dachte Malik, während er zusah, wie der Mann den Mantel anzog, ,Darin könnte man die ganze Kartensammlung meines Bruders verstecken und hätte immer noch Platz.‘
 

Der Fremde kam wieder zu Malik und nahm etwas aus einer der Taschen.
 

„Hier“, sagte er und gab dem Jungen den Gegenstand. „So sehr ich Sterbliche auch hasse, den Goblinkönig hasse ich noch mehr.“
 

Malik sah ihn verwirrt an, bevor er das Objekt nahm; ein Taschentuch.
 

„Wische dir damit über das Gesicht“, wies ihn der Mann an und Malik tat abermals, was er verlangte. Als er den Stoff wieder von seinem Gesicht nahm keuchte er, als er fühlte, wie plötzlich all seine Schmerzen wichen.
 

Er fühlte sein Gesicht. Er war geheilt worden! Die Schnitte und Prellungen die er von der Auseinandersetzung mit Zygor und dem Fall durch die Eiche davongetragen hatte waren vollkommen verschwunden.
 

„Ich d-danke Ihnen... Herr... Äh... Herr...“
 

„Kaiba. Mein Name ist Seto Kaiba.“
 

,Herr Kaiba?‘, dachte Malik. ,Das klingt zu formell. Ich bin sicher ich kann ihn Seto nennen.‘ Dann sagte er: „Dann vielen Dank, Seto. Das hilft mir sehr.“
 

Seto schien zu husten. ,Hat er mich gerade ,Seto‘ genannt? Niemand darf mich so nennen!‘
 

„Stimmt etwas nicht, Seto?“, fragte Malik.
 

„Nein, alles in Ordnung“, sagte Seto. Was spielte es schon für eine Rolle, ob ihn irgendein belangloser Sterblicher bei seinem Vornamen nannte? „Du bist also dieser Malik, oder? Ich habe gehört, dass du kommen würdest.“
 

„Ja, das bin ich“, antwortete der Junge. „Ich bin Malik Ishtar von Domino und ich bin hier, um meinen Bruder zurückzuholen.“
 

„Gut, dann hast du dir dein Vorhaben ja ausgesucht“, sagte Seto. „Wie auch immer, das geht mich nichts an. Ich will nur sehen, wie Bakura reagiert, wenn du etwas stärker aussiehst, wenn ihr euch das nächste Mal trefft.“
 

Seto wollte gehen, doch Malik hielt ihn auf.
 

„Warte! Sag mir wenigstens, wieso du hier bist“, bat der Junge. „Ich weiss nichts über dich. Vielleicht könnten wir sogar Freunde sein. Ich will hier wenigstens eine nette Person kennen.“
 

„Ich bin nicht nett, Junge“, widersprach Seto kalt. „Und ich will nicht dein Freund sein. Aber wenn du das wissen musst, ich bin ein Elf und der Verwalter der äusseren Wand des Labyrinths. Und, bist du jetzt glücklich?“
 

Maliks Augen flackerten vor Freude. „Dann musst du wissen, wie man in das Labyrinth gelangt!“
 

„Ja, das weiss ich.“


„Also dann, wo ist die Tür?“
 

„Welche Tür?“
 

Malik hielt einen Moment inne und ein verwirrter Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht. Meinte dieser Typ das ernst oder nicht? „Die Tür zum Labyrinth.“
 

„Ja?“
 

„Wo ist sie?“
 

„Wo ist was?“
 

„Die Tür!“
 

„Welche Tür?“
 

„Arrgh!“, rief Malik frustriert, „Es ist hoffnungslos, dich etwas zu fragen!“
 

„Nicht“; sagte Seto geheimnisvoll, „wenn du die richtigen Fragen stellst.“
 

Malik seufzte. „Wie kann ich das Labyrinth betreten?“

„Ahh, siehst du, das ist die richtige Frage.“ Seto grinste und drückte einen Stein der Wand. Die ganze Wand schien sich zu spalten, doch Malik bemerkte schnell, dass es eigentlich einige wohl versteckte Türen waren, die sich nun öffneten, um einen staubigen Weg zu offenbaren.
 

Malik ging durch eine grosse Türe hindurch und liess die hohe Steinwand hinter sich. Sie war etwas nass und glitzerte im Licht. Dünne, wuchernde Ranken schlangen sich über das obere Ende der Wand. Nachdem er ein paar Schritte mehr in den ersten Teil des gefürchteten Labyrinths genommen hatte, sah der Junge nach links und rechts und begutachtete den schmutzigen Weg so gut es ging.
 

Zu seiner Linken konnte Malik nichts sehen ausser einen unendlichen Streifen des selben schmutzigen Sandes, auf dem er gerade stand, der von goldenen, glitzernden Ästen überfüllt war. Er sah auch, dass die dumpfen Wände, zwischen denen er nun stand, dem Pfad zu folgen schienen.
 

Zu seiner Rechten war es genau das Selbe.
 

„Macht‘s Spass?“, fragte eine Stimme hinter ihm nach.
 

Seto...
 

„Welchen Weg soll ich nehmen?“, fragte Malik.
 

