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Tal der Nebel

Wendra-Welten
von

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Prüfung

Prüfung
 

Als die Sonne aufging, streckte Tosch'ral seine steifen Muskeln.

"Ich bin hergekommen, um den >Stab von Schak'tar< zu holen. Ich werde ihn als Zeichen der Würde zu den Ratsoberen zu tragen", sagt er laut, um sich anzuspornen. Dann hechtete er ins heiße Wasser und durchschwamm den breiten Wassergraben, in dessen Mitte sein Ziel lag. Noch war kaum etwas zu erkennen, weil dichte Nebelschwaden die Sicht behinderten. Das Tal hatte seinen Namen wirklich nicht umsonst.

Am steinernen Ufer der künstlichen Insel angelangt, kletterte er aus dem Wasser, hob er die Arme und grüßte mit dieser Geste die Ahnen der Wächter.

"Ich, Tosch'ral von den Bergland-Wendra, will heute die Prüfung der Auserwählten ablegen, um mir den >Stab von Schak'tar< zu verdienen!"

Seine Stimme klang laut und klar.

"Ich gelobe, die Regeln einzuhalten und mein Bestes zu geben!"

Auf dem mit sorgfältig bearbeiteten, schwarzen Steinplatten ausgelegten Weg vor ihm lagen zwei lange Reihen große, weiße Steinkugeln, die der Wächter-Anwärter nun auf die knapp schulterhohen Säulen am Wegesrand heben musste. Jetzt würde sich zeigen, ob er wirklich kräftig genug für diese Prüfung war.

Tosch'ral dankte noch einmal dem Rat, der ihm die Möglichkeit gegeben hatte, sich nun hier zu beweisen. Er holte tief Luft und hob die erste Kugel mit einiger Mühe auf den Sockel und ließ sie dort vorsichtig in die flache Mulde rollen, ebenso verfuhr er mit der zweiten. Mit fest angespannter Brust- und Bauchmuskulatur stemmte er auch die dritte auf ihren Platz.

Doch schon die fünfte Kugel glitt ihm beinahe aus den Armen. Gerade noch rechtzeitig konnte er seine Füße in Sicherheit bringen. Erschöpft setzte er die steinerne Last ab und blieb keuchend daneben auf den dunklen Platten hocken.

"Nein, ich will nicht schon hier scheitern", tadelte er sich selber. Sein Blick schweifte über die vielen in Achtergruppen, dem Zahlensystem der Wendra entsprechend, angeordneten Kugeln. Nach einer längeren Verschnaufpause begann er Echsenmann erneut. Die Reihe erschien endlos.

Bei diesem Versuch stemmte er nur zwei Kugeln hintereinander auf ihren Platz, das ging zwar nicht leichter, erschöpfte ihn aber nicht so sehr. Steine verschiedener Größe zu schleppen, hatte er beim Training oft geübt, aber diese Kugeln waren viel schwieriger im Arm zu halten.

Bis zum Abend schaffte er allerdings noch nicht einmal die Hälfte und fühlte sich am Ende seiner Kräfte. Es war abzusehen, dass diese Aufgabe längere Zeit als vermutet in Anspruch nehmen würde.

Hungrig, weil er bis zum Ende der Prüfung die Insel zum Jagen nicht mehr verlassen durfte, und mit ausgelaugten Muskeln rollte er sich zusammen.
 

Am Morgen schmerzte sein ganzer Körper, deshalb setzte sich Tosch'ral zuerst für längere Zeit ins Wasser der heißen Quellen.

Sorgfältig wusch und massierte er seinen Körper, soweit das allein ging. Dieser Tag würde ebenso hart wie der vorige werden. Und nach den Steinkugeln folgten weitere Prüfungen auf dem Weg, eher er das Gebäude überhaupt betreten konnte.

Verbissen beförderte Tosch'ral eine Kugel nach der anderen vom Weg auf die Säulen.

