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Criminal Minds - Motel

Reid x Prentiss
von

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Eskalationsstrategie

Emilys Kopf lehnt an der Scheibe, ihre Lider sind geschlossen. Eine Hand hat sie immer noch am Lenkrad.

„Nur eine kurze Pause“ ist das nicht. Und „Ich bin nicht müde“ sieht anders aus.

„Ich kann weiterfahren“, schlage ich vor.

Sie stößt einen verächtlichen Laut aus, ihr Brustkorb hebt sich kurz.

„Du kannst nicht weiterfahren“, murmelt sie.

„Wieso nicht? Du bist totmüde, ich bin den ganzen Tag nur gesessen.“

„Reid: Nein.“ Sie zieht die Augenbrauen zusammen.

„Aber wieso nicht? Nenn mir doch mal bitte einen fundierten Grund, warum du es so gar nicht in Betracht ziehst, das Lenkrad deines geliebten Autos in meine Hände zu geben.“

Jetzt werde ich nervig.

„Herrgott, Reid!“, stöhnt sie, lässt dabei die Augen geschlossen und schüttelt nur ein wenig den Kopf.

„Ich lasse dich nicht fahren! Weil es immer noch mein Auto ist!“ Und außerdem...“ Sie seufzt und setzt sich auf, „Mal abgesehen davon, dass dir der Schein vermutlich vorübergehend entzogen wurde, bist du immer noch krank und geschwächt.“ Ihre Lider hängen auf Halbmast, während sie in die Leere hinter der Windschutzscheibe starrt.

Ach. Immer dieses „Du warst bis gestern noch in Therapie“-Argument. Herrgott. Wie hat Morgan gesagt? „Therapien sollen Menschen gesund machen.“ Das sollte er Prentiss mal verinnerlichen. Ich darf mir schon die ganze Fahrt „krank und geschwächt“ anhören und langsam, ganz langsam, werde ich dessen überdrüssig.

„Emily, du bist totmüde, so kommen wir bestenfalls bis zum nächsten Straßengraben.“

So viel Sturheit in einer Person.

Sie seufzt.

„Jaah. In Gottes Namen, ja. Ich halte am nächsten Motel.“

Ich grinse.

„Manchmal könnte ich dich wirklich...“, knurrt sie, der Rest des Satzes nur ein ungerichtetes Murmeln.

Mission erfüllt.
 

*
 

Ich steige aus, Emily wankt aus dem Wagen. Sie streckt sich, gähnt und geht zum Kofferraum. Ich trotte ihr hinterher wie ein Hündchen.

„Hier“, sagt sie und reicht mir ein weinrotes Stoffbündel.

„Was ist das?“, frage ich mit einem Stirnrunzeln und mustere das Teil im schwachen Licht einer Laterne.

„Zieh es an“, murmelt sie und kramt eine Zahnbürste hinter dem Verbandskasten hervor.

„Das ist nicht dein Ernst.“ Trainingsjacke, weinrot, Samt, Größe 36.

„Meinst du nicht, du erfrierst sonst ein wenig?“, tönt es gleichgültig aus den Untiefen des Kofferraums.

Ich sehe an mir herab. Japp. Die Jogginghose ist warm, aber Badelatschen und T-Shirt machen sich auf Blitzeis nicht sehr gut und wenn ich ganz ehrlich bin, dann macht die leichte Gänsehaut auf meinen Oberarmen einer Reliefkarte der Rocky Mountains Konkurrenz. Wer konnte denn wissen, dass das Team unvermutet Verstärkung braucht, und zwar so dringend, dass der noch „kranke und geschwächte“ Spencer, seinerseits vom Teamarzt noch zwei Monate vom Berufsalltag befreit, einquartiert in einer klinisch weißen Reha-Anstalt, reaktiviert werden muss? Und er sich am Ende des Tages, nach völlig überstürztem Aufbruch, seit an seit mit einer kratzbürstigen, weil übermüdeten (und sich eigentlich selbst im wohlverdienten Urlaub befindenden) Emily Prentiss, geschätzte drei Klimazonen nördlich von Quantico befindet?

Ich zaudere also. Kämpfe mit mir. Winsle vor Kälte.

„Ach komm schon, Pretty Boy, entdecke deine feminine Seite!“, meint Emily spöttisch und zieht in Richtung Motel ab.

