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Mädchen, hast du den Müll schon runtergebracht

oder wie ich den richtigen Weg ins Leben gefunden habe
von

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Mädchen, hast du den Müll schon runtergebracht

Frauenbilder – typisch, untypisch
 

Mädchen, hast du den Müll schon runter gebracht

oder wie ich den richtigen Weg ins Leben gefunden habe
 

Ich wollte schon immer wie meine Oma sein. Schön, mutig, weise und auf gewisse Weise sogar stolz. Eine starke, reife Frau, die aus dem Inneren strahlt.

Mit einem Lächeln beäugte ich die alte schwarzweiße Bildqualität der staubigen Flimmerkiste, die ihre besten Tage schon längst weit hinter sich gelassen hatte und rümpfte die Nase.

Oder wie Eva Hermann. Sie war schön, erfolgreich und zudem noch im Fernsehen. Ich hielt sie neben meiner lieben Oma für den klügsten Menschen auf Erden. Jemand, der alles wusste, jemand, der alle Antworten kannte, jemand, der es wirklich Wert war zum Idol eines kleinen Mädchens erkoren worden zu sein.
 

Heute weiß ich, dass alles ein trügerischer Schein war. Nichts weiter als falsche Wahrheiten, die sich im Laufe der Zeit durch den Spiegel der erbitterten Realität offen gelegt hatten. Falsch. Falsch. Falsch.

Wie erbärmlich. Oma starb an einem Herzinfarkt als sie auf der Toilette saß und ihre Mittagsbohnen in die Schlüssel presste. Und Eva Hermann?

Ja. Eva Hermann. Wie soll ich sagen. Kein Mann der Welt hat mir mehr Schmerzen zugefügt als sie. Ein direkter Schuss ins Herz wenn man so will. Nicht einmal weinen konnte ich. Auch nicht für Oma.

Für meinen Hamster hatte ich mit Fünf noch so viele Tränen übrig, dass man einen kilometerlangen Nebenfluss zum Nil hätte erbauen können. Doch auch damals liefen die Räder der Zeit unbeirrt weiter. In meinen Augen nichts anderes als höhnisches Triezen.
 

Und was bleibt nun?

Illusion? Trauer? Wut? Oder gar Hass auf die gesamte Welt?

Ja, Hass auf dich, oh du grausame, beschissene, schlechte Welt!
 

~
 

„Josie, hast du deinen Müll schon runter gebracht?“, die Stimme meiner Mutter schlich sich wie ein drohendes Ultimatum durch meine massive Zimmertür, quälte des alte Holz allein durch die unsagbare Schwere der Worte und ließ mich für einen kurzen Moment innerlich laut aufstöhnen.
 

„Mama, ich bin beschäftigt!“, nicht minder liebevoll ertönten meine Worte durch das gesamte Haus und hatten eine vermutlich ähnliche Wirkung auf die leblosen Holzbarrieren, die zwischen mir und meiner lieben Frau Mama lagen. Kommunikation war bekanntlich alles. Und wenn die gute Dame schon vom Flur aus zu mir hoch schrie, konnte ich genauso gut zurückwerfen.
 

„Was bitte um Himmels Willen kann so wichtig sein, dass du nicht mal für zwei Minuten eine so einfache Aufgabe erledigen kannst?!“

Wie immer. Eltern konnten naheliegende, durchaus mehr als offensichtliche Tatsachen nie aus den Augen ihrer Kinder nachvollziehen. Einfach typisch. Und obwohl ihre Stimmlage um einiges an kriegerischen Nuancen verschärft wurde, sah ich meine vorläufige Bestimmung im unnachgiebigen Fertigstellen meiner Bewerbung. Immerhin ging es hier vorrangig um meine Zukunft. Hausarbeiten waren nebensächlich, oder zumindest relativ vernachlässigbar.
 

