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Gods and Monsters

Rebellion gegen einen Präsidenten
von

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Freundschaft

Gaara schritt knurrend den Gang hinunter. Es war schon beinahe bewundernswert, wie Sasori es über Jahre mit dieser Nervensäge hatte aushalten können, ohne dass diesem etwas Ernsthaftes passiert war. Er hätte dem Blonden wohl schon so manches blaues Auge verpasst... oder Schlimmeres.
 

Eines schwor er sich: er würde sich nie wieder über Naruto beschweren!
 

Leise seufzte er. Würde er ja mittlerweile eh nicht mehr wirklich machen, dafür kannten sich sich nun lange genug. Aber es ging ums Prinzip. Deidara war wirklich alles das in Person, was er an Menschen nicht leiden konnte. Und der Auftritt vor ein paar Minuten im Konferenzzimmer hatte ihm das nur wieder deutlich gemacht.
 

Es war eine bodenlose Frechheit, wie der Blonde dessen einstigen Teampartner behandelte. Und dabei ging es Gaara viel weniger darum, dass er Mitleid hatte oder irgendwen in Schutz nehmen wollte, sondern in erster Linie darum, dass er es wie die Pest hasste, wenn Menschen über andere urteilten, ohne den Anderen wirklich zu kennen. Er hasste es, wenn Menschen einen ächteten, nur weil man anders war. Und am Meisten hasste er es, wenn man verstoßen wurde, nur weil man nicht „menschlich“ genug war...
 

Ja, deswegen konnte er Deidara nicht leiden. Deidara war wie all diese unwissenden Menschen, die ihn früher so behandelt hatten. Die Menschen, die es Naruto zu verdanken hatten, dass Gaara nun für sie kämpfte und sie nicht ihrem lächerlichen Schicksal überließ. Denn bei Wüstenfuchs hatte er gelernt, dass nicht alle Menschen so waren. Eigentlich war Deidara seit Langem mal wieder einer, der so furchtbar engstirnig und grässlich daherkam.
 

Es war absoluter Blödsinn, den der Blonde von sich gab und es war Gaara egal, aus welchem Grund dieser so einen Quatsch redete. Er tat es und das war wichtig. Denn er wollte es nicht mehr hören und Sasori bekam es trotzdem mit.
 

Er wusste selber wohl am Besten, dass diese Worte schmerzten, egal wie unnahbar man tat. Sie taten weh, egal wie distanziert man sich nach außen gab und egal wie sehr man versuchte sich das Gegenteil einzureden. Eine gewisse Zeit lang mochte das funktionieren, doch das Unterbewusstsein rächte sich irgendwann doch für diese Qual. Denn nach Jahren, in denen man immer wieder dieselben Anschuldigungen hörte, da begann man irgendwann selber daran zu glauben. Man konnte einfach nicht mehr sagen, was Wahrheit war und was nicht. Konnte nicht mehr unterscheiden, was oder wer man war, oder nicht.
 

Ihm war es nicht anders ergangen. Wie oft hatte er sich Monster schimpfen lassen müssen? Seine gesamte Kindheit über. Und irgendwann hatte er sich selbst als solches empfunden und den Leuten das gegeben, was sie in ihm gesehen hatten. Hatte sich zu dem machen lassen, was sie alle an ihm gefürchtet hatten.
 

Fahrig und unbewusst strich er sich über die Tätowierung auf seiner Stirn.
 

Liebe...
 

Wie konnten Menschen, die dieses Wort in seiner ganzen Bedeutung kannten und verstanden so grausam sein? Ihm war es fremd. Und er war nicht mehr oder weniger grausam als sie gewesen. Dennoch hatten sie sich stets für etwas Besseres gehalten. Er verstand bis heute nicht, was ihn von diesen Menschen unterschied. Sie hatten immer gesagt, dass er ein gefühlloses Monster sei, nur weil er grausam gewesen war. Aber sie waren es doch auch bis heute zu ihm...
 