Ich merke förmlich, wie sich mein Blick verfinstert.

Dann überwinde ich mein Alter-Ego, das auf unsere Menschenwürde verweist, und zwänge mich in ihren Pulli.

Er riecht nach Autoreifen.
 

*
 

„Hallo?“ Emily bearbeitet die Klingel auf der Theke.

„Hallo!!!“

Aus einem Hinterzimmer schleicht eine etwas untersetzte Gestalt. Es ist ein älterer Herr, Anfang 60 würde ich schätzen, rote Knollennase mit leuchtenden Äderchen (Alkoholiker.) Er trägt ein Feinrippunterhemd und eine halbgerauchte Zigarillo hängt in seinem Mundwinkel. Er mustert uns verwundert.
 

Ich fasse zusammen:
 

Spencer Reid
 

- Dunkelblaue Jogginghose, die ihre besten Tage schon gesehen hat, über

- grauen Sneakersocken bei gefühlten minus 50 Grad (Tatsächlich wohl minus sieben. Celsius, versteht sich) in

- Gummischlappen. Getoppt von

- langen, fettigen Haaren über einem

- nervösen Lächeln. Trägt

- ein zu kleines rotes Samtjäckchen, das an bestimmten Stellen unvorteilhafte Ausbeulungen aufweist und in dessen Taschen er verlegen seine Hände steckt. Was albern aussieht.
 

Emily Prentiss
 

- in an den Füßen gerissener Feinstrumpfhose, geschickt kaschiert durch

- alte, schmutzige, ausgelatschte Laufschuhe, denen die Pumps auf halber Strecke gewichen sind.

- Kostüm: Blazer und Rock, beides zerknittert und getragen, auf der desaströsen Hochzeitsfeier eines Freundes, die sie mit ihrem plötzlichen Verschwinden nach Anruf durch Boss ruiniert haben musste; und das alles nur wegen des Kleinen, den sie, lästigerweise, a.s.a.p., mit einzupacken hatte und nun am Rockzipfel hängen.

- Bluse mit Schweißflecken – durchaus passend zu

- sich langsam aber sicher auflösender Turmfrisur und

- einer Miene, der man alles zutraut. Mord, vorallem.
 

Der ältere Herr weiß nicht, was er sagen soll, und ich kann es ihm kaum verübeln. Er öffnet den Mund, schließt ihn wieder, öffnet ihn wieder und fragt:
 

„Doppelzimmer?“
 

„NEIN.“

Die Wucht von zwei energischen, sofort reagierenden, scharfen Stimmen lässt den armen Mann zusammenzucken. Ein wenig Asche staubt von der Spitze der Zigarillo auf die Theke. Verunsichert zieht er die Computertastatur an sich heran und schielt immer wieder mit einem Auge auf den Bildschirm. Mit dem anderen fixiert er uns, ein wenig ängstlich, muss ich sagen. Kein Wunder. Emily straft ihn und sein ausgebuchtes Motel mit Todesblicken, die sogar mich frösteln lassen.

Der Computer gibt ein verdächtiges Geräusch von sich und Emilys Kopf schnellt herum. Sie starrt das Männchen an. Es erzittert angesichts ihrer Blickgewalt.
 

„Tut mir leid. Nur noch Zweierzimmer frei.“

Konfliktverhalten

Wir stehen nebeneinander vor der geschlossenen Zimmertüre. Wir tauschen einige unbehagliche Blicke und Emily knetet den Schlüssel; dann steckt sie ihn ins Schloss. Die Tür schwingt auf.
 

„Das soll doch wohl ein Witz sein.“ Emily fasst sich entsetzt an die Stirn.
 

Ein Doppelbett. Französische 1,40m.
 

Wieder sehen wir uns an. Und dann geht alles ganz schnell.

Beide gleichzeitig stürmen wir los, um das Bett als Erste/r zu erreichen. Alles Rangeln und Drängeln hat jedoch keinen Zweck: Wir erreichen unsere jeweilige Seite absolut gleichzeitig. Also stehen wir uns gegenüber, zwischen uns eine weiche Matratze, himmlisches Schlafvergnügen, eine behagliche Nachtruhe. Eine.
 

„Wir schlafen nicht zu zweit in diesem Bett“, stellt Emily fest und starrt mich an.

„Das sehe ich genauso“, antworte ich und starre zurück.

„Also schläft einER auf dem Boden“, sagt sie ganz nüchtern.