„Josephine!“, meine Mutter war binnen kürzester Zeit zu einer auf der untersten Treppenstufe verweilenden Furie geworden, was in 90 Prozent der Fälle eher zu meinen Ungunsten ausging, und auch hier sicherlich nichts Gutes verhieß, „Morgen kommt die Müllabfuhr. Ich will nicht, dass du deinen Zimmermüll bis zum Ersticken unter deinem Bett stapelst und lagerst. Der Müll kommt raus und zwar auf der Stelle, oder du lernst mich kennen junge Dame!“
 

Schon gut, schon gut. Ich klickte das gefühlt zwanzigste Mal auf das kleine Diskettensymbol in der oberen Leiste und besah kurz mein bestehendes Werk. Absolut unzureichend schrie meine innere Stimme, doch ehe ich mich versah, hatten sich meine Arme bereits selbstständig gemacht und die bis zur Oberkante gefüllten Müllsäcke sanft in meine Handflächen gelegt. Dass so was nicht einfach bis später warten könne, war wohl die am meisten gestellte Frage in meiner persönlichen 'Fragen, die die Welt bewegen Liste', die sanft in den Tiefen meines Hinterkopfes gespeichert wurde.

Mit einem grummeligen, ziemlich unzufriedenen Stöhnen quälte ich mich dann den endlos lang erscheinenden Weg hinunter.
 

„Na bitte.“, meine Mutter überkreuzte freudig und sichtlich triumphierend die Arme vor ihrer markant auffällig breiten Brust, „und wenn du nicht diskutiert hättest, sondern gleich los gegangen wärst, hättest du auch schon viel früher damit fertig sein können.“

Mein nachgiebiges Schweigen bestätigte ihren Sieg, und als ich von draußen wieder zur Tür herein kam, donnerte es gleich die nächste Schikane.

„Josie, magst du mir vielleicht noch schnell helfen die Kartoffeln zu schälen, damit ich schon mal die Soße ansetzen kann?“
 

Auch wenn ihre Aussage von außen wie eine liebliche Bitte erschien, so wusste mein inneres, stets selbst bemitleidendes Ich, dass es sich in Wirklichkeit vielmehr um eine Pflichtaufgabe handelte. Stillschweigend willigte ich ein und wusch mir kurz die Hände ehe ich den Kartoffelschäler eher ungeschickt über die braunen, zudem noch sehr unförmigen Knollen gleiten ließ.
 

An den Blicken meiner Mutter konnte ich erkennen, dass sie sich über meine Grobmotorik aufregte, doch statt mich darauf anzusprechen, lenkte sie das Thema in eine andere, ziemlich makabere Richtung: „So, Josie. Ich weiß ja nicht inwieweit du dich schon damit beschäftigt hast, aber es ist schon komisch, dass du mit uns nicht über deine Zukunftspläne sprechen magst.“
 

Plötzlich erschien die Kartoffel in meiner Hand doch wahnsinnig interessant zu sein und ich umging die nervige Frage meiner Mutter mit stiller, dennoch leicht geheuchelter Bewunderung für die Arbeit, die sie mir zugeteilt hatte.

„Der Papa und ich hoffen doch so sehr, dass du für das Medizinstudium an der Charité zugelassen wirst. Aber seit deinem Praktikum hast du kein Wort mehr mit uns gesprochen. Ich will nicht, dass du das Ganze wieder so vertrödelst.“

Während ihrer quälenden Moralpredigt durchforstete sie die untere Schublade nach einem geeignet erscheinenden Schneebesen für die Soße und kam zu der Schlussfolgerung doch den Guten von Ikea aus der Spülmaschine zu holen und diesen anschließend mit der Hand zu säubern, „Es wird langsam auch mal Zeit dass du dich um gewisse Dinge kümmerst. Wir unterstützen dich selbstverständlich so weit es geht, aber – Josie!“
 

Abrupt hielt sie inne, kniff ihre Augenbrauen zu einer bedrohlichen Einmannarmee zusammen und nahm mir innerhalb von Sekunden den Kartoffelschäler aus der Hand.

„Wie schälst du denn? Da muss man sich ja schämen dich großgezogen zu haben. So geht das.“, mit flinken Handgriffen entkleidete sie die arme, wehrlose Knolle, die ich schon seit gefühlten Ewigkeiten in meinen mittlerweile leicht schwitzigen Händen aufgeweicht und gedanklich auf den Namen 'Klausi' getauft hatte, und warf mir belehrende Blicke zu, „Ganz sanft von oben nach unten gleiten.“
 

Für die Mehrzahl an Kartoffeln wiederholte sie ihre Demonstration und kehrte anschließend seufzend hinter den Platz an der Spüle zurück. Dass sie somit fast alle der zu schälenden Kartoffeln selbst bearbeitet hatte und mich demzufolge doch nicht gebraucht hätte, wunderte mich in diesem Augenblick nicht mehr. Im Grunde war es bisher immer so gewesen und es würde sicher auch immer so bleiben.