Gaara schüttelte leicht den Kopf. Er verstand es nicht. Kannten diese Menschen die Bedeutung von Liebe also auch nicht? Das konnte nicht sein. Denn dann wären sie nicht so wütend gewesen, dass sie „geliebte Menschen“ verloren hatten.
 

Diese Fragen drehten sich im Kreis. Denn nun war er wieder bei seiner anfänglichen Frage: wieso waren diese liebenden Menschen dann nicht weniger grausam, als er es damals gewesen war? Und wer gab ihnen das Recht dabei darüber zu urteilen, wann Grausamkeit in Ordnung war und wann nicht?
 

Langsam bog er in den Gang der Quartiere ein.
 

Mittlerweile wusste er, dass es ganz viele unterschiedliche Arten von Liebe gab. Was ihn zwar noch immer mehr verwirrte, als alles andere, aber an manchen Stellen verstand er es so einigermaßen.
 

Freundschaft war beispielsweise eine Form davon. Eine Form, die er zwar nicht vollständig verstand, aber durchaus zu praktizieren fähig war. Nicht sonderlich gut, aber immerhin.
 

Selbstliebe war ebenfalls eine. Dass es aber bedeutete, sich so zu mögen wie man war, das war ihm ein wenig befremdlich...
 

Die Verbindung zwischen Eltern und Kindern war eine andere Form. Und schon bei dieser Form stieß er an seine Grenzen. Er konnte es sich nicht vorstellen wie es war, wenn man liebevolle Eltern hatte. Wie sich Eltern benahmen, die ihr Kind liebten. Er wusste nicht, wie es sich anfühlte, wie man es merkte oder wie man es erwiderte. Er wusste nur, dass er es gerne wüsste. Er wusste, dass ein großer Teil seines Leides daher kam, dass er es sich immer gewünscht und nie bekommen hatte.
 

Man konnte auch Dinge oder Tätigkeiten „lieben“. Das erschien ihm noch immer abstrus, aber er konnte sehr vage erahnen, was damit gemeint war. Ihm war sein Job, seine Aufgabe, sehr wichtig und er machte es schon gerne. So in etwa schien es sich dabei zu verhalten, wenn er es richtig verstanden hatte. Aber dass so etwas solche Ausmaße annehmen konnte, wie zum Beispiel bei Deidara und den Explosionen, oder diesem Idioten Hidan und diesem Wagen, da bekam er schon ein wenig Angst. Ganz einfach weil er nicht so richtig wusste, ob das nun noch als „normal“ durchging oder wirklich so bescheuert war, wie er es empfand...
 

Und letztlich die Liebe zwischen zwei Menschen... die war Gaara wohl am Wenigsten einleuchtend. Naruto hatte es ihm immer wieder versucht zu erklären, aber er konnte es sich einfach nicht vorstellen.
 

Er erinnerte sich noch genau an die Beschreibung, wie man merkte, dass man jemanden liebte. Naruto hatte gesagt, dass man gerne seine Zeit mit diesem Menschen verbrachte; diesen mit allen Fehlern mochte; diesen Menschen beschützte; ihm alles Gute der Welt wünschte; für diesen Dinge tat, die man sonst nicht tun würde; ihn gerne berührte und sich gerne von ihm berühren ließ; ihm vertraute; mit ihm Geheimnisse teilte; immer für ihn da war und sich immer auf ihn verlassen konnte; sich einfach wohl bei ihm und ihm sehr verbunden fühlte.
 

Gaara fand, dass das Dinge waren, die wohl kein Mensch der Welt erfüllen konnte. Auch er selber nicht. Aber Naruto hatte ihm versichert, dass er schon wüsste, wenn dieser Mensch vor ihm stehen würde. Dass er es plötzlich einfach wissen würde, wenn der Bauch kribbelte.
 

