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Warten auf Vanya

von

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Pyat

Nachdem Yekaterina endlich fertig war und die Wunde an Toris' Bein fest verbunden hatte, war nicht festzustellen, wer am blassesten war: sie selbst, Toris oder Raivis, der mittlerweile heftig zitterte.

„Du solltest an die frische Luft“, sagte Yekaterina sanft zu ihm und griff nach der Decke, die einige Blutflecken abbekommen hatte. „Ich werde diese hier waschen und Ihnen eine neue bringen, Herr. Wollen Sie etwas essen?“

Toris schüttelte leicht den Kopf. Er war außer Atem und völlig verschwitzt.

„Ich werde Ihnen eine Suppe kochen“, entschied Yekaterina. „Wenn Sie etwas Warmes im Magen haben, werden Sie schneller wieder gesund. Das stärkt.“

Natalia starrte sie an und verstand nicht, wieso ihre Schwester all das tat. Sie musste doch wissen, dass es egal war, wie schnell Toris sich erholte. Ohnehin würde Vanya bald kommen, und dann war es egal, wie es Toris ging. Oder tat Yekaterina nur so, als sei sie besorgt, als Tarnung sozusagen? Wenn ja, dann war es eine sehr überzeugende Tarnung.

„Du bleibst hier, Bela“, sagte Yekaterina, bevor sie Raivis aus dem Raum schob und ihm folgte. „Wenn etwas Ungewöhnliches passiert, ruf mich.“

„In Ordnung“, erwiderte Natalia und setzte sich auf einen Stuhl neben Toris' Kopfende. Sie sah auf ihn hinunter, wie er matt und reglos in seinem Kissen lag, das frisch verbundene Bein steif ausgestreckt, als gehöre es gar nicht zu seinem Körper. Noch immer hob und senkte seine Brust sich hastig. Seine dunklen Haare klebten verschwitzt an seinen Schläfen.

„Es ist alles gut“, sagte sie, obwohl es das natürlich nicht war. Nicht für Toris.

Er öffnete flatternd die Augen und versuchte wieder sein zittriges Lächeln. „Ja“, murmelte er.

Natalia griff nach einem weißen Stofftaschentuch auf dem Nachttisch und tupfte den Schweiß von seiner Stirn. „Sie werden sich bald erholen.“

„Das hoffe ich.“ Toris' Stimme war rau und er musste ein Husten unterdrücken. „Ich hoffe auch, dass Feliks...“

„Seien Sie lieber still“, unterbrach Natalia ihn streng. Dann musste sie seinem Gerede nämlich nicht zuhören. Zu ihrer Erleichterung tat Toris, was sie sagte. Seine Augen wanderten durch das Zimmer, blieben aber immer wieder an ihrem Gesicht hängen. Sie runzelte die Stirn und sah in eine andere Richtung, doch als sie ihn wieder ansah, klebte sein Blick immer noch an ihr.

„Ist alles in Ordnung, Herr?“, fragte sie steif.

Er antwortete nicht, lächelte nur wieder auf diese Art, als wolle er sie beruhigen. Es machte sie krank. Sie wandte sich ab und versuchte, ihre Haare so über ihre Schulter hängen zu lassen, dass sie ihr Gesicht verdeckten.

„Wieso bist du eigentlich so kühl?“, erklang Toris' leise Stimme hinter ihr.

Natalia wusste, dass sie ihn aus Respekt ansehen sollte, wenn sie mit ihm sprach, aber ihr war gerade nicht nach Respekt. „Wie meinen Sie das?“

„Yekaterina ist eine so herzliche, offene Frau. Aber du hast nichts mit deiner Schwester gemeinsam.“

„Nein.“

„Es ist ein Jammer“, murmelte Toris.

„Inwiefern?“

Etwas tippte gegen ihre Schulter und sie fuhr herum. Toris hatte die Hand gehoben und lächelte sie an. „Du bist so hübsch, Natalia“, flüsterte er.

Sie spürte, wie sie rot wurde vor Empörung. Was glaubte er, wer er war?

„Es würde dir gut tun, ein bisschen mehr zu lachen... und ein wenig Farbe zu bekommen“, sagte Toris und lachte leise. Er wirkte so glücklich, dachte sie. Da lag er, verletzt und kraftlos, sein bester Freund war in einen vermutlich aussichtslosen Kampf gezogen, und da lag er und war glücklich. Wie konnte das sein? Natalia runzelte die Stirn und sah ihn an, und ihr fiel die einzige Lösung ein. Etwas entschädigte ihn für all das und ließ ihn seine Sorgen vergessen. Etwas... oder jemand.

„Wieso versuchst du nicht, öfter zu lachen, Natalia?“

Es ging so schnell. Plötzlich war seine Hand an ihrer Wange und strich eine einzelne Haarsträhne beiseite. Seine Finger zitterten leicht vor Aufregung. Natalia riss die Augen auf, und Toris lächelte. Tat nichts, als in seinem Kissen zu liegen und zu lächeln. Es war kein gutes Lächeln mehr, dachte Natalia. Es war so obszön glücklich.

Sie schrie ihn an, so laut sie konnte, packte seinen Unterarm und grub die Fingernägel in sein Fleisch. Er schrie auf vor Schmerzen, als sie seine Hand beiseite stieß und aufsprang. Die Tür war geschlossen, doch sie riss sie auf, raffte ihren Rock hoch und flog förmlich die Treppe hinunter. Nur raus hier. Raus und so weit weg wie möglich.

Toris blieb liegen, wie er war, und drückte zitternd seinen Arm an seine Brust. „Natalia“, flüsterte er, schluckte und rief etwas lauter. „Natalia!“

Natürlich hörte sie ihn längst nicht mehr. Durch die Tür, die sie offen gelassen hatte, konnte er die Treppe sehen, auf der sich nichts mehr rührte. Er spürte, wie brennende Tränen in seine Augen stiegen.

„Du hast es vermasselt, Toris“, brachte er hervor und schlug den Hinterkopf in sein Kissen. „Du verdammter Idiot hast es vermasselt.“



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