Geduldig harrte ich der Dinge, die noch kamen, als ich mich den restlichen Knollen zuwandte.
 

„Wo war ich stehengeblieben?“

Vielleicht bei deiner altmodischen Leier mich zu kritisieren und unter Druck setzen zu wollen?

„Ach ja. Josie es wäre vielleicht ratsam noch mal mit Doktor Kaufmann zu reden und eine persönliche Bewertung von ihm einzuholen. Ein Platz fürs Medizinstudium, für das du doch schon so lange arbeitest, wird sich mit mehr Erfahrung doch sicher festigen. Papa und ich wären überglücklich, wenn du angenommen wirst. Aber um Gottes Willen, so tu doch endlich mal was statt nur faul zu Hause vor dem PC zu sitzen.“
 

Wie sagt man so schön. Same old story, again and again. Doch meinen Ärger unterdrückend umging ich ihre Schimpftirade ganz galant mit einem nüchternem: „Ja Mama, die Bewerbung ist noch heute Abend in der Post. Ich war schon fast fertig.“

Augenmerklich war meine Mutter darüber mehr als nur erfreut und widmete sich nun voller Motivation dem Soßenbinder: „Das will ich auch hoffen. Aber gut, stell noch schnell den Topf auf den Herd und komm dann in einer halben Stunde runter zum Essen, dann wird auch dein Vater wieder zu Hause sein.“
 

Ich nickte kurz, tat wie mir geheißen und lief schnellen Schrittes die Treppe hoch auf mein Zimmer. Von unten konnte ich Mama noch einmal rufen hören, dass ich gefälligst nicht immer so rennen soll, ignorierte ihre Standardleier aber mit einem freudigen Grinsen als ich die Datei auf meinem Bildschirm besah.

Das im Hintergrund geöffnete Browserfenster der ZVS wurde mit Hilfe eines Mausklicks stilvoll und durchaus triumphierend geschlossen und als sich Google öffnete, flogen meine Finger fast wie von selbst über die Tastatur.

'TU Chemnitz Maschinenbau'
 

Glücklicher als je zuvor öffnete sich die Seite und ich wusste, dass ich Mama nicht angelogen hatte. Meine Bewerbung würde noch heute im Briefkasten liegen.
 

~



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Kerstin-san
2017-02-24T16:57:59+00:00 24.02.2017 17:57
Hallo,
 
irgendwie fand ich die Mutter-Tochter-Beziehung sehr bezeichnend und sie hat mich stellenweise an die von mir und meiner Mutter erinnert. Allein die Diskussion über den Müll runterbringen und wie Josephine sich denkt, dass sie gerade echt besseres zu tun hat (wobei Bewerbungen ja tatsächlich nicht so unwichtig sind). Auch witzig, wie Eltern immer den vollen Namen der Kinder durch die Gegend schreien, wenn sie besonders geladen sind.
 
Funfact: Ich bin genauso ein Grobmotoriker wie Josephine und hab extra nen Kartoffelschäler, damit ich mit den biestigen Dingern klarkomme und mit dem komme ich super zurecht. xD
 
Und dann das Gespräch darüber, wie Josephine sich ihre Zukunft vorstellt. Wenn es ein Thema gab, dass ich gehasst hab, als ich kurz vor meinen Abi stand, war es genau dieses. Das schlimme ist, wenn man selbst nicht weiß, was man eigentlich will und nur genau weiß, was nicht. Kann man seinen Eltern nicht vernünftig beibringen. Außerdem scheinen die automatisch davon auszugehen, dass man sich kein bisschen mit dem Thema beschäftigt, wenn man nicht sofort weiß, wies nach der Schule weitergehen soll. Josephine hingegen weiß wenigstens, was sie will und es freut mich, dass sie ihr Ding so durchzieht.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von: abgemeldet
2011-10-24T21:07:29+00:00 24.10.2011 23:07
Super Story XD
I.wie sprichst du damit Jedem ein Stück weit aus der Seele.
Die Moralpredigten, die neunmalklugen Ratschläge der lieben Mutti, sogar das triumphierende Grinsen wenn sie meint einen Streit gewonnen zu haben - das kommt mir alles sehr bekannt vor...
Deinen Schreibstil find ich auch gut :>