Manches mal musste er nachfassen, um die Kugel nicht fallen zu lassen. Seine Sehnen und Muskeln wurden belastet wie nie zuvor. Der rauhe Stein schürfte die sich lösende alte Hautschicht von seiner Brust und den Armen.

Doch auch dieser Tag verging, ohne dass er alles geschafft hatte. Da Tosch'ral nichts zu Essen hatte, trank er reichlich Wasser, um den Hunger zu verdrängen.

"Ich habe mich nicht genügend auf diese Prüfung vorbereitet!" schalt er sich laut und verbrachte eine weitere Nacht auf den harten und kalten Steinplatten, um am Morgen wie auch schon am Tag zuvor weiterzumachen zu können.
 

"Du wurdest vorbereitet, um die Prüfung der Wächter zu absolvieren. Wenn du es schaffst, den >Stab von Schak'tar< zu holen, werden wir dich weihen. Dann kann deine körperliche Umwandlung beginnen, so dass bald jeder deinen Rang sieht."

Schon sehr frühzeitig hatte Tosch'ral Gefallen an den Kampfspielen der Wendra gefunden und trainierte seit er eine Jungechse war, übte mit anderen fleißig Laufen, Springen, Tauchen, Schwimmen und Klettern. Später erlernte er dann die Kunst des Ringen ebenso wie die Anwendung der üblichen Waffen.

In seiner Familie gab es keine Wächter, aber er hatte insgeheim immer die riesigen, muskelbepackten Echsenmänner mit ihren Knochendornen auf dem Kopf bewundert.

Er wollte eines Tage zu ihnen gehören, ihre Rüstung tragen und ihre Waffen beherrschen. Eine ähnliche wie der >Stab von Schak'tar< würde die Allererste davon sein...
 

Verbissen kämpfte er sich Stein für Stein vorwärts. Die stetig abnehmende Zahl liegender Kugeln spornte ihn erneut an und gegen Mittag hob er die letzte auf die zugehörige Säule.

Wenige Schritte vor ihm ertönte danach ein knirschendes, schleifendes Geräusch. Die schwarzen Platten des Weges verschoben sich seitlich unter die niedrige Mauer, die den Weg säumte, und gaben einen breiten Graben frei. Von unten hob sich ein nasser Holzzylinder von großem Umfang empor und bildete eine Art Brücke. Der Echsenmann trat überrascht an die Kante des Grabens und blickte hinab. Unten befand sich ein Wasserbecken mit steilen Wänden und kleinen Griffstücken. Er ahnte, was das zu bedeuten hatte.

Vorsichtig stelle er einen Krallenfuß auf das glitschige Holz. Der Zylinder war drehbar gelagert, eine falsche Bewegung oder mangelnder Gleichgewichtssinn würde unweigerlich zu einem raschen Absturz in die Tiefe führen. Schritt für Schritt und mit den Armen die Bewegungen ausgleichend, balancierte er fast bis zur Mitte des Zylinders.

Die Beinmuskulatur hatte inzwischen begonnen, merklich zu zittern, die Beanspruchung der Vortage machte sich nun bemerkbar. Der Echsenmann schaffte nur noch einige unsichere Schritte, dann verlor der das Gleichgewicht und stürzte in das Wasserbecken.

Instinktiv kauerte er sich zusammen und schütze seinen Kopf mit den Armen, während er bis zum Grund sank.

Als er die Augen im Wasser wieder öffnete, erblickte er den Totenschädel eines Wendra unmittelbar neben sich. Dieser schien ihn aus leeren Augenhöhlen anzustarren.

Der Echsenmann stieß entsetzt Luft aus, eigentlich wollte er schreien, doch das war unter Wasser nicht möglich. Hastig stieß er sich vom Grund ab und schnellte bis zur Hüfte über die Wasseroberfläche, schockiert krallte er sich dann an den Griffstücken der Wand fest. Ein zweiter vorsichtiger Blick unter Wasser ließ ihn erneut erschaudern, denn auf dem Grund des Grabens lagen etliche Wendra-Skelette verstreut!