„Japp, einE schläft auf dem Boden“, erwidere ich.

Die Luft zwischen uns lädt sich statisch auf.
 

Emily setzt sich seitlich auf das Bett, sodass sie mich immer noch im Auge behalten kann.

„Also eines ist klar: Ich bin die einzige Frau hier.“ Ihr Ton ist sachlich, ihre Miene distanziert.

Ich tue es ihr gleich und lasse mich auf der Matratze nieder.

„Jah, und ich bin immer noch krank und geschwächt.“ Ihre Lippen werden ein schmaler Strich.

Wir schweigen uns an. Ihre Gedankenmaschine rattert.
 

„Dann“, meint sie, hebt langsam und vorsichtig ihre bestrumpfhosten Beine aufs Bett und zieht herausfordernd eine Augenbraue hoch, „Müssen wir uns wohl anderweitig arrangieren.“ Als sie sich auf die Ellenbogen stützt, klafft ihre Bluse am Ausschnitt weit auf, und ich muss ehrlich sagen, es kostet mich einige Willenskraft, nicht hineinzusabbern. Aha. Ich bin sexy, ich darf schlafen. Morgan war es, der mich über dieses weibliche Verhalten aufklärte. Deshalb bin ich mutig und deshalb kommt sie mir damit nicht durch.

Flexible Response.

„Und wieder kann ich dir nur zustimmen“, sage ich, völlig unverbindlich, und verschränke die Arme, meine Lippen nicht mehr als eine feine Linie zwischen Nase und Kinn.

Wir starren uns kurz gegenseitig fassungslos an (Emily entsetzt, weil ihre Taktik nicht wirkt, und ich entsetzt, weil ihre Taktik nicht wirkt), dann packt uns wieder die Wut.

„Ich bin den ganzen Tag gefahren“, faucht Emily und rutscht an die Bettkante zurück.

„Jah“, keife ich, während ich einen schnellen und geordneten Rückzug antrete, „Obwohl ich dich mehr als ausdrücklich aufgefordert habe, mich weiterfahren zu lassen.“
 

„ArrrrrrrrrrRREEEID!“, wütet sie und steht vom Bett auf.

„Das führt doch zu nichts!“

„Nein, EMILY“, rufe ich, „Da hast du völlig recht!“

Wir funkeln uns an, aber nicht lange.
 

Ich schweige und zeichne mit meinem rechten Zeigefinger Kreise auf die Tagesdecke. Emily wandert solange barfuß im Zimmer auf und ab. Die peinliche Aktion von vor ein paar Sekunden schwebt noch über ihr wie eine gigantische Gewitterwolke, kurz vor der alles zerstörenden Entladung. Müdigkeit macht Menschen zu Tieren.
 

„Ok, wir haben keine Wahl“, meint sie dann in die Stille und bleibt stehen. „Der Zufall entscheidet.“

Sie fingert eine Münze aus der Tasche ihres Blazers.

„Oh nein, nein, nein“, wehre ich ab. „Ich muss sicher gehen können, dass dies auch eine Laplace-Münze ist.“

„Laplace“, sagt Emily, skeptischer, leicht genervter Blick, in der Bewegung erstarrt.

„Jaah, Laplace“, meine ich und meine Stimme klingt so viel höher, als dass sie bestimmend männlich wäre.

„Eine Laplace-Münze ist eine Münze, bei der die Wahrscheinlichkeit aller Ereignisse Omega, das heißt, aller möglichen Ereignisse des Ergebnisraumes, das heißt, Kopf oder Zahl, absolut gleich ist.“

„Ja und?“, meint Emily mit einem kaum merklichen Schulterzucken, „Es ist ne gottverdammte Münze mit zwei Seiten, Fifty-Fifty, hah?“

Ich blinzle ein paar Mal hektisch. Verdammt.

„Vielleicht ist sie gezinkt?“
 

Mein trotziger Tonfall lässt eine Sicherung durchbrennen. „REID! Ich habe diese Münze heute Nachmittag beim Tanken erhalten. Mal abgesehen davon, dass ich keinen Einfluss darauf hatte, welches scheiß 25-Cent-Stück ich bekomme. Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine gezinkte Münze erhalte?“

„Also, rein statistisch gesehen-“

„REID! HERGOTT! Selbst wenn sie gezinkt wäre, wann hätte ich denn deiner Meinung nach die Möglichkeit gehabt, einen umfangreichen Stichprobentest der Kettenlänge 1000 auszuführen, der möglicherweise einen Fehler 1. Art enthält und somit nicht einmal signifikant ist, ich also keinerlei Aufschluss darüber erhalten würde, welche Seite wahrscheinlicher ist?“
 

Meine Augen werden mit jeder Silbe größer und größer. Schweigen, nachdem sie geendet hat. Emily bebt und atmet schwer.