Seufzend schüttelte er abermals den Kopf. Es war ein Buch mit sieben Siegeln für ihn und so langsam war er sich sicher, dass es auch immer so sein würde. Aber es war okay. Ihm ging es schon viel besser als früher. Langsam lernte er die Welt auf eine neue Weise kennen.
 

Er blieb vor seinem und Sasoris Zimmer stehen, drückte die Klinke herunter und schritt in den kleinen Raum hinein, ehe er wie angewurzelt stehenblieb und plötzlich alles sehr schnell ging. Ohne groß darüber nachzudenken zog er seine Waffe und feuerte... Verharrte, sah seinem Teampartner in die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Wurde sich langsam klar, was gerade passiert war. Und überlegte, was er als nächstes tun sollte...
 


 


 

Entgegen aller seiner Erwartungen war er absolut ruhig. Sasoris Blick ruhte seit ein paar Minuten auf dem Holo-Bild von sich und Deidara. Nun aber ließ er es wieder verschwinden und warf den Würfel in den Kleiderschrank zurück. Irgendjemand würde ihn schon gebrauchen können.
 

Langsam zog er seinen Colt dafür heraus, ehe er die Schranktür schloss und sich mit der Waffe auf sein Bett setzte. Sein Verstand protestierte unerwartet wenig. Auf der anderen Seite... wirklich verwundert war er darüber wiederum nicht. Immerhin sprachen so einige Dinge dafür, dass er das durchzog. Aber vor allem sprach nichts dagegen.
 

Es würde ihn niemand vermissen. Diejenigen, bei denen es eventuell möglich war, die hatten schlimmere Verluste erlitten. Da fiel er gar nicht ins Gewicht. Und den anderen war er entweder egal, oder aber sie freuten sich über seinen Entschluss.
 

Er würde nichts zurücklassen. Er war ersetzbar in seiner Aufgabe. Irgendjemand würde sich schon finden, der seinen Job übernehmen könnte. Es war egal wer diesen Job machte, Hauptsache er wurde gemacht.
 

Es würden auch seine Geheimnisse verborgen bleiben. Falls sie irgendwann doch aufgedeckt würden, so war es einerlei. Er wäre nicht mehr da, um sich die Strafe dafür gefallen lassen zu müssen. Er tat doch im Grunde nur das, was ihm letztlich eh erwarten würde, wenn irgendjemand davon erfuhr.
 

Und letztlich würde er Deidara einen Gefallen tun. Egal was er bisher versucht hatte, es war nie gut gewesen. Und wenn das der größte Wunsch des Blonden war, so konnte er nicht anders, als diesen zu erfüllen. Endlich einmal etwas richtig machen.
 

Langsam hob er die Hand mit dem Colt, presste den Lauf an seine Schläfe.
 

Sein Puls war ruhig. Er fühlte sich gut. Ja, wirklich gut. Endlich würde er etwas richtig machen.
 

Er schloss seine Augen und entsicherte die Waffe.
 

Sein Atem ging gleichmäßig, verteilte fast so etwas wie Frieden in ihm. Er war im Reinen mit sich, wenn er es recht bedachte. Nicht für das, was er getan hatte, sondern wegen dem, was er tun würde.
 

Sein Finger krümmte sich langsam.
 

Es gab nur noch ihn und das, was er tat. Nichts und niemand sprach dagegen. Welcher Mensch konnte auch genug für ihn übrig haben, um ihn abhalten zu wollen?
 

Sein Finger krümmte sich weiter.
 

Ein Schuss donnerte durch das Zimmer.
 

Schreck durchzuckte seine Glieder. Sein Colt fiel mit einem lauten Scheppern zu Boden. Ruckartig riss er die Augen auf.
 

Gaara stand in der Tür und starrte ihn ungläubig an. Er starrte zurück. Sekunden, vielleicht auch Minuten, verstrichen. Sasori verstand nicht. Absolut nicht! Wieso? Und was sollte er jetzt sagen oder machen?
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Gaara ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich, während Sasori vom Bett aufstand. Wieder sahen sie sich in die Augen, ehe sie zeitgleich fragten: „Wieso hast du das gemacht?“
 

Wieder entstand Stille im Raum. Beide dachten nach.
 