„Wieso sollte ich das wissen?“, antwortete Seto neutral und Malik knurrte verärgert. Er hatte keine Zeit für so etwas! Er musste Mokuba retten
 

„Alles klar.“ Malik verengte seine Augen, seine Verärgerung offensichtlich. „Also, welchen Weg würdest du nehmen?“
 

„Ich?“, fragte Seto überrascht. „Ich würde gar keinen nehmen. Es ist purer Selbstmord auch nur so weit zu gehen, wie du es bereits getan hast.“
 

Malik schluckte. Er hatte noch kaum einen Schritt ins Labyrinth getan und dieser unbedeutende Fortschritt wurde schon als gefährlich angesehen...?
 

„Wenn du keine weitere Hilfe mehr bist“, sagte er schlussendlich, „dann kannst du gehen.“
 

„Du bist schnell darin, Leute von dir zu weisen“, beobachtete Seto. „Bedeutet das, dass du keine Freunde hast?“
 

Das traf Malik unvorbereitet.
 

„Natürlich habe ich Freunde!“, log er sofort. Aber genau so war es.
 

Eine Lüge.
 

Er hatte wirklich keine Freunde abgesehen von Joey und der weissen Eule aus dem Park. Trotzdem, manchmal war selbst Joey nicht da, weil er mit seiner kleinen Schwester zusammen sein wollte. Malik konnte das verstehen. Schliesslich hielten Geschwister meistens zusammen. Na gut, abgesehen von den Ishtar-Geschwistern. Rishid arbeitete immer, Isis machte die gefürchtete ,Ich bin in der Pubertät, lass mich in Ruhe‘-Phase durch, Mariku hing mit seiner Gang von zukünftigen Kriminelle herum und Mokuba war immer bei ihren Eltern. Malik passte nicht wirklich zu jemandem in seiner Familie.
 

Die Wahrheit war... Malik war meistens ganz allein...
 

Die weisse Eule aus dem Park war die einzige, die wirklich immer zu ihm gehalten hatte. Immer wenn er draussen das Buch über das Labyrinth las, konnte er die Eule sehen, wie sie ihn beobachtete, als ob sie versuchen würde, ihm etwas zu sagen, dass er schon immer so sehr hatte hören wollen; ,Ich werde für dich da sein... Bis ans Ende der Zeit...‘
 

Trotzdem hielt Malik seine Fassade aufrecht. „Ich habe Freunde! Tonnen! Ich kann mich kaum an all ihre Namen erinnern, so viele habe ich! Kim, Brett, Lisa, Kenneth, Tiffany, und so weiter! Also sag bloss nicht ich habe keine Freunde, ich wette, ich habe viel mehr als du!“
 

Damit begann Malik, nach links zu gehen, den sandigen Pfad entlang und weg von Seto. Letzterer seufzte genervt und trat aus dem Labyrinth. Er drehte sich auf dem Absatz um und drückte abermals den Schalter in der Wand.
 

Malik zuckte zusammen, als er die grosse Steintür zuknallen hörte. Dann runzelte er besorgt die Stirn. Jetzt war er alleine...
 

~~~
 

Kleopatra Ishtar und ihr Mann, Jason Trait, betrachtete die Szenerie. Dutzende von Polizisten, Feuerwehrmännern und sogar Gerichtsmedizinern scharten sich um das Haus. Die meisten Feuerwehrmänner waren auf der Hinterseite, wo sie ein Feuerwehrauto und einen Kran benutzten, um die Eiche vom Boden zu heben, während die in den Labormänteln auf dem Seitenbalkon des Hauses waren, wo sie sich über etwas beugten.
 

Und wo waren die Polizisten nicht?
 

Ein Meer aus blauen Uniformen bedeckten das Haus regelrecht von oben bis unten; sie redeten, untersuchten, schrieen, überprüften und so weiter...
 

„Komm schon“, sagte Jason, nahm die Hand seiner benommenen Frau und führte sie die Einfahrt hinauf und in ihr Haus. Als sie die Tür zum Esszimmer erreichten - die Jason förmlich aus den Angeln riss, als er sie öffnete - liess er ein so allmächtiges Brüllen vernehmen, dass selbst einige Feuerwehrmänner ausserhalb des Hauses sich Deckung suchten.
 

WAS ZUR HÖLLE GEHT HIER VOR?!“
 

~~~
 

Malik rannte so schnell wie er konnte, wobei er über jeden von wo auch immer auf den Pfad gefallenen Ast sprang, der ihm im Weg war. Weiter und weiter, aber der Pfad endete nicht. Er konnte das Ende der quälenden Gasse nicht einmal sehen.
 

„Wieso eigentlich ,Labyrinth‘?“, fragte er ins Leere, als er langsamer wurde. „Es hat keine Kurven oder Ecken oder irgendwas! Es geht einfach weiter und weiter!“
 

Als er wieder ein wenig zu Atem gekommen war, begann er wieder zu rennen. Er durfte nicht aufgeben! Er würde nicht aufgeben! Er würde Mokuba nicht wieder im Stich lassen! Er hatte es schon einmal getan, als er ihn ins Labyrinth weggewünscht hatte. Nein. Dieses Mal würde Malik ihn angemessen retten, ohne irgendwelche magische Hilfe.
 