„Emily... Aber... Du bist ja... Ein Geek!“, stottere ich hervor. Sie triumphiert und grinst.

„Pff. Mathe-Pluskurs an der Highschool. Hätte nicht gedacht, dass ich dieses Zeug noch einmal brauche.“

Sie pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Win.

„Also. Kopf oder Zahl?“

„Kopf“, antworte ich mechanisch und immer noch ein wenig geschockt.

Sie räuspert sich, nimmt Haltung an und wirft die Münze.
 

Und fängt sie nicht. Das Geldstück rollt durchs Zimmer und kommt unter dem Bett zum Liegen.

Hektisch stürzen wir zu Boden und heben gebannt den Überwurf an, der die Sicht auf unser jeweiliges nächtliches Schicksal verdeckt.
 

Emily stößt sich den Kopf beim Versuch, mit dem Schädel unter einem Lattenrost einen Freudensprung zu machen. Meine Nase landet im Staub.
 

„Zahl“, keift sie mir mit überlegenem Blick zu und tänzelt lächelnd ins Bad.

Ich klaube mir so lange die Spinnweben aus der Frisur.

Bedingte Aversion

Aus folgenden Gründen werde ich diese Nacht kein Auge zutun:
 

- Das Motel liegt direkt am Highway, genauso gut könnte es ein Flughafen sein – die Lautstärke ist vergleichbar.

- Dadurch, dass wir beide weitmöglichst voneinander entfernt liegen, entsteht unter unserer gemeinsamen Decke ein Spalt, der es verhindert, sich jemals ordentlich aufzuwärmen.

- In diesem Zimmer ist es stockdunkel. Was niemanden kümmern dürfte. Was mich aber sehr wohl stört.

- Emily schnarcht.

- (Der Traum, der kommt. In abgeschwächter Version, wie ich zu hoffen wage. Vielleicht nur ein wenig Schwitzen, ein kurzes Aufwachen. Das Übliche.)
 

Ich liege also auf der Seite, mit Blick zum Fenster, und sehe dem bisschen Schneetreiben zu, das sich erkennen lässt. Neben mir dreht sich Emily herum und atmet und lebt. Ich liege starr wie ein Toter angesichts der Nacht und der Schwärze.

Hm. Antithese. Ich ziehe die Beine an, um mich selbst ein wenig aufzuwärmen, und bin mir auf schreckliche Art und Weise bewusst, dass neben mir eine Frau liegt und mir in den Nacken atmet. Gedanklich füge ich dieses Gefühl in die „Liste der Situationen, mit denen ich in keinster Weise klarkomme“ ein. Ich rutsche ein wenig tiefer unter die Decke, Emily macht ein zufriedenes Geräusch und wie ich so in die Schwärze unter dem Bezug starre, schlafe ich wohl ein.
 

Was sich als fataler Fehler erweist.

Anscheinend hat mich die Klinik mit Einzelzimmer und Therapie vergessen lassen, warum ich so wenig wie möglich schlafe und mich stattdessen von Koffein IV, 20 mg/kg ernähre – nicht umsonst kenne ich alle Staffeln Star Trek auswendig (es sind die einzigen DVDs, die sich in meinem Regal finden) – und nicht umsonst habe ich es seit dem Ereignis X tunlichst vermieden, mein Zimmer und Bett mit anderen Personen zu teilen.

Denn ich werde geschüttelt, auf heftigste Art und Weise, und das ist es auch, was mich letzten Endes aufweckt.

Ich spüre die Krämpfe in meinem ganzen Körper, und schnappe nach Luft – es dauert einige Sekunden, bis ich erkenne, wo ich bin (ein Hotelzimmer), wer bei mir ist (Emily) und vorallem: wer nicht bei mir ist (Hankel). Ich setze mich auf, stütze den Kopf in die Hände und atme tief und langsam durch, bis das Zimmer aufhört, sich zu drehen. Ich bin nassgeschwitzt. Ebenso das Bett.
 