Sasori verschränkte die Arme vor der Brust und knurrte: „Würdest du bitte gehen? Ich würde das gerne zu Ende bringen...“ Eine Spur weit entsetzt sah der Tätowierte auf. Der Akasuna machte doch Witze, oder? Er schüttelte demonstrativ den Kopf: „Vergiss es! Was soll der Dreck?“ - „Ihr findet schon einen Ersatz. Ich tue allen doch nur einen Gefallen und mache ausnahmsweise mal das Richtige...“
 

Gaara überbrückte die letzten Schritte, blieb vor dem Kleineren stehen und knurrte mahnend: „Erzähl doch keinen Blödsinn! Wieso wolltest du dir das Hirn aus dem Schädel pusten?!“ - „Ist doch egal wieso. Es hätte allen mehr Vor- als Nachteile beschert. Wieso also willst du mich davon abhalten?“ Der Scharfschütze hielt inne. Eigentlich war die Frage nicht unberechtigt. Er wusste selbst nicht so genau, wieso er Sasori aufgehalten hatte. Er hatte es einfach getan.
 

Es war ihm eben wichtig gewesen und richtig erschienen. Er schätzte das Zusammenleben mit dem Akasuna. Es war angenehm. Sie brauchten nicht viele Worte, um sich zu verständigen und das alleine war schon eine Abwechslung und eine Wohltat. Sie wussten voneinander, dass sie wohl ähnliche Erfahrungen gemacht haben mussten, da sie sich gleichermaßen hinter einer Mauer verbargen, und doch wussten sie ebenso, dass sie den anderen dadurch nicht bedrängen sollten. Sie respektierten sich und ihre Arbeit.
 

Und ja, nach der Eingewöhnung musste Gaara zugeben, so etwas wie Sympathie zu verspüren, da es weder Abscheu noch Gleichgültigkeit war. Und er wusste, dass er einen fähigen und zuverlässigen Teampartner mit Sasori bekommen hatte. Er konnte sogar trotz dessen Anwesenheit hin und wieder schlafen, was sehr ungewöhnlich für ihn war. Normalerweise tat er mit Fremden im Zimmer kein Auge zu. Nicht einmal, wenn es sich dabei um Mitglieder von Wüstenfuchs gehandelt hatte.
 

Seine Augen weiteten sich. Gedanklich glich er diese Erkenntnisse mit der Checkliste ab. Konnte es etwa sein, dass...? Es gab erstaunlich viele Übereinstimmungen. Doch noch konnte er einige weder bestätigen, noch widerlegen. Also versuchte er erst einmal ruhig zu bleiben, und sich möglichst neutral zu erklären: „Weil wir Teampartner sind. Und ich muss zugeben, dass ich bisher noch keinen hatte, mit dem ich so gut arbeiten konnte.“
 

Sasori sah den Größeren nach all der Zeit wieder an. Fragend, ungläubig und doch auch ein wenig... geschmeichelt. Sein Teampartner... mochte ihn? Einfach so?
 

Skeptisch hob er eine Augenbraue: „Du willst mir sagen, dass du mich so... in Ordnung findest, wie ich bin?“ Gaara nickte: „Ich denke schon. Du redest genauso wenig wie ich, du stellst keine dummen Fragen, du stellst keine persönlichen Fragen und mal abgesehen davon...“
 

Es war zu spät. Der erwartungsvolle Blick des Akasuna verriet, dass er jetzt sagen musste, was er im Sinn gehabt hatte, es aber eigentlich wieder verwerfen wollte. Denn es war mehr, als er preisgeben wollte. Doch nun hatte er begonnen und sich selbst in Zugzwang gesetzt. Er seufzte: „...mal abgesehen davon weiß ich sehr gut wie es ist, so behandelt zu werden, wie Deidara dich behandelt. Mir machten die Leute viele Jahre dieselben Vorwürfe.“
 