Tosch'ral erklomm die Felswand und kroch keuchend über den Rand des Grabens auf den Weg.

Niemand hatte ihm gesagt, dass es bei den Prüfungen Tote gegeben hatte!

Würde er ebenfalls dort sterben, falls er unglücklich fiel oder ihn einfach nur die Kräfte zum Hochklettern verließen?

Ein wenig zweifelnd, ob seine Fähigkeiten genügen würden, setzte er sich auf die schwarzen Steinplatten, um Kräfte zu sammeln.

"Ich kann es schaffen. Ich muss mich nur anstrengen und auf mein Gleichgewicht achten."

Der Weg vor ihm war von Nebelschwaden verhüllt, das Ende nicht in Sicht. Den dahinterliegenden hellen Steinbau konnte Tosch'ral nur erahnen. Wie viele Aufgaben würden nach den beiden ersten noch folgen?

Vorsichtig stieg er erneut auf das glitschige Holz, ein Schritt, ein weiterer... Kraft nützte hier nichts, im Gegenteil. Erneut begannen seine überanstrengten Muskeln zu zittern.

"Nur noch ein paar Schritte", murmelte der junge Wendra und versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen. Doch wie? Anspannen verbesserte die Situation ebensowenig wie locker lassen. Seine Beine gehorchten einfach nicht so, wie es für dieses Hindernis nötig wäre.

Dieses mal schaffte er kaum die Hälfte des Weges und stürzte erneut nach unten.

Prustend tauchte Tosch'ral auf und krallte seine Finger in die Felswand. Vorsichtig zog er sich hoch, denn auch die Arme wurden schwächer. Diese recht einfach wirkende Prüfung hatte es in sich.

'Hochziehen...", befahl er sich selber, der Aufstieg schien endlos zu dauern. 'Du bist ein guter Kletterer!"

Erschöpft kroch er oben auf die steinernen Wegplatten und bleib einfach eine Weile liegen.

Tosch'ral beschloss, ein Bad in dem heißen Wasser des Ringrabens zu nehmen. Nach anstrengenden Trainingseinheiten hatte er immer mit den anderen zusammen so entspannt.

Bis über die Nase im Wasser, lehnte er mit dem Rücken an dem bemosten Steinen und ließ er kleine Luftblasen aufsteigen. Er fühlte sich müde und döste etwas vor sich hin.
 

Nach dieser längeren Pause fühlten sich seine Beinmuskeln wieder ausgeruht an und er wagte einen neuen Übergang. Der Zylinder drehte sich bei der kleinsten Bewegung und Tosch'ral konzentrierte sich auf Gleichgewicht, Schrittmaß und Atem.

Nein, er wollte auf keinen Fall da unten im Wasserbecken enden, er wollte auch nicht noch einmal dort hinabstürzen.

Mit einem letzten angehaltenen Atemzug erreichte der Echsenmann das Ende des Zylinders und festen Boden unter seinen Krallenfüßen.

Erleichtert stieß er einen langen Pfiff aus und hockte sich hin.

Wieder verschoben sich die Wegplatten und gaben eine Reihe von acht quadratische Säulen frei. Diese hatten den Abstand eines Sprunges. Der Graben selber schien mit einem schwarzen Schlamm gefüllt zu sein, jedenfalls roch es modrig. Nein, da hinein wollte er nicht fallen!

Der Echsenmann straffte sich und schnellte auf das erste Ziel. Im selben Moment schlugen rings um ihn Flammen hoch. Laut quiekend riss er die Arme hoch, um den Kopf zu schützen und brachte seinen Schwanz in Sicherheit, indem er ihn um ein Bein ringelte.

Mit einem weiteren und hastigen Satz war Tosch'ral wieder am Grabenanfang. Sein Herz hämmerte, er hatte große Angst vor Feuer und war reflexartig zurückgesprungen.