„Hallo du!“, rief eine Stimme, „Warte!“
 

Malik hielt abermals an und drehte sich um, um einen Jungen zu sehen, der auf ihn zu rannte. Er war klein, hatte grosse violette Augen und ein Lächeln, das strahlend genug war, dass es selbst die Sonne beschämen könnte. Ausserdem hatte der junge unglaublich komisches Haar; blonde Strähnen vorne und schwarz und rot hinten.
 

„Hallo“, sagte der Junge wieder, als er Malik eingeholt hatte,“Mein Name ist Yugi. Brauchst du Hilfe? Du bist jetzt schon eine Weile gerannt und ich würde dir wirklich gerne Helfen, wenn ich kann.“
 

„Das ist sehr nett von dir“, sagte Malik zu Yugi. „Eigentlich-“
 

„YUGI MUTOU! Komm sofort zurück!“, unterbrach eine andere Stimme. Die neue Person war nicht so klein wie Yugi und hatte himmelblaues Haar und hellgrüne Augen.
 

„Oh Ryou“, schmollte Yugi, „Komm schon.“
 

„Es tut mir sehr Leid, junger Herr“, entschuldigte sich Ryou, „Yugi kann einfach nicht anders als zu helfen.“
 

„Schon in Ordnung“, antwortete Malik. „Äh... Seid ihr auch beide Elfen?“
 

„Nein“, antwortete Yugi, „Wir sind bloss bescheidene Diener des Königs. Auch wenn wir ihn nicht mögen.“
 

„Yugi!“, sagte Ryou verblüfft, „Sag das nicht! Er könnte dich hören!“
 

„Keine Sorge, Ryou“, antwortete Yugi und zog den grösseren Jungen zu sich, um ihm einen Kuss zu stehlen, „ Du wirst mich beschützen, oder?“
 

Malik räusperte sich und beide Labyrinthianer sahen ihn wieder an.
 

„Entschuldigung“, sagte er, „ich will euch nicht unterbrechen, aber wisst ihr, wie man zum Schloss in der Mitte des Labyrinths kommt?“
 

„Nein“, sagten sie beide gleichzeitig und Malik runzelte die Stirn. Dann meldete sich Yugi zu Wort.
 

„Aber wenn du auf den richtigen Weg willst, dann geh einfach durch diese Lücke“, er deutete auf die Wand und Malik warf ihm einen abschätzigen Blick zu.
 

„Aber da hat es keine Lücke.“
 

„Natürlich hat es eine!“, behauptete Yugi. Dann sprang er buchstäblich durch die Wand, wobei die Oberfläche sich kräuselte.
 

Malik richtete seinen erstaunten Blick auf Ryou, der sagte: „Dieser Ort ist voller Durchgänge, du hast sie bloss nicht gesehen. Komm schon, es tut nicht weh.“
 

„Danke“, sagte Malik, bevor er durch die Wand sprang. Auf der anderen Seite traf er Yugi in einem Wirrwarr aus sieben Fuss hohen Steinwänden und Windungen und Kurven überall.
 

„Danke, Yugi.“ Er drehte sich zu dem Jungen. „Ich bin dankbar für die Hilfe.“
 

„Kein Problem“; antwortete der Kleinere. „Ich hoffe, du kommst mit deiner Aufgabe gut zurecht. Oh, und wenn du meinen älteren Bruder triffst, sag ihm bitte, dass ich ,Hallo‘ gesagt habe, okay?“

„Versprochen“, stimmte Malik zu. Dann sah er zu, wie der Junge mit den drei Haarspitzen zurück durch die Wand sprang.
 

,Alles klar‘, dachte Malik und drehte das Gesicht zum Irrgarten, ,Nächster Versuch...‘
 

...
 

Das Schloss in der Mitte des Labyrinths könnte als Meisterwerk empfunden werden. Mit den hohen Steinwänden, endlosen Korridoren und etwa zweihundert grossen Räumen war das Schloss nicht nur gut befestigt, sondern gleichzeitig auch elegant und majestätisch. Von den vielen Räumen, die das Schloss besass, konnte der König des Labyrinths meist im Thronsaal gefunden werden. Dieser Saal war gross genug, dass er ungefähr hundertundfünfzig Goblins bequem zur gleichen Zeit beherbergen konnte und war so gestaltet, dass der Thron in der Mitte des Raumes stand, auf einer erhobenen Plattform, sodass man dem König nicht die Nähe der Goblins anmasste.
 

Im Moment sass der zuvor erwähnte Goblinkönig seitwärts auf seinem Thron, das linke Bein über der Armlehne, das rechte Bein auf dem Boden. Den rechten Ellenbogen hatte er auf der anderen Armlehne und stützte sich mit dessen Hand den Kopf. Er hatte den Umhang für den Moment abgelegt und trug stattdessen einen langen, schwarzen Marmorstock bei sich, auf dessen Spitze ein glitzernder Kristall eingefasst war. Diesen Stock hielt er in seiner freien Hand und tippte damit unentwegt auf den Zeh seines rechten Schuhs.
 