Während er leicht zu zittern begann, blickte Sasori seinen Gegenüber an. Er verfluchte es irgendwo, aber es tat so unsagbar und verdammt gut zu hören, dass... jemand verstand, wie es ihm ging. Dass er nicht alleine war. Es tat so unglaublich gut, dass er plötzlich doch froh war, von Gaara aufgehalten worden zu sein. Und es war so verdammt erlösend, dass es ihm mit jedem Atemzug schwerer fiel, seinen Schein zu wahren. Er stand am Fuße eines Berges und versuchte, mit bloßen Händen einen Erdrutsch aufzuhalten.
 

Seine Augen huschten unruhig hin und her, sein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Was sollte er bloß tun? Er konnte doch nicht hilflos dabei zusehen, wie seine Mauer einzustürzen drohte. Er konnte doch nicht einfach sagen, dass er solche Worte zum ersten Mal hörte. Wieder bewegte er sich auf unbekanntem Terrain. Er wusste einfach nicht, was er machen oder sagen sollte. Er fühlte sich bloß hilflos und klein. Verloren.
 

Gaara bemerkte sofort, dass Sasori immer nervöser wurde. Und er kannte es selber so gut. Er wusste nur nicht, was er jetzt tun sollte. Theoretisch schon, aber eben nicht praktisch. Wenn er daran dachte, wie es ihm selber am Anfang bei Wüstenfuchs in so anspannenden Situationen gewesen war, dann erinnerte er sich daran, dass er immer gewollt hatte, die Situation wortlos so auf die Reihe zu kriegen, dass er weder zurückgestoßen wurde, noch dass er hinter seiner Mauer hatte vorkommen müssen. Und er erinnerte sich daran, wie Naruto das damals geschafft hatte...
 

Es war komisch und auch beängstigend, plötzlich auf „der anderen Seite“ zu stehen. Doch ihm hatte es damals geholfen. Es hatte zwar nicht alle Fragen geklärt oder eine große Veränderung gebracht, aber es hatte die Situation würdig von seiner Verzweiflung abgelenkt. Unsicher sah er zum Akasuna, der immer panischer zu werden schien. Er atmete tief ein und aus, und betete, dass sie sich wirklich so ähnlich waren, wie er glaubte...
 

Sasori riss mit einem Mal seine Augen auf und erstarrte, als sich die Arme Gaaras um ihn legten und er an dessen Brust gedrückt wurde. Was zum...?
 

Die feste Umarmung verhinderte, dass er dem Größeren ins Gesicht gucken konnte. Und langsam ließ seine Anspannung nach, wich einem Zittern, das seinesgleichen suchte. Die Worte hatten bereits so unendlich gut getan, doch diese Umarmung... Er keuchte leise, hob seine Arme und krallte sich mit seinen Händen in den Stoff, der Gaaras Rücken bedeckte. Er verstand. Jeder Blick, jedes Wort würde alles zunichte machen. Es war eine stumme Nachricht.
 

Die stumme Nachricht, dass er sein Gesicht nicht verlieren musste, weil es nicht nötig war. Weil Gaara wusste, was diese Angst davor bedeutete, sie wirklich selber kannte. Und weil Gaara gewusst zu haben schien, dass diese Umarmung ein weiterer Erdrutsch in ihm sein würde, der sich aber vor den anderen schob und diesen dadurch aufhielt.
 