Die Freude über das schnell geschaffte zweite Hindernis verebbte schlagartig. Bei Aufgabe drei ging es nicht um Kraft oder Geschicklichkeit, hier musste er gegen eine tiefe Angst ankämpfen.

Er blickte zurück, den Weg entlang, den er gekommen war. Auch dort war alles frei, der Wassergraben mit dem Zylinder lag wieder verborgen unter den Steinplatten.

Umkehren?

Tosch'ral erinnerte sich an die Aufzeichnungen über einige wenige, die diesen Weg gewählt und die Prüfung später wiederholt hatten. Es galt nicht als Schande, die eigenen Grenzen einzugestehen.

Doch was war mit jenen, die in diesem Graben starben?

Das Leben für diese Prüfung zu geben?

Der Echsenmann hockte sich am Rand der Flammengrube hin und züngelte nachdenklich. Auf der ersten Säule war ihm nichts passiert, nicht einmal den Schwanz hatte er sich angesengt.

Umkehren...

Der Rückweg bot keine Hindernisse, er konnte also jederzeit diesen Weg wählen.

"Feuer ist kein Feind, nur meine Angst ist einer."

Angst...

Das war leichter gedacht, als es sich ausführen ließ. Diese Angst saß tief in ihm, obwohl er mit Lagerfeuern vertraut war. Aber nahezu von Flammen eingeschlossen zu sein...

Kurz entschlossen schnellte er auf die erste der acht Säulen und wieder schlugen die Flammen hoch, so dass sie ihn fast gänzlich einhüllten. Mit angehaltenem Atem und zusammengekniffenen Augen hielt Tosch'ral stand und wartete ab, ob das Feuer verschwinden würde oder ob er vielleicht sogar hindurchspringen müsste, um weiterzukommen. Während dessen zitterte er am ganzen Körper.

Nach einem ihm unendlich lange erscheinenden Zeitraum erloschen die Flammen und gaben den Blick nach vorn frei. Der Echsenmann hocke sich erneut hin und züngelte. Nichts war angesengt worden. Aber...

Wenn er nun das Gleichgewicht verlieren und ins Feuer stürzen würde? Waren auch bei dieser Prüfung Anwärter gescheitert - und gestorben?

Hier konnte er aber nichts dergleichen entdecken, also zwang er sich zu Ruhe und Disziplin.

Die Säulen vor ihm hatten jede einen kleinere Abmessung als die, auf der er gerade stand. Das Feuer würde also mit jedem Sprung näher kommen. Und auf der letzten...

Beherzt sprang er vorwärts und stellte sich sogleich nach der Landung aufrecht hin. Dadurch kamen die Flammen nicht so nahe und es wurde nicht so unangenehm heiß. Mutig eroberte er auch die nächsten Säulen.

"Jetzt habe ich über die Hälfte geschafft, nun werde ich nicht mehr umkehren!" trieb er sich selber an. Vor den letzten drei Säulen beruhigte er noch einmal seinen Atem und sprang dann los.

Hitze umhüllte ihn, er glaubte, sie würde ihn verbrennen. Als er wieder frei stand, ließ er sich keuchend auf dem Stein nieder und züngelte. Bis auf einige angesengte Stellen der sich lösenden Hornschicht der Haut erschnüffelte er nichts. Allerdings würde er nach den letzten Sprüngen mit Sicherheit ziemlich lädiert aussehen. Wahrscheinlich schickten die Ratsoberen die Anwärter deshalb zu diesem Zeitpunkt ins >Tal der Nebel<, damit die Haut frisch und glänzend aussah, wenn sie stolz zurückkehrten.

Stolz...

Tosch'ral fühlte bereits jetzt Stolz in sich. Er hatte zwar noch nicht den ganzen Weg geschafft und wusste auch nicht, wie viele Aufgaben er noch bewältigen musste - aber so weit gekommen zu sein, schien ihm eine sehr respektable Leitung. Schon jetzt hatte er seine früheren Grenzen überschritten.