Etwa hundert Goblins füllten den Raum; sie plauderten, tranken Alkohol, sprangen hyperaktiv umher, lachten und versuchten jedes entwischte Haushuhn wieder einzufangen. Es war alles etwas chaotisch, wenn man es sich nicht gewöhnt war und es reizte Bakura bis zur Spitze; was das konstante fummeln mit dem Stock erklärte.
 

Doch bald hörte Bakura damit auf und schaute stattdessen die Treppe hinunter, die zur Plattform führte, auf der sein Thron stand. Dort sah er einen kleinen Jungen mit widerspenstigem schwarzen Haar, dessen Knöchel mit Eisenfesseln an den Stuhlbeinen gehalten wurden. Mokuba weinte leise, Tränen rannen ihm über die Wangen und tröpfelten auf den Boden. Für jeden anderen wäre der Anblick absolut herzzerbrechend gewesen. Aber für den Goblinkönig war er einfach nur erbärmlich. Er verstand nicht, wie so ein starkes, schönes, himmlisches Wesen wie Malik mit diesem erbärmlichen, kläglichen Häufchen Elend verwandt sein konnte.
 

Trotzdem schienen sie sich einige Eigenschaften zu teilen...
 

Zum Beispiel waren sie beide mutig. Bakura erinnerte sich an das letzte Kind, das er einem kraftlosen Teenager genommen hatte. Beide Geschwister hatten lang und laut geweint wie die Schwächlinge, die sie waren. aber Mokuba war stark wie Malik. Seine Tränen waren stumm.
 

Beide Brüder schienen ebenso angestrengt zu versuchen, einander nicht zu enttäuschen. Malik wagte sich durch für seinen jüngeren Bruder durch das Labyrinth, während Mokuba als Gegenleistung versuchte, Bakura nicht die Genugtuung zu verschaffen zu wissen, dass er Angst hatte.
 

,Mokuba erinnert mich wohl doch an dieses Luder Malik‘, dachte Bakura.
 

Mokuba sah auf und sah, dass Bakura ihn beobachtete. Natürlich war er gescheit genug zu wissen, dass er nur zu einem König sprechen durfte, wenn dieser ihn zuerst ansprach.
 

Doch Bakura sprach ihn wirklich an.
 

„Mokuba. Das ist dein Name, oder?“, fragte er und fuhr fort, als das Kind erstaunt nickte. „Du erinnerst mich an Malik. Du erinnerst mich an mein Püppchen.“

Die meisten Goblins hatten diese Worte so schnell bemerkt wie ein Ertrinkender ein Floss bemerken würde. Der König sprach kaum mit irgendwelchen seiner Gefangenen - abgesehen davon, wenn er sie mit falscher Hoffnung quälte, natürlich - deshalb war es eine grosse Sache, dass der allmächtige König des Labyrinths sich die Zeit nahm, ausgerechnet mit einem Gefangenen zu sprechen.
 

„W-Was?“, fragte Mokuba kleinlaut, sein Hals rau vom Weinen.
 

Du solltest dir darüber im Klaren sein, dass jeder Adlige gerne (mir fällt kein besserer Begriff ein) angibt. Der Grund, dass ich das sage, ist, dass - wie alle Monarchen - der Goblinkönig gerne Dinge tut, die alle Beobachter verblüfft. Der König liebt es, des Betrachters offensichtliches Erstaunen zu sehen, wenn er mit der Hand winkt und aus dem Nichts Musik ertönt. Seine verblüffend schöne Stimme und unglaubliches Tanzgeschick haben seine Gefangenen und Untertanen immer wieder verblüfft. Wenn du jemals in die Situation geraten solltest, eine seiner Darbietungen sehen zu können, solltest du es geniessen, denn er ist nicht oft gut gelaunt.
 

„Ich sagte“, wiederholte Bakura und winkte leicht mit der Hand. Ein schneller doch regelmässiger Rhytmus schien die Luft zu füllen und seiner Bewegung zu folgen. „Du erinnerst mich an mein Schätzchen...“
 

Ein wahlloser Goblin folgte dem Hinweis, als Bakura die Treppe zum Thron hinunterstieg.
 

„Welches Püppchen?“, fragte der Goblin.
 

Bakura ging ein paar Schritte, bis er dem Goblin gegenüber stand und antwortete: „Das Püppchen, das die Macht hat.“
 

„Welche Macht?“, fragte der Goblin abermals und Bakura griff nach seinem Nacken und riss ihn zu sich, als er antwortete.
 

„Die Macht des Voodoo.“
 

„Wu-du?“
 

„Tu es.“ Bakura liess den Goblin los und drehte sich um, als ob er weggehen wollte.
 

„Was tun?“
 

Der König drehte sich schnell auf dem Absatz um, packte den Hals des neugierigen Goblins und warf ihn in die Luft.
 

„Erinner mich an mein Schätzchen!“, sang Bakura zur Antwort, als der Goblin mit einem Knall auf dem Boden auftraf und all die anderen Goblins laut lachten.
 