Emily berührt mich am Arm und ich zucke zusammen – sie schreckt zurück und ich greife reflexartig ihre Hand. Sie entspannt sich und hält sie fest. Dann kommt sie näher und drückt mich an sich. Fest. Ich lege meine Stirn auf ihre Schulter und sie lässt es geschehen. Ich glaube wir sitzen noch einige Zeit so da; ihre Haut riecht nach billiger Seife und ihre Haare nach Hotelshampoo-Pröbelchen; ihre Finger sind zart, während sie unablässig langsam durch mein Haar streichen. Zusammen mit beruhigenden Worten wiegen sie mich in einen leichten Dämmerschlaf.
 

Als ich ein weiteres Mal erwache, ist das Licht schon ein wenig grau. Der Morgen kündigt sich an.

Ich liege alleine im Bett und brauche einige Momente, bis ich Emily finde; zusammengerollt im Sessel neben dem Tisch, wie eine zu groß geratene Katze. Sie blinzelt, öffnet die Augen einen Spalt breit, überlegt, wo sie hier nocheinmal ist, und warum ihr alles weh tut; dann erblickt sie mich und sagt nichts.

Ich sehe in ein bleiches Gesicht, gezeichnet von forciertem Wachzustand. Dunkle Ringe unter den Augen, wirr verstrubbeltes Haar, eingefallene Wangen, fahle Haut.

Aber.

Ihre Augen.

In ihnen toben wildes Mitleid und stumme Verzweiflung.

Ich kämpfe mich nach oben , lehne mich an die Wand und erwidere ihren Blick.
 

Es gibt nichts zu sagen.
 

Emily hat ihre Beine angezogen und das Kinn auf die Knie gelegt. Ich die Hände im Schoß gefaltet. Sie mustert mich und fragt sich, was sie heute Nacht beobachtet hat. Was sie sagen soll.
 

„Und?“, breche ich mit heiserer Stimme unser frühmorgendliches Schweigen.

„Hm?“, fragt Emily, schließt die Augen und richtet sich ein wenig weiter auf.

„War es schlimm?“

Sie schweigt. Und wieder die Augen. Kein gutes Zeichen.

„Ist das jede Nacht so?“, fragt sie unsicher und leise, ihre Wörter so zerbrechlich wie Kristallglas.

„Nein.“ Dann: „Ja.“ Dann: „Jede, in der ich schlafe.“

Auf ihrer Stirn hat sich eine tiefe Falte gebildet.

„Und immer so schlimm?“, fragt sie atemlos.

„Wie schlimm wars denn?“

Wieder Schweigen. Sie legt sich die Worte zurecht.

„Du hast um dich geschlagen, geschrien und wolltest einfach nicht aufwachen. Ich-“

Sie bricht kurz ab und sieht zur Seite.

„Ich musste dich packen und schütteln, um dich wach zu kriegen.“

Ich schlucke.

„Jah, das war dann wohl eine schlimmere Version“, sage ich und bemühe mich, es beiläufig klingen zu lassen. Ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Herrgott. Ich bin nicht schwach.

Emily sieht mich immer noch an, dann fährt sie sich mit der Hand über das Gesicht.

„Und wie hältst du das aus?“, fragt sie.

Ich muss grinsen. Und schlucken.

„Tu ich ja nicht.“

Und dann (mit einem Schulterzucken): „Ich bin in Therapie.“

Sie muss ein wenig lächeln. Immerhin etwas.
 

Dann.

Nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und frägt.

„Und die Drogen haben geholfen?“

Und zum ersten Mal.

Habe ich das Gefühl, dass meine Stimme versagt.

Ich forme die Worte im Mund, doch als sie ihn verlassen, sind sie nicht mehr als ein trauriges Flüstern.

„Mehr als alles andere.“

Ich sehe aus dem Fenster.

Graues Vogelzwitschern.

Kein Niederschlag hier.
 

Diesmal ist unser Schweigen müde und entspannt. Nichts Ungesagtes zwischen uns. Kein Wörter-Vakuum, das Inhalt fordert. Viel eher eine neue Seite in einem leeren Buch.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Casino
2012-10-08T17:29:25+00:00 08.10.2012 19:29
Ich möchte, dass du weiterschreibst. Bitte, bitte,bitte.



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