Ein weiterer Sprung und die heiße und beängstigende Feuerwand um ihn herum ließ ihn laut und quiekend aufschreien. Die letzte würde sehr schmerzhaft sein!

Der Echsenmann presste die Zähne zusammen, dann sprang er brüllend los. Hautfetzen verbrannten zischend und knisternd. Mit einem weiteren Aufschrei hielt er den Schmerzen stand und mit letzter Kraft erreichte er das Ende der Feuergrube.

Vor ihm verschoben sich die Wegplatten und gaben ein Wasserbecken frei. Mit angesengten, herabhängenden Hautfetzen am ganzen Körper rannte der Echsenmann los und sprang eilig ins Becken. Das dieses mal kalte Wasser linderte die Schmerzen sofort.

Erschöpft, auch wenn diese Prüfung kaum körperliche Anstrengung verlangt hatte, blieb er mit angehaltenem Atem auf dem Grund des Wasserbeckens liegen.

Er war hungrig, aber auch hier gab es noch nichts zu essen, also trank er nur Wasser. Vielleicht würde er ja schon bald das steinerne Gebäude erreichen. Dort hätte er Unterkunft und Verpflegung und könnte in Ruhe die baldige Häutung abwarten, die auch einen Neubeginn symbolisierte.
 

Sauber und erfrischt schritt er voller Zuversicht in den vor ihm liegenden Nebel. Schon nach wenigen Schritten zeichneten sich dunkle Schatten ab, dann wurde das Gebäude immer deutlicher.

Das alte Bauwerk aus hellen und dunklen Steinen wirkte sehr beeindruckend. Das Alter von mehreren Jahrhunderten sah man ihm nicht an, denn es wurde sorgfältig gepflegt. Die vier Türme ragten hoch in den Nebel, so dass er die Spitzen nicht zu sehen konnte.

Ehrfürchtig verharrte Tosch'ral am Anfang des Ganges, dessen Eingangstor sich vor ihm öffnete. Der rauhe dunkle Stein des Weges hinter sich lassen, betrat er nun das Gebäude der Wächter.

Der Boden des großen Kuppelbaus vor ihm war mit schwarzem, poliertem Marmor ausgelegt, in der Mitte ragte, umgeben von einem weißen Ring, die lebensgroße Statue des legendären Kriegers Schak'tar auf einem Sockel empor. Er trug die silbern glänzende traditionelle Rüstung, den Rest des Körpers bedeckte das computergesteuerte blaue Flüssigmetall, das auch die Tex bei einigen ihrer Zeremonien verwendeten. In seiner nach oben gereckten rechten Hand hielt er den Stab, das Artefakt, welches die Wächter aus der alten Heimat mitgebracht hatten. Seit Generationen diente es der Weihe der neuen Wächter.
 

Schak'tar war es gewesen, der den Kult der Krieger neu geformt und der veränderten Zeit angepasst hatte. Die kriegerischen Auseinandersetzungen waren der Diplomatie gewichen. Bürgerkriege gab es schon lange nicht mehr, Kämpfe trug man nun fern der Heimat per Raumschiff aus. Krieger der alten Schule wurden nicht mehr gebraucht, aber die neuen Siedlungen sollten nicht schutzlos bleiben. Deshalb schuf Schak'tar mit deinen Gefährten eine neue Schule, um tapfere Wächter auszubilden. Sie sollten die Würden der Krieger weitertragen, ihre Kampfkünste und ihre Pflichten. Die Kampfrituale wandelten sich zu sportlichen Wettstreiten...
 

Atemlos betrat er die große Halle, so überwältigend hatte er sich das hier nicht vorgestellt. Die Statue wirkte riesig, denn Schak'tar war noch größer als die anderen Wächter gewesen. Tosch'ral würde ihm noch nicht einmal bis zur Hüfte reichen. Wie nur sollte er den Stab an sich bringen?

Der Echsenmann versuchte es mit seiner gut ausgebildeten Sprungkraft, kam aber nicht annähernd so hoch.