Mokuba zuckte zusammen, als der leise Rhytmus um ihn plötzlich zu gewaltiger, schneller Musik wurde. Bakura hatte aus dünner Luft Musik beschworen, so gross war seine Macht. Die Stimme des Königs begleitete die Komposition mit einem Lied, das einfach... Magisch war.
 

Bakura begann zu singen, wobei er seinen Stock benutzte wie ein Mikrophon.
 

„Ich sah ein Schätzchen,
 

Es weinte so sehr, wie ein Schätzchen weinen konnte,
 

Was konnte ich tun?“
 

Mokuba wurde von der traumhaften Stimme des Königs hingerissen. Wie konnte eine so niederträchtige Kreatur solche süssen Melodien singen?
 

Bakura sang, während er in die Mitte des Raumes ging;
 

„Der Liebling des Schätzchens hatte es verlassen
 

und das Schätzchen traurig gemacht,
 

niemand wusste, was zu tun war!“
 

Dann brachen alle Goblins im Saal in Gesang aus und begleiteten ihren König.
 

„Welchen Zauber sollte man benutzen?“
 

„Schleim und Schlangen?“, fragte ein kleiner Goblin.
 

„Den Schwanz eines Welpen?“, fragte ein nächster.
 

„Donner oder Blitz?“, fragte ein dritter.
 

Der König drehte sich und zeigte auf Mokuba.
 

„Dann sagte das Schätzchen!“
 

Mokuba lachte und der ganze Raum sang den Chorus mit Bakura, während er durch den Saal tanzte;
 

„Tanz, Magie,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Leg den Zauber des Schätzchens auf mich!“
 

Dann benutzte Bakura seinen rechten Fuss, um einen unglücklichen Goblin hoch in die Luft zu treten. Einige Goblins hatten herumzuhüpfen begonnen, als sie wieder zu sangen begannen, Bakura winkte mit der Hand in die Luft und die Wesen konnten automatisch hoher springen.
 

Das war grossartig! Mokuba hatte unglaublichen Spass!
 

Alle im Raum anwesenden sangen wieder;
 

„Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Leg diesen magischen Sprung auf mich!“
 

„Schlag das Schätzchen, lass es frei!“, schlug ein piepsiger Goblin vor und gab einem anderen eine Ohrfeige zu Demonstration.
 

Bakura verdrehte die Augen und ging zu zu Mokuba, der zurückwich. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk des Königs zerfielen die Fesseln um die Knöchel des Kindes zu Staub.
 

„W-Wieso h-hast du das g-getan?“, fragte Mokuba verängstigt.
 

„Mach mit“, forderte Bakura ihn auf, „Lass uns Spass haben. Schliesslich wirst du in genau neun Stunden und dreiundzwanzig Minuten mein sein.“
 

Damit nahm Bakura die Hand des Kindes und führte ihn in die Mitte des Raumes durch all die rufenden und lachenden Goblins hindurch. Eines der Wesen lag sogar betrunken neben einem Weinfass und versuchte, alle Möchtegerntrinker von seinem Vorrat fernzuhalten.
 

Der König begann abermals mit seiner bezaubernden Stimme zu Singen und dieses Mal tanzte Mokuba an seiner Seite.
 

„Ich sah mein Schätzchen,
 

Es strengte sich so sehr an, wie ein Schätzchen sich anstrengen konnte,
 

Was konnte ich tun?“
 

Goblins huschten um Mokuba herum, während sie zu Bakuras Lied tanzten.
 

„Mein Schätzchen hatte keinen Spass mehr,
 

Und mein Schätzchen war traurig,
 

Niemand wusste, was zu tun war!“
 

Wieder stimmten alle Goblins in Bakuras Gesang ein;
 

„Welchen Zauber sollte man benutzen?“
 

„Schleim und Schlangen?“, fragte Goblin mit strähnigen Haaren.
 

„Den Schwanz eines Welpen?“, fragte ein nächster.mir buschigem Haar
 

„Donner oder Blitz?“, fragte eine Goblinfrau.
 

Bakura zeigte wieder auf Mokuba.
 

„Dann sagte Schätzchen!“
 

Diesmal lachte der Junge auf und begann mit allen anderen den Chorus zu singen;
 

„Tanz, Magie,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz
 

Leg den Zauber des Schätzchens auf mich!“
 

Dann hob Bakura Mokuba auf und warf ihn in die Luft. Der König war überraschend stark; er schwitzte noch nicht einmal. Mokuba schrie zuerst, aber als er vom König wieder gefangen wurde, wusste er, dass er sicher war. Also begann er, das lustige Spiel zu geniessen, das Bakura begonnen hatte und er wurde er flog immer höher und höher in die Luft jedes Mal, das er vom König geworfen wurde.
 

Das Lied ging weiter, dieses Mal begleitet von Mokubas Lachen;
 

„Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Leg diesen magischen Sprung auf mich!“
 

„Schlag das Schätzchen, lass es frei!“, schrie die ganze Goblinmenge miteinander.
 