Und ein Erdrutsch war diese Berührung in der Tat. Sasori schloss die Augen und legte den Kopf leicht in den Nacken. Eine winzige Träne entkam seinem Augenwinkel. Eine Träne, die all die Sehnsucht, das Glück und die Erleichterung verkörperte, die ihn durchströmten. Eine eigentlich einfache Geste, die jeden Schmerz vertrieb. Die sich so wundervoll anfühlte, wie er es sich nie zu träumen gewagt hatte. Und von der er sich in diesem Augenblick bewusst wurde, wie sehr er sie ersehnt und vor allem gebraucht hatte. Die ihn zweifelsfrei wissen ließ, dass er diesem Menschen, in dessen Armen er lag, wirklich wichtig war. Dass Gaara ihn nicht als Monster sah, sondern... als Freund.
 

Er ließ seinen Kopf wieder nach vorne sinken und vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge des Sabakuno. Zwei Dinge wurden ihm klar.
 

Erstens musste er dringend mit Nagato sprechen und diese Sache mit der Abstimmung über die Sprengungen klären. Sie waren Freunde und er verspürte schon seit dem Augenblick, in dem sie abgestimmt hatten, das Bedürfnis, Nagato diese Entscheidung zu erklären. Und statt davonzulaufen sollte er das auch endlich tun.
 

Zweitens musste er beinahe noch dringender endlich damit aufhören, sich diese Nähe, die er in diesem Augenblick spürte und sehnsüchtig mit jeder Pore genoss, von Deidara zu erhoffen. Er würde sie nicht bekommen. Nicht mehr. Diese Chance hatte er vertan, aus Angst. Diese Angst war noch immer in ihm, doch dieses Mal würde er nicht denselben Fehler machen. Er würde Gaara nicht verbieten sein Freund, ihm nahe zu sein. Diese Lektion hatte er mit Deidara schmerzlich lernen müssen. Es wurde Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen, um sich der Zukunft zu widmen. Eine Zukunft, in der er sich verstanden und akzeptiert fühlte...
 


 


 

Es war bereits später Abend, als Sasori vorsichtig ins Konferenzzimmer blickte, in dem Nagato und Naruto saßen und ihre nächste Verhandlungsrunde im „Exil“ vorbereiteten. Leise, aber bestimmt, klopfte er an die Tür. Die beiden sahen auf. Naruto grinste, wie so oft: „Was gibt’s?“ Der Rothaarige sah seinen Leader an: „Nagato, ich würde gerne mit dir sprechen.“
 

Der Angesprochene seufzte erschöpft: „Ist es sehr wichtig? Worum geht es?“ - „Nun... es geht... um die Abstimmung bezüglich der Sprengungen.“ Der Anführer nickte und lächelte leicht: „Ach so. Kann das bis nach unserer Besprechung warten? Es ist schon okay, dass du dagegen gestimmt hast, ehrlich.“ Irritiert neigte Sasori den Kopf und sah Nagato schief an: „Wirklich?“ - „Ja doch. Deine Stimme hätte an dem Ergebnis ja eh nichts geändert.“
 

Die beiden Anführer erhoben sich. Nachdem Naruto bereits winkend in dem kleinen Zimmer verschwunden war, blieb Nagato in der Tür noch einmal stehen und nickte ihm zu: „Wir reden später darüber, okay? Ich habe da gerade einfach keine Zeit für.“ Sasori winkte ab: „Schon okay, dann halt später.“ Der Ältere verschwand schließlich ebenfalls im Nebenraum, die Tür wurde geschlossen.
 

Sasori lehnte sich an den Türrahmen und seufzte. Das ging schon eine Woche so! Egal was er besprechen wollte, Nagato hatte immer etwas Wichtigeres zu erledigen. Waren sie wirklich noch immer die Freunde, die sie mal gewesen waren? Oder hatte er sich von seinem einstigen Freund zu einem Werkzeug machen lassen, ohne es zu merken?
 

Geknickt stieß er sich vom Türrahmen ab und schlurfte zurück in Richtung Zimmer. Dort fühlte er sich am Wohlsten. Mittlerweile noch mehr, als vorher. Dort hatte er nun einen Ort der Ruhe, des Schutzes. Eine kleine Bastion, in der er auf Akzeptanz und Sympathie stieß. Wie damals... als er Nagato kennengelernt hatte. Richtig kennengelernt hatte.
 