"Das ist doch lächerlich!" fauchte er nach einigen Fehlversuchen. "Jetzt bin ich so weit gekommen und führe mich auf wie ein unwissender Springer!"

Tosch'ral blickte hinauf und betrachtete den >Stab von Schak'tar< genauer. Er schien fast nur aus einfachem dunklen Holz zu bestehen, die Enden waren mit dem blauen Metall beschlagen.

Der Rückweg mit dieser langen und schweren Waffe würde mehr Zeit und Kraft in Anspruch nehmen...

Aber noch hatte der Echsenmann das Artefakt nicht in seinen Händen, und wenn ihm nicht bald eine Lösung des Problems einfiele, würde er es nie erreichen können.

Wie also hinauf gelangen? Oder ließ sich die Statue etwa absenken?

Aufmerksam nach irgendeinem Anhaltspunkt Ausschau haltend, umschritt er den Sockel. Aber der bestand nur aus glattem weißen Marmor ohne jegliche Verzierung.

Tosch'ral sah sich im Saal um. Vielleicht könnten aber die Wandreliefs Informationen liefern. Er schritt sie ab und las laut die dort im Stein verzeichneten Überlieferungen, Regeln und Gesänge der Wächter. Er betrachtete die kunstvoll gestalteten Abbildungen von Kämpfern und Anwärtern. Letztere konnte man leicht erkennen, denn Wächter hatten üblicherweise die doppelte Körpergröße.

Letztlich kehrte er zur Statue zurück und umrundete sie nochmals.

Nichts.

Müde von den Anstrengungen der letzten Tage, rollte er sich auf dem harten Marmorboden vor der Statue zusammen und schlief rasch ein.
 

Der junge Echsenmann wusste nicht, wie lange er so geruht hatte. Die Halle war gleichbleibend matt erleuchtet und bot keinerlei Hinweis über die Tageszeit.

Er streckte seinen müden Körper und erhob sich dann langsam auf die Knie. Dabei traf sein Blick wieder auf den weißen Marmorring. Die Fugen schienen etwas breiter als beim schwarzen Marmor, außerdem sah er winzige Beschädigungen. Nachdenklich hockte er sich hin und ließ seine blaue, gespaltene Zunge hinauspendeln. Mit den Krallen seiner rechten Hand fuhr er die Kanten nach.

Säulen?

Jeder weiße Stein hatte eine Größe, auf der bequem ein großer Wenrdafuß Platz fand. Der Echsenmann blickte nach oben. Der Steinkreis kam verdächtig nahe in den Bereich der weit ausladenden Stabwaffe.

Wurden bisher alle Veränderungen automatisch ausgelöst, sollte er hier nun offensichtlich den Auslöser selber finden. Er probierte, auf einem der Steine zu stehen. Notfalls passten sogar beide Füße darauf, wenn er die Krallen seitlich anklammern würde.

Stein für Stein schritt er den Ring ab, und als er schon dachte, es sei die falsche Idee gewesen, schob sich eine Säule unmittelbar vor ihm etwas aus dem Boden. Tosch'ral stieg darauf und eine weitere Säule hob sich leise schleifend vor der erste nach oben. Schritt für Schritt erklomm er nun diese seltsame Treppe, die um die Statue herumführte und letztlich hoch über dem schwarzen Fußboden in Reichweite des >Stabes von Schak'tar< endete.

Vorsichtig löste der Echsenmann diesen zeremoniellen Stab aus der Hand der Wächterstatue. Dabei klammerte er die Krallen seiner großen Füße fest um den Rand der Standfläche, denn die Länge und das Gewicht der Waffe brachte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht.

Endlich hielt er das Ziel der langen Reise und der vielen Anstrengungen in seinen Händen. Zügig schritt der die Ringtreppe wieder hinab und verneigte sich vor der Statue.

Die weißen Säulen senkten sich mit einem leisen, schleifenden Geräusch und zwei der großen Wandreliefs schoben sich zur Seite. Dahinter lag ein Raum mit Ruhemulde und Badebecken.