Bakura warf Mokuba ein letztes Mal in die Luft und liess ihn von einer Goblinwache fangen. Als die Füsse des Kindes wieder auf festem Boden standen, begann es wieder mit Bakura zu tanzen. Der König strahlte förmlich Spass aus und Mokuba glaubte, dass Malik es geliebt hätte, seinen Fantasyhelden so zu sehen.
 

Wie schade, dass das niemals möglich sein würde...
 

Alle Anwesenden sangen und tanzten, lachten und hüpften. Und sie sangen weiter und weiter, bis das Lied, das aus der Luft selber erschienen zu sein war, verklang...
 

„Tanz, Magie,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Tanz, Magie, tanz,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Spring, Magie, spring,
 

Leg den Zauber des Schätzchens auf mich... Ooh...
 

~~~
 

Malik war vollkommen erschöpft. Er hatte jeden Trick ausprobiert, den er kannte, doch er fand einfach keinen Weg, durch den steinernen Irrgarten zu gelangen!
 

Seine erste Idee war simpel und fundamental gewesen. Er hatte ein Stück Faden genommen, das er in der Tasche seiner Jeans gefunden hatte und es an Steinblock am Eingang des Labyrinths gebunden und ihn entwickelt, während er hineingegangen war, um zu wissen, wo er schon durchgegangen war. Das erlaubte ihm, wieder zurückzugehen, sollte er den falschen Weg erwischen und war in der Theorie eine sehr gute Idee.
 

Doch im Labyrinth nutzte Theorie nichts, denn die eigentlichen Wände des Irrgartens hatten sich brutal zusammengeknallt und den Faden auseinander gerissen!
 

Die zweite Idee hätte ebenso funktioniert, wenn der Trickreichtum des Labyrinths selber nicht gewesen wäre. Malik hatte einen kleinen Kiesel genommen und begonnen, weisse Pfeile auf den steinernen Pfad zu zeichnen, die zeigten, wo er schon gewesen war. Unglücklicherweise waren irgendwelche winzigen Kreaturen, die unter dem Pfad lebten aus dem Boden erschienen und hatten den markierten Stein mit ihren Händen gereinigt, als er sich umgedreht hatte. Dann war jeweils ein weisses ,Puff‘ und eine Staubwolke gefolgt und der Stein war wieder sauber und unversehrt gewesen.
 

Also hatte Malik versucht, stattdessen Pfeile auf die Wände zu zeichnen.
 

Das genau Gleiche war passiert.
 

Malik hielt an, als er realisierte, dass er in eine Sackgasse gelaufen war. Er versuchte, zurückzugehen; doch nur, um zu sehen, dass die Wände des Labyrinths abermals zugeschnappt hatten und ihn einsperrten.
 

„Nein!“; schrie er voller Angst, „Ich bin gefangen!“
 

Plötzlich hörte er ein Kichern hinter sich, dann noch eines und noch eines und noch eines!
 

Er drehte sich um und sah vier Männern ins Gesicht. Gut, an die Oberschenkel in den meisten Fällen.
 

Ein grosser Mann stand ganz links. Er trug einen violetten Umhang und eine schwarze Halbmaske.
 

„Mein Name ist Umbra.“ Er grinste. Ein weiterer glatzköpfiger Mann stand zu seiner linken. Er trug einen orangen Kampfsportanzug.
 

„Mein Name ist Para“, sagte er.
 

Der Mann, der zu Paras linker stand, sah genau aus wie er, nur mit dem Unterschied, dass er grün trug und sich als „Dox“ vorstellte.
 

Das letzte Mitglied der Gruppe war bei weitem der kleinste und dickste von allen. Er war angezogen wie Umbra, bloss mit einer weissen Halbmaske.
 

„Ich bin Lumis“, sprach er.
 

„Aber vor einer Sekunde war das noch eine Sackgasse“, sagte Malik verwundert. „Dieser Ort ist so launisch! Wie soll ich es durch dieses Labyrinth schaffen, wenn es sich die ganze Zeit verändert?“
 

Die Männer lachten alle.
 

„Ich sehe schon, wieso der König den hier mag“, sagte Umbra. „Er hat Mut!“
 

„Und sieht auch nicht so schlecht aus“, antwortete Dox, während er Malik beäugte. „Er ist sehr reizend...“
 

Bei der ungewollten Aufmerksamkeit wich Malik beinahe zurück, wenn nicht die Tatsache gewesen wäre, dass diese Gorillas vielleicht einen Weg aus diesem sich stetig verändernden Irrgarten kannten.
 

Malik beschloss, das Gespräch zu unterbrechen. „Entschuldigung, weiss jemand von euch, wie man durch dieses Labyrinth kommt?“
 

„Nein“, sagte Lumis, „Aber der einzige Weg aus diesem bestimmten Teil des Labyrinths sind die Türen hinter uns.“
 

Malik warf einen Blick hinter die Männer und tatsächlich waren dort zwei hölzerne Türen in die Steinwand eingelassen, eine direkt hinter Para und die andere im Rücken von Dox.
 