Danke für die tolle ff, da war der Abend doch nicht ganz umsonst ;)
Von: abgemeldet
2011-10-16T17:00:29+00:00 16.10.2011 19:00
Das ist die erste Geschichte, die mir wahrhaft aus der Seele spricht! Jedes Wort, jede zwischen den Zeilen versteckte Regung, kann ich nur bejahen und mich ihr anschliessen!
Außerdem finde ich deinen Schreibstiel absolut wunderbar. Der Text ist angenehm zu lesen, obwohl der Satzbau niveavoll ist. Er ist geistreich, doch der unterschwellige Sakrasmus wirkt nicht platt.
Von: abgemeldet
2011-10-07T10:20:16+00:00 07.10.2011 12:20
Ich liebe Geschichten, bei denen ich beim Lesen sofort die ganze Szenerie wie einen Film vor Augen habe, und bei dieser war das so. Vor allem, weil ich mich auch sehr gut mit der Protagonistin identifizieren konnte. :D
Auf jeden Fall weiter so!
Von: abgemeldet
2011-10-03T16:42:51+00:00 03.10.2011 18:42
Sehr schöne Geschichte.
Du hast einen erfreulichen und flüssigen Schreibstil. Da liest man gern weiter. Hach, die Geschichte erinnert einen doch irgendwie immer wieder an einen selbst, was deine Fähigkeiten nur zu untermauern weiß. Die Szenen sind unheimlich lebendig und natürlich. Überhaupt nicht steif. Als hättest du sie direkt aus dem Leben gegriffen und sofort in Worte verpackt, um sie zu Papier zu bringen. Josie kann einem einfach nur sympathisch sein, weil sie einen einfach so sehr an einen selbst erinnert. Und es ist an sich schon richtig gruselig, dass die Mutter ihr Schweigen einfach so locker übergeht und fröhlich weiterbrabbelt.

Also zusammenfassend eine gelungene Sache. Da gibt's nicht zu bemängeln.
Verdienter YUAL. Aber sowas von.
Von:  -Moonshine-
2011-04-22T17:53:37+00:00 22.04.2011 19:53
Hallo,

ich muss meinem Vorkommentator zustimmen - sehr gelungene Story. Dein Schreibstil ist total super, ich mochte vor allem diesen trockenen Humor.
Deine Protagonistin hat mich sehr an mich selbst erinnert... vor allem, wie sie mit der Mutter umgegangen ist... XD Ich konnte mich also sehr gut mit ihr identifizieren.
Dieses "Gespräch" zw. den beiden fand ich ja auch sehr bezeichnend... im Grunde spricht nur die Mutter und legt sich ihre Antworten selbst zurecht, obwohl sie nicht wirklich welche bekommt. ^^; Typisch.
Ich finde aber, hier geht es weniger um Frauenbilder, als um die Eltern-Kind-Beziehung. Ich meine, Maschinenbau ist natürlich nicht unbedingt ein "Frauenfach", aber "Medizin" wurde ja auch lange nicht als solches gehandhabt. Wobei ich drei Mädels im Freundeskreis habe, die Maschinenbau und Ingeneurwissenschaften studieren - die Zeiten ändern sich halt, ne? Und ach ja, die ZVS... ich erinnere mich noch... XD
Zu bekritteln hab ich eigentlich nichts. Ich hatte Spaß an der ganzen Chose. ^^ Danke für den Beitrag!

LG
Eli

___
FCY
Von:  NightFoXx
2011-03-29T16:44:41+00:00 29.03.2011 18:44
eine gelungene story :D
dein schreibstil ist schön flüssig und erfrischend, besonders der anfang hat es mir angetan <3
und einen zusätzlichen pluspunkt von mir gibts für die TU C, auch wenn ich nicht maschinenbau studiere XD

hat mir gut gefallen :)


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