Erleichtert betrat Tosch'ral diesen Raum. Dort gab es eine verzierte Nische mit Wandbild und Waffenständer. Er stellte den Stab vorsichtig ab.

Erschöpft ließ sich der Echsenmann ins heiße Wasser gleiten und döste vor sich hin. Er konnte noch gar nicht glauben, dass er die Prüfung erfolgreich absolviert und das Artefakt errungen hatte...
 

Später sah er sich in diesem Raum etwas um, es hieß ja, dass er dort endlich wieder etwas essen durfte, also sollte auch Nahrung vorhanden sein. Allerdings gab es weder Wandschränke, noch stand etwas herum. Nur ein steinerner, quadratischer Sockel aus weißem Marmor erregte seine Aufmerksamkeit. Das schwarze Oberteil war zeigte Darstellungen von Tieren und Pflanzen. Tosch'ral hockte sich hin und hob dieses Oberteil ab.

Darunter fand er neben Reinigungsutensilien auch konservierte Lebensmittel und eine tönerne Schüssel. Obst, Gemüse, aber auch Fleisch und Fisch lagerten hier noch nicht lange, er kannte die üblichen Versiegelungen.

Rasch öffnete er die Verpackung und aß sich nach all den Tagen endlich wieder satt. Zufrieden und müde rollte er sich in der weich gepolsterten Ruhemulde ein und fiel schon bald in einen tiefen Schlaf.
 

"Wenn du mit dem >Stab von Schak'tar< zu den Ratsoberen bringst, werden wir sehr stolz auf dich sein." Seine Eltern, Geschwister und andere Verwandte hatten ihm zum Abschied umarmt und über seine Nase gezüngelt.

"Aber auch wenn du scheitern solltest, sind wir sicher, dass du dein Bestes gegeben hast und es ein nächstes mal versuchen wirst."
 

Am Morgen, eher zu einer Zeit, die er für den Beginn des folgenden Tages hielt, erwachte der Echsenmann und streckte seine Muskeln. Der ganze Körper schmerzte, so dass er sich nach einem Frühstück wieder in das Becken mit heißem Wasser setzte.

Inzwischen war auch die Häutung weiter fortgeschritten, seine sonst dunkle Haut wirkte nur noch schmutziggrau. Außerdem hingen an den abgesengten Stellen nun weitere, milchige Fetzen herab. Er beschloss, die nächsten Stunden im Wasser zu bleiben, um die Haut weich und geschmeidig zu halten. Das Wasser, gespeist aus einer der vielen vulkanischen Quellen im Tal, roch ein wenig nach Schwefel und enthielt viele Mineralien.

Später verließ er den Kuppelsaal und begab sich nach draußen. Die Sonne hatte die dunklen Steinplatten des Weges aufgeheizt, dort setzte Tosch'ral sich nieder und blickte in die Ferne. Der Nebel war nicht so dicht wie üblich, aber mehr als einige Sprünge weit konnte er auch dieses mal nicht sehen.

Zufrieden dachte er an die bewältigten Aufgaben. Schon bald würde er als Wächter geweiht werden. Dann dürfte er auch ab und zu wieder hierher kommen, um an Ritualen teilzunehmen, denn den anderen Wendra bleib das >Tal der Nebel< verwehrt.

Diese Nacht verbrachte er im Wasser und als er die Zeit für gekommen hielt, streifte sich Tosch'ral die alte, halbdurchsichtige Hornschicht vom Körper und legte sie in das hölzerne Kästchen, dass er dem Steinsockel entnommen hatte. Nichts sollte das Wasser im Badebecken verschmutzen. Wegen der abgescheuerten und versengten Stellen musste der Echsenmann viele einzelne Fetzen lösen, doch letztlich stand er beinahe schwarz glänzend auf und verließ das Badebecken, um sich mit Öl einzureiben.

Nun war die Zeit für die Heimreise gekommen.
 

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