„Ja“, stimmte Umbra zu, „Aber wir sollten dich warnen; eine Tür führt dich aus diesem Irrgarten und die andere in den-“
 

„Bu-bu-bu-bumm!“, sagte Lumis leise.
 

„- Sicheren Tod“, endete Umbra seinen Satz und die anderen drei fügten hinzu: „Uuuuuh!“
 

„Also, welche ist welche?“, fragte Malik, nun mit ein wenig Angst.
 

„Uh, das können wir dir nicht sagen“, sagte Lumis.
 

„Was?“, fragte Malik, „Wieso nicht?“
 

„Wir wissen es nicht“, antwortete Umbra.
 

„Aber sie wissen es“, ergänzte Lumis und zeigte auf Para und Dox.
 

Malik verdrehte leicht die Augen. „Dann frage ich sie eben.“
 

„Nein.“ Die abrupte Stimme erschreckte Malik einen Moment, bevor er realisierte, dass es Dox war, der sprach. „Du kannst uns nicht fragen, du kannst nur einen von uns fragen. Das gehört zu den Regeln.“
 

Dann sprach Para: „Ja, und ich sollte dich warnen, dass einer von uns immer die Wahrheit sagt und einer von uns immer lügt. Das ist auch eine Regel, er lügt immer.“
 

Er machte ein Geste zu Dox, der empört antwortete: „Das stimmt nicht! Ich sage die Wahrheit!“
 

„Oh, was für eine Lüge“, neckte Para ihn mit einem Keuchen. Umbra grinste und Lumis musste seinen Mund verdecken, um sein offen hörbares Gelächter etwas zu unterdrücken.
 

„Ich wette, ihr hättet nicht gedacht, dass ich dieses Trick kenne, oder?“, fragte Malik und von allen anderen Gesichtern verschwand das Lächeln. „Denn das tue ich und es endet damit, dass ihr beide Lügner seid.“
 

Das Kind sah die plötzliche Bleichheit der Männer, als er zu Para ging und ihn fragte: „Welche Tür würdest du benutzen?“
 

Der glatzköpfige Mann war in die Ecke getrieben worden, also tat er das Einzige, auf was er und sein Bruder programmiert waren, immer zu tun.
 

Er log.
 

„Ich würde durch die Tür direkt hinter mir gehen“, antwortete er jammernd.
 

„Du lügst“, beobachtete Malik, „Das heisst, dass die Tür hinter Dox die sichere ist.“
 

Damit öffnete sich die besagte Tür und offenbarte einen langen, dunklen Tunnel, hinter dem man ein Gartenlabyrinth sehen konnte.
 

Malik ging ohne Mühe an den Männern vorüber und ging durch die Tür. Unglücklicherweise schickte Umbra eine Welle von dunkler Magie in den Tunnel, als Malik etwa in dessen Mitte angekommen war. Ein massives, rundes Stück des Bodens verschwand vollkommen!
 

Das Stück Boden, auf dem Malik gerade gestanden hatte.
 

Malik schrie auf und fiel sofort in eine dunkle Röhre, über der der Tunnel einst platziert worden war.
 

Diese Röhre konnte nur als etwas beschrieben werden; vollkommen schmutzig.
 

Tausende von schimmeligen, schleimgrünen Händen ragten aus den Wänden der Röhre und jede versuchte, während Maliks Fall nach ihm zu greifen. Etwa in der Mitte der Röhre hatten ein paar Hände es wirklich geschafft, sich genug fest an Malik zu klammern, dass sie seinen Fall aufhielten. Der Junge war vollkommen angewidert, als er die vielen Glieder anstarrte, die seine Beine, Arme und Hüfte festhielten.
 

Er war noch verblüffter, als ein paar Hände die Form von etwas ähnlich einem Gesicht bildeten und mit ihm zu sprechen begannen!
 

„Hallo“, grüsste es mit einer männlichen Stimme.
 

„W-Was bist du?“, fragte Malik, bleich vor Unbehagen.
 

„Wieso, wir sind die ,Helfenden Hände‘!“, antwortete es. „Siehst du das nicht?“
 

Malik ignorierte die Frage und versuchte stattdessen, den stahlgleichen Griff einer der Hände an seinem Arm zu lockern.
 

„Ihr tut mir weh!“, wimmerte er.
 

Einige weitere Hände bildeten ein ,Gesicht‘ neben dem ersten, das grausam fragte: „Willst du, dass wir dich loslassen?“
 

Malik verlagerte seine Aufmerksamkeit davon zu versuchen, eine Hand von seinem Arm abzuschütteln zu dem neuen ,Gesicht‘, Angst auf seinen Zügen. Er bekam keine Chance zu antworten, denn sofort liess jede Hand, die ihn hielt, ihn gleichzeitig los und er begann wieder, die Röhre hinab zu fallen.
 

Das Lachen der Hände begleitete Maliks Schreie, während er ein gutes Stück fiel, bis alle Geräusche abrupt verstummten, als eine weitere Gruppe von Händen abermals seine Arme und Beine ergriffen.
 

Andere Hände gruppierten sich, um ein Gesicht mit einem Schnabel als Mund und einer Faust als Nase zu formen, das ihn betrachtete. „Also gut, wo lang jetzt?“
 

„Was meint ihr damit?“, fragte Malik.
 

„Herauf oder herunter“, fügte das Gesicht hinzu, „Und wähle schnell, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
 