{Flashback}
 

Kreischende Kinder fast aller Altersstufen rannten kreischend und tobend über den staubigen Platz, der von Gebäuden umschlossen war. Auf einer Seite war das Schulgebäude, auf einer weiteren die Trainingshalle und an zwei Seiten grenzten die Wohnbereiche an, einer für Kinder bis 10 Jahre, einer für Kinder ab 11.
 

Umschlossen wurden die Gebäude und der Hof von einer hohen Mauer, durch die nur ein schweres Tor nach draußen führte.
 

Einige Kinder spielten Verstecken, andere Fangen und wieder andere trainierten einfach. Die Älteren suchten mal wieder nach einer neuen Ecke, um heimlich zu rauchen oder um einfach Ruhe vor den Kleinen zu haben.
 

Sasoris Beine baumelten von dem Ast, auf dem er saß. Seinen Rücken hatte er, mit einem Kissen gepolstert, an den Stamm gelehnt, in seinen Händen hielt er ein spannendes Buch, welches er sich in der Bibliothek ausgeliehen hatte.
 

Er mochte nicht spielen, da er diesen Lärm nicht ausstehen konnte. Überhaupt war es ihm wenig verständlich, wie man den ganzen Tag herumlaufen und nur Krach machen konnte.
 

Hier oben im Geäst des Baumes hatte er wenigstens ein bisschen Ruhe. Mittlerweile ließen die anderen ihn auch meistens in Frieden. Zumindest wenn er hier oben saß. Einerseits nervten sie ihn nicht damit, dass er mitspielen sollte. Und andererseits machten sie ihn nicht dumm von der Seite an, nur weil er ein „Langweiler“ oder eine „Spaßbremse“ oder ein „Spielverderber“ war.
 

Er war immer froh, wenn dieser alberne Unterricht vorbei war und er endlich auf seinen Baum klettern konnte. Die anderen in seiner Klasse konnten ja nicht einmal lesen, weil sie lieber spielten. Und die Lehrer fanden das auch noch okay. Hatten sogar versucht, ihn mit in dieses Konzept einzubinden, aber er hatte eben lieber lesen wollen. Und irgendwann hatten sie ihm dann seinen Willen gelassen. Während seine Klasse spielte, saß er abseits und las.
 

Sasori blickte kurz auf. Es klang irgendwie immer so, als wäre es hier scheußlich. Aber dem war eigentlich nicht so. Die Lehrer waren immer bemüht und kümmerten sich so gut sie konnten um alles. Unter normalen Umständen würde es ihm hier wohl richtig gut gefallen. Es war kein Kinderheim, wie man in den Schauergeschichten von anderen immer hörte. Es war nett hier. Er passte nur eben nicht dazu, war einfach anders, als die anderen Kinder. Er war weder laut, noch verspielt oder eben kindisch, sondern ruhig, ernst und zurückgezogen.
 

Die lauten Stimmen der Kinder tummelten sich nach und nach an einem Punkt. Sasori klappte sein Buch zu, denn sie sammelten sich ausgerechnet unter seinem Baum. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten: es gab Neuzugänge. Die Wortfetzen, die er aufschnappte, bestätigten seine Vermutung.
 

Gelangweilt lehnte er sich wieder zurück und schlug sein Buch wieder auf. Es interessierte ihn nicht. Irgendwann würde diese Horde auch wieder verschwinden, und dann hätte er wieder seine Ruhe. Er würde die Neuen schon früh genug zu Gesicht bekommen. Wie immer würden sie ihn nicht interessieren, da sie alle wieder wie die Masse sein würden. Es gab nur wenige Menschen, denen er mit aufrichtigem Interesse begegnete. Einer davon war seit einem Jahr nicht mehr da.
 