Malik widerstand aus der Angst wieder fallen gelassen zu werden dem Drang zu antworten ,Oh doch, die habt ihr‘.
 

„Also gut“, sagte er schlussendlich, „Ich denke, es ist das beste, wieder zur Oberfläche zu gelangen, also wähle ich oben.“
 

Kollektives Stöhnen war in der ganzen Röhre zu hören, zusammen mit dem Murmeln von Worten wie ,Das ist nicht fair!‘ und ,Er hätte doch ,herunter‘ wählen sollen!‘
 

Doch eine einzelne Stimme zog jedoch Maliks Aufmerksamkeit auf sich und liess ihn von Furcht erstarren.
 

„Lasst uns ihn trotzdem fallen lassen!“, schrie sie. „Erinnert euch, der König hat gesagt - und ich zitiere - wir sollen ,das Menschenkind mit allen Mitteln, die nötig sind, stoppen‘, heisst das also nicht, dass wir die Regeln dieses Mal verändern können?“
 

Einige Rufe folgten, die in einem Singsang endeten; „Lasst ihn fallen! Lasst ihn fallen! Lasst ihn fallen!“
 

Gelächter erschallte abermals, als die Hände, die Malik hielten, ihre Griffe lockerten. Malik schrie auf, als er fühlte, wie die Schwerkraft ihn nach unten zog und er wieder zu fallen begann, weiter und weiter bis er fühlte, dass seine Füsse für den Bruchteil einer Sekunde auf einer harten Oberfläche auftrafen.
 

Überall flog Staub umher und der Junge hustete, als er langsam aufsass. Er spürte die neuen blauen Flecken, die sich bildeten. Er hörte das Knallen von Eisen und sah auf um zu sehen, dass die ,harte Oberfläche‘ von vorhin eine runde Metalltür war, die sich in die hohen Decke einfügte, die gerade zugeknallt worden war. Er war nun in einer Zelle mit rutschigen, sandbedeckten Wänden bedeckt mit Spinnweben, keinem nennbaren Ausgang und einer einzigen Lichtquelle, die durch die Schlitze der Metalltür oberhalb schien.
 

Malik fluchte, als er hörte, wie das Lachen der Hände langsam erstarb und unterdrückte den Drang zu weinen. Doch als er die Zelle näher betrachtete und ein altes, verfallendes Skelett, das in einem Ecken an die Wand angekettet war, entdeckte, hielt er es nicht mehr aus.
 

Erst als er dieses schreckliche Ding sah, verstand er wirklich, wo er war; am einzigen Ort, von dem im Buch über das Labyrinth gesagt worden war, dass er so leicht eine Leiche beherbergen konnte.
 

Es gibt nur eine Art von Orten im Labyrinth, an der jemals irgendeine Form eines toten Lebewesens existieren könnte. Sie wird Oubliette genannt und davon gibt es im Labyrinth viele. Diese schrecklichen Kammern sind Verliese, in die der König alle sperren wird, die unglücklich genug waren, sich ihm zu widersetzen. Nimm dich in Acht, Leser, und vermeide diese Zellen was auch immer passieren mag, denn ihr einziger Sinn ist einer, dem man stets misstrauisch begegnen muss. Der einzige Zweck der gefürchteten Oubliettes ist es, jeden vergessen zu machen, dass ihre Gefangenen jemals existierten. Dort werden ungewollte Leute hingeschickt, damit sie jeder vergisst.
 

„Ich bin in einer Oubliette“, weinte Malik. Tränen rannen über seine Wangen und tropften auf den dreckigen Boden. „Jetzt werde ich Mokuba niemals retten können! Ich werde hier ganz alleine sterben und niemand wird jemals merken, dass ich weg bin!“
 

Plötzlich hörte Malik ein Geräusch.
 

Es war das Geräusch eines Steines, der lose geschlagen wurde.
 

,Es ist noch jemand hier!‘, dachte er und wischte sich die Tränen weg. ,Jemand ist gekommen, mich zu retten!‘
 

Malik rief: „Hallo? Wer ist da? Es tut mir Leid, aber ich sehe im Dunklen nicht allzu gut! Bitte, wer bist du?“
 

Ein Mann trat aus einer schattigen Spalte. Malik sah, dass der Mann gross war und kurzes Haar hatte.
 

„Seto!“, rief Malik erleichtert, „Bist du das? Ra sei Dank, du bist hier!“
 

Dann schwang der Fremde ein Messer in seiner rechten Hand und sagte leise und bedrohlich: „Du bist dieses kleine Miststück von vorhin, oder?“
 

Malik fühlte, wie sein Herz einen Ruck machte. „B-Bandit K-Keith?“
 

Der Mann trat weiter ins Licht und enthüllte damit den Wahnsinn, der seine Augen füllte, als er das Messer höher in die Luft hob und seine nächsten Worte knurrte.
 

„Dieses Mal... Bringe ich dich um.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Toastviech
2011-05-07T21:22:48+00:00 07.05.2011 23:22
i love it~

Dein Schreibstil ist klasse und die Geschichte ist traumhaft.

lg
Toasty


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