Es war schon witzig. Er wusste noch ganz genau, dass er ihn damals als angenehm empfunden hatte, an mehr jedoch konnte er sich nicht wirklich erinnern. Er war zu klein gewesen. Von daher hatte er sich auch schnell damit arrangiert, dass er alleine war.
 

Nachdem die erste Aufregung sich gelegt hatte, vertiefte er sich wieder in sein Buch.
 


 

Es dämmerte bereits, als er das nächste Mal seine Umgebung in Augenschein nahm. Er hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war. Müde klappte er das Buch zu, rieb sich die Augen und streckte sich. Wenn er nicht pünktlich beim Abendessen war, würde es wieder Ärger geben. Darauf hatte er nun wirklich keine Lust.
 

Er beugte sich nach vorne und zog das Kissen hinter sich weg, als ein leises Rascheln durch die Baumkrone huschte und der Ast, auf dem er saß, leicht federte. Sasori blickte nach vorne. Ein Junge hockte vor ihm, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Helle Haut, langes, dunkelrotes Haar. War das nicht...? Das war doch....
 

„Nagato?“
 

Der Junge lächelte schelmisch und nickte: „Ja, ich bin wieder da. Du bist groß geworden, Sasori.“ Er zuckte mit den Schultern: „Groß ist was anderes...“ Nagato schmunzelte: „Ich habe gehört, dass du schon lesen kannst. Ist das wahr?“ Sasori nickte: „Ja. Ich hatte viel Zeit.“ - „Trotzdem, ich konnte mit 5 noch nicht lesen. Aber etwas anderes habe ich nicht erwartet, du warst schon immer anders, deswegen mag ich dich ja auch so.“
 

Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen des Jüngeren, während er sich an seinem Buch und seinem Kissen festkrallte. Ja, es fiel ihm wieder ein. Nagato hatte es immer toll gefunden wie er war, obwohl dieser doch ganze 3 Jahre älter war. Und Nagato war auch nie so kindisch wie die anderen gewesen, sondern immer sehr erwachsen. Er mochte Nagato, weil dieser ihn immer respektiert hatte, seine ganze, verschrobene Art gemocht, statt verurteilt hatte. Und er mochte Nagato, weil dieser auch anders war, aber immer wusste, was er wollte. Das bewunderte er heimlich schon ein wenig.
 

Er selber war ja schon froh, wenn er seine Ruhe hatte. Nagato aber hatte das Herz eines Kämpfers, wollte die Dinge ändern, die schlecht waren. Wollte aus der Welt einen besseren Ort machen, damit Kinder wie sie gar nicht erst in ein solches Heim müssten, so schrecklich oder schön es im Einzelfall auch sein mochte.
 

Sasori war kein Mitläufer, aber Nagatos Idee hatte ihn schon immer fasziniert. Sie waren vielleicht nur kleine Kinder, aber sie sahen die Welt eben nicht aus kindlichen Augen.
 

Der Ältere kraxelte näher zu ihm und wuschelte ihm durchs kurze, feuerrote Haar, grinste ihn dabei wieder schelmisch an: „Hab dich vermisst, Kurzer.“ - „Nenn mich nicht Kurzer!“ Nagato schmunzelte: „Es ist schön, dass du noch der gleiche Stinkstiefel bist wie früher.“ - „Blödmann...“ Sasori knurrte gespielt beleidigt, blinzelte dem Größeren entgegen, da ihm die Sonne in die Augen schien, und flüsterte nach einer Weile mit einem Lächeln auf den Lippen: „Hab dich auch vermisst...“
 

{Flashback Ende}



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Rockryu
2012-03-06T19:44:10+00:00 06.03.2012 20:44
Gaara und Sasori in einem anderen Leben...
Ihre Freundschaft ist überzeugend, genauso wie ihre Gedanken. Da sieht man mal, was AU alles hergibt, wenn man es so geschickt einsetzt wie du. Großes Lob.
Von:  fahnm
2012-03-05T21:22:48+00:00 05.03.2012 22:22
Hammer Kapi^^


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